Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern - Rébecca Kunz - E-Book

Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern E-Book

Rebecca Kunz

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Beschreibung

Der Verlustschmerz gilt als der größtmögliche seelische Schmerz des Menschen. In diesem Buch erzählen 25 Frauen und Männer offen und in berührender Weise, wie sie den Tod eines nahestehenden Menschen erlebt und verarbeitet haben. Wie waren die genauen Umstände? Wie gestaltete sich ggf. eine Begleitung während des Sterbeprozesses? Wie sind diese Menschen mit dem Verlust umgegangen? Was hat ihnen im Trauerprozess geholfen und was nicht? Wir erfahren in diesen tiefgehenden Trauerporträts viel Schmerzliches und manchmal auch Traumatisches. Gleichzeitig jedoch auch viel Inniges, Liebevolles und Lichtes. Zusätzlich zu den Trauerporträts beleuchten u.a. drei Interviews mit Fachleuten verschiedene Perspektiven zu den Themen Abschied nehmen und Trauer. Menschen, die andere in ihren Trauerprozessen begleiten oder ihre eigene Trauerbiografie erforschen möchten, werden inspiriert und fündig - ein Hoffnung machendes Buch über ein anspruchsvolles Thema, welches uns alle betrifft.

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Inhalt

Cover

Titelei

Geleitwort

Widmung

Einleitung

I Ein Plädoyer für die Trauer

1 Bindung, Trauerprozess und Trauer

1.1 Ans Herz gewachsen

1.2 Verlustschmerz und Sehnsucht

1.3 Trauer hilft

2 Achtsame Trauerbegleitung

2.1 Alles darf sein

2.2 Mitgefühl

2.3 Verbindung

3 Trauer und Trauma

3.1 Großer Schrecken

3.2 Alter Schmerz

3.3 Es gibt Hilfe

Quellen und Anmerkungen

Internetadressen

II Interviews mit Fachleuten

Konstanze Schlitt

Dr. Carlo Zumstein

Regula Kaeser-Bonanomi

III Die Trauerporträts

1 Ich mache nur noch das, was ich möchte

2 Ich fühle mich wie eine Trauerweide

3 Ciao Bella!

4 Wir nahmen von jedem einzelnen Strampelhöschen Abschied

5 Letztlich blieb trotz Nähe eine befremdende Distanz

6 Ich habe keine Erinnerung mehr an sie

7 Der Bogen ist geschlossen

8 Er ist direkt in den Himmel geschwommen

9 Irgendwann muss man sich entscheiden

10 Anna und Mona sind tot!

11 Dankbarkeit ist eine Form von Abschied

12 Vieles ist so unwichtig geworden

13 Ein Abschied auf Raten

14 Der Tod hat trotz allem auch etwas Zärtliches

15 Seit diesem Tag glaube ich, dass es nach dem Tod noch etwas gibt

16 Diese Versöhnung empfinde ich als ihr Vermächtnis

17 Meine Frau trauert völlig anders als ich

18 Ich habe noch etwas zu geben im Leben

19 Wir waren innerlich etwas einsam

20 Mama, schau, ein Sonnenbrunnen!

21 Die Lücke bleibt

22 Manchmal komme ich nachhause und möchte ihm etwas erzählen

23 Hätte ich etwas besser machen können?

24 Vielen Dank für den schönen Tag!

25 Wir waren alle bei ihr − bis zum letzten Atemzug

Die Autorin

Rébecca Kunz, geboren 1958, arbeitet als Seminarleiterin und Therapeutin und wohnt in der Nähe von Bern in der Schweiz.Sie bietet kreative, körper- und naturbasierte Methoden und Lehrgänge an, die nicht nur der Stressreduktion und Selbstermächtigung dienen, sondern die Gesundheit ganzheitlich und nachhaltig positiv beeinflussen.Nach einem Studium der Biologie an der Universität Bern hat sie verschiedene Aus- und Weiterbildungen, u. a. Erwachsenenbildung, Psychologische Beratung, Körpertherapie, Energetischer Schamanismus, Systemische Paartherapie, Integratives Traumatraining, Traumafokus©und Klopfen mit PEP©,absolviert.

»Leben ist Lernen. Lernen ist Wachsen. Ich lerne und gestalte gerne, weil ich das Leben liebe.«

www.heilender-raum.ch

Rébecca Kunz

Der Liebe nah – Abschied nehmen und trauern

Erfahrungen und Erkenntnisse von Fachleuten und Betroffenen

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-043985-6

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-043986-3epub:ISBN 978-3-17-043987-0

Geleitwort

Die Trauer gehört zu jenen Gefühlen, die in unserer heutigen Kultur einen schweren Stand haben. So wird sie oft den »negativen Gefühlen« zugeordnet – als ob es so etwas gäbe, negative Gefühle. Die Gefühle gehören zu unserem Seelenhaushalt und sind als solche weder positiv noch negativ. Entsprechend lastet auf der Trauer ein großer kultureller Druck zur Verdrängung. Die Schwierigkeit dabei ist, dass Verdrängung alles andere als eine Lösung des Problems bedeutet, weil das Verdrängte nun im Unbewussten eine oft destruktive Wirkung entfaltet.

Häufig schon war ich entsetzt, wenn mir ältere Frauen erzählten, sie hätten beim Tod ihres Ehemannes vom Arzt ein Antidepressivum nicht angeboten, sondern ganz einfach verordnet bekommen – Verdrängung auf Kosten der Krankenkassen sozusagen.

Unsere Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass alle und alles stets reibungslos funktioniert. Daher reagiert sie auf Störungen irritiert – die Trauer stört. Und schnell sind irgendwelche Trostworte bereit – nicht in erster Linie für die trauernde Person, sondern weil die Umstehenden deren Trauer nicht ertragen. Wer seine eigene Trauer verdrängt, hält die eines anderen ganz einfach nicht aus.

Wer seine Trauer verdrängt, wird bei einem nächsten Trauerereignis noch heftiger reagieren, da die früher verdrängte Trauer jetzt erneut hochkommt, was den Verdrängungsdruck verstärkt – ein unheilvoller Teufelskreis. Deshalb weinten zum Beispiel vor vielen Jahren beim Tod der britischen Prinzessin Diana weltweit Millionen Menschen haltlos – tatsächlich betrauerten sie keineswegs Lady Di, die kannten sie ja bloß aus dem Fernsehen! Nein, solch ein Tod spült Ozeane von ungeweinten (verdrängten) Tränen an die Oberfläche.

Verdrängte Trauer kann krank machen. Natürlich ist nicht jede Depression das Ergebnis verdrängter Trauer. Aber in manchen Fällen ist der Zusammenhang nicht zu übersehen. Bei Männern, nicht nur bei älteren, die mit der destruktiven Maxime groß geworden sind Männer zeigen keine Gefühle, wirkt sich dieser Mechanismus oft ebenfalls tragisch aus: Die Tränen, die Erleichterung brächten, können ganz einfach nicht fließen.

In Wahrheit ist Trauer die gesunde Reaktion auf einen Verlust. Das heißt auch, Trauer heilt den Schmerz des Verlustes.

Gewiss, den Trauerprozess zu durchleben kann schmerzhaft sein. Wer sich ihm aber stellt, wird im Laufe der Zeit eine tiefe Entwicklung durchmachen, eine Entwicklung in Richtung Entfaltung der Persönlichkeit, Reifung bis hin zu wahrer Weisheit. C.G. Jung verstand das Durchleben der Trauer als einen Schritt auf dem Weg der Individuation, der Selbstwerdung des Menschen.

Jeder Mensch verarbeitet erlittene Verluste auf eigene Weise. So hat die – gelebte – Trauer so viele Gesichter wie es Menschen gibt. Gemeinsam ist ihnen allen aber eines: Sie geben ihrer Trauer Raum.

Mit viel Einfühlungsvermögen hat Rébecca Kunz mit Menschen über ihre Wege durch die Trauer gesprochen. In den Berichten entfalten sich vor uns Menschenschicksale in ihrer unverwechselbaren Individualität und damit mit ihrem je einzigartigen Trauerweg. Von einer sehr einfachen, aber gleichwohl gehaltvollen Sprache bis hin zu hoher Differenziertheit oder reflektierter Spiritualität begegnen wir einer großen Vielfalt.

Menschen erzählen von ihren oft schier unerträglich schmerzhaften Erfahrungen – und von ihrem Reifen, Bewusstwerden, von ihrer Heilung auch, von ihrer Trauer als Lebensschule. So bleibt die Trauer nicht eine abstrakte, allenfalls interessante Theorie, sondern sie wird konkret und lebendig, sie macht betroffen.

Diese Porträts machen Mut, den eigenen Weg zu suchen und zu gehen. So ist ein berührendes Buch entstanden. Ich wünsche ihm die breite Beachtung, die es verdient.

Gabriel Looser, Dr. theol., Bern

Widmung

Für Melvin, Meret und Melina in Verbundenheit. Ihr habt mich so vieles über das Leben und mich selbst gelehrt. Für dieses Elixier bin ich dankbar.

Einleitung

Jeder Mensch stirbt eines Tages, hinterlässt eine Lücke und Menschen, die ihn vermissen. Abschied und Trauer sind ein Alltagsgeschehen. Es ist sinnvoll, sich darüber auszutauschen und voneinander zu lernen.

Oft macht nur schon die Vorstellung von Trauer Angst. Doch gerade das Basisgefühl Trauer hilft, mit der Zeit über einen schmerzlichen Verlust hinwegzukommen oder zumindest angemessen und würdevoll damit leben zu lernen. So wird echte Trauer zur Gnade. Wer Gnade erfährt, ist weich, offen sowie sich und der Liebe nah. Menschen, die solchermaßen präsent sind, leuchten von innen heraus; das macht sie schön. An dieser inneren Schönheit, die oft trotz des außerordentlich tiefen Verlustschmerzes nach außen strahlt, durfte ich während der bewegenden Gespräche mit 25 Menschen teilhaben. Ich habe die Porträtierten in ihrem Trauerprozess nicht begleitet; umso dankbarer bin ich für das Vertrauen, das sie mir entgegengebracht haben.

Diese Porträts bilden das Herzstück des Buches. Das Ringen in der Not und die erlangte Weisheit vieler Trauernder sprechen in berührender Weise für sich selbst. Ich kommentiere und bewerte das Erzählte nicht. Ein Teil bleibt Staunen über die Reifungsmöglichkeiten der menschlichen Seele.

Jeder Mensch ist einzigartig und hat eine Lebensgeschichte, die ihn prägt. Somit verlaufen nicht nur Sterbeprozesse, sondern auch Trauerprozesse verschieden. Auch wenn es einige Übereinstimmungen im Umgang mit einem Verlust geben mag, gibt es kein richtiges oder falsches Trauern.

In meinem Plädoyer für die Trauer betrachten wir, wie Trauer mit Bindung zusammenhängt und mit welchen Gefühlslagen und Schwierigkeiten ein Mensch im Trauerprozess konfrontiert werden kann. Gar nicht so selten kommen Trauer und Trauma zusammen. Das macht einen Trauerprozess noch anspruchsvoller und anstrengender, als er ohnehin oft schon ist. Zudem: Viele Menschen sind gehemmt in der Begegnung mit Trauernden und haben Angst, etwas falsch zu machen oder etwas Unpassendes zu sagen. Es ist hilfreich, wenn wir verstehen und einordnen können, weshalb etwas so schwer ist, wie es eben ist, worauf es in der Begleitung von Betroffenen ankommt und wann therapeutische Unterstützung angebracht ist.

Die drei darauffolgenden Interviews mit Fachleuten aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern zeigen das Thema Trauer in einem größeren psychologischen sowie spirituellen Zusammenhang. Dr. Carlo Zumstein, einer dieser Fachleute, ist bedauerlicherweise und unerwartet kurz vor Drucklegung dieses Buches verstorben.

Menschen, die mit Trauernden zu tun haben, beruflich oder privat, finden in diesem Buch wertvolle Inspiration, ein tieferes Verständnis und vielleicht sogar einen neuen Zugang zur Trauer. Die Lektüre lädt ein, sich zu fragen: Wo stehe ich mit meinen Erfahrungen zum Thema Abschied und Trauer? Warum bewegt mich gerade dieses und jenes Porträt ganz besonders? Welche Aspekte der 25 Trauer-Protokolle berühren den eigenen Transformations- und Selbstheilungsprozess gerade jetzt am ehesten?

Als Autorin habe ich höchsten Respekt für die porträtierten Menschen, die uns Einblicke in ihr Innerstes gewähren.

Ich hoffe und wünsche mir, dass auch Sie, liebe Lesende, sich berühren lassen und ermutigt werden, Ihre eigene oder die Trauer eines Gegenübers leichter zu thematisieren – und zu fühlen. Damit mehr Liebe in den Alltag einfließen kann.

Rébecca Kunz, im August 2023

I Ein Plädoyer für die Trauer

Die Trauerporträts von 25 Menschen geben uns Einblicke in ganz verschiedene, berührende und emotional oft auch sehr herausfordernde Abschieds- und Trauerprozesse. Die Erfahrungen der Betroffenen können uns dabei helfen, uns in Trauernde einzufühlen und im Umgang mit ihnen achtsamer zu werden. Es lohnt sich für uns alle, uns mit unserer Endlichkeit und der eigenen Trauerbiografie auseinanderzusetzen. Das Leben wird dadurch intensiver und reicher.

In den folgenden drei Kapiteln gehe ich – zumindest in Kurzform – als Biologin und Therapeutin auf einige Punkte ein, die in anderen Trauerbüchern wenig thematisiert werden. Bewusst integriere ich dabei spirituelle Erfahrungen sowie Traumawissen.

1 Bindung, Trauerprozess und Trauer

Zusammenfassung Kapitel 1

Menschen sind soziale Wesen und verbinden sich naturgemäß mit einigen anderen Menschen sehr tief. Der Verlust eines solchen geliebten Menschen verursacht zuerst einmal große innere Aufruhr. Dieser hohe Stresspegel betäubt anfänglich meist sowohl den Verlustschmerz als auch die Angst vor einer Zukunft ohne diesen Menschen.

Wir können nicht verhindern, dass sich das Leben manchmal schmerzhaft zeigt. Nicht nur körperliche, sondern auch seelische Schmerzen können äußerst weh tun. Der Verlustschmerz gilt als der größte seelische Schmerz. Er ist im Trauerprozess dominant, und es gilt, ihn anzuerkennen und zu würdigen.

Wenn wir den Verlustschmerz vom Basisgefühl Trauer unterscheiden, kann das den Trauerprozess insgesamt positiv beeinflussen. Gefühlte Trauer hilft, einen Verlust allmählich anzunehmen. Die Schmerzen werden weniger.

Trauer ist das Gefühl mit dem größten Tiefgang. Trauer kann uns anderen gegenüber öffnen, jedoch auch uns selbst gegenüber. Trauer hilft, den Verlust zu akzeptieren, uns nicht mehr gegen ihn zu wehren. So können wir uns allmählich für etwas Größeres öffnen. Auf diese Weise kann uns die Trauer mit ihrer Transformationskraft zeigen, dass eine Verbindung zu einem geliebten Menschen in einer ganz neuen, freieren Art auch über den Tod hinaus bestehen bleibt.

1.1 Ans Herz gewachsen

Wir sind soziale Wesen und leben seit jeher in Gemeinschaften, das gibt uns größtmöglichen Schutz und Sicherheit. Zudem lässt uns diese Zugehörigkeit Dinge tun, die wir allein nicht wagen oder schaffen würden. Wir lernen mit- und voneinander, sind kooperativ und helfen uns gegenseitig. Kurz: Wir sind in vielerlei Hinsicht aufeinander angewiesen und verbunden.Es war zu Urzeiten für ein Individuum der sichere Untergang, wenn es aus der Gemeinschaft ausgestoßen wurde oder verloren ging. Unsere Gene funktionieren noch praktisch gleich wie in der Steinzeit, und der Drang, uns zu verbinden und dazuzugehören, ist tief in unserem Stammhirn angelegt. Umgekehrt schützen und retten wir, wenn wir die Wahl haben, in einer Gefahrensituation zuerst unsere Nächsten. Wie zu Urzeiten erhöht die Verbindung mit anderen Menschen auch heute noch unsere innere Sicherheit und auch heute noch macht uns ein drohender Bindungsverlust sehr viel Angst. Wir wollen die Menschen, mit denen wir eng verbunden sind und die wir lieben, nicht verlieren.

Im Mutterleib sind wir körperlich mit unserer Mutter eng verbunden. Bei der Geburt stellt die Natur alles zur Verfügung, damit diese Verbindung zur Mutter und die der Mutter zu uns weiter anhält. Das ist hormonell gesteuert. Unsere Mutter oder eine andere nahe Bezugsperson, die Zugang zu ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen hat, kann sich selbst und somit auch uns als Säugling regulieren, denn das können wir aufgrund unseres noch unreifen Hirns noch nicht selbst. Die Mutter geht auch fein abgestimmt auf unsere Bedürfnisse ein. Gefühlte Sicherheit und eine Beheimatung in unserem Körper sind eng daran gekoppelt, ob unser ausgedrücktes Unwohlsein richtig interpretiert wird und unsere unterschiedlichen Bedürfnisse angemessen befriedigt werden. Eine sichere Bindung ist die Folge. Unser Nervensystem reift und wir können im Laufe der Jahre unsere innere Erregung, die bei Gefahr, Unwohlsein oder bei Gefühlen wie z. B. Wut entsteht, immer besser selbst regulieren. Außer wir haben übermäßig Stress – dann brauchen wir uns gegenseitig auch als Erwachsene noch immer zur gegenseitigen Regulation. Das ergibt Sinn.

Vertrauensvolle Kontakte können wir schon im ersten Lebensjahr auch mit ein paar wenigen anderen Menschen erleben. In einer prekären Situation wenden wir uns jedoch für unsere Regulation immer an die Bezugspersonen, mit denen wir am engsten verbunden und die am feinfühligsten sind. Eltern, die kaum Zugang zu ihrem eigenen Körper haben, können uns, und das ist die Kehrseite, wenig Sicherheit und Körperwohlgefühl vermitteln (1).

In der Obhut von nahestehenden, ausgeglichenen und wohlwollenden Bezugspersonen fühlen wir uns sicher und aufgehoben. Mit dieser gesicherten Basis wächst unsere Neugier auf das Leben. Wir entwickeln ein Streben nach Autonomie und erweitern neugierig unseren Radius. Unsere entgegengesetzten Bedürfnisse nach Sicherheit einerseits und Autonomie andererseits sind somit im Gleichgewicht. In dieser Balance können wir uns gemäß unseren Begabungen entfalten. Tiefe, sichere und vertrauensvolle Bindungen geben uns den Boden, auf dem unser Leben gründet.Wichtig: Das hier Beschriebene ist das Ideal. Es gibt auch ein Gut genug an Fürsorge und elterlicher Feinabstimmung, jedoch auch ein Zuwenig.

Als Kind bauen wir zunächst mit einigen wenigen Bezugspersonen eine vertrauensvolle Bindung auf. Später wählen wir zunehmend selbst, mit wem wir uns tiefer verbinden möchten. Im besten Falle sind das Menschen, die uns guttun, emotional verlässlich sind und uns in unserem Wachstum und unserer Entwicklung stimulieren. So können wir in Einklang mit unseren Grundbedürfnissen aufwachsen und später gemäß dem eigenen Potenzial unsere Begabungen in die Welt tragen. Wir verbinden uns, wie gesagt im Idealfall, mit Menschen aus unserer Familie sowie mit Menschen, mit denen wir uns befreunden. Wir wachsen einander ans Herz und spüren, dass wir diese engen, vertrauten Herzensverbindungen brauchen. Diese brauchen wir ausnahmslos alle. Wir brauchen nicht hunderte, jedoch ein paar wenige Menschen, mit denen wir eng verbunden sind. Das sind unsere Nächsten; mit ihnen teilen wir ganz Persönliches, wir lassen uns gegenseitig an Beglückendem und an Schwierigem teilhaben. Wir vertrauen ihnen und sie vertrauen uns. Wir dürfen so sein, wie wir sind, auch wenn es uns nicht gut geht. Außerhalb des Kreises mit den allernächsten Menschen sind da weitere Freundinnen und Freunde, mit denen wir Nähe erleben. Dazu kommen gute Bekannte, die wir mögen und mit denen wir gemeinsame Hobbys oder konstruktive Arbeitsbeziehungen pflegen. Der Kontakt mit letzteren kann durchaus auch herzlich sein, jedoch sind wir etwas weniger vertraut mit ihnen, und die Kontakte sind eher situationsgebunden. Auch wenn jemand aus dem Kreis unserer Bekannten stirbt, schmerzt uns das. Der Schmerz ist jedoch weniger heftig und die Schmerzphase kürzer, als wenn wir einen Menschen aus unserem inneren oder sogar dem innersten Bindungsradius verlieren.

Nähe mit anderen zu erleben ist seelische Nahrung. Nicht jeder Mensch braucht gleich viel davon, und in unterschiedlichen Stimmungen oder Lebenssituationen ist der Kontaktwunsch und das physische Bedürfnis nach Nähe verschieden. Wichtig für uns alle ist jedoch die Nähe zu uns selbst. So können wir auch mit anderen nährende Nähe, also Intimität, erleben, ohne uns selbst dabei zu verlieren.

Im Kontakt zu einem Menschen, der uns ans Herz gewachsen ist, fühlen wir uns geborgen. Nach einem tiefen Gespräch, einem vertraulichen Austausch sind wir tief genährt. Diese Nahrung und das gegenseitige Vertrauen brauchen wir, damit wir erfüllt leben, uns entwickeln und reifen können. Das heißt nicht, dass wir dabei immer einer Meinung sein müssen mit einem Menschen unseres Vertrauens, sondern wir sind offen und neugierig für neue Sichtweisen über das Du und das Ich. Ganz gemäß der bekannten Aussage des Philosophen Martin Buber, dass der Mensch am Du zum Ich wird.

Das jedenfalls gelingt bevorzugt, wenn wir als Kind sicher gebunden waren und somit ein tragfähiges Fundament in uns tragen. Leider sind etwa 45 % der Menschen in unseren Breitengraden als Kind nicht sicher gebunden. Bei Erwachsenen beträgt der Anteil mit unsicherer Bindung noch immer über 40 % (2). Es liegt auf der Hand: Ein als Kind sicher gebundener Mensch entwickelt einen sicheren Bindungsstil, ein unsicher gebundener Mensch weniger. Die Unsicherheit kann sich verschieden zeigen und ist graduell unterschiedlich. Wie viel oder wie wenig Bindungssicherheit wir als Kind erlebt haben, beeinflusst unsere privaten und beruflichen Beziehungen und, auch wenn ich mich hier wiederhole, ganz wichtig: Sie beeinflusst die Beziehung zu uns selbst! Gerade in einem Trauerprozess kann das von Bedeutung sein. In ▸ Kapitel 3.3 gehe ich näher darauf ein.

Neurologisch gesehen, erlebt unser Hirn im Zusammensein mit eng verbundenen Menschen, die uns Sicherheit, Wohlgefühl und nicht zuletzt Inspiration geben, immer wieder Kohärenz oder Ausgeglichenheit. Manchmal zeigt sich das Leben von der stürmischen Seite und der Alltag läuft sozusagen aus dem Ruder. In solchen Situationen lassen wir unser übererregtes Nervensystem bevorzugt von Menschen unseres Vertrauens beruhigen. Oder umgekehrt: Wir beruhigen sie, die Menschen unseres Vertrauens, wenn sie es brauchen. Das Zauberwort dazu heißt Co-Regulation. Die innerlich weniger erregte Person bietet der übererregten Person ihre innere Ruhe und Ausgeglichenheit an. Das hilft. Das kann zum Beispiel in schlichtem Zuhören oder in einer stillen Umarmung geschehen. Biologisch gesehen wird dabei unser Sicherheitsbedürfnis mithilfe des ventralen Vagusnervs reguliert und befriedigt (3). So können wir den Boden wieder finden, wenn wir dysreguliert sind und gerade ein inneres Erdbeben – ein Seelenbeben – erleben.Menschen, die nah verbunden sind und neben vielen Lebensfreuden auch ihre seelischen Schmerzen teilen, sind sich in schwierigen Lebenssituationen das heilsame Elixier Nummer Eins. Kurz: Gelebte Verbindungen sind heilsam. Abrupte Bindungsabbrüche hingegen verstören. Der Tod eines geliebten Menschen scheint ein schmerzhafter Bindungsabbruch für immer zu sein. Doch stimmt dieser düstere Schein?

1.2 Verlustschmerz und Sehnsucht

Wenn jemand stirbt, mit dem wir uns tief verbunden und vieles zusammen geteilt haben, tut uns dieser Verlust sehr weh. Dieser Mensch in seiner physischen Form fehlt. Wie viel Schönes hätten wir noch zusammen erleben und uns darüber austauschen können! Geteilter Schmerz und vor allem auch geteilte Freude hätten uns noch viel Nähe beschert! Wie viel stimulierende Wachstumsimpulse hätten wir noch gegenseitig empfangen und geben können! War diese gelebte Nähe, diese Vertrautheit doch gegenseitige und überaus kostbare innere Nahrung. Das Wegfallen dieses geliebten Menschen kann uns nicht nur Schmerz, sondern auch Angst bereiten; nicht zuletzt dadurch, weil diese tiefe Verbindung zu unserer inneren Sicherheit beigetragen hat. Letztere ist jetzt bedroht und so viel anderes scheint verloren.

Der Verlust eines Menschen, mit dem wir nah verbunden waren, trifft uns in unserem ganzen Wesen und verunsichert uns zuerst einmal zutiefst. Einen geliebten Menschen zu verlieren, jagt den Stresspegel in höchste Höhen und zeigt, dass sich unser Nervensystem in einer hochgradigen inneren Erregung befindet. Biologisch gesehen ist das erklärbar und sinnvoll: Durch die Stresshormone bleiben wir fähig, uns bei einer äußeren Bedrohung selbst am Leben zu erhalten, uns zu retten. Unser Nervensystem schaltet dabei sofort auf den Überlebensmodus. Vielleicht existiert noch ein Anteil in uns, der gegen außen gut handlungsfähig ist und wir funktionieren in einer Art Trance.

Es kann sich schon bald ein Abgrund aus Angst vor uns auftun: Wie soll ich weiterleben ohne diesen Menschen? Überlebe ich die tsunamiartigen Schmerzwellen, die ich erahne oder schon spüre? Spülen sie mich ins Bodenlose?

Vielleicht fragen wir uns, wie wir mit dieser hohen inneren Erregung aus Stress und Angst überhaupt umgehen können. Von Bedeutung ist jetzt, ob ein Mensch unseres Vertrauens da ist oder jemand um Hilfe angefragt werden kann, der uns bei der Regulation unseres übererregten Nervensystems hilft. Wenn beides nicht der Fall ist und uns alles zu viel wird, schützt uns unser Nervensystem auf seine eigene Weise, doch das hat seinen Preis: Unsere Eigenwahrnehmung wird reduziert, obwohl die innere Erregung noch immer da ist. Wir fühlen nun kaum mehr etwas, außer einem dumpfen inneren Druck. Oft wird dieser Zustand noch begleitet von einer Art Gehirnnebel und einem düsteren Gedankenkarussell. Das zieht uns noch weiter hinab und zeigt, dass wir die Verbindung zu uns selbst, auch zu unserem Körper, ein großes Stück weit verloren haben. Wir fallen in dieser hohen Stresssituation manchmal in ein Kinder-Ich zurück und damit auch in alte, im Erwachsenenleben wenig dienliche Stress-Bewältigungsmuster. Spätestens jetzt sollten wir professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen.

Viele von uns gehen im Trauerprozess anfänglich durch Gefühle, Zustände und Befindlichkeiten wie Angst, Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit etc. Gleichzeitig – oder manchmal erst allmählich – beginnen wir, den Verlustschmerz zu spüren. Diese Annäherung an den Schmerz ist das Tor zur Trauer. Wir vermissen den verstorbenen Menschen, spüren schmerzende Sehnsucht nach ihm. Der Verlust kann sich gewissermaßen wie ein ganz großer Liebeskummer zeigen. Wir wissen einfach nicht wohin mit diesem brennenden Verbindungsimpuls, mit diesem Verlangen nach Nähe und Austausch mit genau diesem vertrauten Menschen. Wenn wir zu diesem Menschen zudem eine erfüllende erotisch-sexuelle Beziehung gepflegt haben, holt uns früher oder später auch das Verlangen nach der Körperlichkeit mit ihm ein.

Ein Trauerprozess verläuft nicht linear, sondern prozesshaft; er macht Schlaufen und Überlappungen, Fort- und scheinbare Rückschritte. Der Prozess ist wenig voraussehbar und zunächst kaum steuerbar. Im Laufe des Prozesses empfinden wir nebst dem seelischen Schmerz viele verschiedene Stimmungen und Gefühle. Sie können uns einzeln oder in wilder Kombination überkommen. Eine nahe Bindungsperson ist in ihrer leiblichen Form nicht mehr da. Und das schmerzt. Punkt. Der physische Wegfall eines uns lieben und nahen Menschen gehört zu den größten seelischen Schmerzen, die ein Mensch erfahren kann. Die Schmerzwellen rollen und wogen ohne Vorwarnung auf uns zu. Unser Hirn unterscheidet dabei kaum zwischen körperlichem und seelischem Schmerz; es besteht zudem eine enge Verknüpfung von innerer Übererregung und Schmerz.

Im Hirn zeigen sich Schmerz und Trauer in unterschiedlichen Regionen. Es ist hilfreich, wenn wir während unseres Trauerprozesses den Verlustschmerz vom Basisgefühl Trauer unterscheiden: Wir können uns den Verlustschmerz und die Trauer wie zwei dicke, verschiedenfarbige Bändel vorstellen, die ineinander verdreht sind. Wir nehmen anfangs die beiden Bändel als nur einen einzigen, sehr schmerzenden Strang wahr.

Wir setzen die Trauer in erster Linie mit dem Verlustschmerz gleich und haben genau deshalb Angst vor der Trauer. Doch es ist der Schmerz, der weh tut, und nicht die Trauer. Wie Dr. Gabriel Looser im Geleitwort dieses Buches schreibt, ist Trauer die gesunde Reaktion auf einen Verlust. Er geht sogar noch weiter und sagt, dass die Trauer den Schmerz des Verlustes heilt.

Es ist gar nicht so einfach, die Qualität von Trauer mit Worten zu beschreiben. Trauer ist ein Basisgefühl und kann höchstens mit begleitenden Eigenschaften, Gedanken, Körperempfindungen, Impulsen oder Handlungen beschrieben werden. Auch die anderen Basisgefühle – nämlich Angst, Wut, Ekel oder Freude – lassen sich nicht durch andere Gefühle beschreiben. So banal das klingen mag: Der einzige echte Zugang zu den Gefühlen besteht darin, dass wir sie fühlen.

Die Psychoonkologin Konstanze Schlitt beschreibt Trauer im Fachinterview in diesem Buch wie folgt:

Trauer ist ein eigenes Gefühl mit der Qualität von Traurigkeit, es lässt uns verstummen oder bringt uns zum Weinen, es ist aber auch oft ein sehr feines Empfinden tief in uns, das nicht immer in Worten zu beschreiben ist, obgleich es jedem Menschen bekannt ist.

Den Verlustschmerz gilt es anzuerkennen und zu würdigen. Er ist da. Und er kann äußerst heftig sein und mit der Empfindung einhergehen, unser Herz werde zerrissen oder gebrochen. Nicht selten schreien Menschen irgendwo im Wald oder im Auto, weil es dermaßen fest weh tut. Oder sie beißen in ein Kissen, wenn sie zuhause sind und nicht wollen, dass fremde Ohren mithören. Wenn einem jemand ans Herz gewachsen ist, kann sich dieser Verlust wie eine klaffende große Wunde und als kaum aushaltbar zeigen. Dass wir uns solchen Schmerzen nicht einfach so ausliefern möchten, ist zutiefst menschlich.

Wenn wir diese Zusammenhänge etwas verstehen, entsteht bestenfalls eine kleine, hilfreiche Distanz zum geballten Geschehen, das sich gerade in uns abspielt. Diese Intensität könnte uns glauben machen, dass wir verrückt werden. Doch was wir gerade erleben, ist völlig normal, wenn einem eine enge, geliebte Bezugsperson wegstirbt. Es gibt für unseren Schmerz, für unsere auftauchenden Gefühle, Stimmungen und Gedanken, kein richtig oder falsch.Verlustschmerz sollte niemand allein durchstehen müssen. Andere Bindungspersonen können helfen, ihn zu tragen. Unser Körper, unsere Gene, unser Nervensystem stellen uns alles zur Verfügung, damit der Schmerz kleiner wird, wenn wir von liebevollen, verständnisvollen Mitmenschen einfühlsam begleitet werden. Wenn wir mit anderen verbunden sind, mindert das den Schmerz unserer akuten Bindungsverlust-Wunde. Erinnern wir uns: Eine Gemeinschaft ist ein sozialer Verband, der uns schützt und hilft.

Der Verlustschmerz ist von anderer Qualität und Dauer, wenn die durchaus auch geliebte 96-jährige Großmutter gemäß ihrem Wunsch friedlich einschlafen durfte, als wenn wir einen jungen nahen Menschen oder eine geliebte Lebenspartnerin verlieren. Im Beispiel der Großmutter gelangen wir meist bald zum Basisgefühl Trauer. Der Verlustschmerz ist in diesem Falle kein unüberwindbar scheinendes Monster. Die Trauer versöhnt uns mit ihrem Sterben. Weil wir diesen Tod in der Regel besser annehmen können, kann die Trauer in ihrer schmerzreduzierenden, integrierenden Funktion wirken. Wir spüren nach dem Ableben der Großmutter weiterhin eine liebevolle Verbindung zu ihr. Wir können das gemeinsam Erlebte mit ihr würdigen. Kurz: Die Bindung und die Beziehung zu ihr werden ganz natürlich transformiert.

Im Trauerprozess steigen verschiedene Gefühle in uns auf. Das tun sie, ohne anzuklopfen. Wie die Trauer sind auch andere Gefühle da, um uns zu helfen: Es sind Signale, die uns Orientierung und Hinweise für unser Handeln geben.

Oft unterscheiden wir Gefühle in negativ und positiv. Diese Zuschreibungen erschweren es, einen integrativen Zugang zu den Gefühlen zu bekommen und uns mit unserem ganzen Wesen auf ihre hilfreichen Funktionen einzulassen. Ich bevorzuge es deshalb, unsere Basisgefühle neutral bzw. wenn, dann als uns dienliche Wegweiser bzw. als Gefahrensignal zu betrachten. Wie soll ein Wegweiser negativ oder positiv sein? Er ist doch einfach da und zeigt uns die Richtung. Mit einer gesunden Neugier können wir mittels unserer Gefühle erforschen, welche unserer Bedürfnisse nach Befriedigung streben. Unbefriedigte Bedürfnisse können sich tatsächlich als unangenehm oder schmerzend zeigen. Wenn wir unsere Gefühle ernst nehmen und vertieft erkunden, wie wir unsere grundlegenden Bedürfnisse befriedigen können, dient das unserem Leben von Grund auf.

Viele Menschen spüren ihren Körper und somit auch ihre Bedürfnisse wenig. Der Körper mit seiner Physiologie ist jedoch die Basis unserer gesamten Wahrnehmung (4). Wir können lernen, Schmerz sowie Gefühle wie z. B. Angst, Trauer oder Wut als voneinander getrennt wahrzunehmen. Und sie nicht zu bewerten. In ▸ Kapitel 2.3 folgen Hinweise auf Übungen, die zu einer verbesserten Körperwahrnehmung beitragen können.

Grundsätzlich gilt: Körperlicher Schmerz zeigt sich auf Dauer umso stärker, je mehr wir uns innerlich zusammenziehen und verkrampfen. Wenn das Gewebe lockerer wird, wird auch der Schmerz mit der Zeit kleiner. Seelischer Schmerz bewirkt Ähnliches im Körper. Dabei geht es keinesfalls darum, den Schmerz auf die Schnelle wegzubekommen. Wenn wir Schmerzlinderung ausschließlich mit dem Willen durchsetzen wollen, halten wir den Schmerz fest. Das Annehmen des Schmerzes und uns körperlich zu entspannen trotz Schmerz, sind anspruchsvoll und alles andere als einfach. Doch immerhin mit der Zeit lernbar.

Die Trauer schenkt uns den Mut, den Verlustschmerz allmählich mit unserem ganzen Wesen zu spüren und zu transformieren. Dieser Transformationsprozess braucht Zeit und führt zu einer Integration des Verlustes. So weinen wir in unserem Trauerprozess mit der Zeit nicht mehr nur aus Verzweiflung und Schmerz, Wut und Hilflosigkeit, sondern auch, weil die sanften Tränen der Trauer uns erleichtern und wieder mit uns selbst verbinden. Manchmal sogar tiefer, als dies vorher möglich gewesen war.

Wenn wir einen lieben Menschen verloren haben, ist der Verlustschmerz zu Beginn ein reißender, roher, wilder, unkontrollierter Fluss. Vielleicht läuft er mit der Zeit wie ein Bach neben uns her; manchmal ist er uns sehr bewusst und manchmal weniger. Er kann jederzeit wie aus dem Nichts wieder zum Wildbach anschwellen. Integration braucht Zeit. Denn es ist eine große seelische Wunde, wenn wir einen geliebten Menschen verlieren.

Der gefühlte und im besten Fall mit anderen Menschen geteilte Schmerz lässt mit der Zeit etwas nach. Es entsteht Raum und eine neue Seite der Trauer kann sich zeigen: Die transformative Wirkung der tief erlebten Trauer macht uns frei, indem sie uns auf einer neuen Ebene mit jemandem verbindet, den wir vielleicht schon verloren geglaubt haben. Der Schmerz-Fluss verwandelt sich, mäandrierend und auf- und abschwellend, durch die Trauer allmählich. Die Trauer transformiert den Fluss; er wird zum Schmerz-Bach. Und vielleicht mit der Zeit zum Trauer-Bach, der neben uns her fließt. Wasser steht für Wandlung. Leben ist Fließen. Trauer ist Fließen. Liebe ist Fließen.

1.3 Trauer hilft

Heilung von seelischem Schmerz geht immer mit einer Erweiterung des Geistes einher.

Spirit heißt Geist. Schmerz- und Trauererfahrungen sowie auch andere Wandlungs- und Entwicklungsprozesse sind bei vielen von uns mit dem Begriff Spiritualität eng verknüpft. Ob es dabei um einen spezifischen Glauben geht, um Einheitserfahrungen in der Natur oder um etwas anderes, spielt dabei keine Rolle. Es gibt auch hier kein richtig oder falsch. Die tief erfahrene Verbundenheit macht es aus. Sie heilt.

Trauer geht auch äußerlich auf Verbindungssuche: Gezeigte Tränen aktivieren das Bindungssystem uns naher Mitmenschen. Es ist hilfreich, wenn wir als Trauernde Menschen auswählen, die uns guttun und die uns so annehmen, wie wir sind. Dann kann aus einer Begegnung ein Erlebnis von nährender Verbundenheit werden.

Ohne unseren Körper mit seinen Hinweisen, Impulsen, Gefühlen, Gedanken, seiner Wahrnehmungsfähigkeit insgesamt, wäre dieses Erleben im einen wie auch im anderen Falle nicht möglich. Am Anfang steht immer dieser unser Körper. Ich betone das, weil bei seelischen Schmerzen manchmal die Verführung lockt, sich in geistigen Sphären zu verlieren und allein dort Erlösung zu suchen. Gleichzeitig wird dabei der eigene Körper mit seinen Bedürfnissen wenig wahrgenommen, geschweige denn gewürdigt. Diese Tendenz wird manchmal als Spiritual Bypassing bezeichnet und hat nichts mit Präsenz zu tun.

Dank dem Mut, den uns die Trauer verleiht, wandeln wir mit der Zeit durch den Bachlauf des Schmerzes hinauf, hoch bis zur Quelle. Die Trauer leitet uns Schritt für Schritt, wir verwandeln uns und erfahren dabei tiefe Transformation. Oft träumen wir in dieser Zeit von Wasser in verschiedenen Formen. Trans heißt durch und formation bedeutet, dass etwas eine neue Form bekommt. In diesem Zusammenhang heißt das, dass nicht nur wir selbst uns verwandeln und reifen, sondern auch die Beziehung und die Verbindung zum Verstorbenen transformiert wird. Sie wird auf eine neue, andere Ebene gehoben. Hier ist alles anders. Und doch so innig.

Was stimmt: In seiner physischen Form ist ein verstorbener Mensch nicht mehr bei uns. Doch stimmt das auch auf der seelischen und geistigen Ebene? Lauschen wir dem Bächlein neben uns und auch der sprudelnden Quelle. Meine Meinung und meine Erfahrungen mögen unkonventionell klingen, doch wir können auf dieser Ebene nicht nur Fragen stellen, sondern uns auch ganz bewusst für Antworten öffnen. Dies, indem wir dem Bächlein sowie der Quelle lauschen. Den Begriff lauschen finde ich passend. Man könnte frei nach St. Exupéry formulieren: Man hört nur mit dem Herzen wirklich gut. Lauschen beschreibt für mich in einem einzigen Wort dieses ganz innerliche Hören, das verbunden ist mit einer großen Offenheit des Herzens.

Ich erlebe zuweilen höchst Erstaunliches, wenn ich Menschen mit Verlusterfahrungen begleite. Welches Wissen, welche Erkenntnisse werden einem da beim Lauschen erschlossen? Wissenschaftlich gesehen werden Einheitserfahrungen Neuronenfeuern und Synapsen-Neubildungen in einem bestimmten Hirnareal zugeschrieben. Ich frage mich zuweilen: Wohin kann uns unser eigener Geist, der mit unserem Körper und seinen Funktionen eng verbunden ist, führen?

Trauer ist ein demütiges Sich-Ausliefern an etwas Größeres. Trauer kann uns öffnen und uns Mut zur Hingabe geben. Hingabe heißt dabei nicht, etwas auszuhalten, das wir im Grunde nicht haben wollen. Denn im Aushalten sperren wir uns für Veränderung und es kann sich nichts transformieren. Hingabe heißt Annahme. Der Hingabeaspekt der Trauer führt uns im besten Falle ganz zu uns selbst, zu unserem innersten heilen und somit heilenden Raum. Wenn wir ganz bei uns selbst sind und demzufolge auch ganz in unserem Körper, machen wir vielleicht auch die Erfahrung, dass wir gleichzeitig ganz bei etwas sind, das uns übersteigt. Etwas, das wir als größer erfahren als wir es selbst sind. Gerade weil Trauer uns diese andere, innerste und gleichzeitig äußerste Ebene eröffnen kann, können wir sie als Gnade bezeichnen.

Solche persönlichen Erlebnisse sind oft begleitet von Erfahrungen wie übergeordneter Geborgenheit und Verbundenheit. Aus dem Verlustschmerz, aus der Verlassenheit und dem Alleinsein kann sich allmählich und manchmal auch ganz plötzlich ein All-eins-Sein entwickeln. Eine so tiefe Erfahrung der eigenen Ganzheit verändert uns nachhaltig: Ob wir diese Berührung mit unserem innersten, heilen Kern in einer Begleitung, einer Therapie, mit einem uns nahen Menschen oder für uns allein erleben, spielt dabei keine Rolle. Wir tragen etwas in uns, wissen zutiefst um etwas, das wir auch ausstrahlen: Innigkeit, Zartheit, Verletzlichkeit, Schönheit, Kraft. Verbundenheit.

Die Trauer, wenn wir sie tief fühlen und durchleben, bewirkt ein demütiges Annehmen von dem, was ist. Und wir finden dabei die verloren geglaubte Verbindung zum verstorbenen Menschen wieder, in einer transformierten Art. Doch was heißt das?

Trauer macht uns dünnhäutig und durchlässig. Unsere Alltagsgrenzen sind dann wie Schleier und wir erkennen, dass die geistig-seelische Verbindung zum Verstorbenen über den Tod hinaus andauert. Trauer geht noch weiter. Sie ermöglicht uns nicht nur ein Erkennen. Sondern es ist eine Erfahrung des tiefsten Seins, die transformierte Verbindung zum verstorbenen Menschen wahrzunehmen. Diese Erfahrung unseres Geistes, die in einem ganz präsenten Körper entstehen kann, hat etwas Erhabenes und äußerst Berührendes: Sie ist der Liebe nah.

Die Trauer öffnet uns dabei auch für die uns nährende Gewissheit, dass das, was wir zusammen mit einem geliebten Menschen erlebt haben und an dem wir wachsen durften, als kostbarer Schatz in uns weiterbesteht. Das Erlebte stirbt nicht. Es ist kraft unseres Gedächtnisses sogar abrufbar, samt der beteiligten Gefühle. Das macht uns dankbar. Auch die Liebe zu einem geliebten Menschen stirbt mit dessen Tod nicht. Wir dürfen diesen Menschen weiterhin lieben. Das ist eine bedingungslose, weise, fließende, manchmal vielleicht vorher so nicht gekannte Art zu lieben. Es ist kein ängstliches Klammern oder gar Betteln nach Verbindung. Diese Liebe fließt ganz natürlich, sie lässt und macht frei. Erinnern wir uns: Freiheit und Verbundenheit sind in einer sicheren Bindung ausgeglichen. Das gilt auch für diese Ebene.

Kürzlich sagte der Philosoph Andreas Weber in einem Interview: »... ich habe meine Resilienz, und die ist sogar recht groß – gerade weil ich soviel trauere. Trauer in selbstbezogener Hinsicht ist immer nur eine Beschwerde darüber, dass ich das, was ich unbedingt haben will, nicht bekommen kann. Wenn ich aber selbstlos trauere, dann ist die Trauer der Kontakt mit einer bejahenden Kraft, mit dem Leben schlechthin, das sich immer wieder selbst will. Eine Feier der Liebe. Und Liebe ist nährend.«(5)

Mit der Erfahrung einer tief durchlebten Trauer wird das Leben allmählich etwas leichter. Wir spüren die Sonnenstrahlen wieder, die unsere Haut und unser Herz wärmen. Vielleicht nehmen wir sie sogar intensiver wahr als früher. Wir genießen und schätzen innige Verbindungen zu anderen Menschen. Vielleicht können wir sogar mehr Nähe als vorher zulassen. Den Schmerz über den Verlust spüren wir immer wieder. Wir sind verletzliche Wesen. Schmerz gehört zum Leben. Die Trauer hilft uns jedoch, darin nicht zu ertrinken. Weil wir die Verbindung zum Verstorbenen wie auch zu den Lebenden, inklusive uns selbst, wieder spüren.

Tiefe Trauer-Erfahrungen schenken uns innere Gewissheit und daraus entsteht neue Sicherheit. Darauf können wir bauen. Nichts ist wie vorher. Und doch sind wir getragen. Wir verbinden uns im Trauerprozess allmählich wieder mit unserer Kraft und beschreiten neue Wege. Unser Leben geht tatsächlich weiter. Der Trauer sei Dank.

Unio Mystica

Die Liebe durchweht michlässt mich weich werdenin jeder Faser

Dieser zärtlichen Kraftgebe ich mich hinvoll von Dankbarkeit

Ein tiefer Friedeküsst mir goldenund verjüngend die Seele

Ich bindasAbendlicht

2 Achtsame Trauerbegleitung

Ich durfte dank der Gespräche mit den 25 Porträtierten daran teilhaben und erforschen, wie Menschen den Abschied einer nahen Bezugsperson erleben und was ihnen im Trauerprozess hilft – und was weniger. Ich konnte dabei ganz viel Neues dazulernen und bin überzeugt, dass es Ihnen beim Lesen ebenso ergeht. Gerne möchte ich ein paar zusätzliche Punkte, die zu wissen für eine Trauerbegleitung von Vorteil sind, in diesem Kapitel etwas ausführen.

Zusammenfassung Kapitel 2

Trauerbegleitung ist zuerst einmal Schmerzbegleitung sowie Regulationshilfe bei Stress und Angst, manchmal auch Wut, Verzweiflung und Resignation.

Die heilende Kraft der Trauer bekommt dann eine Chance, wenn sich ein Mensch in einem Trauerprozess einem anderen Menschen anvertrauen kann. Sich zu öffnen und zu vertrauen ist für einen Trauernden einfacher, wenn der helfende Mensch achtsam und einfühlsam ist, sich selbst gut wahrnehmen und regulieren kann, und seine Grenzen kennt.

Sorgfältig angeleitete Wahrnehmungsübungen und Meditationen können Menschen in einem Trauerprozess sowie auch Begleitende unterstützen. Sie stärken die Verbindung zum eigenen Körper und durch die Entspannung erhöht sich das Körperwohlgefühl. Innere Sicherheit findet immer im eigenen, entspannten Körper statt.

2.1 Alles darf sein

Wenn wir Menschen in einem Trauerprozess helfen oder sogar begleiten wollen, ist ein Bewusstsein für die eigene Trauerbiografie von Vorteil. Nicht zuletzt soll dieses Buch dazu inspirieren, sich mit folgenden Fragen aktiv auseinanderzusetzen: Wann erlebte ich welche Todesfälle oder andere bedeutsame Verluste? Wie ging ich damit um? Was hat mir dabei geholfen? Was weniger? Gab es Stolpersteine? Welche Hilfsangebote konnte ich annehmen? Von wem? Kam ich an meine Grenzen im Umgang mit dem Verlust? Wie zeigte sich das? Würde ich im Rückblick heute etwas anders machen und falls ja, in welcher Hinsicht?

Es dient der Verortung des eigenen Erlebens und somit der inneren Klarheit, wenn wir in einer Gruppe über unsere Verlusterfahrungen austauschen, natürlich ohne einander zu bewerten. Wer sich tiefer in die Thematik einlässt, möchte sich vielleicht auch mit dem eigenen Bindungsstil, seiner Fähigkeit zur Selbstregulation und den eigenen Grenzen etwas genauer beschäftigen. (6)

Ein Mensch fühlt sich verstanden, wenn wir ihn in seinem Schmerz, seiner Not, seinem Gefühlsmix und vielleicht auch in seiner zwischenzeitlichen Verwirrung anerkennen, ernst nehmen und würdigen. Wenn wir diesem Menschen – vielleicht sogar wortlos und falls es stimmig ist, mit einer stillen Umarmung oder einer feinen, achtsamen Berührung an der Schulter, dem Arm oder der Hand (nicht streicheln oder tätscheln!) – ein Stück weit vermitteln können, dass sein Erleben angesichts der schmerzlichen Lage angemessen ist, hilft ihm das. Wir stellen damit auf eine schlichte, nicht erklärende oder gar bevormundende Weise ein wenig Normalität her. Ein Mensch fühlt sich gesehen und gewürdigt, wenn das, was sich ihm im Moment zeigt und sich Raum nimmt, sein darf und sich dieses intensive Innere ausdrücken darf.

Innere Stabilität, eine gute Regulationsfähigkeit und Mitgefühl sind in der Begleitung von traumatisierten Menschen Voraussetzung. Auch in der Trauerbegleitung gehören sie zu den wichtigsten Eigenschaften.

Wenn wir mit der inneren Erregung eines trauernden Menschen klarkommen, spüren wir keine Impulse, etwas vorschnell wegzutrösten. Wir können mit genau gleich viel Intensität und innerer Erregung anderer umgehen, wie wir damit in uns selbst gut klarkommen. Die eigene Regulationsfähigkeit definiert sozusagen die Eichung, die Höchstmarke des Erregungspegels, mit dem wir ohne Anstrengung umgehen können. Aufgepasst: Mit der Erregung – auch der unterdrückten Erregung – des Gegenübers gut umgehen zu können heißt nicht einfach, diese aushalten zu können. Wir wechseln bei einem reinen Aushalten der Situation möglicherweise und ohne es zu merken, in einen leichten, vorübergehenden Erstarrungsmodus. Das würde heißen, dass unser Nervensystem in den Überlebensmodus gekippt ist. Dabei verlieren wir den tiefen Kontakt zu uns selbst sowie natürlich auch zu unserem Gegenüber. Trauernde merken das und beginnen womöglich, uns zu schonen und sich zurückzuhalten.

Es geht wie gesagt in der Begleitung trauernder Menschen nicht um ein Aushalten, sondern darum, ob wir diese Erregung halten können. Das heißt, ob wir mit einem hohen Energielevel umgehen können, ohne unsere Mitte zu verlieren. Wenn wir ganz bei uns selbst bleiben, uns also selbst gut regulieren können, ist das auch für ein trauerndes Gegenüber regulierend; sowohl für seine überschießenden Gefühle wie für seine Niedergeschlagenheit oder gar Apathie. Wie in ▸ Kapitel 1.1 schon erwähnt, wird dieses Prinzip Co-Regulation genannt. Durch unsere Fähigkeit der Selbstregulation bleiben wir stabil und gleichzeitig sozial zugänglich.

Die Nervensysteme zweier Menschen beeinflussen sich in einem Kontakt maßgeblich. Für ein Gegenüber sind wir mit einem regulierten Nervensystem stabilisierend, ausgleichend und beruhigend, denn wir bieten damit Bindung und mit dieser Bindung Sicherheit an. Und wir gewähren diese Sicherheit, wenn unser Bindungsangebot angenommen wird. Unsere Fähigkeit zur Selbstregulation ist zudem eine Voraussetzung für echtes Mitgefühl.

2.2 Mitgefühl

In einer Trauersituation geben sich Angehörige und Befreundete oft untereinander Halt mit innigen Umarmungen; sie weinen zusammen, durchleben den Schmerz gemeinsam und geben ihm Ausdruck. Das verbindet, und Verbindung gibt in dieser Akutsituation auf eine natürliche Weise Halt.Im Folgenden ist etwas anderes gemeint. Es geht um eine trauernde und eine helfende Person; die Ausgangslage ist eine andere.

Mitgefühl ist im Leben, und ganz besonders in einer Trauerbegleitung, eine wertvolle Eigenschaft und höchst wirksame Kraft. Unser Mitgefühl hilft dem trauernden Menschen, selbst anzuerkennen, was er erlebt hat und jetzt durchmacht. Mitgefühl sagt auch etwas über unseren Respekt vor der Fähigkeit eines Menschen aus, der seinen eigenen Schmerz erlebt. (7) Als Begleitende müssen wir einem Trauernden den Schmerz nicht wegmachen, sondern regulierend beistehen, wenn er seinen Schmerz durchlebt. Diese authentische Art von Mitgefühl ist nährend und auf eine implizite Weise tröstlich, weil in diesem Schmerz einfach jemand da ist, der Halt, Verbundenheit und Sicherheit gibt. Jemand, den die trauernde Person damit nicht überfordert und vor der sie sich weder rechtfertigen noch schämen muss.

Manchmal wird Mitgefühl mit unbewusster Resonanz verwechselt. Wenn wir unsere Grenzen wenig spüren, fühlen wir uns manchmal so vollständig in ein Du ein, dass wir den Kontakt zu uns selbst nicht mehr spüren. Das Resultat ist Mitleid; wir leiden 1:1 mit diesem Menschen mit. Doch: Wer kann jetzt wen noch regulieren? Und wer fühlt sich hier noch sicher?

Mitgefühl ist die Fähigkeit, ganz bei sich selbst zu sein und gleichzeitig in Kontakt mit einem Du treten zu können. In meinen Seminaren sage ich jeweils mit einem Augenzwinkern: »Wir müssen uns nicht künstlich abgrenzen. Ganz bei sich selbst sein genügt.«

Die Fähigkeit zu echtem Mitgefühl steigt mit dem Bewusstsein für unsere eigenen Grenzen. Merken wir, was eigene und was fremde Gefühle und Bedürfnisse sind? Kurz: Erkennen und spüren wir, dass ein Du womöglich etwas ganz anderes braucht als wir selbst es in dieser Situation brauchen würden?