Der Mann ohne Konturen - Volker Buchloh - E-Book

Der Mann ohne Konturen E-Book

Volker Buchloh

0,0

Beschreibung

Mikael Knoop erhält als bester aller schlechtesten Kandidaten den Auftrag, den Mord an einem Schermbecker Bauunternehmer aufzuklären. Die Spuren sind kärglich und seine Vorgesetzten legen ihm nur Steine in den Weg. Er, der bislang nur Dienst nach Vorschrift kannte, opfert seine Freizeit und setzt seine Gesundheits aufs Spiel, um diesen Fall zu lösen. Er kommt aber erst weiter, als ein weiterer Mord geschieht. Die Parallelen sind da, aber über die Bewertung der Spuren gerät er in Konflikt mit Kollegen und Vorgesetzten. Konequent setzt er seine Vorstellungen um. Ihm gelingt es schließlich, den Mörder dingfest zu machen. Dabei hat er ihn nie in seinem Leben gesehen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 687

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Expose

Der Mann ohne Konturen

Der Mann ohne Konturen ist der erste Teil einer Trilogie. Das zweite Buch ist bereits in der Entstehung, der dritte existiert nur in meiner Phantasie. Mikael Knoop ist ein Kriminalbeamter in Duisburg, der gerne einmal eine Mordkommission leiten würde. Er verhält sich aber beruflich nicht so, dass seine Vorgesetzten ihm eine solche Aufgabe zutrauen. Als er mit der Leitung einer solchen Kommission beauftragt wird, ist Knoop die beste Wahl unter allen schlechten Kandidaten. Nach einem Fortbildungslehrgang soll er einen Mordfall aufklären, den seine Vorgesetzten mit wenig Interesse bislang bearbeitet haben. Sie unterstützen ihn auch nicht bei seiner Arbeit, torpedieren sie sogar. Ein Bauunternehmer ist nicht sehr weit von seinem Wohnsitz in Schermbeck erschossen im Wald aufgefunden worden. Der mit einem Schuss niedergestreckte Mann kann nur von einem Profi ermordet worden sein. Aber unter den Verdächtigen passt keiner in das Schema. Profil und DNS-Spuren ergeben keine Hinweise. Mühselig arbeitet er mit zwei Kollegen an der Aufklärung dieses Falles. Er unternimmt viel. So reist er nach Jersey oder findet die Kugel am Tatort. Trotz Einsatz persönlicher Opfer kommt er eigentlich nicht weiter. Die Hinweise sind mager, die Möglichkeiten von Spekulationen sind riesengroß. Erst durch einen weiteren Mordfall ergeben sich Hinweise, die von seinen Kollegen und Vorgesetzten aber nicht mitgetragen werden. Die Spuren weisen für ihn in die USA, seine Kollegen favorisieren eine italienische Spur. Als man ihn praktisch kaltstellt, findet er den Weg zur Lösung des Mordfalles. Er wird maßgeblicher Teil der Lösung, kann den Mörder aber nicht persönlich dingfest machen. Trotzdem wird dieser gefasst.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2012. Alle Rechte liegen beim Autor.

Der Mann ohne Konturen

Autor: Volker Buchloh

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

978-3-8442-3493-0

Trilogie

Erstes Buch

Volker Buchloh

Kriminalroman

Duisburg Mitte

Der König-Heinrich Platz in Duisburg ist heute eine verkehrsberuhigte Zone. Den Autoverkehr, der ihn früher durcheilte, hat man um ihn herumgeführt und den Schienenverkehr unter die Erde gelegt. Einst bezeichnete er nur den Platz vor dem Landgericht. Durch diese Baumaßnahmen erweiterte sich das Fußgängerareal vom Hauptbahnhof im Osten bis zur Hubbrücke im Westen. Somit ist dieser einst zentrale Verkehrsknoten nunmehr allein in der Hand seiner Besucher. Man kann kreuz und quer über ihn lustwandeln, aber auch Einkaufen oder in Cafes und Imbissstuben etwas zu sich nehmen. Die Besucher bewegen sich auf ihm, wie es Ameisen tun würden, dürften sie hier ihr Heim aufschlagen. Einzelne Menschen fallen hier nicht auf, teils weil die Bebauung hier so große Flaniermeilen anbietet, teils weil es auch keinen interessiert wer sich hier wo aufhält.

Die Luft des heutigen Tages war noch ein wenig diesig. Es hatte vor Stunden geregnet. Aber die Sonne hatte noch nicht die Kraft, das Regenwasser schnell zu verdunsten. Der Mann schwamm mit dem Strom der umhereilenden Menschen. Das war nicht verwunderlich, befand man sich doch in einem wichtigen Knotenpunkt der Stadt Duisburg. Sogar die Nebenstraßen zum König-Heinrich-Platz waren belebt. Er zog den hochgeklappten Kragen seines Wollmantels am Hals zusammen. Der Frühling in Deutschland kannte vorwiegend kalte Tage. Und der heutige war ein solcher. Aus dem Westen blies ein frischer Wind, der einen auskühlen konnte, würde man nicht hin und wieder durchnässt. Dieses Wetter hatte die Plätze vor den Straßencafes leergeblasen. Die Tische und Stühle, die noch von dem letzten Sonnentag hier standen, fanden heute keinen Benutzer. Der Mann war schlanker Gestalt. Da er keine Kopfbedeckung trug, konnte man seine blonden Haare sehen, die fast weiß waren. Die Haare waren so kurz geschnitten, so dass diese, obwohl nach vorne gekämmt, vom Wind nicht aus dieser Position gebracht werden konnten. Nur die nach oben gestylten Stirnhaare zitterten ein wenig im Winde.

Der Blonde suchte sichtlich etwas, denn er hielt oft inne und zwang dadurch die hinter ihm gehenden Menschen, ihm auszuweichen. Von Zeit zu Zeit griff er in seine rechte Manteltasche, um einen verknitterten Zettel hervor zu holen. Ein Vergleich der darauf stehenden Informationen mit der Hauswand fand statt, ohne dass sich Sicherheit in ihm breit machte. Sein Interesse galt den angeschlagenen Hausnummern und den Türeinfassungen. Jedes mal, wenn das Gebäude kein Nummernschild besaß oder keines zu erkennen war, stockte er. Eine Frau, die eilig mit rechts und links vollgefüllte Plastiktragetaschen ihren Weg durch den nachmittäglichen Berufsverkehr suchte, konnte einer Kollision nicht ausweichen. Aber ihre gemurmelte „Entschuldigung!“ hörte der Mann nicht.

Wieder glitt die Hand in die Manteltasche, um mit dem Zettel wiederzukehren. Er murmelte etwas, was ein Fluch sein konnte und ging in die Richtung, aus der er gekommen war, zurück. Vor einem mit Stuck verkleideten Eingang verharrte er erneut. Sein Blick wanderte zwischen Zettel und Hauseingang immer wieder prüfend hin und her. An der Hauswand hätte eigentlich ein Schild hängen müssen, aber es gab keines. Dies irritierte ihn. Sicherheitshalber ging er einen Eingang weiter. Dieser zeigte die Hausnummer 84 an. Der Mann schüttelte unmerklich seinen Kopf und begab sich zu dem Eingang zurück, vor dem er zuletzt gestanden hatte. Hier müsste er eigentlich richtig sein, aber das fehlende Schild an der Hauswand verunsicherte ihn mächtig. Er trat an die umfangreiche Klingelanlage heran. Sein Blick glitt über die Namen, die hinter Plastikstreifen angeschraubt waren und meistens angegilbt aussahen. Seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig, als er den Namen Hartung erblickte, aber war es auch der richtige Hartung. Das fehlende Firmenschild beunruhigte ihn doch sehr. Es half alles nichts, wenn er vorwärts kommen wollte.

Sein Finger drückte den abgegriffenen, beigen Knopf in die Klingelanlage. Nach einer kurzen Wartezeit ertönte ein Summer, der das Öffnen des Schließmechanismusses der Haustüre anzeigte. Der Mann drückte mit seiner rechten Hand gegen das Türblatt und die Türe glitt mit einem Klacken nach innen auf. Der geölte Türmechanismus verriet, dass man hier auf Besucher eingestellt war. Ein erfreuliches Zeichen. Die Kühle eines dunklen Flures empfang ihn. Die Abwesenheit des Windes verbreitete erstaunlicherweise Wärme. Er betätigte den Lichtschalter. Während er wartete, ging die Deckenbeleuchtung unwillig an.

Auf dieser Etage gab es keine Türen, nur eine unterhalb der Treppenverkleidung. Wahrscheinlich führte diese in den Keller. So blieb ihm nur der Weg zur Treppe. Er schaute im Treppenhaus nach oben, ob sich ein Herr namens Hartung irgendwo zeigte. Besucher wurden hier also nicht empfangen. Er eilte, jede zweite Stufe benutzend, nach oben. Kein Hartung auf den drei Türschildern. Die nächsten zwei Treppen wurden wieder im Laufschritt genommen. Die linke Türe stand eine handbreit auf. Das kleine Messingschild mit der Inschrift >Hartung – Ermittlungen< verriet ihm, dass er hier richtig war.

In dem schlauchförmigen Flur, der sich nach dem Öffnen der Türe zeigte, brannten zwei Wandlampen mit geringer Wattzahl. Ein Geruch von Bohnerwachs drang in seine Nase. Das es so was noch gab? Er fühlte sich an seine Kindheit erinnert, als seine Mutter damit den Holzfußboden gepflegt hatte. Hinten auf der rechten Seite war wieder eine geöffnete Türe zu sehen, die mehr Licht in den Schlauch brachte, als die Lampen. Wenn er sich richtig orientiert hatte, dann musste dies die Straßenseite sein also das Büro? Ein freundlicher Empfang war dies nicht. Also betrat er beim Klopfen direkt den Raum. Schreibtisch, Computer, Flachbildschirm, Aktenschränke, Kopierer und der Blick aus dem Fenster verrieten, alle seine Annahmen waren richtig.

Hartung war ein schlankes Männlein. Er trug eine Glatze. Man konnte leicht erkennen, dass die wachstumsfähigen Haare nicht ausreichten, seinen Kopf zu bedecken. Deshalb hatte er sie wohl abgeschnitten. Der Augenabstand war den Proportionen zuwider viel zu eng. Er gab dem Aussehen des Gesichts ein lauerndes Aussehen. Der Detektiv machte einen wibbeligen Eindruck, denn er verschob Akten von rechts nach links, ohne auf den Titel zu achten oder sie zu öffnen. Hartung schaute ihn an, ohne etwas zu sagen.

„Tag!“, sagte der Mann, um dann nach einer Pause fortzusetzen: “Hartung?“ Er blickte sich um. Die Tapete zeigte ein geometrisches Muster, welches in Widerholungen die Farben Rot, Blau und Braun wiedergab. Der Zahn der Zeit hatte seinen Staub darauf abgelagert. Wie man unlängst sehen konnte lag der Staub auch auf anderen Möbelteilen.

Er nickte. „Was kann ich für Sie tun?“

„Sie sind aber schlecht zu finden!“ Wie er die Worte aussprach, erkannte man seinen amerikanischen Akzent.

„Wieso? Meinen Sie?“ Die Stimme passte zu seinem Äußeren. Sie war leise und ein wenig aufgeregt.

„Sie haben kein Schild an der Haustüre“, erklärte der Fremde und suchte nach einer Sitzgelegenheit, die er aber nicht fand.

„Brauche ich nicht! Ich lebe vom meinem Ruf und nicht von Laufkundschaft. Woher haben Sie meine Adresse?“

Der Besucher war auf diese Frage vorbereitet, denn die Antwort kam prompt:

„Von einem Bekannten.“

„Sehen Sie“, entgegnete Hartung, ohne das feine Lächeln, welches über seine Lippen spielte, zu verbergen. „So soll es sein. Sie haben mich also gefunden. Nun?“

„Übernehmen Sie auch kleinere Aufträge?“

„Mein Laster ist gerade mit einem Briefmarkentransport unterwegs. Wie klein?“

„Laster? Briefmarkentransport?, stammelte der Fremde. Die Sicherheit, die er beim Betreten des Büros gezeigt hatte verlor sich.

„Ach, vergessen Sie es. War nur ein Scherz. Was für einen Auftrag?“

Der Fremde suchte nun sichtbar nach einer Sitzgelegenheit, weil ihm immer noch keine angeboten wurde. Der Stuhl an der Wand hatte zwar keine Lehne, war aber mit einem Stoffüberzug versehen und gepolstert. Er legte ohne zu fragen den Mantel, der darauf lag, auf einem mit Unterlagen überladenen Beistelltisch und zog ihn vor den Schreibtisch. Hartung verhielt sich so, als sei dies nichts Außergewöhnliches.

„Also, da ist folgendes.“ Der Besucher rückte mit dem Hintern auf den vorderen Teil der Sitzfläche. „Mein Name ist Gallowayy, Godon Gallowayy, mit doppel lwey.“

Er griff in seine Brieftasche und zog eine Visitenkarte hervor.

>Investigation, though, even in hopeless cases, Gordon Gallowayy, 2395 85th. St, New York<, las Hartung. Nun verstand er, was das doppelte >l< and >wey< zu bedeuten hatte. Sein Gegenüber schrieb sich also mit doppeltem l und y und sprach dies amerikanisch aus. Hartung hob den Kopf, nach dem er gelesen hatte und blickte seinen Gegenüber auffordernd an. Gab die Karte aber nicht mehr aus der Hand, sondern legte sie vor sich auf den Schreibtisch.

„Wie Sie sehen, bin ich ein Kollege von Ihnen. Ich bin wegen einer anderen Sache über den großen Teich gekommen.“

So wie er dies formulierte, war zu erkennen, dass er über diese Angelegenheit nichts verlauten lassen wollte. Aber dies war in diesem Gewerbe nicht Ungewöhnliches.

Ohne zu zögern fuhr der Amerikaner fort: „Und da habe ich mir gedacht, eine weitere, kleine Angelegenheit gleich mit zu erledigen. Es geht um eine kleine Erbschaftssache. Wir haben einen Erblasser in New York, der so ca. 22 Tausend Dollar ...“ Er machte eine kurze Pause, grübelte, um dann fortzufahren: „Das sind knappe siebzehn Tausend Euro... – hinterlassen hat. Es geht an sich nur um das Herausfinden einer Adresse. Der Erbe muss sich hier befinden.“

Gallowayy beschrieb dabei eine kreisförmige Handbewegung.

„Verstehe“, murmelte Hartung. „Und ich soll für Sie diese Adresse herausfinden.“

Sein Gegenüber nickte.

„Ich habe dafür eigentlich keine Zeit, aber dann habe ich diese Sache auch vom Tisch und mir eine Menge Schreibkram erspart.

„Ach, Sie sprechen aber ein ausgezeichnetes Deutsch“, entgegnete Hartung verschmitzt.

„Na, ja, meine Mutter war Deutsche. Mein Vater hat sie als Kriegsbeute aus merry old Germany mitgebracht. Sie hat mir diese Sprache beigebracht. Sentimentalität? Sie verstehen.“

Der Glatzenkopf nickte unmerklich. Der Oberkörper beugte sich nach vorne, so als fordere er den Besucher auf, endlich fortzufahren.

„Ja also, übernehmen Sie so etwas?“ Gallowayy blickte an Hartung vorbei. Hinter ihm, an der Wand hing ein großes Bild von einer Hafenanlage, auf der Männer von Hand ein Schiff entluden. Er vermutete, dass es sich wohl um ein historisches Motiv aus dem Ruhrorter Hafen handelte. Als Hartung zu besprechen begann, fixierte er wieder seinen Gegenüber.

„Eigentlich habe ich mich auf Industriespionage spezialisiert.“

Hartung sagte dies absichtlich, weil er wusste, dass es jetzt um die Bezahlung ging.

„Ich habe mir gedacht“, Gordons Stimme stotterte unmerklich: „ich biete Ihnen einen Festpreis - 500 Euro? Ist dies Ok?“

Die Benennung von Geld hatte eine Fliege herangelockt. Sie bewegte sich bogenförmig über die Tischplatte. Ab und zu musste sie ihren Weg unterbrechen, weil die Handbewegungen Hartungs ihr zu nahe kamen. Es musste die erste Fliege dieses Jahres sein.

„800, wenn es sich nur um eine Adresse handelt. Wissen Sie meine Quellen kosten auch Geld und das Leben heutzutage ...“ Hartungs Mundwinkel sanken nach unten. „Ansonsten müssen wir neu verhandeln, wenn Schwierigkeiten auftauchen.“ Damit hatte er sich die Möglichkeit eingeräumt, noch ein- oder zwei Hundert Euro zusätzlich herauszuschlagen. „Wie erreiche ich Sie?“ Die Fliege landete auf einem Hefter. Sie wanderte über die handschriftliche Eintragung, so als wollte sie das Geschrieben lesen.

Der Amerikaner runzelte die Stirne und verlor einen Moment die Fliege aus den Augen.

„Dieses wird schlecht gehen. Ich werde wechselnde Unterkünfte haben. Ich weiß nicht, wohin mich meine Sache bringen wird. Ich melde mich bei Ihnen. Wie ist Ihre Mobile-phone-Number?“

Der Deutsche zog eine Schublade seines Schreibtischs auf, und reichte eine Visitenkarte über den Tisch. Die Fliege kreiste einige Male über den rechteckigen Karton, so als wollte sie das Aufgedruckte ebenfalls lesen.

„Nun müssen Sie mir aber dann doch Namen verraten. Wer ist der Erblasser, wer der Erbe?“

Gallowayy zog die Manschetten seines Hemdes aus dem Pullover und strich mit seinen Händen über die Brust. Er ruckte in seinem Stuhl hin und her.

„Den Namen des Erblassers brauchen Sie nicht zu wissen. Betriebsgeheimnis!, Sie verstehen.“ Dabei grinste er spitzbübisch. Und um seinem Gegenüber klar zu machen, dass er hier zu keinen Kompromiss bereit war fuhr er fort: „Waldfels heißt er. Wahrscheinlich Jürgen, Johann oder John mit Vornamen.“

„Wahrscheinlich?“ echote der Glatzkopf verständnislos.

„Ja, wenn dies alles so einfach wäre, dann hätte ich das auch gekonnt. Der Fall ist für mich etwas schwieriger. Der Erblasser hat natürlich eine amerikanische Verwandtschaft. Ein Zweig davon – deshalb der geringe Betrag – ist aber verstorben. Und deren Neffe lebt hier in Deutschland. Das Erbe kann leider nach amerikanischem Gesetz erst ausgezahlt werden, wenn alle Erben benachrichtigt werden. Wie der Vorname lautet, konnte nach den amerikanischen Quellen nicht eindeutig bestimmt werden. Es gibt da einige Briefe im Nachlass, aber da ist nur von Joe die Rede. Aber da wir Amerikaner Kürzel lieben, kann das auch wie gesagt Jürgen Jo, John oder Ähnliches bedeuten.“

Gallowayy bildete sich ein, dass die wiederholte Verwendung des Begriffs Geld die Fliege anlockte. Sie umkreiste einen Behälter mit Schreibutensilien und landete auf einem Bleistift, dessen Spitze nach oben ragte.

„Und was wissen Sie über den Wohnort?“

„Die letzte mir bekannte Adresse ist Duisburg, aber da wohnt er nicht. Dies habe ich schon gescheckt.“ Er reichte seinem Gegenüber eine schriftliche Notiz, die nach Einsichtnahme neben seiner Visitenkarte auf dem Schreibtisch gelegt wurde.

Gallowayy grinste spitzbübisch und fuhr mit seinen Händen durch den Kurzhaarschnitt.

„Er wohnte auf der Kardinal-Gahlen-Straße 79, aber dies war so um 1984. Wo er hingezogen ist, als er aus den Staaten zurückgekehrt ist, weiß ich nicht. Dies sollten Sie herausfinden.“

Die Fliege hatte die Spitze des Bleistifts erreicht. Gallowayy hatte noch nie eine Fliege auf so einer kleinen Fläche stehen sehen. Auch für das Tier war diese Leistung etwas besonderes, denn wie beifallsheischend drehte sie sich mehrmals um ihre Achse. Die Stimme seines Kunden riss ihn aus seinen Gedanken.

„Der kann ja auch nach München oder Frankfurt gezogen sein“, entgegnete der Deutsche.

„Schon möglich, aber nicht wahrscheinlich. Die Deutschen sind nicht so mobil wie wir Amerikaner es sind. Ihr bleibt doch in der Ecke kleben, in der Ihr geboren werdet.“ Die Stimme hörte sich an, als verkünde sie ein Gesetz aus der Verhaltensforschung.

„Wir werden sehen, aber wenn die Suche zu aufwendig wird, dann müssen wir über den Preis erneut reden.“ Und zur Unterstützung seiner Forderung machte Hartung die international verständliche Bewegung mit Daumen und Zeigefinger.

Gallowayy erhob sich und wollte sich zur Türe wenden, als er sich abrupt umdrehte.

Sein Blick fiel auf die abgenutzte Tapete um den Lichtschalter. „Ach so!“ Er griff in seine linke Hosentasche, entnahm ihr eine Rolle mit Geldscheinen, zählte drei grüne Banknoten ab und reichte sie über den Schreibtisch.

„Ihre Anzahlung. Ich melde mich dann übermorgen. Ok?“

Als sein neuer Geschäftspartner mit dem Kopf nickte, drehte er sich um und verließ den Raum.

Hartung klappte seinen Sessel in die Relaxstellung und griff nach einer Zugprobe aus der Werkstoffprüfung. Mit ihr spielte er immer, wenn er nachdenken musste. Während er den zylindrische Körper in der Hand um seine Längsachse rotieren ließ, gingen seine Gedanken auf Wanderschaft. Gallowayy hatte etwas zu verbergen, sonst hätte er nicht so viele Informationen zurück gehalten. Aber so ein Betrag von knapp siebzehn Tausend Euro war kein Anlass, ein Kapitalverbrechen zu vermuten. Vielleicht hatte der Amerikaner auch Angst, das Geschäft nicht alleine zu machen. Hartung hatte so ein Gefühl, dass in dieser Sache mehr stecken könnte. Aber so Fünf- bis sieben Hundert Euro mal eben mit zunehmen, das war leichtverdientes Geld. Er schaute auf seine Armbanduhr. Für heute war es zu spät. In der Stadtverwaltung Duisburg arbeitet um diese Zeit keiner mehr. Gleich morgen früh würde er seine Kontakte spielen lassen. Hartung griff zu einem Ordner und begann, sich Notizen zu machen.

Schermbeck

Die Kaffeetafel war bereits gedeckt, als Walter Grubendorff das Esszimmer seiner Villa betrat. Feines, blasrosa Chinesisches Porzellan war auf einer mit aufwendigen Spitzen umrahmten Decke platziert. Ein dezentes Gesteck von echten Frühlingsblumen, wurde von zwei Kerzen beleuchtet. Die wuchtigen, schweren silbernen Kerzenständer standen im Kontrast zu dem Porzellan. Der Teetisch stand in der Nähe eines großen Fensters mit Butzenscheiben. In der Glasfront führte eine Terrassentüre auf eine großangelegte Veranda. Diese wurde von einem wuchtigen Erdwall begrenzt. Die darauf wachsenden Sträucher und Bäume zeigten durch ihre Größe , wie lange dieses Anwesen schon bestand. Das große Wohnzimmer war außer der Teeecke neben einer Anrichte mit einem kleinen Schrank eingerichtet. Das dunkle Holz des geschnitzten Mobiliars stand im Kontrast zu der hellgestrichenen Glasfasertapete.

Grubendorff war ein Mann von kleiner Statur, kaum größer als seine Gattin. Sein Bauch wurde von dem Gürtel seiner Hose wie ein Rettungsring umschlossen. Wenn er auf sein Übergewicht angesprochen wurde, dann erklärte er stets mit einem Lächeln: „Ich bin für mein Körpergewicht einfach zu klein gewachsen.“ Dann lachte er. In Wirklichkeit ärgerte er sich aber über die fehlende Körpergröße und seine überzähligen Pfunde. Er wusste, dass die Ursache dafür an der geringen Bewegung lag, Seine Beschäftigung hinderte ihn daran, einer Sportart nachzugehen. Nur das wöchentliche Schwimmen versagte er sich nicht. Er beugte sich zu seiner Frau Elisabeth, um ihr einen Kuss auf die linke Wange zu geben.

„Entschuldige Liss, ich musste noch ein Telefongespräch führen.“

Er schob die halbgeschlossene blaue Strickweste von der Hüfte über seinen Hintern, und zog den Stoff seiner hellen Hose über seine Knie, ehe er sich setzte. Elisabeth Grubendorff füllte eine Tasse aus Chinesischem Porzellan mit Tee, fügte einem Spritzer Zitronensaft dazu. Mit einer kleinen Zange ergriff sie einen Kandisklumpen aus einer kleinen Schale von Bleikristall und ließ den Kandis am Tassenrand in die Flüssigkeit versinken. Dann rührte sie das Getränk um, bevor sie die Tasse ihrem Ehemann reichte. Elisabeth Grubendorff trug ihre Jacke aus grünem Ikat-Gewebe. Der große Reverskragen ließ Platz für eine goldene Halskette, die aus einer Vielzahl von kleinen Elefanten bestand. Die petrolfarbige Bluse schloss den Ausschnitt, den die Jacke bot. Seine Frau legte gleichzeitig mit einer Kuchengabel etwas Konfiseriegebäck auf den Teller ihres Gatten. Nach einigen Minuten des Wartens ergriff Burger seinen Teelöffel und rührte den gelösten Kandis in den warmen Tee.

„Köstlich, meine Liebe.“

Mit dieser Bemerkung, wusste Elisabeth, war das Teegespräch eröffnet.

„Hast du den Notar erreicht?“

Walter Grubendorff wartete, bis er sein Mandelplätzchen zerkaut und heruntergeschluckt hatte.

„Hmm, köstlich. Ja, ich glaube, wenn Schulte-Barming recht hat, dann haben wir den Fisch so gut wie an der Angel. Die Gemeinde ziert sich noch, uns die Fläche zu verkaufen. Aber ich glaube nicht, dass die Konkurrenz, die >Schermbecker Boden< ein günstigeres Angebot abgeben werden, als wir. Unser Konzept ist einfach besser. Die setzen auf die Vermarktung an einzelne Bauherren, die sich dann selbst einen Bauunternehmer besorgen müssen. Wir dagegen machen alles in Eigenleistung und verkaufen die Häuser alle schlüsselfertig. Schlüsselfertiges Bauen, dies ist das Konzept der Zeit. Die Leute wollen ein Haus beziehen, und sich nicht mit den einzelnen Handwerkern herumärgern. Das bieten wir denen und verdienen durch Großaufträge durch Sammelbestellungen. Dadurch, dass wir die Häuser so anbieten, liegen wir kostenmäßig vorn. Wir werden also im Angebot günstiger sein, als die >Schermbecker Boden<. Aber du weißt ja, die Schwierigkeiten stecken immer im Detail. Es sind noch eine Reihe von Haftungsfragen zu klären. Ich glaube, wir können das neue Baugebiet erwerben. Wenn wir das Bauprojekt unter Dach und Fach haben, dann werden wir bei einem Umsatz von 80 Millionen einen Gewinn von 7 Millionen machen.“

Elisabeth Grubendorff nickte zustimmend. Die Wasserwelle ihrer Frisur unterstützte ihre vornehme Erscheinung: „Und die Finanzierung steht?“ Ihre Finger ruhten an der Tischkante. Ihr Gesicht war ausdruckslos, nur ihre Augen waren interessiert.

Bevor Grubendorff antwortete, nahm er einen weiteren Schluck aus seiner Tasse. „Ich glaube schon. Du weißt ja, wir werden die Häuser vorfinanzieren müssen, um sie dann auf dem Markt zu verkaufen. Hier in Schermbeck herrscht eine rege Nachfrage nach Bauland. Seit langer Zeit ist die Nachfrage größer als das Angebot. Die Zeitströmung schaufelt das Geld in unsere Richtung.“

„Schließt du nun die Versicherung ab?“

Walter Grubendorff verzog seine Oberlippe. Sein rechter Zeigefinger fuhr dem dezenten Streifen seiner Weste nach. Er griff nach einem Haselnussplazet, biss ein Stück davon ab, trank seine Tasse leer und hielt sie seiner Frau zum Nachfüllen hin: „Die Prämien sind unverschämt hoch. Wir müssen noch mit unseren Banken verhandeln, ob diese einen Teil des Risikos übernehmen und damit die Prämie senken. Schließlich verdienen die ja auch prächtig, bei dem Zinssatz.“

Schweigend wurde die Teestunde fortgesetzt. Aber es lag in der Luft, dass noch nicht alles gesagt worden war, was gesagt werden musste.

„Den Gewinn könnten wir durchaus gebrauchen, So gut liefen in letzter Zeit die Geschäfte nicht“, brach Elisabeth Grubendorff die Stille.

Während Walter ein Marzipangebäck auf der Zunge zergehen ließ, nickte er langsam zustimmend. Das dichte, langsam grauwerdende dunkle Haar rutschte in seine Stirn, wurde aber von der rechten Hand sofort vertrieben. Die aus Messing gefertigte Wanduhr schlug die halbe Stunde an. Walter griff an die Tischplatte und wollte seinen Stuhl zurücksetzten, als seine Gattin erneut die Stille durchbrach.

„Es ist ein Glück für mich und die Firma, dass es dich gibt. Theo, Gott habe ihn selig, hatte nicht so ein glückliches Händchen gehabt, so wie du. Deine Kapitalspritze und dein Können haben das Schlimmste damals abgewendet.“ Sie streichelte zärtlich seine Hand und sah in liebevoll an.

Walter räusperte sich leicht. Ihm war dieses Thema peinlich. Wie zur Entschuldigung erwiderte er: „Theo war ein Techniker, ich bin ein Kaufmann. Es wäre am besten, man wäre beides.“

„Aber wir haben ja zwei gute Bauleiter. Heinz Baselitz kennt den Betrieb von der Pike aus und Jürgen Tannfelder hat das Fach studiert. Sie gehen dir zur Hand.“ Elisabeths Stimme klang beruhigend. „Sie kennen die Grubendorff GmbH aus dem Effeff.“

„Dies ist der Punkt, über den ich mit die eigentlich nicht sprechen wollte. Aber ich denke, es muss sein. Ich glaube Baselitz betrügt unsere Firma.“

„Was!“ Elisabeths Gesicht zeigte helles Entsetzen. „Dies ist doch undenkbar.“

Grubendorff drehte den Teelöffel hin und her. „Wir haben ihm doch vor 18 Monaten eine Abmahnung geschickt. Damals konnte er glaubhaft machen, was wir nicht widerlegen konnten, dass jemand von den Arbeitern die Belege verlegt hatte. Seit dem ist er dafür selber verantwortlich. Nun hat der Revisor Thomas Weidenfeld einen Vergleich zwischen den Materialeinkäufen und den eingebauten und in Rechnung gestellten Mengen vorgenommen. Die Differenz ist gewaltig. Sogar die Arbeiter munkeln, er renoviere mit unserem Material das Haus seiner Eltern. Ich werde ihn morgen mit unserem Rechtsanwalt und Herrn Weidenfeld in mein Büro bestellen. Kann er mir die Unstimmigkeiten nicht erklären, dann müssen wir ihn fristlos kündigen.“

Frau Grubendorff bedeckte mit ihren Händen ihren Mund. „Wenn du recht hast, dann sollten wir es machen. Schade. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie er bei uns angefangen hat. Er war ein sehr aufgeweckter Kerl. Bei Theo hat er immer den besten Eindruck hinterlassen. Deshalb hat die Firma ja auch seinen Meisterkurs bezahlt. Und durch seine Erfolge für die Firma hat Theo ihn schließlich zum Bauleiter ernannt, obwohl er nicht wie Tannfelder ein Ingenieurdiplom erworben hatte.“

Walter zuckte mit den Schultern. Du weißt doch, wie es beim Bauen ist. Die eigenen Wünsche steigen mit der zur Auswahl stehenden Einrichtung. Das kostet Geld. Entweder man spart, dann heißt das Baustopp, oder man senkt die anderen Baukosten. Und die schnellste Möglichkeit der Kostensenkung ist der Diebstahl von Baumaterial.“

Duisburg Mitte

Die Zahl der Leute, die sich auf der Fußgängerzone bewegten, hatte zugenommen. Der Feierabend stand bevor und es galt wohl noch, Besorgungen zu machen. Eine andere Gruppe hatte sich bei den Cafes und Imbisstuben eingefunden, die eine Überdachung hatten. Diese wollten durch Müßiggang ihren freien Nachmittag genießen. Die Luft hatte sich aufgeklart. Durch eine dünne Wolkenschicht war die Sonnescheibe zu erkennen. Sie hatte aber offenkundig noch nicht die Kraft, diese milchige Schicht aufzulösen.

Gallowayy hatte in der Einkaufspassage eine Gruppe von Jugendlichen angesprochen und so erfahren, wo in der Nähe ein Internet-Cafe zu finden war. Die Jungen trugen die Baseballkappe mit dem Schirm nach hinten, wie er es aus New York her kannte. Die Gruppe hatte sichtlich Langeweile und sie schubsten sich gegenseitig, liefen auseinander, um einen störenden Angriff auszuweichen. Aber sie kamen immer wieder zusammen, um das Spielchen aufs Neue fortzusetzen. Keiner nahm die Attacke des anderen wirklich übel. Statt dessen lachten sie, wenn der Geschubste eine unglückliche Figur machte. So harmlos hätte dies bei ihm zu Hause nicht ausgesehen. Der Stärkste langte richtig zu und der Geschlagene hatte dies hinzunehmen.

Nun saß er vor einem Rechner, einen Pappbecher schwarzen Kaffee an seiner Tastatur. Die Räumlichkeiten des Internetcafes wirkten dürftig. Die Wände waren in einem hellen Grün gestrichen. An den Wänden waren einige Filmplakate mit Heftzwecken angeheftet. Eines kannte der Amerikaner. Es war ein Werbeplakat aus dem Film Titanic. Die Leute, die diesen Ort besuchten legten weniger Wert auf Ambiente, denn auf Übertragungsraten. Die Verbindung zum Internet war rasch hergestellt. Während er sich eine Zigarette ansteckte, loggte er sich in das Telefonverzeichnis der Bundesrepublik Deutschland ein. Unterbrochen nur von einigen Schlücken warmen Kaffees, stellte er fest, dass hier unter >Waldfels< immer noch nichts zu finden war. Aber das war kein Problem – noch kein Problem. Sein neuer Geschäftspartner würde hier bestimmt etwas finden, schließlich kannte er sich ja hier aus. Wenn dieser ähnliche Möglichkeiten hier hat, wie er in NY, dann war dies wahrscheinlich.

Er wechselte zu einer Suchmaschine. Der Amerikaner tippte eine Menge Namen oder deren Kürzel in die Maske, verwarf aber alle diese Versuche wieder, wenn die Anzeige >keine Treffer<, oder falsche Ergebnisse meldete. Mit einem tiefen Zug trank er den Rest des Kaffees aus, bevor dieser kalt zu werden drohte. Er presste die Finger beider Hände gegen seine Lippen und wartete auf eine Eingabe. Aber er hatte nichts, was ihn spontan so einfiel. Vielleicht würde ein frischer Kaffee helfen. Aber zwei weiter Tassen, gefolgt von einigen Zigaretten, brachten nicht den erwünschten Erfolg.

Verdammt! Wie würde er vorgehen? Alle kochten mit Wasser, also Dave Burroughs auch. Dieser war zwar clever, aber jeder Mensch hielt an seinen liebgewordenen Gewohnheiten fest. Da war er sich sicher. Warum sollte Burroughs sich anders verhalten? Diese Spur brachte ihn im Moment nicht weiter, also loggte Gordon sich in seinen Rechner zu Hause in der 85. Straße ein. Er lud einige Files auf das Display und überarbeitete diese. Aber seine Gedanken kreisten weiter, worum er sich in Deutschland befand. Schließlich beendete er die Verbindung nach New York.

Hatte er etwas übersehen, oder gab es wirklich keine Spur? Er war der Einzige, der überhaupt auf die deutsche Spur gestoßen war. Lag er denn damit so falsch? Er war dieses Risiko eingegangen, auch wenn ihn dies bislang schon eine Stange Geld gekostet hatte. Wenn er aber richtig lag, dann würden einige Riesen für ihn herausspringen. Die Spur führte nach Duisburg, musste nach Duisburg führen. Da war er sich sicher. Deshalb war er hierher geflogen. Auf einmal kam ihm ein Gedanke, der ihn vielleicht weiter bringen könnte. Es gab da doch noch den Vetter zweiten Grades. Eigentlich hatte dieser mit der Angelegenheit nichts zu tun. Es war zwar unwahrscheinlich, ob ihn dies weiter bringen würde, aber wenn er schon einmal hier war? Gordon alter Junge, lass dich nur nicht hängen, dachte er.

Gallowayy wechselte zum Telefonverzeichnis, tippte den Namen >Bürger< in die Maske des Hausnamens. 79 Treffer meldete der Rechner und zeigte diese in einem weiteren Fenster an. Mit einigen wenigen Tastenkommandos schränkte er den Suchbereich auf den Bereich Duisburg und 50 Km Umkreis ein. Und siehe da, die Anzahl der Treffer sank auf 11. Zwei davon wohnten gar in Duisburg. Er notierte sich alle Adressen in einem kleinen Schreibblock. Ein Ausdrucken wollte er vermeiden, möglicher Spuren wegen.

Duisburg Röttgersbach

Das Ölgemälde hatte eigentlich schon Gestalt angenommen, aber Christel Knoop war mit ihrem Werk immer noch nicht zufrieden. Überall sah sie noch Ungenauigkeiten oder Fehler in der Darstellung. Der feine Haarpinsel wurde in den ein oder anderen Farbklecks getaucht, die sich auf einer Palette befanden und den Versuch vielfältiger Mischungsversuche waren. Aber diese Farbkomponenten waren längst nicht ausreichend. Auf einer freien Stelle auf dem Brett wurden wieder Farbkompositionen vorgenommen, ehe der Pinsel seine Farbmasse auf dem Gemälde ablud.

Christel Knoop hatte ihre brünetten Haare mit einem elastischen Band hinter ihren Ohren fixiert. Sie hasste es, wenn Haare bei der Arbeit vor den Augen herumtanzten und sie von ihrer Konzentration abhielten. Immer wieder stand sie auf, ging einige Schritte zurück, um mit kritischem Blick den Gesamteindruck des Bildes aufzunehmen. Dabei sah man, wie klein ihr Körperstatur war. Das Grummeln, wenn sie sich wieder vor die Staffelei setzte, waren keine Worte sondern gaben ihre Unzufriedenheit wieder. Diese Unzufriedenheit war der Motor für die nun folgenden Aktivitäten ihres Pinsels. Das was sie störte, wurde aus der Welt geschafft.

„Hallo Schätzchen“

Unwirsch wendete sie wegen der Störung den Kopf zur Seite. Als sie ihren Mann erblickte, glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. „Hey Mikael.“ Ihr Blick fiel auf die Armbanduhr, als sie den Pinsel beiseite legte. „Du bist heute aber früh.“

Mikael Knoop machte eine abwertende Handbewegung. „Heute war nichts los. Das höchste der Gefühle war ein alter Mann, alleinlebend, der beim Gardinenwechseln von der Leiter gefallen war und sich das Genick brach. Heute Morgen haben die Nachbarn die Polizei gerufen, weil der Briefkasten überquellte.“ Während er dies berichtete zeigte Mikaels Gesicht, wie unwillig ihm diese Angelegenheit war.

Christel wischte ihre Hände an dem übergroßen Herrenhemd ab. Es war gezeichnet von vielen Farbkontakten und ebenso vielen Reinigungsversuchen. Diese unwillkürliche Farbkonstellation hatte ihren eigenen Charme. Christel Knoop sah darin aus, wie ein Lausbub. „Du wirst schon interessantere Fälle bekommen, Schatz.“ Christel stellte sich auf die Fußspitzen um ihrem Mann einen Kuss zu geben. Mit ihren 1,67m konnte sie sonst nicht seinen Kopf erreichen. Sie hasste ihre Körpergröße. Draußen kompensierte sie ihre Erscheinung durch das Tragen von hochhackigen Pomps. Zu Hause aber trug sie gerne bequeme Latschen. Sie zog das Malerhemd aus und hängte dies an einen Haken. Die Haare wurden vom Band befreit. Sie schüttelte den Kopf und die halblang geschnittenen Haare fielen in ihre ursprüngliche Form.

„Ach, dies sieht aber gut aus.“ Mikaels Mimik zeigte echte Bewunderung. „Mein Schätzchen ist ein wahrer Meister. Bist du fertig?“

Auch Christel betrachtete das Bild. „ Meinst du? – Nein, noch nicht ganz. Aber ich werde morgen wohl fertig werden.“

„Dann wird sich deine Kundin aber freuen. Wie viel Geld nimmst du dafür?“

„Zu wenig. Du brauchst gar nicht zu schielen. Für dich ist diesmal nichts drin. AnnaLena braucht neue Schuhe und für die Einladung am Wochenende brauche ich dringend eine blauschwarze Bluse.“

Mikael seufzte provozierend. „AnnaLena, wo ist sie denn?“

„Sie wollte um 6 Uhr zurück sein. Sie ist bei einer Freundin.“ Christel hatte sich ihren Malutensilien zugewandt. Sie verschloss einige Tuben und wusch alle Pinsel in einem Glas Wasser aus.

„Ich merke, hier bin ich überflüssig“, gab Mikael bekannt. Ich kümmere mich um das Abendessen.“ Er war sich nicht sicher, ob Christel ihn überhaupt verstanden hatte.

Mikael hatte in der Küche den Tisch gedeckt. Die Geräusche, die er dabei machte, mussten Christel inspiriert haben. Ihr Kopf erschien in der Türöffnung. „Wolltest du nicht die Spülmaschine ausräumen Schatz?“ Eine gegenteilige Antwort erwartete sie nicht, denn sie war wieder verschwunden. Knoop hasste diese Art von Unterstellung. Weder hatte er so etwas zugesagt, noch war darüber gesprochen worden. Das war Christels Art, ihn in die Pflicht zu nehmen. Wenn er einer solchen Frage nicht sofort energisch wiedersprach, dann hieß es später >Du hast doch gesagt, dass...< Aber das Ausräumen der Spülmaschine gehörte noch zu den angenehmen Tätigkeiten, die man ihm unterstellte. Und sie war schnell erledigt.

Weil er aber immer noch alleine war, beschloss er, den Teil der Tageszeitung zu lesen, den er heute Morgen nicht geschafft hatte. Die Wanduhr schlug 18 Uhr, Mikael legte seine Füße auf die Couch. Zwei Minuten später hörte er den Schlüssel , wie er in der Haustüre gedreht wurde. Sofort stellte er seine Füße auf den Boden.

AnnaLena hängte ihren Anorak an den Garderobenhaken, machte aber keinerlei Anstalten diesen aufzuheben, als er dabei herunterfiel. Als sie ihren Vater erblickte, stürmte sie auf ihn so schnell zu, dass er kaum Zeit fand, sich aufzurichten. Mikael versteifte seine Nackenmuskulatur, weil er wusste, wie kräftig inzwischen die Umarmung seine Tochter sein konnte.

„Papa, die Veronika hat eine neue Play Station Mit dem kann man noch besser spielen ...“

Mikael unterbrach den Redefluss bewusst, wusste er doch, dies war die Einleitung zu einem Kaufwunsch. „Du bist zu spät.“

Annalene schaute irritiert auf die Wanduhr.

„Zwei Minuten“, beschied er.

„Papa!“ AnnaLenas Stimme zeigte ihre ganze Entrüstung über die ungerechtfertigte Schelte.

Mikael lachte und erhob sich. „Komm, wir gehen in die Küche. Mutti kommt gleich. Dann kannst du mir von der Play Station erzählen. Aber vorher hängst du noch den Anorak richtig auf.“

Duisburg Meiderich

Gallowayy fand nach längerem Suchen doch noch eine Parklücke. Die Straße war mit älteren Häusern umsäumt. Die Fassaden hatten lange keine Farbe mehr gesehen. Jedes Haus hatte drei bis vier Etagen. Manche Fenster hatten eine Umrandung die beigeputzt war. Diese Stilelemente waren Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts zeitgemäß und für Häuser reicher Bürger üblich. Dadurch verrieten sie, dass sie schon bessere Bewohner beherbergt hatten, als die jetzigen. Die meisten Häuser hatten alle moderne Eingangstüren. Nur die wenigsten waren aus Holz mit filigranen Schnitzereien versehen. Aber an der Pflege dieser Holzarbeiten fehlte es allenthalben. So, wie die Gebäude heute aussahen, konnten die Mieten hier nicht hoch sein. Unabhängig davon konnte sich aber wohl jeder ein Auto leisten, denn die Rinnsteine waren fast alle zugeparkt. Der Amerikaner wechselte die Straßenseite und verschwand nach kurzem Blick auf die Hausnummer in einem Türeingang. Das Tageslicht zeigte, dass der Treppenaufgang schon lange nicht mehr gestrichen worden war. Die einzige Dekoration waren Sprüche, die werdende Künstler an die Wände gemalt oder gesprüht hatten. In der zweiten Etage fand er das Türschild, welches er suchte.

Erst nach dreimaligem Klingeln öffnete sich die Wohnungstüre. Eine Geruchswolke aus billigem Fetter reichte ihn schon, bevor jemand auftauchte. Im Türspalt erschien eine Frau so um die Zwanzig mit ungemachten Haaren. Gallowayy war sich nicht sicher, ob das Blond ihre richtige Haarfarbe war. Ihre linke Hand hielt einen hellblau geblümten Bademantel zusammen. Der teilweise sichtbare Büstenhalter war weiß, aber nicht sauber. So, wie er an der Figur hing, verriet Gallowayy, dass er sie bei irgendetwas gestört haben musste. Das verwischte Make up bestätigte seinen Eindruck. Ihre Stimme klang deshalb wohl recht ungehalten:

„Wat wolense?“

„Kann ich Ihren Vater sprechen, ist er da?“, fragte er höflich.

Die Frau im Bademantel drehte sich um zu dem schlauchförmigen Flur, der nur durch eine offene Türe an der linken Seite des Ganges erhellt wurde. Die mit Blumendekor versehene Tapete war abgegriffen und nicht wert, beleuchtet zu werden. Mit Erleichterung in der Stimme rief sie in die Wohnung: „Werner, da will jemand deinen Alten sprechen.“

Begleitet von einem Geschimpfe erschien ein Mann in dem Türspalt, schubste seine Frau zur Seite, die wiederstrebend in den Hintergrund verschwand. Er hatte mit Gel sein schütteres Haar über dem Kopf zu Stacheln toupiert. Beide Daumen waren in den Hosenträgern verhakt, unter denen ein ärmelloses Unterhemd sichtbar wurde. Auch dieses zeigte, dass in dieser Familie an Waschpulver gespart wurde. An der Stelle, die das Hemd frei gab, erschienen die Brüste einer eintätowierten Frau auf seiner linken Schulter.

„Wat willse?, fragte er ungehalten.

Gallowayy wollte etwas und so ignorierte er die offensichtliche Unhöflichkeit des Tätowierten.

„Kann ich bitte Ihren Vater sprechen?“

„Da kommen Sie aber etwas zu früh“, höhnte die Stimme, „Mein Alter ist schon über fünf Jahre tot.“

„Dies tut mir leid“, murmelte der Amerikaner, merkte aber zugleich, dass eine Entschuldigung bei seinem Gegenüber ohne Eindruck blieb. Er wollte aber den Faden der Kommunikation nicht mehr aus der Hand geben und so setzte er, unbeeindruckt über die offensichtliche Unfreundlichkeit, nach. Er griff in seine Manteltasche und zog die Mitschrift, die er am Rechner erstellt hatte hervor, ohne allerdings auf den Inhalt genauer einzugehen.

„Haben Sie nicht einen Onkel in den Vereinigten Staaten? Ich bin im Urlaub hier und soll sie von ihm recht herzlich ...“

„Seit wann hast du denn einen Onkel, und dann noch in Amerika? Davon hast du mir gar nichts erzählt.“

Die Frau drängte sich wieder in den Türspalt. Sie hatte sich einen gestreiften Pullover übergezogen, der nicht nur ihre Körbchengröße A betonte, sondern auch die Speckfalten um ihre Hüften trefflich sichtbar machte.

„Gibt es was zu erben?“, setzte die Frau interessiert nach.

Barsch wurde sie wieder außer Sichtweite gedrängt.

„Quatsch! Bisse doof? Verschwinde!“ Der Mann hob seine rechte Hand, um zu unterstreichen, wozu er gewillt war, wenn seine Frau nicht gehorchte.

Die Frau war es wohl gewöhnt, so angesprochen zu werden. Während sie sich grummelnd in den hinteren Teil der Wohnung zurückzog, drehte der Mann wieder die Schulter mit der barbusigen Tätowierung dem Besucher zu:

„Ich habe keinen Onkel und einen in den USA schon überhaupt nicht. Willse mir `ne Zeitung andrehen. Ich kenn alle Eure Tricks! Alle!“ Beide Arme bewegten sich wie Scheibenwischer hin und her.

Gallowayy murmelte ein „Entschuldigung“ und drehte sich kommentarlos um. Hier war er nicht richtig. Alles weitere war reine Zeitverschwendung. Auf dem nächsten Treppenabsatz zog er eine Marlboroschachtel aus seiner Hose, entnahm ihr eine Zigarette und ein Einwegfeuerzeug. Erst, nach dem er zweimal den Rauch tief inhaliert hatte, legte er den Weg zum Wagen zurück.

Auch die zweite Adresse in Duisburg war Zeitverschwendung. Die Gegend sah alleine dadurch freundlicher aus, weil es hier mehrere grüne Flecken gab. Aber auch hier reihte sich Haus an Haus, nur waren diese Gebäude neueren Datums. Die Fassaden waren teils gefliest, teils mit abgesetzten Farben dekoriert. Dafür waren sie aber wesentlich länger in ihrer Straßenfront. Zwar verdächtigte man ihn hier nicht, Haustürgeschäfte zu betreiben, aber der dort wohnende Heinz Bürger war über Siebzig, hatte nur eine Schwester und fluchte nur über die Amis, die letztendlich nichts anderes zu tun hätten, als Kriege zwischen den friedliebenden Völkern anzuzetteln.

Nach einem Blick auf seine Armbanduhr beschloss Gallowayy, für heute Schluss zu machen. Im Moment würde er doch nichts mehr erreichen. Er hatte heute noch nicht Richtiges gegessen. Er verspürte Hunger nach einem gebratenen Stück Fleisch mit Eiern und >husch Browns<. Das Letztere würde er hier im >Ruhr Distrikt< wohl nicht bekommen, aber zumindest den Kaffee, mit dem er alles herunterspülen würde.

Duisburg Mitte

Hartung hatte schlecht geschlafen. Diese verdammte Magensäure hatte ihm zu schaffen gemacht. Eigentlich befielen ihn diese Beschwerden in langen Zeiträumen. Gewöhnlich achtete er deshalb auch darauf, aber gestern Abend... Er hätte die Finger von der Schokolade lassen sollen. Aber es hatte in seinen Fingern gejuckt, als diese auf dem Beistelltisch lag. Er blätterte sich aus der karierten Bettgarnitur und begab sich sofort in die Senkrechte. Seine beiden Hände massierten seinen malträtierten Magen. Sein Nachbar hatte Geburtstag gefeiert. Nein, er wollte sich nicht drücken. Er setzte sich wieder auf die Bettkante. Diese Einladung passte genau in seine Empfindungen. Er hätte sonst mühselig irgendwohin zum Abendessen laufen müssen und hier bekam er es fertig kredenzt. Und die paar Bierchen? Er war kein Kostverächter. Er hielt doch das deutsche Bier für das geschmackvollste der Welt. Wegen Reinheitsgebot und so. Verdammt, dass er bei der Schokolade schwach werden musste. Er erhob sich taumelnd. Auf dem Weg zum Badezimmer stützte er sich mehrmals an der Wand ab. Von dem Spiegel schaute ihn ein Gesicht an, dass ihn zutiefst erschrak. Eingefallene Augen, die inmitten aufgedunsener Weichkörper lagen. Die Haare standen wirr vom Kopf ab. Die Haut lag faltig auf den Gesichtsknochen. Hartung rieb mit der Rechten über seinen Magen. Er rülpste. Dies brachte ihm etwas Erleichterung im Magen, in seiner Nase aber nicht.

Hartung hatte gestern so viel gegessen, dass er auf ein Frühstück verzichten konnte. Er zog seine Sachen von gestern wieder an, brühte sich in der Kochnische einen magenberuhigenden Tee und wechselte mit der dampfenden Tasse in der Hand in sein Büro.

Der Detektiv bootete seinen Rechner. Den Sessel klappte er dabei in die Relaxstellung, um den Magen nicht zusammen drücken zu müssen. Hartung schaute in sein Memoprogramm, das ihn an die täglichen Verpflichtungen erinnerte. Richtig! Dies mit der Metallfirma Kornefeld. Hier gab es Probleme mit einem Mitarbeiter des Wachdienstes. Immer wenn dieser zur Nachtschicht eingeteilt war, dann fehlte später etwas. Der Detektiv sollte heute der Firma ein Konzept vorlegen, wie man den Dieb auf frischer Tat überführen könnte. Dann war da noch der Besuch bei seiner Hausbank. Die wussten schon, wie man Gebühren erfand. Gottseidank hatte er sich schriftlich bestätigen lassen, welche Gebühren frei und welche zu bezahlen waren. Aber er würde sich das nicht gefallen lassen, was man ihm angekündigt hatte. Und dann war da noch die Verabredung mit Werner Rötthaus. Er war gespannt, was der von ihm wollte. Warum der nicht in sein Büro kam? Man würde sehen.

Hartung schaltete den Rechner aus, erhob sich vom Schreibtisch und griff zu dem Mantel, der immer noch da lag, wo der Amerikaner ihn gestern achtlos über einen Stapel mit Broschüren geworfen hatte. Mitten auf dem Weg zur Türe drehte er sich wieder um. Jetzt hätte er doch vergessen, Tilli anzurufen. Achtlos warf er den Mantel wieder über den Broschürenberg, griff zum Telefon und tippte eine Nummer in die Tastatur, die er auswendig wusste. Während er die Relais klicken hörte ging er um den Schreibtisch und versank im Lederpolster seines Sessels!

„Hallo Tilli! Wie geht es den Kindern“

„Ach, du je! Immer, wenn du nach den Kindern fragst, dann willst du was. Du verdienst dir eine goldene Nase und ich habe nur Scherereien.“

Tilli hieß eigentlich Therese, Therese Schüllkamp. Sie war alleinerziehende Mutter von zwei Mädchen. Er glaubte, sie hießen Jenny und Patrizia und waren Vier und Sechs Jahre alt. Tillis Pech war, dass ihr Mann sie wegen einer Reisekauffrau hatte sitzen lassen. Diese waren sich bei einem Urlaub in Rimini wohl näher gekommen, als geplant. Nun buchten beide ein Sonderangebot nach dem anderen. Eine solche Lebensweise war höchst kostspielig, so dass Alimentezahlungen entweder verspätet oder verkürzt eintrafen, manchmal auch gar nicht auftauchten. Ihr Verflossener hatte sich zudem armgerechnet und der Richter hatte dies auch geglaubt. So lohnte sich der Einsatz eines Rechtsanwalts nicht, wenn die Zahlung nicht erfolgte. Tilli hatte es schließlich aufgegeben, als sie auf den Rechnungen des Anwalts auch noch zweimal sitzen geblieben war. Die alleinerziehende Mutter war so immer in Geldnot. Kinder waren eh teuer und für die Betreuung während der eigenen Arbeit musste man auch flüssig sein. Und als Angestellte in der Stadtverwaltung Duisburg verdiente man nicht genug. So nutzte sie die Möglichkeit, sich den ein oder anderen Schein dazu zu verdienen.

Hartung überhörte geflissentlich die Anspielung, dass es um Nebenverdienst ging.

„Ich brauche wieder einmal deine Hilfe.“

„Nicht jetzt. Hast du noch die alte Telefonnummer? Ich melde mich gleich.“

Die Verbindung war unterbrochen. Hartung schaltete die Rufumleitung ein, erhob sich und verließ den Raum. Er überquerte den Hinterhof seines Wohngebäudes, passierte den Durchbruch in einer Mauer und befand sich sofort auf einem großen Parkplatz. Seit dem er hier wohnte, gab es diesen Zugang. Vielleicht war die Mauer deshalb sogar eingerissen worden. Er wusste es nicht, aber es war bequem, Wohnung und Parkmöglichkeit so zu koppeln.

Hartung startete seinen Opel Corsa und lenkte ihn aus der Ansammlung wildparkender Pkws auf die Straße. Kurz vor Erreichen der Nord-Süd-Achse klingelte sein Handy. Er schaltete die Freisprecheinrichtung an. Die Verbindung wurde augenblicklich hergestellt.

„Ich konnte nicht, hatte Publikum“, sagte die Frauenstimme unvermittelt.

„Schon gut.“

Hartung griff zu den Notizen, die er sich am Vortage gemacht hatte. „Waldfels, heißt er, Vorname nicht bekannt. Aber irgendetwas mit Jo, Johann, Johannes, Josef, du weist schon.“

„Ja, ja. Die Stimme klang unwillig. „Duisburg?“

„Erst einmal.“

Hartung hörte das leise Klappern einer Tastatur.

„Ja, weiter“, tönte es in seinem Ohr.

„Habe wie gesagt keinen genauen Vornamen. Walsfels hat auf der Kardinal-Gahlen-Straße gewohnt, wahrscheinlich Hausnummer 79. Aber dies war so um 1984.“

Die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung fluchte.

„Mist, da gab es noch keine Rechner. Ich muss dafür in den Keller. Ich weiß nicht, ob ich das heute noch schaffe. Dieses wird aber teurer. Damit du schon einmal bescheid weißt. Ich melde mich später.“

Das Trenngeräusch einer nicht mehr bestehenden Kommunikationsverbindung drang nur noch an sein Ohr. Hartung lenkte den Wagen durch den stockend fließenden Berufsverkehr. Die Anlagen des riesigen Freihafens verschwanden hinter ihm. In Meiderich verließ er die B59, um sein Gespräch mit der Firma Kornefeld zu führen.

Duisburg Dellviertel

Gallowayy hatte gut geschlafen. Nur das Frühstück war eine Katastrophe gewesen. Was da so als kontinentales Frühstück gereicht wurde, war unter aller Sau. Brot, Käse, Wurst, dies aß doch kein vernünftiger Mensch am frühen Morgen. Gut, der Kaffee war heiß und kräftig gewesen, aber er vermisste seine Pfannekuchen mit Ahornsirup. Auch kannte die Karte keine Bratkartoffeln mit Spiegeleiern. Das war es, was ein Mann so zum Startup brauchte. Er würde sich gleich ein paar Donuts holen, aber er war sich dabei nicht sicher, ob er hier so etwas finden würde.

Er lenkte seine Schritte Richtung König-Heinrich-Platz. Hier wusste er seit gestern Frühstücksmöglichkeiten zu finden. Um diese frühe Stunde gab es kaum Passanten hier. Nur an einigen Ecken standen heruntergekommene Personen um eine Ansammlung leerer oder halbleerer Bierflaschen herum. Gallowayy war sich nicht sicher, ob diese Menschen nicht in der Nähe genächtigt hatten. Um diese Zeit war es noch empfindlich kalt. Die Arbeitslosen hatten eine Vielzahl von Pullovern wahllos übereinander gezogen und diese dann durch ein parkaähnliches Kleidungsstück verhüllt.

In einer Einkaufspassage fand er einen Laden, der die Marke Base vertrieb. Er erstand ein einfaches Mobilefone und zwei Prepaidkarten mit jeweils dreißig Euro Gesprächsguthaben. Er notierte sich seine neue Rufnummer, meldete sich beim neuen Provider an und ließ das Gesprächsguthaben registrieren. Gordon hatte nicht vor, die noch fehlenden Adressen alle persönlich aufzusuchen. Vor allem die Erfahrungen mit dem Tätowierten von gestern Abend hatten ihn dahingehend bestärkt, zunächst den telefonischen Weg der Vorabinformation zu wählen. Dann griff er in die Brusttasche, wo der die Karte von Hartung aufbewahrte und teilte ihm seine neue Telefonnummer mit.

Um die Ecke gab es sogar ein Cafe, das überraschenderweise ein breites Angebot an Donuts anbot. Auch konnte man hier an unbequemen Stühlen und kleinen, runden Tischen die Teigwaren verzehren, die man hier gekauft hatte. Die Tische wackelten, wenn man sein Gewicht auf ihren Rand legte. Gallowayy glaubte an Absicht, denn er vergoss jedes Mal etwas Kaffee. Die Bedienung schaute zwar etwas pikiert, als er sofort sechs Donuts mit Schokoglasurüberzug und einen Becher Kaffee orderte. Sie stapelte die Schokoringe alle auf einen Teller und füllte einen Pappbecher mit einer schwarzen Brühe. Er holte das Handy und die Unterlagen hervor und begann, während er den Kuchen nach und nach verschlang, seine Liste systematisch abzuarbeiten.

Nach einer dreiviertel Stunde Telefonarbeit war er zwar schlauer, aber eigentlich nicht weiter gekommen. Von den elf Hits, die sich gestern herauskristallisiert hatten, waren zwei telefonisch nicht erreichbar gewesen. Drei andere hatten nach kurzer Zeit aufgelegt, weil sie sich bei seinen Fragen auf den Arm genommen fühlten. Es gab offensichtlich wohl bei denen keine Verbindung in die USA und obgleich er von der Möglichkeit sprach, Geld geerbt zu haben, hatten sie nicht angebissen, sondern kurzerhand aufgelegt.

Bei einer Verbindung nach Mühlheim war nur die Schwiegermutter am Apparat gewesen. Sie war zunächst skeptisch, weil sie nicht abschätzen konnte, was der Anrufer bezwecken wollte. Als Gallowayy jedoch nur eine belanglose Information wollte, taute sie auf. Sie wusste nichts von amerikanischen Verwandten ihres Schwiegersohns, wollte ihn allerdings fragen. Man einigte sich, heute Abend so gegen 19.Uhr miteinander zu telefonieren. Gallowayy schätzte diese Quelle aber als nicht ergiebig ein.

Beim nächsten Anrufer hatte er die Ehefrau am Apparat. Als er die Frage nach den amerikanischen Verbindungen ihres Mannes ansprach und durchblicken ließ, es sei eine kleine Erbschaft im Spiel, da erklärte sich die Frau sofort bereit, das Familienbuch herbeizuholen. Ungeniert las sie ihm alle Namen samt Geburtsdatum und Geburtsort vor, egal, ob es sich um die Verwandtschaft ihres Mannes oder gar die eigene handelte. Als sie endlich einsah, dass hier keine zusätzlichen Einkünfte winkten, legte sie enttäuscht auf.

Nachdem sich auch die restlichen Telefonate als Flop erwiesen hatten, bezahlte Gallowayy Kaffee und Donuts und machte sich auf die Suche nach einer Leihwagenfirma. Er konnte es nicht riskieren, dass von den beiden Adressen, die telefonisch nicht erreichbar waren, sich vielleicht doch noch eine Spur ergab. Er erstand einen VW Jetta und ein Navi-Gerät. Er programmierte den elektronischen Weganzeiger und machte sich auf den Weg nach der ersten Adresse in Solingen. Der Frühling zeigte endlich einmal einen sonnigen Tag. Verdeckten Wolken die Sonne, dann wurde es bald merklich kühl. Aber in der Sonne ließ es sich gut aushalten.

Solingen

Der Navigator steuerte seinen Wagen durch Straßenzüge, die ihm alle nichts sagten. Die Häuser, an denen er vorbei kam, hatten höchstens zehn Stockwerke. Nur ab und zu tauchten Gebäude auf, die man als kastrierte Wolkenkratzer bezeichnen konnte. Jedenfalls, wenn man die Gebäude seiner Heimatstadt als Vergleich heranzog. Mit der Dauer der Fahrtzeit nahm die Höhe der Häuser stetig ab. Auch der Abstand zwischen ihnen wurde größer. Aber nicht viel anders als bei ihm Daheim, wenn man die City verlassen hatte. Nur, wenn man auch die Vororte hinter sich hatte, dann war man unmittelbar in der Wildnis. Hier gab es immer wieder Gebäude. Kam mal ein Waldstück, dann war man husch, husch an ihm vorüber und die nächsten Häuser tauchten auf.

Die Damenstimme des Navis, die um das Ziel seiner Fahrt wusste, führte ihn in eine Siedlung, die außerhalb des Stadtkerns von Solingen lag. Die Siedlungsfläche war schachbrettartig aufgeteilt, aber die Straßenführung war verwinkelt. Die Stadtplanung legte wohl Wert darauf, dass man hier mit dem PKW langsam fahren musste. Es waren durchgängig anderthalbgeschossige Häuser, die man hier hatte bauen dürfen. Ihre Besitzer mussten samt und sonders betucht sein. Das ein oder andere Gebäude mochte zwar noch in der Hand von Kreditunternehmen sein, aber auch um sich die monatlichen Hypothekenzahlungen leisten zu können, musste man viel Geld dafür übrig haben. Diese Siedlung existierte schon lange, denn die Büsche und Bäume zeigten mächtige Ausmaße. Er kurvte in Wohnstraßen herum, immer wieder bewachsene Inseln umrundend, als seine Wegweiserin freudig die Kempkesstege benannte und ihm kurz darauf mitteilte, am Ziele zu sein. Er ignorierte den Hinweis und lenkte den Wagen um die nächste Ecke. Er parkte den Wagen auf einer gekennzeichneten Fläche.

Die Kempkesstege 19 war ein mit weißem Bruchmarmor geklickertes Haus. Die Auffahrt war breit und bot mit einer Doppelgarage mindestens zwei Autos Platz. Im Vorgarten hatte man einen kleinen Teich angelegt, der von der Straßenseite durch eine mannshohe Hecke kaum sichtbar war. Als Gordon in die Auffahrt trat, sah er, dass aus einem Stein Wasser hervorrann, weitere Steine benetzend. Es lief wohl dorthin zurück, wo eine Pumpe es entnommen hatte. Die Anlage machte auf den Betrachter den Eindruck, dass auch hier die Besitzer trotz eventueller monatlicher Zahlungen an eine Bank nicht schlecht lebten. Es war wohl keiner zu Hause, denn trotz des wiederholten Klingelns rührte sich nichts.

Der Nachbar zur Linken kämpfte wohl möglich gegen das Unkraut in seinen Beeten. Obwohl er dem Unkraut keine Chance gab, wachsen zu können, war er wohl permanent damit beschäftigt, mögliche Ansätze sofort im Keim zu ersticken. Dabei bekam er alles mit, was um ihn herum so geschah. Wachsam strichen seine Augen rechts und links über die Wohnstraße. Gallowayy war sich nicht klar, ob dieser Zeitgenosse vorrangig im Garten war, um zu gärtnern, oder die Kontrolle über die Besucher zu behalten. Gesehen hatte der ihn längst. Der Kopf wurde von einem Strohhut beschattet. Sein strapazierter Zustand belegte beides, das Alter des Hutes und die Kompetenz seines Trägers. Der Körper steckte in einem Blaumann, der so sauber war, als könne man sich bei diesen Arbeiten nicht beschmutzen.

Gallowayy nahm den Weg zu dem Gärtner über den Bürgersteig und dessen Auffahrt. Die abwehrenden Gesichtszüge zeigten ihm, dass die Neugier des Mannes das eine war, aber die Bereitschaft Fremden sein Grundstück betreten zu lassen, war etwas anderes. Der Amerikaner musste das Eis brechen.

„Ist bei Burger keiner da?“

Das war eigentlich eine tautologische Frage, hatte er sich doch soeben von der Antwort selbst überzeugt. Er wollte ja auch nur ein Gespräch beginnen. So setzte er nach, ohne eine Antwort abzuwarten:

„Sie haben aber einen tollen Garten? Haben Sie dies gelernt?“

Das Gesicht seines Gegenübers wurde freundlicher. Die Schultern strafften sich. Wer einen solchen Sachverstand besaß, der konnte kein schlechter Mensch sein.

„So, sieht man das? Ist aber viel Arbeit! Glauben Sie mir.“

„Dies sehe ich. Kostet viel Schweiß und keiner erkennt die Arbeit an.“

Als der Gärtner stöhnte kennend, Hier schien er auf einen wissenden Leidensgenossen getroffen zu sein. Gallowayy merkte unmittelbar, dass er auf dem richtigen Wege war. Das Gartengerät Unkrautvernichter, welches anfangs wie eine Waffe gehalten wurde, wandelte sich nun zum Stützpfeiler. Sein Rückrad entlastend, lehnte sich der Nachbar auf sein Arbeitsgerät. Gallowayy hatte wenig Ahnung von Gartengewächsen, gab es doch in den vielen Parks in New York für ihn nur Pflanzen. Grün waren sie alle, einige blühten sogar. Er zeigte auf einen Rhododendron.

„Haben Sie den mit Dünger so prächtig hingekriegt?“

Er erfuhr so den Namen des eingesetzten Düngers, der ihm aber nichts sagte. Der Gärtner begann aus dem Nähkörbchen zu plaudern. Das Gespräch entwickelte sich langsam zu einem Selbstläufer. Der Amerikaner musste sich den gesamten Vordergarten anschauen. Dabei wurden ihm so viele Pflanzennamen genannt und Möglichkeiten ihrer Pflege, dass ihm bald schwindelig wurde. Hakte er einmal nach, so bot er dem Hobbygärtner nun erneut eine Gelegenheit, sein umfangreiches Wissen an den Mann zu bringen.

Der die Auffahrt nebenan hinauffahrende Pkw befreite Gordon von seiner misslichen Lage. Unter dem Vorwand, nun aber nach drüben gehen zu müssen, verabschiedete er sich. Aber zwischendurch hatte er erfahren, dass Bürger sein Geld mit Programmieren verdiente, das Haus hier vor 16 Jahren gebaut hatte. Allerdings mit seiner ersten Frau. Diese hatte sich scheiden lassen, weil ihr die Gartenarbeit über dem Kopfe gewachsen war. Da war sich der Nachbar sicher. Bürger war inzwischen wieder verheiratet. Um aber die Hypotheken und den Unterhalt zu stemmen, wohnte die Schwiegermutter mit im Haus. Eine komische Frau, die sich kaum sehen ließ und von Gartenarbeit überhaupt nichts hielt.

Die Frau, die mit zwei Stofftaschen in den Händen die Fahrertüre zudrückte, blickte kurz auf, nahm aber von ihm erst Notiz, als sie die beiden Beutel an der Haustüre abgestellt hatte. Dem Alter nach zu urteilen konnte es nicht die Schwiegermutter sein. Sie trug kurzgeschnittene Haare, die Richtung Gesicht geföhnt waren. Sie brachte kaum Sechzig Kilo auf die Waage. Gallowayy tippte, eine Sportlerin vor sich zu haben. Tennis oder Golf schätzte er. Er stellte sich mit Namen und Beruf vor. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass die Nennung seines Berufs Detektiv, in diesen Kreisen Aufmerksamkeit erzeugte. Jedenfalls bei denen, die nichts zu verbergen hatten. Als er ihr den Grund seines Besuches erklärte, bat sie ihn auf die Terrasse, wo er auf ihren Mann warten sollte. Zuerst war er sich nicht sicher, aber im Laufe der Unterhaltung zeigte sich, dass er Recht hatte. Sie lispelte, aber auf eine Weise, die letztendlich gewinnend war. Eigentlich müsste ihr Gatte ja schon dar sein, aber die Arbeitsüberlastung war ein üblicher Grund für seine Verspätung. Dann beklagte sie die Kürze der Mittagspause ihres Gatten.

Das Glas Mineralwasser nahm er gerne an. So bot sich doch so die Gelegenheit, etwas über die familiären Verhältnisse dieser Familie zu erfahren. Frau Burger wusste nichts über verwandtschaftliche Beziehungen ihres Mannes in die Staaten, war sich aber nicht sicher, da man ja erst seit drei Jahren miteinander verheiratet war. Als das Gespräch zu stocken begann, weil man nichts Wissenswertes mehr auszutauschen hatte, kam glücklicherweise ihr Gatte. Er trug eine Anzugkombination in einem dezenten Blau, die Krawatte enthielt Streifen, die gediegen aussahen und perfekt zum Anzugstoff und dem hellblauem Hemd passten. Bürger hatte ebenfalls eine sportliche Figur und der kurzgeschnittene, leicht gekräuselter Haarschnitt verrieten, dass er Programmieren eher managte, als dass er Programme selbst schrieb. Mit einem freundlichen aber nichtssagenden Willkommensgruß beugte er sich zu seiner Frau herunter, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. Dann reichte er seinem unbekannten Gast die Hand. Während er sich in den Teakstuhl des Terrassenmobiliars nieder ließ, informierte ihn seine Frau über das Wesentlichste. „So, Amerikaner sind sie? Privatdetektiv aus New York? Was führt Sie zu uns?“ Lässig lehnte er sich in dem Holzstuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Der Detektiv konnte dadurch den eingestickten Schriftzug auf den dunkelblauen Socken lesen: Windsor.

Burgers Stimme klang höflich, blieb aber im Ton unverbindlich.

„Ich suche einen New Yorker, der jetzt hier in Deutschland lebt.“

„Und dann kommen Sie zu uns?“

Ein leichter Schatten machte sich in den Zügen des Gastgebers breit. Gallowayy versuchte, mit Taktgefühl die Atmosphäre beizubehalten.

„Was wir wissen ist, dass er, der Gesuchte, verwandtschaftliche Beziehungen zu einer Familie Burger hat. Gibt es in Ihrer Familie jemanden, der in den Staaten gelebt hat?“

Burgers Stirn legte sich in Falten. Er kratzte leicht mit dem Zeigefinger über die rechte Stuhllehne.

„Ich glaube nicht. Es kann aber sein, dass vor dem Zweiten Weltkrieg ...“ In seinem Gesicht legte sich ein Lächeln, als er „Wirtschaftskrise, Sie verstehen.“ einschob, um dann fortzufahren: ...ein Vetter meines Großvaters ...“

„Nein, nein!“ unterbrach Gallowayy den Hausherrn, „Das muss so in den Siebziger Jahren gewesen sein.“

„Dann kann ich Ihnen nicht helfen.“

Burgers Oberlippe verhärtete sich. Er war es nicht gewohnt, unterbrochen zu werden. Er erhob sich aus dem Gartenstuhl und reichte dem Amerikaner seine Rechte als Zeichen, dass für ihn diese Angelegenheit beendet war. Mit der Frage, was es denn zum Abendessen gäbe, wandte er sich demonstrativ seiner Frau zu und verließ seine Terrasse, ohne sich um den Fremden weiter zu interessieren. Gordon war klar, hier war er, was seine Recherche betraf, fehl am Platze.

Der Detektiv schaute auf seine Armbanduhr. Es war noch Zeit genug vorhanden, um heute noch die andere Adresse aufzusuchen, die er heute Vormittag nicht erreicht hatte. Um dorthin zu gelangen, führte ihn die Stimme der Navigatorin rund um Köln. Dieser Norbert Burger wohnte in Porz. Hatte er bislang freie Fahrt gehabt, so füllte sich die Autobahn nun. Gallowayy musste seine Geschwindigkeit drosseln. Er verblieb auf der linken Spur, kam aber nicht merklich weiter als die Fahrzeuge auf den anderen beiden Fahrbahnen. Bei dem Verkehr war es fraglich, wann er dort sein könnte. Er überlegte, ob es besser sei, den Versuch auf morgen zu verschieben, aber die Anzeige des Navigators behauptete, er ei in einer halben Stunde am Ziel. Besser war es in jedem Falle, wenn er heute schon Bescheid wusste, ob dieser Gedanke mit den Familienkontakten erfolgreich war oder nicht. Sehr erfolgreich war seine Mission bislang nicht gewesen. Er beschloss, sich telefonisch bei Hartung zu melden. Er vergrößerte den Abstand zum vorfahrenden Fahrzeug und tippte die Telefonnummer in die Tastatur. Hartung meldete sich sofort. Dieser hatte aber auch noch keine neuen Informationen. Er vertröstete seinen Auftraggeber auf den nächsten Tag, da er heute Abend noch Informationen erwartete.

Köln Porz