Der Marduk-Zyklus: Das trojanische Schiff - David Weber - E-Book

Der Marduk-Zyklus: Das trojanische Schiff E-Book

David Weber

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Beschreibung

Der krönende Abschluss des Marduk-Zyklus!

Prinz Roger MacClintock war einst Thronerbe, ein selbstverliebter junger Mann ... bis er auf der Welt Marduk strandete, gemeinsam mit seinem Leibwächter-Regiment aus Royal Marines. Um von dem Planeten zu entkommen, mussten sie ihn halb umrunden, und zwar zu Fuß. Erfolgreich überquerten sie einen Kontinent und ein Meer voller schiffsfressender Ungeheuer, eroberten einen feindlichen Raumhaufen und kaperten ein Raumschiff. Eigentlich stünde der Rückkehr in die Heimat nichts mehr im Wege. Doch Roger ahnt nicht, dass ihm die schwierigste Aufgabe noch bevorsteht. Denn seine Heimat ist nicht mehr dieselbe wie zuvor ...

Ein großartiges Weltraum-Abenteuer von zwei Meistern der Military-SF! Packende Gefechtsszenen und faszinierende Charaktere! Jetzt endlich wieder erhältlich als eBook von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

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Seitenzahl: 842

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Inhalt

Cover

Der Marduk-Zyklus

Über dieses Buch

Über die Autoren

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Der Marduk-Zyklus

Marduk: ein höllischer Dschungelplanet, auf dem es bis zu sechs Stunden täglich regnet … in der Trockenzeit. Bewohnt von riesigen Ungeheuern und feindlich gesinnten Eingeborenen …

Hier muss der selbstverliebte Adelsspross Roger MacClintock notlanden, der von seiner kaiserlichen Familie aus fadenscheinigen Gründen auf eine seltsame diplomatische Mission geschickt wurde. Zusammen mit einer Leibgarde, die ihn hasst, muss er einen Ausweg von Marduk finden. Erst im Angesicht dieser Aufgabe erweist er sich seiner Abstammung als würdig – und erfährt schließlich den wahren Grund für seine Mission …

Ein großartiges Weltraum-Abenteuer von zwei Meistern der Military-SF!

Über dieses Buch

Prinz Roger MacClintock war einst Thronerbe, ein selbstverliebter junger Mann … bis er auf der Welt Marduk strandete, gemeinsam mit seinem Leibwächter-Regiment aus Royal Marines. Um von dem Planeten zu entkommen, mussten sie ihn halb umrunden, und zwar zu Fuß. Erfolgreich überquerten sie einen Kontinent und ein Meer voller schiffsfressender Ungeheuer, eroberten einen feindlichen Raumhaufen und kaperten ein Raumschiff. Eigentlich stünde der Rückkehr in die Heimat nichts mehr im Wege. Doch Roger ahnt nicht, dass ihm die schwierigste Aufgabe noch bevorsteht. Denn seine Heimat ist nicht mehr dieselbe wie zuvor …

Über die Autoren

David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der Honor-Harrington-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.

John Ringo hat über 50 Romane geschrieben, die meisten davon im Bereich militärischer Science-Fiction. Nach einer von vielen Umzügen geprägten Kindheit diente er längere Zeit im US-Militär, bevor er seinen ersten Roman veröffentlichte. Der Erfolg seiner Bücher erlaubte ihm bald, vom Schreiben zu leben. Viele seiner Romane entstanden in Zusammenarbeit mit anderen Autoren. Er lebt heute in Tennessee.

David WeberJohn Ringo

DAS TROJANISCHE SCHIFF

Band 4

Aus dem Englischen vonvon Ulf Ritgen

beBEYOND

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Die deutsche Erstausgabe erschien 2007 bei Bastei Lübbe Taschenbücher in der Verlagsgruppe Lübbe. Die amerikanische Originalausgabe trägt den Titel »We Few«.

Copyright © 2003 by David Weber and John Ringo

Published by Arrangement with BAEN BOOKS, Wake Forest, NC 27588 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Gerhard Arth / Ruggero Leò

Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Triff | © DeviantArt: ocd1c-stock

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4578-0

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Dieses Buch ist fürGena und Lindsey,ohne die ich es niemals hätte

Prolog

Roger Ramius Sergei Alexander Chiang MacClintock – den zeitgenössische politische Schriftsteller mit verschiedenen Titeln belegten, darunter ›Roger der Schreckliche‹, ›Roger der Wahnsinnige‹, ›der Tyrann‹, ›der Erneuerer‹ und sogar ›der Familienmörder‹ –, jüngstes der drei Kinder von Alexandra VII., begann seine Karriere nicht als der vielversprechendste Spross, den die berühmte MacClintock-Dynastie jemals hervorgebracht hatte. Vor dem Adoula-Putsch wurde der damalige Prinz Roger, dessen Vater, Lazar Fillipo, der sechste Earl of New Madrid, Alexandra niemals geehelicht hatte, als übermäßig gutaussehender, egozentrischer und geckenhafter Kleiderständer angesehen. In Kreisen des Hofes war weithin bekannt, dass seine Mutter ernstlich Zweifel an seiner Zuverlässigkeit hegte und sehr enttäuscht darüber war, wie träge und egozentrisch er die Pflichten und die Verantwortung vernachlässigte, die mit seiner Stellung als Thronerbe Dritten Grades des Kaiserreiches der Menschheit einherging. Weit weniger bekannt, wenn auch kaum als ›Geheimnis‹ zu betrachten, war ihr anhaltender Zweifel an seiner Treue dem Geschlecht der MacClintock gegenüber.

Vor diesem Hintergrund war es vielleicht nicht ungerechtfertigt, dass auf ihn, als der ›Playboy-Prinz‹ und seine Leibgarde (die Bravo-Kompanie des Bronze-Bataillons der Kaiserlichen Garde) während der Fahrt zu einer Routine-Flaggenparade, nur wenige Monate vor einem Angriff auf den Kaiserlichen Palast, der Verdacht fiel. Die Attentate auf seinen älteren Bruder, Kronprinz John, und auf seine Schwester, Prinzessin Alexandra, sowie auf sämtliche von Johns Kindern, zusammen mit dem mutmaßlichen Versuch, die Kaiserinmutter zu ermorden, hätten Roger zum einzigen Überlebenden in der Erbfolge auf den Thron gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war nicht bekannt, dass diejenigen, die tatsächlich hinter dem Putsch standen, davon überzeugt waren, Roger und seine Leibgarde, allesamt Marines, seien tot, denn das Attentat auf ihn hatte tatsächlich die erste Phase ihres Planes, Kaiserin Alexandra zu stürzen, dargestellt. Indem sie sich Zugriff auf das Computer-Implantat einer Subalternoffizierin an Bord genau des Schiffes verschafft hatten, das den Prinzen zu seinem Bestimmungsort hatte bringen sollen, waren sie dank der unfreiwilligen Mithilfe dieser auf diese Weise programmierten Agentin in der Lage, Sprengladungen an strategisch wichtigen Punkten des Maschinenraums des Schiffes zu verstecken. Ihren Plänen abträglich war, dass die Saboteurin entdeckt wurde, bevor sie ihre Aufgabe zur Gänze erfüllen konnte, und so wurde das Schiff schwer beschädigt, jedoch nicht völlig zerstört.

Statt einen fast augenblicklichen Tod im All zu finden, strandete der ›Playboy-Prinz‹ auf dem Planeten Marduk … ein Schicksal, das manche als nicht wünschenswerter als den Tod erachtet haben würden. Auch wenn das Kaiserreich offiziell Anspruch auf diesen Planeten erhob und es sogar einen imperialen Raumhafen gab, war es dem Befehlshaber der Leibgarde des Prinzen, Captain Armand Pahner, sofort bewusst, dass das gesamte System de facto unter der Kontrolle des Caravazanischen Reiches stand, dem skrupellosen Rivalen des Kaiserreiches der Menschheit. Die fanatisch ausgelebte Überzeugung, man müsse die Menschheit, die sämtliche Planeten nur verschmutzten und die dortigen Ökosysteme zerstörten, auf so vielen Planeten wie nur irgend möglich auslöschen, wurde nur von ihrem drängenden Bedürfnis übertroffen, das Kaiserreich der Menschheit als vorherrschenden politischen und militärischen Machtfaktor im gesamten erkundeten Weltall abzulösen. Ihr Interesse an Marduk ließ sich leicht damit erklären, dass dieses System in der Nähe der etwas undeutlich gezogenen Grenze zwischen den beiden rivalisierenden Sternen-Nationen von strategischer Bedeutung war, auch wenn die Tatsache, dass sich dort mindestens zwei ihrer Unterlicht-Kreuzer befanden, ein gewisses Problem darstellte. Doch was auch immer der genaue Grund für ihre dortige Anwesenheit sein mochte, es war von vordringlicher Bedeutung, dass der Erbe Dritten Grades ihnen nicht in die Hände fiel.

Um das zu verhindern, hatte die gesamte Mannschaft von Rogers Transportschiff, der Charles DeGlopper, ihr Leben geopfert, indem sie sich verzweifelt in einen Nahkampf gestürzt hatte, bei dem beide im System befindlichen Kreuzer der Saints zerstört wurden, ohne dass diese zuvor die Identität der DeGlopper hatten in Erfahrung bringen können, geschweige denn die Tatsache, dass sich Roger an Bord befunden hatte. Kurz vor der letzten Schlacht des Transporters waren der Prinz und seine Marines-Leibwachen, zusammen mit seinem Kammerdiener und seiner ehemaligen Privatlehrerin, unbemerkt an Bord der Sturmfähren der DeGlopper zur Oberfläche des Planeten entkommen. Dort hatten sie dann vor der ehrfurchtgebietenden Aufgabe gestanden, einmal den halben Planeten zu umrunden, einen der feindseligsten, rein technisch gesehen gerade noch bewohnbaren Planeten, auf den das Kaiserreich jemals Anspruch erhoben hatte, um dort dann den Raumhafen anzugreifen und einzunehmen.

Das war, wie praktisch allen von vornherein klar war, eine unmögliche Aufgabe, doch die ›Bronze-Barbaren‹ bestanden nicht nur aus imperialen Marines. Sie gehörten zur Kaiserlichen Garde, und ob es nun unmöglich war oder nicht, es gelang ihnen.

Acht endlose Monate lang kämpften sie sich quer über eine halbe Welt voller boshafter, angriffslustiger Fleischfresser, durch drückend heißen Dschungel, durch Sümpfe, über Berge, durch Ozeane und mörderische Barbarenarmeen. Als ihre hochentwickelten Waffensysteme angesichts von Marduks unbändigem Klima und der dortigen Ökologie versagten, improvisierten sie neue – Schwerter, Wurfspieße, Schwarzpulver-Gewehre und Vorderlader-Geschütze. Sie erlernten den Bau von Schiffen. Sie rieben die furchtbarste Nomadenarmee auf, die Marduk jemals erlebt hatte, und das Gleiche taten sie dann auch mit dem Reich der kannibalischen Krath. Zuerst hatten die drei Meter großen Eingeborenen von Marduk, gehörnt, vierarmig, kaltblütig und schleimbedeckt, die kleinen, zweibeinigen Besucher ihres Planeten ernstlich unterschätzt. Körperlich ähnelten die Menschen übergroßen Basiks – kleinen, dummen, kaninchenartigen Tieren, die auf Marduk schon die Kinder zu jagen pflegten, mit nichts anderem als nur Stöcken bewaffnet. Doch die Mardukaner, die das Pech hatten, sich der Kaiserlichen Garde in den Weg zu stellen, lernten sehr bald, dass diese Basiks sehr viel todbringender waren als alle Raubtiere, die ihre Heimatwelt hervorgebracht hatte.

Und während dieses gewaltigen Marsches entdeckte der ›Playboy-Prinz‹, dass er tatsächlich ein Erbe von Miranda MacClintock war, der ersten Kaiserin der Menschheit. Zu Beginn dieses heldenhaften Gewaltmarschs über die Oberfläche von Marduk hinweg empfanden die einhundertneunzig Marines der Bravo-Kompanie nichts als Verachtung für das nutzlose, verzogene Prinzlein, das zu beschützen ihre Aufgabe war; an dessen Ende wären die zwölf Überlebenden der Bravo-Kompanie unter seiner Führung mit nichts als aufgepflanzten Bajonetten geradewegs in die die Hölle selbst gestürmt. Und das Gleiche galt für die Mardukaner, die als ›Die Basikliche Garde‹ in seine Dienste getreten waren.

Doch nachdem sie, entgegen jeder Erwartung und allen Chancen, tatsächlich den Raumhafen eingenommen und ein Sondereinsatzschiff der Saints gekapert hatten, das gerade mit dem Landeanflug begonnen hatte, standen die Überlebenden Bronze-Barbaren und die Basikliche Garde vor einer noch entmutigenderen Aufgabe, denn sie mussten erfahren, dass der Putschversuch, den Jackson Adoula, Prinz von Kellerman, unternommen hatte, offensichtlich erfolgreich gewesen war. Bedauerlicherweise schien niemand sonst zu bemerken, dass jegliches Handeln von Kaiserin Alexandra jetzt durch genau die Personen gesteuert wurde, die ihre Kinder und Enkel hatten ermorden lassen. Und noch schlimmer war die Entdeckung, dass der berüchtigte Verräter Prinz Roger Ramius Sergei Alexander Chiang MacClintock durch jedes einzelne Mitglied des imperialen Militärs und sämtlicher Polizeistreitkräfte gesucht wurde: als der Verbrecher, der den Angriff auf seine eigene Familie durchgeführt hat.

Dessen ungeachtet …

- Dr. phil. Arnold Liu-Hamner,aus Kapitel 27: »Der Beginn der Chaosjahre«,Das MacClintock-Erbe, Band 17, 7 Ausgabe, 3517,Verlag Souchon, Fitzhugh & PorterAlonzo Wilberforce Sloan (a. D.)

Kapitel 1

Zuallererst löschten sie den Raumhafen aus.

Die kinetische Energiewaffe von einer Kilotonne war ein Eisenklumpen, so groß wie ein kleiner Flugwagen. Auf den Bildschirmen des Sondereinsatz-Schiffes der Saints schaute er zu, wie sie in die oberen Atmosphärenschichten von Marduk eindrang und dann geradewegs auf ihr Ziel zuhielt. Dann explodierte sie in einem Blitz aus Licht und Plasma, und die pilzförmige Rauchwolke erstreckte sich bis in die Atmosphäre und breitete sich über die nächstgelegenen Krath-Dörfer aus.

Als der Raumhafen in Plasma verwandelt wurde, war er bereits vollständig verlassen. Alles, was sich von dort fortbewegen ließ – und es hatte sich herausgestellt, dass das wirklich für alles galt, von den Gebäuden selbst und einigen wenigen, festinstallierten Anlagen abgesehen –, hatte man mitgenommen. Die Fabrikationsanlage Klasse Eins, mit der Kleidung und Werkzeuge und kleinere Waffen hergestellt werden konnten, hatte man heimlich nach Voitan gebracht, zusammen mit den meisten der Menschen, denen man nicht hatte trauen können, einschließlich sämtlicher Überlebender der Saints-Kommandos, die man bei der Erstürmung ihres Schiffes gefangen genommen hatte. Bald konnten sie in den Minen von Voitan arbeiten, ihren Beitrag zum Wiederaufbau der Stadt leisten, oder, da sie doch die Natur so sehr liebten, natürlich auch jederzeit in die Dschungel von Marduk flüchten, in denen es vor Fleischfressern nur so wimmelte, und die wären gewiss mehr als zufrieden darüber, sie zu verspeisen.

Mit steinerner Miene betrachtete Prinz Roger Ramius Sergei Alexander Chiang MacClintock die Explosion, dann wandte er sich der kleinen Gruppe zu, die sich auf der Brücke befand.

»Okay, los geht’s.«

Der Prinz war beinahe zwei Meter groß und schlank, dabei aber muskulös, so durchtrainiert und stark, wie man es sonst von Profi-Null-g-Ballsportlern kannte. Das lange blonde Haar, das er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug, war von der Sonne so ausgeblichen, dass es fast weiß wirkte, und sein gutaussehendes, beinahe hübsch zu nennendes Gesicht von klassischer europäischer Schönheit war sonnengebräunt. Es hatte viele Falten und wirkte äußerst hart, sodass er viel älter wirkte als die zweiundzwanzig Standardjahre, die er tatsächlich zählte. Seit zwei Wochen hatte er weder gelacht noch gelächelt, und während er mit seiner langen, gelenkigen Hand der zwei Meter langen schwarzroten Echse neben sich, die die Schulterhöhe eines Ponys hatte, den Rücken kratzte, waren Prinz Rogers jadegrüne Augen noch härter als sein Gesicht.

Es gab viele Gründe für die Falten, für das schnelle Altern, für die Härte, die seine Augen und auch die Haltung seiner Schultern ausstrahlten. Noch vor neun Monaten war Roger MacClintock – der hinter seinem Rücken auch ›Master Roger‹ genannt wurde, oder einfach nur ›der Prinz‹ – längst nicht so voller Falten gewesen, längst nicht so hart. Als er, seine Stabschefin und sein Kammerdiener, und dazu eine Kompanie Leibwachen vom Imperialen Marine-Korps, aus Imperial City gescheucht, in ein angeschlagenes, altes Sturmschiff gepackt und auf eine völlig unwichtige politische Mission geschickt worden waren, hatte er darin nur ein weiteres Anzeichen dafür gesehen, dass seine Mutter mit ihrem jüngsten Sohn nicht zufrieden sei. Er hatte nichts des diplomatischen und bürokratischen Geschicks seines älteren Bruders gezeigt, Kronprinz John, dem Erben Ersten Grades, und auch nicht die militärische Sachkenntnis seiner ebenfalls älteren Schwester, Admiralin Prinzessin Alexandra, Erbin Zweiten Grades. Anders als sie hatte Roger seine Zeit damit verbracht, Null-g-Ball zu spielen, auf Großwildjagd zu gehen und ganz allgemein das Leben eines Playboys zu leben, und er war davon ausgegangen, seine Mutter habe lediglich beschlossen, es sei an der Zeit, dass er zur Ruhe käme und endlich begänne, die Aufgaben eines Erben Dritten Grades auch zu erfüllen.

Was er damals nicht gewusst hatte, was er erst Monate später erfahren hatte, das war, dass man ihn kurz vor einem regelrechten Feuersturm aus der Stadt gescheucht hatte. Irgendwie hatte die Kaiserin davon erfahren, dass die gut verborgenen Feinde des Geschlechts der MacClintock kurz davor standen, einen entscheidenden Zug zu machen. Jetzt wusste Roger das. Was er immer noch nicht wusste, das war, ob sie ihn aus dem Weg hatte haben wollen, um ihn zu beschützen … oder um das Kind, an dessen Treue sie zweifelte, aus sämtlichen Kampfhandlungen heraus- und von allen Versuchungen fernzuhalten.

Mittlerweile wusste er, dass die Gruppe von Verschwörern, die hinter dieser Krise steckten – dieser Krise, die seine Mutter schon erahnt hatte –, diese Krise sorgfältig und von langer Hand geplant hatten. Die Sabotage an Bord der Charles DeGlopper, seinem Transportschiff, hatte lediglich den ersten Schritt dargestellt, auch wenn weder ihm noch den Leuten, die dafür verantwortlich waren, sein Leben zu retten und ihn am Leben zu halten, das zu dem damaligen Zeitpunkt bewusst gewesen war.

Was Roger sehr wohl begriffen hatte, war, dass die gesamte Mannschaft der DeGlopper ihr Leben geopfert hatte, in einem hoffnungslosen Kampf gegen die Unterlicht-Kreuzer der Saints, die sie im Marduk-System geortet hatten, als es dem schwer angeschlagenen Schiff schließlich gelungen war, sich bis dorthin zu schleppen. Sie hatten sich diesen Schiffen zum Kampf gestellt, statt an Kapitulation auch nur zu denken, einzig aus dem Grund, Rogers eigene Flucht an Bord der Sturmfähren der DeGlopper zu sichern, und es war ihnen auch gelungen.

Roger hatte immer gewusst, dass die Marines, denen man die Aufgabe erteilt hatte, ihn zu beschützen, ihm gegenüber die gleiche Verachtung empfanden wie alle Personen bei Hofe, und die Mannschaft der DeGlopper hatte auch tatsächlich keinerlei Grund, anders über ihn zu denken. Doch sie hatten den Tod gefunden, während sie ihn beschützten. Sie hatten ihr Leben gegeben, um seines zu retten, und sie sollten auch nicht die Letzten gewesen sein, die das taten. Während die Männer und Frauen der Bravo-Kompanie vom Bronze-Bataillon der Kaiserlichen Garde sich quer über einen Planeten gekämpft hatten, waren sie so oft gezwungen gewesen, sich zu überwältigend schlimmen Bedingungen immer wieder zum Kampf zu stellen, sodass der junge Prinz nur allzu viele von ihnen hatte fallen sehen. Und während sie gefallen waren, hatte der junge Stutzer gelernt – auf die härtestmögliche Art und Weise gelernt –, nicht nur sich selbst zu verteidigen, nicht nur für sich selbst zu kämpfen, sondern auch für die Soldaten rings um ihn. Soldaten, die mehr geworden waren als nur Wachen, mehr als Familie, mehr als Brüder und Schwestern.

In den acht grausamen Monaten, die es gedauert hatte, den Planeten zu überqueren, Bündnisse zu schließen, Schlachten zu schlagen und endlich den Raumhafen einzunehmen und das Schiff zu kapern, auf dessen Brücke er jetzt in diesem Augenblick stand, war aus dem jungen Stutzer ein Mann geworden. Mehr als nur ein ›Mann‹ – ein abgebrühter Killer. Ein Diplomat, der durch eine Schule gegangen war, in der Diplomatie und Perlkugelpistole Hand in Hand gingen. Ein Anführer, der aus den hinteren Gefechtsreihen heraus kommandieren oder an der vordersten Front mitkämpfen konnte und der auch dann noch einen klaren Kopf behielt, wenn rings um ihn das Chaos ausbrach.

Doch diese Verwandlung hatte einen hohen Preis gefordert. Es hatte mehr als neunzig Prozent der Bravo-Kompanie das Leben gekostet. Es hatte das Leben von Kostas Matsugae gekostet, seinem Kammerdiener – dem einzigen Menschen, der jemals wirklich an der Person ›Roger MacClintock‹ interessiert gewesen war. Nicht an ›Prinz Roger‹. Nicht an dem Erben Dritten Grades des Thrones der Menschheit. Einfach nur an ›Roger MacClintock‹.

Und es hatte das Leben des Befehlshabers der Bravo-Kompanie gekostet: Captain Armand Pahner.

Pahner hatte seinen – rein formellen – Vorgesetzten zunächst als völlig nutzloses Anhängsel betrachtet, das unbedingt beschützt werden musste, dann als akzeptablen Subalternoffizier, und schließlich als einen wahren Krieger, der dem Geschlecht der MacClintock entstammte. Als jungen Mann, der tatsächlich würdig wäre, Kaiser zu werden und das Kommando über das Bronze-Bataillon zu übernehmen. Er war mehr als ein Freund geworden. Er war zu dem Vater geworden, den Roger niemals gehabt hatte, ein Mentor, fast schon ein Gott. Und am Ende hatte Pahner den Auftrag ausgeführt, die ganze Mission und Rogers Leben gerettet, indem er sein eigenes dafür hergegeben hatte.

Roger MacClintock konnte sich nicht mehr an die Namen sämtlicher Gefallener erinnern. Zuerst waren sie nur gesichtslose Gestalten gewesen. Viel zu viele waren dabei gestorben, Voitan einzunehmen und zu halten, waren durch die Speere der Kranolta umgekommen, bevor er sich auch nur ihre Namen hatte merken können. Viel zu viele waren den Atul zum Opfer gefallen, den gedrungenen Raubechsen von Marduk. Zu viele waren durch die Flar-ke gestorben, die wilden, dinosaurierartigen Verwandten der elefantenartigen Flar-ta, die sie als Lasttiere nutzten. Waren durch Vampir-Motten und ihre giftigen Larven getötet worden, die Mördermaden. Von den nomadischen Boman, von Seeungeheuern, die den schlimmsten Albträumen hätten entsprungen sein können, und von den Schwertern und Speeren der kannibalischen, ›zivilisierten‹ Krath.

Doch auch wenn er sich nicht an alle erinnern konnte, erinnerte er sich doch an viele. An die junge Plasma-Schützin Nassina Bosum, die während eines der ersten Angriffe nach einer Fehlfunktion ihrer Waffe von ebenjener in den Tod gerissen worden war. An Corporal Ima Hooker und Dokkum, den fröhlichen Bergsteiger von Sherpa, der gefallen war, als Ran Tai schon fast in Sicht gekommen war. An Kostas, den einzigen Menschen, der in den kalten Tagen von einst, vor diesem Albtraum, jemals gedacht hatte, Roger MacClintock sei doch zu irgendetwas nütze: eines dieser verwünschten Höllenkroks hatte ihn umgebracht, als er gerade Wasser für den Prinzen hatte holen wollen. Gronningen, der stämmige Kanonier, der bei der Erstürmung genau jenes Schiffes gefallen war, in dem sie jetzt unterwegs waren.

So viele waren tot, und sie mussten dennoch weiter.

Dem Saint-Schiff, um das sie so hart hatten kämpfen müssen, war deutlich anzusehen, wie grausam der Kampf bei dessen Erstürmung gewesen war. Niemand hatte damit gerechnet, dieser unscheinbare Tramp-Frachter könne in Wirklichkeit ein getarntes Sondereinsatzkommando-Schiff sein, dessen Besatzung aus Elitetruppen der Saints bestand. Das Risiko, das sie beim Versuch des Kaperns eingingen, hatte nicht allzu groß gewirkt, doch da der gesamte Gewaltmarsch und alle Opfer, die sie bis dahin gebracht hatten, vergebens gewesen wären, sollte Roger bei diesem Versuch fallen, hatte man ihn mit den nur halb ausgebildeten Mardukaner-Verbündeten zurückgelassen, während die Überlebenden der Bravo-Kompanie sich darangemacht hatten, den ›Frachter‹ zu kapern.

Die drei Meter großen gehörnten, vierarmigen Eingeborenen von der Basiklichen Garde, deren Haut stets von einer schützenden Schleimschicht bedeckt war, stammten aus den verschiedensten Regionen Marduks, mit allen nur erdenklichen Stufen präindustrieller Technik. D’Nal Cord, sein Asi – genau genommen sein ›Sklave‹, da Roger ihm das Leben gerettet hatte, ohne dazu in irgendeiner Weise verpflichtet gewesen zu sein; auch wenn jeder, der den Fehler gemacht hätte, den alten Schamanen wie einen Dienstboten zu behandeln, nicht lange genug gelebt hätte, um diesen Fehler noch zu bereuen –, und sein Neffe Denat hatten zu den X’Intai gehört, dem ersten Stamm, dem sie begegnet waren, und den man eindeutig in die Steinzeit einordnen musste. Die Vashin, die auf den wilden, fleischfressenden Civan ritten, waren ehemalige Feudalherren, deren Stadtstaat durch die tobenden Boman-Barbaren zerstört worden war; sie hatten die Kavallerie der Basiklichen Garde gestellt. Ein Großteil der Infanterie stammte aus der Stadt Diaspra – sie verehrten den Gott des Wassers, waren Baumeister und Arbeiter, die man zunächst ordentlich hatte drillen müssen, bis sie eine disziplinierte Streitmacht darstellten: zunächst als Pikeniere, dann als Gewehrschützen.

Die BasiklicheGarde war Roger durch die Schlachten hindurch gefolgt, bei denen die ›unbesiegbaren‹ Boman aufgerieben worden waren, dann waren sie mit ihm über die von Dämonen heimgesuchten Meere zu einem ihnen allen völlig unbekannten Land gefahren. Unter dem Banner eines wilden Basik, die langen Zähne in einem angriffslustigen Grinsen entblößt, hatten sie gegen die Krath-Kannibalen gekämpft und den Raumhafen eingenommen. Und letztendlich, als es den Marines nicht gelungen war, gegen die Saints-Truppen anzukommen, die sich ihnen unerwarteterweise in den Weg gestellt hatten, da hatten sie schon wieder in die Schlacht ziehen müssen.

Nachdem sie jetzt mit moderneren Waffen ausgestattet waren – Hochgeschwindigkeitsperlkugeln- und Plasma-Kanonen, die normalerweise von mehreren Soldaten gemeinsam bedient oder aber von einzelnen Soldaten eingesetzt wurden, die Dynamik-Panzerungen trugen –, waren die massigen Mardukaner als zweite Angriffswelle in das Schiff gestürmt und hatten umgehend mit Kampfhandlungen begonnen. Die Vashin-Kavallerie war von einem Posten zum nächsten gestürmt, hatte sich auf die völlig verdutzten Saints-Truppen gestürzt, die einfach nicht glauben konnten, dass ›Krabbler‹, die schwere Kanonen als Handfeuerwaffen einsetzten, tatsächlich kreuz und quer durch ihr Schiff stürmten, die Panzertüren von Andock-Hangars öffneten, sodass das Vakuum des Alls eindringen konnte, und im Allgemeinen so viel Chaos anrichteten wie nur irgend möglich. Und während die eher … individualistischen Vashin damit beschäftigt gewesen waren, hatte die diaspranische Infanterie einen Kampfplatz nach dem anderen eingenommen, allesamt schwer verteidigte Punkte, indem sie ihre Plasma-Kanonen eingesetzt hatten, als würden sie, einer nach dem anderen, ihre Musketen abfeuern, genau so, wie sie es immer taten.

Und sie hatten einen hohen Preis für ihren Sieg gezahlt. Letztendlich war das Schiff eingenommen worden, doch es hatte viel zu viele Tote und viel zu viele entsetzlich Verwundete gegeben. Und auch das Schiff selbst war im Zuge der wilden Feuergefechte schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Moderne Schiffe mit Tunnelantrieb waren bemerkenswert robust, doch sie waren nicht darauf ausgelegt, dass jeweils fünf Mardukaner nebeneinander hindurchmarschierten, sodass sie einen Gang vom einen Schott zum anderen ausfüllten und dabei eine Plasma-Salve nach der anderen abfeuerten.

Was vom Schiff noch übrig geblieben war, hätte eigentlich dringend einer Reparatur in einer Raumwerft bedurft, doch diese Möglichkeit bot sich nicht. Jackson Adoula, seines Zeichens Prinz von Kellerman, und dazu Rogers verhasster Vater, der Earl of New Madrid, hatten das unmöglich gemacht, indem sie Rogers Bruder und seine Schwester und dazu sämtliche Kinder seines Bruders ermordet und die Kaiserliche Garde abgeschlachtet hatten und es war ihnen irgendwie sogar gelungen, die Kaiserin selbst vollständig zu kontrollieren. Nicht in ihren wildesten Träumen wäre Alexandra MacClintock ein Bündnis mit Jackson Adoula eingegangen, einem Mann, den sie zutiefst verabscheute und dem sie nicht im mindesten traute. Und noch viel weniger hätte sie New Madrid geheiratet, dessen hochverräterische Neigungen ihr schon bewiesen worden waren, bevor Roger überhaupt zur Welt gekommen war. Tatsächlich war genau dieser Hochverrat, den New Madrid begangen hatte, auch der Grund gewesen, weswegen sie ihn nie geehelicht hatte … und ein Großteil der Erklärung dafür, dass sie auch Roger niemals wirklich vertraute. Doch den neuesten offiziellen Nachrichten zufolge war Adoula jetzt ihr geschätzter Flottenminister und der engste Vertraute im Kabinett, und sie hatte auch angekündigt, jetzt werde sie New Madrid heiraten. Was nur vernünftig schien, wie die Medienfritzen zu betonen nicht müde wurden, da die beiden ja schließlich die Männer waren, denen es irgendwie gelungen war, diesen versuchten Staatsstreich zu vereiteln, der beinahe erfolgreich gewesen wäre.

Dieser Putschversuch, der laut denselben Mediendiensten von niemand anderem angezettelt worden war als von Prinz Roger … und das genau zu dem Zeitpunkt, da dieser auf dem sonnigen Marduk gegen axtschwingende Boman-Barbaren um sein Leben gekämpft hatte.

Es war etwas, gelinde gesagt, faul in Imperial City. Und was auch immer es nun sein mochte, es bedeutete, dass er, statt einfach nur den Raumhafen einnehmen und eine Nachricht nach Hause schicken zu müssen – ›Mami, bitte hol mich ab‹ –, jetzt, zusammen mit den schwer angeschlagenen Kriegern, die wahrlich nicht beneidenswerte Aufgabe hatte, das gesamte Reich aus den Händen der Hochverräter zu retten, die irgendwie, in einer Roger noch völlig unverständlichen Weise, auch das Handeln der Kaiserin selbst bestimmten. Die Überlebenden der Bravo-Kompanie – alle zwölf! – und die verbliebenen zweihundertneunzig Mitglieder der Basiklichen Garde standen jetzt also einhundertundzwanzig Sternensystemen gegenüber, mit einer Gesamtbevölkerung von etwa einer Dreiviertelbillion Menschen, mit unzählig vielen Soldaten und Schiffen. Und nur um das Ganze noch ein wenig entmutigender zu gestalten, hatten sie auch noch ein Zeitproblem. Alexandra war ›schwanger‹ – ein neuer Erbe war in den Uteral-Replikator eingesetzt worden: ein echter Bruder Rogers, aus dem Genmaterial seiner Mutter und seines Vaters –, und nach geltendem imperialen Recht war dieser Fetus, nachdem nun Roger wegen Hochverrats offiziell sämtliche Rechte entzogen worden waren, unmittelbar nach seiner Geburt der neue Erbe Ersten Grades.

Rogers Berater waren allesamt der Ansicht, das Leben seiner Mutter werde noch ungefähr so lange Bestand haben wie ein Tropfen Spucke auf einem heißen Backblech, wenn dieser Uteral-Replikator erst einmal geöffnet worden war.

Und das erklärte auch den Rauchpilz, der auf den Bildschirmen nun langsam kleiner und kleiner wurde. Wenn die Saints hierherkamen, um nach ihrem verschwundenen Schiff zu suchen, oder auch, falls ein Imperialer Transporter endlich doch einmal hier auftauchen würde, um in Erfahrung zu bringen, warum die Alte Erde schon so lange nichts mehr von Marduk gehört hatte, dann würde es jetzt so aussehen, als habe ein Piratenschiff die Anlage geplündert und sei dann in den Tiefen des Raums verschwunden. Es sah auf jeden Fall nicht danach aus, als sei das hier der erste Schritt eines Konter-Staatsstreichs, der das Ziel hatte, den Thron wieder für das Geschlecht der MacClintock zurückzuerobern.

Roger warf einen letzten Blick auf die Bildschirme, dann wandte er sich ab und führte seinen Stab zur Offiziersmesse des Schiffs. Auch wenn die Messe selbst nicht durch die Kämpfe in Mitleidenschaft gezogen worden war, erwies sich der Weg dorthin als nicht ganz ungefährlich. Sämtliche Zugänge zur Brücke hatten immensen Schaden genommen – tatsächlich waren die Decks und die Schotts des kurzen Sicherheitsganges vor der Brücke im Plasma-Feuer von beiden Seiten einfach verdampft. Als behelfsmäßigen Zugang hatte man einen schmalen, flexiblen Laufsteg aus Kohlefaserverbundstoffen ausgelegt, und nun überquerten sie ihn vorsichtig, einer nach dem anderen. Der dahinterliegende Korridor sah nicht viel besser aus. Viele der Löcher im Deck waren mittlerweile repariert, doch andere klaffende Öffnungen waren einfach nur mit gelber Leuchtfarbe markiert worden, und an vielen Stellen musste Roger unweigerlich an den Schweizer Käse denken, den er von der Alten Erde kannte.

Behutsam bahnten er und sein Stab sich einen Weg an den noch nicht reparierten Löchern im Deck vorbei und erreichten schließlich die Luke, durch die man in die Offiziersmesse gelangte; dort setzte sich Roger ans Kopfende des großen Tisches. Er lehnte sich zurück, wirkte dabei völlig entspannt, und die Echse rollte sich neben ihm zu einem erstaunlich kleinen Ball zusammen. Doch Rogers ruhiges Äußeres vermochte niemanden hier zu täuschen. Er hatte sehr hart daran gearbeitet, in jeder wie auch immer gearteten Situation den Eindruck zu erwecken, völlig kaltblütig zu sein. Das hatte er sich vom mittlerweile gefallenen Captain Pahner abgeschaut, doch Roger fehlten noch die vielen Jahre soldatischer Erfahrung, die sein Vorbild gehabt hatte. Die Spannung, die Energie, der Zorn, all das verströmte er in allzu deutlichen Wellen.

Er schaute zu, wie die anderen nach und nach ihre Plätze einnahmen.

D’Nal Cord hockte sich neben die Echse, hinter Roger, lautlos wie ein Schatten – was er in mancherlei Hinsicht auch war; er stützte sich auf den langen Speer, der ihm zugleich auch als Gehstock diente. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Personen war schon sehr interessant. Auch wenn das Gesetz seines Volkes D’Nal Cord zu Rogers Sklaven machte, hatte der alte Schamane doch sehr schnell begriffen, dass Roger ein junger Adliger war, und ein immens verzogener noch dazu. Trotz seines offiziellen Status als ›Sklave‹ hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, dieses verzogene Bürschchen zu einem richtigen Mann zu machen, ganz zu schweigen davon, dass er ihn auch ein wenig mehr über das Schwert lehren wollte – eine Waffe, die Cord in jungen Jahren in sehr viel zivilisierteren Gebieten von Marduk ausgiebig studiert hatte.

Die einzige Kleidung, die Cord trug, war ein langer Rock aus Dianda, hergestellt in seiner eigenen Heimat. Sein Volk, die X’Intai, sahen – ebenso wie die meisten anderen Mardukaner, denen die Menschen begegnet waren – nur wenig Sinn im Tragen von Kleidung. Doch in Krath hatte er dieses einfache Kleidungsstück angelegt, weil es dort üblich war, bekleidet zu sein, und dann hatte er es einfach weiter getragen, obschon ihm dieser Brauch äußerst barbarisch erschien, einfach weil Menschen so viel Wert darauf legten.

Pedi Karuse, die junge Mardukanerin zu seiner Linken (dort saß sie nur, weil hinter ihm kein Platz mehr war), war selbst für eine Frau und für mardukanische Verhältnisse recht klein. Ihre Hörner waren poliert und in einem leicht honigfarbenen Goldton geschminkt, und sie trug ein leichtes Gewand aus blauem Dianda; auf ihrem Rücken hatte sie zwei Schwerter über Kreuz geschnallt. Die Beziehung dieser Tochter eines Stammesoberhauptes der Shin zu Cord war, wenn das überhaupt möglich war, noch ›interessanter‹ als die Beziehung von Cord zu Roger.

Ihr Volk hatte mit den X’Intai viele gesellschaftliche Gepflogenheiten gemein, und als Cord sie aus den Händen von Sklavenjägern der Krath befreit hatte, war sie aufgrund ebendieser Gepflogenheiten zur Asi des Schamanen geworden, so wie dieser eben Rogers Asi war. Und da Roger sich zu diesem Zeitpunkt bereits ganz ordentlich gemacht hatte, war Cord dazu übergegangen, jetzt seinen neuen ›Sklaven‹ auszubilden, nur um feststellen zu müssen, dass er sich damit völlig neuartige Kopfschmerzen eingehandelt hatte.

Pedi war mindestens ebenso eigensinnig und halsstarrig wie der Prinz, dabei aber noch ein gutes Stück wilder – wenn das überhaupt noch möglich war. Was jedoch viel schlimmer war: Der uralte Schamane, dessen Frau und dessen Kinder schon vor langer Zeit gestorben waren, hatte feststellen müssen, dass er sich zu seiner ›Asi‹ sehr viel mehr hingezogen fühlte, als sich das in einer Gesellschaft schickte, in der die Beziehung zwischen einer Asi und ihrem Herrn absolut verboten war. Sämtlichen ehrenwerten Absichten, die Cord eindeutig gehabt hatte, war in die Quere gekommen, dass Cord eine fast tödliche Verletzung davongetragen hatte, als sie gegen die Krath gekämpft hatten, und das ausgerechnet zu genau dem Zeitpunkt, da er in die jährliche ›Brunft‹ gekommen war, und Pedi hatte es übernommen, sich um ihn zu kümmern. Sie hatte die Anzeichen erkannt und eigenmächtig beschlossen, es sei lebensnotwendig, dass sein geschundener Körper wenigstens diesen Druck würde abbauen können.

Cord, der zu diesem Zeitpunkt nur halb bei Bewusstsein war und immer wieder ins Delirium fiel, hatte sich an nichts davon erinnert. Es hatte einige Zeit gebraucht, bis er erkannt hatte, was sich an seiner Asi verändert hatte – und erst seit wenigen Wochen wusste er, dass er wieder Vater werden würde.

An dieses Wissen musste er sich immer noch erst gewöhnen, doch in der Zwischenzeit war Pedis Vater zu einem von Rogers wichtigsten Verbündeten auf dem Planeten geworden. Nach vergeblichem Protest seitens des Schamanen, er sei schließlich viel zu alt, um ein angemessener Ehemann für Pedi zu werden, hatten die beiden in einer Shin-Zeremonie geheiratet. Falls andere Shin bemerkt hatten, dass Pedi die ersten Anzeichen einer Schwangerschaft zeigte – sie entwickelte die ›Blasen‹ auf dem Rücken, in denen die Feten heranwachsen würden –, dann hatten sie das taktvoll ignoriert.

Doch trotz dieser Eheschließung erforderte Pedis Ehre als Asi immer noch, dass sie den Schamanen beschützte (ob sie nun schwanger war oder nicht), ebenso, wie er verpflichtet war, Roger zu beschützen. Also musste Roger damit leben, dass diese beiden ihm fast stets wie eine kleine Prozession folgten, wohin er auch ging. Wann immer er es konnte, versuchte er sie abzuschütteln, doch einfach war das nicht.

Eleanora O’Casey, Rogers Stabschefin und die einzige überlebende ›Zivilistin‹ unter den Passagieren der DeGlopper, setzte sich in den Sessel zu seiner Rechten. Eleanora, eine zierliche Frau mit braunen Haaren und hübschem Gesicht, hatte schon keinen Stab mehr gehabt, deren Chefin sie hätte sein können, als sie auf Marduk gelandet waren. Die Kaiserin hatte ihr diese Aufgabe übertragen, weil sie gehofft hatte, ihre angesehenen wissenschaftlichen Fähigkeiten – sie war Historikerin mit mehreren Titeln und Spezialistin auf dem Gebiet der Politologie – würden vielleicht ein wenig auf ihren Taugenichts-Sohn abfärben. Sie war ein echtes Stadtmädchen, das stets mit dem fast ausdruckslosen, leicht nasalen Akzent sprach, wie er in Imperial City üblich war, und zu Beginn des Marsches quer über den Planeten hatten sich Roger und alle anderen gleichermaßen gefragt, wie lange sie wohl durchhalten würde. Dann hatte sich herausgestellt, dass unter dem unscheinbaren Äußeren eine ganze Menge Stahl verborgen lag, und ihr Wissen über die gute alte, altmodische Politik der Stadtstaaten hatte sich zu mehr als nur einer Gelegenheit als absolut unerlässlich erwiesen.

Eva Kosutic, Sergeant Major der Bravo-Kompanie und Hohepriesterin der Satanistischen Kirche von Armagh, setzte sich Eleanora gegenüber. Sie hatte ein flaches, scharf geschnittenes Gesicht und dunkelbraune, fast schwarze Haare. Diese Kriegerin, im Nahkampf todbringend und ein ausgezeichneter Sergeant Major –, war jetzt die Befehlshaberin dieses Überbleibsel der Bravo-Kompanie – die jetzt noch in etwa die Mannstärke eines Trupps besaß – und fungierte zugleich als Rogers militärische Beraterin.

Sergeant Adib Julian, ihr Geliebter und Freund, setzte sich neben sie. Der einstige Waffenmeister war schon immer der klassische fröhliche Krieger‹ gewesen, ein echter Spaßvogel und Scherzbold, der umso lustiger wurde, je schlimmer die Lage sich entwickelte. Doch seine stets lachenden schwarzen Augen wirkten deutlich überschattet, seit sein bester Freund und für alle Scherze zuverlässiger Stichwortgeber, Gronningen, gefallen war.

Julian gegenüber saß Sergeant Nimashet Despreaux. Sie war größer als Kosutic oder Julian, hatte langes braunes Haar und ein Gesicht, das schön genug war, sodass sie als erstklassiges Model hätte arbeiten können. Doch während die meisten Models sich ausgiebig hatten körperskulpturieren lassen, war bei Despreaux alles natürlichen Ursprungs, von ihrer hohen Stirn bis zu ihren langen Beinen. Sie war eine ebenso gute Kriegerin wie jeder andere hier am Tisch, doch in den letzten Wochen hatte sie nicht mehr gelacht. Jeder Tod, ob nun von Freund oder Feind, lastete schwer auf ihrer Seele, und die tausenden von Leichen, die sie hinter sich zurückgelassen hatten, waren den Schatten in ihrem Blick nur allzu deutlich anzusehen. Das Gleiche galt für ihre Beziehung zu Roger. Trotz ihrer eigenen entschlossenen Gegenwehr und mehr als nur ein paar ›Ausrutschern‹, konnten Roger und sie nicht mehr länger so tun – es sich nicht einmal selbst vormachen –, als hätten sie sich nicht ernstlich ineinander verliebt. Doch Despreaux war ein Mädchen vom Lande, stammte so sehr aus der Unterschicht, wie das im allgemein sehr egalitären Kaiserreich nur möglich war, und sie hatte sich schlichtweg geweigert, einen Kaiser zu heiraten. Und genau das würde Roger eines Tages unweigerlich werden, wenn die Bravo-Kompanie dieses Unternehmen erfolgreich würde abschließen können.

Einmal schaute sie kurz zu ihm hinüber, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück, die Augen zu Schlitzen verengt und sehr wachsam.

Neben ihr, in einem der übergroßen Sessel, die sie extra hatten anfertigen lassen, damit auch Mardukaner darin Platz finden konnten, saß Captain Krindi Fain. Für einen Menschen war Despreaux groß, doch neben diesem Mardukaner wirkte sie geradezu zwergenhaft. Der ehemalige Steinbrucharbeiter trug das blaue Kampfgeschirr der diaspranischen Infanterie und dazu den Kilt, den die Infanterie in Krath übernommen hatte. Auch er verschränkte die Arme vor der Brust, alle vier, und lehnte sich entspannt zurück.

Hinter Fain ragte Erkum Pol auf, so groß, dass er sich ein wenig bücken musste, um nicht mit seinen Hörnern gegen die Decke zu stoßen. Krindis Leibwächter war zugleich sein ranghöchster Unteroffizier, sein Offiziersbursche und sein ständiger Schatten. Intellektuell nicht gerade übermäßig ausgestattet, war Erkum riesenhaft, selbst für einen Mardukaner, und ›hatte geschickte Hände‹ – vorausgesetzt, sein Ziel war in Reichweite einer Nahkampfwaffe. Wenn man ihm jedoch eine Schusswaffe gab, dann war der sicherste Ort, an den man fliehen konnte, der Platz zwischen ihm und seinem Gegner.

Rastar Komas Ta’Norton, einstiger Prinz von Therdan, saß Krindi gegenüber; er trug die Lederkleidung der Vashin-Kavallerie. Seine Hörner waren ausgiebig mit Schnitzereien und Juwelen verziert, so wie es einem Prinzen von Therdan zustand, und in seinem Kampfgeschirr steckten vier Perlkugelpistolen, eigens für Mardukaner-Hände angefertigt; auch das stand einem Prinzen von Therdan zu, der zufälligerweise auch noch ein Verbündeter des Kaiserreiches war. Zuerst hatte er gegen Roger gekämpft, dabei aber verloren, dann hatte er sich ihm angeschlossen und fortan stets an seiner Seite gefochten. Jeden einzelnen Kampf hatte er siegreich beendet, und die Perlkugelpistolen trug er wirklich nicht nur, um damit ehrfurchtgebietender zu wirken. Wahrscheinlich war er die einzige Person an Bord, die schneller war als Roger, obwohl schon der Prinz Reflexe besaß, die es mit denen einer Kobra aufnehmen konnten.

In dem ebenfalls übergroßen Sessel neben ihm saß sein Cousin, Honal, der gemeinsam mit ihm entkommen war und einen Fluchtweg für die einzigen Frauen und Kinder freigeschlagen hatte, die überlebt hatten, als Therdan und der Rest der Grenzstaaten von den Boman überrannt worden waren. Es war Honal gewesen, der ihre wild zusammengewürfelte Streitmacht aus Menschen und Mardukanern ›die BasiklicheGarde‹ getauft hatte. Eigentlich hatte dieser Name nur ein Scherz sein sollen, ein Wortspiel mit der Bezeichnung ›Kaiserliche Garde‹, zu der eben auch das Bronze-Bataillon gehörte. Doch Rogers Truppen hatten den Namen zu etwas völlig anderem als einem ›Scherz‹ gemacht, auf mehr als einem Dutzend Schlachtfelder und in unzähligen kleinen Scharmützeln. Honal, der für einen Mardukaner recht klein war, hatte sich als ausgezeichneter Reiter erwiesen, als hervorragender Schütze und noch besserer Schwertkämpfer. Zudem war er verrückt genug, um auf die Idee zu kommen, während des Kampfes um das Schiff einfach die Schwerkraftgenerator-Platten zu deaktivieren und die gesamte Sektion – und damit auch ihre Saints-Verteidiger – dem Vakuum des Alls auszusetzen. Auch diesen Kampf hatte er gewonnen. Er liebte die Aphorismen und Sprichwörter der Menschen, vor allem die uralte Militär-Maxime: ›Wenn es blöd ist und funktioniert, dann ist es nicht blöd.‹ Honal war verrückt, aber nicht blöd.

Am Fußende des Tisches, und damit waren dann auch Rogers Stab und seine Kommandogruppe vollzählig, saß Special Agent Temu Jin vom Imperial Bureau of Investigations. Er war einer der zahllosen Agenten, die man ausgesandt hatte, um die ausgedehnte Bürokratie des Kaiserreiches im Auge zu behalten, und er hatte jeglichen Kontakt zu seiner Gruppe verloren. Die letzte Nachricht von seinem Vorgesetzten im Bureau hatte ihn gewarnt, dass auf der Alten Erde nicht alles so war, wie es den Anschein hatte, und dass er sich selbst als ›kaltgestellt‹ ansehen solle. Er war derjenige gewesen, der Roger berichtet hatte, was mit dessen Familie geschehen war. Danach hatte er sich als für den Prinzen unschätzbar wertvoll erwiesen, als es darum gegangen war, den Raumhafen einzunehmen und das Schiff zu kapern, und jetzt mochte er sich als ebenso wertvoll dabei erweisen, den Thron wieder zurückzuerobern.

Und genau darum sollte es bei dieser Besprechung gehen.

»Also gut, Eleanora: Leg los«, sagte Roger, lehnte sich in seinem Sessel zurück und wartete darauf, ihr zuhören zu können. Im letzten Monat war er so beschäftigt damit gewesen, die Reinigungsarbeiten durchzuführen und durchführen zu lassen, die nach derartigen Kampfhandlungen nie ausblieben, und auch mit der Maskirova am Raumhafen, dass er keinerlei Zeit gefunden hatte, sich um irgendwelche Pläne zu kümmern, was denn nun danach geschehen solle. Diese Aufgabe war seinem Stab zugefallen, und es wurde Zeit sich anzuhören, was der Stab sich so hatte einfallen lassen.

»Okay, wir haben es hier mit einer ganzen Reihe Probleme zu tun«, setzte Eleanora an, aktivierte ihr Notepad und bereitete sich innerlich darauf vor, einen Punkt nach dem anderen abzuhaken.

»Das Erste wären die nachrichtendienstlichen Informationen … oder die Tatsache, dass es uns genau daran mangelt. Das Einzige, was wir an Informationen aus Imperial City haben, sind die amtlichen Nachrichtenverlautbarungen und die Richtlinien, die mit dem letzten imperialen Versorgungsschiff eingetroffen sind. Die sind fast zwei Monate alt, also haben wir es bei der Frage, was in der Zwischenzeit passiert ist, mit einem echten Informationsvakuum zu tun. Uns liegen auch keinerlei Daten über den Zustand der Flotte vor, abgesehen davon, dass sie Veränderung in der Führungsebene der Heimatflotte angekündigt haben, und abgesehen von der Tatsache, dass die Sechste Flotte, die normalerweise recht effizient vorgeht, in letzter Zeit den Eindruck erweckt, als sei sie nicht einmal in der Lage, einen einfachen Stationierungswechsel zu organisieren und hinge jetzt irgendwo im Tiefenraum. Wir haben keinerlei echte Informationen darüber, wem wir tatsächlich würden vertrauen können. Im Prinzip können wir niemandem von der Flotte vertrauen, vor allem nicht den verschiedenen Befehlshabern, die erst nach diesem Staatsstreich eingesetzt wurden.

Das zweite Problem stellt die Sicherheit dar. Wir alle werden im Kaiserreich gesucht, weil wir dir bei diesem angeblichen Putschversuch geholfen haben. Wenn auch nur ein einziger Überlebender von der DeGlopper irgendwelche imperialen Zollbehörden passiert oder auch nur beiläufig in irgendeinem Raumhafen gescannt wird, dann werden die Alarmglocken von da bis nach Imperial City schrillen. Adoulas Mitverschwörer müssen glauben, du seiest schon lange tot, und damit bist du der perfekte Buhmann. Wer wäre denn besser dafür geeignet, für etwas gesucht zu werden, was er nicht begangen hat, um auf diese Weise jemand anderen – den tatsächlichen Täter – zu decken, als jemand, der tot ist? Aber es bleibt dabei: Ohne wirklich ernstzunehmende Tarnung kann kein Einziger von uns auch nur einen Fuß auf irgendeinen Planeten des Reiches setzen, und wir werden auch überall dort Probleme haben, wo man freundschaftliche Beziehungen zum Reich pflegt. Und das bedeutet: überall. Selbst die Saints würden uns sofort einfangen, und das gleich aus mehreren Gründen, die uns allesamt nicht gefallen würden.

Das dritte Problem ist natürlich die eigentliche bevorstehende Mission. Wir müssen die derzeitige, faktische Regierung stürzen und deine Mutter und den Uteral-Replikator in Sicherheit bringen, ohne dass ›die Bösen‹ auch nur mit einem von beiden entkommen können. Außerdem müssen wir verhindern, dass sich die Flotte einmischt.«

»›Wer den Orbit beherrscht, beherrscht den Planeten‹«, sagte Roger.

»Chiang O’Brian.« Eleanora nickte. »An den Satz kannst du dich also noch erinnern.«

»Der Daddy meines Urgroßvaters, der ehemalige Dolch-Lord, konnte wirklich gut mit Worten umgehen«, sagte Roger, dann legte er die Stirn in Falten. »Er hat auch mal gesagt: ›Ein Toter ist eine Tragödie, eine Million Tote sind eine statistische Größe.‹«

»Den Satz hat er aus einer sehr viel älteren Quelle abgeschrieben«, sagte Eleanora. »Aber er stimmt trotzdem. Wenn die Heimatflotte sich auf Adoulas Seite schlägt – und bei ihrem aktuellen Oberbefehlshaber steht das völlig außer Frage –, dann werden wir nicht gewinnen können, egal wen oder was wir bereits in unsere Gewalt gebracht haben. Und damit ist noch überhaupt nichts darüber ausgesagt, wie schwierig es werden wird, Ihre Majestät tatsächlich in Sicherheit zu bringen. Der Palast ist schließlich nicht nur irgendeine Ansammlung von Gebäuden; abgesehen von der Mondbasis oder dem Verteidigungshauptquartier von Terra ist er mit Abstand der bestbewachte Gebäudekomplex im gesamten Universum. Es mag ja leicht scheinen, dort einzudringen, aber das täuscht. Und wir alle können davon ausgehen, dass Adoula die Kaiserliche Garde mit seinen eigenen Schlägertypen aufgestockt hat.«

»So gut werden die nicht sein«, sagte Julian.

»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, erwiderte Eleanora grimmig. »Ihre Majestät mag Adoula hassen und verabscheuen, aber ihr Vater hat das anders gesehen, und es ist nicht das erste Mal, dass Adoula Flottenminister ist. Er kann gute Soldaten sehr wohl von schlechten unterscheiden – oder er sollte das verdammt noch mal können –, und entweder er selbst oder irgendjemand von seinen Mitverschwörern hat es geschafft, den ganzen Rest der Kaiserlichen Garde auszuschalten, als sie seinerzeit den Palast eingenommen haben. Auf die gleiche Sachkundigkeit wird er sich verlassen, wenn es darum geht, Ersatzleute zu finden, und bloß weil die Soldaten für einen schlechten Mann arbeiten, heißt das noch lange nicht, dass sie selbst auch schlechte Soldaten wären.«

»Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist«, entschied Roger. »Ich gehe davon aus, dass du mir nicht nur all die Dinge herunterbeten wirst, die ich ohnehin schon weiß?«

»Nein. Aber ich möchte, dass allen diese Schwierigkeiten absolut klar sind. Das hier wird nicht einfach werden, und ein Erfolg steht absolut nicht fest. Aber einiges verschafft uns auch einen Vorteil. Und dazu kommt, dass auch unsere Gegner Probleme haben. Tatsächlich sogar fast so viele wie wir, und manche davon auch kaum kleiner.

Wir haben hier erfahren, dass es im Parlament bereits die ersten Fragen gibt, weil Ihre Majestät sich immer noch vollständig zurückgezogen hat. David Yang ist immer noch Premierminister, und auch wenn Prinz Jacksons Konservative jetzt Teil seiner Koalition sind, sind er und Adoula alles andere als gute Freunde. Ich schätze, einer der Gründe dafür, dass du so verzweifelt gesucht wirst, Roger, ist, dass Adoula die ›militärische Bedrohung‹, die du darstellst, als Druckmittel einsetzt, um als Flottenminister Yangs Einfluss als Premierminister entgegenzuwirken.«

»Das mag ja sein«, sagte Roger, und unverhohlener Zorn schwang in seiner Stimme mit, »aber Yang ist dem Palast deutlich näher als wir, und selbst wir wissen, was da vor sich geht. Yang mag ja tatsächlich glauben, ich sei tot, aber er weiß verdammt genau, wer diesen Staatsstreich tatsächlich durchgezogen hat. Und auch, wer sämtliches Handeln meiner Mutter bestimmt. Und er hat sich noch keinen Tschaisch darum gekümmert.«

»Zumindest nicht, soweit wir das wissen«, merkte Eleanora mit bewusst neutralem Tonfall an. Roger schaute sie mit blitzenden Augen an, doch dann verzog er das Gesicht und vollführte eine kleine Handbewegung. Es war eindeutig, dass sein Zorn alles andere als verraucht war – Prinz Roger war in letzter Zeit ziemlich häufig zornig –, doch es war ebenso eindeutig, dass er bereit war, die Einschätzung seiner Stabschefin zu akzeptieren.

Zumindest vorerst.

»Rein militärisch gesehen«, fuhr O’Casey nach einer kurzen Pause fort, »scheint es, als habe Adoula, trotz seiner derzeitigen Stellung als Kommandant des gesamten Imperialen Militärs, noch nicht sämtliche Flottenoffiziere durch Mitverschwörer ersetzen können, denen er blind würde vertrauen können. Captain Kjerulf beispielsweise befindet sich als Stabschef der Heimatflotte in einer äußerst interessanten Position. Ich möchte wetten, dass der nicht gerade ›Ja und Amen‹ zu allem sagt, was dort passiert, aber er hat seinen Posten immer noch inne. Und dann ist da noch Admiral Helmut von der Sechsten Flotte.«

»Der wird das, was da passiert, auch nicht einfach so hinnehmen«, prophezeite Julian zuversichtlich. »Wir haben früher immer darüber gewitzelt, dass Helmut nach dem Aufstehen immer erst einmal vor dem Bild der Kaiserin betet, das über seinem Bett hängt. Und man könnte meinen, der könne irgendwie hellsehen. Wenn ihm irgendetwas komisch vorkommt, dann vergräbt der sich sofort darin, darauf kann man sich wirklich verlassen. Und die Sechste Flotte steht auf jeden Fall hinter ihm. Die kommandiert er schon seit Jahren. Sogar schon viel länger, als er das eigentlich sollte. Der geht damit um, als wäre das sein persönliches Lehnsgut. Selbst wenn die jemanden ’rausschicken, der ihn ablösen soll, wette ich zwei zu eins, dass diese Ablösung irgendwo auf dem Weg zu ihrer neuen Dienststelle einen ›Unfall‹ haben wird.«

»In den Berichten, die mir vorgelegen haben, wurden derartige Tendenzen im Verhalten von Admiral Helmut tatsächlich erwähnt«, warf TemuJin ein. »Und zugleich kritisiert, möchte ich anmerken. Ebenso wurde er dafür kritisiert, in geradezu fanatischer Art und Weise darauf zu achten, dass nur Offiziere, die seinen persönlichen Anforderungen genügen – und ich meine damit nicht nur im militärischen Sinne –, seinem Stab zugeordnet wurden, oder der Führungsebene seiner Transporter- und Kreuzer-Geschwader, bis hin zu anderen Offizieren. Derartige ›persönliche Lehnsgüter‹ haben dem IBI und dem Inspektorat schon immer Sorgen bereitet. Lediglich seine völlig unzweifelhafte Treue Ihrer Majestät und dem Kaiserreich gegenüber hat verhindert, dass er seines Amtes enthoben wurde. Aber anhand der IBI-Erkundigungen pflichte ich der Einschätzung von Sergeant Julian bei.«

»Und dann gibt es noch eine letzte Möglichkeit«, fuhr Eleanora fort. Ihre Stimme klang nachdenklich, die Augen hatte sie zu Schlitzen verengt, als konzentriere sie sich immens. »Das ist die … interessanteste von allen, in vielerlei Hinsicht. Aber sie hängt auch am meisten von Dingen ab, über die wir derzeit am wenigsten wissen.«

Sie hielt inne, und Roger stieß ein Schnauben aus.

»Du brauchst jetzt nicht die geheimnisvolle Seherin‹ zu geben, um mich mit deiner Kompetenz zu beeindrucken, Eleanora«, sagte er trocken. »Red doch einfach weiter, und verrat mir diese Möglichkeit schon.«

»Hä?« Eleanora blinzelte, dann grinste sie ihn an. »’tschuldigung. Ich meine nur Folgendes: Ein ernstzunehmender Prozentsatz aller Ehemaligen aus der Kaiserlichen Garde kehrten nach ihrer Pensionierung auf die Alte Erde zurück. Natürlich nutzen viele auch die aktuellen Kolonisierungsprogramme für abgelegene Systeme aus, aber ein guter Teil bleibt tatsächlich auf dem Planeten. Ich schätze mal, wenn man seine Dienstzeit in der Kaiserlichen Garde absolviert hat, dann wirken irgendwelche Hinterwäldler-Planeten deutlich weniger attraktiv als für einen durchschnittlichen Pensionär der Marines. Und die Kaiserliche Garde, ob nun noch im aktiven Dienst oder im Ruhestand, sind Ihrer Majestät geradezu über jedes Maß der Vernunft hinaus ergeben. Und sie sind auch, na ja …« Sie deutete auf Julian und Despreaux. »Die haben was im Köpfchen, und sie sehen die Politik in Imperial City immer aus der Froschperspektive. Die werden schon ihre eigene Meinung zu der Lage haben. Selbst ohne das, was wir wissen – dass Roger sich auf Marduk befand, während er angeblich diesen Putschversuch unternommen hat –, werden die misstrauisch sein.«

»Wenn ich denen beweise, dass ich hier draußen war, und nicht in der Nähe von Sol …«, griff Roger den Gedanken auf.

»Dann werden die fuchsteufelswild«, beendete Eleanora den Satz und nickte.

»Wie viele?«, fragte Roger.

»Bei der Ehemaligenvereinigung der Kaiserlichen Garde sind dreitausendfünfhundert Ehemalige mit Wohnsitz auf der Alten Erde verzeichnet«, erwiderte Julian. »In der Liste der Ehemaligenvereinigung sind die nach Alter, Dienstgrad oder Pensionierung beziehungsweise Dienstzeitende geordnet, und dazu auch noch nach ihrem militärischen Fachgebiet. Außerdem finden sich dort postalische Adressen und die Informationen zur Kontaktaufnahme auf elektronischem Wege. Einige sind aktive Mitglieder, andere inaktiv. Und einige von denen sind … eigentlich schon zu alt, um sich noch mal die Finger schmutzig zu machen. Aber andererseits: Viele andere sind es auch nicht.«

»Irgendjemand, den irgendwer hier kennt?«, fragte Roger nach.

»Ein paar ehemalige Kommandanten und Sergeants«, erwiderte jetzt Despreaux. »Sergeant Major des Regiments der Ehemaligenvereinigung ist Thomas Catrone. Während der noch im aktiven Dienst war, hat niemand aus der Kompanie ihn richtig kennen gelernt. Ein paar von uns sind ihm mal begegnet, aber das hilft bei so etwas wie dem hier auch nicht weiter. Aber … Captain Pahner kannte ihn gut. Tomcat war einer der Ausbilder der Captains, damals, während der Grundausbildung.«

»Dann wird Catrone sich an Pahner höchstens als einen rotznäsigen Rekruten unter vielen erinnern, wenn überhaupt.« Darüber dachte Roger kurz nach und zuckte dann mit den Schultern. »Okay, ich bezweifle, dass Pahner jemals ›rotznäsig‹ gewesen ist, selbst damals nicht. Ist sowieso schwer vorstellbar. Sonst noch irgendwas?«

»Das hier«, sagte Eleanora und deutete gegen die Decke der Offiziersmesse, doch es war offensichtlich, dass ihre Geste das gesamte Schiff einbeziehen sollte. »Das ist ein Insertions-Schiff der Saints, und es befinden sich einige Geräte und Anlagen an Bord, die mir ehrlich gesagt ein wenig sonderbar vorkommen. Dazu gehören unter anderem Körperumgestalter für Spionageeinsätze. Mit den Geräten können wir die ausgiebigen Umgestaltungen vornehmen, die wir als Schutz unbedingt benötigen werden.«

»Ich werde meine Haare abschneiden müssen, was?« Roger hob einen Mundwinkel zu einer schiefen Grimasse, die man als Lächeln hätte auslegen können.

»Es kamen einige Vorschläge, die ein wenig darüber hinausgingen.« Eleanora zog einen Flunsch und blickte zu Julian hinüber. »Es wurde vorgeschlagen, dass, um wirklich ganz sicherzugehen, dass niemand deine Identität auch nur vermuten würde, du zwar deine Haare behalten könntest, aber dafür dein Geschlecht ändern müsstest.«

»Was?!«, riefen Roger und Despreaux im Chor.

»Hey, ich habe auch vorgeschlagen, dass Nimashet das dann ebenfalls macht«, protestierte Julian. »Auf diese Weise – umpf!«

Er stockte, als Kosutic ihm einen Ellenbogen in die Magengrube stieß. Roger hüstelte und wich Despreaux’ Blick aus, während sie nur mit der Zunge in ihrer Wange spielte und Julian mit einem finsteren Blick bedachte.

»Aber wir haben uns darauf geeinigt«, fuhr die Stabschefin fort, den Blick unverwandt auf Julian gerichtet, »dass derart extreme Veränderungen nicht erforderlich sein werden. Die Anlagen hier sind sehr ausgefeilt, und wir werden uns allesamt einer fast vollständigen DNA-Umgestaltung unterziehen. Haut, Lunge, Verdauungstrakt, Speicheldrüsen – alles, woraus man DNA gewinnen und analysieren oder beiläufig scannen kann. Gegen die Körpergröße können wir nichts tun, aber alles andere wird verändert. Also gibt es keinerlei Grund, dein Haar abzuschneiden. Es wird eine andere Farbe haben, aber es kann genauso lang bleiben.«

»Das Haar ist mir überhaupt nicht wichtig«, sagte Roger stirnrunzelnd. »Ich hatte sowieso darüber nachgedacht, es abzuschneiden. Als … Geschenk. Aber der richtige Zeitpunkt ist nie gekommen.«

Armand Pahner hatte Rogers langes Haar vom ersten Augenblick an von Herzen verabscheut. Doch Pahners Beerdigung war in aller Eile erfolgt, mitten in dem Chaos, das Schiff raumtauglich zu halten und gleichzeitig sämtliche Spuren auf dem gesamten Planeten zu verwischen, dass die Bronze-Barbaren jemals dort gewesen waren.

»Aber so kannst du es behalten.« Eleanora mühte sich, ihre Stimme unbekümmert klingen zu lassen. »Und wenn du das nicht tätest, woher wüssten wir dann, dass wirklich du das bist? Auf jeden Fall ist die Körperumgestaltungsangelegenheit damit erledigt. Und das Schiff bietet noch andere Vorzüge. Es ist zu schade, dass wir damit nicht weit auf imperiales Territorium werden fahren können.«

»Das können wir vergessen«, warf Kosutic ein und schüttelte heftig den Kopf. »Das braucht ein halbwegs kompetenter Zöllner nur einmal anzusehen, egal was wir daran noch verändern, dann weiß der schon, dass das nicht nur irgendein Tramp-Frachter ist.«

»Also müssen wir es loswerden – umtauschen, genauer gesagt –, bei irgendjemandem, von dem wir sicher sein können, dass er nicht dem Kaiserreich erzählt, wogegen es eingetauscht wurde.«

»Piraten?« Roger verzog das Gesicht und blickte kurz zu Despreaux hinüber. »Diesen Abschaum will ich in keiner Weise unterstützen. Und ich traue denen nicht einen Zentimeter weit.«

»Und wieder: bereits begutachtet und abgelehnt«, erwiderte Eleanora. »Aus genau diesen beiden Gründen. Und auch, weil wir eine ganze Menge Hilfe benötigen werden, die uns Piraten einfach nicht würden geben können.«

»Und wer dann?«

»Ich erteile Special Agent Jin das Wort«, sagte die Stabschefin, statt die Frage selbst zu beantworten.

»Ich habe die Analyse sämtlicher Informationen abgeschlossen, die nicht aus den Computern des Schiffs gelöscht wurden«, begann Jin und aktivierte sein eigenes Memopad. »Wir sind nicht die Einzigen, denen die Saints Schwierigkeiten gemacht haben.«

»Das denke ich mir«, schnaubte Roger. »Die sind doch wirklich die Pest!«

»Insbesondere dieses Schiff«, fuhr Jin fort, »wurde mehrmals dazu genutzt, Agenten und Teams für verdeckte Einsätze in Alphanisches Territorium einzuschleusen.«

»Aha.« Rogers Augen verengten sich zu Schlitzen.

»Wessen Territorium?«, fragte Krindi auf Mardukanisch. Weil die Computer-Implantate der Menschen Simultanübersetzungen lieferten, wurde diese Besprechung im diaspranischen Dialekt des Mardukanischen abgehalten, den sämtliche Eingeborenen beherrschten. »Es tut mir leid«, fuhr der Infanterist fort, »aber ich habe mich bemüht, bei den meisten typisch menschlichen Ausdrücken auf dem Laufenden zu bleiben, und dieses Wort ist mir neu.«

»Die Alphaner sind das einzige nicht-menschliche interstellare Gemeinwesen, zu dem wir Kontakt haben«, erklärte Eleanora und verfiel sofort wieder in ihren unverkennbaren Dozenten-Modus. »Oder, genauer gesagt: das einzige Gemeinwesen, das nicht überwiegend aus Menschen besteht. Die Alphanische Allianz besteht aus zwölf Planeten, deren Bevölkerung zu in etwa gleichen Teilen aus Menschen, Althari und Phaenur besteht.

Die Phaenur sind echsenartige Wesen – sie sehen ein wenig aus wie Atul, nur haben sie lediglich vier Beine und zwei Arme, und sie haben Schuppen, so wie die Flar-ta. Dazu kommt, dass sie Empathen sind – das bedeutet, sie können Emotionen lesen –, und untereinander verständigen sie sich fast ausschließlich über Telepathie. Sehr gerissene Feilscher, weil es praktisch unmöglich ist, die zu belügen.

Die Althari sind eine Kriegerspezies, die ein bisschen so aussieht wie … na ja, so etwas kennt ihr nicht, so etwas gibt es auf Marduk nicht, aber sie sehen aus wie große Koalabären. Sehr stoisch und äußerst auf Ehre bedacht. Die Weibchen stellen einen Großteil der Krieger, während die Männchen vor allem als Ingenieure und Arbeiter tätig sind. Ich hatte mit Alphanern bereits zu tun, und die Kombination ist … knifflig. Man muss sämtliche Karten offen auf den Tisch legen, weil die Phaenur sofort merken, wenn man lügt, und wenn das passiert, dann verlieren die Althari sofort jeglichen Respekt vor einem.«

»Aber für unsere Zwecke das Wichtige ist, dass wir über Informationen verfügen, die auch die Alphaner brauchen«, fuhr nun Jin fort und griff damit seinen eigenen Gedankengang wieder auf. »Die müssen sowohl wissen, inwieweit die Saints ihre Gesellschaft bereits unterwandert haben – ich glaube, in dieser Hinsicht werden sie ein wenig überrascht sein – und was nun wirklich genau im Kaiserreich geschieht.«

»Selbst wenn die das wissen müssen, und selbst wenn wir denen das auch erzählen, bedeutet das noch lange nicht, dass die uns auch helfen werden«, merkte Roger an.

»Nein«, stimmte ihm Eleanora stirnrunzelnd zu. »Aber sie können uns helfen, und es gibt durchaus Gründe, warum sie das würden tun wollen. Ich will damit nicht sagen, dass sie es tun werden, aber sie sind im Augenblick das Beste, was wir haben.«

»Und habt ihr auch schon irgendwelche Vorschläge, wie wir dann ins Kaiserreich kommen werden?«, fragte Roger nach. »Vorausgesetzt, wir können die Alphaner tatsächlich dazu bewegen, uns zu helfen?«

»Ja«, sagte Eleanora, dann zuckte sie mit den Schultern. »Das war nicht meine Idee, aber ich halte sie für gut. Am Anfang war das anders, aber sie ist dennoch sinnvoller als alles andere, was uns noch so eingefallen ist. Julian?«

Erstaunt blickte Roger den Unteroffizier an, und Julian grinste.

»Restaurants«, sagte er nur.

»Was?« Völlig verständnislos starrte Roger ihn an.

»Kostas, möge er in Frieden ruhen, hat mich auf die Idee gebracht.«

»Was hat denn jetzt Kostas damit zu tun?«, wollte Roger wissen und klang fast schon wütend. Sein Kammerdiener war wie ein Vater zu ihm gewesen, und die Wunde, die sein Tod geschlagen hatte, musste noch zur Gänze verheilen.

»Es waren diese unglaublichen Gerichte, die der aus nichts anderem als Sumpfwasser und tagealtem Atul-Fleisch gezaubert hat«, erwiderte Julian und lächelte erneut, doch dieses Mal waren darin Trauer, Zuneigung und Erinnerungen gleichermaßen zu lesen. »Mann, ich kann immer noch nicht fassen, was der sich teilweise für Rezepte hat einfallen lassen! Darüber hatte ich so nachgedacht, und dabei ist mir der Gedanke gekommen, dass die auf der Alten Erde doch immer nach dem ›allerneuesten Schrei‹ Ausschau halten. Wie die Pilze schießen dauernd neue Restaurants mit neuem, völlig unirdischem Essen – im wahrsten Sinne des Wortes! – aus dem Boden. Natürlich werden wir dafür jede Menge Geld benötigen, aber das wird wohl bei allem, was wir uns überlegen, so sein. Also, wir machen Folgendes: Wir kommen nach Imperial City, mit einer brandneuen Restaurantkette, so richtigen ›Das-musst-du-mal-probiert-haben‹-Häusern, richtig schön auffällig und teuer, und da werden ›echte mardukanische Speisen‹ serviert.«

»Das wolltest du schon dein ganzes Leben machen, stimmt’s?«, fragte Roger ihn staunend.

»Nein, ich meine das ganz ernst«, fuhr Julian fort. »Wir bringen da nicht nur Mardukaner und mardukanische Speisen mit. Wenn schon, dann gleich ganz richtig! Atul in Käfigen. Flar-ta. Basiks. Becken mit Coll-Fischen. Ach verdammt, nehmen wir doch gleich Patty mit! Wir feiern da eine riesige Neueröffnungs-Party für das heißeste Restaurant in Imperial City – das wird das Gesprächsthema des ganzen Planeten werden! Mit einer Parade von Civan-Reitern, und die Diaspraner tragen ganze Platten mit Atul und Basik auf Gerstenreis. Rastar, der das Fleisch mitten im Restaurant vor den Augen der Gäste von den Knochen schneidet. So etwas darf man sich doch nicht entgehen lassen!«