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Wieder bricht ein sonniger Tag auf Marduk an - und wieder ist die Hölle los.
Schlimm genug, dass Prinz Roger einer Ränke zum Opfer fiel. Schlimm genug, dass man ihn auf eine sinnlose Reise schickte, um ihn aus dem Weg zu räumen - beschützt von Leibwächtern, die ihn hassen. Schlimm genug, dass er auf einem Höllenplaneten strandete.
Doch es kann stets noch schlimmer kommen: Man hält Roger für tot, während er sich durch eine Welt voller fleischfressender Bestien und mörderischer Eingeborener kämpft, um den einzigen Raumhaufen zu erreichen, den es auf dem Planeten gibt. Und das ist erst der Anfang, wie er schmerzlich erfahren muss ...
Doch die Galaxis ahnt nicht, dass Roger einer alten Weisheit Ehre machen wird: Leg dich bloß nie mit einem MacClintock an!
Ein großartiges Weltraum-Abenteuer von zwei Meistern der Military-SF! Packende Gefechtsszenen und faszinierende Charaktere! Jetzt endlich wieder erhältlich als eBook von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.
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Seitenzahl: 958
Cover
Der Marduk-Zyklus
Über dieses Buch
Über die Autoren
Titel
Impressum
Widmung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Epilog
Im nächsten Band
Marduk: ein höllischer Dschungelplanet, auf dem es bis zu sechs Stunden täglich regnet … in der Trockenzeit. Bewohnt von riesigen Ungeheuern und feindlich gesinnten Eingeborenen …
Hier muss der selbstverliebte Adelsspross Roger MacClintock notlanden, der von seiner kaiserlichen Familie aus fadenscheinigen Gründen auf eine seltsame diplomatische Mission geschickt wurde. Zusammen mit einer Leibgarde, die ihn hasst, muss er einen Ausweg von Marduk finden. Erst im Angesicht dieser Aufgabe erweist er sich seiner Abstammung als würdig – und erfährt schließlich den wahren Grund für seine Mission …
Ein großartiges Weltraum-Abenteuer von zwei Meistern der Military-SF!
Schlimm genug, dass Prinz Roger einer Ränke zum Opfer fiel. Schlimm genug, dass man ihn auf eine sinnlose Reise schickte, um ihn aus dem Weg zu räumen – beschützt von Leibwächtern, die ihn hassen. Schlimm genug, dass er auf einem Höllenplaneten strandete.
Doch es kann stets noch schlimmer kommen: Man hält Roger für tot, während er sich durch eine Welt voller fleischfressender Bestien und mörderischer Eingeborener kämpft, um den einzigen Raumhaufen zu erreichen, den es auf dem Planeten gibt. Und das ist erst der Anfang, wie er schmerzlich erfahren muss …
Doch die Galaxis ahnt nicht, dass Roger einer alten Weisheit Ehre machen wird: Leg dich bloß nie mit einem MacClintock an!
David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der Honor-Harrington-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.
John Ringo hat über 50 Romane geschrieben, die meisten davon im Bereich militärischer Science-Fiction. Nach einer von vielen Umzügen geprägten Kindheit diente er längere Zeit im US-Militär, bevor er seinen ersten Roman veröffentlichte. Der Erfolg seiner Bücher erlaubte ihm bald, vom Schreiben zu leben. Viele seiner Romane entstanden in Zusammenarbeit mit anderen Autoren. Er lebt heute in Tennessee.
David WeberJohn Ringo
MARSCH ZU DEN STERNEN
Band 3
Aus dem Englischen vonvon Ulf Ritgen
beBEYOND
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 bei Bastei Lübbe Taschenbücher in der Verlagsgruppe Lübbe. Die amerikanische Originalausgabe trägt den Titel »March to the Stars«.
Copyright © 2003 by David Weber and John Ringo
Published by Arrangement with BAEN BOOKS, Wake Forest, NC 27588 USA.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat: Beate Ritgen-Brandenburg / Ruggero Leò
Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Triff | © DeviantArt: ocd1c-stock
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-4577-3
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Dieses Buch ist Sergeant First Class(später Sergeant Major) Miles Rutherford gewidmet.Er hat einen stinkfaulen Vollidioten zu einemanständigen Soldaten gemacht. Jegliche Ähnlichkeitmit Charakteren oder Ereignissen in diesem Buch
Der Leichnam befand sich im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung. Die Zeit und die zahlreichen Insekten-Analoga Marduks hatten sich daran gütlich getan, und nun war nur noch noch ein Skelett übrig, an dem einige wenige Sehnen und Hautfetzen hingen. Gerne hätte Temu Jin behauptet, dies sei das Schlimmste, was er jemals gesehen hatte, doch das wäre gelogen gewesen.
Er drehte eine skelettierte Hand herum und tastete sie mit einem Sensorenstab ab. In dem katakombenartigen Grab war es heiß und eng, vor allem, da noch drei weitere Soldaten aus seiner Gruppe und dazu einer dieser riesenhaften Mardukaner sich neben ihn drängten. Die Hitze auf Marduk war immer schlimm – in den ›gemäßigten‹ Klimazonen herrschten fast immer fünfunddreißig Grad –, doch zusammen mit dem abgestandenen Gestank der Verwesung (ganz abgesehen von dem Geruch der ungewaschenen Dreckskerle, mit denen zusammen er eingetroffen war) hatte dieses Grab etwas von einem Vorzimmer zur Hölle.
Und zwar einem, das bereits bewohnt war.
Es bestand kein Zweifel daran, dass es sich bei den Bewohnern um Kaiserliche Marines handelte. Oder zumindest um Personen mit Nano-Packs, über die nur Marines verfügten. Die verbliebenen Materialien und die überlebenden Naniten waren codiert, und der Sensor schrie ihnen ›Imperiale‹ praktisch entgegen. Doch es blieb die Frage, wie und warum sie hierher gekommen waren. Temu Jin fielen sofort mehrere Gründe ein, und allesamt missfielen ihm die noch mehr als der widerliche Gestank in diesem Raum.
»Frag sie nochmal, du Klugscheißer!«, forderte Dara ihn mit gepresster Stimme auf. Eine Sekunde lang musste der Anführer der Landvermesser-Gruppe würgen – schon wieder –, dann räusperte er sich lautstark, spuckte aus und ›putzte‹ sich die Nase, indem er seinen Rotz einfach schwungvoll auf den Fußboden blies. Für seine Nasenschleimhäute war Marduk einfach die Hölle. »Red nochmal in diesem Krabblergeplapper! Wir müssen absolut sicher sein, dass das wirklich alles war!«
Jin schaute zu dem hünenhaft aufragenden Mardukaner hinauf und ließ dann die Übersetzung über sein ›Toot‹ laufen. Dieses Tutorial-Implantat, das in sein Schläfenbein eingelassen worden war, griff die von ihm leise ausgesprochenen Worte auf, übersetzte sie in den ortsüblichen Mardukaner-Dialekt und passte dann seine eigene Stimme den Gegebenheiten an.
»Mein erhabener Anführer möchte sich noch einmal vergewissern, dass es keine Überlebenden gegeben hat.«
Das Mienenspiel der Mardukaner entsprach nicht dem der Menschen. Von anderen Dingen abgesehen, besaßen sie in ihren Gesichtern deutlich weniger Muskeln; den Hauptteil ihrer Ausdruckskraft übernahmen die eloquenten Gesten ihrer vier Arme. Doch bei diesem Mardukaner war auch die Körpersprache sehr verschlossen. Das mochte zumindest teilweise daran liegen, dass er einen seiner Arme unterhalb des Ellbogens verloren hatte. Stattdessen trug er dort als Prothese einen recht hübschen Haken, beidseitig rasiermesserscharf geschliffen. Also war Dara entweder dämlich oder arrogant oder gar beides zusammen, wenn er tatsächlich – zum fünften Mal! – fragte, ob dieser Vertreter Voitans vielleicht sich zu einer Lüge hatte hinreißen lassen.
»Leider«, entgegnete T’Leen Targ mit einer kummervollen Geste seiner Arme (und seines Hakens), »hat es keine Überlebenden gegeben. Einige habe mehrere Tage durchgehalten, aber letztendlich sind auch sie zugrunde gegangen. Wir haben für sie getan, was wir konnten. Wären wir doch nur einen Tag früher gekommen! Es war eine gewaltige Schlacht; eure Freunde haben gegen mehr Kranolta gekämpft, als es Sterne am Himmel gibt! Sie haben sie vor den Mauern der Stadt aufgereiht und sie mit ihren mächtigen Feuerlanzen niedergestreckt! Ach, wären unsere Hilfstruppen nur früher eingetroffen, dann wären vielleicht noch einige von ihnen am Leben! Aber ach, wir kamen zu spät! Doch sie haben die Macht der Kranolta gebrochen, und dafür war und ist Voitan ihnen auf ewig dankbar. Um unsere Dankbarkeit zu zeigen, haben wir sie hier beerdigt, gemeinsam mit unseren eigenen verehrten Gefallenen, in der Hoffnung, dass eines Tages andere ihres Volkes hierher kommen würden, um sie zu holen. Und – nun seid ihr da!«
»Immer die gleiche Geschichte«, erklärte Jin und wandte sich zu seinem Gruppenführer um.
»Wo sind die Waffen? Wo ist die ganze Ausrüstung?«, wollte Dara daraufhin wissen. Im Gegensatz zu dieser Komm-Sau besaß er nur das Standard-Zivilistenmodell eines Toots, und darauf konnte er das Einzige derzeit verfügbare Übersetzungsprogramm nicht laufen lassen. Es war zwar der Dialekt darauf gespeichert, der in der Gegend um den in einiger Entfernung sich befindenden Raumhafen gesprochen wurde; aber mehrere Dialekte gleichzeitig zu verwalten überstieg die Leistungsfähigkeit des Geräts, und Jins System konnte die Übersetzungsdateien auch nicht zu ihm übertragen.
»Irgendetwas davon hätte doch übrig bleiben müssen!«, fuhr der Gruppenführer fort. »Und in der letzten Stadt waren sie angeblich noch mehr. Wo ist denn der Rest von denen hin?«
»Mein erhabener Anführer fragt, was mit den Waffen und der Ausrüstung unserer lieben Freunde geschehen ist«, übersetzte Jin nun. Der Kommunikationstechniker hatte schon recht viel Erfahrung mit den Eingeborenen gesammelt, sowohl auf dem abgelegenen Raumhafen, als auch auf ihrer höllischen Odyssee zu dieser letzten Ruhestätte der hier gestrandeten Menschen. Und von allen Orten, die sie bisher aufgesucht hatten, machte dieser hier ihn nervös bis zum Anschlag. Beinahe hätte Temu Jin sich gewünscht, doch wieder im Dschungel zu sein. Und das sagte eine ganze Menge.
Marduk war ein unglaublich heißer, feuchter Planet mit dauerhaft stabilem Wetter. Infolgedessen war fast diese gesamte Welt von Dschungel bedeckt, und in diesen Dschungeln lebten die gefährlichsten, wildesten Raubtiere aller bekannten Welten. Und es kam Temu Jin so vor, als sei das Suchkommando – oder Attentäter-Kommando, je nachdem, von welcher Seite man es betrachten wollte – auf dem Weg hierher nahezu jeder einzelnen der vorhandenen Gefahren begegnet.
Die Atmosphären-Hüpfer vom Raumhafen hatten sie zu einem ausgetrockneten See hinausgeflogen, in dem die vier Sturmfähren gelandet waren. Es gab keinerlei Hinweise darauf, wirklich nirgends, was für Einheiten sich an Bord dieser Fähren befunden hatten oder woher sie gekommen waren. Alle Fähren waren vollständig ausgeräumt worden, sodass es keinerlei Informationen mehr zu entdecken gegeben hatte; sämtliche Computer hatte die Besatzung gelöscht. Es waren einfach nur vier kaiserliche Sturmfähren, ohne eine Spur Treibstoff, mitten in fünftausend Quadratkilometern Salzwüste.
Allerdings hatte es eine eindeutige Spur gegeben, die aus dem ausgetrockneten See hinausführte: in die Berge hinauf. Dieser Spur war das Suchkommando gefolgt, sie waren nahe über den Boden geflogen, bis sie auf die Dschungel im Flachland gestoßen waren. Dort war die Spur einfach … verschwunden: verschwunden in der grünen Hölle.
Daras Anfrage, zu diesem Zeitpunkt zur Basis zurückkehren zu dürfen, war abgelehnt worden. Es war gelinde gesagt sehr unwahrscheinlich, dass die Mannschaft dieser Fähren lange genug überleben würden, um jemals wieder zivilisiertes Gebiet zu erreichen. Selbst wenn man die hiesige Flora und Fauna dabei vollständig außer Acht ließ, befand sich die Landestelle der Fähren im Vergleich zu dem Raumhafen immerhin auf der gegenüberliegenden Seite des Planeten, und falls die Soldaten nicht genügend Lebensmittelvorräte mitgebracht hätten, dann würden sie lange, lange, bevor sie ihr Ziel erreichen könnten, einfach verhungern. Doch unwahrscheinlich oder nicht: man musste in Erfahrung bringen, was ihnen widerfahren war. Nicht etwa, weil vielleicht eines Tages irgendjemand einmal danach fragen würde oder sich jemand um die Vermissten Sorgen machte. Aber wenn es auch nur den Hauch einer Chance gab, dass diese Soldaten jemals die Basis erreichten oder, was noch schlimmer wäre, diesen Planeten wieder verließen, dann mussten sie unbedingt eliminiert werden.
Diese Überlegungen waren natürlich unausgesprochen geblieben, und das war auch einer der Gründe, weswegen der Techniker sich nicht sicher war, ob er diesen Einsatz überleben würde. Die ›offizielle‹ Begründung für die Suchaktion hier lautete, es sei nach Überlebenden zu suchen. Doch die Art und Weise, wie die Gruppe zusammengestellt worden war, zeigte doch recht deutlich, dass das eigentliche Motiv darin bestand, eine potenzielle Bedrohung auszumerzen. Dara war der offizielle ›Schläger‹ des Gouverneurs. Jedes kleinere ›Problem‹, das man lösen konnte, wenn man ein wenig Muskelkraft anwendete oder die eine oder andere Leiche verschwinden ließ, wurde sofort einer Gruppe übertragen, die zweifelsfrei immer er anführte. Ansonsten war er im Großen und Ganzen schlichtweg nutzlos – was gerade wieder unter Beweis gestellt wurde: Er erwies sich schlichtweg außer Stande, das zu sehen, was direkt vor seiner Nase lag.
Der Rest der Gruppe war aus genau dem gleichen Holz geschnitzt. Alle vierzehn – ursprünglich waren sie mal siebzehn gewesen … bevor die lokale Fauna auf dem Weg hierher einmal über sie hatte herfallen können – gehörte zu dem vor Ort angeheuerten ›Wachpersonal‹, und jeder einzelne davon wurde auf dem einen oder anderen Planeten steckbrieflich gesucht. Da es allgemein bekannt war, wie schwer es selbst unter den bestmöglichen Umständen war, auf einem Planeten der Klasse Drei entsprechende Streitkräfte zu unterhalten, hatte der weit entfernt gelegene Regierungssitz des Kaiserreiches den lokalen Gouverneuren bei der Auswahl der jeweiligen Kandidaten zahlreiche Freiheiten eingeräumt. Gouverneur Brown hatte in erster Linie das angeheuert, was immer noch als ›Schulze‹ bezeichnet wurde: Wachen, bei denen man sich darauf verlassen konnte, dass sie nichts sahen, nichts taten und nichts hörten. Dennoch gab es immer wieder auch brenzlige Situationen, in denen tatsächlich durchaus auch ein echtes Problem auftauchte. Und für derartige Probleme hatte der Gouverneur ein Sondereinsatzkommando zusammengestellt, das aus Personen bestand, die man mit reichlich Wohlwollen als ›Abschaum‹ hätte bezeichnen dürfen. Natürlich nur, wenn man unbedingt ›echten‹ Abschaum beleidigen wollte.
Jin war sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass er kein ›offizielles‹ Mitglied dieses Sondereinsatzkommandos war. Es mochte sehr gut sein, dass dieser Einsatz hier eine Art Aufnahmeprüfung für ihn darstellen sollte, und das mochte sich in vielerlei Hinsicht für ihn als durchaus positiv erweisen. Allerdings gab es bei diesem Einsatz, selbst wenn er für ihn als Aufnahmeprüfung gedacht war, immer noch ein echtes Problem: Es war durchaus denkbar, dass es im Rahmen dieses Einsatzes zum Kampf mit Marines kommen mochte. Jin hatte verschiedene Gründe, weswegen er nicht gegen Marines kämpfen wollte, nicht zuletzt, weil die Wahrscheinlichkeit sehr hoch war, dass er dabei zu Plasma verdampft werden würde; doch alles an diesem Einsatz schien immer mehr darauf hinauszulaufen.
Jetzt allerdings schienen alle Sorgen unberechtigt gewesen. Der letzte der Marines war hier gestorben, in diesem einsamen Außenposten, überrannt von Barbaren, bevor ihre freundlichen, ›zivilisierten‹ Unterstützer hatten eintreffen können, um sie zu retten.
Na klar doch, dachte er und stieß in Gedanken ein verächtliches Schnauben aus. Entweder sind sie abgehauen, und diese Gestalten hier nehmen sie in Schutz …. oder diese Krabbler haben die Marines selbst erledigt und sind jetzt nur zu bereit, alles diesen ›Kranolta‹ in die Schuhe zu schieben. Das Problem ist jetzt nur noch herauszukriegen, was davon stimmt.
»Ach«, seufzte der Einheimische erneut. Er scheint ja dieses Wort besonders zu schätzen, dachte Jin voller Zynismus, als Targ auf irgendeine Stelle außerhalb dieses Grabmals deutete, irgendwo tief im Dschungel gelegen. »Die Kranolta haben ihre gesamte Ausrüstung mitgenommen. Es war nichts mehr übrig, was wir ihren Freunden hätten überreichen können – also euch.«
Und davon könnt ihr so viel oder so wenig glauben, wie ihr mögt, dachte Jin. Doch diese Antwort riss ein gähnendes Loch in den von ihm favorisierten Ablauf der Ereignisse, das er unbedingt stopfen musste. Und dann hoffen, dass seine Bemühungen in dieser Hinsicht niemals ans Tageslicht kämen.
»Der Krabbler hier sagt, diese Barbaren hätten die ganze Ausrüstung in den Fluss geworfen«, übersetzte er bewusst falsch.
»Pfff!«, fauchte Dara. »Das bedeutet, dass alles nur noch Schrott ist! Und dass wir ihre Energiezellen nicht anpeilen können! Aber selbst wenn sie einfach nur Schrott wären, hätten wir doch noch irgendein Signal von ihnen empfangen müssen!«
Was für ein Schwachkopf, dachte Jin. Als seinerzeit Gehirne verteilt wurden, musste Dara sich wirklich hinter der Tür versteckt haben.
Wenn eine Leiche gefleddert wird, dann nehmen die Leichenfledderer nur sehr selten wirklich jeden einzelnen Fetzen Kleidung mit. Und das war nicht das Einzige Ungewöhnliche hier. Dort, an der Leiche unmittelbar vor ihm, hing ein Stückchen Haut herab, aus dem ganz offensichtlich irgendetwas herausgeschnitten worden war – als hätte man nach dem Tod der betreffenden Person eine Tätowierung entfernt … und nirgends waren Spuren von Waffen oder auch nur Bruchstücke von Waffen zu erkennen. Wenn Jin es recht bedachte: Das gesamte Schlachtfeld war fein säuberlich durchforstet worden, damit auch bloß nicht die Spur einer Spur zurückbleiben konnte. Sogar manche der Einschüsse, die eindeutig von Plasmagewehren stammten, hatte man gezielt verdeckt. In dem Zeitfenster, von dem die Eingeborenen hier in ihrer Geschichte sprachen, nämlich bis sie, die ›Zivilisierten‹, gekommen seien, um die Barbaren zu verjagen, konnten diese unmöglich das gesamte Schlachtfeld so gründlich abgesucht haben, so erpicht auf Trophäen sie auch gewesen sein mochten.
In der letzten Stadt, die das Sonderkommando durchquert hatte, waren alle Einwohner auffallend einsilbig geworden, sobald Fragen danach gestellt wurden, was die Personen, nach denen das Sondereinsatzkommando suchte, dort getrieben hätten. Die Mannschaften der abgestürzten Fähren waren ganz offensichtlich in die Stadt gestürmt, hatten dort einige ganz offensichtlich ausgewählte der sogenannten ›Großen Häuser‹ geplündert und dabei beträchtliche Schäden dort verursacht, und dann waren sie ebenso schnell wieder hinausgestürmt. Zumindest, wenn man dem dort herrschenden König und den wenigen Adeligen, die sie hatten befragen dürfen, Glauben schenken durfte. Und in dieser Stadt war das Suchkommando von einer Gruppe Wachen überallhin begleitet worden, einer Gruppe, die groß genug war, um jeder Versuchung, andere Personen zu befragen als die, bei denen es ihnen ausdrücklich gestattet worden war, von vornherein widerstehen zu können.
All das bewies Jin eines überdeutlich, und man musste schon ein sadistischer Vollidiot sein wie Dara, um das nicht zu begreifen.
Diese Leichen waren sterilisiert worden.
Irgendjemand wollte da absolut sichergehen, dass niemand, der nicht auf eine DNA-Datenbank zugreifen konnte, in Erfahrung brachte, wer genau diese Marines gewesen waren. Die Toots der toten Marines waren natürlich ebenfalls Schnee von gestern: Selbstverständlich hatten die entsprechenden Naniten längst ihren Auftrag ausgeführt, diese so gut wie zerfallenen Trümmerstückchen zu zerlegen, nachdem ihre Besitzer gestorben waren. Das war eine Routine-Sicherheitsmaßnahme, doch alles andere ging über normale ›Routine‹ weit hinaus. Das bedeutete, dass diese Personen hier etwas anderes waren als normale Marines. Entweder waren es Raiders oder … etwas anderes. Und da sämtliche Einheimische hier so beflissen waren, sie zu decken, war ganz offensichtlich, dass nicht alle von ihnen umgekommen waren.
All das zusammengenommen bedeutete, dass eine nicht ganz vollständige Kompanie – anhand der Anzahl der gelandeten Fähren ging Jin davon aus, dass sie ursprünglich eine vollständige Kompanie gewesen sein mussten – eines Kaiserlichen Sonderkommandos dort draußen im Dschungel herumlief. Und das einzige sinnvolle Ziel für sie stellte ein gewisser Raumhafen dar.
Na wunderbar!
Er strich der Leiche, über die er sich gerade beugte, eine Haarsträhne aus dem, was vom Gesicht übrig geblieben war, und suchte nach weiteren Hinweisen. Dieser Soldat war weiblich, mit recht langem, straßenköter-blondem Haar. Mehr hätte niemand anhand der skelettierten Überreste zu sagen vermocht, von einem Gerichtsmediziner vielleicht einmal abgesehen – und das war Jin nun einmal nicht. Er hatte einige Grundkenntnisse auf dem Gebiet der Spurensicherung; doch er konnte über diese Leiche hier nicht mehr sagen, als dass eine Klinge ihr den linken Arm fast vollständig abgetrennt hatte. Doch unter ihrem Haar war ein winziger Ohrring zu erkennen. Nur ein winziges Stückchen Bronze, in das ein Wort mit acht Buchstaben eingraviert war.
Es gelang Jin nicht, sich so weit zusammenzureißen, dass er nicht vor Schreck die Augen aufriss; allerdings gelang es ihm, andere körperliche Anzeichen für seine Überraschung zu unterdrücken. Er war viel zu gut ausgebildet, um sich derart offensichtlich etwas anmerken zu lassen. Stattdessen machte er nur eine langsame, sanfte Handbewegung, und schon hatte er den winzigen Ohrring aus dem schon recht zerfallenen Ohr herausgerissen; ein kleiner Hautfetzen hing noch daran.
»Ich kann hier nichts finden«, erklärte er, richtete sich wieder auf und zwang sich dazu, eine völlig ausdruckslose Miene aufzusetzen.
Dann schaute er den Einheimischen an, der diesen Blick unbewegt erwiderte. Der hier regierende ›König‹ hieß T’Kal Vlan. Er hatte das Suchkommando begrüßt, als seien es Verwandte, die nach langer Zeit wieder den Weg nach Hause gefunden hatten. Zugleich jedoch hatte er den Eindruck gemacht, als wolle er ihnen Teppiche verkaufen. Bei T’Leen Targ hingegen hatte Jin immer das Gefühl, als sei dieser hin und her gerissen, ob er ihnen lieber einen Teppich andrehen wolle oder die offensichtlich erwarteten Gäste lieber in einen solchen Teppich einrollen – als Leichen, versteht sich. Nun kratzte sich der Eingeborene mit seinem Haken über das Horn und nickte … eine auffallend menschliche Geste.
»Ich gehe davon aus, dass ihr nichts gefunden habt«, sagte Targ. »Das ist so bedauerlich! Werdet ihr die Leichen mitnehmen?«
»Ich denke nicht«, erwiderte Jin. Momentan verteilten sich die Anwesenden in der Katakombe so, dass sich Jins Gruppenführer hinter dem Eingeborenen befand. Jin streckte die linke Hand aus, und sofort griff der Mardukaner danach: ein weiterer Beweis dafür, dass sich hier bereits gewisse Gebräuche der Menschen eingebürgert hatten. Jin fragte sich, ob den Marines überhaupt bewusst war, wie viele Spuren sie unweigerlich und unvermeidlich hinterließen. Wenn man bedachte, was für Marines das vermutlich waren, dann war davon auszugehen, dass sie es sehr wohl wussten: Schließlich war deutlich zu bemerken, wie sehr sie sich bemühten, genau das zu vermeiden. Während Jin die schleimbedeckte Hand des Mardukaners schüttelte, blieb dort ein kleiner Bronzetropfen zurück, klebte an dem Schleim fest.
»Ich denke nicht, dass wir noch einmal wiederkommen werden«, meinte der Komm-Techniker. »Aber ihr solltet das hier vielleicht einschmelzen, damit sonst niemand es findet.«
Kurz hatte sich in die Schleimschicht auf der Handfläche des Eingeborenen das Wort ›BARBAREN‹ abgezeichnet.
Dann verschwand es wieder.
»Das ist ein Fall.«
»Nein, das is’ ein Stag. Deä Stengestag.«
Hart am Wind durchschnitt der dreißig Meter lange Schoner Binne Nutte die aquamarinblauen Wellen, die so perfekt geformt waren, als seien sie einem Gemälde des fast schon legendären Maxfield Parrish entsprungen. Hoch über ihnen brachte eine mäßige, aber stetige Brise die Takelage zum Singen. Dieser sanfte Zephir, der ein wenig nach Salzwasser roch, war die einzige Abkühlung für die schweißgebadeten Gestalten an Deck.
Julian wischte sich über die Stirn und deutete auf den betreffenden Teil der Takelage.
»Schau, da ist ein Seil …«
»’n Leinä«, korrigierte Poertena ihn pedantisch.
»Also gut, da ist also eine Leine, und eine Talje …«
»Das is’ ’n Block! Genauä gesagt is’ das einä Jungfär!«
»Echt? Ich dachte, ›Blöcke‹ wären diese Teile mit den Kurbeln dran?«
»Nein, das is’ ’n Ankerspill.«
Sechs weitere Schoner folgten der Nutte. Fünf davon waren baugleich mit dem Schiff, auf dessen Deck Julian und Poertena standen: mit niedrigem, schlankem Rumpf und zwei gleichhohen Masten; ausgestattet waren sie mit etwas, das technisch korrekt als ›Toppsegel-Schonertakelung‹ bezeichnet wurde. Das bedeutete, dass jeder dieser Masten ein Gaffelsegel trug, ein längsschiff verlaufendes Segel, das die Form eines gestutzten Dreiecks besaß, dessen Spitze an einer schräg nach oben ragenden Stange – der Gaffel – befestigt war, während der Fockmast auch noch einen vollständigen Satz konventioneller Rahsegel aufwies. Das Gaffelsegel am Heck – das Großsegel, wies Julian sich innerlich selbst zurecht, irgendetwas musste er doch schließlich irgendwann einmal richtig machen! – besaß eine Spiere, das vordere Gaffelsegel nicht. Natürlich hieß das vordere Segel richtig das ›Focksegel‹, und genau so wurde gelegentlich auch das niedrigste, quadratische Segel an diesem Mast genannt, was Julian immens verwirrend fand. Dann gab es da noch das Vortoppsegel, das Vorbramsegel und das Vor-Royalsegel, die allesamt oberhalb des unteren Focksegels angebracht waren.
Am zweiten Mast (der als Großmast bezeichnet wurde, und nicht als Heckmast, was Julian nicht ganz verstand, denn schließlich besaß das ganze Schiff nur zwei Masten, und an diesem Mast am Heck hing deutlich weniger Tuch als am Mast am Bug – eben dem Fockmast) hing nur ein einzelnes, nahezu quadratisches Toppsegel, doch dazu war noch ein dreieckiges Schratsegel oberhalb des Großsegels an diesem Mast befestigt (Es belustigte Julian stets aufs Neue, das dieses Schratsegel gelegentlich auch als Schafschinken bezeichnet wurde). Zwischen den Masten gab es zusätzlich noch Stagsegel, von dem Außenklüver, dem Klüver und dem Binnenklüver ganz zu schweigen, die allesamt zwischen dem Fockmast und dem Bugspriet befestigt waren.
Der siebte Schoner unterschied sich von den anderen: Er war viel größer, weniger wendig, und wirkte im Ganzen irgendwie unfertig; der Bug lag tiefer im Wasser, er besaß nicht weniger als fünf Masten und erfreute sich auf das Drängen von Captain Armand Pahner vom Imperial Marine Corps des Namens Snarleyow. Die Besatzungen der kleineren, wendigeren Schiffe schienen deren großer Schwester gemischte Gefühle entgegenzubringen. Niemand wäre so taktlos gewesen, die Snarleyow als ›schwerfällig‹ zu bezeichnen, aber sie war auf jeden Fall weniger wendig, und ihre deutlich behäbigeren Bewegungen schienen die anderen Schiffe geradezu auszubremsen.
Alle Schiffe waren mit kurzläufigen Kanonen bestückt, die längsseits aufgereiht waren. Die Snarleyow besaß auf jeder Seite fünfzehn Geschütze, womit sie ihre Geleitschiffe in der Bewaffnung der Breitseite klar überbot; sie alle jedoch trugen außerdem noch eine einzelne, sehr viel größere Kanone, die schwenkbar nahe dem Bug montiert war. Und bei jedem einzelnen dieser Schiffe waren überall Seile, Taue, Leinen und Stricke gespannt. Und genau das stellte das Problem dar.
»Also gut.« Julian atmete tief durch, dann fuhr er fort, sichtlich um Gelassenheit bemüht. »Da ist also eine Leine, und da ist eine Talj … ein Block. Also warum ist das kein Fall?«
»’n Fall zieht die Segäl auf. So ’n Stag hält den ganzän Tschaisch-Mast aufrächt.«
Der Pinopaner war mit dieser altertümlichen Seefahrer-Terminologie aufgewachsen. Er war tatsächlich sogar das Einzige menschliche Mitglied dieser Expedition, das diese Sprache überhaupt verstand (von Roger abgesehen, der viele Sommer beim Freizeitsegelverein ›Blaues Wasser‹ auf der Alten Erde verbracht hatte). Doch trotz der festen Überzeugung der Landratten, all diese geheimnisvollen Ausdrücke würden einzig und allein zu dem Zweck verwendet, sie alle zu verwirren, gab es sehr wohl einen konkreten Grund für eine eindeutige, präzise Ausdrucksweise. An Bord eines Schiffes geriet man immer wieder in Situationen, wo das Überleben von klaren, unzweideutigen Anweisungen abhing. Daher war es unerlässlich, mit Hilfe einer klaren Anweisung der Mannschaft den Befehl erteilen zu können, auf eine bestimmte Art und Weise an einem bestimmten ›Seil‹ zu ziehen. Oder vielleicht es langsam zu lösen, ohne dabei die Spannung dieses Seils aufzugeben.
Daher also so unzweideutige und unverständliche Befehle wie ›Segel laufen lassen und festmachen!‹ Was keinen Widerspruch an sich darstellte, auch wenn ein Segel natürlich nur sehr schlecht laufen kann, wenn man es festmacht.
»Und wo ist dann das Fall?«, fragte Julian nun kläglich.
»Welchäs Fall denn? Wenn man Stagsegäl durchzählt, musses auf diesäm Tschiff siebzehn Tschaisch-Fallä gebän …«
Gemeinsam war man zu dem Ergebnis gekommen, die Bauweise der Nutte sei optimal an die vor Ort herrschenden Bedingungen angepasst. Sie und ihre Geleitschiffe waren, ausgehend von Entwürfen aus Menschenhand und mit Hilfe der lokalen Technik, dafür gebaut worden, Prinz Roger und seine Leibwachen – inzwischen um zahlreiche einheimische Soldaten verstärkt, einen bislang unerforschten Ozean überqueren zu lassen. Selbstverständlich hatte es, wie immer, einige unerwartete Umstände gegeben, die es erforderlich gemacht hatten, bis zur letzten Minute zu improvisieren. Dass es eine deutlich größere Anzahl mardukanischer Verbündeter gab, als zunächst erwartet wurde, hatte dazu geführt, dass sehr viel mehr Platz für den Truppentransport erforderlich wurde – vor allem angesichts der gewaltigen Ausmaße der Reittiere, derer sich die mardukanische Kavallerie bediente. Civan waren schnell und außerordentlich zäh, konnten sich von nahezu allem ernähren und waren dabei auch noch verhältnismäßig intelligent. Eines waren sie jedoch gewisslich nicht: zierlich. Was wiederum nicht sonderlich verwunderlich war, schließlich waren die Kavalleristen, die auf ihnen ritten, im Durchschnitt zwischen drei und dreieinhalb Metern groß.
Es hatte sich herausgestellt, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, an Bord der ursprünglich geplanten sechs Schoner genügend dieser Tiere unterzubringen, nachdem erst einmal die Zählung der zusätzlichen einheimischen Soldaten abgeschlossen war. Nachdem also alle dachten, die Bauarbeiten seien nun endlich abgeschlossen, machten die Marines sich – und in etwa ein Viertel der gesamten Schiffsbauer von K’Vaerns Cove – daran, die Snarleyow zu bauen. Glücklicherweise hatten die dort ansässigen Handwerker schon recht viel über diese neue Art des Schiffsbaus gelernt, als sie an den kleineren Schiffen mitgearbeitet hatten; aber dennoch war es zermürbende und anstrengende Arbeit gewesen, mit der niemand gerechnet hatte. Und Poertena hatte auch nicht die Zeit gehabt, sich in dem Maße mit der Verfeinerung des Entwurfs zu befassen, wie er sich das gewünscht hätte. Und das war ein weiterer Grund dafür, dass die Snarleyow im Vergleich zu ihren kleinen Schwestern schlichtweg hässlich, unproportional langgestreckt und langsam war. Außerdem hatte man sie aus grünem Holz gebaut, das nicht ausreichend abgelagert war, und so musste man damit rechnen, dass sie in einem Klima wie dem, das auf Marduk herrschte, mit bestürzender Geschwindigkeit verrotten würde. Doch das war Prinz Roger und seinen Geführten schlichtweg egal. Schließlich ging es ihnen nur darum, dass das Schiff lange genug hielt, um eine einzige Fahrt zu absolvieren.
Obwohl die Snarleyow, weder was die Geschwindigkeit betraf, noch im Hinblick auf ihre Wendigkeit, kaum Poertenas ursprünglichem Zweimaster-Entwurf entsprach, war sie immer noch um ein immenses Maß effizienter als jedes andere Schiff, das bisher von Mardukanern konstruiert worden war. Das musste sie auch sein. Das Wetter vor Ort bestand aus einem fast unablässigen Nordostwind, und genau das war ausgerechnet die Richtung, in die diese Flotte würde aufbrechen müssen. Deswegen auch die dreieckigen Segel. Die Längsschifftakelung – eine Technik, die erst die Menschen auf den Planeten Marduk gebracht hatten – gestattete es einem Schiff, sehr viel höher am Wind zu segeln als jedes der vor Ort konstruierten Boote mit ihren ineffizienten, primitiven Rahsegeln. Ähnliche Schiffe hatten die Weltmeere der Erde bis hin zum Beginn des Informationszeitalters befahren, und für Wasserwelten wie Pinopa waren sie weiterhin die Hauptstütze geblieben.
»Jetzt bin ich richtig verwirrt«, stöhnte Julian. »Also gut. Irgendetwas irgendwo anbinden heißt ›belegen‹. Ein Seil …«
»… Endä …«
»… ein Ende, mit dem man ein Segel bewegt, heißt ›Schot‹. Ein Ende, das einen Mast hält, heißt ›Stag‹. Und ein Block ist das Eisendingsda am Mast.«
»Am Baum«, korrigierte der schwitzende Poertena ihn. Wie jeder Tag besaß auch dieser frappierende Ähnlichkeit mit einem Dampfbad, trotz der seichten Brise, die die Segel aufblähte. »Deä Block befindät sich am Baum. Un’, klar, ’s gibt ein-tscheibigä Blöckä mit Hundsfott un’ zwei-tscheibigä …«
»Ich geb’s auf!«
»Mach dir keinä Sorgän«, erwiderte der Pinopaner und gluckste. »Du bist doch erst ’n paar Wochän dabei. Un’ du hast mich un’ all die vierarmigän Ungeheuä, die das Segäln übärnehmän. Musst einfach nur ziehän, wenn’s heißt ›holt dicht‹, und machst das Gegenteil, wenn’s heißt ›fiert auf‹.«
»Und festhalten, wenn’s ›belegen‹ heißt.«
»Und ganz fest festhaltän, wenn’s ›belegän‹ heißt.«
»Das ist alles Rogers Schuld!«, brach es aus Julian heraus, und er schüttelte erneut den Kopf.
»Was ›ist alles Rogers Schuld‹?«, erklang eine kühle Frauenstimme hinter ihm.
Julian warf einen Blick über die Schulter und grinste Nimashet Despreaux an. Der Sergeant schaute ihn stirnrunzelnd an, doch ihre Verärgerung perlte an dem unverwüstlichen Unteroffizier ab wie Wasser an den Federn einer Ente.
»Es ist überhaupt nur Rogers Schuld, dass wir in dieser misslichen Lage stecken«, erwiderte er. »Ohne ihn müsste ich diesen ganzen Mist nicht lernen!«
Despreaux öffnete schon den Mund, Julian allerdings hob abwehrend die Hand, bevor sie ihn anfahren konnte.
»Ganz ruhig, Nimashet! Ich weiß, dass das nicht Rogers Schuld ist. War nur ’n Scherz, okay?«
Despreaux’ gerunzelte Stirn betonte die klassische Schönheit ihrer Gesichtszüge nur noch, doch ihre Besorgnis war deutlich zu erkennen.
»Roger … kommt immer noch nicht über Kostas Tod hinweg, Adib! Ich will einfach … ich will einfach nicht, dass irgendjemand auch nur darüber Witze macht, das alles könnte ›seine Schuld‹ sein«, erklärte sie, und Poertena nickte zustimmend.
»Deä Prinz hat uns nich’ hiär ausgesätzt, Juliän! Die Saints un’ wer auch immär diesän Tschaisch-Toombie auf uns angesetzt haben, deä hat uns hiär ausgesätzt!« Der kleinwüchsige Waffenmeister zuckte mit den Schultern. »Ich würd sagän, dein Witz war nich’ geradä zum Totlachän, was?«
»Okay«, gestand Julian gekränkt ein. »Da ist was dran. Roger hat daran wirklich ordentlich zu knabbern, oder?«
»Er ist verdammt am Boden, wenn du das meinst, ja«, erwiderte Despreaux.
»Na ja, ich bin mir sicher, dass du irgendetwas tun könntest, um ihn aufzuheitern«, schlug Julian mit einem anzüglichen Grinsen vor.
»Oh, so ’n Tschaisch!«, murmelte Poertena, und zog sich schnellstens zurück. Nach so einem Spruch würde die Kacke gleich zu dampfen beginnen.
»Na, wenn das mal keine Meuterei gibt!«, meinte Sergeant Major Eva Kosutic und gesellte sich zu ihnen. Sie blickte in Despreaux’ wütend verzerrtes Gesicht, begutachtete dann Julians ›Ich-kann-überhaupt-kein-Wässerchen-trüben‹-Blick, und runzelte die Stirn. »Also gut, Julian: was hast du diesmal gesagt?«
»Was denn, ich?«, spielte Julian den absolut Unschuldigen, hatte jedoch nur wenig Hoffnung, den Konsequenzen entgehen zu können. Der Sergeant Major besaß ein geradezu verblüffendes Timing: Sie tauchte immer genau da auf, wo die Action am heißesten war. Und wenn er es genau bedachte, beschrieb das auch ihr Verhalten im Bett recht exakt. »Was soll ich denn gesagt haben?«
Nun schaute er vom Sergeant Major zu der offensichtlich kurz vor der Explosion stehenden Despreaux, kam zu dem Schluss, jetzt alles zu gestehen biete ihm die größten Überlebenschancen, und zuckte dann mit bedauernder Miene die Achseln.
»Ich habe doch nur den Vorschlag gemacht, eine Möglichkeit zu finden, um Roger aufzuheitern«, gab er zu, und dann, er war nicht fähig, es zu unterdrücken, zog erneut ein Grinsen über sein Gesicht. »Mir zum Beispiel geht es prächtig! Ich bin Gott weiß in letzter Zeit viel heiterer gestimmt als früher!«
Sergeant Major Kosutic verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Also, wenn du das so siehst, dann wirst du in nächster Zeit deutlich weniger Grund zur Heiterkeit haben!« Sie schaute die drei Unteroffiziere an und schüttelte den Kopf. »Das hier ist glasklar ein Fall von Müßiggang, und der ist der Anfang all dessen, was der Herr der Finsternis gutheißt! Poertena, ich dachte, du würdest hier eine allgemeine Einführung in die Takelage durchführen!«
»Ich hab geradä versucht, Juliän ’n bisschen Nachhilfä zu gebän, Sergeant Major«, erwiderte der Pinopaner und warf das Ende, das er gerade aufgeschossen hatte, auf Deck. »Abär das hilft nich’ viel.«
»Ich habe alle Informationen auf mein Toot gepackt«, erwiderte Julian achselzuckend. »Aber ein paar der Daten scheinen falsch zu sein, und der Rest hüpft in meinem Hirn einfach nur hin und her. Ich meine, was soll den bitte ›Luv‹ bedeuten?«
»Die Luvseite sie die, aus der der Wind kommt«, erwiderte Kosutic, »und in Lee steht dann das Segel.« Sie schüttelte den Kopf. »Das weiß ja sogar ich, und ich hasse Segeln! Wir hätten eigentlich wissen müssen, was passiert, wenn wir versuchen, aus Marines Matrosen zu machen.«
»Eigentlich müssän wir das gar nich’, Sergeant Major«, erklärte Poertena ihr. »Wir habän reichlich Mardukanär füä den Job.«
»Wir müssen sowieso noch an unserer Angriffstaktik arbeiten«, betonte jetzt auch Julian. »Wir haben die ganze Zeit Gefechte auf freiem Feld geführt, aber wenn wir diesen Raumhafen einnehmen wollen, dann wird ein Großteil der Kämpfe auf kurze Distanz stattfinden. Das erfordert einen ganz anderen Kampfstil, Sergeant Major! Und seit Q’Nkok haben wir in dieser Richtung nichts mehr im Repertoire gehabt.«
Sergeant Major Kosutic runzelte die Stirn, dann nickte sie. Sie war sich sicher, dass Julian sich das nur hatte einfallen lassen, weil ihm so etwas deutlich mehr Spaß machte, als das Segeln zu erlernen. Aber das bedeutete ja nicht zwangsläufig, dass er Unrecht hatte.
»Okay. Stimmt. Wenn wir unbedingt Matrosen hätten haben wollen, dann hätten wir euch auf der DeGlopper lassen und Navy-Säue mitnehmen sollen. Ich werde mit dem Alten über diese Abänderung des Plans reden. Wenn er einverstanden ist, dann werden wir uns den ganzen Rest dieser Überfahrt mit Nahkampftechniken beschäftigen.«
»Un’ kann gut sein«, gab Poertena mit düsterer Miene zu bedenken, »wir brauchän die vielleicht schon frühär. Auf so ’nem Meär wie diesäm isses nich’ wahrscheinlich, dass es keinä Piratän gibt.«
»Und dann wären da noch die FVAGs – die ›Fische von außergewöhnlicher Größe‹«, gluckste Julian und deutete auf das smaragdgrüne Wasser. »So weit, so gut, oder?«
»Mach keine Witze darüber!«, murmelte Despreaux. »Ich habe die Aufzeichnungen gelesen! Ich habe keine Lust, mich mit irgendetwas anzulegen, was groß genug ist, ein ganzes Boot in der Mitte durchzubeißen, selbst wenn nur von einem kleinen Boot die Rede ist.«
»Naja«, meinte Kosutic und zupfte an ihrem Ohrläppchen. »Wenn es ganz schlimm wird, können wir immer noch Roger ein Taschenmesser in die Hand drücken und ihn zu den Fischen werfen.«
»Ohhh!« Julian schüttelte den Kopf. »Du hast bisher noch nicht einen einzigen dieser kleinen Fischchen auch nur gesehen, und trotzdem hasst du sie jetzt schon so?«
Prinz Roger Ramius Sergei Alexander Chiang MacClintock, Thronerbe dritten Grades des Kaiserreiches der Menschheit, wandte den Blick von den schäumenden Wellen ab und richtete seine Aufmerksamkeit stattdessen auf das geschäftige Treiben an Bord des Schiffes. Sergeant Major Kosutic hatte gerade die kleine Gruppe aufgelöst, die sich um Julian geschart hatte, und nun gingen die vier Unteroffiziere in vier verschiedene Richtungen davon. Roger nahm sich ein wenig Zeit, Despreaux hinterher zu schauen, die zum Vorschiff ging. Er wusste, dass seine Niedergeschlagenheit langsam auch auf sie abzufärben begann und er sich zusammenreißen und diese Depression hinter sich lassen sollte. Doch Kostas verloren zu haben, das hatte eine Wunde gerissen, die einfach nicht verheilen wollte, und ihm, Roger, war viel zu viel Zeit geblieben, darüber nachzudenken, seit die hektischen Anstrengungen, diese sieben Schiffe zu bauen, der Ruhe auf der Fahrt selbst gewichen waren. Zum ersten Mal seit langer Zeit, es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, musste er sich nicht bis zur Erschöpfung damit befassen, einheimische Soldaten auszubilden, gegen Barbarenarmeen zu kämpfen, Schiffe zu bauen oder einfach nur durch einen endlosen Dschungel zu marschieren. Es war auch nichts aktiv darauf bedacht, ihn zu töten, ihn zu verschlingen, ein Attentat auf ihn zu verüben oder ihn zu entführen; und irgendwo in seinem Hinterkopf war er gelinde gesagt erstaunt darüber, wie sehr ihn diese Verschnaufpause deprimierte. Zeit zum Nachdenken und zum Grübeln tat, wie er jetzt erfahren musste, nicht immer wirklich gut.
Er war sich recht sicher, dass er die Liste der Gefallenen jederzeit von seinem implantierten Toot hätte abrufen können. Aber das wäre einfach sinnlos gewesen. Als sie auf diesem Planeten gelandet waren, hatte die Bravo Company des Bronze-Bataillons der Kaiserlichen Garde nur aus gesichtslosen Marines bestanden. Und die Offiziere und die Mannschaft des Sturmschiffs DeGlopper, längst nur noch eine immer weiter expandierende Plasmawolke, waren verschwommene Schatten, mehr nicht. Doch kurz nachdem die Piloten die Raumfähren trotz vollständig ausgefallener Triebwerke mehr oder weniger intakt auf dieser Hinterwäldler-Hölle aufgesetzt hatten, irgendwann zwischen den mörderischen Kämpfen, die in der ersten Stadt ausgebrochen waren, die sie aufgesucht hatten, und den gewaltigen Schlachten gegen die Kranolta-Barbaren, waren die Marines viel mehr geworden als nur gesichtslose Gestalten. In vielerlei Hinsicht standen sie ihm sogar näher als die eigene Familie – waren ihm so nah wie ein eigenes Körperteil.
Und jeder einzelne Verlust war, als würde ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen.
Erst hatte sie fast die halbe Kompanie verloren: in Voitan, als sie gegen die Kranolta gekämpft hatten. Dann dieses allmähliche Verlust immer weiterer Leute, während sie sich quer durch den ganzen Kontinent gekämpft hatten. Weitere gute Männer und Frauen waren in Diaspra im Kampf gegen die Boman gefallen, und dann noch eine Hand voll in Sindi, als sie sich den Hauptstreitkräften der Boman gegenübergesehen hatten. Dann gab es die, die den Höllenviechern und den Vampir-Motten zum Opfer gefallen waren. Und den Höllenkroks. Diesen gottverfluchten Höllenkroks!
Und zu denjenigen, die sie verloren hatten, gehörte auch Kostas.
Kostas. Kein Marduk, nicht einmal einer der Piloten der Navy-Fähren. Keiner der Marduk-Söldner, aus denen später die Bronze-Barbaren werden sollten. Deren Verlust konnte Roger, in einem gewissen Maße zumindest, noch rechtfertigen. Die gesamte, die einzige Aufgabe der Bravo-Kompanie und ihrer Söldner bestand darin, die einst schneeweiße Haut von Prinz Roger Ramius Sergei Alexander Chiang MacClintock zu retten, und jeder Einzelne hatte das gewusst, bevor er oder sie sich dafür entschieden hatte, der Kompanie beizutreten. Doch das war nicht Kostas Aufgabe gewesen. Er war nur ein Kammerdiener gewesen. Ein Niemand. Ein Nichts. Einfach nur … Kostas.
Einfach nur der Mann, der Roger beigestanden hatte, als der gesamte Rest des Universums fest davon ausgegangen war, er sei ein Totalversager. Einfach nur der Mann, der, als ihm die Aufgabe übertragen worden war, für die Nahrung und die Kleidung der gesamte Kompanie auf ihrem schier nicht enden wollenden Marsch zu sorgen, diese klaglos auf sich genommen hatte. Einfach nur der Mann, der auch dort noch Nahrung gefunden hatte, wo es eigentlich gar keine gab, und der herrliche Festessen aus Sumpfwasser und Fleischfressern zu zaubern vermocht hatte. Einfach nur der Mann, der für Roger stets die Rolle einer Vaterfigur ausgefüllt hatte.
Einfach nur Kostas.
Und Kostas war noch nicht einmal im Kampf gefallen. Eines dieser Höllenkroks hatte ihn erwischt: fünf Meter gummiartige Haut und scharfe Zähne. Einfach nur eine der unzähligen Gefahren dieser verdammten Dschungel auf Marduk. Roger hatte das Krok fast sofort getötet, doch es war schon zu spät gewesen. Seitdem hatte er Dutzende dieser Tiere getötet, doch bei jedem einzelnen davon war es zu spät für Kostas. Zu spät für seinen … Freund.
Während seiner Kindheit und seiner Jugend hatte er nicht viele Freunde gehabt. Selbst als der unbedeutendste Sprößling der Kaiserlichen Familie lag vor ihm eine Zukunft voller Einfluss und Reichtum. Und von Kindesbeinen an war der Prinz stets von Speichelleckern in Hülle und Fülle umgeben gewesen. Die Drahtzieher der zahllosen, undurchschaubaren Intrigen von Imperial City waren stets bemüht gewesen, den egozentrischen Prinzen für sich zu vereinnahmen. Und als Roger schließlich ein Teenager geworden war, da war es Kostas gewesen – der vorsichtige Kostas, das ›Mäuschen‹, der ihm dabei geholfen hatte, unbeschadet einen Weg zwischen all diesen gefährlichen Klippen und Untiefen zu finden. Oft sogar so, dass Roger es nicht einmal bemerkt hatte.
Und nun war Kostas fort. Einfach … fort. So wie Nutte und Bilali und Pentzikis und … alle Götter! Die Liste hörte ja gar nicht mehr auf!
Oh, natürlich hatten sie auch auf der Gegenseite ihre Anzahl Witwen hinterlassen. Sie hatten Bündnisse geknüpft, wo immer das möglich gewesen war, hatten einige Orte sogar einfach so, ohne jede Schwierigkeit durchqueren können. Doch in der Mehrzahl der Fälle hatten sie auf Plasmakanonen und Perlkugelgewehre zurückgreifen müssen, auf Schwerter und Piken und ein paar Jahrtausende technischer und taktischer Erfahrung, und hatten sich einen Pfad der Zerstörung freigesprengt, dem selbst ein Blinder folgen könnte, einfach weil ihnen keine andere Wahl geblieben war. Was wiederum zu neuen Problemen führte, denn sie konnten wirklich keinen Ariadnefaden hinter sich gebrauchen. Vor allem, da sie bereits wussten, dass es auf diesem Planeten nicht nur ›zufällige‹ Gegner gab. Natürlich, es gab mehr als genug potenzieller Feinde, die zu einer Gefahr geworden waren, einfach weil sie … der Ansicht waren, ihnen stünde ein Mitspracherecht dabei zu, wenn die Kompanie ihr Territorium durchqueren wollte; von denen allerdings abgesehen standen Roger und die Bronze-Barbaren den geschworenen Feinden des Kaiserreiches und der Kaiserlichen Familie selbst gegenüber.
Rein formal gehörte der Planet Marduk zum Einflussbereich des Kaiserreiches der Menschheit. Tatsächlich war sogar offiziell die Kaiserin persönlich die Regentin, denn der Planet war vor mehreren Jahrhunderten vom immer weiter expandierenden Kaiserreich entdeckt und prompt für das Geschlecht der MacClintock beansprucht worden. Mehr als ein Jahrhundert lang war der Planet nicht mehr gewesen als ein Name auf einer Karte. Dann, in den ersten Tagen der Regentschaft von Rogers Großvater, wurde neue Pläne für den Schützen-Sektor geschmiedet. Siedler sollten zu den Planeten in dieser Region ausgesandt werden, und damit sollte für die bedauernswerten Armen der Inneren Welten ein ›neues Zeitalter der Hoffnung‹ anbrechen. Um diese geplante Expansion vorzubereiten, waren auf zahlreichen der bewohnbaren Planeten Außenposten eingerichtet und mit einfachen, schnörkellosen Raumhäfen ausgestattet worden. Die Kaiserliche Regierung nutzte erste Investitionen, eine gewisse, wenn auch eingeschränkte, Infrastruktur zu schaffen, und bot einigen der größten interstellar tätigen Firmen höchst attraktive Konzessionen, um dort die weitere Entwicklung voranzutreiben; doch alles in allem waren diese Sektoren tatsächlich als neue Heimatwelten für die ›kleinen Leute‹ aus dem Kaiserreich vorgesehen gewesen.
Roger dachte, diese Pläne würden sehr deutlich den altruistischen Charakter seines Großvaters belegen. Natürlich waren es eben gerade dieser deplazierte Altruismus und die Neigung seines Großvaters gewesen, seinen Ratgebern zu vertrauen – überzeugt davon, deren Charakter zu kennen, die einen Großteil der Probleme geschaffen hatten, mit denen sich Rogers Kaiserliche Mutter dann hatte befassen müssen: zuerst als Erbin ersten Grades, später dann als Kaiserin – und das schon vor Rogers Geburt. Und dieser Altruismus war in den meisten Fällen dann doch enttäuscht worden.
So auch im Falle der Projekte im Schützen-Sektor.
Es erwies sich als ungünstig für die Pläne seines Großvaters, dass die ›Armen‹ der Inneren Welten recht zufrieden mit ihrer schlecht bezahlten Arbeit waren oder zumindest mit der Unterstützung, die sie von der Regierung erhielten. Hatten sie die Wahl zwischen einem kleinen, aber anständigen Apartment in Imperial City oder Metrocal, in New Glasgow oder Delcutta und einem kleinen, aber anständigen Häuschen irgendwo in der tiefsten Wildnis, dann wussten die ›Armen‹ sehr genau, wofür sie sich zu entscheiden hatten. Vor allem, wenn diese ›tiefste Wildnis‹ auf einem Planeten wie Marduk lag. Selbst in Delcutta musste sich kaum jemand Sorgen machen, irgendwann gefressen zu werden.
Und so lag dann trotz aller Pläne der Regierung (und aller Pläne von Kaiser Andrew) der Sektor brach. Oh, zwei oder drei der Sternsysteme in diesem Gebiet hatten wenigstens einige Kolonisten angezogen, und im Sandahl-System war es sogar richtig gut gelaufen. Doch Sandahl lag ganz am Rand des Schützen-Sektors, eigentlich war es schon fast eher ein Ausläufer des benachbarten Handelmann-Sektors. Doch bei den meisten Außenposten und Raumhäfen im Schützen-Sektor begriffen die dort Stationierten, dass man sie zu Gastgebern einer Party ernannt hatte, zu der einfach niemand kommen wollte. Außer den Saints.
Einer der weniger altruistischen Gründe für die Bemühungen, diesen Sektor zu kolonisieren, hatte darin bestanden, dass das Caravazanische Reich sich in diese Richtung auszudehnen begann. Bedauerlicherweise war der Plan, hier durch die Kolonisierungsmaßnahmen ein entsprechendes Gegengewicht zu schaffen, schlichtweg gescheitert, und während die Saints ihre Expansion immer weiter vorantrieben, entdeckten sie irgendwann den Raumhafen, der auf dem kleinen, gebirgigen Subkontinent von Marduk angelegt worden war.
In vielerlei Hinsicht war Marduk für die Zwecke der Saints einfach perfekt. Auf dieser ›unberührten Welt‹ musste kaum etwas ›geheilt‹ werden, um sie wieder in ihren ›natürliche Zustand‹ zurückzuversetzen. Oder sie zu kolonisieren. Mit ihrer höheren Geburtenrate und trotz ihrer ›ökologiezentrischen‹ Position waren die Saints doch bemerkenswert expansionistisch. Das war eine der vielen kleinen Ungereimtheiten in ihrer Weltanschauung, die dafür sorgten, dass es ihnen nicht gelang, sich bei ihren interstellaren Nachbarn beliebt zu machen. Und in der Zwischenzeit war das Sternsystem ein recht etablierter Ausgangspunkt für Geheimdiensttätigkeit tiefer im Kaiserreich der Menschheit geworden.
Roger und seine Marines hatten nicht gewusst, welche Bedingungen auf der Oberfläche des Planeten herrschten. Doch nachdem ihr Sturmtransporter, die HMS DeGlopper, von einem programmierten ›Toombie‹ sabotiert worden war, benötigten sie dringend die Unterstützung des nächstgelegenen Raumhafen, den sie ansteuern konnten – und ihre Wahl war auf Marduk gefallen. Sie hatten den Planeten erreicht, nur um bedauerlicherweise sofort von zwei Unterlicht-Kreuzern der Saints angegriffen zu werden, die sich in dem System aufgehalten hatten – gemeinsam mit ihrem kugelförmigen Träger-Mutterschiff, das auch mit Überlichtgeschwindigkeit fahren konnte. Dass sich in diesem System Caravazanische Kriegsschiffe aufhielten, hatte den Marines eines verraten: Was auch immer hier vor sich ging, die planetare Regierung und die ›vor Ort‹ rekrutierten Kolonial-Wachen arbeiteten nicht mehr für das Kaiserreich. Das konnte durchaus daran liegen, dass sie alle tot waren; doch es war sehr viel wahrscheinlicher, dass sie zu irgendeiner Übereinkunft mit den Saints gekommen waren.
Wie auch immer das Schicksal des Gouverneurs ausgesehen haben mochte: die unangenehmen Grundzüge des neuen Auftrags der Bronze-Barbaren war nur zu klar: Es war der DeGlopper gelungen, die beiden Saints-Kreuzer zu besiegen, doch dabei wurde auch sie selbst vollständig zerstört, und sämtliche Soldaten an Bord fanden den Tod. Glücklicherweise war es dem Prinzen und seiner Marines-Leibwache gelungen, mit Hilfe von Sturmfähren unbemerkt zu entkommen, während die DeGlopper starb. Der Untergang des Schiffes diente gleichzeitig dazu, von der Flucht abzulenken und sämtliche Hinweise darauf, dass sich Prinz Roger an Bord des Schiffes befunden hatte, vollständig zu vernichten. Bedauerlicherweise bestand die einzige Möglichkeit für die Marines, Roger jemals wieder nach Hause zurückzubringen, darin, den Raumhafen aus den Händen derjenigen zu erobern, die ihn derzeit kontrollierten, und dann ein Schiff zu kapern. Und das möglicherweise ganz in der Nähe des immer im Orbit patrouillierenden Caravazanischen Transporters.
Das war schlichtweg zu viel verlangt, vor allem für eine einzelne, unterbesetzte Marines-Kompanie, ob diese nun eine Eliteeinheit war oder nicht: schiffbrüchig auf einem Planeten, dessen grausames Klima jegliche High-Tech-Ausrüstung wegfraß, als handele es sich um Süßigkeiten. Die Tatsache, dass dem Bronze-Bataillon nur ein sehr eingeschränktes Zeitfenster blieb, bis ihnen die essenziellen Nahrungsmittelergänzungen ausgingen, machte die Aufgabe nur noch schwerer. Doch die Bravo-Kompanie der Kaiserlichen Garde war schließlich die Einheit, die fünfzehntausend schreiende Kranolta-Barbaren zu Hackfleisch verarbeitet hatte. Die Einheit, die jeden einzelnen Feind vernichtet hatte, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte, und das um den halben Planeten herum.
Ob es nun also irgendwann darauf hinauslief, gegen abtrünnige Kolonial-Wachen zu kämpfen oder gegen einen Saints-Transporter, das war bedeutungslos. Die Bronze-Barbaren und die Kaiserlichen Marduk-Wachen Seiner Hoheit würde auch diese in Grund und Boden hämmern.
Aber das bedeutete nicht, dass alle zum Hämmern notwendigen Werkzeuge das auch überleben würden.
Armand Pahner kaute auf einer Scheibe mild-scharfer Bisti-Wurzel und beobachtete aus dem Augenwinkel den Prinzen, als Kosutic an ihn herantrat. Wahrscheinlich wollte sie ihm jetzt vorschlagen, das Trainingsprogramm abzuändern, und er würde dem auch zustimmen; denn inzwischen war es nur allzu deutlich geworden, dass sie auf dieser kurzen Fahrt, einmal quer über das Westmeer, aus diesen Marines niemals ›richtige‹ Matrosen machen würden.
Sie befanden sich jetzt auf der letzten Etappe einer Reise, die schon vor vielen Monaten begonnen hatte, und er hätte darüber erfreuter nicht sein können. Am Ende würde ein hartes Gefecht stehen. Den Raumhafen einnehmen und, was noch wichtiger sein würde, ein funktionsfähiges Schiff kapern, das waren echte, anständige Aufgaben für Soldaten. Aber im Vergleich zum ganzen Rest dieser Reise sollte das doch wirklich ein Spaziergang werden.
Grimmig grinste er in sich hinein, nicht zum ersten Mal, erheitert davon, wie leicht und wie vollständig eine ›Routine‹-Reise schief gehen konnte. Vorausgesetzt, sie würden jemals dazu kommen, Bericht zu erstatten, dann würde die Planungsabteilung des Sicherheitsdienstes diesen Bericht gewisslich ausgiebig studieren. Murphys Gesetz hatte hier ganz offensichtlich zu jedem einzelnen Zeitpunkt Gültigkeit gehabt, von der bedauernswerten Saboteurin, die heimlich in die aufrechte Schiffsbesatzung eingeschleust und dann durch Fremdbefehle in ihrem Toot zu ihrem Selbstmordattentat angestachelt worden war, über die miserable Auswahl an Planeten, die sie angesichts eines Zwischenfalls hatten ansteuern können, bis zu der Anwesenheit von Saints-Streitkräften in diesem angeblich doch der Kaiserin unterstehenden System.
Nachdem sie dann die Oberfläche des Planeten selbst erreicht hatten, war es erst richtig bergab gegangen. Das Einzige, was die ganze Situation nicht völlig unerträglich gemacht hatte, war, dass sie wenigstens nur das mit Abstand schwächste und unwichtigste Mitglied der kaiserlichen Familie zu bewachen hatten. Bloß … war Roger das nicht mehr. Der geckenhafte, nutzlose Prinz, der von der Erde hierher gekommen war, hatte irgendwo in den Dschungeln von Marduk den Tod gefunden. Der MacClintock-Krieger, der seinen Platz eingenommen hatte, schlug sich mit eigenen Problemen herum: Die wichtigsten darunter waren die Neigung zum Grübeln und die noch gefährlichere Tendenz, für die Lösung seiner Probleme stets zu einem Gewehr zu greifen. Aber niemand konnte ihn jetzt noch als ›Gecken‹ bezeichnen. Zumindest nicht in seiner Gegenwart. Es sei denn, man legte keinen Wert auf das eigene Überleben.
Betrachtete man diese ganze Odyssee mit eiskalter Logik, dann konnte man sie als immens nützlich und wohltuend bezeichnen, trotz des Absturzes, trotz der zahlreichen Todesfälle und so weiter. Langfristig hätte der ›alte Prinz‹ – gedankenlos, an politischen Entscheidungen nicht beteiligt und jederzeit von den verschiedenen Fraktionen des Kaiserlichen Palastes manipulier- oder gar gänzlich steuerbar – mit größter Wahrscheinlichkeit den Tod von weit mehr Menschen verursacht, als nur einer Marines-Kompanie. Insofern konnte man den Verlust so vieler von ›Pahners Barbaren‹ fast als Gewinn betrachten.
Wenn man mit genügend eiskalter Logik heranging.
Aber es war doch sehr schwierig, diese Logik aufzubringen, wenn es die eigenen Marines waren, die dabei das Sterben übernahmen.
Kosutic lächelte den Kompaniechef an. Sie wusste verdammt genau, worüber er gerade nachdachte, zumindest im Groben, vielleicht sogar im Detail. Aber es konnte nie schaden zu fragen.
»Was geht Ihnen gerade durch den Kopf, Captain?«
»Ich weiß nicht, was seine Mutter sagen wird«, erwiderte der Captain. Das war zwar nicht ganz genau das, worüber er bis eben nachgedacht hatte, aber es stellte doch einen wesentlichen Bestandteil seiner letzten Gedankengänge dar.
»Naja, anfänglich wird sie es wohl sicherlich einfach nicht glauben können«, entgegnete Kosutic und schnaubte leise. »Nicht nur, dass wir überlebt haben und dass vor allem Prinz Roger überlebt hat, sondern vor allem auch die Art und Weise, wie er sich verändert hat. Es wird ihr schwer fallen, das zu akzeptieren. Es hat ja Momente gegeben, da sah es aus, als hätte der Leibhaftige Unheilige Selbst diesen Einsatz geplant, aber unter uns gesagt: Der Prinz macht sich doch immer besser.«
»Das ist wohl wahr«, entgegnete Pahner leise, lachte dann noch einmal in sich hinein und wechselte schließlich das Thema. »Wo wir gerade bei ›sich ganz gut machen‹ sind: Ich gehe davon aus, dass Sie nicht der Ansicht sind, wir könnte Julian noch in einen Schwabbergast verwandeln?«
»Meine Ansichten gehen eher in die Richtung, dass allein schon der Versuch wohl die Mühe nicht wert ist«, gestand Kosutic ein. »Außerdem hat Julian mich gerade daraufhingewiesen, dass wir, was den Nahkampf angeht, geradezu jämmerlich geworden sind, und bedauerlicherweise muss ich ihm Recht geben. Ich würde die Kompanie gerne dazu bringen, daran zu arbeiten, und vielleicht auch ein wenig gemeinsames Training mit der Marduk-Infanterie durchführen.«
»Soll mir recht sein«, stimmte Pahner ihr zu. »Despreaux hat den Kurs ›Taktischer Angriff für Fortgeschrittene‹ absolviert«, fügte er dann noch hinzu, nachdem er seine Erinnerung daran noch kurz mit Hilfe seines Toots verifiziert hatte. »Ernennen Sie sie zum Leitenden Unteroffizier!«
»Ah, Julian hat den Kurs auch gemacht«, warf der Sergeant Major ein. Pahner warf ihr einen erstaunten Blick zu, und sie zuckte mit den Schultern. »Das ist nicht offiziell, weil er den Kurs ›außer der Reihe‹ gemacht hat. Deswegen ist es auch in seiner Personalakte nicht eingetragen.«
»Wie ist denn das passiert?«, wollte Pahner wissen. Nachdem er diese Einheit nun schon so lange kannte, dachte er eigentlich, über jeden seiner Soldaten alles Wissenswerte tatsächlich auch zu wissen. Aber es gab doch immer wieder neue Überraschungen.
»TAF wird von Vertragslehrpersonal unterrichtet«, erklärte Kosutic. »Als Julian nicht für diesen Kurs eingeteilt wurde, hat er sich Urlaub genommen und ihn privat finanziert.«
»Hmmm.« Skeptisch schüttelte Pahner den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich ihn als Ausbilder einsetzen kann, wenn er den Kurs nicht ordnungsgemäß absolviert hat. Welcher Vertragspartner war das denn damals?«
»Firecat, LLC. Das ist die Firma, die Sergeant Major Catrone gegründet hat, nachdem er ausgestiegen ist.«
»Tomcat?« Wieder schüttelte Pahner den Kopf, doch diesmal lachte er. »Ich kann mir genau vorstellen, wie der diesen Kurs abhält! Im Dschungel war mir ein paar Mal fast so, als würde ich seine Stimme hören: ›Sie finden, es ist heiß? Oh Mann, warten Sie mit dem Beschweren doch, bis Sie in der Hölle angekommen sind! Und genau da kommen Sie auch gleich hin, wenn Sie nicht sofort Ihren Arsch in Bewegung setzen!‹«
»Wann im Fünften Namen des Leibhaftigen Unheiligen hatten Sie denn mit Sergeant Major Catrone zu tun?«, fragte Kosutic nun neugierig nach. »Der war doch schon mindestens ein Jahrzehnt im Ruhestand, als ich zu den Raiders gestoßen bin.«
»Das war einer meiner Grundausbilder auf dem Stützpunkt Brasilia«, gestand Pahner. »Dieser Mann hat wirklich sogar Durastahl noch weich aussehen lassen. Wir alle waren fest davon überzeugt, dass man das ChromSten für die Panzerungen macht, indem man Catrone Nägel zu frühstücken gibt und dann die Ausscheidungen in der Latrine einsammelt, weil der das Metall mit seinem zusammengekniffenen Arsch so zusammengepresst hat, dass die Atome selbst dabei komprimiert wurden. Wenn Julian diesen Kurs unter Tomcats Leitung bestanden hat, dann ist das für mich voll und ganz ausreichend. Entscheiden Sie selbst, wer die Leitung der Ausbildung übernehmen soll!«
»Okay. Betrachten Sie das als erledigt!« Kosutic winkte ihm in einer Art und Weise zu, dass man es fast als militärischen Gruß hätte durchgehen lassen können, dann wandte sie sich um und gab ein Handzeichen, auf das hin sich die anderen Unteroffiziere wieder rings um sie herum versammelten.
Pahner nickte, als er sah, dass sie einen Plan auf das Deck zeichnete. Training und Doktrinen mochten ja vielleicht nicht alles sein, worauf man während eines Gefechts zu achten hatte, aber mindestens die Hälfte eben schon. Und außerdem …
Sein Kopf ruckte hoch, und er schaute zur Wellenreiter hinüber, als erneut ein knallender Gewehrschuss ertönte, doch dann entspannte er sich sichtlich und grinste nur zustimmend. Es sah ganz so aus, als wären die Marines nicht die Einzigen, die ein wenig trainierten.
Mit einem lederumwickelten Offiziersstöckchen tippte Captain Krindi Fain gegen den Verschluss des Gewehrs.
»Den Lauf etwas tiefer! Du schießt zu hoch!«
»Tut mir Leid, Sir!«, erwiderte der Rekrut. »Ich glaube, das Schlingern des Schiffes lässt mich immer verreißen.« Mit dem unteren Handpaar umklammerte er den Hinterlader, während er mit den geschickteren oberen Händen eine weitere Ölpapierkartusche einführte. Das konnte er inzwischen mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit, deswegen hatte er sein hellblaues Leder-Kampfgeschirr mit diesen Kartuschen vollständig bedeckt.
»Es ist besser, etwas zu tief zu zielen«, erklärte der Offizier über den beißenden Schwefelgeruch des Pulvers hinweg. »Selbst wenn man dabei das eigentliche Ziel verfehlt, erhält man immer noch einen Treffer, an dem man sich orientieren kann. Und außerdem trifft man vielleicht einen Kumpel des Gegners.«
Das Schießen läuft gut, dachte er. Die Gewehre trafen wenigstens in die Nähe des schwimmenden Fasses. Aber es musste noch besser werden, denn die Carnan-Schützen neigten dazu, sich mitten ins Kampfgetümmel zu stürzen. Was doch ein gewisser Unterschied zu früher war, als sie noch das Carnan-Kanalarbeiter-Bataillon gewesen waren.
Der Captain schaute auf das Meer hinaus, das sich in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckte, und schnaubte verächtlich. Seine Heimat, Diaspra, wurde seit undenklichen Zeiten von einer höchst gütigen Theokratie regiert, die das Wasser anbetete, und die wenigen Priester, die die diaspranische Infanterie nach K’Vaerns Cove begleitet hatten, waren angesichts von so viel Wasser gar nichts mehr aus dem Staunen herausgekommen – und als es darum gegangen war, dieses Wasser zu durchqueren, da hatten sie gekniffen. So viel Gott auf einmal war dann doch etwas zu viel zum Anbeten Der Captain ging weiter zum nächsten Schützen und schaute dem Private über die Schulter. Fain war hoch gewachsen, selbst für einen Mardukaner – vielleicht nicht ganz so hoch gewachsen und so massig wie sein ›Schatten‹ Erkum Pol, aber doch immer noch hoch gewachsen genug, um diesem Private über die Schulter zu schauen, nachdem der Wind die gewaltige Pulverwolke verweht hatte.
»Tiefer und weiter nach links, Sardon! Ich glaube, dass du das mit dem Zielen gut hinbekommst; es ist bloß die Bewegung des Schiffes, die dich verreißen lässt. Übe mehr!«
»Jawohl, Sir!«, erwiderte der Private und brach dann in grunzendes Lachen aus. »Früher oder später bringen wir dieses Fass schon noch um«, versprach er, spuckte dann ein Stückchen Bisti-Wurzel aus und lud nach.
Fain schaute zum hintern Teil des Schiffes – zum Heck! Die Matrosen bestanden darauf, es das ›Heck‹ zu nennen. Major Bes, der Infanterie-Kommandant des Carnan-Bataillons – der ›BasikGarde‹, wie sie manchmal genannt wurde, auch wenn jegliche Ähnlichkeit zwischen dem Menschenprinzen, dem sie dienten, und den harmlosen, feigen Pflanzenfressern, eben den Basik, rein oberflächlich waren, sprach mit einem der drei Menschen-Privates, die auf das Schiff abkommandiert worden waren. Diese drei Menschen waren die ›Verbindungsleute‹ und kommunizierten untereinander mit Hilfe ihrer terrestrischen Systeme. Doch anders als die meisten anderen der noch verbliebenen Menschen fühlten diese hier sich weiterhin in der Gegenwart der Mardukaner unwohl, und der Gruppenführer schien besonders verärgert über die Qualität der Verpflegung. Was wieder einmal nur bewies, wie verzogen diese Menschen doch sein mussten. Das Essen, das sie bekamen, seit sie in die Armee eingetreten waren, stellte für die meisten Mardukaner einen der echten Höhepunkte dar.
»Ich mag das Essen«, grollte Erkum hinter ihm unzufrieden. »Der Mensch sollte seine Meinung für sich behalten.«
»Vielleicht.« Fain zuckte mit den Schultern. »Aber die Menschen sind unsere Arbeitgeber und Anführer. Wir haben von ihnen gelernt, und sie haben unsere Heimat gerettet. Ich komme damit zurecht, wenn einer von ihnen nicht ganz perfekt ist.«
Natürlich steckte dahinter mehr. Fain neigte sicherlich nicht zu übermäßiger Selbstreflektion, doch er hatte lange und konzentriert nachgedacht, bevor er zu dieser Reise aufgebrochen war. Nach der Schlacht um Sindi hatte der Menschen-Prinz bei der diaspranischen Infanterie nach Freiwilligen gesucht. Er hatte sie gewarnt, dass er nur wenig würde versprechen können – dass man ihnen Sold zahlen würde und sie neue Länder zu sehen bekämen, doch wenn man es genau betrachtete, dann wäre es das auch schon.