Der Mythos Jesus Christus - Arthur Drews - E-Book

Der Mythos Jesus Christus E-Book

Arthur Drews

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Beschreibung

Die Frage, ob Jesus jemals gelebt hat, zieht immer wieder die Aufmerksamkeit von Philosophen und Theologen auf sich. Drews' Buch leugnet die Historizität Jesu und seine Schlussfolgerungen wurden bereits bei der Erstveröffentlichung des Buches Anfang des 20. Jahrhunderts ausführlich untersucht. Während die in dem Buch dargelegten Ansichten vielleicht nicht einem breiten Leserkreis gefallen, ist der Autor dennoch einer der führenden Verfechter einer skeptischen Bewegung. Er bietet dem Leser nicht nur eine klare Darstellung der stärksten Argumente, die gegen die Glaubwürdigkeit der christlichen Überlieferungen über Jesus angeführt werden können, sondern auch eine konstruktive Erklärung des wahren Ursprungs des Christentums, wie es von vielen Kritikern interpretiert wird. Seine grundlegende Behauptung ist, dass das Urchristentum seine anfängliche Inspiration nicht von Jesus als einzigartiger menschlicher Persönlichkeit bezog, wie die moderne kritische Theologie behauptet, sondern von der Anbetung eines Jesus als Erlöser - Gott, der von den frühen Auslegern der neuen Religion allmählich eine konkrete, aber fiktive menschliche Gestalt erhielt.

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Der MythosJesus Christus

 

ARTHUR DREWS

 

 

 

 

 

 

 

Der Mythos Jesus Christus, A. Drews

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661014

 

Druck: Bookwire GmbH, Voltastr. 1, 60486 Frankfurt/M.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

VORWORT.. 1

DER VORCHRISTLICHE JESUS. 7

I. DER MESSIASGLAUBE UNTER DEM  EINFLUSS DES PARSENTUMS  11

2. DIE HELLENISTISCHE IDEE DES MITTLERS (PHILO)17

3. JESUS ALS KULTGOTT  DES JÜDISCHEN SEKTENGLAUBENS  20

4. DAS LEIDEN DES MESSIAS. 28

5. DIE GEBURT DES MESSIAS; DIE TAUFE.. 39

6. DAS SELBSTOPFER DES MESSIAS; DAS ABENDMAHL. 55

7. DIE SYMBOLIK DES MESSIAS:  DAS LAMM UND DAS KREUZ   61

DER CHRISTLICHE JESUS. 76

1. DER PAULINISCHE JESUS. 76

2. DER EVANGELISCHE JESUS. 104

a) DER SYNOPTISCHE JESUS. 105

b) DIE EINWÄNDE GEGEN DIE LEUGNUNG DER GESCHICHTLICHKEIT DES SYNOPTISCHEN JESUS. 117

c ) DER GNOSTIZISMUS UND DER JOHANNEISCHE JESUS  133

ANHANG: DIE PETRUSLEGENDE.. 141

DAS RELIGIÖSE PROBLEM DER GEGENWART.. 147

 

 

VORWORT

 

Seitdem David Friedr. Strauß in seinem "Leben Jesu" (1835/36) zum ersten Mal es unternommen hat, die evangelischen Erzählungen und Wundergeschichten auf Mythen und fromme Dichtung zurückzuführen, will der Zweifel an einem geschichtlichen Jesus nicht zur Ruhe kommen. Schon Bruno Bauer hat in den vierziger Jahren, freilich mit noch unzulänglichen Mitteln, das Leben Jesu als eine freie Erfindung des Urevangelisten Markus nachzuweisen, die gesamte christliche Religion aus der stoischen und alexandrinisch gefärbten Bildung des zweiten Jahrhunderts zu erklären versucht und hierbei besonders dem Seneca einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung der christlichen Anschauungsweise zugeschrieben. Aber erst die allerjüngste Zeit hat, ermutigt durch die wesentlich negativen Ergebnisse der sog. kritischen Theologie, den Gegenstand energisch aufgenommen und ist hierbei zu immer kühneren und überraschenderen Resultaten gelangt.

In England hat John M. Robertson in "Christianity and Mythology" (1900), "A Short history of Christianity" (1902), vor allem aber in seinem ausgezeichneten, durchaus ernst zu nehmenden Werke "Pagan Christs, studies in comparative hierology" (London 1903) das evangelische Christusbild aus einer Mischung mythologischer Elemente des Heidentums und Judentums hergeleitet. In Frankreich haben Émile Burnouf ("La science des religions", 4. Aufl. 1885) und Hochart ("Etudes d'histoire religieuse" 1890) wichtiges Material zur Aufklärung der Ursprünge des Christentums beigebracht und die Existenz eines historischen Christus durch ihre Resultate stark erschüttert. In Deutschland hat der Bremer Pastor Kalthoff in seiner Schrift über "Das Christusproblem, Grundlinien zu einer Sozialtheologie" (1903) gemeint, die Entstehung der christlichen Religion ohne Zuhilfenahme eines geschichtlichen Jesus rein aus einer sozialen Bewegung der niederen Massen zur Kaiserzeit erklären zu können, und die Einseitigkeit dieser Auffassung nachträglich durch seine Schrift über "Die Entstehung des Christentums, neue Beiträge zum Christusproblem" (1904) zu heben unternommen. (Vgl. auch dessen Schrift "Was wissen wir von Jesus? Eine Abrechnung mit Professor Bousset" 1904). Und schließlich hat der Amerikaner William Benjamin Smith in seinem Werke "Der vorchristliche Jesus" (1906) ein so helles Licht auf eine Anzahl wichtiger Momente bei der Entstehung des Christentums geworfen und so manche Punkte aufgeklärt, die uns einen tieferen Einblick in den wirklichen Zusammenhang der Ereignisse gestatten, dass wir jetzt anfangen, in dieser Beziehung wirklich klar zu sehen.

Die offizielle Wissenschaft in Deutschland und besonders die Theologie ist von allen diesen Auslassungen bisher noch so gut wie gänzlich unberührt geblieben. Zu Robertson hat sie meines Wissens noch in keiner Weise ernsthaft Stellung genommen. Ihre spärlichen Zitate seiner "Pagan Christs" erwecken nicht den Eindruck, dass von einer wirklichen Kenntnis seiner Darlegungen bei ihr die Rede sein kann. Vollends aber ist sie über Kalthoff mit der Miene besserwisserischer Überlegenheit oder noch lieber mit stillschweigender Verachtung hinweggeschritten und auch einer gründlichen Auseinandersetzung mit Smith bis jetzt vorsichtig aus dem Wege gegangen. 1 Und doch hat ein so angesehener Theologe, wie Prof. Paul Schmiedel in Zürich, der das Smithsche Werk mit einer Vorrede versehen hat, eine solche Auseinandersetzung als eine "Pflicht aller auf wissenschaftlichen Sinn Anspruch machenden Theologen" seinen Kollegen ans Herz gelegt und dringend vor einer Unterschätzung der streng wissenschaftlichen Arbeit von Smith gewarnt! "Woher will man denn die Ruhe nehmen", hatte Schmiedel seinen theologischen Kollegen zugerufen, "bei seinen bisherigen Ansichten zu bleiben, wenn man nicht prüft, ob sie durch solche neue Aufstellungen nicht doch ganz oder teilweise untergraben sind ? Oder handelt es sich etwa um Nebendinge und nicht vielmehr um das, was für die meisten geradezu das Fundament ihrer ganzen christlichen Überzeugung bildet? Sind aber diese neuen Aufstellungen so völlig nichtig, so muss es doch ein Leichtes, ja, ein Vergnügen sein, dies zu beweisen."

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die sich gegen die Existenz eines historischen Jesus aussprechen. In weiten Kreisen wächst der Zweifel an dem geschichtlichen Charakter des evangelischen Christusbildes. Populäre Tendenzschriften von der Art, wie die von Plange bearbeiteten Untersuchungen des Franzosen Jacolliot "Jesus ein Inder" (1898), müssen zur Befriedigung des Wissensdurstes dienen und verwirren die Ansichten mehr, als dass sie diese klären. In einer kleinen Schrift über "Die Entstehung des Christentums" (1905) hat Promus eine kurze Zusammenstellung des wichtigsten bezüglichen Materiales, freilich ohne eigene Durchbildung, geliefert und die Existenz eines historischen Christus bestritten. Und neuerdings hat besonders der jüngst verstorbene Jenenser Orientalist Karl Völlers in seinem verdienstlichen Werke über "Die Weltreligionen in ihrem geschichtlichen Zusammenhange" (1907) die Ansicht ausgesprochen, "dass gewichtige Gründe für diese radikale Mythendeutung sprechen und dass keine absolut entscheidenden Argumente für die Geschichtlichkeit der Person Jesu beigebracht werden können" (a.a.O. 163). Ja, ein anderer Orientalist, P. Jensen, hat in seinem Werke "Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur" (1906) sogar gemeint, wie die Hauptgeschichten des Alten Testamentes, so auch die ganze Lebensdarstellung Jesu in den Evangelien als bloße Abwandlungen des babylonischen Gilgamesch-Epos (um 2000 v.Chr.) und demnach als reine Sage nachweisen zu können.

Während so die Kritik der evangelischen Urkunden immer kühner fortschreitet und immer weniger von einem historischen Jesus übrig lässt, wächst in der religiösen Populärliteratur die Zahl der Werke ins Ungeheure, die auf Verherrlichung des Menschen Jesus abzielen und den Mangel an gesichertem historischem Material durch salbungsvolle Phrasen und den Brustton der Überzeugung zu ersetzen versuchen, ja die Schönrednerei, die sich in dieser Hinsicht breit macht, scheint umso mehr Anklang zu finden, mit je weniger historischem Gehalt sie arbeitet. Und doch ist die Wissenschaft als solche schon längst auf dem Punkte angekommen, wo der geschichtliche Jesus auch ihr unter den Händen zu entschwinden droht. Die jüngsten Ergebnisse auf dem Gebiete der orientalischen Mythologie und Religion, die Fortschritte der vergleichenden Religionsgeschichte, wie sich diese in England besonders an die Namen von Frazer und Robertson, in Deutschland an die Namen Winkler, Gunkel, Jensen usw. knüpfen, haben unsere Kenntnis der religiösen Zustände Vorderasiens in den letzten Jahrhunderten v. Chr. so sehr gefördert, dass wir keine Veranlassung mehr haben, uns für die Entstehung des Christentums allein auf die Evangelien und die übrigen Schriften des Neuen Testamentes zu verlassen. Die kritische und historische Theologie des Protestantismus hat selbst so tief in die Ursprünge der christlichen Religion hineingeleuchtet, dass die Frage nach der geschichtlichen Existenz Jesu alles Paradoxe, was ihr in den Augen vieler bisher noch angehaftet haben mag, verliert. Sie selbst hat keine Veranlassung mehr, sich darüber zu ereifern, wenn jemand diese Frage in einem ihr entgegengesetzten Sinne beantwortet. Im Gegenteil machen die bezüglichen Untersuchungen der Theologen auf den Unvoreingenommenen nur zu oft den Eindruck, dass die Verfasser die wahren Konsequenzen ihrer Ansichten nur nicht selbst auszusprechen wagen. Man fühlt sich an den Theologen Schweitzer erinnert, wenn dieser in seiner Schrift "Von Reimarus bis Wrede" (1906) der Hoffnung Ausdruck gibt, die Theologie werde" einmal (,quousquetandem, Catilina?) ganz ehrlich" (!) werden, jedoch hinzufügt, dies sei — eine "Prophezeiung auf die Zukunft" (a. a. O. 249).

Nun, wir Nichttheologen, die wir nichtsdestoweniger für die wahren Anfänge der christlichen Religion das größte Interesse haben, können nicht auf diese "Zukunft" warten. Der Verfasser der vorliegenden Schrift hat bis jetzt gehofft, es möchte unter den Historikern des Christentums selbst einer aufstehen und die Ergebnisse der bisherigen Evangelienkritik, die schon heute klar zutage liegen, ohne irgendwelche Vertuschung ziehen. Da diese Hoffnung sich nicht erfüllt hat, man vielmehr in theologischen Kreisen ruhig fortfährt, seine religiösen Ansichten aus der "Tatsache" eines historischen Jesus abzuleiten, ihn als den unüberschreitbaren Höhepunkt der religiösen Entwicklung des Individuums zu preisen, als ob nichts geschehen und die Existenz eines solchen Jesus durch die bezüglichen Untersuchungen der kritischen Theologie nur immer glänzender gerechtfertigt werde, so hat er geglaubt, mit seiner eigenen Ansicht, wie er sie seit langem aus den Schriften der Fachmänner gewonnen hat, nicht länger mehr zurückhalten zu sollen. Auf die Gefahr hin, von ihnen als ein unbefugter Eindringling in ihre Domäne zurückgewiesen zu werden, hat er die undankbare Aufgabe auf sich genommen, einmal alle Gründe zusammenzufassen, die schon jetzt gegen die Annahme eines historischen Jesus sprechen.

Der Theologie freilich kann man es nicht verdenken, wenn sie sich aufs äußerste gegen die Behauptung der rein fiktiven Beschaffenheit des Christusbildes der Evangelien sträubt, und wenn sie noch tausendmal besser begründet wäre, als dies schon gegenwärtig möglich ist. Die ganze Geschichte des Christentums muss umgeschrieben werden, alle bisherigen Darstellungen der Entwicklung der Kirche sind als falsch entwertet, wenn jene Behauptung zu Recht bestehen sollte. Aber für Theologen und solche, die da meinen, ohne einen historischen Jesus nicht auskommen zu können, ist diese Schrift auch nicht geschrieben, sondern an diejenigen unter den Gebildeten wendet sie sich, welche die Art, wie man diesen Gegenstand in wissenschaftlichen Kreisen zu behandeln pflegt, nicht ohne tiefe Beschämung, ja, Entrüstung gewahren können, die in dieser Angelegenheit klar sehen möchten, und welche die Zurückführung der gesamten Religion auf einen bloßen Geschichtsglauben, noch dazu von einer so zweifelhaften Beschaffenheit, wie es der Glaube an einen historischen Jesus unter allen Umständen sein und bleiben muss, als eine bedenkliche Verflachung und Veräußerlichung des religiösen Bewusstseins empfinden. Solange noch ein geschichtlicher Jesus als "einzigartige" religiöse Persönlichkeit und unumgänglicher Glaubensmittler gilt, ist jede Hoffnung auf eine "Weiterentwicklung" und Vertiefung der modernen religiösen Weltanschauung illusorisch. Unter der Herrschaft einer "Buchreligion", wie es das Christentum nun einmal ist, ist keine vorurteilslose Wissenschaft, keine freie Entwicklung des Gedankens, keine wahre Kultur im Sinne einer Übereinstimmung von Denken und Leben möglich. Darum ist es nicht bloß von wissenschaftlicher, sondern auch von ungeheurer praktischer Bedeutung, ob wir den Glauben an die Schrift auch weiterhin noch festhalten können oder nicht, und darum muss eine Beantwortung jener Frage sich mit Notwendigkeit zu einer Erörterung des religiösen Problems der Gegenwart überhaupt zuspitzen.

Dass eine Untersuchung über den geschichtlichen Wert der Evangelien bei dem Zustande der Überlieferung gegenwärtig auf abschließende Bedeutung noch keinen Anspruch erheben kann, ist selbstverständlich. Manches wird vielleicht immer dunkel bleiben, und ohne Hypothesen ist hier überhaupt nicht auszukommen. Aber ich bitte, zu bedenken, dass auch der theologische Glaube an die geschichtliche Wirklichkeit der im Neuen Testamente berichteten Geschehnisse trotz der Sicherheit und Selbstverständlichkeit, womit er sich zu geben pflegt, durchaus auf hypothetischem Grunde ruht. Ich selbst werde zufrieden sein, wenn man findet, dass meine Hypothesen zum mindesten nicht gewagter und unwahrscheinlicher sind als die hypothetischen Konstruktionen, deren sich die historische Theologie zur Aufrechterhaltung ihres Glaubens bedient. Keinesfalls aber möge man sich damit trösten, dass, wenn auch die eine oder die andere meiner hier vorgetragenen Ansichten widerlegt werden sollte, die Sache selbst damit abgetan sei. Die Leugnung eines historischen Jesus kann sich schon heute bei der fortgeschrittenen religionsgeschichtlichen Einsicht unserer Zeit auf so gute Gründe stützen, dass sie zum mindesten den gleichen Grad von Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen darf, wie die Art, in welcher die Anfänge des Christentums von theologischer Seite dargestellt zu werden pflegen. Diese Darstellungen, das wird sich immer deutlicher ergeben, gehören der Romanliteratur, nicht der Wissenschaft zu. Der Stein ist ins Rollen gekommen, die Lawine wächst und lässt sich einfach nicht mehr aufhalten. Mythologie, vergleichende Religionswissenschaft, Altertumskunde usw., alle arbeiten sie an der Aufhellung der Ursprünge der christlichen Religion. Und wenn sich erst einmal die Geschichtswissenschaft auf den sonderbaren Zustand besonnen haben wird, dass dieser Abschnitt der Entwicklung der Menschheit, für uns der wichtigste von allen, nicht ihr, sondern der Theologie zur alleinigen Bearbeitung anheimgegeben sein soll, die ihn schlechterdings gar nicht vorurteilslos behandeln kann, dann dürfte die Zeit nicht mehr fern sein, wo die groteske Komik einer "biblischen Geschichte" sich auch dem blödesten Auge aufdrängt und die Theologie gezwungen sein wird, entweder sich nach andern "Grundlagen" des religiösen Glaubens als den bloß geschichtlichen und mythischen umzusehen oder aber als Wissenschaft abzudanken und die Weltanschauung der — geistig Zurückgebliebenen zu vertreten.

KARLSRUHE IM MÄRZ 1909

PROF. DR. ARTHUR DREWS

 

 

Fußnoten

 

1 Wie leicht es sich unsere Theologen machen, die Einwände der Gegner eines historischen Jesus abzutun, dafür liefert A. Hausrath in seinem Werke über "Jesus und die neutestamentlichen Schriftsteller", Bd. I (1908) einen schlagenden Beweis, indem er auf kaum drei Seiten im Eingang seines umfangreichen Werkes die Mythentheorie von — Bruno Bauer mit dem beliebten Hinweis auf einige an und für sich ganz bedeutungslose individuelle und historische Züge der evangelischen Überlieferung abweist und diese "Widerlegung" mit einem blümeranten Zitate von Weinel schließt, das gar nichts für die Geschichtlichkeit Jesu beweist.

 

 

DER VORCHRISTLICHE JESUS

 

"Wenn du einen Menschen siehst, unerschrocken in Gefahren, unberührt von Leidenschaften, unter widrigem Geschicke glücklich, mitten im Sturme ruhig: wird dich nicht Verehrung ankommen? Wirst du nicht sagen: das ist etwas Größeres und Höheres, als dass man es für gleichartig halten könnte dem armen Leib, in dem es wohnt? Eine göttliche Kraft ist hier herabgekommen, eine himmlische Kraft ist es, von der die treffliche, besonnene, über alles Niedrige sich erhebende, all unser Fürchten und Wünschen verlachende Seele bewegt wird. So Großes kann nicht ohne Hilfe der Gottheit bestehen; also ist es seinem größeren Teile nach dort heimisch, von wo es herabgekommen ist. Wie die Sonnenstrahlen die Erde zwar berühren, aber da zu Hause sind, von wo sie ausgehen, so ist's mit dem großen und heiligen Geist, der hierher herabgesandt ist, damit wir das Göttliche näher kennen lernen: er verkehrt zwar mit uns, aber er haftet an seinem Ursprung. Von dort hängt er ab, dorthin schaut und strebt er; bei den Menschen weilt er nur, wie ein besserer Gast. Welches ist nun dieser? Es ist der Geist, der sich auf kein Gut verlässt, als auf sein eigenes. Das Eigene des Menschen ist die Seele und die vollkommene Vernunft (Logos) in ihr; denn ein Vernunftwesen ist der Mensch; darum vollendet sich sein Gut, wenn er seine vernünftige Bestimmung erfüllt hat."

Mit diesen Worten schildert der römische Philosoph Seneca (4 v. Chr. bis 65 n. Chr.) das Idealbild des großen und guten Menschen, um zu seiner Nacheiferung aufzufordern. 1 "Irgendeinen guten Menschen", sagt er, "müssen wir uns aussuchen und immer vor Augen haben, damit wir so leben und handeln, als ob er uns zuschaue. Ein großer Teil der Sünden unterbleibt, wenn vor der Tat ein Zeuge zugegen ist. Einen muss unser Herz haben, den es verehrt, von dessen Vorbild es auch sein geheimes Leben weihen lässt. Glücklich, wer so einen verehren kann, dass er sich selbst nach seinem in der Erinnerung lebenden Bilde gestaltet! Wir bedürfen einen, nach dem unsere Sitten sich richten. Ohne Richtschnur wird Verkehrtes nicht zurechtgebracht." 2 "Ziehe an den Geist eines großen Mannes und trenne dich von den Meinungen der Menge! Erfasse das Bild der schönsten und erhabensten Tugend, die nicht durch Kränze, sondern durch Schweiß und Blut zu verehren ist!" 3 "Dürften wir in die Seele eines guten Menschen einen Blick werfen, o, welch schönes Bild würden wir da schauen, wie ehrwürdig, strahlend von Hoheit und Ruhe! Da würden leuchten Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit und Weisheit, und über alle würde die Menschlichkeit, das seltene Gut, ihren Glanz ausgießen, jeder würde ihn liebenswürdig, jeder zugleich verehrungswürdig nennen. Wenn jemand dies Bild schauen würde, erhabener und glänzender, als es unter Menschen sich zu zeigen pflegt: würde er da nicht, wie vor einer Gottheit, staunend stille stehen und stille beten, dass dies Schauen ihm vergönnt sei? Dann, durch die einladende Güte jenes Gesichtes selbst hingezogen, würde er anbetend niedersinken und nach langer Betrachtung voll staunender Ehrfurcht in die Worte Virgils ausbrechen: ,Heil dir, wer du auch seist, o lindere unsere Mühsal!' Keiner ist, ich wiederhole es, der nicht von Liebe entbrennen würde, wenn uns ein solches Idealbild zu schauen vergönnt wäre. Jetzt freilich sind unsere Augen durch vieles geblendet; aber wenn wir sie reinigen und unsere Sehkraft befreien wollten, dann vermöchten wir die Tugend zu schauen auch unter der Hülle des Körpers, auch unter dem Druck der Armut, Niedrigkeit und Schande; sehen würden wir ihre Schönheit auch unter der schmutzigsten Hülle." 4

Die Stimmung, die in diesen Worten zum Ausdruck gelangt, war in der gesamten antiken Kulturwelt um die Wende unserer Zeitrechnung weitverbreitet. Ein quälendes Gefühl der Unsicherheit alles Irdischen drückte wie ein Alb auf vielen Gemütern. Die allgemeine Not der Zeit, der Zusammenbruch der Nationalstaaten unter der harten Faust des römischen Eroberers, der Verlust der bisherigen Selbständigkeit, die Zerfahrenheit der politischen und sozialen Zustände, die unaufhörlichen Kriege und das hierdurch bedingte große Sterben: dies alles drängte die Menschen auf ihr eigenes Inneres zurück und nötigte sie dazu, für die Einbuße an äußerem Glück sich nach einer Stütze in einer die Seele erhebenden und ermutigenden Weltanschauung umzusehen. Aber die antike Weltanschauung hatte sich ausgelebt. Jene naive Ineinssetzung von Natur und Geist, jene unbefangene Hingabe an die Wirklichkeit der Dinge, wie sie der Ausdruck der jugendlichen Lebenskraft der Mittelmeervölker gewesen war, und aus welcher heraus die Wunderwerke der antiken Kultur geschaffen waren, war erschüttert. Geist und Natur standen sich in der Anschauung der Menschen jener Zeit als zwei feindliche und unvereinbare Gegensätze gegenüber. Alle Bemühungen, die zerstörte Einheit wiederherzustellen, scheiterten an der Unmöglichkeit, für das verlorene Paradies die ursprüngliche Stimmung zurückzugewinnen. Ein unfruchtbarer Skeptizismus, der niemanden befriedigte, und aus dem man doch keinen Ausweg wusste, lähmte alle Freudigkeit der inneren und äußeren Betätigungsweise und ließ die Menschen nicht zu einem wirklichen Genüsse ihres Daseins kommen. Da richteten sich die Blicke sehnsuchtsvoll nach einem übernatürlichen Halt, nach unmittelbarer göttlicher Erleuchtung, nach "Offenbarung", und der Wunsch entstand, durch Anlehnung an ein fremdes vorbildliches und übermenschliches Wesen die verlorene Sicherheit der Lebensführung wiederzufinden.

Viele sahen in der erhabenen Person des Kaisers ein solches göttliches Wesen verkörpert. Und es war doch nicht immer bloße Liebedienerei, sondern oft genug der Ausdruck wirklicher Dankbarkeit gegen einzelne kaiserliche Wohltäter, verbunden mit der Sehnsucht nach unmittelbarer Nähe und sichtbarer Gegenwart des Göttlichen, was dem Kaiserkultus seine große Bedeutung im ganzen römischen Reiche verlieh. Ein Augustus, der den Gräueln des Bürgerkrieges ein Ende bereitet hatte, mochte immerhin als ein Friedensfürst, als der Retter in höchster Not erscheinen, der gekommen war, der Welt ein neues Aussehen zu verleihen und die schönen Tage des goldenen Zeitalters heraufzuführen. Er hatte der Menschheit wieder ein Ziel des Lebens, dem Dasein gleichsam wieder einen Sinn gegeben. Als das Oberhaupt der römischen Staatsreligion, eine Persönlichkeit, in der die Fäden der gesamten Weltpolitik zusammenliefen, als der Beherrscher eines Reiches, wie die Welt es bisher noch nicht gesehen hatte, konnte er recht wohl den Menschen als ein Gott, als der auf die Erde herabgekommene Jupiter selbst erscheinen, der unter den Menschen seine Wohnung aufgeschlagen hatte. "Nun endlich ist die Zeit vorbei," heißt es in einer vor nicht langer Zeit gefundenen Inschrift zu Priene, vermutlich aus dem Jahre 9 v. Chr., "da man bedauern musste, geboren zu sein. Die Vorsehung, die über allem Leben waltet, hat diesen Mann uns und den kommenden Geschlechtern als Heiland gesandt. Er wird aller Fehde ein Ende machen und alles herrlich ausgestalten. In seiner Erscheinung sind die Hoffnungen der Vorfahren erfüllt. Alle früheren Wohltäter der Menschheit hat er übertroffen. Es ist unmöglich, dass ein Größerer komme. Der Geburtstag des Gottes hat für die Welt die an ihn sich anknüpfenden Heilsbotschaften ("Evangelien") heraufgeführt. Von seiner Geburt muss eine neue Zeitrechnung beginnen". 5

Indessen war es doch wesentlich nur das Verlangen der Menschen nach einer neuen Gesellschaftsordnung, nach Frieden, Gerechtigkeit und Güte auf Erden, was dem Kaiserkultus zugrunde lag. Tiefere Geister erstrebten nicht bloß eine Besserung der politischen und sozialen Zustände, sondern fühlten sich zugleich durch den Gedanken an den Tod und das Schicksal der Seele nach ihrem Abscheiden von der leiblichen Hülle beunruhigt und zitterten vor der Aussicht auf eine demnächst hereinbrechende Weltkatastrophe, die allem Dasein ein furchtbares Ende bereiten würde. Die apokalyptische Stimmung war um die Wende unserer Zeitrechnung so allgemein und weit verbreitet, dass selbst ein Seneca sich dem Gedanken an das nahe bevorstehende Weltende nicht entziehen konnte. Und hier vermochte keine philosophische Überlegung, sondern höchstens nur noch die Religion den geängstigten Gemütern einen Halt zu bieten. Wohl selten ist das religiöse Bedürfnis in der Geschichte der Menschheit ein so lebhaft empfundenes gewesen, wie in den letzten Jahrhunderten vor und den ersten Jahrhunderten nach Christus. Aber es waren nicht die alten angestammten Nationalreligionen, von denen man das Heil erhoffte, sondern die uneingeschränkte Verschmelzung und Vereinigung aller vorhandenen Religionen war es, der religiöse Synkretismus, wie er besonders durch die Bekanntschaft mit den fremdartigen, aber dafür nur umso anziehenderen Religionen des Orients befördert wurde. Schon war Rom zu einem Pantheon fast aller Religionen geworden, deren man habhaft werden konnte, und immer neue, immer abenteuerlichere und geheimnisvollere Formen der religiösen Betätigung tauchten im fernen Osten, in Vorderasien, dieser Brutstätte der antiken Götter und Kulte, auf und eroberten sich binnen kurzem ihren Platz im Bewusstsein der abendländischen Menschheit. Wo aber die öffentliche Verehrung der anerkannten Gottheiten nicht genügte, da suchte man in den zahlreichen Mysterienvereinen jener Zeit eine tiefere Befriedigung oder schloss sich mit Gleichgesinnten zu privaten Religionsgemeinden und frommen Bruderschaften zusammen, um in der Stille geheimer Kultausübung ein individuelles religiöses Leben, abseits von der offiziellen Staatsreligion, zu pflegen.

 

Fußnoten

 

1 Briefe an Lucilius: Brief 41.

2 Brief 11.

3 Brief 67.

4 Brief 115.

5 E. v. Mommsen u. Wilamowitz im deutschen archäologischen Institut XXIII, Heft 3. Vgl. "Christi. Welt" 1899. Nr. 51.

 

 

I. DER MESSIASGLAUBE UNTER DEM EINFLUSS DES PARSENTUMS

 

Bei keinem Volke war die Sehnsucht nach Erlösung so lebhaft und die Erwartung so entschieden auf das nahe gedachte Weltende gespannt, wie bei den Juden.

Seit der babylonischen Gefangenschaft (586— 536 V. Chr.) war mit der bisherigen israelitischen Weltanschauung eine tiefe Umwandlung vor sich gegangen. Fünfzig Jahre hatten die Israeliten im fremden Lande zugebracht. Zweihundert Jahre standen sie auch nach der Rückkehr in die alte Heimat unter persischer Oberhoheit und infolge hiervon in lebhaftem politischem und wirtschaftlichem Verkehr mit dem Achämenidenreiche, und dieser hörte auch dann noch nicht auf, als Alexander die persische Macht bezwang und der ganze Osten dem griechischen Einfluss unterworfen wurde. Persische Denkweise und Religionsanschauungen hatten während dieses langen Zeitraums die altisraelitische Gedankenwelt in mannigfacher Weise beeinflusst und eine große Menge neuer Vorstellungen in ihr hervorgerufen. Zunächst hatte der extreme Dualismus der Perser auch dem israelitischen "Monotheismus" einen entschieden dualistischen Charakter aufgedrückt. Gott und Welt, die bisher in der Anschauungsweise noch vielfach ineinander geflossen waren, hatten sich getrennt und waren in ein entschieden gegensätzliches Verhältnis zueinander getreten. Damit hing zusammen, dass der alte Volksgott Jahve sich nach dem Vorbilde des persischen Ahuramazda zu einem Feuer-, Licht- und Himmelsgott, zu einem Gotte überirdischer Lauterkeit und Heiligkeit entwickelt hatte. Von Licht umflossen, sollte er, wie jener, in einem seligen Jenseits thronen, als der Urquell alles Lebens, als "lebendiger" Gott mit seinen irdischen Geschöpfen nur noch durch Vermittlung eines Hofstaates von Engeln, Boten Gottes oder Zwischenwesen verkehren, die in ungemessener Zahl in seinem Dienste sich zwischen Himmel und Erde auf und ab bewegten. Und wie dem guten Ahuramazda der böse Angromainyu gegenüberstehen und der Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Leben und Tod nach persischer Vorstellungsweise den Inhalt des Weltgeschehens bilden sollte, so schrieben die Juden Satan die Rolle eines Widersachers Gottes, eines Verderbers der göttlichen Schöpfung zu und ließen ihn, als "Fürsten dieser Welt" und Anführer der höllischen Heerscharen, seine Macht mit dem Himmelskönig Jahve messen.

In dem Kampfe der beiden Weltgegensätze stand nach persischer Anschauung Mithra im Vordergrunde, der Geist des Lichtes, der Wahrheit und der Rechtschaffenheit, der göttliche "Freund" des Menschen, der "Mittler", "Retter" und "Heiland" der Welt. Er teilte sein Amt mit dem Schöpfungswort und Offenbarungswort Ahuramazdas, dem Honover, und floss auch wohl ganz mit diesem zusammen. Eine Verkörperung des Feuers oder der Sonne, und zwar als des kämpfenden, leidenden und triumphierenden Lichts, das siegreich durch Nacht und Finsternis vordringt, stand Mithra auch zu Tod und Unsterblichkeit in Beziehung und galt als Seelenführer und Richter in der Unterwelt. Er war der "göttliche Sohn", von dem es hieß, dass Ahuramazda ihn ebenso groß und verehrungswürdig wie sein eigenes Wesen geschaffen habe. Ja er war im Grunde Ahuramazda selbst, aus seiner überirdischen Lichtigkeit gleichsam herausgetreten und zu konkreter Individualität verdichtet. Als Mitschöpfer und "Hüter" der Welt hielt er die Weltordnung im Kampfe gegen ihre Feinde aufrecht. An der Spitze der himmlischen Heerscharen stritt er für Gott und scheuchte die Finsternisdämonen mit seinem Flammenschwert zurück ins Dunkel. An diesem Kampf auf Seiten Gottes teilzunehmen, in Leben fördernder Kulturarbeit, durch Urbarmachung unfruchtbaren Ödlandes, Ausrottung schädlicher Tiere usw., und sittlicher Selbstzucht am künftigen "Gottesreich" zu bauen, das erschien als der eigentliche Zweck des Menschendaseins. Wenn aber die Zeit erfüllet sein, die jetzige Weltperiode zu ihrem Abschlüsse gekommen sein würde, dann sollte nach persischem Glauben Ahuramazda aus dem Samen des Zarathustra, des Begründers dieser Religion, den "Jungfrauensohn" Saoshyant (Sraosha), d. h. "Heiland", erwecken oder, wie es nach einer anderen Auffassung hieß, Mithra selbst sollte auf die Welt herabkommen, in einer letzten furchtbaren Schlacht den Angromainyu mit seinen Scharen überwinden und in die Unterwelt hinabstürzen, die Toten in voller Körperlichkeit erwecken und nach einem allgemeinen Weltgericht, durch welches die Bösen zu höllischen Strafen verurteilt, die Guten zu himmlischer Herrlichkeit erhöht werden, das "tausendjährige Friedensreich" errichten. Indessen auch die Hölle sollte nicht ewig dauern. Auch den Verdammten sollte am Ende eine höchste Versöhnung winken. Dann sollte auch Angromainyu mit Ahuramazda Frieden schließen, und auf erneuter Erde, unter einem neuen Himmel sollten alle zu ewiger Seligkeit miteinander vereinigt werden.

Auch diese Vorstellungen gingen in die jüdische Gedankenwelt ein und führten hier zu einer völligen Umbildung des bisherigen "Messiasglaubens."

Messias, d. h. Gesalbter (griech. Christös), hieß ursprünglich der König als Vertreter Jahves vor dem Volk und des Volkes vor Jahve, der nach II. Sam. 7, 13 ff. in dasselbe Verhältnis eines gehorsamen "Sohnes" zu seinem "Vater" eingesetzt war, in welchem das ganze Volk sich zu stehen bewusst war. 1 Dann hatte der Widerspruch zwischen der heiligen Würde des "Gesalbten" Gottes und der menschlich unvollkommenen Persönlichkeit der israelitischen Könige dazu geführt, dass das Idealbild des Messias in die Zukunft verlegt und erst von ihr die volle Verwirklichung der Herrschaft Jahves über sein Volk erwartet wurde. In diesem Sinne hatten schon die älteren Propheten den Messias als einen idealen König der Zukunft gefeiert, der die hohen Gnadenzusicherungen Jahves, deren David gewürdigt worden war, in vollstem Sinne erleben sollte, weil er ihrer vollkommen wert sein werde. Sie hatten ihn als den Helden beschrieben, der mehr als Moses und Josua sein, der die verheißene Herrlichkeit Israels aufrichten, das Volk neu ordnen und Jahves Religion auch den Heiden bringen werde. 2 Sie hatten ihn gerühmt, dass er den Himmel neu spannen, die Erde neu gründen und Israel zum Herrn über alle Völker machen werde. 3 Dabei hatte man den Messias zunächst nur als eine menschliche Person verstanden, als neuen David oder Davidssproß, theokratischen König, gottbegnadeten Friedensfürsten und gerechten Herrscher über sein Volk, sowie der persische Saoshyant ein Mensch aus dem Samen Zarathustras sein sollte, und in diesem Sinne sogar einen Cyrus, den Befreier des Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft, den Retter und Oberkönig Israels, als "Messias" angesprochen. Allein wie Saoshyant in der Phantasie des Volkes unwillkürlich zu einem göttlichen Wesen verklärt und mit der Gestalt des Mithra in eins zusammengeflossen war, 3 so war auch bei den Propheten der Messias mehr und mehr in die Rolle eines Gottkönigs eingerückt. Er hieß "Gottheld", "Vater der Ewigkeit", und der Prophet Jesaia erging sich in der Ausmalung seines Friedensreiches, wo die Wölfe bei den Lämmern ruhen, die Menschen nicht mehr vorzeitig sterben, die Frucht ihres Ackers ohne Abzug genießen und Recht und Gerechtigkeit unter diesem Könige eines goldenen Zeitalters, wie niemals zuvor, auf Erden herrschen sollten. 4 Geheimnisvoll und übernatürlich, wie sein Wesen, sollte auch die Geburt des Messias sein. Ein göttliches Kind, sollte er an unscheinbarer Stätte geboren werden. 4 Ja, die Persönlichkeit des Messias floss vielfach sogar mit derjenigen Jahves selbst zusammen, wie es denn auch Gott selbst ist, von dessen Thronbesteigung und Himmelfahrt in der Endzeit die Psalmisten singen. 5

Dieses Schillern des Messias zwischen einem menschlichen und einem göttlichen Wesen tritt noch deutlicher in der jüdischen Apokalyptik der letzten Jahrhunderte vor und des ersten Jahrhunderts nach Christus zutage. So spricht die Apokalypse Daniels (um 165 v. Chr.) von einem, der "wie eines Menschen Sohn" auf den Wolken des Himmels herabkommen und vor den "Alten der Tage" gebracht wird, und der Zusammenhang der Stelle lässt keinen Zweifel darüber, dass der , ,Menschensohn" (barnasa) ein überirdisches, die Gottheit vertretendes Wesen ist, dem die Herrlichkeit und das Reich von Gott übertragen wird, um am Ende der gegenwärtigen Weltzeit auf den Wolken des Himmels, umgeben von einer Schar von Engeln, herabzukommen und eine ewige Herrschaft, ein "Reich des Himmels" aufzurichten. In den Bilderreden des Henoch (aus den letzten vorchristlichen Jahrzehnten) erscheint der Messias, "der Auserwählte" und der "Menschensohn", als ein übernatürliches, präexistentes Wesen, das in Gott verborgen war, ehe die Welt geschaffen wurde, dessen Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit, dessen Macht von Geschlecht zu Geschlecht dauert, in dem der Geist der Weisheit und der Kraft wohnt, der die verborgenen Dinge richten, die Bösen strafen, die Heiligen und Gerechten aber retten wird. 7 Ja, die Apokalypse des Esra (sog. IV. Buch Esra) bekämpft sogar ausdrücklich die Ansicht, dass das Weltgericht durch einen andern als Gott selbst kommen werde, und beschreibt gleichfalls den Messias als eine Art "zweiten Gott" , als "Gottes Sohn", als menschliche Inkarnation der Gottheit. 8

In dem allen ist der Einfluss des persischen Glaubens unverkennbar, mag nun dieser ein in Iran selbst unmittelbar entstandener, oder mag die Idee eines von Gott berufenen Königs und Welterlösers von den Persern der babylonischen Vorstellungswelt entlehnt sein, wo diese Idee tief eingewurzelt war und zu verschiedenen Zeiten bald auf diesen, bald auf jenen König angewendet wurde. 9 Wie in der persischen Religion die Vorstellung des Saoshyant, so schwankt also auch in der jüdischen Anschauungsweise das Bild des Messias zwischen einem menschlichen König aus Davids Geschlecht und einem vom Himmel herabkommenden übernatürlichen Gottwesen. Und wie nach persischer Vorstellung der Ankunft des Saoshyant und dem endgültigen Siege des Lichtreichs eine Zeit vorangehen soll, wo drohende Zeichen am Himmel erscheinen, die ganze Natur sich in Aufruhr befindet und die Menschheit von furchtbaren Plagen heimgesucht wird, so spricht auch die jüdische Apokalyptik von den "Wehen" des Messias und ergeht sich in der Ausmalung einer Schreckenszeit, die das Kommen des Messias einleitet. Auch sie fasst den Anbruch der Gottesherrschaft als eine plötzlich von oben hereinbrechende Wunderkatastrophe, als einen ungeheuren Weltbrand und eine darauf erfolgende Neuschöpfung der Erde auf und stimmt auch darin mit der persischen Anschauung überein, dass sie dem irdischen Weltreich des Messias ein Himmlisches Reich ungetrübter Seligkeit "im Lichte des ewigen Lebens und in der Gleichheit mit den Engeln" folgen lässt, das sie ganz im Sinne des persischen Paradieses auffasste. Da werden die Frommen "Wasser des Lebens" trinken und sich nähren von den Früchten, die an dem "Baum des Lebens" hängen. Die Bösen aber werden in die Hölle gestürzt und in furchtbaren Qualen die gerechte Strafe für ihre Sünden erleiden. 10

Die Vorstellung einer Auferstehung der Toten und eines Jüngsten Gerichtes war den Juden bis dahin fremd gewesen. Die vorexilische Zeit hatte den Leib zerfallen und die Seele nach dem Tode als fühllosen Schatten in den Hades, das Scheol, hinunterfahren lassen, ohne sich weiter um deren Schicksal zu bekümmern. Jetzt drang mit der Lehre vom Weltuntergang durch Feuer und des allgemeinen Gerichtes auch die Vorstellung der persönlichen Unsterblichkeit in die jüdische Gedankenwelt ein, wie es denn auch bei Daniel heißt, dass am Tage des Gerichtes die Toten auferstehen und die einen zum ewigen Leben, die andern zur ewigen Verdammnis erwachen werden. "Aber die Lehrer werden glänzen, wie der Glanz des Himmels, und die, welche die Menge zur Gerechtigkeit geführt, wie die Sterne immer und ewiglich". 11 Mit der Annahme der persönlichen Unsterblichkeit erfuhr aber auch die gesamte religiöse Denkweise eine Vertiefung und Bereicherung in individualistischem und personalem Sinne. Die bisherige israelitische Sittlichkeit war wesentlich kollektivistischer Art gewesen. Nicht sowohl der Einzelne als vielmehr das Volk als Ganzes war als Gegenstand der göttlichen Fürsorge angesehen worden. Jetzt brach sich die bereits von den Propheten angebahnte Auffassung entschieden durch, dass der Einzelne für sich selbst das religiöse Heil erhoffte und sich infolge hiervon in einem unmittelbaren persönlichen Verhältnis zu Jahve fühlte. Wohl blieb Gott der überirdische, im reinen Lichtglanz thronende Herr des Himmels, der Urquell alles Lebens, der "lebendige Gott", wie das Parsentum ihn verstehen gelehrt hatte. Indessen traten seine metaphysischen Eigenschaften, seine strahlende Herrlichkeit und unüberwindliche Macht, jetzt immer mehr hinter seine sittlichen Bestimmungen zurück : die Güte, Gnade und Barmherzigkeit erschienen als die hervorstechendsten Züge im Charakter Jahves. Der Gott erschien als liebevoller "Vater", der die Seinigen mit freundlicher Huld durchs Leben führt, und ohne dessen Willen seinen Geschöpfen kein Haar gekrümmt wird. Und während die strengere Richtung innerhalb des Judentums, wie sie von der pharisäisch-rabbinischen Oberströmung vertreten wurde, die nationalen Schranken immer enger zog, immer ängstlicher auf die peinlich genaue Beobachtung des Gesetzesbuchstabens, die gewissenhafte Ausübung der kultischen Vorschriften bedacht war, während sie die Ethik in einem geordneten System konventioneller Regeln von wesentlich juridischer Beschaffenheit zu ersticken drohte, arbeitete sich daneben zugleich eine humanere und natürlichere Sittlichkeit, eine innigere Frömmigkeit voll Herzenswärme, Volkstümlichkeit und Gesundheit empor, die auch die engen Schranken des jüdischen Nationalismus durchbrach und einen frischeren Zug in die dumpfe Atmosphäre der offiziellen Gesetzesgerechtigkeit hineinbrachte. Damals wurde in der geläuterten Sittlichkeit der Psalmen, Sprüche und sonstigen erbaulichen Schriften, einem Hiob, Baruch, Jesus Sirach usw., der Grund der späteren christlichen Ethik gelegt. Damals schickte sich der jüdische Monotheismus an, seine Herrschaft über die Landesgrenzen hinaus zu erweitern und in den Konkurrenzkampf mit den übrigen Religionen des Altertums einzutreten, in dem er erst vor dem ausgebildeten Christentum den Kürzeren ziehen sollte.

 

Fußnoten

 

1 Exod. 4, 22; Deut. 32,6; Hos. 11, 1.

2 Jes. 49. 6,8. 3 ebd. 51, 16.

3 Cumont: Textes et monuments figurés relatifs aux mystères de Mithra 1899, Bd. I, 188.

4 ebd. ix; 65, 17 ff

5 Jes. 9, 6; Micha 5, 1.

6 Psalm 47. 6, 9; 57.

7 Kap. 45 — 51.

8 6, 1 ff.

9 Vgl. Gunkel: Zum religionsgesch. Verständnis des Neuen Testaments. 1903, S. 23, Anm. 4.

10 Offenb. Kap. 22. Vgl. O. Pfleiderer: Das Urchristentum. Seine Schriften und seine Lehren, 2. Aufl. 1902, Bd. II, 54 ff

11 a. a. O. 12, 3.

 

 

2. DIE HELLENISTISCHE IDEE DES MITTLERS (PHILO)

 

Mit der Eroberung des persischen Weltreichs durch Alexander war auch Palästina in den Kulturbereich des Hellenismus hineingezogen worden. Es war zunächst Vasall des ptolemäischen Ägyptens gewesen und sodann zu Anfang des zweiten Jahrhunderts v. Chr. unter die Oberhoheit des seleukidischen Syriens gekommen. Griechische Sitten und griechisches Geistesleben drangen in die stille Abgeschlossenheit des jüdischen Priesterstaates ein und konnten auch durch die nationale Reaktion der Makkabäer gegen die fremden Einflüsse nicht wieder ausgeschaltet werden. Vor allem aber trug die Zerstreuung der Juden dazu bei, einen Ausgleich der entgegengesetzten Anschauungen herbeizuführen. Seit dem Exil hatten sich die Juden über den ganzen Bereich des östlichen Mittelmeerbeckens ausgebreitet. Ein Teil war in Babylonien geblieben, andere hatten sich als Gewerbetreibende, Bankiers und Kaufleute besonders in den Hafenstädten festgesetzt und beherrschten durch ihre emsige Betriebsamkeit, ihre kaufmännische Geriebenheit und Skrupellosigkeit und ihr zähes Zusammenhalten, worin sie durch den gemeinsamen Gottesdienst in der Synagoge unterstützt wurden, den gesamten Geldmarkt und Handel des Ostens. In der Atmosphäre der hellenischen Philosophie und Sittlichkeit ging auch mit Jahve eine noch weitere Umbildung und Läuterung vor. Er streifte alle grob menschlichen und sinnlichen Züge ab und entwickelte sich zu einem geistigen und schlechthin guten Wesen, wie Plato die Gottheit beschrieben hatte. Damit aber sahen sich auch die Juden vor dieselbe Aufgabe gestellt, mit welcher sich die griechische Philosophie schon seit langem gemüht hatte, nämlich die überirdische Erhabenheit und beziehungslose Weltjenseitigkeit ihres Gottes mit den Forderungen des religiösen Bewusstseins in Einklang zu setzen, das nach unmittelbarer Gegenwart der Gottheit verlangte.