Der Norden ruft - Mo Kast - E-Book

Der Norden ruft E-Book

Mo Kast

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Beschreibung

Als Bastian die Chance bekommt, endlich einmal mit dem ›Red Hot Viking‹ zu reden, fackelt er nicht lange: Er fragt ihn, ob er für sein Uniprojekt über nordische Götter modeln möchte. Überraschend sagt der sogar Ja. Jetzt muss Bastian tatsächlich das Projekt auf die Beine stellen.

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Kapitel 1: Munin – Die Erinnerung
Kapitel 2: Freyr – Der Liebesgott
Kapitel 3: Yggdrasil – Die Weltenesche
Kapitel 4: Odin – Der Rabengott
Kapitel 5: Edda – Die Göttersaga
Kapitel 6: Valhalla – Ruheort der Gefallenen
Epilog: Ragnarök – Der Weltuntergang
Bitte an euch fabelhafte Leser!
Vita von Mo
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Impressum

 

 

 

 

Der Norden ruft

Mo Kast

 

 

 

 

Kapitel 1: Munin – Die Erinnerung

Natürlich, wie könnte es anders sein! Er war vergeben. Bastian hatte ihn seit Wochen beobachtet. Nicht auf die verrückte Stalker-Art. Aber auf dem Campus. Er war ja kaum zu übersehen mit der roten, langen Lockenpracht – und nein, er sah nicht aus wie Ed Sheeran oder Rupert Grint. Passend zu seiner Haarmähne hatte er nämlich noch einen drahtigen Bart, der ihm etwas herb Männliches verlieh und ihn auf jeden Fall zu einem guten Vikings-Cast gemacht hätte. Nicht, dass Bastian über Mister Red Hot Viking auf diese Art fantasierte. Sicher nicht. Vielleicht ein bisschen. Hauptsächlich, weil sie sich in der Waschküche des Studentenwohnheims so gut unterhalten hatten. Na ja, er hatte ihn nach Weichspüler gefragt und Bastian hatte nicht nur grenzdebil gelächelt, sondern ihm tatsächlich einen leihen können. Er hätte noch wesentlich mehr von Bastian haben können, wenn er gefragt hätte. Hatte er leider nicht. Der Grund dafür war eine Blondine mit einem hinreißenden Lächeln, die ihr Maul aufmachen konnte, wenn ihr jemand blöd kam. Wäre er bi, würde er sich vielleicht auch ein bisschen in sie verlieben. Und sie hätten einen Dreier haben können oder eine wunderschöne, polyamore Liebesgeschichte mit lustigen Dates und fantastischem Sex und … jedenfalls sah es nicht danach aus, als würde das jemals passieren. Er kannte nicht einmal den Namen seines Angebeteten. Leider konnte er ihn schlecht Red Hot Viking nennen, das wäre selbst für Bastian etwas schräg. Außerdem, was sollte er tun? Er drängte sich nicht zwischen eine Beziehung. Vor allem nicht, wenn es so hoffnungslos war. Und verdammt, Red Hot Viking und seine Blondine würden so unglaublich schöne Kinder zeugen! Es wäre ein Verbrechen an der Menschheit, die beiden auseinanderzubringen.

„Du siehst aus, als planst du etwas Böses“, merkte sein bester Freund an. Ihn hatte er beinahe vergessen. Er war zu beschäftigt Mr & Mrs Viking in der Mensa anzuschmachten.

„Tu ich?“, fragte Bastian überrascht. Er war sich sicher, dass er nicht … na ja, vielleicht ein bisschen.

„Tust du. Immer noch nicht über die Wikinger-Sache hinweg?“ Mark war Bastians Blick gefolgt, und außerdem nicht dumm.

„Schau ihn dir an, er ist Sex auf zwei Beinen!“ Bastian fuchtelte wild mit den Armen, als würde er damit das Gesagte unterstreichen wollen, oder seine Verzweiflung.

„Und sein drittes Bein interessiert sich offensichtlich für Vaginas, mein Bester.“ Mark klopfte seinem Kumpel auf die Schulter, einen mitleidigen Ausdruck im Gesicht.

„Ach, fick dich! Er könnte auch bi sein! Statistisch gesehen, muss es auch einfach Männer geben, die bi sind.“ Er seufzte frustriert, oder na ja, etwas untervögelt.

„Seit wann interessierst du dich für Statistiken?“ Mark grinste, hatte da-bei eine Augenbraue hochgezogen. Er kannte niemand, der matherelevante Themen so sehr hasste, wie Bastian. Kein Wunder, dass er mit einem Germanistikstudium begonnen hatte.

„Seit sie dafür sorgen könnten, dass ich heißen Wikinger-Sex haben könnte!“ Verzweifelt warf Bastian die Hände in die Höhe, um schließlich seinen Kopf flach auf den Holztisch vor sich zu legen. Es war ein Mensatisch und er wollte nicht daran denken, was für Bakterien sich darauf befanden. Er hatte gar keine Kapazitäten, sich auch noch darüber Sorgen zu machen.

„Weißt du, ich könnte euch einander vorstellen, wenn du magst?“

„Was meinst du mit ›Du könntest mich vorstellen‹? Du kennst Red Hot Viking?“ Bastians Kopf fuhr hoch, seine Augen leuchteten aufgeregt. Mark schluckte kurz, grinste aber dann.

„Er heißt Kevin und studiert mit mir Maschinenbau.“

„Oh. Kevin? Ernsthaft? Nicht irgendwie … ich weiß nicht, Henning? Olegg? Ragnar?“

„Nein, Kevin. Kevin Nowak. Falls es dich tröstet, seine Freunde nennen ihn meistens den Norweger.“

„Wie, sie nennen ihn den Norweger?“

„Na, wie ich es sage. Seine Freunde nennen ihn den Norweger. So wie ich dich, na ja, Basti nenne. Oder der Dude sich Dude nennt“, erklärte Mark genauer.

„Hm … Wie nennt ihn Lagertha?“

„Wenn du mit Lagertha seine blonde Freundin meinst, die nennt ihn Nowaki. Sie heißt übrigens Judith.“

„Judith und Kevin, das klingt ja furchtbar“, rutschte es Bastian heraus.

„Sagt jemand, der Bastian heißt.“ Mark zog eine Augenbraue hoch. Bastian wusste schon, dass sein Name jetzt auch nicht gerade der Burner war, aber zumindest passte er zu ihm. Judith klang nach Klosterschülerin mit dicker Brille und fahlen, braunen Haaren. Nicht nach dieser blonden, charismatischen Schönheit. Und na ja, ein Wikingerhäuptling konnte nicht Kevin heißen. Das ging leider nicht.

„Jedenfalls! Stell mich vor! Stell mich sowas von vor! Stell mich so hart vor, wie du noch nie jemand vorgestellt hast!“ Er rüttelte an der Schulter seines besten Freundes, damit der auch wirklich verstand, wie unglaublich wichtig es war, dass er den Norweger kennenlernte. Der Norweger. Oh, das klang so gut. Mark lachte, schüttelte allerdings gleichzeitig den Kopf.

„Bespring ihn aber nicht sofort, wenn du ihn aus der Nähe siehst …“, wurde Bastian gewarnt, bevor Mark den Augenweiden über die Mensatische hinweg zuwinkte.

„Nowak!“, rief er. Das reichte scheinbar aus. Der Norweger und Lagertha standen von ihren Plätzen auf. Oh Gott, Red Hot Viking steuerte wirklich auf sie zu. Er kam immer näher und mit jedem Schritt entdeckte Bastian ein neues Detail an ihm, das ihn noch attraktiver machte. Die Sommersprossen,

die sein Gesicht kunstvoll sprenkelten. Seine Augen, die so irritierend hell waren, dass man die Augenfarbe gar nicht genau definieren konnte. Und verdammt, dieses graue T-Shirt mit V-Ausschnitt brachte den wikinger-würdigen Körperbau hervorragend zur Geltung. Sowieso alles an ihm. Erstaunlich, dass irgendjemand gut in einem grauen T-Shirt aussah.

„Hey, Mark.“ Lagerth… Judith lächelte sie beide freundlich an. Der Norweger nickte Mark mit einem Grinsen zu. Eine schweigsame Begrüßung, die ihn nur noch heißer machte.

„Was gibt's?“, fragte der Norweger schließlich. Und heilige Scheiße, seine Stimme … na ja, die war okay. Eine Karriere als Sänger hatte er vermutlich nicht vor sich, aber sie klang angenehm gewöhnlich. Was er ja eigentlich bereits wusste, weil er schon mal mit ihm gesprochen hatte. Nur war er da zu abgelenkt von der Weichspüler-Frage gewesen, um wirklich darauf zu achten.

„Das ist Bastian“, sagte Mark schlicht. Sofort richtete sich der Blick des Paares auf ihn. Bastian merkte, wie langsam Röte in sein Gesicht kroch. Er brauchte echt Willensstärke, um nicht nervös an einem seiner Snakebites zu zupfen. Etwas, was er immer machte, wenn er nicht wusste, wohin mit den Händen. Aber es kam nicht alle Tage vor, dass zwei so schöne Menschen ihn überhaupt wahrnahmen.

„Hallo!“ Bastian grinste verlegen und winkte ihnen zu. Er winkte ihnen tatsächlich zu. Sie standen vielleicht einen Meter von ihm entfernt und er winkte. Der Norweger sah zu Mark, als wolle er wissen, was es mit diesem Verrückten auf sich hatte. Lagertha lächelte zumindest, hatte die Stirn aber leicht irritiert gerunzelt.

„Ich, du … also ihr. Ihr seid mir aufgefallen“, stieß Bastian hervor, um das peinliche Schweigen mit peinlichem Gerede zu vertreiben.

„Wir sind dir … aufgefallen?“, fragte die Blondine, sah dabei zum Norweger. Bastian nickte enthusiastisch. Genau, für einen potentiellen Dreier. Wenn Lagertha bereit war, ihn nicht anzufassen und am besten angezogen blieb oder sich vielleicht gar nicht erst im Raum befand.

„Ja, ich … ich mache gerade ein Projekt. Also ich studiere Germanistik, und ich habe einen Kurs, bei dem ich … also das ist zusammen mit der Kunstakademie und es soll Text und Kunst verbunden werden, für eine Ausstellung. Und ihr seid … Kunst.“ Die Wörter bröselten aus seinem Mund heraus und es war wirklich nicht schön mit anzusehen. Mark hatte den Arm auf den Tisch gestützt und verbarg sein Gesicht in der Hand. Vermutlich, um das Fremdschäm-Desaster nicht weiter mitzuerleben.

„Wir sind … Kunst?“, fragte der Norweger, Augenbraue reizvoll hochgezogen.

„Ja, ja, ihr seid Kunst! Also ihr wärt perfekt für das Projekt als … Models? Wir wollen mit Fotos arbeiten und ... ihr … wärt perfekt. Was ich schon gesagt habe. Jedenfalls geht es um nordische Mythologie und … ja. Ihr seht aus wie Götter und das wäre ja optimal, weil es ja dabei um Götter geht und die roten Haare sind super. Ihr seid super?“ Verzweifelt schaute Bastian zu Mark. Er sollte dafür sorgen, dass er aufhörte zu reden! Lagertha und der Norweger sahen mit jedem Wort verwirrter aus.

„Wir sollen für dich modeln?“, hakte sie schließlich nach.

„Genau! Also nicht nur für mich, sondern auch für meine Projektpartnerin, die Adriana, die studiert Kunst … und genau … wäre toll, wenn ihr könntet, und so?“

„Was meinst du, Kevin?“, fragte Lagertha. Sie bekam ein Schulterzucken als Antwort.

„Klingt okay.“

Das war ein Ja, oder? Die beiden hatten gerade Ja gesagt, zu einem Projekt, das zum Glück existierte. Jetzt musste Adriana nur noch zustimmen, etwas über nordische Mythologie und mit Fotografie machen zu wollen. Immerhin waren sie erst am Anfang vom Semester, irgendwie konnte er sie sicher davon überzeugen.

„Ich geb dir mal meine Nummer … Sebastian?“

„Nur Bastian.“

„Okay, nur Bastian.“ Sie lächelte wieder, um anschließend in ihrer Tasche nach etwas zu kramen. Sie zog einen Stift und einen Zettel heraus, notierte ihre Nummer darauf. Wie antik. Trotzdem nahm Bastian sie entgegen, bedankte sich kurz.

„Wird bestimmt cool. Ich freu mich schon!“ Sie klopfte ihm auf die Schulter und zusammen mit dem Norweger verabschiedete sie sich.

„Momentan würde ich sagen, du hättest größere Chancen Judith rumzukriegen, als auch nur eine Unterhaltung mit mehr als fünf Wörtern mit Kevin zu führen.“

„Ich mag meine Männer schweigsam.“

 

„Nee, keine Chance.“ Adriana schüttelte den Kopf. Er hatte sie gerade nach einer Vorlesung abgefangen. Sie hatten beide für heute Schluss und wollten sowieso noch gemeinsam Kaffee trinken gehen. Die perfekte Gelegenheit, um während ihrer Fahrt in die Stadt das Norweger-Thema zu besprechen.

„Wie, nee? Adriana, du kannst mich nicht so hängen lassen!“

„Nordische Mythologie und Wikinger sind out. Und weder du noch ich haben einen Plan davon. Außerdem habe ich keine Lust, noch ein Fotoprojekt dieses Semester zu machen. Du hast keine Ahnung, wieviel Arbeit das ist!“

„Aber du müsstest ihn sehen, sie, also beide! Du würdest sofort verstehen, was ich meine. Außerdem schuldest du mir noch was!“ Adriana und er hatten genau genommen das Projekt mit Hilfe ihrer Dozenten für Werbetexten und Kunst ins Leben gerufen. Die Überzeugungsarbeit hatte hauptsächlich Bastian geleistet, auch wenn es Adrianas Idee gewesen war. Ihm lag das mit den Worten besser als ihr. Sie war mehr für den künstlerischen Aspekt zuständig. Adriana verzog das Gesicht. Sie wusste, dass er Recht hatte. Glücklich machte es sie dennoch nicht.

„Okay, vorne weg: Hast du Chancen bei ihm?“, fragte sie. Zielsicher die Kernsache erkannt.

„Ganz ehrlich: Nein. Aber!“ Bastian hob die Hand, um nicht von ihr unterbrochen zu werden. „Es schadet doch nie, sich mit schönen Menschen zu umgeben, oder?“

„Was ist denn das für ein Argument? Ich riskiere doch nicht dieses Projekt, damit du einen heißen Wikinger ansabbern kannst, bei dem du nicht mal landen kannst.“

„Ich glaube, wenn ich Lagertha, also Judith, von einem Dreier überzeugen könnte, dann, dann könnte ich doch noch irgendwie Chancen haben? Ich glaube, Judith steht auf mich.“

„Du. Bist. Seltsam.“ Sie betonte jedes einzelne Wort. „Und schwul, vergessen?“

„Mhm, nee, das habe ich noch ganz lebhaft vor Augen.“ Er wackelte mit den Augenbrauen, ein anzügliches Grinsen im Gesicht. Adriana boxte ihn gegen die Schulter, lachte dabei.

„Hast du denn wenigstens Bilder von deinen Wikingern?“

„Warte, einen Moment. Ich habe tatsächlich eines! Also lass dich nicht von dem stalkermäßigen Blickwinkel irritieren. Ich … hab mich nur nicht getraut, sie zu fragen, ob ich sie fotografieren darf.“ Bastian kramte sein Smartphone aus der Hosentasche und präsentierte stolz den Schnappschuss der beiden. Er hatte das Bild gemacht, als die zwei auf den Treppen zum Eingang der Uni gesessen hatten und sich einen Kaffee teilten. Er hatte beim Vorbeilaufen sofort seine Gelegenheit erkannt und genutzt! Also, sein Objekt der Begierde war der Norweger gewesen, aber ohne dessen Wikingerbraut war der ja nicht mehr anzutreffen.

„Damn …“ Adriana nahm ihm das Handy aus der Hand, um sich die beiden genauer anzuschauen. Ha! Selbst sie war nicht gegen so viel Schönheit immun.

„Und die würden echt mitmachen?“

„Jub. Und hey, du könntest doch deinen LARPer-Freund fragen, ob der mit seiner Gruppe dabei sein will. Du stehst doch eh schon ewig auf ihn und das wäre die perfekte Gelegenheit! Du weißt schon, drei Fliegen mit einer Klappe! Ich bekomme Eye Candy, du verbesserst deine Chancen bei deinem LARPer-Loverboy. Und: Wir haben ein cooles Projekt für den Kurs!“ Triumphierend breitete Bastian die Hände aus. Er fand, das war ein Geniestreich. Seine Libido unterschrieb ihm das auch bereitwillig. Selbst Adriana musste bei so viel Genialität einknicken. Sie seufzte ergeben.

„Okay, ich frage Robert morgen mal, ob er Bock auf das Projekt hat. Wenn er ja sagt, machen wir es. Aber du kümmerst dich um die Recherche zur nordischen Mythologie.“ Sie sah ihn mahnend an. Mit Adriana zusammenzuarbeiten war prinzipiell recht cool, sobald man sich daran gewöhnt hatte, dass sie alle Zügel in der Hand hielt.

„Oh, und du wirst einen der komischen Raben machen für das Projekt“, stellte sie klar. Raben? Welche Raben? Okay, ganz dunkel konnte er sich da an was erinnern. Aber warum sollte gerade er so ein Federvieh darstellen?! Bloß weil er so eine Hakennase hatte und schwarze verstrubbelte Haare? Das war doch voll diskriminierend. Adrianas Blick sagte allerdings recht deutlich, dass das nicht zur Diskussion stand. Wie immer, wenn sie etwas beschlossen hatte.

„Perfekt. Rabe! Klar. Lässt sich machen. Ich freu mich schon! Kraah!“, log Bastian ihr krächzend ins Gesicht. Immerhin würde er so tatsächlich mehr Zeit mit dem Norweger verbringen. Wenn er Glück hatte, lief das nicht so peinlich ab, wie die letzten Begegnungen mit ihm. Bastian war sich nur nicht sicher, wie viel das wirklich mit Glück zu tun hatte. Er stand sich da eben selbst gerne im Weg. Manche fanden seine lebhafte Art aber sehr charmant.

 

Hanke gehörte nicht zu diesen Menschen. Der warf gerade entnervt eine Hand in die Höhe, die andere war weiterhin um Bastians Hüfte geschlungen, der verzweifelt versuchte, sein Gleichgewicht wieder zu finden. Die Pose, die Adriana von ihnen wollte, war nicht besonders angenehm. Hanke sollte sich auf den Boden knien, dabei die Hände auf ein Schwert vor sich abstützen und das rechte Bein anwinkeln. Auf eben diesem Bein war Bastians Platz als graziler, anmutiger Rabe angedacht, der dort stolz und mit weit von sich gestreckten Armen balancierte. Nur in Adrianas Träumen … Das Schwert lag schon länger unbeachtet auf dem Boden. Bastians Finger hatte sich für besseren Halt in Hankes Haare gekrallt. Allerdings hatte der emotionale Ausbruch seines Shootingpartners Bastian so überrascht, dass er zurückgewichen war. Die Hand nach wie vor in den dunklen Locken. Saublöde Aktion. Das Endresultat: Sie gingen beide mit einem lauten Schrei zu Boden.

„Nein. Einfach nein! Ich bin raus!“, rief Hanke, erhob sich und stampfte aus dem Scheinwerferlicht. Bastian schenkte er keine Aufmerksamkeit mehr. Der glaubte dafür, leises Lachen aus dem Dunkel hinter den Scheinwerfern zu hören. Er hoffte nur, es war nicht Kevin. Das würde sein Herz brechen, na ja, wenn sein Herz sein Ego wäre. Das hatte bei dem Sturz nämlich ganz schön was abbekommen. Ein hervorragender Munin war er … Hanke stellte Odin dar, den Rabengott, und war scheinbar sowas wie der Anführer der LARP-Gruppe, außerdem der beste Freund von Robert.

Bastian war dafür angepisst. Er gab sich hier wirklich Mühe, die Pose ordentlich zu schaffen. Aber er turnte eben nicht jedes Wochenende mit einer Mittelalterwaffe durch den Wald und trainierte dabei alle Muskeln. Genau genommen trainierte Bastian seine Muskeln eigentlich nur beim Schleppen von Getränkekisten in die eigene Studentenbude. Es würde allerdings keinen Unterschied machen, ob er etwas für seine Fitness tat oder nicht. Er war schmal gebaut, an ihm setzten weder Muskeln noch Fett an. Trotzdem ärgerte es ihn, dass er solche Schwierigkeiten mit dem Shooting hatte. Was hatten sie auch erwartet? Er rappelte sich auf und starrte in das Dunkel des Fotoraums. Irgendwo dort musste Adriana sein, er konnte sie aber wegen des grellen Lichts, das ihm entgegen blendete, kaum sehen. Bastian hasste die Innenshootings. Laut seiner Projektpartnerin waren die unumgänglich, weil sie unbedingt freistehende Wikinger haben wollte. Unter ›freistehend‹ hatte er immer etwas anderes verstanden, sonst hätte er dem Konzept nicht so eifrig zugestimmt. Ein Seufzen war aus dem Dunkel zu hören.

„Wir lassen uns was neues für dich einfallen, Basti“, erklärte Adriana schließlich, machte die Scheinwerfer erstmal aus. Bastian brauchte einen Moment, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Er merkte, wie ihn alle anstarrten. Auch Red Hot Viking. Nervös kratzte er sich am Kinn, straffte den Rücken. Auf keinen Fall würde er es zugeben, aber fühlte sich einfach nur gedemütigt von Hanke. Seit der Kerl mitmachte, tat der nichts anderes als zu nörgeln und zu kritisieren. Dabei war Bastian sein Lieblingsopfer. Gut, er hatte die Recherche über nordische Mythologie etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Aber hätte er riechen können, dass sie jemand im Team hatten, der der totale Nord-Nerd war und dem es um jede verfickte, kleine Kleinigkeit ging?

„Odin hat zwei Raben, nicht einen!“ – „Nordische Götter als Thema für eine Werbekampagne zu nutzen, ist unter deren Würde!“ – „Die Kostüme sind historisch inkorrekt! Es gab damals noch keine Reißverschlüsse! Und auch nicht solche Piercings!“

Mehr als einmal war Bastian versucht gewesen, Hanke an den Kopf zu werfen, dass er doch einfach verschwinden konnte, wenn er ihr Projekt so scheiße fand. Aber Adriana hat ihm sehr deutlich gemacht, dass es ohne Hanke keine LARP-Gruppe gab und ohne die waren sie aufgeschmissen. Dann hätten sie nämlich nur Frey, Freya und, na ja, ihn als Munin. Außerdem so gut wie keine Requisiten. Also hielt Bastian die Klappe und schluckte seinen Ärger hinunter.

„Ist doch hoffnungslos mit dem Typ!“, kam es abfällig von Hanke, der gerade einen großen Schluck aus der historisch inkorrekten Plastikwasserflasche nahm. Vor den Scheinwerfern war es verdammt heiß. Nicht sexuell. Nur von den Temperaturen. Bastian musste zugeben, dass das ganze Projekt deutlich mehr Arbeit war, als erwartet. Sie mussten die Shootings auch auf ein paar Termine verteilen. Das erste war eher eine Art Beschnuppern und unkoordiniertes Geknipse gewesen. Unnötig zu erwähnen, dass das Hanke total daneben fand. Heute hatten sie ihr zweites Shooting und es lief offensichtlich mäßig. Zumindest für Bastian. In vier Wochen gab es noch das Outdoor-Shooting, Bastian hatte jetzt schon keine Lust mehr. Aber angeblich würde das richtig lustig werden, weil sie dort in dem Zeltlager der LARP-Gruppe fotografieren durften und es anschließend ein fettes Gelage geben sollte. Mit Spanferkel. Met. Und jemand hatte Pilze erwähnt.

„Die Pose ist ja auch nicht einfach“, verteidigte Judith ihn unerwartet. Er lächelte ihr dankbar zu, fühlte sich aber nicht wirklich besser. Judith und Kevin hatten ihr Paar-Shooting bereits hinter sich. Ihre Posen waren deutlich anspruchsvoller gewesen, allerdings hatte Kevin diese natürlich mit Links stemmen können. War ein schöner Anblick gewesen. Jetzt waren nur noch alle für das finale Gruppenfoto da. Für das nächste Mal sollten sie das an den Anfang stellen und die Einzeltermine so legen, dass man danach einfach gehen konnte. Es befanden sich nämlich mittlerweile einige gelangweilte, nordische Götter im Raum, die wohl alle gehofft hatten, Odin mit einem ausgestopften Hugin und einem echten Munin wäre eine schnelle Nummer.

„Er muss doch nichts machen, außer stehen! Ich bin doch der Einzige, der hier was leisten muss“, motzte der unleidliche Rabengott. Dabei wippte die Rabenattrappe auf seiner Schulter aufgeregt mit.

„Dann machst du deinen Job ziemlich scheiße“, rutschte es Bastian jetzt doch raus. Wenn alles Hankes Verantwortung war und es nicht funktioniere, war ja wohl kaum Bastian daran schuld, oder? Der wurde dafür aus wütenden, dunklen Augen angefunkelt. Ts, als würde ihn sowas beeindrucken … Er spürte, wie Adriana ihm in die Seite boxte, einen warnenden Blick zuwarf. Fuck, kotzte ihn das an.

„Gut, dann machen wir jetzt unser Gruppenfoto, oder?“, sagte Bastian deshalb, mit seinem besten Fakelächeln im Gesicht, das er gerne Hanke entgegenschleuderte. Der runzelte irritiert die Stirn, sagte aber nichts mehr. Ein generelles Aufatmen ging durch alle Anwesenden. Gruppenfoto hieß, sie hatten bald Schluss. War auch dringend nötig. Bastian konnte auch eine gestresste Falte zwischen Adrianas Augenbrauen sehen. Die war da lediglich, wenn sie wirklich erschöpft und genervt war. Also war es nicht nur für ihn ein langer Tag. Das Arrangement für das Bild war dafür verhältnismäßig simpel. Keine Leute, die auf anderen herumturnten. Bloß ein paar, die sich vorne hinknien mussten. Und er durfte sich auf einen Stuhl im Hintergrund stellen und mit ausgebreiteten Schwingen alle überragen. Dabei stand er direkt hinter dem Norweger, so dicht, dass er dessen Duschgel riechen konnte. War das Zitronengras? Plötzlich grinste der Kerl zu ihm hoch, zwinkerte kurz. Bastian wurde schlagartig rot. Zum Glück konnte man das wegen des ganzen Make-ups in seinem Gesicht nicht sehen. Etwas verballert erwiderte er das Grinsen. Jemand stieß ihn in die Seite, was dafür sorgte, dass er abermals wie ein Blöder mit den Armen ruderte, um seine Fassung und Balance wieder zu finden. Sehr geil. Er bekam eine helfende Hand von Kevin hingestreckt.

„Vorsicht, kleiner Vogel!“, sagte Judith mit einem süßen Lächeln. Und wow, er war sowas von schwul. Anders konnte er sich nicht erklären, wie er bei diesen Worten und dem schönen Gesicht keine Erektion bekam.

„Basti, reiß dich zusammen!“, rief Adriana ihm hinter der Kamera zu. Verlegen kratzte er sich an der Nase und flüsterte noch ein leises Danke an die beiden, bevor er sich wieder aufrecht hinstellte und seine Arme ausbreitete. Er hatte gar nicht mitbekommen, wer ihn gestoßen hatte, aber wenn er nach rechts schaute – woher der Schubs unweigerlich gekommen war – stand da Hanke, der mit stoischer Miene geradeaus blickte. Wichser.

Kapitel 2: Freyr – Der Liebesgott

Können wir nicht einfach jemand anders zum Odin machen? Oder vielleicht, ich weiß nicht, einen zweiten Fakeraben organisieren, sodass mich niemand braucht?“, bettelte Bastian seine beste Freundin an, hatte dabei seinen bewährten Hundeblick aufgesetzt. Sie schüttelte den Kopf, während sie das Fotoequipment prüfte, das sie sich von der Uni leihen durfte. Das Kopfschütteln war entweder eine Reaktion auf sein Flehen oder nur ihre Missbilligung über das Stativ, das nicht in die Tasche passen wollte. Vielleicht beides.

„Robert hat schon mit Hanke geredet. Und der besteht drauf“, antwortete sie mit gerunzelter Stirn. Sie fing an, das Dreibein etwas energischer in die Hülle zu stopfen. Bastian hatte das Gefühl, als wäre Adriana nur so halb an dem Gespräch beteiligt. Konnte ihr niemand verdenken. Sie hatten heute ihr letztes Shooting. Ihr Konzept mussten sie mittlerweile noch zweimal umwerfen. Ihre nordischen Götter hatten sie abgelichtet und sie sahen fantastisch aus. Da es aber nicht nur ein Kunstprojekt war, sondern auch eines mit Text, war eine Werbekampagne für eine fiktive Sportmarke geplant gewesen, für die Bastian das Texten übernehmen wollte. Jetzt waren sie bei einer Abenteuergeschichte angekommen, bei der Odin nach seinem fehlenden Raben suchte. Ihre Notlösung, weil Hanke und er so schlecht vor der Kamera harmonierten. Außerdem gefiel ihren Dozenten die Idee von einem Fotoband, der eine Geschichte erzählte. Hanke war sogar dazu bereit gewesen, für diese Änderungen extra noch zu einem Einzelshooting zu kommen. Was Bastian ihm notgedrungen positiv anrechnen musste. Sie wären ziemlich gefickt, wenn er nicht Ja gesagt hätte. Wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum Adriana nicht wirklich auf sein Gejammer und Gebettel einging.

„Auf was? Odin zu sein?“, hakte er nach. Vielleicht hatte Hanke nämlich einfach einen Gottkomplex und fand es geil, sich als allmächtiger Rabengott aufzuspielen!

„Dass du Munin bist. Ha!“ Stolz hob Adriana die Stativtasche hoch.

---ENDE DER LESEPROBE---