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Als Em von der besten Freundin Olivia geküsst wird, rückt sich plötzlich alles in Perspektive und bringt gleichzeitig jede Menge Fragen mit sich. Ist Em lesbisch? Geht das überhaupt, wenn man sich als nonbinär identifiziert? Und wenn ja, wie sagt man das der Familie oder den Freunden? Doch viel wichtiger noch: Erwidert Olivia die Gefühle? In der Geschichte »Hochgekrempelte Jeans« begleitet man Em in einer wichtigen Selbstfindungsphase, die viele, queere Jugendliche erleben. Es werden Fragen aufgeworfen, nach Antworten gesucht und Unsicherheiten thematisiert. Eine Geschichte für alle, die ein bisschen besser verstehen wollen, wie man sich in Ems Situation fühlt.
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Ohne dich würde es diese Geschichte nicht geben!
Wir waren so etwas wie ... beste Freundinnen. Olivia war auf jeden Fall die Freundin, mit der ich am liebsten meine Zeit verbrachte. Ich konnte stundenlang ihrer wohltuenden Stimme zuhören, wenn sie von einer ihrer neuesten Lieblingsserien erzählte. Wir saßen dabei meistens bei mir zuhause auf dem Bett. Sie an meine Schulter gelehnt, während sie gestenreich die Handlung beschrieb. Ihre langen, schmalen Finger malten damit wunderschöne Bilder in die Luft. Es war irgendwie ... hypnotisierend.
»Und bämm! Sie hat einfach alle Bäume in ihrer Umgebung umgemäht. Nur mit ihren Gedanken! Das war Wahnsinn!« Olivia machte eine ausladende Bewegung und traf mich dabei fast mit ihrer Hand im Gesicht. Ich grinste trotzdem.
»Dachtest du auch, sie kommt eigentlich mit dem Jungen zusammen?«, fragte ich sie nun. Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, warum ich sie darauf ansprach und mein Puls dabei raste wie bei einem Sprint. Sie hatte mir die Serie ›I am not okay with this‹ mit glänzenden Augen empfohlen und mir gesagt, ich müsste sie mir unbedingt anschauen. Seit ich sie gesehen hatte, wollte ich mit Olivia darüber reden ... Weil ... weil ...
Olivia neben mir nickte. Ihre Hände sanken dabei auf ihren Schoß. Eigentlich hätte ich erwartet, sie würde aufgeregt nicken und mir genau schildern, wie wir Zuschauer an bestimmten Erzählpunkten gelenkt wurden, um genau das zu denken: Syd verliebt sich in den süßen, nerdigen Jungen aus der Nachbarschaft. Was sie nicht tat. Ganz und gar nicht. Sie küsste stattdessen ihre beste Freundin. So richtig. Bei der Szene hatte ich mir das Kissen aufs Gesicht gedrückt, damit ich nicht laut schrie. Ich hatte damit nicht gerechnet und ich würde wirklich gerne mit Olivia darüber reden. So dringend. Sie analysierte auch unheimlich gerne Filme und Serien und sprach dann oft von nichts anderem mehr. Doch nun ...
»Em, fragst du dich auch manchmal ...« Olivia stockte, sah auf meine Lippen. Ich schluckte.
»Was?«, kam es mit heiserer Stimme von mir. Ich fragte mich so einiges, wenn sie mir so nah war.
»Wie es wäre, jemand zu ... der ... die ...« Sie runzelte die Stirn und fuhr sich dabei kurz über die Lippen. Mein Blick verfolgte die Bewegung, während ich meine Hände in die Jeans krallte. Sie fühlten sich warm und verschwitzt an. Trotzdem wich ich kein Stück von ihr zurück.
»Zu küssen?«, hauchte ich jetzt. Das Wort kam kaum über meine Lippen. Mein pochendes Herz wollte es nämlich nicht durchlassen. Was, wenn ich gerade etwas missverstand? Sie nach etwas fragte, das sie gar nicht wollte? Wenn sie eigentlich gar nicht ... Und ich total ...
Alle Fragen und Sorgen waren verschwunden, als sich ihre Lippen auf meine legten. Sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Ihre großen Augen waren auf meine gerichtet, als würde sie meine Reaktion genau erkennen wollen. Bevor sie sich wieder löste, erwiderte ich den Kuss mit all meinem Mut. Laut rauschte das Blut in meinen Ohren, schien sich auf einen einzigen Punkt zu konzentrieren, damit ich dort alles fühlen konnte. Ihre Lippen auf meinen waren so weich, anschmiegsam und ich war mir sicher, noch nie etwas Schöneres gespürt zu haben. Dieser Kuss, der nur wenige Momente dauerte, schien alles in Perspektive zu rücken. Ich war verliebt. In Olivia. Oder?
Ich lag bäuchlings auf meinem Bett, meinen aufgeklappten Laptop direkt vor mir und das Smartphone neben mir. Das Fenster war offen und ließ eine feine Frühlingsbrise und fröhliches Vogelgezwitscher in mein Zimmer. Im Moment war ich aber zu abgelenkt, um es zu genießen.
Ich steckte mitten in meiner Recherche über ... Lesben. Lesbisch sein. Homosexuelle Frauen. Frauen, die Frauen liebten. Und ob ich eine von ihnen war.
Diverse Webseiten boten Tests an. Manche waren ernster als andere. Mir wurde bei meinen Testergebnissen aber immer versichert, dass an mir alles richtig war. Dass es in Ordnung war, lesbisch zu sein. Dass es in unserer heutigen Zeit keine große Sache mehr war. Immerhin tauchten Lesben ja mittlerweile in fast jeder Netflix-Serie auf – nicht mehr nur in Pornos. Hey, wenn das nicht Akzeptanz war ...
Natürlich war mir der Gedanke vom anderen Ufer zu sein schon das ein oder andere Mal gekommen. Der Kuss mit Olivia war nicht mein erster Kuss gewesen. Ich war immerhin schon fast sechzehn. Da hatte ich bereits so meine Erfahrungen gemacht. Mit Jungs. In der Fünften fing es an mit Martin. Da war nichts mit Schmetterlingen und Orangenduft gewesen. Er hatte nach Pommes gerochen – und auch so geschmeckt. Mehr als einen Kuss und Händchenhalten war nicht gewesen. In der Siebten gab es dann Henry. Der hübsche Henry mit den dunklen Locken und seinem feinen Gesicht. Die anderen Jungs hatten ihn oft aufgezogen, weil er aussah wie ein Weichei. Die Küsse mit ihm ... hatten zumindest nicht nach Pommes geschmeckt. Aber auch bei ihnen war ich nicht ... aufgeregt gewesen. Oder doch, ich war nervös gewesen. Furchtbar. Ich wollte ja nichts falsch machen. Aber ich hatte nicht dieses Herzflattern, von dem immer alle gesprochen haben. Keine Schmetterlinge im Bauch, wenn wir uns berührten. Ich dachte irgendwie, dass vielleicht was ... komisch mit mir war, dass ich beim Küssen etwas falsch machte. Henry haben die Küsse allerdings gefallen. Das war mir nicht entgangen. Trotzdem haben wir uns wieder getrennt.
Und es hatte noch Tim gegeben. Vor einem halben Jahr. Auf einer Party. Er hatte nach Bier und Rauch geschmeckt. Es war ... okay. Tim war ein hübscher Kerl. Eigentlich auch ganz beliebt. Gitarrist in seiner eigenen Band. Entspannt und witzig. Und kein Vergleich zu Olivia.
Überhaupt gab es nichts, was sich mit ihr vergleichen ließ. Oder dem Kuss.
Wenn ich bei einem Kuss mit einem Kerl lieber an sie dachte, war das eigentlich schon sehr bezeichnend, oder? Allein bei der Erinnerung daran kribbelten wieder meine Lippen.
Ich landete bei meiner Recherche schließlich bei einem Test, ob ich in meine beste Freundin verliebt war. Alles schrie fucking Ja. Leider gab es keine Hilfestellung, ob es besagter Freundin auch so ging. Aber Olivia hatte immerhin mich zuerst geküsst, oder? Das war ja schon ein sehr eindeutiges Zeichen. Nur hatte Olivia sich seit dem Kuss gestern noch nicht gemeldet. Und ich ... traute mich nicht.
Ich googelte weiter: »Was tut man, wenn man lesbisch ist?«
Natürlich tauchten erstmal wieder die ganzen Tests auf, die ich schon durch hatte. Ja, ich stand auf Frauen. Sowas von. Das sagten alle Tests! Und mein Bauchgefühl.
Dann blieb ich bei einem Artikel hängen, wie man andere Lesben erkennen könnte. Sicher hilfreich. Vielleicht gab es ja ... Geheimcodes, die man ... lernte? Im Blut hatte? Intuitiv wusste? Gab es nicht auch sowas wie einen Gay-dar, mit dem sich schwule Männer erkannten? Vielleicht hatten das ja auch Lesben?
Der Artikel war enttäuschend nichtssagend. Ich könnte eine Lesbe möglicherweise an ihrer Stimme erkennen oder eventuell an Gesten, die allerdings nicht näher beschrieben wurden, oder an unrasierten Beinen und kurzen Haaren, aber gleichzeitig gab es Lesben mit rasierten Beinen und langen Haaren. Und auch bei den Klamotten ... Eine Regenbogenflagge war wohl ein Indikator. Das hatte ich schon gewusst. Immerhin waren Pride-Flags mittlerweile überall zu sehen. Allerdings war es vielleicht auch eine Modeerscheinung? Ein paar Mädchen aus meiner Klasse trugen Regenbogen-Accessoires und na ja, waren mit Jungs zusammen. Die konnten nicht alle lesbisch oder bi sein, oder?
Am Ende des Artikels gab es allerdings einen Link zu einer Webseite, die sich wohl speziell an lesbische, junge Frauen richtete. Ich klickte darauf. Der Link führte mich zu einem Forum. Spontan meldete ich mich dort an. Bestimmt war ein gegenseitiger Austausch hilfreich!
Gleich der erste Post, erklärte mir die fünf untrüglichen Zeichen, eine Lesbe zu erkennen: Hochgekrempelte Jeans. Karierte Hemden. Hochgerollte Ärmel. Dreckige Chucks. Kurze Fingernägel beim Zeige- und Mittelfinger. Wow. Ich ... mochte den Stil? Ich trug gerne gemütliche, weite Jeans, musste sie aber hochkrempeln, weil sie mir zu groß waren. Und mit den karierten Hemden fühlte ich mich irgendwie ... cool. Auch hier war es einfacher, wenn ich die Ärmel hochrollte, weil die sonst schnell im Weg waren. Und waren Chucks nicht eh automatisch dreckig, nachdem man sie einmal anhatte? Nur das mit den Fingernägeln verstand ich nicht ganz. Ich trug meine Fingernägel sowieso kurz.
Ich suchte weiter in dem Forum und hatte ein kleines Aha-Erlebnis zu den Fingernägeln. Mit roten Ohren schloss ich den Tab hastig wieder.