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The highest mountain in Greece and also the seat of the ancient Greek gods, Olympus has been more or less omnipresent in mythology since ancient times. Over the ages, the concept of it has fluctuated elusively between the real mountain and the supernatural seat of the gods. The idea of it as the home of the gods detached itself from the actual mountain and became universally applicable. Achim Lichtenberger investigates the multilayered phenomenon of Olympus by first describing the ways in which human beings have imagined the mountain, then outlining the mountain in its geographical context, and finally tracing the idea of the holy mountain throughout the Mediterranean region. In the process, Olympus turns out to provide key testimony to Greek cultural history, and its attractiveness and ideal quality are exemplary for Greek culture and religion.
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Seitenzahl: 284
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Der Autor
Achim Lichtenberger (*1970) studierte Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Evangelische Theologie an den Universitäten Münster, Rom und Berlin (HU). 2001 wurde er an der Universität Tübingen in Klassischer Archäologie promoviert. Nach Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent in Münster und Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Universität Cambridge, habilitiert er sich 2008 in Münster und wurde 2010 zum Professor für Klassische Archäologie an die Ruhr-Universität Bochum berufen. 2016 nahm er einen Ruf nach Münster an und ist seitdem Professor für Klassische Archäologie und Direktor des Archäologischen Museums an der Universität Münster. In den letzten Jahren hat er archäologische Ausgrabungen in Jordanien, Armenien und Israel durchgeführt. Neben der Feldarchäologie befassen sich seine Arbeiten mit antiker Landschaft, Münzkunde, Religion und Herrschaftsrepräsentation im östlichen Mittelmeerraum.
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Umschlagabbildung: Olymp von Westen aus. © Pixabay.
1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Umschlagbild: Getty Images
Print:
ISBN 978-3-17-039616-6
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-039617-3
epub: ISBN 978-3-17-039618-0
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1 Annäherung: Der präsente Unbekannte
1.1 Der Olymp heute
1.2 Der Beginn der wissenschaftlichen Erforschung
1.3 Der Name Olympos
2 Texte: Ambiguität: Der Berg-Himmel
2.1 Der Olymp Homers
2.2 Der Olymp nach Homer: Berg, Himmel, Jenseits
3 Bilder: Der homerische Göttersitz
3.1 Die Götterversammlung
3.2 Die Geburt der Athena
3.3 Die Einführung des Herakles in den Olymp
3.4 Die Rückführung des Hephaistos in den Olymp
3.5 Der Sturz des Hephaistos aus dem Olymp
3.6 Die Gigantomachie
3.7 Apotheosen
3.8 Die Geburt des Hermes
4 Geographie: Der makedonisch-thessalische Berg
4.1 Das Olymp-Gebirge
4.2 Orte und Siedlungen am Olymp
4.3 Kriegsschauplatz Olymp
4.4 Gab es einen Altar und Mysterien auf dem Olymp?
4.5 Das Zeus Olympios-Heiligtum auf dem Agios Antonios
4.6 Profitis Elias und Agios Dionysios
5 Ideologie: Der Berg im Dienste der Politik
5.1 Dion
5.2 Die Kulturpolitik der makedonischen Könige und Zeus Olympios
5.3 Thessalische Olympia
6 Olympoi: Die Vervielfältigung eines Berges
6.1 Berge namens Olymp
6.2 Olympos – Personifikation und Person
6.3 Olympos und die Werkstatt des Hephaistos
6.4 Olympische Landschaft in Syrien
6.5 Das Tempetal in der Villa Hadriana
6.6 Die Lokalisierung des Hades
7 »Heilige Berge«: Der einzigartige Berg
7.1 Berge als Kultstätten
7.2 Berge des Zeus und sein Geburtsort
7.3 Mons Argaios – ein Berggott
7.4 »Heilige Berge« in Italien
7.5 »Heilige Berge« im nordwestsemitischen Raum
7.6 Der Olymp – ein »Heiliger Berg«?
8 Epilog
Nachwort
Glossar
Anmerkungen
Bibliographie
Abbildungsnachweis
Register
Für wohl keinen Ort der Antike klaffen die tatsächliche Kenntnis von dem Ort und die Präsenz des Ortes in der Vorstellung der Menschen so weit auseinander wie beim Olymp, dem Sitz der griechischen Götter. Das begann bereits in der Antike, und auch heute weckt der Olymp Assoziationen, die nicht mit der Realität übereinstimmen. Am ehesten vergleichbar mit dem Olymp ist noch der Hades, die Unterwelt, die für die Menschen der Antike in der Vorstellung präsent und selbstverständlich ein realer Ort war, doch von der niemand wirklich wusste, wie sie aussah.1 Außer wenigen Heroen wie Herakles hat niemand den Hades besucht und ist wieder auf die Erde zurückgekehrt.2
Anders müsste es sich eigentlich mit dem Olymp verhalten, einem Gebirgszug an der Grenze von Makedonien und Thessalien gelegen; sein höchster Gipfel ist mit 2 918 m über dem Meeresspiegel der höchste Ort Griechenlands (Abb. 1).3 Man kann zu ihm hingehen und ihn sehen, auch wenn seine Gipfel häufig von Wolken verhangen sind. Der Olymp ist eine sehr reale Gegebenheit, eine wichtige Landmarke der Topographie Nordgriechenlands, er ist die Grenze zwischen Thessalien und Makedonien in der antiken Landschaft Pieria (Abb. 2). Das Olymp-Massiv war und ist für Reisende physisch erfahrbar und ein reales Hindernis, welches umgangen werden muss. Insofern war es geostrategisch präsent und stellte für Heere und Reisende eine wichtige, topographische Gegebenheit dar. 168 v. Chr. wurde hier das Ende des makedonischen Königreichs besiegelt, als die Römer unter dem Feldherren und Politiker Aemilius Paullus in der »Schlacht von Pydna« in der Enge der Küstenebene die Makedonen vernichtend schlugen. Geographische Kenntnisse waren dabei entscheidend. Dennoch bleibt die antike Vorstellung von dem Götterberg Olymp diffus, und es stellt sich
Abb. 1: Ansicht des Olympmassivs von Osten.
die Frage, ob der Olymp nicht ebenso wie der Hades ein irrealer Ort gewesen ist.
In der religiös-mythologischen Aufladung ist er dem Hades vergleichbar. Der Olymp war Sitz und Wohnort der Götter. Hier hatten die Unsterblichen ihre Paläste, hier hielten sie die Götterversammlung, von hier beobachteten sie das Tun und Treiben auf der Erde, und immer wieder verließen sie den Olymp, um mit Menschen auf der Erde in Interaktion zu treten. Der Olymp ist dabei ein exklusiver göttlicher Ort, den Menschen nicht zugänglich – Götter und Menschen treffen nur auf der Erde aufeinander.
Die literarischen Zeugnisse, die sich auf den Olymp beziehen, werden im zweiten Kapitel diskutiert; gleich zu Beginn seien zwei Stellen aus der Ilias, dem großen Epos des Homer, zitiert, aus denen deutlich wird, dass der Olymp der Sitz des Zeus und weiterer Götter ist. Die Lebenszeit Homers kann gegen 700 v. Chr. angesetzt werden, und seine Epen kondensieren und prägen die Vorstellungen der Griechen von ihren Göttern.4
Abb. 2: Siedlungen und Landschaften am Olymp.
Die erste Beschreibung des Olymps in der antiken Literatur findet sich gleich im ersten Buch der Ilias.5 Da heißt es über Thetis, die zu Zeus ging:
»Und stieg in der Frühe hinauf zum großen Himmel und zum Olympos und fand den weitumblickenden Kroniden, wie er entfernt von den anderen saß auf der höchsten Kuppe des vielgipfligen Olympos.« (Hom. Il. 1,497–499)
In diesem Text wird der Olymp als der Sitz des Zeus auf einem Berg mit vielen Gipfeln beschrieben, zugleich wird deutlich, dass er gedanklich dem Himmel angenähert ist. Diese Idealisierung und Distanzierung des Olymps findet sich auch in anderen Zeugnissen Homers. So heißt es in Homers Ilias als Hera in den Himmel fährt:
»Von selber dröhnten auf die Tore des Himmels, die die Horen hüten, Denen anvertraut ist der große Himmel und der Olympos, Bald zurückzuschieben die dichte Wolke, bald vorzulegen.« (Hom. Il. 5,749–751)
Hier sehen wir, dass der Olymp nicht als Berg vorgestellt ist, sondern dem Himmel gleichgestellt wird, seine Tore werden von den Horen, also den Göttinnen der Jahreszeiten, bewacht, welche die Wolken als Tore schieben. In den beiden Texten aus der Ilias wird der Olymp also unterschiedlich akzentuiert, einmal als Berg, einmal als himmlischer Göttersitz.
Zeus hielt auf dem Olymp Hof, und entsprechend ist der Olymp auch Namensgeber des wichtigsten Beinamens des Zeus, der Olympios war. Der Beiname Olympios im Singular ist fast nur für Zeus belegt.6 Gelegentlich konnte auch Herakles diesen Beinamen tragen (nach seiner Aufnahme in den Olymp),7 und es gibt wenige Belege für Göttinnen wie Hera in Olympia, Aphrodite in Sparta, die Erdgöttin Gaia in Athen, Demeter, Artemis in Eretria (abgeleitet von einem dortigen Olymp), die Geburtsgöttin Eileithyia in Olympia und Nike in Athen.8 Im Vergleich zu den hunderten Belegen für Zeus Olympios ist das wenig, und man kann die Belege als Ausnahmen werten, welche die Regel bestätigen, dass Zeus und der Olymp auf das engste miteinander verbunden waren. So überrascht es auch nicht, dass eines seiner wichtigsten Heiligtümer, das auf der mehrere hundert Kilometer entfernten Peloponnes gelegene Olympia, sich aus demselben Wortstamm ableitet. Die Götter insgesamt wurden auch als Olympische – nach ihrem Wohnsitz – bezeichnet.9
Dennoch, und das sei vorweggenommen, war die räumliche Inbesitznahme des Berges Olymp – sei es durch Besuche, sei es durch Bauwerke – in der Antike und in der gesamten Vormoderne unterentwickelt. Insofern ist er tatsächlich dem Hades vergleichbar als ein präsenter, aber eben doch auch unbekannter Ort.
Im Folgenden sollen Grundzüge der Geschichte des Bergs Olymp in der Antike behandelt werden. Dabei wird einerseits betrachtet, welche Vorstellung die Antike von dem Olymp als Sitz der Götter hatte, andererseits wird untersucht, wie der tatsächliche Ort in der Antike aussah und durch menschliche Aktivitäten gefasst war. Es geht also um ein zentrales Thema der Klassischen Archäologie, nämlich um das Verhältnis von Texten zu Monumenten. Zur Einführung in das Thema seien eine Photographie des Berges Olymps und ein Ausschnitt aus der Götterversammlung im Ostfries des Parthenon von Athen nebeneinandergestellt (Abb. 3 und Abb. 4).
Abb. 3: Die Gipfelregion des Olymps.
Das Bild zeigt ein Gebirge mit zahlreichen, dicht beieinanderliegenden Gipfeln. Dieses ist das Olympgebirge, mit dessen Topographie wir uns noch genauer beschäftigen werden. Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass es in seiner schroffen Morphologie durchaus charakteristische Züge aufweist, die – auch das sei vorweggenommen – nie in einer bildlichen Darstellung der Antike erscheinen. Wir besitzen keine antike Darstellung des Berges, welche die geographischen Charakteristika
Abb. 4: Ausschnitt aus dem Bild der Götterversammlung im Ostfries des Parthenon von Athen: Hermes, Dionysos, Demeter und Ares. Die Pfeile bezeichnen Steine, Mitte 5. Jh. v. Chr., London, British Museum.
prägnant in Szene setzt, doch gibt es einige Bilder, die durchaus die Vorstellung vom Olymp als eines Berges mitberücksichtigen. Das ist bemerkenswert, denn von einigen anderen Bergen, wie etwa dem Ararat in Armenien (Abb. 5), dem Vesuv in Italien oder dem Mons Argaios in der heutigen Türkei (Abb. 60–62) besitzen wir antike Darstellungen, die recht genau die morphologischen Charakteristika des jeweiligen Berges ins Bild setzen.10 Die frühesten dieser realistischen Bergdarstellungen, die wir kennen, stammen allerdings erst aus dem Späthellenismus (1. Jh. v. Chr.).11
Obschon auf dem Berg Olymp kaum archäologische Spuren zu finden sind und es kaum Darstellungen des Olymps in der Bildkunst gibt, kann die Archäologie dennoch dazu beitragen, die antike Vorstellung von dem Göttersitz besser zu verstehen. Es zeigt sich, dass er auf vielfältige Weise in archäologischen Zeugnissen präsent ist.
Schauen wir auf den Ausschnitt des Parthenonfrieses mit der Götterversammlung, die auf dem Olymp stattfindet, so sehen wir, dass dieser nicht zu den Bildern gehört, welche an die konkrete Topographie des Berges anknüpfen; allerdings können wir Aspekte sehen, die uns über die grundsätzliche Vorstellung vom Olymp Auskunft geben.
Abb. 5: Bronzemünze von Königin Erato und König Tigranes IV. von Armenien mir Ansicht des großen und des kleinen Ararat auf der Rückseite, ca. 2 v. Chr.–1 n. Chr.
Der Parthenon, eines der wichtigsten Denkmäler des klassischen Athens, wurde 447–438 v. Chr. gebaut und ist als Tempel der Athena Parthenos ein Monument der Bürgerschaft von Athen.12 Auf dem Parthenonfries konstituiert sich die Polis, also die Stadt Athen. Dargestellt ist der alle vier Jahre stattfindende Panathenäenzug, ein Festzug zu Ehren der Stadtgöttin Athena. Der Fries läuft oben an der Cella entlang. Der Panathenäenzug wird zweizügig – das heißt von zwei Seiten startend und gegenläufig – dargestellt. Auf der Ostseite, der als Eingang des Tempels wichtigsten Seite eines griechischen Tempels, gipfelt das Geschehen im Zielpunkt des Festzuges, nämlich der Übergabe eines neuen Gewands für die Stadtgöttin Athena an einen hohen Kultbeamten der Stadt, oder nach einer neuen Deutung in der Vorbereitung eines mythologischen Menschenopfers.13 In unserem Zusammenhang ist die genaue Bedeutung der Szene zweitrangig. Wichtiger ist das, wovon die Versammlung eingefasst wird. Denn umgeben ist diese Szene von einer Götterversammlung. Diese ist dem Geschehen vollkommen enthoben, und die thronenden Götter sind alle deutlich größer als die Sterblichen und die Heroen des Zuges. Untersuchungen zur Raum- und Zeitauffassung des Parthenonfrieses haben deutlich gemacht, dass es ein Hin und Her der Bewegungen gibt und auch Brüche. Insgesamt ist aber eine zeitliche und räumliche Einheitlichkeit zu beobachten, die durch den Auftritt der Götter durchbrochen wird.
Die Götter sind auf Sitzmöbeln in der Götterversammlung gezeigt, welche nur im Olymp gedacht sein kann. Sie sind dem Geschehen vollständig enthoben und scheinen nicht darauf zu reagieren, insbesondere nicht auf die Mittelszene, von der sie abgewandt sind. Ihre Anordnung erfolgt paarweise: von links nach rechts Hermes und Dionysos, Demeter und Ares (Abb. 4), Hera (mit Iris) und Zeus. Dann folgen Athena und Hephaistos, Poseidon und Apollon sowie Artemis und Aphrodite (mit Eros). Die Götter sind durch Attribute behutsam gekennzeichnet, sitzen auf Hockern bzw. Zeus auf einem Thron. Bemerkenswerterweise fehlt bei dieser Götterversammlung eine Ortsangabe. Der Olymp ist hier nicht als Berg visualisiert bzw. konkretisiert – lediglich ein paar umherliegende Steine kann man vorsichtig auf den felsigen Olymp beziehen.14 Im Bild überwiegt, dass die Götter über allem und dem Menschlichen stehen; das Menschliche ist wiederum auf die Götter bezogen, die sich aber selbst genug sind.15
Stellt man die Photographie des Berges Olymp und die Darstellung der Götterversammlung im Olymp nebeneinander, so muss man feststellen, dass der Kontrast zwischen dem realen und dem vorgestellten Raum nicht größer sein könnte. Es ist eine banale Beobachtung, die aber formuliert werden muss: Ein Versuch, die tatsächliche Topographie des Olymps in das Bild der Götterversammlung zu integrieren, ist kaum unternommen worden. Der einzige, aber eben entscheidende Vergleichspunkt besteht in dem Charakteristikum des allem Menschlichen enthoben Seins.
Mittlerweile wird der Olymp jedes Jahr von tausenden Bergsteigern erklommen. Es gibt Schutzhütten, Wanderwege und Karten, und das ganze Bergmassiv ist bis in den letzten Winkel mit modernster Technik vermessen.16 Trotz dieser Erschließung und Erforschung bleibt der Olymp doch ein zutiefst imaginärer Berg, der in der Populärkultur vielfältige Assoziationen erweckt, die sehr lose um das Thema »Sitz« und »göttlich« kreisen.
Abb. 6: Kratzbaum Modell »Olymp« der Firma Albert Kerbl GmbH.
So wirbt eine deutsche Friseursalonausstattungsfirma »Olymp« mit besonders qualitätvollen Friseurstühlen.17 Mit denselben Assoziationen, allerdings auf die in der westlichen Welt mit einer göttlichen Aura versehenen Hauskatzen bezogen, spielt eine Firma für Tierbedarf an, die ein Kratzbaummodell mit erhöhtem Katzensitz mit dem Namen »Olymp« anbietet (Abb. 6). Weit hergeholt, aber im Kern noch erkennbar, ist die Wahl des Firmennamens »Olymp« für einen führenden Hersteller mobiler Toilettenkabinen (sog. Dixi-Klos) (Abb. 7). Abgeschiedenheit und Sitzen mögen hier die Namenswahl beeinflusst haben. Noch loser wird die Bezugnahme auf den Berg Olymp bei der
Abb. 7: Mobile Toilettenkabine der Firma Olymp.
Herrenoberbekleidungsfirma Olymp, die ihren Firmennamen damit erklärt, dass Sie Hemden produziert, mit denen sich erfolgreiche Männer »im persönlichen Olymp« fühlen sollen.18 Die Übertragbarkeit und Universalität der Idee vom Olymp, die nicht an den nordgriechischen Berg gebunden ist, wird hier deutlich, wobei sie zusätzlich noch individualisiert wird. Der Olymp ist potentiell überall.19 Diese örtliche Übertragbarkeit des Olymps ist vielfach zu beobachten. Ein aktuelles Beispiel ist die erfolgreiche Jugendbuchreihe »Percy Jackson«, in der der Olymp kurzerhand nach New York verlegt wurde.20 Die Universalität des Olymps wird auch anhand eines weiteren Beispiels deutlich. Die japanische Firma Olympus ist bekannt für optische Geräte, darunter Kameras. Gegründet wurde die Firma 1919 in Tokyo unter dem Namen Takachiho Seisakusho.21 Der Takachiho mit dem Gipfel Takamagahara ist ein Berg, der in der japanischen Mythologie Ort der Götter und des Lichts ist. Da der für westliche Käufer sperrige Name Takachiho Seisakusho zu kompliziert war, wurde die Firma 1949 in Olympus umbenannt, was sicher dazu beitrug, dass die Firma heute ein Weltmarktführer für optische Geräte ist. Diese Übertragung unterstreicht die Wirkmächtigkeit und Anschlussfähigkeit der Olympidee.22
Die Beispiele zeigen, dass ähnlich wie in der Antike auch heute der Olymp Projektionsfläche von Vorstellungen des kollektiven Gedächtnisses ist, wobei diese Vorstellungen nicht zwingend etwas mit dem nordgriechischen Berg und seiner realen Topographie zu tun haben.
Die Erkundung und wissenschaftliche Erforschung des Olymps begannen bereits in der Antike. Die Vorstellung, die Homer von der Höhe des Berges hatte, dass man nämlich von ihm einen ganzen Tag herunterfalle,23 wurde später nüchterner gesehen. So berichtet Plutarch, ein Autor des 2. Jh. n. Chr., in seiner Biographie des römischen Feldherren Aemilius Paullus Folgendes:24
»Hier erhebt sich das Olymposgebirge zu einer Höhe von mehr als zehn Stadien. Das wird in einer Inschrift des Mannes bezeugt, der sie gemessen hat, folgendermaßen:
›Des Olympos Gipfel über dem Pythion Apollons
Hat eine heilige Höhe – sie ward nach dem Senkblei gemessen –
Von einer vollen Zehnheit von Stadien, darüber hinaus noch
Von hundert Fuß, vermindert um vier.
Des Eumelos Sohn hat diese Messung vollzogen,
Xeinagores. Du Herrscher, sei gnädig und verleihe ihm Gutes‹
Allerdings behaupten die Geographen, daß weder die Höhe eines Berges noch die Tiefe eines Meeres zehn Stadien übersteige; aber Xenagoras scheint seine Messung nicht nur oberflächlich, sondern kunstgerecht und mit Hilfe von Instrumenten gemacht zu haben.« (Übersetzung: Konrat Ziegler)
Soweit Plutarch. Leider wissen wir nicht genau, wann dieser ansonsten unbekannte Xenagoras die Messung vorgenommen hat; es wird angenommen, dass er im ersten Drittel des 2. Jh.s v. Chr. lebte.25 Das Ergebnis von seiner Messung ist erstaunlich: ein Stadion sind 600 Fuß. Insgesamt ist die gemessene Höhe also 6 096 Fuß. Legt man einen griechischen Fuß von 30,7 cm zu Grunde, so ergibt sich eine Höhe von 1 871,47 m. Da natürlich nicht die absolute Höhe gemessen wurde, sondern die relative, muss die Höhe des Standortes noch einbezogen werden. Das Heiligtum von Pythion wird bei dem Dorf Selos am westlichen Fuß des Olymps lokalisiert.26 Zu dieser Ortslage muss man die rund 900 Höhenmeter des Standortes hinzurechnen und käme so zu einer Höhe des Berges von 2 771 m, was den heute gemessenen 2 918 m des höchsten Gipfels erstaunlich nahe kommt. Das Ergebnis ist umso beachtlicher, wenn man bedenkt, dass Xenagoras möglicherweise gar nicht den höchsten Gipfel Mytikas gemessen hat, sondern jenen Gipfel, vor dem er in Pythion/Selos genau stand, nämlich den Agios Antonios, der auf 2 817 m liegt (Abb. 37). Wahrscheinlich hat Xenagoras mit einem Winkelmessgerät, der sogenannten Dioptra, die Höhe bestimmt.27 Auch mit diesem Gerät bleibt es eine herausragende Leistung, da zur Bestimmung der Höhe die Kenntnis der genauen Entfernung zum Fußpunkt des Berges fehlte. In der Antike gab es immer wieder Versuche, Berghöhen zu messen, uns liegt jedoch keine weitere Überlieferung zum Olymp vor.28 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass in der Antike der Olymp nicht als der höchste bekannte Berg galt, sondern Kenntnis davon bestand, dass es höhere Berge gab.29
Plutarchs Bericht über Xenagoras ist das einzige Zeugnis für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in der Antike mit der Geographie des Olymps. Erwähnt wird der Olymp immerhin in dem Werk des alexandrinischen Geographen Klaudios Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.). Dort ist in seiner Geographie in Buch III Kapitel 12,16 der Breitengrad 39 Grad 20 Minuten für Olymp, Ossa und Pelion angegeben. Tatsächlich ist der Breitengrad aber 39 Grad 40 Minuten, eine Abweichung, die nicht gravierend und auf das Berechnungsverfahren von Ptolemaios zurückzuführen ist.30
Gibt es Hinweise darauf, dass der Olymp in der Antike bestiegen wurde? Auf einem Nebengipfel des Olymps, dem Agios Antonios, gab es in frühhellenistischer Zeit, im 3. Jh. v. Chr. ein Heiligtum des Zeus Olympios, welches in der Spätantike noch einmal für einige Zeit genutzt wurde.31 Dieses Heiligtum ist der einzige Hinweis für menschliche Präsenz auf dem Olymp in der Antike. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Bergsteigen aus ästhetischen Gründen erst ein Phänomen seit dem 17. Jh. ist, und es für Menschen der Antike eigentlich nur zwei Gründe gab, einen Berg zu besteigen. Und das waren entweder wirtschaftliche Gründe im Kontext von Weidewirtschaft32 oder religiöse, wie wir an Bergheiligtümern anderenorts feststellen können.33 Daher können wir davon ausgehen, dass nur für die kurze Zeit der Nutzung des Heiligtums auf dem Agios Antonios der Olymp von Menschen besucht wurde, denn für Weidewirtschaft war die karge Gipfelregion nicht geeignet. Insgesamt gilt es zu berücksichtigen, dass Berge in der Antike Orte waren, die eine Andersartigkeit (Alterität) gegenüber der Stadt und der Zivilisation aufwiesen, und entsprechend nicht bevorzugte Aufenthaltsorte von Menschen waren.34 In Krisenzeiten konnten Bergregionen daher auch Rückzugsgebiete sein.35
Nach dem 2. Jh. n. Chr. fehlen weitere Quellen, die uns über eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Olymp berichten. In der Spätantike und im Mittelalter gibt es zwar Berichte darüber, wie der Gipfel des Olymps ausgesehen haben soll und welche geheimnisvollen Handlungen dort stattgefunden haben sollen, doch sind diese Berichte stark legendarischer Natur und gehen nicht auf eine tatsächliche Inaugenscheinnahme oder aufklärerische Auseinandersetzung mit dem Berg zurück, wie sie etwa Xenagoras oder Ptolemaios beabsichtigten.36 So gerät der nordgriechische Olymp für mehrere Jahrhunderte aus dem Fokus des Interesses.
Als unzugänglicher Ort war der Olymp unter osmanischer Herrschaft ein Rückzugsgebiet für die Klephten, je nach Perspektive Räuber oder Freiheitskämpfer, und wegen der unsicheren Lage wagten sich nur wenige westliche Forschungsreisende in die Gegend.37 Einer der frühesten Berichte stammt von dem englischen Arzt Edward Brown, in dessen 1673 erschienenem Reisebericht, der allerdings den Olymp nur aus einiger Entfernung beschreibt.38 Er erwähnt aber den Schnee auf dem Olymp, der, wie wir heute wissen, nur im August und September fehlt.39 Der Bericht von Brown ist für den Göttinger Theologen Johann Karl Volborth 1776 eine wichtige Quelle für seine geographisch-philologische Schreibtischarbeit zum Olymp.40 Brown erwähnt, dass der türkische Sultan Mehmed IV. (1648–1687) 1669 auf einen der Gipfel geritten sei.41 Der erste westliche Reisende der Neuzeit, der 1780 den Versuch einer Besteigung des Olymps unternahm, war Charles Sigisbert Sonnini, den Aufstieg jedoch kurz vor einem der Gipfel (wir wissen nicht genau, welcher) abbrach. Den von ihm erreichten Gipfel beschreibt er folgendermaßen:
»So lange wir noch Bäume und Stauden hatten, um uns daran zu halten, so lange konnten wir immer aufwärts kommen; allein in einiger Entfernung von dem Gipfel des Berges ist alle Vegetation erstarrt und die Natur bringt durchaus nichts mehr hervor. Dieser Gipfel ist ganz nackend und stellt eine mit Schnee und Eis bedeckte runde Wölbung vor, auf der es unmöglich ist, sich aufrecht zu halten oder gar zu gehen. Man darf sich nicht verwundern, dass die Griechen eine Bergspitze, die nie ein menschlicher Fuß betreten kann, zum Wohnort der Götter gemacht haben.«42 (Übersetzung: Achim Lichtenberger)
Trotz aufklärerischer Perspektive ist nicht zu übersehen, dass Sonninis Bericht von Phantastik durchsetzt ist, und man fragt sich, ob er überhaupt jemals den Gipfel gesehen hat oder er durch literarische Texte inspiriert war.43 Bemerkenswert ist das Motiv, dass der Gipfel nicht von Menschen betreten werden könne – eine Distanzierung, die bereits bei Homer angelegt ist.
Der nächste, der über den Olymp berichtet, ist der Griechenlandreisende William Martin Leake, der 1806 die Küstenebene und das Vorgebirge des Olymps besuchte und eine Beschreibung hinterließ, ohne aber den Olymp selbst bestiegen zu haben.44
Eine ausführliche Beschreibung des Olymps verdanken wir dem schottischen Diplomaten David Urquhart, der 1830 den Olymp besuchte.45 Mit der Hilfe eines Räuberhauptmanns klettert er im Olympgebirge, und Urquhart scheint sogar zu Nebengipfeln gelangt zu sein. Leider ist unklar, welche Gipfel er erreicht hat, da er in seinem Reisebericht Namen für die Höhen überliefert, die nicht mit den späteren Bezeichnungen übereinstimmen.46
Zu ungefähr derselben Zeit findet die erste nachweisbare Höhenmessung seit Xenagoras statt. Das englische Militär nimmt 1831 eine trigonometrische Höhenmessung vor und bestimmt die Höhe des Hauptgipfels mit 2 974 oder 2 973 m.47
Einen anschaulichen Bericht der Besteigung des Olymps im Jahr 1840 liefert uns der Philosoph und Schriftsteller Gustav von Eckenbrecher.48 Von Eckenbrecher ist von Larissa, also von Süden, aus aufgestiegen und beschreibt die Topographie und Vegetation des Olympgebirges. Er scheint entweder den Gipfel Agios Antonios oder den Skolio erreicht zu haben und berichtet:49
»Auf dem Gipfel (…) fand ich einen antiken Fußboden von Fliesen aus rothgebranntem Thon, die etwa 1 ½ Fuß im Quadrat und 2 Zoll Dicke hatten.«50
Leider gibt es keine weiteren Berichte zu diesem Befund, und es muss unklar bleiben, was von Eckenbrecher gesehen hat und aus welcher Zeit es stammte. Sollte von Eckenbrecher Funde auf dem Agios Antonios beschreiben, dann könnte er der Entdecker des dortigen hellenistischen Heiligtums sein.51
Ein Meilenstein in der wissenschaftlichen Erforschung des Olymps und seiner Umgebung ist die Arbeit des französischen Archäologen Leon Heuzey, der Grundlagenarbeiten zur Topographie Nordgriechenlands geschrieben hat. Sein auf Französisch verfasstes Buch »Der Berg Olymp und Akarnanien« von 1860 geht auf Reisen im Jahr 1855 zurück.52 Heuzey selbst scheint auch nur einen Nebengipfel des Olymps bestiegen zu haben, und seine Beschreibungen der konkreten Topographie des Berges sind streckenweise unklar. Sein Verdienst besteht darin, die literarischen Quellen ausgewertet, eine topographische Analyse des Umlandes gemacht und Ortslagen, wie das bereits erwähnte Pythion, identifiziert zu haben. Seine Arbeit bleibt bis heute der Ausgangspunkt für jede landeskundliche Beschäftigung mit dem Olymp.
Auch der berühmte Afrikareisende Heinrich Barth war 1862 am Olymp und hat den Nebengipfel Agios Elias bestiegen. Dabei musste er feststellen, dass es in der Nähe höhere Gipfel gab.53
Bis zur Jahrhundertwende fanden verschiedene Vermessungsexpeditionen in der Region statt, insbesondere durch österreichische Unternehmungen.54 Dennoch wagte man sich kaum in das Olympgebiet, das weiterhin fest in der Hand der Klephten war, weshalb eine exakte topographische Vermessung und weitere Erforschung bzw. Besteigung der Gipfel unterblieb. Diese erfolgte erst, als das Olympgebiet nach dem Balkankrieg 1912 an Griechenland fiel und Sicherheit in der Region einkehrte.
Zuvor wurde noch der deutsche Bergsteiger und Reisende Edward Richter 1911 am Olympmassiv von Klephten gekidnappt und kam erst nach mehrmonatiger Gefangenschaft und Zahlung eines hohen Lösegelds wieder frei. Sein Bericht ist ein anschauliches Dokument einer Zeit, in der die Grenze zwischen dem Osmanischen Reich und Griechenland südlich des Olymps lag, und hier Räuber operierten. So beschreibt er die Situation:
»Obwohl die meisten nach Konstantinopel fahrenden Schiffe am Fuße des Olymps vorüberziehen und obwohl Salonik in der Luftlinie nur etwa achtzig Kilometer entfernt ist, bildet das Olympgebirge doch ein Gebiet, das ›unbekannter als die meisten Gegenden Zentralafrikas‹ ist. Eine sehr geringe Anzahl von ›Europäern‹ (die Orientalen zählen sich selbst nicht zu den Europäern) hat dieses Gebiet betreten. Nur ein Geograph und zwei oder drei Geologen haben je einen Teil des Gebirges beschrieben. Der Grund der Unbekanntheit dürften die Schwierigkeiten sein, welche der Reisende zu überwinden hat: Gasthäuser in unserem Sinne gibt es dort nicht, die Straßen sind sehr schlecht, Wege sind nicht gebahnt, sondern nur ausgetreten, ferner erteilt die türkische Regierung (…) sehr ungern die Erlaubnis zum Betreten der fern von Verkehr liegenden Gebiete. Auch an der Schwierigkeit einer Verständigung mit der Bevölkerung und den Lokalbehörden dürften manche Dinge scheitern. Am meisten verhindert aber die große Unsicherheit den Besuch. Ist doch das Olympgebirge das berüchtigtste Räubernest Europas. Man kann aus diesem Grunde dort auch nur unter dem Schutz einer Bedeckung reisen, die, wenn die Erlaubnis erteilt ist, von den türkischen Behörden bereitwillig von Station zu Station mitgegeben wird.«55
Richter reiste mit einer österreichischen Karte, die jedoch ungenau war, und an deren Korrektur er arbeitete, als er entführt wurde und seine beiden türkischen Begleitsoldaten erschossen wurden. Nach seiner Freilassung aus der Geiselhaft hat sich Richter weiter um die Erforschung des Olymps verdient gemacht.56
Die Erstbesteigung des höchsten Gipfels des Olymps, des Mytikas, erfolgte durch zwei Schweizer Bergsteiger und einen griechischen Führer: Daniel Baud-Bovy, Fred Boissonnas und Christos Kakalos. Sie erreichten den Gipfel am 2. August 1913.57 Ein Jahr später, ohne Kenntnis der Erstbesteigung, erklommen Francis Farquhar und Aristides Phoutrides den dritthöchsten Gipfel Skala und brachten erstmals eine umfangreiche Photodokumentation von ihrem Aufstieg mit.58
Im Jahr 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, wurde schließlich der Schweizer Geograph Marcel Kurz vom griechischen Ackerbauministerium mit einer exakten topographischen Aufnahme des Olympmassivs betraut. Vier Jahre später publizierte er das Werk »Le Mont Olympe« (1923) mitsamt zwei hervorragenden Karten, die bis heute grundlegend sind (Abb. 37).59 Das Buch bietet außerdem zahlreiche Photographien, die eine visuelle Vorstellung des Gebirges erlauben. Darüber hinaus ist die Forschungsgeschichte aufgearbeitet. Eines der Fotos zeigt den mittlerweile friedlich gewordenen Räuberhauptmann, der einst Richter entführt hatte.
Das Buch von Kurz aus dem Jahr 1923 und die Arbeit von Heuzey aus dem Jahr 1860 sind bis heute die einzigen wissenschaftlichen Monographien zum Olymp.60 Aus archäologischer Sicht sind nur wenige Studien zu dem Berg erfolgt, ein archäologischer Survey des Gebirges hat noch nicht stattgefunden, und bislang wurden nur wenige archäologische Stätten identifiziert.61 Auch ansonsten haben sich die klassischen Altertumswissenschaften kaum mit dem Berg beschäftigt.62 Eine Studie zur bildlichen Darstellung bzw. zu den Raumvorstellungen des Berges fehlt, obschon es Untersuchungen zu Einzelaspekten wie etwa dem Bild der Götterversammlung gibt.63 Auch die Klassische Philologie und die Alte Geschichte ignorieren den Berg weitgehend.64 In den letzten Jahren sind zwar im Zuge des sogenannten spatial turn, der sich übergreifend mit kulturellen Aspekten von »Räumen« befasst, Berge in der Antike verstärkt ins Interesse der Kulturwissenschaften getreten, doch bleibt der Olymp weiterhin faktisch unbeachtet.65
Ein nicht unwichtiger Aspekt der Erforschung des Olymps ist die Frage danach, was das Wort »Olympos« überhaupt bedeutet. Der Versuch einer Beantwortung der Frage ist allerdings fruchtlos. Denn die Wortbedeutung des Begriffs Olympos ist ungeklärt. Verschiedene Vorschläge wurden gemacht. So weist der Sprachforscher August Fick den Namen einer »vor-pelasgischen« Sprachstufe zu.66 Diese Herleitung macht es sich einfach, verlagert sie doch die Antwort in eine dunkle mythische Vorzeit. Der Religionswissenschaftler Martin P. Nilsson hält den Namen ebenfalls für vorgriechisch und möchte ihn auf ein ansonsten unbekanntes Wort für »Berg« zurückführen.67 Eine allgemein akzeptierte Deutung des Namens gibt es nicht.68 Bei der Überlegung, dass Olympos eine vorgriechische Bezeichnung für Berg sei, spielt die Verbreitung des Bergnamens in Mittelmeerraum eine Rolle (Abb. 47). Der Name ist vielerorts für große Berge belegt,69 doch ist gerade die Verbreitung in Gebieten, die nicht im griechischen Kerngebiet liegen, wie etwa Zypern und Lykien, ein Hinweis darauf, dass keine gemeinsame Sprachform vorliegt, sondern dass die Verbreitung des Namens auf die Vorbildfunktion des nordgriechischen Berges zurückgeht, dessen Etymologie weiterhin unsicher bleibt.
Auch die antiken Etymologien des Namens Olympos vermögen keine überzeugenden Erklärungen zu liefern. Ein hellenistischer Text, der fiktiv dem Universalgelehrten Aristoteles zugeschrieben wurde und das byzantinische lexikalische Sammelwerk Etymologicum magnum möchten Olympos von dem griechischen Wort hololampes (»ganz leuchtend«) ableiten und verweisen auf eine Stelle in der Odyssee des Homer, welche den Olymp als strahlend hell beschreibt.70 Leider ist dies keine sprachwissenschaftlich akzeptable Etymologie, sondern eine gelehrte Spielerei mit einem Homerzitat, sodass die Bedeutung des Namens Olympos ungeklärt bleiben muss.71 Auch die mythologische Herleitung des Namens von einem Lehrer des Zeus namens Olympos, von dem Zeus laut dem griechischen Geschichtsschreiber Diodor (1. Jh. v. Chr.) den Beinamen Olympios übernommen habe,72 kann nicht überzeugen und ist wahrscheinlich eine von zwei Varianten der Vorstellung, dass Zeus einen Lehrer namens Olympos gehabt habe. Einen solchen soll es auch auf Kreta gegeben haben, und er wurde von Zeus getötet und bestattet. Auch dabei handelt es sich um eine sekundäre Aitiologie, also eine nachträgliche Erklärung des Namens.73 Dass der Berg nach einem weit hergeholten Beinamen des Zeus benannt wurde, ist eher unwahrscheinlich. Naheliegender ist, dass Zeus seinen Beinamen von dem Berg Olympos bekam, dessen Etymologie im Dunkeln bleibt.
Der Olymp ist in der Vorstellung der Griechen von Beginn der schriftlichen Überlieferung präsent.1 Schon bei Homer findet sich die Vorstellung, dass der Sitz der Götter auf dem Olymp lag. Dabei ist der Olymp als Berg, und zwar als ein konkreter Berg in Thessalien und Makedonien, gedacht. Zugleich können wir eine parallele Vorstellung beobachten. Bei Homer und insbesondere in der Folgezeit löst sich die Vorstellung vom Olymp als eines konkreten Berges in Nordgriechenland, und der Olymp bekommt eine übertragene Bedeutung und wird mit dem Himmel gleichgesetzt. Trotzdem bleibt die Vorstellung des Olymps als eines Berges bestehen, auch wenn diese nicht dominiert. Der Olymp ist also ein Berg-Himmel. Wir werden im Folgenden sehen, dass bereits Homer kein kohärentes, theologisch scharf abgegrenztes Bild des Olymps entwirft, sondern Ambiguität (Doppeldeutigkeit) den Olymp charakterisiert und daraus die panhellenische, gesamtgriechische Attraktivität des Olymps resultiert.
Wie üblich bei der Beschäftigung mit griechisch-römischer Kultur, stellt Homer den Ausgangspunkt dar. Das griechische Pantheon, die Welt der Götter und ihre Zuordnungen, wurde von Homer im späten 8. Jh. v. Chr. fixiert und geprägt. Der griechische Historiker Herodot schreibt im 5. Jh. v. Chr. in seinen Historien Folgendes über die griechische Götterwelt:
»Aber woher jeder einzelne Gott stammte oder ob sie schon immer alle da waren, wie sie aussahen, das wußten die Griechen sozusagen bis gestern und vorgestern nicht. Hesiod und Homer haben meiner Meinung nach etwa 400 Jahre vor mir gelebt, aber nicht mehr. Sie haben den Stammbaum der Götter in Griechenland aufgestellt und ihnen ihre Beinamen gegeben, die Ämter und Ehren unter sie verteilt und ihre Gestalt klargemacht. Die Dichter, die vor diesen Männern gelebt haben sollen, kamen meiner Meinung nach erst später.« (Hdt. 2,53) (Übersetzung: Josef Feix)
Soweit Herodot, der formuliert, wie sehr die von Homer und Hesiod überlieferten Vorstellungen prägend für das griechische Pantheon waren.2 Wir wenden uns damit dem zu, was Homer über den Olymp schreibt.
Als expliziten Beleg dafür, dass der Olymp von Homer als Berg, und zwar als ein konkreter Berg in Nordgriechenland, aufgefasst wurde, kann man eine Stelle aus seinem Epos Odyssee nehmen. Darin wird berichtet, dass Otos und Ephialtes, zwei aufrührerische Söhne des Meeresgotts Poseidon, den Olymp stürmen und die unsterblichen Götter angreifen wollten:3
»Die drohten sogar den Unsterblichen auf den Olymp zu tragen,
das Getümmel des vieltobenden Kriegs,
und strebten, den Ossa auf den Olymp zu setzen und auf den Ossa
den blätterschüttelnden Pelion, damit der Himmel ersteigbar wäre,