Der Präsident - Regina De Facendis - E-Book

Der Präsident E-Book

Regina De Facendis

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Beschreibung

Nun erscheint nach den beiden Büchern des Außerirdischen Exel (Willensfreiheit, Der sterbende Schwan) das dritte Buch des italienischen Comiczeichners und der Ex-Lehrerin. Diesmal schreiben die beiden über einen jungen Abgeordneten aus Ohio, John Endis, der vom Präsidenten der Vereinigten Staaten den Auftrag erhält, zum Unabhängigkeitstag eine ungewöhnliche Fotoausstellung zu organisieren. Bei diesem Projekt soll ihn die bildhübsche Grafikern Annie unterstützen, die sich im Laufe der Geschichte als Nichte des Präsidenten entpuppt. John, ein Einzelgänger, unterliegt sofort dem Charme und der starken Persönlichkeit der jungen Frau und verliebt sich in sie. Eines Tages erfährt John, dass die Fotoausstellung nur ein Vorwand ist für ... Ein in Washington spielender Science-Fiction Roman, der dem Leser eine Vielzahl unerwarteter Überraschungen bietet.

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INHALTSVERZEICHNIS

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

1

Jedes Mal wenn mein Vater im Fernsehen einen Politiker sprechen hörte, schrie er wütend: „Das sind doch alles Lügner!“

Dann schaltete er um oder den Fernseher ganz aus.

Und ... wie das Leben so spielt ... ich bin Politiker geworden!

Auch wenn ich es seit nicht allzu langer Zeit bin, so habe ich bis jetzt noch keine Lüge erzählt ... na ja, mit Ausnahme der kleinen Notlügen, die ein soziales Miteinander überhaupt erst möglich machen. Hätte mein Vater recht, müsste ich ein Lügner sein. Da dies jedoch nicht der Fall ist, kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass er unrecht hat und nicht alle Politiker Lügner sind.

Eine Schlussfolgerung, die mir in diesem Moment, in dem ich voller Unruhe auf das Gespräch mit dem Präsidenten der Vereinten Staaten Amerikas wartete, wenigstens eine Sicherheit gab: ich war kein Lügner!

Und während ich so da saß, zermarterte ich mir den Kopf, einen plausiblen Grund für dieses Gespräch zu finden. Sicher, die Einladung war eine große Ehre, aber so sehr ich mich auch anstrengte, mir fiel beim besten Willen keine Erklärung ein, warum mir diese Ehre erwiesen werden sollte.

Mit knapp dreiunddreißig Jahren war ich zwar einer der jüngsten Abgeordneten im Parlament, das war aber auch schon alles, was ich auf die Waagschale legen konnte. Ich lebte erst seit sieben Monaten in Washington und hätte, auch wenn es mein größter Wunsch gewesen wäre, in dieser kurzen Zeit keine engen politischen Beziehungen aufbauen können, vor allem keine, die in irgendeiner Art und Weise das Interesse des Präsidenten wecken konnten. Wie auch immer, nun saß ich hier im Weißen Haus und wartete darauf, dem mächtigsten Mann des Planeten gegenüber zu treten. Nach wenigen Minuten, die mir wie eine Ewigkeit erschienen, riss mich der Klingelton einer Sprechanlage aus meinen Überlegungen. Die Sekretärin hörte eine kurze Ansage, erhob sich und bat mich höflich, ihr zu folgen. Der Präsident konnte mich nun empfangen.

Nachdem ich durch die große weiße Türe geschritten war, stand ich ihm persönlich gegenüber, dem ersten Mann Amerikas. Der Präsident, der an seinem Schreibtisch arbeitete, blickte kurz auf und deutete mir mit einer Geste an, Platz zu nehmen. Er war ein Bär von einem Mann, zwei Meter zehn groß, bei einem Gewicht von zirka hundert fünfzig Kilo, und trotz meiner eigenen Größe von einem Meter fünfundachtzig und meinem einigermaßen durchtrainierten Körper fühlte ich mich in seiner Gegenwart wie ein Zwerg. Und da war es wieder, dieses Etwas, das meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog. Jedes Mal wenn ich diesen Mann bis jetzt gesehen hatte, sei es im Fernsehen oder bei einer Versammlung, war mir die Dimension seines Kopfes aufgefallen, der mir überproportional groß erschien. Auch jetzt, bei einer Entfernung von weniger als zwei Metern, wurde dieser Eindruck bestätigt.

„Setzen Sie sich, Herr Endis, einen Kaffee?“

Der riesige Kopf wurde quer von einer langen Furche durchzogen, die man ein Lächeln nennen könnte. Einen Moment lang kam es mir vor, einem dieser enormen Hunde gegenüber zu sitzen ... einem Neufundländer? ... auf alle Fälle einem dieser wahnsinnig sympathischen Hunde, die man am liebsten gleich umarmen möchte, um die Umarmung kurz darauf mit einem Schleim überzogenen Gesicht wieder zu lösen.

„Nein danke, Herr Präsident!“ lehnte ich höflich ab, auch wenn ich einen Moment lang der Versuchung unterlag, Ja zu sagen, nur um vom Präsidenten persönlich bedient zu werden.

„Ich habe bereits die heutige Ration Koffein zu mir genommen!“

„Gut, dann kommen wir ohne große Umschweife zum Grund meiner Einladung.“

Bei diesen Worten erhob er sich, legte seinen Allerwertesten auf der Kante des stabilen Schreibtisches ab und gab so, bevor ich aufstehen konnte, dem Gespräch einen entspannten, fast freundschaftlichen Ton, wobei er mit einem Lächeln sagte:

„Sehen Sie, das sind die Dinge, die Sie noch lernen müssen!“

In der Tat hatte er durch die Wahl der neuen Sitzposition der Situation jeglichen offiziellen Charakter genommen ... jedoch gleichzeitig eine dominierende Position eingenommen. Ich empfand eine ehrliche Sympathie diesem Mann gegenüber ... und ... gegenüber seinem Dickkopf.

„Um was geht es, Herr Präsident?“

„Ihr Name wurde mir von Senator Henry genannt, ja, dem gleichen, der Ihre Wahl zum Abgeordneten befürwortet hat. Sie scheinen ein Genie zu sein sowohl als Analytiker als auch als Experte von modernen Netzwerken.“

Es folgte eine kurze Pause, die mir die Möglichkeit geben sollte, meine Bescheidenheit zum Ausdruck zu bringen, und so folgte ich seiner Einladung.

„Ich danke Senator Henry für seine lobenden Worte, aber es gibt sicher viele, die auf diesem Gebiet ebenso gut wenn nicht besser sind, Herr Präsident“, sagte ich und rutschte dabei verlegen auf dem Sessel hin und her.

Ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment ein gewisses Unbehagen verspürte, nicht so sehr wegen seiner Bemerkung über meine Genialität, da ich diese Meinung teilte, sondern aufgrund der Tatsache, dass nach der wohligen Wärme lobender Worte meist eine kalte Dusche folgte.

„Ha, ha, ..., Herr Endis, ich schätze Ihre Bescheidenheit“, sagte er und warf mir einen beruhigenden Blick zu. „Lassen Sie mich kurz schildern, wie ich mir Ihre Mitarbeit vorstelle. Danach können Sie immer noch ablehnen, wenn Sie es für richtig halten! Okay?“

„Okay, Sir!“

Sehr langsam, als müsse er die Worte, die er im nächsten Moment aussprechen wollte, noch einmal abwägen, erhob er sich, kehrte zu seinem Sessel hinter dem Schreibtisch zurück und sah mir fest in die Augen. Die Botschaft war eindeutig: Rückkehr zum offiziellen Charakter! Instinktiv nahm ich wieder eine aufrechte Haltung ein, eine Art Achtung Stellung, obwohl ich sitzen blieb: Botschaft empfangen!

Immer noch Pause, immer noch der feste Blick, dann begann sich die lange Furche in seinem Gesicht zu bewegen.

„Also ... in einigen Monaten, wie Sie sicher wissen, wird wie jedes Jahr in Amerika der Unabhängigkeitstag gefeiert, und ich habe diesmal statt der herkömmlichen, klassischen Feierlichkeiten etwas Besonderes geplant. Etwas Unübliches und ... man könnte sagen ... etwas Unterhaltsames!“

Ein weiterer forschender Blick.

„Bevor ich jedoch fortfahre, müssen Sie mir etwas versprechen, Herr Endis. Unabhängig davon, ob Sie meinen Auftrag annehmen oder nicht, alles, was ich Ihnen nun sagen werde, bleibt unter uns bis zum genannten Datum. Alles! Versprochen?“

„Ich schwöre, Herr Präsident! Sie können auf meine absolute Verschwiegenheit zählen!“

Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte sich mein Gegenüber zunächst in den Sessel zurück, stand dann jedoch ruckartig auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.

„Wissen Sie, Herr Endis, mir sitzt ein kleiner Schelm im Nacken!“

„Entschuldigung, Sir, was sagten Sie ...?“

Eins war sicher: der Dickkopf sorgte ununterbrochen für Überraschungen .... und ... wurde mir immer sympathischer.

„Wissen Sie, wie viele Präsidenten sich in den letzten zweihundert fünfundzwanzig Jahren unserer Geschichte abgewechselt haben?“

„Ja Sir, fünfundvierzig, mit Ihnen!“

„Sehr gut, könnten Sie sie auch namentlich nennen?“ Er sah mich lächelnd an. „Lassen wir's, natürlich können Sie es!“

Wahrscheinlich brauche ich nicht betonen, dass ich in diesem Moment nicht den leisesten Schimmer hatte, worauf er hinaus wollte, und überzeugt war, dass genau diese Tatsache ihn köstlich amüsierte.

„Und ihre Gesichter? Ja, ihre Gesichter! Können Sie sich auch an die Gesichter erinnern? An alle?“

Er fuhr fort, ohne mir Zeit zum Antworten zu geben.

„Natürlich nicht! Ich glaube, niemand kann sich an sie erinnern, sie ähneln sich alle, sie wurden alle unsterblich gemacht, alle in der gleichen offiziellen Pose, bis auf einige wenige. Wie Schaufensterpuppen ... und wer erinnert sich schon an eine Schaufensterpuppe!“

Während ich völlig verwirrt in sein grinsendes Gesicht starrte, zog ich in Betracht, dass er wahnsinnig geworden sei. Wer weiß, vielleicht würde er mir gleich mit einem schnellen Zuschnappen der mit Zähnen bewaffneten Furche sauber den Kopf abtrennen. Ich sah bereits die Schlagzeilen vor mir: Junger Abgeordneter aus Ohio von geisteskrankem Präsidenten enthauptet!

„Ich kann mir vorstellen, was Ihnen gerade durch den Kopf geht! Nein, nein .... ich bin nicht verrückt geworden! Entspannen Sie sich! Ich möchte nur für den kommenden Unabhängigkeitstag eine Fotoausstellung organisieren, eine Ausstellung mit den Fotografien aller fünfundvierzig Präsidenten.“

Ich atmete erleichtert auf! Darum ging es also! Aber ... was zum Teufel hatte ich mit einer Fotoausstellung zu tun?

Und so als lese er gerade meine Gedanken, fuhr er mit belustigtem Gesichtsausdruck fort:

„Kommen wir nun zum Schelm in mir! Es soll sich nicht um eine herkömmliche Ausstellung handeln. Und hier beginnt Ihre Aufgabe. Sie sollen analytisch alle Fotografien unserer Präsidenten, die Sie in den Archiven finden, ich betone alle, begutachten und diejenigen aussuchen, ich betone nur diejenigen, die außerhalb der Norm liegen, die nicht traditionell, sondern eher seltsam, manchmal vielleicht sogar peinlich erscheinen könnten. Fotos, die die menschliche Seite der Präsidenten unserer Nation zeigen und nicht irgendwelche Wachsfiguren. Ich hoffe, mich klar ausgedrückt zu haben, Herr Endis.“

Er warf mir einen letzten forschenden Blick zu, kehrte dann zum Sessel hinter dem Schreibtisch zurück und begann, die vor ihm liegenden Dokumente einzeln zu begutachten, so als hätte er die ganze Zeit nichts anderes getan. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, fügte er hinzu: „Unter der Voraussetzung, dass Sie den Auftrag annehmen, natürlich!“

Dieses abschließende natürlich sprach er auf eine Weise aus, die nur einer Interpretation Platz ließ: sollte ich das Angebot nicht annehmen, war ich politisch ein toter Mann!

Daher konnte meine Antwort nicht anders lauten als:

„Natürlich nehme ich den Auftrag an, Sir! Ich hoffe nur, dass es mir gelingen wird, alles Ihren Wünschen gemäß umzusetzen!“

Der Furche im Dickkopf gelang es diesmal, fast alle Zähne, die sich im Mund des Präsidenten befanden, zu zeigen. Er legte die Dokumente, die er in der Hand hielt, befriedigt auf den Schreibtisch zurück, kam auf mich zu und schüttelte mir mit Nachdruck die Hand. Die ganze Sache bedeutete ihm eindeutig sehr viel!?

„Ich hatte nicht ernsthaft daran gezweifelt, Herr Endis .... oder ...wie heißen Sie mit Vornamen?“

„John, Herr Präsident!“

„Perfekt, John ... dann herzlich willkommen an Bord! Von nun an gehören Sie zu meinem persönlichen Stab, das heißt ab sofort legen Sie nur mir Rechenschaft über Ihre Arbeit ab, mir allein und niemand anderem, ist das klar?“

„Klar, Sir!“

„Gut, dann .... ah, noch etwas ... als Spezialist von Netzwerken möchte ich Sie bitten, ein Netz einzurichten, auf das außer Ihnen nur eine einzige Person zugreifen kann ... und zwar ich. Ich wiederhole, nur ich und niemand anders! In diesem Netzwerk werden Sie alle von Ihnen ausgewählten Fotografien speichern. Und denken Sie immer daran: nur alle seltsamen, auch diejenigen, die seltsamer als seltsam erscheinen!“

Wieder ein Lächeln.

„Haben wir uns verstanden?“ Diesmal breitete sich auf meinem Gesicht ein spitzbübisches Lächeln aus.

„Hundert Prozent verstanden, Sir!“

Endlich einmal keine kalte Dusche! Noch dazu schien der Auftrag unterhaltsam zu sein und ... erteilt vom Präsidenten persönlich gab er meiner Person eine gewisse Bedeutung. Ja, er wurde mir wirklich immer sympathischer, dieser Dickkopf.

Der Präsident begleitete mich zur Tür. Das Treffen war beendet, das war eindeutig. Und ebenso eindeutig war die Tatsache, dass wir beide mit dem Ausgang des Gespräches zufrieden waren. Bevor mein neuer Auftraggeber die Tür öffnete, schaute er mir noch einmal fest in die Augen und sagte:

„Ich verlasse mich auf Ihre Verschwiegenheit, es muss eine Überraschung für alle werden, für alle... ohne jede Ausnahme!“

„Sie können sich auf mich verlassen, Sir, verschwiegen wie ein Grab!“

„Perfekt! Morgen werden Sie von General Thomas kontaktiert. Er wird versuchen, all Ihre Wünsche bezüglich Material und Organisation zu erfüllen, um das bestmögliche Ergebnis zu erlangen. Sollten Schwierigkeiten auftauchen, melden Sie sich einfach bei mir, natürlich nur in äußerst dringenden Angelegenheiten. Einverstanden?“

„Einverstanden, Sir!“

„Dann gute Arbeit, John!“

„Auf Wiedersehen, Herr Präsident!“

Als ich aus dem Weißem Haus kam, fühlte ich mich wie im siebten Himmel. Dem Präsidenten direkt zu unterstehen, bedeutete fast ... unabhängig arbeiten zu können. Sicher, der Auftrag musste mit Perfektion durchgeführt werden, aber ich hatte Vertrauen in meine Fähigkeiten und die Arbeit an sich schien keine besonderen Schwierigkeiten aufzuweisen: Schnappschüsse von Präsidenten oder Aufnahmen, die aus gewissen Gründen bewusst aussortiert worden waren, gab es sicher tausende.

Ich war überzeugt, den Präsidenten zufrieden zu stellen, und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Es handelte sich in der Tat um eine verrückte Idee, aber man benötigte keine größeren finanziellen Aufwendungen, nur ein paar Computer, eine geringe Anzahl an Mitarbeitern und, das war nötig, viel viel Zeit.

Wieder allein näherte sich der Präsident schnellen Schrittes einer Wand des großen Raumes. Eine leichte Geste mit der Hand und die Wand glitt zur Seite. Dahinter erschien die Kabine eines Aufzugs, in die der Mann eintrat. Einen Augenblick später wurde die Wand wieder eine ganz normale Wand!

2

Eine arbeitsreiche Woche lag hinter mir. Die Netzwerkstation war nach meinen Anweisungen aufgebaut worden und ich muss sagen, dass die Techniker des Weißen Hauses wirklich kompetente Arbeit geleistet hatten. Es fehlte nur noch die Installation der Verschlüsselungssoftware und dann konnte es los gehen. Zufrieden schaute ich auf meinen neuen Arbeitsplatz: das Terminal für die grafische Bearbeitung, Tischmonitore mit Oleg und Multitouch Technologie, das Beste, was die militärische Forschung anbieten konnte. Als Normalsterblicher hätte man eine gleichwertige Ausrüstung sicher erst in ein paar Jahren auf dem Markt gefunden und auch ich bewunderte diese Prachtstücke der neuen Technologie zum ersten Mal. Ja ... man musste es einfach sagen: der Präsident hatte alles in großem Rahmen geplant, ein weiteres Zeichen, wie sehr ihm die Angelegenheit am Herzen lag.

Der Stützpunkt des Projektes P - P für Präsident, so lautete der Deckname - wurde im ehemaligen, während des Kalten Krieges eingerichteten Atombunker des Weißen Hauses aufgebaut, einem Bunker, der im Laufe der vergangenen Jahre des öfteren artfremd zum Einsatz gekommen war.

Dieser unterirdische riesige Kellerraum bot genügend Platz für die Server des Netzwerkes, die Grafikstation und für zwei große Apartments, die mit jedem erdenklichen Komfort ausgestattet waren und in denen der Grafiker und ich während der gesamten Projektdauer leben konnten.

Der Zutritt war – außer mit Sondergenehmigung - jedem absolut verboten ... außer dem Grafiker und mir ... und natürlich dem Präsidenten. Alles stand unter meiner direkten persönlichen Verantwortung. Nur das Einscannen der Fotografien wurde von einem externen Team direkt im Fotoarchiv durchgeführt, und zwar mit Hilfe einer Reihe von Scannern der letzten Generation, die die Fotos sofort im Netzwerk verfügbar machten. Durch einen von mir persönlich entwickelten Verschlüsselungsmechanismus geschützt, arbeitete dieses Netzwerk völlig autonom und besaß nur eine einzige Schnittstelle, das ovale Arbeitszimmer des Präsidenten.

Jetzt fehlte nur noch der Grafiker, den der Präsident aus Sicherheitsgründen persönlich auswählen wollte. Bei der Vorstellung an ihn konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Wie viele ausgeflippte Grafiker hatte ich schon kennengelernt, Typen mit völlig verrückten Haarfarben, mit Brillen à la Harry Potter, nicht selten umgeben vom verräterischen Geruch eines Joints! Aber dann kam mir der Dickkopf des Präsidenten in den Sinn und ich schloss diese Möglichkeit aus: er war nicht der Typ, mit einer gewissen Art von Menschen zu arbeiten ...

„Fantaaaassstisssccchhh!“

.... oder doch?

Bevor ich mich umdrehen konnte, sauste auch schon eine Figur an mir vorbei, und beugte sich, ohne mich eines Blickes zu würdigen, in tiefer Bewunderung über den Monitor.

Nur eins konnte ich in diesem Moment mit Gewissheit sagen: von der Ansicht der wohlgeformten Kehrseite her zu schließen, eingepackt in einer Haut von rosa Kunstleder, die wohl eine Hose darstellen sollte, handelte es sich sicher nicht um Harry Potter!

„Bist du der Chef?“, fragte das weibliche Wesen ohne sich umzudrehen. „Und starr meinen Hintern nicht an“, fügte sie hinzu, immer noch ohne sich umzudrehen. „Sag nur, dass du ihn nicht anstarrst, weil du es nämlich gerade tust!“

„Natürlich schaue ich ihn an, es ist ja der einzige Körperteil, den du mir entgegenstreckst“, erwiderte ich gereizt.

Ihre Hände hörten auf, den Bildschirm sanft zu streicheln, und sie drehte sich langsam zu mir um. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte mir weiterhin ihre Schultern zugewandt, denn wenn ihr verlängerter Rücken schon phantastisch anzusehen war, dann war die Vorderansicht ein einziges Schauspiel: blond, eine Haut wie Alabaster, die tiefblauen Augen schienen in einem eigenem Licht zu erstrahlen, der Mund, die Perfektion in sich.

Ich glaube, ich habe mich sofort in sie verliebt, auch wenn es mir in diesem Moment noch nicht bewusst war.

Ich konnte nur brummen: „Bist du der Grafiker... oh ... entschuldige, die Grafikerin?“

Sie drehte den Kopf leicht zur Seite und sagte amüsiert: „Entschuldige, du hast recht! Ich hätte mich vorstellen sollen, aber wenn ich gewisse Dinge sehe, dann ....“, sie deutete mit der Hand Richtung Grafikstation, „na ja, dann bin ich einfach überwältigt! Auf alle Fälle, ja, ich bin die Grafikerin!“

Dann reichte sie mir die Hand: „Annie, Annie Windors, freut mich!“

„Endis ...“, antwortete ich, umfasste ihre Hand und schüttelte sie, „John Endis!“

Dann versuchte ich, einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen - gleichzeitig sympathisch mit einem leichten Schuss Ironie, der niemals schadet, angerichtet mit einem sexy Blick voller Intelligenz - und fügte edelmütig hinzu: „... und bitte ohne Chef! Sag doch einfach John zu mir!“

Statt mir wie vom Blitz getroffen zu Füßen zu fallen, beschränkte sie sich auf ein kurzes Lachen, zeigte mit dem Finger auf ihre Brust .... und welche Brust und stammelte spielerisch: „Ich Annie und du John, he ... he ... he!“

Zum Glück wurden wir in diesem Moment nicht beobachtet, da die einzige Schlussfolgerung eines Beobachters folgende sein konnte: die beiden sind perfekte Vollidioten!

Dann ein Geniestreich!?! Ich schaute auf die Uhr und meinte:

„Hör zu, Annie, es ist fast sieben und ich habe richtigen Hunger. Ich kenne ein kleines Lokal in der Nähe, wo es eine fantastische Pizza gibt. Was hältst du davon? Wir könnten uns näher kennenlernen, da wir doch in den nächsten Monaten Seite an Seite arbeiten müssen.“

Es gelang mir nicht, ihren Gesichtsausdruck zu entschlüsseln, aber nach kurzer Überlegung spitzte sie die Lippen, rieb ihre Hüfte gegen die meine und kündigte mit einem komplizenhaften Lächeln an: „Okay, probieren wir es Seite an Seite!“

„Perfekt, fahren wir mit meinem Auto, ich bring dich nachher zu deinem zurück!“

„Mich hat eine Bekannte hierher begleitet. Du könntest mich nachher nachhause bringen oder ich nehme ein Taxi!“

Am Parkplatz angekommen, trat genau das ein, was ich erhofft hatte: sie war von meinem Ferrari Testarossa begeistert.

„Ist das deiner?“

Ich bestätigte mit einem stolzen Nicken.

„Da ich gerade die Fernbedienung benutzt habe, würde ich sagen: ja!“

„Ich hab dich nicht für einen Ferrari Typen gehalten, ich meine, du bist doch nur ein junger Abgeordneter. Wenigstens wurde mir das bis jetzt erzählt!“

„Ja, von meinem Abgeordnetengehalt hätte ich ihn sicher nicht bezahlen können!“

Gelächter!

„Dann hast du wohl eine Bank ausgeraubt?“ Kurze Pause. „Sag, dass es wahr ist! Bitte! ... Ich hab noch nie einen Bankräuber kennen gelernt.“

Ich startete mit quietschenden Reifen. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hatte ich das seltsame Gefühl, auf den Arm genommen zu werden.

Um wieder auf den für mich sichereren Boden der Professionalität zurückzukehren, fragte ich ein wenig Überheblichkeit vortäuschend: „Verschlüsselung ....schon mal was davon gehört?“

Wieder Gelächter!

„Aber natürlich! Sind das nicht diese ägyptischen Hieroglyphen? Nein .... nein, sag nur, du hast beim Entschlüsseln der alten ägyptischen Pergamente einen Schatz gefunden! Fantasssttissschhh!“

Mein Zweifel bestätigte sich: entweder nahm sie mich auf den Arm oder sie war strohdumm! Lass es gut sein, sagte ich mir, und schwieg, während Annie auf der gesamten Fahrt die Einzelheiten des Wageninneren bewunderte.

Das italienische Restaurant war alles andere als italienisch, wenigstens in den Augen eines echten Italieners: zerkochte Spaghetti, angerichtet mit Saucen, die nur ein Amerikaner verzehren konnte ... und dabei auch noch Genuss empfand! Die Pizzen waren ein Gemisch zusammengewürfelter Zutaten: Ananas mit Schinken, Mango mit Salami ... und hätten in Italien von einem Kellner nur unter Todesgefahr dem Gast angeboten werden können, ... aber ... sie waren eben ... modern! Was soll's, das Restaurant wurde ja von Amerikanern besucht und nicht von Italienern! Und dies hatte wieder einen Riesenvorteil: wenn der Koch dich kannte und du ein Kenner der wahren italienischen Küche warst ... dann konntest du göttlich essen! Und ich erfüllte nun einmal beide Erfordernisse!

Wir wurden von einem extrem ehrerbietigen Kellner, der sich in einer völlig unverständlichen Sprache artikulierte, einer Mischung aus sizilianischem Dialekt und amerikanischem Slang – na ja, keiner erwartete im Endeffekt ihn zu verstehen – zu einem etwas abseits stehenden Tisch geführt, auf dem das flackernde Licht einer Kerze leuchtete.

Was mich beeindruckte, war der triumphale Einzugs Annies. Ich weiß nicht, wie viele der männlichen Gäste dem Erstickungstod nahe waren, weil sie sich verschluckten oder unter den Tischen von ihren Begleiterinnen Tritte gegen das Schienbein erhielten, da sie es einfach nicht schafften, ihr Gefallen an diesem Wunder der Natur zu verheimlichen, das mit völliger Unbefangenheit und natürlicher Anmut die unmöglichen rosa Kunstlederhosen vorwärts bewegte. Ich fühlte mich, idiotischerweise, stolz ... so als wenn sie meine Schöpfung wäre! Ein Loblied unserem Dickkopf!

„Du bist hier scheinbar bekannt!“ Annie schmunzelte.

Mit aufgestützten Ellbogen, das Kinn sanft auf die Handrücken ablegt und beleuchtet vom zarten Licht der Kerze wurde diese himmlische Erscheinung wieder die irdische Schönheit Annie.

„Sagen wir, ich komme ab und zu hierher!“

„Du willst mich beeindrucken, nicht wahr?“

Es schien eine Frage zu sein, war jedoch eine Feststellung. Einen Moment lang fühlte ich mich entblößt ... nackt wie ein Wurm! Vielleicht war sie doch nicht so dumm!

„Nein, ich möchte nur, dass du ein gutes Abendessen zu Dir nimmst“, log ich ohne jegliche Scham. Verwandelte ich mich nun doch langsam in einen Politiker?

Um wieder ein Minimum meiner verloren gegangenen Fassung zurückzugewinnen, ich weiß nicht ob mit viel Erfolg, fuhr ich fort:

„Aber lass uns jetzt über die Arbeit sprechen. Warum hast gerade du den Job bekommen?“ ich räusperte mich kurz. „Ja, ich weiß, die Frage klingt etwas unverschämt, aber ich wüsste nicht, wie ich sie anders formulieren sollte!“

„Ganz einfach, John. Weil ich die Nichte des Präsidenten bin!“

„Die Nichte des Dickkopfes?“

Ich war so überrascht, dass ich nicht auf meine Wortwahl geachtet hatte.

„Ha... ha... ha!“

Ihr klingendes Lachen hallte im Raum wieder und fast hätte es außer den Herzen auch die Gläser zum Vibrieren gebracht.

„Reg dich nicht auf, auch wir nennen ihn so ... zuhause“, fügte sie beruhigend hinzu. Sie hatte wohl meine Bestürzung über ihre Aussage bemerkt und fuhr daher fort: „Keine Sorge, ich habe mein Examen in Computergrafik mit den besten Noten bestanden. Ich werde gute Arbeit leisten.“

Dann schaute sie mich auffordernd an.

„Wird nun gegessen oder nicht?“

Wie aus dem Nichts erschien auf einmal der Kellner neben unserem Tisch, überreichte uns die Speisekarte und wollte wieder gehen. Ich hielt ihn zurück, drehte mich zu Annie und fragte mit Kennermiene: „Möchtest du eine Pizza ... oder etwas Anständiges essen?“

Wieder lachte sie kurz auf.

„Soll ich auf diese Frage wirklich antworten? Eine Pizza natürlich!“

Als sie mein verdutztes Gesicht sah, streckte sie den Arm nach mir aus, legte ihre Hand auf die meine und seufzte sanftmütig: „Das war nur ein Scherz, John. Bitte wähle du das Menü ... ich vertraue dir blind!“

Und so wählte ich ... und dies blieb an diesem Abend scheinbar die einzige Sache, die ich richtig machte! Zufrieden beobachtete ich, wie sie zunächst Spaghetti mit Battibatti Sauce, dann einen halben Wolfsbarsch in Salzkruste und zum Abschluss genüsslich eine Panna Cotta verschmauste ... alles begleitet von einem herrlich frischen Weißwein aus den Cinque Terre.

„Exzellent, einfach fantastisch. Ich hab noch nie so gut gegessen!“

Dann legte sie die Serviette, mit der sie sich zuvor sanft die Lippen abgetupft hatte, auf ihren Schoß.

„Bist du eigentlich verheiratet?“

„Nein!“ Diese Antwort versetzte mich jedes Mal in Verlegenheit, das muss ich zugeben

„Freundin?“, fragte sie weiter.

„Nein, auch nicht!“

„Dann vielleicht nette Freunde ...!“, fuhr sie mit einem belustigten Lächeln fort. Nun klang ihre Stimme wie die eines Beichtvaters. Ich rutschte verlegen auf meinem Stuhl hin und her. Noch nie hatte ich in Erwägung gezogen, dass mich irgendjemand für einen Gay halten könnte.

„Nein, nein“, erwiderte ich schnell, „Nichts gegen Homosexuelle, aber ich ziehe die Normalität vor!“

„Gott sei Dank ...!“ Elegant führte sie das Weinglas an ihre Lippen und nippte kurz daran. Dann schaute sie mir ernst in die Augen: „.... dass du nichts gegen Homosexuelle hast!“ Pause. „Ich bin nämlich eine!“

„Waaas bist du?“ Jetzt war ich wirklich verärgert! „Hör zu, Annie, den ganzen Abend macht es dir Spaß, mich auf den Arm zu nehmen, ja ... sehr elegant und diskret ... aber eben auf den Arm! Denkst du wirklich, dass ich auch darauf reinfalle?“

Jetzt schaute sie wirklich verärgert.

„Und warum solltest du das nicht?“

„Weil, weil ...“, stotterte ich, „... hast du dich mal angeschaut? Du bist ... du bist das schönste Mädchen, das ich je kennengelernt habe, die Weiblichkeit in Person, und nun willst du mir weismachen, dass du ein Männlein bist! Komm hör auf ... bitte!“

„Bitte was?“

Eine leicht Röte stieg in ihre Wangen.

„Ich bin kein Männchen!“ Sie beugte sich verärgert über den Tisch zu mir herüber. „Ich bin eine Frau, nur ziehe ich euch echten Männern, immer bereit, ihr Instrument herauszuziehen, um es in die erste zur Verfügung stehende Öffnung zu schieben, ... seltsamerweise ... die Zärtlichkeit einer Frau vor, ja vielleicht einer etwas männlicheren, aber grenzenlos sanfteren und zärtlicheren als ihr es seid! Und wenn ich dir das jetzt gesagt habe, dann nur, damit alle Dinge zwischen uns geklärt sind, bevor wir mit der Arbeit Seite an Seite beginnen! Und damit basta! Wenn das für dich ein Problem ist, dann sage ich meinem Onkel, er soll einen anderen Grafiker suchen ... einen normaleren!“

Die letzten Worte waren voller Sarkasmus. Meine Wut hatte sich gelegt. Mit einem Lächeln suchte ich die Versöhnung: „Lassen wir einfach dieses Thema! Hör zu ... ein so perfektes Abendessen kann nur mit einem Espresso und einem Gläschen Grappa in Eichenfässern gealtert beendet werden. Was hältst du davon?“

„Dann lass uns diesen Gealterten probieren!“ Jetzt lachte sie wieder. „Auch wenn ich nicht weiß, wovon du sprichst!“

Frieden geschlossen! Wenigstens für den Moment!

Und das war das Ende des Abends. Nachdem ich Annie zu ihrem Apartment gebracht hatte, fuhr ich nachhause. So sehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht, die letzten Stunden und vor allem Annie aus meinem Kopf zu verbannen. Ich ging zur kleinen Hausbar und goss mir ein Glas Chianti ein. Normalerweise gelang es mir dank dieses Rituals, Frieden mit der Welt zu schließen. Ich genoss den herrlichen Wein, nahm mir – was ich nicht allzu oft tat – vom kleinen Glastisch eine Zigarette und zündete sie an. Aber diesmal funktionierte es nicht, der gewünschte Effekt blieb aus. Die Erlebnisse des Abends gingen mir im Kopf herum wie die Szenen eines Films ... besonders Annies Bemerkungen über die Männer und ihr .... wie hatte sie es genannt ... Instrument? Ich fühlte mich persönlich angegriffen und ... zu Unrecht angegriffen! Man kann alles von mir sagen, aber nicht, dass ich dem erstbesten Rock hinterher laufe. Ich habe mich noch nie, jedenfalls solange ich mich erinnern kann, wie ein besessener Drillbohrer benommen. Die wenigen Beziehungen, die ich bis jetzt durchlebt hatte, standen immer im Zeichen gegenseitigen Respektes und wenn sie endeten, aus welchem Grund auch immer, dann immer auf freundschaftliche Art und Weise. Zwischen einigen der Verflossenen und mir war im Laufe der Zeit sogar eine echte Freundschaft entstanden.

Außerdem kannte sie mich doch erst seit ein paar Stunden!

All dies spukte mir ununterbrochen im Kopf herum ... und eine Sache war sicher, auch wenn ich es mir noch nicht so recht eingestehen wollte: dieses seltsame Mädchen hatte etwas in mir verändert!

Nach dem dritten Glas Chianti beschloss ich, ins Bett zu gehen, aber die erhoffte Hilfe des Alkohols blieb aus und es gelang mir nicht, den ersehnten ruhigen Schlaf zu finden.