Pepe Wolf und seine verrückten Fälle - Regina De Facendis - E-Book

Pepe Wolf und seine verrückten Fälle E-Book

Regina De Facendis

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Beschreibung

Diesmal stellen die beiden Autoren einen lustigen Privatdetektiv vor, der mit angeborenen Gespür, jahrelanger Erfahrung und ein bisschen Glück auch die schwierigsten Kriminalfälle lösen wird. Als gesunde Mischung einer italienischen Mutter und eines deutschen Vaters lebt und arbeitet Pepe Wolf im schönen Schwabenland und zwar im kleinen Flecken Wolfenhausen. Das Buch umfasst fünf Episoden, in denen der schwäbische Poirot den unterschiedlichsten Bösewichten auf der Spur ist. Wir wünschen Ihnen viel Spaß, mit dem tollpatschigen Detektiv die verrückten Fälle zu lösen ... immer mit einem Lächeln auf den Lippen!

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Inhalt

Sie sind unter uns

Eine Kur zum Fürchten

Nicht alles, was glänzt, ist Gold!

Eine Fahrt ins Blaue

Nicht nur Kleider machen Leute!

1 – Sie sind unter uns

»Ich kann auf dieser harten Planke einfach nicht mehr sitzen!«, quengelte die Blondine und rutschte mit ihrem Hinterteil auf der unbequemen Sitzgelegenheit hin und her. »Ist denn keine Pause vorgesehen?«

»Bleib ruhig sitzen, Antje!«, herrschte Tom sie an, als das Kanu gefährlich zu wackeln begann. »Willst du etwa im Fluss landen … vielleicht im aufgerissenen Maul eines hungrigen Kaimanen?«

Der Leiter der vierköpfigen Reisegruppe aus Stuttgart, die den Tagesausflug auf dem Amazonas für einen fürstlichen Preis gebucht hatte, warf der bildhübschen jungen Dame einen genervten Blick zu. Warum hatte diese mit viel Schönheit, aber wenig Geist ausgestattete Touristin eine solche Reise gebucht? Sicher wäre sie in einem Fünfsternehotel mit Swimmingpool, Wellnessbereich und luxuriösem Service besser aufgehoben gewesen. Was den Mann in fortgeschrittenem Alter dahinter anging, besaß er zwar viel mehr Geist als die junge Dame, hatte jedoch sicher sein Leben lang nichts anderes als Dokumente und Akten gesehen. Die Einzigen, die zum heutigen Reiseziel passten, waren zwei junge Muskelprotze, die darauf erpicht waren, mit ihren antrainierten Kraftpaketen die Naturgewalten zu besiegen.

»Wir sind fast am Ziel angelangt!«, beruhigte Tom die kleine Bootsbesatzung. »In zwanzig Minuten erreichen wir einen Flussabschnitt, an dem wir problemlos an Land gehen können. Dort erwartet euch ein schmackhaftes Picknick inmitten der Schönheit des Regenwaldes und danach eine gemütliche Rückfahrt, da uns zwei Jeeps ins Hotel zurückbringen werden! Was haltet Ihr davon?«

Diese Aussichten stellten alle Teilnehmer, inklusive der zickigen blonden Dame, zufrieden, so dass wieder Stille einkehrte … wenn man in die ser Wildnis von Stille sprechen konnte. Ununterbrochen waren alle nur denkbaren Geräusche zu hören: das Schwirren der Insekten, der Gesang der Vögel, das Schreien der Affen, Zweige, die zerbrachen, ein dauernder kontinuierlicher Geräuschpegel, der das lautlos auf dem Fluss dahingleitende Kanu begleitete.

»Schaut mal da vorne!«, ertönte erneut die penetrante Stimme der Blondine. »Was ist denn das? Sind wir schon am Ziel angekommen?«

Tom stellten sich beim Klang der kreischenden Frauenstimme die Nackenhaare auf. Er atmete zweimal tief durch. Dann folgte sein Blick dem gestikulierenden Arm der blonden Insassin, der Richtung Ufer zeigte, wo hinter niedrigem Gebüsch leichte Rauchschwaden aufstiegen.

»Los Tom, schauen wir, was da los ist!«, mischte sich einer der beiden Abenteuertypen ein.

»Also gut!«, gab der Reiseführer nach kurzer Überlegung nach. »Wir halten einen Moment an und schauen nach dem Rechten. Vielleicht hat sich ein trockener Ast entzündet und wir können den Ausbruch eines Großbrandes verhindern.«

Zwei, drei Ruderschläge und sie waren am Ufer. Tom stieg als Erster aus, gefolgt von den beiden Athleten, die das Boot mit Antje und dem älteren Herrn problemlos an Land zogen.

Während die Reisegäste sich nach der langen Kanufahrt zunächst einmal dehnten und streckten, bahnte sich Tom sofort einen Weg durchs Gebüsch, um die Ursache des Rauches zu finden. Nach ein paar Metern blieb er überrascht stehen. Wie war das möglich? Seit über zwei Jahren führte er Reisegruppen an dieser Stelle des Flusses vorbei, jedoch war ihm noch nie aufgefallen, dass sich hinter der Ufervegetation eine Art Dorf befand. Denn wie sollte er den Anblick, der sich ihm bot, anders interpretieren? Ein nicht bewachsener, freier Platz mitten in der Wildnis mit einer Feuerstelle, umgeben von kleinen Tischen und den dazugehörigen Stühlen. Von dort führten mehrere schmale Wege durch die immer dichter werdende Vegetation zu seltsamen Konstruktionen, die jedoch nicht wie Hütten von Eingeborenen aussahen, sondern … wie … wie? Tom überlegte kurz. Wie hießen die seltsamen Rundhäuser in Apulien noch, die er während eines Urlaubs in Süditalien bewundert hatte? Ja genau … so sahen sie aus … wie Trulli. Nur war bei diesen Häuschen das Steindach durch eine Abdeckung aus Zweigen und Ästen ersetzt. Aber was zum Teufel hatten diese Trulli mitten im Regenwald zu suchen? Er hatte nichts von einem Bauprojekt für Touristen in diesem Gebiet gehört!

»Wooow! Phantastisch!« schrie die Blondine begeistert. »Schaut euch das an! Ein Feriendorf für Touristen, mitten in dieser schrecklichen Wildnis! Warum hat mir das niemand gesagt? Ich hätte sofort eins dieser bequemen Häuschen gemietet!«

»Herzlich willkommen, meine Liebe«, ertönte eine ruhige Baritonstimme aus dem vordersten Rundhaus. Dann öffnete sich die Tür und ein elegant gekleideter Mann trat ins Freie. Langsam ging er auf die Besuchergruppe zu.

»Hätten wir nur die leiseste Ahnung von Ihrem Wunsch gehabt, wäre Ihnen eine persönliche Einladung sicher gewesen.«

Nun traten auch aus den anderen Häusern ähnlich gekleidete männliche Figuren und kamen auf sie zu.

»Wirklich schade, dass Sie nichts von diesem herrlichen Ort gehört haben«, fuhr die melodische Stimme fort. »Aber Sie haben ihn ja von alleine gefunden, auch ohne unsere Einladung.«

Antje lächelte immer noch, als sich bei Tom erneut die Nackenhaare aufstellten, diesmal nicht wegen der schrillen Frauenstimme, sondern wegen der Gruppe von Personen, die sich langsam, aber kontinuierlich auf sie zubewegte. Zwar sagte sein Instinkt ihm Lauf weg, aber sie sahen alle so höflich und gut erzogen aus!

»Obwohl wir Ihnen heute leider unsere Gastfreundschaft nicht anbieten können«, entschuldigte sich die Männerstimme in fast singendem Tonfall, »so haben Sie uns dennoch bei der Lösung eines großen Problems geholfen … nämlich bei der Beschaffung unseres Mittagessens!«

Nach diesen Worten stürzten sich die eleganten Wesen auf die Besuchergruppe, Reiseleiter inbegriffen, und ließen sich … etwas weniger elegant … das Essen schmecken, ohne das geringste Überbleibsel zu hin terlassen, nicht einmal das Kanu, dessen brennende Holzplanken perfekt zum Braten der größeren Stücke geeignet waren.

Pepe Wolf schaute nervös auf die Armbanduhr. Sein neuer Mandant war zehn Minuten überfällig. Hoffentlich hatte er es sich nicht anders überlegt! Für seinen letzten Fall hatte der Detektiv bis jetzt keinen Cent erhalten, obwohl glorreich gelöst, von ihm! Nur war der Auftraggeber dank seiner Ermittlungen im Gefängnis gelandet. Daher könnte man sagen: eigene Schuld! Wo blieb nur der neue Mandant? Er brauchte diesen Auftrag unbedingt und diesmal würde er sofort einen Vorschuss verlangen. Man lernt nie aus!

Als es kurz darauf klingelte, sprang Pepe Wolf erleichtert auf. Er war ein kleiner, schmaler Typ, dem nur die treuesten Haare auf dem Kopf verblieben waren. Die recht derben Gesichtszüge ließen ihn verschlossen, fast traurig und abweisend erscheinen, jedoch zeugten die großen dunklen Augen von einem warmen inneren Kern und einer angeborenen Wachsamkeit. Angeboren war ihm jedoch ebenfalls eine gewisse Tolpatschigkeit, die ihm des Öfteren in seinem Beruf geschadet hatte. Aber das Glück war zuletzt immer auf seiner Seite. Er war die perfekte Mischung aus der italienischen warmherzigen, aber chaotischen Mama und dem drahtigen, korrekten deutschen Herrn Papa. Der passendste Vergleich zu seinem Äußeren und einigen seiner Charakterzüge wäre vielleicht der mit dem bekannten Woody Alan gewesen! Den Vornamen Giuseppe, kurz Pepe, hatte er von Mama, den Nachnamen von seinem Vater geerbt.

Der Detektiv raste Hals über Kopf – der neue Kunde konnte ihn ja noch nicht sehen – durch das lichtdurchflutete Büro in Tübingen dem Eingang entgegen. Hier empfing er seine Mandanten im offiziellen Rahmen, für seine Recherchen zog er das dunkle, verrauchte Marlowbüro in Wolfenhausen vor. Das zwar kleine, jedoch mit riesigen Fenstern ausgestattete moderne Büro über den Dächern von Tübingen nutzte der Detektiv als Vertrauen einflößendes Ambiente für seine Neukunden. Am Ende des Raumes angelangt, bremste Pepe ab, nahm Haltung an und öffnete langsam die Tür. Seine stolze Haltung ging ihm jedoch beim Anblick des jun gen, elegant gekleideten Mannes fast verloren. Sein Blick kletterte langsam von der Krawatte, die sich auf Augenhöhe befand, nach oben Richtung Kopf seines potentiellen Mandanten, der ihn um mindestens eineinhalb Köpfe überragte.

»Hallo Herr Wolf! Entschuldigen Sie meine Verspätung, aber der Chef hat wieder Mal in letzter Sekunde eine Besprechung einberufen!« sagte der brünette hochgewachsene Mann und streckte Pepe freundschaftlich die Hand entgegen. »Danke, dass Sie mir so schnell einen Termin geben konnten. Es ist wirklich dringend!«

»Guten Tag, Herr Lang! Kein Problem, kommen Sie doch herein!«, erwiderte der Detektiv, schüttelte ihm die Hand und deutete auf einen der beiden Sessel vor seinem Schreibtisch.

»Setzen Sie sich! Kann ich Ihnen etwas anbieten? Einen Espresso? Ein Glas Wasser?«

»Ein Glas Wasser wäre gut, danke!«

Pepe holte zwei Gläser, füllte sie mit Mineralwasser und stellte die Flasche auf den gläsernen Schreibtisch. Dann nahm er auf seinem Lederstuhl Platz, direkt vor der Fensterwand, durch welche die Besucher einen herrlichen Ausblick auf das alte Universitätsstädtchen genießen konnten.

»Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Herr Lang?«

»Es ist ein wenig kompliziert, Herr Wolf«, begann der junge Mann, nachdem er durstig das halbe Glas ausgetrunken hatte. »Mein Vater, ein recht bekannter Geschäftsmann aus Stuttgart, hat vor einem Monat eine Abenteuerreise zum Amazonas gebucht. Fragen Sie mich nicht warum, da ich es Ihnen beim besten Willen nicht erklären kann. Ein Mann, der sein ganzes Leben im Büro verbracht und in der Freizeit nur den Golfplatz und eventuell ein Luxushotel mit Swimmingpool und Wellnessbereich besucht hatte! Auf alle Fälle ist er von dieser Reise nie zurückgekehrt. Ich wollte mich an das Reisebüro wenden, über das die Buchung lief, aber …«

»Aber?« hakte der Detektiv sofort nach. »Welche Erklärung haben sie Ihnen gegeben?«

»Gar keine … « entgegnete Lang frustriert, »da sie nicht mehr existieren! Das Reisebüro natürlich! Es hat sich in Luft aufgelöst. Völlig absurd!«

Pepe Wolf überlegte kurz.

»Den Namen des Reisebüros haben Sie, sicher auch den Namen des Mitarbeiters, der mit Ihrem Vater in Verbindung stand.« Pepe überlegte kurz. »Das Bankkonto des Reisebüros müsste Ihnen ebenfalls bekannt sein!«

Herr Lang nickte zustimmend, während er eine Mappe aus seiner Aktentasche zog und vor Pepe auf den Schreibtisch legte.

»Hier habe ich die Kopien der wichtigsten Dokumente, die ich gefunden habe. Hoffentlich helfen sie Ihnen! Mehr liegt mir momentan leider nicht vor.«

Pepe schlug die Mappe auf und blätterte kurz in den Dokumenten.

»Vielen Dank, Herr Lang! Das hilft mir für den Anfang weiter. Wenn ich noch Fragen habe, melde ich mich bei Ihnen!«

»Wann immer Sie wollen, Herr Wolf!«, sagte der junge Mann und reichte dem Detektiv im Aufstehen seine Visitenkarte.

Pepe blieb zögernd sitzen. Wie sollte er dem neuen Mandanten seine Idee mit dem Vorschuss klarmachen, ohne als armer Schlucker dazustehen? Die ersten Schweißtröpfchen bildeten sich auf seiner Stirn. Aber dann schien Herrn Lange etwas einzufallen und er setzte sich wieder.

»Ach, ich vergaß! Sie brauchen sicher einen Vorschuss, um mit den Recherchen zu beginnen. Über den Tagessatz haben wir ja bereits besprochen. Ich habe Ihnen für die erste Woche Bargeld mitgebracht. Ich hoffe, das geht für Sie in Ordnung.«

Bei diesen Worten öffnete er erneut die Aktentasche und zog ein Kuvert hervor.

»Bitte, Herr Wolf! Ich hoffe, das reicht für den Anfang!«, sagte er und legte das Kuvert auf die Mappe am Schreibtisch.

»Aber natürlich, Herr Lang! Das wäre wirklich nicht notwendig gewesen!«, erwiderte Pepe, ohne sich die große Erleichterung anmerken zu lassen.

Dann erhoben sich beide und Pepe begleitete den Hünen zur Tür.

»Ich melde mich, sobald es Neuigkeiten gibt«, verabschiedete der Detektiv seinen Mandanten.

»Tun Sie Ihr Bestes, Herr Wolf! Mein Vater hat es wirklich verdient!«

Und dann lief er bereits, wie man es nicht anders von einem sportlichen Mann erwarten konnte, das Treppenhaus herunter Richtung Erdgeschoss. Das sollte ich auch mal tun, dachte Pepe Wolf und schloss die Tür hinter sich, am besten auch treppauf!

Eine Stunde später saß Pepe erneut am Schreibtisch, jedoch an dem hölzernen in seinem gemütlichen Büro in Wolfenhausen. Es erinnerte an das Büro des berühmten Detektivs Marlow: ein dunkles Zimmer mit zwei Fenstern, die wohl nur selten geöffnet wurden. An der Decke drehte sich ein Ventilator, der die stehende Luft wenigstens ein bisschen in Bewegung brachte. Ein nicht allzu großer Schreibtisch aus massivem Holz, auf dem sich Berge von Akten türmten, beherrschte den kleinen Raum. Pepe hatte es sich auf dem großen Ledersessel hinter dem Schreibtisch gemütlich gemacht. Er hatte die Füße auf der Tischplatte abgelegt, nahm einen Schluck Rotwein und zog genüsslich an seiner Zigarre. Dann stieß er den Rauch in dicken, fast perfekten Ringen gegen die Zimmerdecke. Wie schön konnte das Leben doch sein! Nach dem Geldregen hatte er sich gleich eine gute Flasche Montepulciano gekauft und natürlich eine Havanna! Göttlich!

Er genoss einige Momente die entspannte Atmosphäre, dann hob er mit einem Seufzer die Füße vom Schreibtisch, rückte den Sessel näher und startete seinen Laptop. Nun musste das erhaltene Geld erst einmal verdient werden!

Zunächst versuchte er über die Handelskammer Stuttgart Informationen über das Reisebüro zu erhalten, jedoch war das Unternehmen mit fünf Mitarbeitern zu klein für die abrufbare Datenbank. Also suchte er einen anderen Weg. Vielleicht fand er eine alte Webverlinkung. Auch wenn manche Firmen physisch nicht mehr existierten, blieben oft digitale Spuren von ihnen im Internet zurück. Diesmal hatte er Glück! Zwar war die auf den Dokumenten angegebene Webseite gelöscht worden, aber Pepe fand auf einem Bewertungsportal einige alte Einträge und Kommentare von Kunden des Reisebüros. Ihm fiel ins Auge, dass die durchweg positiven Bewertungen vor einem Jahr begonnen hatten, wohl nach der Eröffnung, und dann vor drei Monaten schlagartig abbrachen, zirka einen Monat, bevor der Vater von Herrn Lang die Reise gebucht hatte. Was konnte der Grund dafür sein? Hatten die Kunden keine Lust und Laune mehr gehabt, einen Kommentar zu der von ihnen angetretenen Reise zu schreiben oder … konnten sie ihn nicht mehr schreiben?

Pepe sah vom Laptop auf und nahm einen weiteren Zug an der Zigarre. Quatsch! Das klang ja fast wie eine Verschwörungstheorie! So ein Unsinn! Aber sein Gehirn spulte automatisch die Szene eines bekannten Vampirfilmes ab, in welcher eine Reisegruppe in Siena vom herrschenden Clan der Vampire erbarmungslos ihres Blutes entledigt wurde. Brrr! Pepe nahm einen Schluck Montepulciano, um den gruseligen Schauer, der ihm den Rücken herunterlief, wegzuspülen. Blödsinn, das war ein Film!

Er verließ sein Büro, setzte sich aufs Sofa und nahm die Fernbedienung in die Hand. Sofort sprang sein Kätzchen auf die weichen Polster und kuschelte sich auf der Suche nach ein paar Streicheleinheiten an ihn.

»Hallo Pippa, zu spät zur Mäusejagd?« fragte der Detektiv und streichelte sanft über das etwas zerzauste Fell seiner Katze. Sie war ihm vor ein paar Jahren zugelaufen. Nach dem Verlust des geliebten Hundes Nero wollte Pepe eigentlich keine Tiere mehr nehmen, aber Pippa hatte sich den Detektiv und sein Häuschen als neuen Wohnsitz ausgesucht. Und was konnte ein Mann schon gegen den Charme eines wilden Kätzchens tun?

Pepe schaltete den Fernseher ein und klickte von einem Programm zum anderen. Puh, wie immer nichts Interessantes! Filme, die er als Kinoliebhaber schon tausendmal gesehen hatte, unerträgliche Talk Shows, eindeutig politisch ausgerichtete Dokumentationen. Nichts für ihn!

Dann blieb er bei der CNN hängen.

»Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe. Der amerikanische Reiseführer Tom Miller, bekannt für seine oft abenteuerlichen Reiserouten im Regenwald Südamerikas, ist verschwunden. Der Junggeselle wurde vor einem Monat das letzte Mal vor der Flussfahrt mit einer deutschen Reisegruppe auf dem Amazonas gesehen. Seine Angehörigen haben erst vor ein paar Tagen Alarm geschlagen, als sie bemerkten, dass ihr Verwandter sich weder zuhause noch auf einer neuen Abenteuertour befand!« Das Foto eines sportlichen jungen Mannes wurde eingeblendet. »Für wichtige Hinweis danken wir Ihnen. Bitte rufen Sie folgende Nummer an …«

Pepe schaltete das Fernsehen aus. Wenn er die englische Ansage richtig verstanden hatte, war ein amerikanischer Reiseführer bei der Begleitung einer deutschen Reisegruppe das letzte Mal auf dem Amazonas gesehen worden. Das entsprach den Informationen von Herrn Lang, ohne Zweifel! Das Verschwinden traf also nicht nur auf den Vater seines Mandanten, sondern auf die gesamte Reisegruppe zu, Reiseführer inklusive. Er schaute kurz auf die Uhr: neunzehn Uhr, das war noch akzeptabel! Er zog sein Handy aus der Tasche und rief seinen Freund Daniel Fuchs an.

»Pepe, was ist los?«, antwortete der Kommissar kurz angebunden.

»Störe ich, Daniel?«

»Ja, wir sind gerade bei den Ermittlungen eines Mordfalles!«, erwiderte Daniel etwas genervt.

»Ich auch!«, lautete die noch kürzer gefasste Antwort des Detektivs.

»Na los, spuck schon aus! Was willst du von mir?«

Heute war Daniel wirklich nicht zum Scherzen aufgelegt. So bat ihn Pepe Wolf in wenigen Worten um eine Auskunft. Er habe sicher Beziehungen zur Handelskammer. Er benötige unbedingt die Adresse des Geschäftsführers eines nicht mehr existierenden Kleinunternehmens, des Stuttgarter Reisebüros Adventure, entweder die Privatadresse oder die seines eventuell neuen Unternehmens.

»Ist das alles?«

»Ja!«

»Bis morgen!«

Dann legte der Kommissar einfach auf.

Dring, Dring! Das schrille Klingeln schreckte Pepe aus dem Tiefschlaf hoch. Was war denn nun wieder los? Das Telefon … verflucht! Er setzte sich auf, torkelte schlaftrunken die Treppe hinunter und hob ab.

»Hallo?«

»Sag nur, du hast noch geschlafen«, ertönte die Stimme von Daniel Fuchs.

»Ja, warum?«

»Es ist neun Uhr!«

»Ja und? Ich schlafe immer bis halb zehn, das solltest du eigentlich wissen, nachdem du mich seit vielen Jahren kennst!«, erwiderte Pepe müde ins Telefon.

»Das vergisst man eben, wenn man als arbeitender Mensch schon um acht Uhr im Büro sitzen muss!«, entgegnete der Kommissar mit leichtem Sarkasmus, den Pepe jedoch überhörte.

»Selber schuld! Warum, glaubst du, arbeite ich als Selbstständiger? Wenn ich schon manchmal am Hungertuch nagen muss, dann wenigstens als ausgeschlafener Mensch!«, und bei diesen Worten dehnte er sich genüsslich mit den dazugehörenden Seufzern in alle Richtungen.

»Pepe, Schluss jetzt mit der Morgengymnastik! Willst du deine Information haben oder nicht?«, unterbrach ihn Daniel etwas beleidigt.

Und auf der Stelle war Pepe hellwach! Mist, er hatte den Freund gestern um eine Auskunft gebeten und es ganz vergessen!

»Sorry, ich bin noch total verschlafen«, entschuldigte sich der Detektiv und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. »Ich bin ganz bei dir. Konntest du die Adresse ausfindig machen?«

»Weißt du, zunächst habe ich in unserem System nachgesehen …« Der Kommissar legte bewusst eine Pause ein, um den Moment der Überlegenheit auszukosten. »… dann habe ich bei meinem Bekannten in der Handelskammer angerufen …«, erneute Pause, um den Freund noch länger zappeln zu lassen, »… und …«

Pepe unterbrach ihn ungeduldig.

»Und, was hat er gesagt?«

Erneut einige Sekunden des Schweigens, bevor Daniel die Neugierde seines Freundes stillte.

»Bingo! Er lebt am Rand von Esslingen in einer alleinstehenden Villa direkt am Waldrand«, sagte der Kommissar zufrieden und gab Pepe den Namen und die genaue Adresse telefonisch durch.

»Super, Daniel! Bin dir ein Essen schuldig!«

»Okay! Deine berühmten Melanzane alla Parmiggiana!«

»Einverstanden! Und vorher noch eine Carbonara, aber nur weil du es bist!«, beendete Pepe scherzend das Telefongespräch.

Dann sah er sich im Computer die genaue Position des Hauses an. Daniel hatte recht, es lag weit entfernt von bewohnten Stadtgebieten, völlig isoliert westlich von Esslingen. Heute hatte er einige Dinge in Stuttgart zu erledigen und wollte sich danach das Haus von Herrn Reinhard, das war der Name des Geschäftsführers, genauer ansehen.

Zuerst gab er Pippa, die geduldig auf ihr Herrchen gewartet hatte, das morgendliche, besser gesagt das Mittagessen, trank zwei reichlich gezuckerte Espressos, sein tägliches Frühstück, und startete schließlich in seinem gemütlichen Kleinwagen Richtung Stuttgart. Heute würde er der Lösung des neuen Auftrags einen Schritt näher kommen.

Gegen Abend folgte Pepe Wolf der weiblichen Stimme seines Navigators.

»Biegen Sie in hundert Metern links ab.« Der Detektiv setzte den Blinker. »Jetzt abbiegen!« So sollte es geschehen. »In zweihundert Metern haben Sie Ihr Ziel erreicht!« Und so war es. Er fuhr an einer verwahrlosten Villa mit verwildertem Garten vorbei und verschwand mit seinem kleinen Auto hinter den ersten Büschen am Waldrand. Er parkte so, dass er das Gebäude von seinem Versteck aus observieren konnte, und wartete geduldig.

Nach drei Stunden war es mit seiner Geduld zu Ende. Es war stockfinster und nichts, absolut gar nichts war geschehen. Pepe gähnte genervt. Nicht einmal die Blätter der Bäume bewegten sich! Geschweige denn irgendein Mensch im oder um das Haus herum. Vielleicht war die Villa gar nicht bewohnt. So kam er bei seinen Nachforschungen nicht voran. Er stieg aus und schlich sich gebückt von hinten an das Gebäude heran. Irgendwo musste es eine leicht zu öffnende Tür geben oder ein gekipptes Fenster. Die gab es doch in jedem handfesten Krimi … und Gott sei Dank auch hier! Pepe wurde fündig und zwar in Form einer uralten Kellertür, die ihm nach einem geschickten Profitrick Zugang zum Untergeschoss der Villa gewährte.

Dunkelheit, absolute Stille! Der Eindringling verharrte ein paar Mo mente bewegungslos und versuchte, mit seinem gut geschulten Hörsinn, jedes, auch nur das geringste Geräusch wahrzunehmen. Nichts! Kaum vorstellbar, dass sich jemand im Gebäude befand. Dennoch war Vorsicht geboten! Pepe zog seine Taschenlampe aus der Jacke und leuchtete die Kellertreppe an. Stufe für Stufe schlich er Richtung Erdgeschoss. Oben angelangt legte er sein Ohr an die Tür, verharrte erneut unbeweglich und lauschte. Nichts, absolut nichts zu hören!

Jedoch nahm er einen seltsamen, unangenehmen Gestank wahr. Er sog die Atemluft einige Male bewusst durch die Nase ein, konnte jedoch keinen ihm bekannten Geruch identifizieren. Vorsichtig öffnete er die uralte Tür. Kein Knarren! Puh! Glück gehabt!

Je weiter er ins Innere vordrang, umso intensiver wurde der Geruch. Schweißtropfen bildeten sich auf der Stirn des Detektivs. Das musste die Tür zum Wohnzimmer sein, schätzte Pepe, drückte vorsichtig die Klinke nach unten und schob die Tür Zentimeter für Zentimeter nach innen auf.

Der Gestank schlug ihm wie eine unsichtbare Wand entgegen. Ruckartig ließ er die Türklinke los und seine rechte Hand schnellte zur Nase, um sie vor dem unerträglichen Geruch zu schützen. Ein Brechreiz kontrahierte Pepes Magenwände, aber es gelang ihm, die Reaktion seines Körpers zu kontrollieren. Tapfer hielt seine Linke weiterhin die Taschenlampe in die Höhe und beleuchtete den vor ihm liegenden Raum. Der Anblick, der sich ihm bot, erinnerte in keinster Weise an ein Wohnzimmer, eher an eine Art botanischen Garten, mit einem Schwimmbecken in der Mitte. Na ja, Schwimmbecken war nicht die richtige Bezeichnung für diesen in Mauern eingefassten Tümpel, gefüllt mit braunem stinkendem Wasser und einigen Seepflanzen, eingebettet in eine Art tropischen Dschungel.

Vorsichtig, dem Lichtkegel seiner Taschenlampe folgend, versuchte Pepe, am Rande des dunklen Gewässer entlang ans andere Ende des Raumes zu gelangen. Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Ruckartig blieb er stehen. Blub, blub! Pepe richtete den Lichtkegel direkt auf die Wasseroberfläche: Mehrere große Luftblasen stiegen an die Oberfläche des Tümpels … und es folgten immer mehr!

Was zum Teufel war das, was befand sich auf dem Grund des Tümpels?