Exel - Regina De Facendis - E-Book

Exel E-Book

Regina De Facendis

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Beschreibung

Der italienische Comiczeichner und die deutsche Ex-Lehrerin haben die ersten beiden Bücher ihrer Serie Exel (Willensfreiheit und Der Sterbende Schwan) überarbeitet und in dieser zweiten Auflage gemeinsam veröffentlicht. Ein moderner Nachfolger von Jesus, aus dem Weltall auf die Erde gekommen, um den Teufel vom Erdball zu verbannen. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, diesmal zwischen einem kritischen Gott voller Humor und Ironie, der seine Gegner mit Pirouetten und Sprüngen des klassischen Balletts bekämpft, und einem Teufel in weiblicher Gestalt, der sich neben bösen Unterfangen ebenfalls um die Erziehung seines neugeborenen Sohnes kümmern muss. Die Romane sprechen von den Grauen, dem Geheimtrakt der Area 51, der Übermittlung wissenschaftlicher Informationen durch Außerirdische an die Menschheit, von der Willensfreiheit und der Bedeutung von Gut und Böse. Außergewöhnliche, humorvolle Dialoge über philosophische Überlegungen, über das Universum und seinen Schöpfer, über den Zwist der Menschen zwischen Gut und Böse und ihre Willensfreiheit und nicht zuletzt ... über Probleme des täglichen Lebens. Viel Spaß bei der Lektüre!

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Inhaltsverzeichnis

TEIL 1: Willensfreiheit

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

TEIL 2: Der Sterbende Schwan

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

TEIL 1

Willensfreiheit

„Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.

Friedrich Nietzsche, Werke II – Also sprach Zarathustra

1

Es war eine ungewöhnlich warme Sommernacht. Der Vollmond und ein strahlender Sternenhimmel nahmen der Dunkelheit jede Beklommenheit. Obwohl die entfernten Kirchturmglocken ein letztes Mal an diesem Tag geschlagen hatten, war die Temperatur angenehm und aus den Bäumen ertönte weiterhin das durchdringende Zirpen der Grillen. Eine Nacht zum Wohlfühlen.

Ein Liebespärchen hatte am Rande des Parks ein Plätzchen gefunden, um es sich im Inneren ihres Wagens gemütlich zu machen. Im einfallenden Licht des Mondes konnte man die nackten Körper in enger Umarmung erkennen und hörte durch die geöffneten Fenster ihre erregten Stimmen.

Sie bemerkten nicht, dass sie beobachtet wurden, beobachtet von einem Wesen, dessen rechte Hand fest um den Griff einer Axt geschlossen war. Im Kopf des Beobachters hallte unentwegt der gleiche Refrain wider: schlechte, verdorbene Menschen! Schlechte, verbotene Dinge! Gleich werdet ihr die gerechte Strafe erhalten!

Plötzlich riss er die Seitentür des Wagens auf, packte den völlig überraschten nackten Mann am Arm und trennte ihn mit Gewalt von seiner Partnerin.

»Hallo, mein Junge! Ich muss euer Stelldichein kurz unterbrechen«, stieß der Angreifer erregt hervor. »Heute ist übrigens dein Glückstag! Bald wirst du in einer besseren Welt sein, einer Welt ohne Schmutz und Gewalt!«

Und schon sauste der tödliche Hieb auf das Opfer nieder. Ein Schrei des Entsetzens zerriss die abendliche Stille. Die Begleiterin versuchte, getrieben von panischer Angst, durch die gegenüberliegende Tür zu entkommen, aber die Hand des Mörders hatte sich bereits wie ein Schraubstock um den Fuß der Flüchtenden gelegt.

»Ich fühle mich schon viel besser!«, seufzte der Mann. »Und … nach dir … werde ich mich noch besser fühlen!« und zog die nackte, um Hilfe rufende Frau aus dem Wagen auf den weichen, mit Moos durchsetzten Rasen.

»Kannst du dir ein bequemeres Plätzchen vorstellen, um deinen Freund ins Jenseits zu begleiten?«, rief er mit erregter Stimme. »Du solltest mir dankbar sein, meine Liebe! Ich erspare dir viele Jahre des Leidens, Jahre voller Schmerz und Qual und … den Anblick deines alternden, langsam zerfallenden Körpers.«

Die Frau schlug wild um sich und schrie verzweifelt um Hilfe, aber wer sollte ihr zu nächtlicher Stunde in diesem versteckten Winkel des Parks schon helfen? Entsetzt blickte sie ins Antlitz des Mannes, der sie gefangen hielt. Die zottigen, verschmutzen Haare fielen in sein ungepflegtes Gesicht voller Bartstoppeln und mit der verschlissenen Kleidung und den abgelaufenen Schuhen glich er eher einem armseligen Clochard als einem furchteinflößenden Monster.

»Schau dir diese Nacht an …«, fuhr der Mörder grinsend fort, »… wie zum Sterben geschaffen: eine warme Sommernacht mit strahlendem Vollmond und traumhaftem Sternenhimmel. Ein echter Sommernachtstraum! Viel zu schön für ein verdorbenes Menschenkind wie dich!«

Die Frau schlug mit den letzten Kräften um sich, aber Gegenwehr und Schreie wurden immer schwächer.

»Hör auf zu jammern«, hörte sie ihn sagen. »Du wirst sehen, gleich geht es dir viel besser! Oder kennst du einen einzigen Menschen, der aus dem Jenseits zurückgekommen ist, um sich zu beschweren?«

Dann sah sie ihn die Axt erheben und zum tödlichen Schlag ausholen. Gott sei mir gnädig! Sie schloss die Augen und erwartete den Aufprall der scharfen Klinge und den schrecklichen Schmerz … aber beides blieb aus.

Als sie vorsichtig die Augen öffnete, wusste sie nicht, ob die Todesangst ihr einen Scherz spielte … oder Gott ihr wirklich gnädig gewesen sein sollte? Die mit der Axt bewaffnete Hand des Mörders war immer noch erhoben, bereit zum tödlichen Schlag, aber sie lag fest in der Hand eines anderen Mannes, eines sehr seltsamen Mannes, der sich hinter dem Mörder in voller Größe aufbaute.

Wie Gott sah der Retter eigentlich nicht aus, aber zweifellos … göttlich!

Er war zirka zwei Meter groß, hatte einen ausgesprochen athletischen Körper mit breiten Schultern und schmaler Taille. Das mittellange tiefschwarze Haar, dem das einfallende Mondlicht einen bläulichen Schimmer verlieh, umspielte die akzentuierten Backenknochen. Seine großen tiefblauen Augen waren von schwarzen Schatten umgeben, die den traurigen Gesichtsausdruck noch melancholischer erscheinen ließen. Volle Lippen und eine wohlgeformte Nase rundeten die äußere Erscheinung des Mannes ab und machten ihn zweifellos zu einem der attraktivsten Männer, die die Frau jemals gesehen hatte. Fast göttlich! Sein anliegendes dunkles Hemd und eine enge schwarze Hose hoben die Linien seines muskulösen, jedoch eleganten Körpers hervor. Von den breiten Schultern fiel ein kurzer Umhang herab, der seinen Oberkörper in lockeren Falten umspielte. Die langen athletischen Beine endeten in flachen Stiefeletten, die scheinbar die Form seiner Füße angenommen hatten, so weich und anschmiegsam wirkte ihr Leder.

»Kann man denn abends nicht mehr in Ruhe im Park spazieren gehen, ohne gleich auf einen Verrückten zu stoßen?«, ertönte die ruhige Bariton Stimme des Hünen. »Einen Verrückten, der nichts Besseres zu tun hat, als junge Pärchen niederzumetzeln … und dann auch noch als Landstreicher verkleidet! Lieber Himmel, welche Geschmacklosigkeit!«

Dann lockerte er seinen Griff und stieß den Mörder unsanft von sich. Dieser strauchelte, schnappte kurz nach Luft und sah sein Gegenüber zum ersten Mal an.

»Unglaublich! Du wagst es, mein Aussehen zu kritisieren? Hast du dich einmal im Spiegel betrachtet?«, und tastete mit der Hand nach seinem malträtierten Kehlkopf. »Was willst du denn verkörpern, mit diesen schwarzen Strumpfhosen und dem hübschen Mäntelchen, etwa den Helden einer tragischen Oper? Wie kann jemand wie du es wagen, von Geschmacklosigkeit zu reden?«

Die nackte Frau sah die beiden entsetzt an, dann raffte sie sich auf und rannte los, vollkommen verwirrt und nackt, wie Gott sie erschaffen hatte. Irgendwo auf dieser Erde musste doch trotz der späten Abendstunde noch ein normaler Mensch zu finden sein!

»Mach dich bitte nicht über meinen Umhang lustig!«, setzte der Riese die seltsame Unterhaltung fort. »Dieser Umhang unterscheidet uns Gute von den Bösen. Oder hast du jemals einen wahren Helden ohne Umhang gesehen?«

Dann drehte er eine Pirouette, so dass der Umhang sich kurz hob und wieder senkte.

»Und da du selbst, wie ich sehe, keinen Umhang trägst, musst du wohl zu den Bösen gehören, was deine grausame Tat bezeugt. Und weißt du, was ich in der Regel mit den Bösen mache? Ich breche ihnen das Genick und zwar im wahrsten Sinne des Wortes«, sprach er und ging langsam auf seinen Gegner zu.

»Moment, Moment!«, unterbrach ihn der am Boden Kauernde und hob abwehrend die Hand. »Sei nicht so gemein zu den Bösen, denn ohne uns wärst du kein Guter und könntest den Umhang der Guten gar nicht tragen. Um gut zu sein, brauchst du einen Bösen, denn ihr Guten könntet ohne uns Böse gar nicht existieren!«

»Schön gesagt, mein Lieber! Kompliment! Aber was erwartest du nun von mir?«, fragte der seltsam gekleidete Retter. »Dass ich dich laufen lasse? Tut mir leid, das geht auf keinen Fall. Du weißt sicher, dass die Guten die Bösen niemals entkommen lassen!«

»Tja, in diesem Punkt muss ich dir leider recht geben«, bestätigte sein Gegenüber, »aber dann weißt du auch, dass Gute und Böse sich in den entscheidenden Situationen bis auf den letzten Atemzug bekämpfen«, erwiderte der Mörder und tastete mit einer Hand nach der Axt hinter seinem Rücken. Einen Moment später sprang er auf und ging in leicht gebückter Angriffsstellung auf seinen Gegner zu.

»Komm schon, mein Guter, wehr dich nicht allzu lange, ich muss mich noch etwas abreagieren, da du mir den Spaß mit der jungen Dame verdorben hast. Was hältst du davon, wenn ich dir ein Bein abhacke, ich verspreche dir auch, dass es bei einem einzigen bleiben wird«, sagte er und holte zum Schlag aus. »Mein Bein willst du?«, erwiderte der Hüne und setzte zum Sprung an. »Das kannst du gerne haben!«

Explosiv, aber mit unglaublicher Eleganz hob er nach einer Pirouette vom Boden ab und traf den bewaffneten Arm des Angreifers mit dem gestreckten Bein. Die im Ansatz geschmeidig und spielerisch wirkende Bewegung verwandelte sich in geballte Kraft, kombiniert mit absoluter Präzision. Der Mann strauchelte, überschlug sich und lag einige Sekunden später bäuchlings unter dem Riesen, der ihn mit dem Gewicht seines Körpers gefangen hielt.

»Weißt du, mein Lieber, vielleicht bin ich doch nicht so gut, wie ich aussehe!« murmelte der Sieger mit einem traurigen Lächeln.

»… und dein Umhang?«, fügte der am Boden Liegende mit Galgenhumor hinzu.

»Manchmal trügt der Schein! Vielleicht hatte ich nur etwas Stoff übrig und dachte, dass ein Umhang mich gut kleiden würde«, lautete die Antwort. »Aber genug geplaudert! Ich muss als Guter meine Pflicht erfüllen. Niemand soll mir nachsagen, dass ich meine Versprechen nicht einhalte. Du erinnerst dich doch, was ich vorhin über dein Genick gesagt habe?« fuhr der seltsam gekleidete Mann fort. »Bevor ich dich, wie du sagtest, von dieser Welt voller Schmutz und Gewalt erlöse, erlaube mir, dass ich mich vorstelle: mein Name ist Exel!«

Dann nahm er den Kopf des unter ihm liegenden Mannes in beide Hände und löste sein Versprechen ein! Gerne tat er dies nicht, aber es war die einzige Möglichkeit, um diese Wesen definitiv unschädlich zu machen.

Kurze Zeit später beobachtete Exel, versteckt im Gipfel eines nahestehenden Baumes, den Schauplatz, auf dem er kurz zuvor die Hauptrolle gespielt hatte. Die Scheinwerfer mehrerer Streifenwagen erleuchteten den Tatort. Der Pathologe war bereits vor Ort und der Polizeifotograph hatte begonnen, Routine gemäß seine Aufnahmen zu machen. Um der Spurensicherung die Arbeit zu erleichtern, hatte man das gesamte Gelände abgesperrt. Die trotz der späten Stunde eintreffenden Schaulustigen sollten keine Spuren oder Fingerabdrücke verwischen. Der Tod schien auf gewisse Menschen eine Art Faszination auszuüben, besonders wenn er in gewaltsamer Form hervorgerufen wurde … aber nur, wenn die Neugierigen als Zuschauer und nicht als Akteure beteiligt waren!

Die nackte Frau stand in eine Decke gehüllt zwischen den Streifenwagen und sprach mit einem Officer.

»Ja, das ist der Mann, der uns angegriffen hat«, sagte sie schluchzend und zeigte auf einen der beiden Toten. »Dann ist noch ein zweiter seltsam gekleideter Mann aufgetaucht, der mich gerettet hat. Aber für Tommy … «, und erneut wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Der Officer protokollierte die Aussagen der Zeugin und wandte sich dann seinen Kollegen zu.

»Das ist nun schon der sechste Genick-Tote!«, sagte der Pathologe zum Officer »Da wird sich dein Chef aber freuen!«

Es war die sechste Leiche, die er in den letzten Wochen an unterschiedlichen Tatorten untersucht hatte und deren Genick ohne weitere Gewalteinwirkungen gebrochen worden war. Wären diese sechs Opfer nicht jedes Mal während der Ausübung einer Gewalttat getötet worden, hätte er von einem Serienmörder gesprochen. Aber so konnte er nur eine vage Vermutung äußern.

»Vielleicht handelt es sich um den Kampf zweier verfeindeter Banden!«

»Du hast es fast erfasst, aber nur fast ….«, kommentierte Exel aus dem dichten Blätterwerk seines Verstecks.

2

»Das ist nun schon die sechste Leiche, die wir mit gebrochenem Genick gefunden haben. Die sechste Leiche in sechs Wochen, immer nach dem Angriff auf ein Liebespärchen Und wir haben kein einziges Indiz, kein einziges!«, schrie Inspector Jeff Lucas aufgebracht.

Nach diesem Mordfall hatte Lucas die gesamte Mannschaft mitten in der Nacht ins Polizeipräsidium zitiert. Alle Anwesenden, außer den Kollegen der Nachtschicht und dem Inspector selbst, waren aus dem Tiefschlaf gerissen worden, um sich nun die Philippika ihres Vorgesetzten anzuhören. Mit geröteten Augen verfolgten sie müde, jedoch schuldbewusst die Vorwürfe ihres Chefs. Seit Wochen beschäftigte dieser Fall die Polizei von Garden City, aber niemandem gelang es, auch nur die geringste Spur zur Überführung der Kriminellen zu finden.

»So ist es leider, Inspector«, musste der Chief Officer mit geneigtem Haupt zugeben. Gerne hätte er dem Inspector nutzbare Details geliefert, eine Spur, einen Beweis, irgendetwas, was sie bei den weiteren Ermittlungen unterstützen konnte, aber auch diesmal gab es keinen präzisen Anhaltspunkt.

»Das einzige Indiz bleibt dieser seltsam gekleidete Mann mit Umhang, der an jedem Tatort gesehen wurde.«

»Und das Opfer … oder besser gesagt der Mörder … na ja der mit dem gebrochenen Genick? Konntet ihr die Leiche wenigstens dieses Mal identifizieren? Habt ihr einen Namen für mich?«, fragte Lucas gereizt.

»Nein, Chef, leider nicht! Wieder einer, der aus dem Nichts zu kommen scheint. Wieder ein Toter ohne Papiere, der zu keiner uns vorliegenden Vermisstenanzeige passt. Wir haben nicht den geringsten Hinweis auf seine Identität gefunden.«

»Phantastisch!«, stieß Lucas entnervt aus und ging zum Fenster.

Was ging nur in dieser Stadt vor? Seiner Stadt, oder besser gesagt, der Stadt, für dessen Sicherheit er verantwortlich war. Sie schien die neuste Attraktion für Verbrecher jeglicher Art geworden zu sein.

Das sechste Genick-Opfer in wenigen Wochen! Opfer, die entweder bereits getötet hatten oder gerade im Begriff waren zu töten. Sie wurden von einem mysteriösen, scheinbar dem klassischen Ballett entsprungenen Tänzer überwältigt, der nach jedem seiner nächtlichen Auftritte verschwand und bis zum nächsten Erscheinen unauffindbar war. Keiner der Genick-Toten konnte identifiziert werden, alle waren ohne Papiere, keiner wurde vermisst, keiner war entlaufen, keiner besaß Fingerabdrücke, die im Archiv gelistet waren. Wo sollten sie bei den Untersuchungen ansetzen? Es war wie verhext! Und die Presse saß ihnen seit Tagen im Nacken!

Er drehte sich wieder zu seinen Männern um.

»Wenn ihr mir bis morgen Abend nicht irgendein Indiz bringt oder irgendeinen Anhaltspunkt, dann setze ich euch als Lockvögel ein …«, hallte seine laute Stimme durch den Raum. »… am besten als Liebespaare in Minirock! Und nun macht euch an die Arbeit! Verschwindet!«

Seine Männer schlichen niedergeschlagen und todmüde von dannen, während Lucas allein im Büro zurück blieb. Die letzten Wochen waren aufreibend gewesen. Zunächst waren einige Landstreicher verschwunden, was jedoch niemanden sonderlich berührt hatte. Wer machte sich in der heutigen Zeit schon Sorgen um ein paar mittellose Menschen ohne Familie? Wahrscheinlich hatten sie sich eine andere Stadt ausgesucht … zum Überleben … oder zum Sterben.

Das nächste Problem: Sexualverbrecher, die seit Wochen die Gegend um Garden City unsicher machten, indem sie nachts junge Pärchen in ihren Verstecken aufstöberten, um ihre Liebesspiele zu unterbrechen … gewaltsam zu unterbrechen!

Aber auch das war noch nicht genug! Nun gesellte sich ein als Balletttänzer verkleideter Riese hinzu, der zwar den Tod der jungen Leute einige Male vereiteln konnte, jedoch nur durch das Begehen einer neuen Straftat. Die Polizei hatte nichts in der Hand außer einigen Zeugenaussagen, in denen dieser rätselhafte, scheinbar mit viel Witz und Ironie ausgestattete Retter auftauchte.

Nach all den Wochen fehlte ihnen weiterhin jegliche Spur. Die Bewohner von Garden City waren verängstigt. Die Presse berichtete jeden Morgen über die Straftaten und attackierte die ergebnislosen Recherchen der Polizei. Das Fernsehen strahlte Sendungen aus, in denen sowohl Talkmaster als auch eingeladene Gäste stundenlang über die örtlichen Sicherheitskräfte diskutierten. Und wer war für diese Situation verantwortlich, bei wem lag laut öffentlicher Meinung die gesamte Schuld? Natürlich bei ihm, bei ihm persönlich, Inspector Jeff Lucas, dem Chef der Polizeidienststelle von Garden City!

Seufzend zog Jeff seinen Mantel an und machte sich auf den Weg nachhause. Er musste ein paar Stunden schlafen, um im Laufe des Tages wenigstens einen brauchbaren Gedanken fassen zu können.

3

Die leuchtende Kugel des Vollmondes hätte an diesem Abend jeden Wettstreit mit der Vielzahl funkelnder Sterne gewonnen. Ein lauer Abendwind strich durch die dichten schwarzen Haare des einsamen Beobachters, der hoch über Garden City die nächtlich erleuchtete Stadt betrachtete.

Zu viele Lichter für diesen kleinen Planeten! dachte Exel, während er ins Tal blickte. Viel zu viele Lichter für viel zu viele Menschen!

Er hatte die lange Reise zur Erde angetreten, um seinen größten Widersacher zu finden, den Anführer der Satanen. Sein Nachbar stellte den Inbegriff des Bösen dar, war die Verkörperung all dessen, was sein Volk seit Millionen von Jahren im Weltall bekämpfte. Exel war vor einigen Wochen auf diesem Planeten gelandet, um die Pläne seines Gegners zu durchkreuzen.

Einige Geheimnisse hatte er bereits aufgedeckt, aber die wichtigsten Details fehlten ihm, um das bevorstehende Unheil zu verhindern. Es musste sich um ein zerstörerisches Unterfangen handeln, dessen Boshaftigkeit so unermesslich war, dass die negativen Schwingungen sogar auf seinem Heimatplaneten Sirius wahrgenommen worden waren. Aus Vorsicht hatte man das gesamte Sonnensystem in Quarantäne gesetzt, in der Hoffnung, dass Exel die Gefahr, die von diesem infizierten Planeten ausging, schnell beseitigen konnte.

Viele Erdbewohner hatte sein Nachbar bereits auf die Seite des Bösen gebracht. Wer waren seine Verbündeten und welchen Spielregeln folgten sie?

Exel setzte zum Sprung an und flog in eleganten weiten Sätzen den Hügel hinunter Richtung nächtliche Stadt. Kraftvoll, unter Einsatz aller Muskeln seines Körpers, aber dennoch spielerisch wie ein Balletttänzer glitt er über den Boden und war nach wenigen Sekunden in der Dunkelheit verschwunden.

4

Paul Stjepanovic hatte nur noch wenige Meter vor sich. Gleich war er zuhause. Bei diesem Gedanken verzog sich sein Mund zu einem traurigen Lächeln. Zuhause konnte man das Loch, in dem er seit ein paar Monaten hauste, wirklich nicht nennen, diesen kleinen feuchten Keller in einem verlassenen Gebäude am Stadtrand von Garden City, in dem sich mehr Ratten und Ungeziefer tummelten, als in den Filmen von Indiana Jones. Wie hatte er sich beim Anblick dieser Szenen immer geekelt, nie konnte er verstehen, wie die Darsteller es über sich brachten, zwischen tausenden von krabbelnden Monstern vor der Kamera zu drehen. Aber mittlerweile hatte er sich an seine kleinen Mitbewohner gewöhnt. Seit sie wussten, dass es bei ihrem neuen Zimmergenossen nichts Essbares zu stibitzen gab, ließen sie ihn in Ruhe, und nur ab und zu fand Paul eine krabbelnde Überraschung im Hosenbein oder der Jackentasche, wenn man das, was an seinem Oberkörper herunterhing, noch als Jacke bezeichnen konnte! Ein schmutziges, zerrissenes Stück grauen Stoffes, das ihn das gesamte letzte Jahr auf jedem Weg begleitet hatte, sogar bei den vereinzelten morgendlichen Bädern im nahen See, die nicht nur der Säuberung seines Körpers, sondern gleichzeitig der Reinigung der wenigen zum Glück hochwertigen Kleidungsstücke dienten.

Nie hätte er geglaubt, dass sich das Leben eines Menschen so schnell verändern konnte, völlig verändern, oder besser gesagt, ins Gegenteil umschlagen. Alles wegen der Schuld einiger unfähiger Manager in höchsten Positionen und deren falscher strategischer Entscheidungen. Fehlentscheidungen mit verheerenden Folgen, verheerend jedoch nicht für die Verursacher des Desasters, sondern für diejenigen, die keinerlei Schuld daran hatten … wie er selbst. Wer hätte jemals gedacht, dass die vor über hundert Jahren gegründete Investmentbank, für die er einige Monate voller Stolz gearbeitet hatte, im September letzten Jahres Insolvenz anmelden sollte.

Seine Eltern waren in einem Unfall ums Leben gekommen, kurz nachdem er nach dem Studium Europa verlassen hatte, um sein Glück in Amerika zu suchen. So kannte Paul niemanden, auf dessen Unterstützung er zählen konnte, keinen Verwandten, keinen Freund, keinen Kollegen. Die letzteren hatten wie er selbst innerhalb weniger Stunden jegliche Existenzbasis verloren und sich mit dem Anzug am Körper, einer Aktentasche in der Hand und ein paar Banknoten in der Brieftasche auf der Straße wiedergefunden.

Nach dem Bankrott der Bank war ihm nur eins geblieben: seine Arbeitskraft. Aber aufgrund der schlechten Reputation seines alten Arbeitgebers gelang es ihm nicht, eine neue Anstellung im Bankwesen zu finden. Irgendwann versuchte er es mit Aushilfsjobs, aber als Ausländer ohne die gewünschte robuste Körperstatur fand er nicht einmal als Handlanger eine kurzzeitige Anstellung. Schnell waren seine wenigen finanziellen Rücklagen aufgebraucht. Er verlor zunächst seine Wohnung, dann die wenigen Wertgegenstände, die ihm geblieben waren, und zuletzt das, was er am wenigsten ertragen konnte, seine Würde. Er war auf Almosen angewiesen, ging tagsüber bettelnd durch die Stadt, wühlte in Mülltonnen nach essbaren Überresten und nahm abends an der Tafel der Obdachlosen seine einzige spärliche warme Mahlzeit ein. Dies hatte er auch heute Abend getan und wollte nun mit einigermaßen gefülltem Magen sein Lager auf dem Boden der feuchten Unterkunft aufzusuchen, um eine weitere Nacht seines Lebens hinter sich zu bringen.

»Hallo Alter, hast du vielleicht ’ne Kippe für mich?«, unterbrach eine Stimme aus nächster Nähe seine trüben Gedanken.

Er hob den Kopf und sah in das unsympathische Gesicht eines jungen Mannes, der ihn spöttisch angrinste.

»Sehe ich wirklich so aus, als ob ich dir etwas schenken könnte?«, antwortete Paul mit einem traurigen Lächeln.

Was sollte er schon zu verschenken haben? Aber dann spürte er einen dumpfen, harten Schlag auf seinem Hinterkopf und sein letzter Gedanke war: mein Leben!

»Los, macht schon! Die Polizei hat zwar ihr Schmiergeld bekommen, aber irgendjemand könnte uns dennoch sehen!«, rief der Fahrer, der den Wagen neben seinen beiden Komplizen zum Stehen gebracht hatte. »Vorsicht! Jetzt passt doch auf! Ihr wisst doch, dass wir ihn unverletzt abliefern sollen.«

»Oh Mann, was für ein langweiliger Job! Nicht mal ein bisschen Blut! So macht das echt keinen Spaß!«, murmelte derjenige, der von hinten mit dem Knüppel zugeschlagen hatte.

Dann hoben sie Pauls leblosen Körper in den Kofferraum des Wagens und stiegen ein.

»Denny, halt einfach die Klappe!«, unterbrach ihn sein Kumpel. »Die zahlen wirklich gut! Den Spaß heben wir uns für morgen auf. Dann ist wieder so eine Demonstration gegen … ach, ich weiß nicht mehr gegen was. Ist ja auch egal, Hauptsache wir können uns austoben. Und am Sonntag beim Fußballderby werden wir auch unsere Freude haben!« Dann wandte er sich an den Fahrer. »Nun fahr schon los, damit wir das hier zu Ende bringen!«

Von hoch oben, versteckt auf dem Dach eines anliegenden Hauses beobachtete Exel die gesamte Szene. Endlich hatte er sie auf frischer Tat ertappt! Endlich konnte er einer Spur nachgehen! Nun hieß es, den Wagen nicht aus den Augen zu verlieren.

Leichtfüßig flog Exel in weiten Sprüngen über die Dächer der Stadt. Phantastisch! Welch angenehmes Gefühl, das er dank dieses Tanzes, den die Menschen erfunden hatten, wahrnehmen durfte. Er sprang mit voller Hingabe, etliche Pirouetten drehend von einem Dach zum anderen. Welch ein Genuss! Die Faszination, die das klassische Ballett auf Exel ausübte, hatte ihn veranlasst, sich während seiner Reise zur Erde eine Anzahl von Schrittfolgen und Sprüngen anzueignen, die sich in Situationen wie der momentanen als nützlich erwiesen. Diese tänzerischen Einlagen waren viel unterhaltsamer als die altbekannten Fortbewegungsarten und eigneten sich gleichzeitig für eine effiziente Verteidigung. Darüber hinaus standen sie im Einklang mit seinem Wesen, welches geschmeidige Eleganz und Harmonie stets der rohen Gewalt vorgezogen hatte. Eine Art der Verteidigung, die für Exel das perfekte Zusammenspiel von Körper und Geist darstellte.

Der Wagen, den Exel verfolgte, hielt neben einem großen Bürogebäude, so dass er unvermittelt abbremsen musste, um nicht entdeckt zu werden. Schluss jetzt mit angenehmen Empfindungen und Träumereien! Zurück zur Arbeit!

Der Fahrer, scheinbar der Anführer der Gruppe, gab seinen beiden Kumpanen weitere Befehle, während sie Pauls leblosen Körper aus dem Kofferraum hoben.

»Schnell, beeilt euch, sonst werden wir noch entdeckt! Und lasst ihn ja nicht fallen! Ihr wisst doch: unversehrt, habe ich gesagt!«

Sobald die drei Männer dem Außerirdischen den Rücken zudewandt hatten, ließ Exel sich von dem gegenüberliegenden Dach in die Tiefe gleiten. Sie trugen ihr Opfer ins Erdgeschoss des Gebäudes, wo sich die Praxis eines Tierarztes befand. Dr. Martin Bertram, Arzt für Veterinärmedizin stand in großen Buchstaben auf einem Schild neben dem Haupteingang. Der Anführer der Dreiergruppe schritt voran und öffnete den beiden Komplizen, die den Toten an Händen und Füßen schleppten, die Tür.

Exel huschte ungesehen als letzter durch den Eingang in die Praxisräume und versteckte sich im Dunkel.

Ein Mann in weißem Arztmantel trat aus einem hellerleuchteten Nebenraum. »Neue Ware!«, sagte der Anführer. »Es wird immer schwieriger, gutes Material zu finden«, fuhr er fort, während die beiden anderen den Toten ins Behandlungszimmer trugen.

»Das ist nicht mein Problem«, erwiderte der Tierarzt unbeeindruckt. »Wenn ihr Geld verdienen wollt, lasst euch etwas einfallen!«

Welch unangenehmer Menschenschlag, dachte der Arzt. Jedes Mal, wenn sie ihm einen neuen Körper brachten, empfand er tiefe Abscheu für diese Männer, aber sie machten ihre Arbeit gut und würden ihm bis zum Ende des Projektes noch nützlich sein! Jedoch nur bis zum Ende des Projektes … und dieses stand kurz bevor! Der Gedanke tröstete ihn ein wenig. Danach würden auch sie auf dem Operationstisch landen … als letzte der Probanden.

»Das Geld liegt in der Schublade, wie immer!«, sagte der Tierarzt. »Bis zum nächsten Mal!«

Dann wandte er sich, die Anwesenden völlig ignorierend, dem toten Landstreicher zu.

»Auf Wiedersehen, Herr Doktor!«, verabschiedete sich der Anführer und winkte mit den Banknoten in der Hand. »Los, verschwinden wir!« Und weg waren sie! Endlich konnte sich der Tierarzt seiner Arbeit zuwenden. Zunächst musste er die Leiche entkleiden. Die Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass die einfachste Methode das Auftrennen der Kleidungsstücke mit einem Skalpell war. Sauber und mühelos. Er beugte sich über den Toten, nahm die abgetragene Jacke in die Hand und setzte zum ersten Schnitt an.

Nach einer halben Stunde war der leblose Körper entkleidet und gesäubert. Morgen früh würde er seine Auftraggeber informieren, dass er eine neue Leiche liefern konnte, und diesmal handelte es sich um ein wahres Prachtexemplar. Nicht um den schmutzigen, aus der Gosse gezogenen Körper eines Landstreichers, sondern um jemanden, dessen feine Hände und zarte nicht von der Sonne gegerbte Haut davon zeugten, dass der Tote in seinem Leben niemals körperlicher Arbeit nachgegangen war. Zwar hatten die Monate auf der Straße erste äußere Zeichen auf Gesicht und Körper des Mannes hinterlassen, aber dieser Leichnam entsprach nicht dem Standard, den er in den letzten Wochen weitergeleitet hatte. Vielleicht konnte er diesmal ein höheres Honorar verlangen, überlegte Dr. Bertram mit zufriedenem Lächeln.

Aber darüber konnte er sich morgen Gedanken machen! Er sah auf die Uhr. Es war spät am Abend und er wollte nachhause, um nach dem langen Arbeitstag wenigstens einige Stunden Schlaf zu finden. Er bedeckte den nackten Körper mit einem weißen Tuch und verließ die Praxis.

Exel hatte aus seinem Versteck zunächst die Übergabe der Leiche und dann deren gründliche Reinigung mitverfolgt. Als die Tür hinter dem Arzt zuschlug, kam aus seinem Versteck hervor und blickte suchend um sich. Irgendein Hinweis über den Auftraggeber des Tierarztes musste doch hier zu finden sein! Einen Computer konnte er nicht entdecken. Vor ihm stand ein Regal mit verschiedenen Aktenordnern. Er blätterte einen nach dem anderen durch, stieß auf Behandlungsberichte, Bestellungen von Medikamenten und Belege für die Steuererklärungen. Nichts!

Sein Blick wanderte erneut forschend durchs Zimmer. Was hatte der Arzt vorhin zu den Killern gesagt? Das Geld liegt in der Schublade! Er ging zum Schreibtisch und fand in der ersten Schublade Büromaterial jeglicher Art und ein paar Zettel mit Notizen, in der zweiten jedoch eine gebündelte Akte. Exel nahm sie heraus und begann zu blättern. Endlich!

»Interessant! Rechnungen ausgestellt an die Klinik Salus«, murmelte er, »zunächst für die Weiterleitung einiger Tierorgane …«, und blätterte weiter, »… und dann … für die Lieferung mehrerer Tierkadaver für medizinische Tests!«

Während der vielen tausend Jahre, die seit ihrem letzten Zusammentreffen verstrichen waren, hatte der Satane seine schlechten Gewohnheiten leider nicht abgelegt, dachte Exel.

Heute war er bei seiner Suche einen großen Schritt weitergekommen, bedauerlicherweise unter Verlust eines weiteren Menschenlebens.

»Tut mir leid, mein Freund! Ich hätte dich retten können, aber du warst die einzige Möglichkeit, mich schnell an diesen Ort zu führen. Nun habe ich endlich eine sichere Spur gefunden! Dein Tod wird viele andere Menschenleben retten! Vielleicht kannst du mich noch hören, wer weiß?«

Dann war er verschwunden.

5

Die Klinik Salus, umgeben von herrlichen Parkanlagen, lag auf einer leichten Anhöhe am Rande der Stadt und dominierte majestätisch den Hügel. Die vielen Bäume erleichterten Exel zwar die Annäherung an das große Hauptgebäude, aber es war eine ungewohnte, völlig neue Situation für ihn. Bis jetzt hatte er sich niemals vor eventuellen Beobachtern verbergen müssen, da er stets in der Nacht, geschützt durch die Dunkelheit agiert hatte, aber angesichts der zeitkritischen Lage hatte er beschlossen, die Spur seines Gegners auch bei Tageslicht aufzunehmen. Der Vorsprung des Satanen war allzu groß, die Zeit drängte.

Hinter dem Klinikgebäude sprang Exel leichtfüßig auf das Dach einiger Garagen, um durch ein offenes Fenster ins Innere der Klinik zu gelangen. Als er sich gebückt dem Fenster näherte, hörte er Stimmen. Mehrere Personen im Inneren des Raumes waren in eine angeregte Diskussion verwickelt.

»… über das Wie und Wo brauchen wir nicht weiter zu diskutieren!«, sagte eine Männerstimme. »Fest steht, dass wir die Produktion erhöhen müssen, da der Abflug kurz bevorsteht. Das ist ein Faktum! Natürlich werden wir für unseren zusätzlichen Einsatz extra entlohnt, aber das brauche ich sicher nicht betonen. Ihr wisst ja, wie großzügig unser Auftraggeber ist!«

»Ja, das wissen wir, Mark, aber das Problem liegt woanders. Es sind weit und breit keine Obdachlosen mehr zu finden«, antwortete eine andere männliche Stimme.

Exel richtete sich ganz langsam auf und blickte für den Bruchteil einer Sekunde über den Fenstersims ins Zimmer, um das Bild in seinem Gedächtnis zu speichern. Es handelte sich um einen großen Raum, in dessen Mitte ein riesiger Schreibtisch aus Eichenholz thronte. Hinter dem Schreibtisch saß auf einem robusten Ledersessel ein ebenso robuster männlicher Körper, gekleidet in Anzug und Krawatte. Zweifellos handelte es sich um den Direktor der Klinik, der mit der Wahl des Mobiliars auch Unwissenden auf den ersten Blick klarmachen wollte, wer das Sagen in dieser Einrichtung hatte. Gegen jede Regel verstoßend rauchte er eine Zigarre und beugte sich, mit beiden Unterarmen auf den Schreibtisch gestützt, angriffslustig seinen Gesprächspartnern entgegen, einem Mann und einer Frau, beide in weißen Mänteln, offensichtlich Ärzte der Klinik Salus.

»Die Stadt müsste uns eigentlich dankbar sein, dass wir die Straßen von diesem Ungeziefer befreien und der Gemeinde das Geld für die Verpflegung im Obdachlosenheim ersparen«, fuhr der Direktor fort.

»Aber wie sollen unsere Lieferanten unbemerkt leblose Körper beschaffen, wenn ein Obdachloser das Seltenste und Wertvollste geworden zu sein scheint, was die Stadt zu bieten hat?«, fragte der Arzt mit ratlosem Gesichtsausdruck.

»Wir wurden informiert, dass die Übergabe weiterer Probanden für sehr problematisch gehalten wird«, ergänzte die Dame im weißen Mantel.

»Dann müssen sie eben das Rohmaterial wechseln. Es gibt ja nicht nur Obdachlose! Wie viele Menschen verschwinden spurlos, ohne dass es jemandem auffällt. Sie werden sich eben auf eine andere Art von Menschen konzentrieren, die einsamen, unauffälligen Menschen, Menschen ohne Verwandte und Freunde, denen man im Endeffekt …. einen Gefallen tut, wenn man sie von der Last des Lebens befreit!«

Bei diesen Worten lehnte sich der Direktor namens Mark selbstzufrieden in seinem enormen Ledersessel zurück, nahm einen weiteren Zug an seiner Zigarre und blies den Rauch genüsslich gegen die Decke. Dann wechselte er plötzlich den Gesichtsausdruck.

»Wenn das Klonen problemlos geklappt hätte, könnten wir uns den ganzen Aufwand ersparen«, sagte er verärgert und schaute die beiden Ärzte mit strafendem Blick an.

»Ja, das ist leider richtig!«, musste die Ärztin zugeben. »Wir konnten den Fehler, immer noch nicht hundert Prozent lokalisieren. Zunächst dachten wir, der Grund für das Problem läge bei einer Stromschwankung, die während der Programmierung der Hirnzellen aufgetreten war. Alle sechs Probanden dieser ersten Serie hatten psychische Störungen, die erst nach mehreren Tagen in Erscheinung traten. Die Synapsen leiteten falsche Signale in die geklonten Hirnzellen, so dass es zu Überreaktionen kam.«

»Aber wie könnt ihr mit den Versuchen fortfahren, wenn ihr den Fehler noch nicht gefunden habt?«, unterbrach Mark die Ärztin.

»Wir stehen seit Projektbeginn unter Zeitdruck, da die Vorgaben unseres Auftraggebers kaum realisierbar sind«, kam der Arzt seiner Kollegin zu Hilfe. »Wir nehmen an, dass es an der Zusammensetzung der Körperflüssigkeit lag. Bei den neuen Probanden haben wir die Mischung minimal verändert und sind überzeugt, dass diesmal alles funktionieren wird.«

Der Arzt machte eine kurze Pause und fügte hinzu:

»Leider ist es den ersten Klonen gelungen, den Aufsehern zu entkommen«, und sah Kent mit anklagendem Blick an, »und das war nun wirklich nicht unsere Schuld.«

»Ja, da habt ihr bedauerlicherweise recht!«, musste Mark Kent zugeben. »Die Flucht haben wir meinen Leuten zuzuschreiben. Sie haben mal wieder geschlafen«, fuhr er wütend fort. »Verdienen einen Haufen Geld und dann so eine Schlamperei! Sind nun eigentlich alle geflohenen Klonen zur Strecke gebracht worden?«

»Alle bis auf einen! Und zwar auf die einzige Art und Weise, auf die man diese Wesen unschädlich machen kann: die Fraktur des Dens Axis, des Zahns oder Dorns des zweiten Halswirbels. Dieser verrückte Serienmörder, von dem die Medien berichten, muss das durch einen dummen Zufall bemerkt haben! Anders kann ich es mir nicht vorstellen!«, kommentierte die Ärztin. »Durch das Abquetschen des Rückenmarkes kommt es zur Zerstörung des Nervenzentrums, das für Atmung und Kreislauf verantwortlich ist, was wiederum den sofortigen Tod zur Folge hat. Einfacher ausgedrückt: Genickbruch! Alle anderen gewaltsamen äußeren Einwirkungen führen zwar zu einer kurzen Störung der Funktionalität der Klone, aber dank ihres hervorragenden Wiederherstellungssystems niemals zu ihrer Elimination. Zum Glück hat der verrückte Kriminelle durch seine zufällige Entdeckung fast alle unserer Fehlgeburten unschädlich gemacht.«

Die Ärztin stockte einen Moment und überlegte.

»Wenigstens hoffe ich, dass es Zufall war«, sagte sie zögernd und überlegte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass derartige Informationen durchsickern können. Nur wir drei und Dexter kennen dieses Geheimnis …«, fuhr sie nachdenklich fort, um den Satz mit Bestimmtheit zu beenden, »… nein, diese Möglichkeit schließe ich a priori aus.«

Dann legte sie freundschaftlich die Hand auf den Arm ihres männlichen Kollegen.

»Gott sei Dank läuft jetzt nur noch ein einziger Klon frei herum. Allzu viel Schaden kann er nicht anrichten!«, fügte sie hinzu.

»Das denke ich auch!«, stimmte der Arzt lächelnd zu. »Heute haben übrigens die Tests mit den neuen Probanden begonnen. Der erste liegt bereits in der Transformationsphase und alles scheint problemlos zu funktionieren. Was mir Kopfzerbrechen bereitet, ist die erhöhte Produktion, aber unsere Lieferanten werden es schon schaffen, uns das notwendige Rohmaterial zur Verfügung zu stellen!«

»Da bin ich auch zuversichtlich«, bekräftigte Kent. »Sie konnten uns bis jetzt immer zufrieden stellen!« Dann hob er seinen übergewichtigen Körper schwerfällig aus dem weichen Ledersessel. » Aber nun lasst uns eine Pause einlegen, mein Magen knurrt. Heute Nachmittag überlegen wir gemeinsam mit Dexter, ob wir die Produktion noch etwas einschränken können. Unser Part sollte in ein paar Tagen abgeschlossen sein. Dann kann unser Auftraggeber endlich die letzte, entscheidende Phase des Projektes starten. Der Abflug steht kurz bevor!«

Die drei gingen zur Tür und verließen gemeinsam das Büro. Exel huschte durch das geöffnete Fenster und verharrte kauernd hinter dem Schreibtisch. Er musterte Decke und Wände des Zimmers, überprüfte alle Ecken und Nischen und stellte mit Erleichterung fest, dass keine Überwachungskameras angebracht waren. Er musste aufdecken, was hier vorging. Eine böse Vorahnung hatte er bereits. Der getötete Landstreicher schien in diesem Gebäudekomplex von den Ärzten aufbereitet, mutiert oder auf welche Weise auch immer behandelt zu werden. Die Frage war nur: wo? Er schlich zur Tür, öffnete sie einen Spalt und sah die Köpfe der drei Personen, deren Unterhaltung er kurz zuvor belauscht hatte, Richtung Erdgeschoss verschwinden.

Im gleichen Moment verließen zwei Pfleger das gegenüberliegende Zimmer und schlossen eine Tür mit der Aufschrift ZUTRITT VERBOTEN hinter sich.

»Nun hat auch der zuletzt eingelieferte Patient die Behandlung fast überstanden. Glaubst du wirklich, dass es sich um eine neue Dialysetherapie für Nierenkrebspatienten im Endstadium handelt?« wagte einer der beiden mit fragendem Blick zu äußern.

»Ich weiß es nicht und möchte es auch nicht wissen!«, antwortete der andere und klopfte seinem Kollegen auf die Schulter. »Wir haben einen Job, bekommen jeden Monat ein festes Gehalt und arbeiten gemeinsam mit Ärzten in einer Klinik. Mehr interessiert mich nicht. Jetzt lass uns was essen gehen! Heute Nachmittag warten schon die nächsten zwei Patienten auf uns.«

Dann verschwanden sie ebenfalls im Treppenhaus in Richtung Mensa.

Exel hatte den Zeitpunkt seines Besuches gut ausgewählt, da um diese Zeit ein Großteil der Angestellten mit dem Mittagessen beschäftigt war. Er begutachtete mit prüfendem Blick die Wände des Korridors. Auch hier keine Videokameras. Sie sind sich ihrer Sache wohl sehr sicher! Er glitt geräuschlos auf den Gang und verschwand hinter der Tür, durch welche kurz zuvor die beiden Pfleger auf den Korridor getreten waren.

Bingo würden die Menschen in einem solchen Moment sagen. Dies musste das Labor sein!

Mehrere nackte, bis zur Hüfte mit weißen Laken bedeckte Körper waren aufgebahrt und über durchsichtige Schläuche an eine Art Dialysegerät angeschlossen. In gläsernen Behältern blubberte eine rötliche Flüssigkeit. Es musste sich um eine Art Blutwäsche handeln, nur schien in den ausgestreckten Körpern anstatt menschlichen Blutes nur noch diese künstliche, etwas dickflüssige Materie zu fließen. Während die Dialysegeräte seitlich der Liegen aufgestellt waren, befanden sich am Kopfende andersgeartete Maschine, mit denen die Körper über Kabel und Elektroden an Stirn, Schläfe, Backenknochen und Nacken verbunden waren. Die Geräte erinnerten an Elektroenzephalografen, dienten jedoch nicht der Aufzeichnung der durch die Gehirnaktivität erzeugten Spannungsschwankungen, sondern erzeugten mit elektronischen Impulsen leichte rhythmische Kontraktionen, um die Hirnströme der Probanden neu zu aktivieren.

Direkt vor Exel lag der leblose Körper von Paul Stjepanovic, dessen tragisches Ende ihn gestern Abend zunächst in die Praxis des Tierarztes und schließlich in diese Operationsbasis geführt hatte, die Klinik Salus. »Was haben sie nur mit euch vor?«, fragte sich Exel, während er den rhythmisch zuckenden Körper des Obdachlosen betrachtete. Dann setzte er sich an den großen Computer am anderen Ende des Saales und begann, nach Informationen zu suchen.

»Sie sind leider weiter, als ich dachte«, murmelte er kurze Zeit später, während er in schneller Abfolge die Protokollseiten der Behandlungsergebnisse auf dem Bildschirm erscheinen ließ. »Das sieht gar nicht gut aus! Viel Zeit bleibt mir nicht mehr!«

Im gleichen Moment knüllte der Wachhabende im Untergeschoss die Papierserviette zusammen, in der kurz zuvor sein reichhaltig gefülltes Sandwich eingepackt war, und entfernte genüsslich die letzten Krümel aus den Haaren seines Schnurrbartes. Da hatte Annie wieder ein herrliches Mittagsmahl zubereitet! Sie war eben ein Schatz! Vertieft in schöne Gedanken kehrte er an seinen Arbeitsplatz zurück, wo auf vier riesigen Monitoren rund um die Uhr alle Aktivitäten in den wichtigsten Punkten der Klinik ausgestrahlt wurden. Man sah den Haupteingang, den Landeplatz für den Helikopter, den Aufenthaltsraum der therapierten Patienten und … das Labor.

»Das Labooor!« , schrie er auf, als der erste Adrenalinstoß ihm den Schweiß aus den Poren trieb. »Was hat denn dieser Typ am Computer zu suchen? Alaaarrrmmm!«, und schlug mit aller Gewalt auf den großen roten Knopf seitlich der Monitore. Fast gleichzeitig begann das ohrenbetäubende, rhythmisch aufheulende Geräusch einer Sirene alle Räume der Klinik zu durchdringen.

Exel fuhr erschrocken zusammen. Ein Blick an die Decke und er sah die Überwachungskamera. Er seufzte kurz auf. Sein Fehler! Diesmal hatte er sich zu sicher gefühlt!

In zwei Schritten war er auf dem Gang und flog in weiten Sprüngen Richtung Treppe. Ein bewaffneter Mann des Wachpersonals spurtete hinter ihm die Treppe hinauf.

»Stehenbleiben oder ich schieße!«

Schon löste sich der erste Schuss. In zwei Sätzen erreichte Exel den Korridor im darüber liegenden Stockwerk, an dessen anderem Ende drei Wachen mit ihren Pistolen im Anschlag aus einem Zimmer stürzten. »Mehr Wachpersonal als Patienten!«, dachte Exel und verschwand in einem Raum, der sich direkt über dem Büro des Direktors befinden musste. Er lief quer durch das Zimmer, sprang ohne zu zögern mit der rechten Schulter voran gegen das große geschlossene Fenster, das in tausend Stücke zerbarst, und landete nach kurzem Flug auf dem Dach der Garagen, von dem aus er ins Innere des Gebäudes gelangt war. Ein weiterer Sprung und er stand auf dem Rasen seitlich der Klinik … und dann … war er verschwunden.

Hinter der zerbrochenen Fensterscheibe erschien der erste Verfolger und schoss aufs Geratewohl in Richtung des Flüchtenden …. aber die Schüsse gingen ins Leere.

Aus dem Haupteingang stürzten drei bewaffnete Männer, die um das Gebäude spurteten, aber der Eindringling war wie vom Erdboden verschluckt.

»Verflucht! Wer auch immer es war, er ist uns entkommen. Los, wir müssen sofort den Chef informieren!«, sagte der Wachhabende, dem nicht die Zeit geblieben war, sein genüsslich verspeistes Sandwich in Ruhe zu verdauen.

6

Niemand konnte auch nur ahnen, welch seltsames Gefährt sich seit mehreren Tagen in den Tiefen des naheliegenden Sees versteckte. Die Fische hatten sich langsam an den Anblick des Eindringlings gewöhnt und wagten sich immer heran, um den sonderbaren Nachbarn durch die großen Fenster neugierig zu beäugen. Es war ein kleines Raumschiff, das den fliegenden Objekten ähnelte, die man schon oft in Artikeln oder Reportagen über außerirdisches Leben gesehen hatte.

Exel saß mit ausgestreckten Beinen auf einem futuristischen Sofa und genoss das herrliche Panorama. Aufgrund der geringen Wassertiefe drang das Tageslicht bis zum Grund des Sees vor und ließ die Fische, die sich vor seinen Augen tummelten, in mannigfaltigen Farben erleuchten.

Das idyllische Schauspiel wurde von der sanften Melodie einer klassischen Oper begleitet. Neben Exel schwebte das Hologramm eines stilisierten, äußerst attraktiv wirkenden Frauenkopfes, der ihn mit seinen großen mandelförmigen Augen ansah. Die Andeutung einer Nase und der wohlgeformte Mund vollendeten das schöne weibliche Gesicht.

»Wer konnte schon ahnen, dass dein Vorgänger vor zweitausend Jahren scheitern würde«, ertönte die dunkle Frauenstimme des Hologramms. »Jetzt besteht ernsthaft die Gefahr, dass der gesamte Planet in die Hände unseres Widersachers fällt. Hast du schon einen präzisen Plan, wie wir das verhindern können?«

»Ehrlich gesagt, nein! Momentan tappe ich im Dunkeln, da ich das Vorhaben des Satanen noch nicht durchschaut habe. Aber eines ist sicher, wir müssen die Klinik Salus so bald wie möglich neutralisieren, auch wenn ich nicht die geringste Vorstellung habe, wie ich das meistern soll!«

»Wie du es meistern sollst?« wiederholte der Bordcomputers ungläubig. »Bei deinen Möglichkeiten? Das ist nicht dein Ernst, Exel!«

»Ich kann und darf meine Möglichkeiten auf der Erde nicht ausschöpfen, Ophelia, wenigstens … noch nicht. Wenn unsere Mission Erfolg haben soll, muss unsere Anwesenheit auf diesem Planeten so lange wie möglich verborgen bleiben«, erwiderte Exel.

»Dafür scheint deine Aufmachung aber nicht die beste Lösung zu sein!«, entgegnete das Hologramm voller Ironie.

»Gefällt dir etwa meine Verkleidung nicht?«, fragte Exel mit gespielter Entrüstung. »Ich denke, keiner unserer Gegenspieler wird auf die Idee kommen, dass einer der Wächter in so …«, er hob belustigt ein Ende des Umhanges in die Höhe,« … sagen wir extravagantem Outfit auftauchen könnte. Seit Millionen von Jahren wachen wir über das gesamte Weltall, um zu verhindern, dass unsere Gegner allzu großes Unheil anrichten, aber ich bin der festen Überzeugung, dass keiner meiner Vorgänger jemals unter ähnlichen Tarnung aufgetaucht ist.«

Er setzte sich auf, hob das rechte Bein gestreckt bis in die Fußspitze nach oben und betrachtete es spitzbübisch lächelnd.

»Außerdem finde ich die Rolle, in die ich geschlüpft bin, sehr amüsant!«

»Auch deinen Besuch in der Klinik? Findest du den auch amüsant?«, konterte das Hologramm mit ernster Miene. »Nur gut, dass du unentdeckt bleiben wolltest! Das ist dir wohl trotz deiner lächerlichen Verkleidung nicht gelungen. Und unsere Gegner werden sich nun Fragen zu stellen.«

»Ja, das befürchte ich auch. Aber ich musste der Spur folgen. Seit unserer Landung ist einfach zu viel Zeit vergangen. Und wer konnte damit rechnen, dass er in aller Ruhe in einer öffentlichen Klinik mit Hilfe der Menschen einen Teil seines Projektes realisieren kann. Unglaublich! Er muss sich einige sehr mächtige Menschen zu Freunden gemacht haben, Personen in höchsten gesellschaftlichen Stellungen, die ihm absoluten Schutz gewähren.«

Er hielt inne und überlegte kurz.

»Auch ich muss einen Erdbewohner für meine Sache gewinnen, jemanden, den ich in die wichtigsten Vorgänge einweihen kann, einen Freund, der mich unterstützt, wenn ich persönlich nicht eingreifen kann, einen Menschen … «, Exel sah Ophelia an und zwinkerte ihr schelmisch zu, »… dem vielleicht im Gegensatz zu dir das klassische Ballett gefällt!«

Bei diesen Worten erhob er sich vom Sofa und begann in kleinen eleganten Sprüngen und mehreren Pirouetten das Zimmer zu durchqueren.

»Exel, bitte, erspare mir diesen Anblick!«, stöhnte das Hologramm. »Du weißt, wie sehr ich deinen neuen Zeitvertreib verabscheue!«

»Meine liebe Ophelia! Die letzten Tage haben mir gezeigt, dass die Bewegungen dieses Tanz ebenso effizient wie die der klassischen Verteidigungsarten sein können«, sagte Exel und begann die Melodie einer berühmten Arie, die im Hintergrund erklang, mitzusingen,« … tam taram ta tam … aber ich halte es für eine viel elegantere Art, seine Gegner außer Gefecht zu setzen … tam tara …«!

Dabei streckte er ein Bein elegant in die Höhe und machte auf der Fußspitze eine Drehung um sich selbst. »… tam taramtata …!«

»Genug! Das ist zu viel! Ich erlaube mir, mich selbst in Pause zu schalten«, waren die letzten entnervten Worte Ophelias, bevor das Hologramm verschwand und den tanzenden Exel alleine zurück ließ.

Durch die große Fensterwand beobachteten die Fische erstaunt die Balletteinlage des neuen Nachbarn, der sein Publikum zu fesseln wusste. In diesem Falle ein sehr außergewöhnliches Publikum!

7

Zur gleichen Zeit ballte General Willis wütend seine linke Hand unter dem Schreibtisch, während die rechte sinnlose geometrische Figuren auf ein Blatt Papier zeichnete. Wie er diesen grauen Zwerg hasste, der bei jedem Zusammentreffen das Büro mit dem Gestank seiner Zigarre verpestete! Willis war nun schon zehn Jahre Leiter des Militärstützpunktes, und seit Beginn seiner Karriere standen immer diese außerirdischen Wesen im Mittelpunkt. Zwar war der einzige Vorgesetzte, dem er Rede und Antwort stehen musste, der Präsident der Vereinigten Staaten, aber seit seinem Amtsantritt wurde er das Gefühl nicht los, dass die wahre Entscheidungsgewalt nicht bei ihm, sondern bei jemand ganz anderem lag, und zwar bei dieser Gruppe kleiner grauer Wesen, deren Anführer sein Büro momentan in eine Art Gaskammer verwandelte. Tylo war der Wortführer der Grauen und darüber hinaus der Unerträglichste der Sechsergruppe: arrogant, überheblich und hinterhältig. Die anderen fünf Außerirdischen waren nette und umgängliche Wesen. Ihr Aussehen unterschied sich zwar drastisch von dem der Menschen, aber was ihren Charakter anging, konnte man viele Parallelen zwischen dieser fernen Rasse und den Bewohnern der Erde ziehen. Wie bei den Menschen konnte man auch bei dieser grauen Spezies gute und böse Charaktere unterscheiden und Tylo hatte sich im Laufe seines langen Lebens eindeutig auf die Seite des Bösen geschlagen! Davon war Willis felsenfest überzeugt.

»Sind Sie sicher, dass das die Wahrheit ist, General Willis? Sie wissen, dass Sie auf Anordnung des Präsidenten zu engster Zusammenarbeit mit uns und zur vollen Unterstützung des Projektes verpflichtet sind«, erklärte das graue Wesen, ein Abbild der Außerirdischen, deren Bilder Mitte letzten Jahrhunderts durch alle Medien gingen. Er trug wie alle Schiffbrüchigen des Weltalls, so nannte sie Willis ab und zu, einen anliegenden silberfarbenen Overall.

»Ich bestätige Ihnen erneut, dass uns von keiner offiziellen oder inoffiziellen Stelle die Sichtung eines Ufos gemeldet wurde«, antwortete der General gereizt.

»Umso besser! Sicher können Sie sich vorstellen, dass auch wir unsere Feinde haben, General Willis.«

Es folgte ein Zug an der Zigarre, danach die übliche Rauchwolke und das dadurch hervorgerufene Husten des Generals.

»Feinde, die sehr mächtig und sehr bösartig sind, Feinde, die nicht eine Sekunde zögern würden, diesen Planeten zu zerstören, um uns zu schaden. In ein paar Monaten, wenn unser Projekt abgeschlossen ist, müssen wir niemanden mehr fürchten, nicht einmal den gefährlichsten Feind. Aber bis zu diesem Moment benötige ich Ihre uneingeschränkte Zusammenarbeit, General.«

»Die Sie bis zum heutigen Tag stets erhalten haben, Tylo. Oder können Sie etwas Gegenteiliges behaupten?«, erwiderte der General und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, fort. »Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Ihre Wünsche stets und ich denke zur vollsten Zufriedenheit erfüllt wurden!«

»General, ich habe Verständnis, dass wir Ihnen als Außerirdische weder sympathisch sind noch Ihr volles Vertrauen genießen, aber Sie benötigen, wie die gesamte Erde, unsere Unterstützung. Daher möchte ich Ihnen einen Rat geben: lassen Sie die Vernunft spielen!«, beendete der Graue das Gespräch, drückte seine Zigarre im Aschenbecher aus und ging zur Tür.

» Auf Wiedersehen, General Willis …. und …. grüßen Sie den Präsidenten von mir!« Dann schloss er die Tür hinter sich und ließ den General inmitten einer Wand dichter Rauchschwaden zurück.

Willis sprang hinter dem Schreibtisch auf, durchquerte hastig das Büro und riss beide Flügel des großen Fensters auf, um etwas Sauerstoff in seine Lungen zu pumpen. Er atmete einige Male tief durch und kehrte dann erleichtert zum Schreibtisch zurück.

Dieser miese kleine graue Zwerg! Bei jedem Besuch verpestete er das Büro mit dem Qualm seiner Zigarre. Seit Jahren wickelte Tylo den Präsidenten mit falschen Versprechungen um den Finger. Das Weltall bevölkern und Amerika zur größten Macht des Universums machen! Einfach lächerlich! Wie konnte der Präsident diesem verlogenen Wesen nur Glauben schenken? Wie konnte er ihn seit Jahren unterstützen, ohne die Gewissheit zu haben, welche Pläne Tylo in Wirklichkeit verfolgte. Willis war fest davon überzeugt, dass hinter all diesen Versprechungen etwas ganz anderes steckte, ein Vorhaben, über das weder der Präsident noch er selbst in Kenntnis gesetzt wurden, ein Plan, den man bewusst vor ihnen verborgen hielt.

Sicher, die sechs Grauen hatten ihnen in vielen Bereichen große Fortschritte gebracht. Das musste er zugeben. Sie hatten das Militär über Technologien in Kenntnis gesetzt, von denen die Menschheit vorher nur träumen konnte … und es außerhalb des Stützpunktes weiterhin tat. Denn diese neuen Errungenschaften wurden der Öffentlichkeit zeitversetzt und nur in kleinsten Kostproben näher gebracht. Aber der Preis für diese Informationen war sehr hoch, seiner Ansicht nach viel zu hoch!

Willis sah auf die Uhr. Es war fast zehn und er musste sich beeilen, denn Washington war ihnen drei Stunden voraus. An jedem normalen Arbeitstag des Präsidenten ohne Reisen, Besuche, Ansprachen oder andere politische Verpflichtungen stand nach dem Mittagessen ein täglicher Informationsaustausch mit Willis auf dem Plan. So setzte sich der General an den Computer und bereitete das Online Gespräch mit Washington vor. Eine Minute später erschien der Oberkörper des Präsidenten, der einige tausend Meilen entfernt hinter seinem Schreibtisch saß, auf dem Monitor.

»Guten Tag Willis? Gibt es Neuigkeiten?«

»Guten Morgen, Herr Präsident!«, grüßte der Militär höflich. »Tylo hat gerade mein Büro verlassen. Ich habe ihm bestätigt, dass es nicht das geringste Anzeichen für die Landung eines außerirdischen Flugobjektes gibt.«

»Sind Sie absolut sicher, General?«

»Ja, Sir! Keiner unserer Standorte konnte die Annäherung eines nicht identifizierbaren Flugkörpers bestätigen!«

»Sehr gut, das beruhigt mich. Dann können wir plangemäß weiterarbeiten!«

»Sir, ich traue diesen Wesen nicht. Sie führen irgendetwas im Schilde! Meiner Meinung nach versuchen sie, Pläne zu realisieren, von denen wir nicht die geringste Ahnung haben«, sagte Willis aufgebracht. »Sie halten sich immer häufiger außerhalb der von uns bewachten Zone auf.«

»General, bitte beruhigen Sie sich! Die Grauen werden vierundzwanzig Stunden lang rund um die Uhr bewacht. Wir lassen sie nie aus den Augen. Sie können nicht einmal auf die Toilette gehen, ohne dass wir darüber informiert sind. Außerdem sind sie zu sechst. Zu sechst, Willis! Sechs Graue gegen eine Nation wie Amerika … was sollen so wenige graue Gestalten schon gegen ein Land wie das unsere unternehmen?«, entgegnete der Präsident mit einem Lächeln auf den Lippen und lehnte sich selbstzufrieden in die Lehne seines enormen Ledersessels zurück. »Wissen Sie, was ich glaube, Willis? Dass diese kleinen Kreaturen uns sehr dankbar sind, dankbar für all das, was wir in den letzten Jahren für sie getan haben, was die Vereinigten Staaten Amerikas für sie getan haben. Sie wurden von uns aufgenommen, als sie in Not waren, wir haben ihnen als freundliche Gastgeber einen Ort zur Verfügung gestellt, an dem sie in Ruhe und Sicherheit leben können. Wir haben sie vom ersten Moment an bei ihrem Vorhaben unterstützt, ihre Heimat wiederzusehen, den Planeten, von dem sie gekommen sind und auf den sie ohne unsere Hilfe niemals zurückkehren könnten.«

Während er diese Worte aussprach, veränderte sich der Gesichtsausdruck des Präsidenten langsam. Dann richtete er den Oberkörper auf, um eine fast majestätische Haltung einzunehmen, und fuhr fort:

»Wir werden mit ihnen gehen! Die Sterne, Willis, die Sterne werden uns gehören!«

Am anderen Ende der Leitung rutschte der General unruhig auf seinem Sessel hin und her. Wie schon oft während dieser Gespräche – viel zu oft und immer öfter – begann der Präsident, ihm eine völlig absurde futuristische Vision zu schildern. Jedes Mal musste Willis die Beherrschung bewahren, um die übertriebene Verherrlichung Amerikas und den zunehmenden Größenwahn des Präsidenten zu ertragen.

»General, es handelt sich bei diesen kleinen Wesen um eine uralte Rasse, die in einigen Jahren aussterben wird. Nur wenige von ihnen haben überlebt und sie sind nicht in der Lage sich fortzupflanzen. Danach sind wir an der Reihe! Die Amerikaner werden ihre Nachfolger im Weltall werden. Wir sind ein junges Volk, voller Kraft und Energie, das diesem alten Universum neuen Schwung verleihen wird. Ich bin überzeugt, dass all dies im Schicksal dieser Nation geschrieben steht. Es kann kein Zufall sein, dass unsere Flagge als Sternenbanner bezeichnet wird. Vielleicht hatte derjenige, dem wir den Entwurf zu verdanken haben, bereits eine gewisse Vorahnung!«

Dann lehnte sich der Präsident erneut zurück und schloss die Augen, so dass er nicht das verzweifelte Gesicht des Generals wahrnehmen konnte.

Nicht schon wieder diese Geschichte! fuhr es Willis durch den Kopf. Ich ertrage das einfach nicht mehr!

»So würde sich ein Traum verwirklichen, den ich vor sehr vielen Jahren hatte«, fuhr der Präsident verzaubert fort. » Habe ich Ihnen von dieser Vision überhaupt schon einmal erzählt, Willis? Wissen Sie, jedes Mal wenn ich als Kind die amerikanische Flagge betrachtete, begannen sich die Sterne in meiner Phantasie zu vervielfältigen. Sie wurden immer zahlreicher, immer größer, sie strahlten immer heller und heller … bis sie in ihrer Vielfalt funkelnd am Firmament zu sehen waren und das Weltall erleuchten ließen.«

Langsam öffnete er nach einer kurzen Pause die Augen, um in die Realität, besser gesagt in seine Realität, zurückzukehren.

»Mein lieber Willis, verstehen Sie nun die Bedeutung dieser kleinen Wesen? Sie werden die Geschichte unserer Nation verändern, die Zukunft und das Schicksal unseres geliebten Landes maßgebend beeinflussen! In nur wenigen Monaten wird der Traum meiner Kindheit Wirklichkeit werden.«

Dann setzte er sich vollständig auf, nahm die gewohnte Haltung eines übergeordneten Vorgesetzten ein und räusperte sich.

»General, ich habe nun leider einen wichtigen Termin. Bitte befolgen Sie weiterhin meine Anordnungen und unterstützen Sie die Kreaturen in allen Belangen. Sie haben sicher die Bedeutung meiner Worte verstanden?«

»Ja, Sir, ich habe verstanden!«

»Gut, Willis, dann bis morgen!«, schloss er das Gespräch und stand auf.

»Dieses Militär!«, dachte er bei sich, »Gott sei Dank gibt es uns Politiker, die einzigen, die die Moral und die Intelligenz der Nation auf hohem Niveau halten.«

Dann zog er eine riesige Zigarre aus der Innentasche seiner Jacke, drückte kurz auf einen Knopf der Sprechanlage und zitierte seine Sekretärin zu sich. Ein paar Sekunden später trat eine mit allen weiblichen Attributen ausgestattete junge Blondine ins Zimmer und ging mit wiegenden Hüften auf den Präsidenten zu.

»Komm her, meine Liebe! Der tägliche Konferenz Call mit dieser Nervensäge von General ist beendet und wir können weitermachen, wo wir vorhin unterbrochen wurden!«

Dann hob er lächelnd die Zigarre nach oben und sagte süffisant:

»Schau nur Carol, die hier ist größer als die von Bill!«

8

Als die ersten elektrischen Impulse der Neuronen über die Nervenstränge zu den Synapsen und dann weiter zu den Muskeln gelangten, kehrte Leben in Pauls Körper zurück. Nach einigen kurzen Zuckungen begann sein Herz wieder zu schlagen. Es pumpte die neue Körperflüssigkeit über die großen Gefäße bis hin zu den weitverzweigten Kapillaren und die Organe nahmen ihre gewohnte Arbeit auf, so wie sie es, bis auf diese kurze Unterbrechung, dreißig Jahre lang getan hatten. Nur taten sie es diesmal unter völlig neuen Voraussetzungen.

Die Behandlung war beendet und die beiden Ärzte beobachteten angespannt das Erwachen ihres Patienten. Paul besaß die typischen Merkmale eines Mannes, der niemals in seinem Leben körperlich gearbeitet hatte. Sein feingliedriger Körper war von einer glatten Haut, weiß wie Porzellan, überzogen, die Hände, die auf der Bettdecke lagen, endeten in zehn langen schmalen Fingern. Er hatte das faltenlose Gesicht eines Jugendlichen und seine dunkelbraunen Haare, die sich in leichten Locken eigenwillig ihren Weg suchten, hoben sich von seinem zarten hellen Teint ab. Die Augäpfel zuckten zunächst unruhig unter den geschlossenen Lidern, bis die Augen sich langsam öffneten. Die Pupillen inmitten der tiefbraunen Augen weiteten sich zunächst einige Sekunden, um dann zu ihrer normalen Größe zurückzukehren und die weiße Decke über ihnen zu fixieren. Dann suchten seine Augen neue Anhaltspunkte und blieben schließlich verständnislos auf den beiden Ärzten liegen, die neben dem Bett standen.

»Hallo Paul, wie fühlst du dich? Alles in Ordnung?«, fragte die Ärztin, die sich über den erwachten Körper beugte und mit einer kleinen Lichtquelle die natürlichen Reflexe der Pupillen prüfte.

Der Patient namens Paul antwortete nicht. Er schien abwesend zu sein, verwirrt und ohne jegliche Orientierung. Die Ärztin legte eine Hand auf Pauls Arm, der bei der Berührung leicht zusammenzuckte. Pauls Augen betrachteten die Hand, die auf seinem Arm ruhte und wanderten dann über den Ellenbogen und die Schulter bis hin zum Gesicht ihrer Besitzerin. Einen Augenblick später huschte der Hauch eines Lächelns über Pauls Mund und er begann zu sprechen:

»Hallo Doktor Smith, was ist passiert, wo bin ich?«

»Du hattest einen kleinen Arbeitsunfall, Paul, aber nichts Dramatisches, Gott sei Dank!«, erwiderte die Ärztin und lächelte ihr medizinisches Kunstwerk zufrieden an.

»Du bist von einem zwei Meter hohen Gerüst herunter gefallen und hattest das Bewusstsein verloren«, fuhr ihr männlicher Kollege und Ehemann fort.

»Wir haben dich vorsichtshalber für einen kurzen Check ins Krankenhaus gebracht. Aber es scheint alles in Ordnung zu sein. Keine Fraktur, keine Gehirnerschütterung. Wir können dich heute noch entlassen.«

Die beiden Ärzte gingen zur Tür.

»Ach Paul, kannst du dich bitte ankleiden. In ein paar Minuten kommen zwei Pfleger und holen dich ab, um einige Tests durchzuführen. Wenn alles mit dir okay ist, bringen sie dich auf den Stützpunkt zurück.«

Die beiden nickten Paul ein letztes Mal zuversichtlich zu und verließen das Zimmer.

»Hoffentlich hat es diesmal geklappt! Wir müssen ihn noch ein paar Stunden unter Beobachtung halten«, sagte Smith, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Es ist unglaublich, was wir in den letzten Monaten erreicht haben, Amely. Ich habe wirklich daran gezweifelt, dass wir es schaffen. Dies ist ein riesiger Schritt in der Entwicklung der Menschheit, eine der bedeutendsten Entdeckungen der modernen Medizin. Das Einzige, was mich belastet, ist die Tatsache, dass wir mehrere namenlose Körper für unsere Experimente benutzt haben. Aber bei jeder großen wissenschaftlichen Errungenschaft mussten Opfer gebracht werden«, fuhr er fort und legte einen Arm um die Schulter seiner Partnerin. »In ein paar Tagen ist das Projekt beendet. Nach einem Jahr ununterbrochener Arbeit ist es uns gelungen, die Menschheit einen Schritt weiter zu bringen.«

»Du hast recht, Frank, wir können stolz auf unsere Arbeit sein,« sagte die Ärztin und legte den Kopf zärtlich an seine Schulter. »Aber nun lass uns weitermachen. Viel Zeit bleibt uns nicht und es fehlen noch etliche Exemplare!«

Sie befreite sich aus der Umarmung und betrat, gefolgt von ihrem Ehemann, das nächste Zimmer.

Paul war aufgestanden und kleidete sich langsam an: zunächst die Unterwäsche, dann die Strümpfe, das T-Shirt und zuletzt das graue Overall. Während er ein Kleidungsstück nach dem anderen anlegte, versuchte er, sich die Geschehnisse der letzten Stunden ins Gedächtnis zurückzurufen. Aber es fiel ihm sehr schwer, da sich eine dicke Nebelschicht zwischen Gegenwart und Vergangenheit geschoben hatte. Daran war sicherlich der Sturz schuld!

Das Overall erinnerte ihn an seinen momentanen Arbeitsplatz, wo er als Elektriker arbeitete. Ja, als Elektriker! Aber woran arbeitete er? Ach ja, an einem Ufo! Wieso an einem Ufo? Um den Grauen zu helfen! Wer sind die Grauen? Fragen und Antworten folgten einander in kurzem Schlagabtausch und ergaben bald eine zusammenhängende, plausible Geschichte.