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Der Rhodesian Ridgeback gehört seit vielen Jahren zu den beliebtesten Hunderassen in Deutschland, und seine Fangemeinde wächst stetig weiter. Kein Wunder, ist er doch ein ausgesprochen schöner Hund mit einer starken Persönlichkeit. Doch wie steht es eigentlich um die Gesundheit der Rasse? Ist der Ridgeback noch immer der robuste Löwenjäger von früher? Oder breiten sich immer mehr Erbkrankheiten in der Rasse aus? Beides ist richtig. Wie in fast jeder Hunderasse gibt es auch beim Rhodesian Ridgeback genetisch bedingte Erkrankungen, die für diese Rasse typisch sind und häufiger auftreten als in anderen Rassen. Aber viele dieser Erkrankungen sind kein Schicksalsschlag, sondern lassen sich durch eine kluge und verantwortungsvolle Zucht vermeiden. Ein Ridgeback aus einer seriösen Zuchtstätte hat gute Chancen auf ein langes, gesundes Leben. Welche Erbkrankheiten gibt es denn überhaupt beim Rhodesian Ridgeback? Mit welcher Zuchtstrategie kann die Geburt kranker Welpen verhindert werden? Und was bedeutet es für den Hundehalter, wenn sein Hund an einer der rassetypischen Erkrankungen leidet? Fachlich fundiert und gut lesbar beantwortet das Buch diese und weitere Fragen zu diesem komplexen Thema.
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Seitenzahl: 131
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Für Flynn
Einleitung
Erbkrankheiten und Rassedispositionen
Grundlagen der Vererbung
Autosomal-dominanter Erbgang
Autosomal-rezessiver Erbgang
X-chromosomal-rezessiver Erbgang
Polygener Erbgang
Penetranz und Expressivität
Der DLA-Komplex
Gentests
Genomweite Assoziationsanalyse (GWAS)
Genetische Vielfalt
Zuchtstrategien
Zuchtstrategie bei autosomal-rezessiver Vererbung
Zuchtstrategie bei autosomal-dominanter Vererbung
Zuchtstrategie bei X-chromosomaler Vererbung
Zuchtstrategie bei polygener Vererbung
Spezielle Krankheitsdispositionen beim Rhodesian Ridgeback
Canine Atopische Dermatitis (CAD, Umweltallergie)
Dermoid Sinus
Hämophilie B
Hypothyreose
Juvenile Myoklonische Epilepsie (JME)
Mastzelltumor
Rhodesian-Ridgeback-Taubheit
Symmetrische Lupoide Onychodystrophie (SLO)
Ventrikuläre Arrhythmie
Allgemeine Prädispositionen bei großen Rassen
Degenerative Myelopathie (DM)
Dilatative Kardiomyopathie (DCM)
Ellbogendysplasie (ED)
Hüftgelenksdysplasie (HD)
Lumbosakrale Übergangswirbel (LÜW)
Cauda Equina Syndrom (CES)
Magendrehung
Osteochondrosis dissecans der Schulter (OCD)
Nachwort
Glossar
In jeder Hunderasse gibt es Krankheiten, die in dieser deutlich häufiger auftreten als bei anderen Hunden. Manche der Krankheitsdispositionen sind so typisch, dass sie nach der Rasse benannt wurden, in der sie vorkommen. Beispiele dafür sind der »Schottenkrampf« beim Scottish Terrier oder das »Dancing Dobermann Syndrom«, das nur beim Dobermann und anderen Pinschern auftritt. Beides sind neurologische Erkrankungen.
Auch beim Rhodesian Ridgeback gibt es mit der Juvenilen Myoklonischen Epilepsie (JME), der Rhodesian Ridgeback Taubheit (EOAD) und der Rhodesian Ridgeback Inherited Ventricular Arrhythmia (RRIVA) mehrere erbliche Krankheiten, die bisher nur in dieser Rasse nachgewiesen wurden.
Trotzdem ist der Ridgeback eine recht gesunde Rasse. Im Vergleich zu anderen Hunderassen ist die Zahl der genetisch bedingten Erkrankungen überschaubar, und die meisten dieser Krankheiten lassen sich durch eine verantwortungsvolle Zuchtplanung vermeiden. Mit zunehmendem Wissen über die genetische Grundlage vieler Erkrankungen und der Entwicklung von Gentests haben wir heute wirkungsvolle Werkzeuge in der Hand, um Erbkrankheiten zu bekämpfen. Alle seriösen Zuchtverbände verlangen vor der Zuchtzulassung genetische oder standardisierte medizinische Untersuchungen der Elterntiere, um gesunde Welpen zu erhalten. Viele Züchter gehen freiwillig über die Vorgaben der Vereine hinaus und lassen zusätzliche Gentests oder Untersuchungen ihrer Hunde durchführen, bevor sie sie zur Zucht einsetzen. Genetische Erkrankungen mit einem einfachen Erbgang lassen sich auf diese Weise zuverlässig vermeiden. Der Käufer eines solchen Welpen kann sicher sein, dass sein Hund nicht an einer dieser Krankheiten leiden wird.
Bei Erkrankungen mit einem komplexen Erbgang, wie er bei vielen orthopädischen Problemen oder immunologischen Störungen vorliegt, ist die Bekämpfung schwieriger. Auch in diesen Fällen kann aber durch ein breit angelegtes medizinisches Screening möglichst vieler Hunde, nicht nur der zur Zucht eingesetzten Tiere, das Risiko für die Nachkommen reduziert werden. So hat sich in allen Rassen, bei denen seit vielen Jahren Röntgenuntersuchungen der Hüften auf Hüftgelenksdysplasie (HD) vorgeschrieben sind, die Situation in Bezug auf diese Erkrankung verbessert. Bei Rhodesian Ridgebacks aus einer kontrollierten Zucht tritt HD heute nur noch selten und so gut wie nie in einer schweren Form auf. Bei der Ellbogendysplasie (ED) sieht es beim Ridgeback noch besser aus. Er gilt als praktisch ED-frei, was für einen so großen Hund bemerkenswert ist.
Auch bei diesen komplex vererbten Erkrankungen macht die genetische Forschung große Fortschritte. Vermutlich wird es in naher Zukunft möglich sein, mit Hilfe der genomweiten Assoziationsanalyse das genetische Risiko einzelner Hunde schon früh und zuverlässig zu erkennen. Die züchterische Bekämpfung dieser Krankheiten wird dann einen großen Schritt vorankommen.
Warum aber entsteht trotz dieser Fortschritte der Eindruck, dass unsere Hunde immer kränker werden? Vor allem immunologische und Tumorerkrankungen, die eine genetische Grundlage haben, scheinen deutlich zuzunehmen.
Zum einen liegt das daran, dass die genetische Grundlage vieler dieser Erkrankungen erst vor kurzem erkannt wurde. Die Mechanismen ihrer Vererbung sind kompliziert und häufig noch unbekannt, was eine gezielte züchterische Bekämpfung erschwert.
Zum anderen hat sich die Produktion von Hundewelpen längst als lukratives Geschäft erwiesen. Etwa zwei Drittel aller Rassewelpen werden außerhalb der seriösen Zuchtverbände und somit meist ohne Kontrolle gezüchtet. Im besten Fall erblicken sie bei einem Liebhaber der Rasse das Licht der Welt, der gelegentlich einen Wurf junger Hunde großziehen möchte, jedoch den Aufwand und die Kosten einer kontrollierten Zucht scheut. Wenn beide Elterntiere von verantwortungsvollen Züchtern stammen, ist das Risiko für die Nachkommen noch überschaubar.
Kann aber bereits die Herkunft der Eltern nicht nachvollzogen werden, ist der Kauf eines solchen Welpen riskant. Niemand, der mit der Produktion von Hunden Geld verdienen möchte, lässt bei seinen Tieren teure genetische oder medizinische Untersuchungen durchführen. Ob die auf diese Weise entstandenen Welpen gesund sind oder ein Leben lang unter vermeidbaren Krankheiten leiden, interessiert kaum. Nur wenige der Welpenkäufer leiten juristischen Schritten gegen den Züchter ein, wenn ihr Welpe an einer Krankheit leidet, die ein Gentest bei den Eltern vorhergesagt hätte. Oft ist den betroffenen Hundehaltern auch nicht bewusst, dass die Erkrankung ihres Tieres durch eine verantwortungsvolle Zuchtplanung verhindert worden wäre. In Internetforen und im Bekanntenkreis berichten sie über die Leidensgeschichte ihres Hundes und sehen die Schuld bei der vermeintlich kranken Rasse. Über die Herkunft des Hundes wird oft geschwiegen.
Es wäre jedoch falsch, die Verantwortung für die zunehmende Zahl von Erbkrankheiten unter unseren Hunden nur bei profitorientierten Welpenproduzenten zu sehen. Auch jeder Welpenkäufer entscheidet darüber, welche Art von Zucht er mit dem Kauf seines Hundes unterstützt. Und darüber, welche Risiken er mitkauft.
Wer die Chance auf einen gesunden, charakterfesten Welpen haben möchte, sollte ihn sich bei einem Züchter holen, der in einem anerkannten Verband züchtet.
Im Tierschutz gibt es nur selten reinrassige Welpen. Und falls doch, stammen diese niemals aus einer seriösen Zucht. Die meisten dieser Hunde wurden vom Veterinäramt beschlagnahmt, weil sie entweder illegal nach Deutschland gebracht oder hier im Land unter tierschutzwidrigen Bedingungen gezüchtet wurden. Auch diese Welpen brauchen ein Zuhause, und Tierschutzorganisationen sind eine gute Quelle für den Erwerb eines Hundes. Aber auch bei Welpen aus dem Tierschutz besteht ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Probleme und Verhaltensauffälligkeiten. Der Unterschied liegt darin, dass man mit dem Erwerb eines solchen Hundes eine gute Sache unterstützt und nicht einen verantwortungslosen Welpenproduzenten.
***
Mit meinem Buch richte ich mich an Züchter und Liebhaber des Rhodesian Ridgebacks, denen die Gesundheit dieser Rasse am Herzen liegt.
Meine Informationen zu den rassetypischen Krankheiten habe ich in erster Linie aus wissenschaftlichen Studien bezogen, in denen eine Rassedisposition für eine bestimmte Erkrankung beim Rhodesian Ridgeback bestätigt wurde. Krankheiten, bei denen eine Prädisposition zwar vermutet wird, für die es aber noch keine Belege in Form einer Studie gibt, habe ich nicht berücksichtig.
Leser, die sich für die ausgewerteten Original-Studien interessieren, finden unter den jeweiligen Kapiteln die Literaturangaben.
Alle Erkrankungen, die eine genetische Grundlage haben, werden als Erbkrankheiten bezeichnet. Unser Wissen über die molekularen Mechanismen der Vererbung hat in den zurückliegenden Jahren enorm zugenommen. Es zeigt sich, dass wesentlich mehr Krankheiten eine genetische Grundlage haben, als wir ursprünglich dachten. Zurzeit stehen wir noch am Anfang einer Forschung, die in kurzen Abständen immer neue, faszinierende Erkenntnisse liefern wird.
Krankheiten, die in einer bestimmten Rasse wesentlich häufiger auftreten als im Durchschnitt aller Hunde, werden als Rassedispositionen (oder Rasseprädispositionen) bezeichnet. Eine besondere Gruppe dieser Erkrankungen sind solche, die direkt mit dem Rassestandard zusammenhängen und als Rassedisposition im eigentlichen Sinn gelten. Beim Rhodesian Ridgeback fällt der Dermoid Sinus in diese Gruppe, dessen Auftreten in enger Verbindung mit dem charakteristischen Ridge dieser Rasse steht.
Woran aber erkennt man, dass eine Erkrankung eine genetische Ursache hat? Nicht immer zeigen sich Erbkrankheiten schon gleich nach der Geburt. Umgekehrt können angeborene Erkrankungen auch nicht-genetische Ursachen haben, zum Beispiel eine Infektion oder Vergiftung der Welpen im Mutterleib. Es ist darum nicht immer leicht, zwischen einer erblich bedingten und einer erworbenen Krankheit zu unterscheiden.
Verdächtig ist es, wenn eine Erkrankung unter verwandten Tieren häufiger auftritt als im Durchschnitt der gesamten Population. Die meisten Erbkrankheiten zeigen sich schon bei jungen Tieren. Wenn sie nicht bereits bei der Geburt erkennbar sind, treten die ersten Symptome oft in einem bestimmten Alter auf, wie es zum Beispiel bei der Rhodesian Ridgeback Taubheit der Fall ist.
Der genetische Code wird bei allen Säugetieren auf einem langen Molekül mit dem Namen Desoxyribonukleinsäure (DNS, oder auch DNA nach der englischen Bezeichnung deoxyribonucleic acid) gespeichert, das sich zu einer Doppelhelix aus zwei Strängen formiert und im Zellkern jeder Zelle vorkommt. Bestimmte Abschnitte der DNA bilden funktionelle Einheiten, die Gene. Während einige, die so genannten kodierenden Gene, für die Produktion von Proteinen zuständig sind, haben andere Abschnitte eine regulierende Funktion und steuern die Aktivität der kodierenden Gene.
Die einzelnen DNA-Stränge liegen im Zellkern in Form von Chromosomen vor, die jeweils paarweise vorhanden sind. Eine dieser Kopien stammt von der Mutter, die andere vom Vater. Diese paarweise vorliegenden Chromosomen werden als autosome Chromosomen bezeichnet. Die beiden Partner eines Chromosomenpaares nennt man homolog.
Lediglich die beiden Geschlechtschromosomen X und Y sind unpaar. Sie bestimmen das Geschlecht des Hundes und liegen bei einer Hündin in der Kombination XX und beim Rüden in der Kombination XY vor.
In den Samen- und Eizellen wird durch eine spezielle Zellteilung der doppelte Chromosomensatz auf einen einfachen Satz reduziert, der dann bei der Verschmelzung der Zellen während der Befruchtung wieder zu einem doppelten Satz zusammengefügt wird. Die ehemals mütterlichen und väterlichen Chromosomen werden während der Teilung rein zufällig auf die Keimzellen verteilt. Bei den neununddreißig Chromosomenpaaren eines Hundes ergeben sich daraus 392oder 1521 mögliche Kombinationen.
Zusätzlich können zwei homologe Chromosomen untereinander DNA-Fragmente austauschen, so dass das neue Chromosom sowohl väterliche als auch mütterliche Anteile enthält. Dieser Prozess, die homologe Rekombination, kommt nicht selten vor und führt zu weiterer genetischer Vielfalt.
Auch, wenn jeder Hund höchstens zwei Versionen eines Gens tragen kann, können innerhalb der Population sehr viel mehr Varianten existieren. Alle diese Varianten eines Gens werden als Allele bezeichnet.
Die beiden Allele eines Tieres können entweder identisch (homozygot) sein oder in zwei unterschiedlichen Varianten (heterozygot) vorliegen. Je enger die Eltern miteinander verwandt sind, umso größer ist der Anteil an homozygoten Genen unter ihren Nachkommen.
Bei einem heterozygoten Paar agieren beide Gene auf unterschiedliche Weise miteinander. Normalerweise ist eines der Allele dominant über das andere und bestimmt allein die Struktur des kodierten Proteins und damit die Ausprägung des Merkmals. Das rezessive Gen tritt nicht in Erscheinung. Es gibt auch Fälle, in denen beide Gene eine gleich große Rolle bei der Merkmalsausprägung spielen. Dann spricht man von einem intermediären Erbgang oder von Co-Dominanz. Die Merle-Färbung einiger Hunde ist ein Beispiel für einen solchen Erbgang.
Manche Krankheiten oder Eigenschaften, wie zum Beispiel der Ridge des Rhodesian Ridgebacks, werden durch ein einziges Gen mit einem einfachen, autosomal-dominanten Erbgang vererbt.
Weil sich das Gen bei einem autosomalen Erbgang auf einem der achtunddreißig Autosomenpaare befindet, wird es unabhängig vom Geschlecht weitergegeben.
Für die Ausprägung eines dominanten Merkmals reicht es, wenn das entsprechende Gen in einfacher Ausführung vorhanden ist. Heterozygote Hunde, die sowohl das dominante als auch das rezessive Gen besitzen, sind äußerlich nicht von den für das dominante Gen homozygoten Hunden zu unterscheiden.
Tiere, die für das rezessive Gen homozygot sind, zeigen das entsprechende Merkmal nicht und können es auch nicht vererben.
Ein typisches Kennzeichen des autosomal-dominanten Erbgangs ist, dass mindestens ein Elternteil das entsprechende Merkmal aufweisen muss, damit es bei den Nachkommen auftreten kann. Ein Überspringen von einer oder mehreren Generationen ist nicht möglich.
In der Hundezucht spielen dominant vererbte Krankheiten kaum eine Rolle, weil sie leicht erkennbar sind und die betroffenen Tiere nicht zur Zucht eingesetzt werden.
Bei einem autosomal-rezessiven Erbgang wird das Merkmal ebenfalls geschlechtsunabhängig vererbt. Allerdings wird die entsprechende Eigenschaft oder Krankheit nur dann manifest, wenn das Gen auf beiden homologen Autosomen vorliegt. Es erkranken also nur homozygote Tiere.
In der Regel sind die Eltern selbst nicht erkrankt, sondern nur heterozygote Träger des defekten Gens. Anders als bei einem dominanten Erbgang kann eine rezessiv vererbte Krankheit über viele Generationen unerkannt weitergegeben werden, bis durch Zufall zwei Träger des rezessiven Gens miteinander verpaart werden. Dann treten unter den Nachkommen wie aus heiterem Himmel etwa fünfundzwanzig Prozent erkrankte Tiere auf, die für das rezessive Gen homozygot sind.
Eine typisch autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung des Rhodesian Ridgebacks ist die Juvenile Myoklonale Epilepsie.
Weil Rüden mit ihrem Chromosomenpaar XY das X-Chromosom nur einmal besitzen, kommen bei ihnen auch alle Gene, die auf diesem Chromosom liegen, nur einmal vor und wurden ihnen von der Mutter vererbt. Bei Hündinnen mit ihrem Chromosomenpaar XX liegen auch X-chromosomale Gene doppelt vor.
Wird eine Krankheit, wie zum Beispiel die Hämophilie B, durch eine X-chromosomale Mutation verursacht, erkranken alle Rüden, die von diesem defekten Gen betroffen sind. Hündinnen können bei einem rezessiven Erbgang die Mutation durch das gesunde Gen auf ihrem zweiten X-Chromosom kompensieren und erkranken darum nicht. Sie vererben das mutierte Gen aber an fünfzig Prozent ihrer Nachkommen weiter. Alle ihre Töchter sind gesund, fünfzig Prozent von ihnen sind jedoch Trägerinnen des defekten Gens. Die Hälfte ihrer männlichen Nachkommen ist krank. Keiner ihrer gesunden Söhne besitzt das mutierte Gen.
Weil bei einer X-chromosomalen Vererbung die betroffenen Rüden durch ihre Erkrankung immer als Träger des mutierten Gens erkannt werden können, werden sie nicht zur Zucht eingesetzt. Je nach Art der Erkrankung sterben viele von ihnen schon früh.
Hündinnen, die das defekte Gen tragen, werden meist erst dann erkannt, wenn unter ihren männlichen Nachkommen die Erkrankung auftritt. Ob ihre Töchter Trägerinnen der Mutation sind, kann nur durch einen Gentest festgestellt werden, sofern ein solcher für das betroffene Gen bereits existiert.
Bei einigen Krankheiten ist die Vererbung wesentlich komplexer, weil entweder mehrere Gene an ihrem Auftreten beteiligt sind oder weil die Interaktion zwischen verschiedenen Genen sowie die Umweltbedingungen des Hundes bei der Ausprägung der Erkrankung eine Rolle spielen. So sind zum Beispiel an der Entwicklung der Hüftgelenksdysplasie viele unterschiedliche Gene beteiligt. Wie stark die Hüften später tatsächlich geschädigt sind, hängt auch von externen Faktoren wie der Fütterung und der körperlichen Belastung des Junghundes ab.
Viele polygen vererbte Krankheiten besitzen einen Schwellenwert. Sie treten nur dann in Erscheinung, wenn die Anzahl der geschädigten Gene plus der möglichen negativen Lebensumstände einen bestimmten Wert überschreiten. Die Ausprägung der Merkmale ist bei den betroffenen Hunden unterschiedlich und reicht von sehr gering bis sehr stark.
Typisch für einen polygenen Erbgang ist eine familiäre Häufung der Erkrankung, ohne dass die Zahlen denen eines einfachen monogenen Erbgangs entsprechen.
Manchmal kommt es vor, dass sich auch dominante Merkmale nicht im Erscheinungsbild eines Tieres zeigen, obwohl die genetische Voraussetzung dafür vorhanden wäre. Dann spricht man von einer unvollständigen Penetranz dieses Gens. Es handelt sich dabei um ein »alles oder nichts«-Phänomen: entweder zeigt das Tier dieses Merkmal oder nicht.
Wenn ein und dasselbe Gen in verschiedenen Individuen unterschiedlich stark ausgeprägte Merkmalsvarianten zeigt, spricht man von variabler Expressivität dieses Gens.
Der Grund für eine unvollständige Penetranz oder Expressivität von Genen ist in den meisten Fällen nicht bekannt. Sie können sowohl Eigenschaften des Gens selbst sein als auch durch modifizierende Faktoren, wie zum Beispiel andere Gene oder Umweltbedingungen hervorgerufen werden.
Eine Erkrankung, die mit unvollständiger Penetranz vererbt wird, ist die Degenerative Myelopathie (DM). Zwar ist die entsprechende Mutation bekannt und kann nachgewiesen werden, es erkranken aber nicht alle Tiere, die homozygot für diese Mutation sind.
Die Abkürzung DLA steht für »Dog Leucocyte Antigen«. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von Genen, die für eine funktionierende Immunreaktion notwendig sind und denen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von immunologischen Erkrankungen zugeschrieben wird. Insbesondere Autoimmunerkrankungen, die durch eine fehlgeleitete Zerstörung körpereigener Zellen durch das Immunsystem entstehen, werden mit Genen des DLA-Komplexes in Verbindung gebracht.
Der DLA-Komplex umfasst drei Regionen des DNA-Strangs, die Klassen I, II und III. Gene der ersten beiden Klassen sind verantwortlich dafür, dem Immunsystem Antigene zu präsentieren und entweder eine Tolerierung oder eine Zerstörung dieser Strukturen zu initiieren. Die Aufgabe der DLA-Gene liegt also in der korrekten Unterscheidung zwischen körpereigenem und körperfremdem Gewebe und der Einleitung einer angemessenen Immunantwort.