Der rote Stier - Rex Stout - E-Book

Der rote Stier E-Book

Rex Stout

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  • Herausgeber: Klett-Cotta
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Der Plan des Restaurantbesitzers Pratt ist grausam, aber werbewirksam: Er hat den berühmtesten Zuchtbullen der USA gekauft, um ihn seinen Gästen als Beefsteak zu servieren. Bevor Pratt sein Vorhaben in die Tat umsetzen kann, wird ein Tierschützer tot in der Koppel gefunden. Der Verdacht fällt sofort auf den Stier. Doch Nero Wolfe ist überzeugt: Hier ist Mord im Spiel.   Nero Wolfe und Archie sind auf dem Weg zu einer Orchideenausstellung im ländlichen New York, als ihnen ein Reifen platzt. Unverletzt wollen sie vom nächsten Haus aus Hilfe rufen. Beim Überqueren der nahegelegenen Weide, sehen sie sich plötzlich einem roten Stier gegenüber, vor dem sie sich nur mit Mühe und Not in Sicherheit bringen können. Der Stier gehört Thomas Pratt, dem Besitzer einer Fast-Food- Kette, der ihn für phantastische 45.000 Dollar gekauft hat, um ihn zu Steaks zu verarbeiten. Doch dann wird auf der Koppel die Leiche eines jungen Mannes entdeckt. Und nur der exzentrische Privatermittler Nero Wolfe glaubt an die Unschuld des roten Stiers.  

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Seitenzahl: 392

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Rex Stout

Der rote Stier

Ein Fall für Nero Wolfe

Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch

Mit einem Nachwort von Jürgen Dollase

KLETT-COTTA

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

www.klett-cotta.de

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals im Dezember 1938 in gekürzter Form in »The American Magazine« unter dem Titel »The Red Bull« und 1939 in Romanform unter dem Titel »Some Buried Caesar« bei Farrar & Rineheart, New York, und liegt hier vollständig neu übersetzt vor.

© 1938, 1939, 1967 by Rex Stout

Nachwort © 2018 Jürgen Dollase

Für die deutsche Ausgabe

© 2018 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1669, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Umschlag: ANZINGERUNDRASP

Kommunikation GmbH, München

Unter Verwendung einer Illustration von

Dirk Schmidt, München

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-98112-4

E-Book: ISBN 978-3-608-11030-2

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Kapitel Eins

Jener sonnige Septembertag steckte voller Überraschungen. Zur ersten kam es, als ich schnell merkte, dass der Wagen sich nicht überschlagen hatte und die Windschutzscheibe ebenso wie die anderen Fenster heil geblieben waren, ich den Motor ausmachte und mich zur Rückbank umdrehte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er durch den Aufprall vom Sitz geschleudert worden war, denn ich wusste, dass er stets die Füße auf den Boden stemmte und sich am Halteriemen festklammerte, sobald das Fahrzeug sich in Bewegung setzte; womit ich allerdings gerechnet hatte, war ein alle Rekorde brechender Wutanfall. Stattdessen sah ich ihn ruhig dasitzen, und Erleichterung sprach aus seinem gewaltigen runden Gesicht – vorausgesetzt, ich kannte Nero Wolfes Gesicht gut genug, und das tat ich ganz gewiss. Verwundert starrte ich ihn an.

Er murmelte »Gott sei Dank«, als käme es aus tiefstem Herzen.

Ich fragte: »Was?«

»Ich sagte, Gott sei Dank.« Er ließ den Riemen los und fuchtelte mit einem Finger in meine Richtung. »Jetzt ist es passiert, und nun sitzen wir hier. Ich vermute, Sie wissen, zumal ich es Ihnen gesagt habe, dass mein Misstrauen und meine Abscheu gegenüber motorisierten Verkehrsmitteln teilweise auch von meiner unerschütterlichen Überzeugung herrühren, dass ihre vermeintliche Kontrollierbarkeit illusorisch ist. Vielmehr steht es in ihrer Macht, sich nach Lust und Laune, ganz wie es ihnen beliebt, zu verhalten, was sie früher oder später auch tun werden. Nun gut, dieses Exemplar hat es getan, und wir sind unversehrt. Gott sei Dank hatte seine Laune keine tödlicheren Folgen.«

»Laune, zum Teufel. Wissen Sie, was passiert ist?«

»Gewiss. Eine Laune, habe ich doch gesagt. Machen Sie schon.«

»Was soll das heißen, machen Sie schon?«

»Ich meine, fahren Sie weiter. Starten Sie das verflixte Ding und fahren Sie los.«

Ich öffnete die Tür, stieg aus und sah mir den Wagen von vorn an. Eine schöne Bescherung. Nach sorgfältiger Inspektion ging ich auf die andere Seite, öffnete die hintere Tür, sah Wolfe an und berichtete.

»Für eine bloße Laune nicht ohne. Ich möchte gern festhalten, was passiert ist, da ich Ihre Wagen seit neun Jahren fahre und zum ersten Mal die Fahrt unfreiwillig beenden musste. Der Reifen war in Ordnung, man muss also in der Garage, wo ich ihn gestern Abend gelassen habe, über Scherben gefahren sein, oder vielleicht war ich es auch selbst, aber das glaube ich nicht. Jedenfalls bin ich fünfundfünfzig Meilen gefahren, als der Reifen platzte. Der Wagen kam von der Straße ab, doch ich hatte das Lenkrad im Griff, bremste, steuerte wieder auf Kurs und hätte es auch geschafft, wäre dieser verdammte Baum nicht gewesen. Jetzt ist der Kotflügel bis auf den Reifen eingedellt, eine Radaufhängung ist hinüber und der Kühler aufgeschlitzt.«

»Wie lange werden Sie brauchen, um das zu reparieren?«

»Ich kann das nicht reparieren. Hätte ich einen Nagel, würde ich nicht dran kauen, sondern gleich ganz hineinbeißen.«

»Wer kann es reparieren?«

»Männer mit Werkzeugen in einer Werkstatt.«

»Der Wagen befindet sich aber nicht in einer Werkstatt.«

»Richtig.«

Er schloss die Augen und blieb reglos sitzen. Wenig später öffnete er sie wieder und seufzte. »Wo sind wir?«

»Zweihundertsiebenunddreißig Meilen nordöstlich des Times Square. Achtzehn Meilen südwestlich von Crowfield, wo einmal jährlich die North Atlantic Exposition stattfindet, die stets am zweiten Montag im September beginnt und bis zum –«

»Archie.« Er kniff die Augen zusammen. »Bitte sparen Sie sich die Scherze. Was sollen wir jetzt machen?«

Ich gestehe, ich war gerührt. Nero Wolfe fragte mich, was wir machen sollten! »Ich weiß nicht, wie Sie das sehen«, sagte ich, »aber ich werde mich umbringen. Neulich habe ich in der Zeitung gelesen, dass Japaner Selbstmord begehen, wenn sie ihren Kaiser enttäuschen, und was die Japaner können, kann ich schon lange. Man nennt es Seppuku. Vielleicht denken Sie, man würde es Harakiri nennen, aber dem ist nicht so, oder zumindest selten. Man nennt es Seppuku.«

Doch er fragte noch einmal: »Was sollen wir jetzt machen?«

»Wir werden einen Wagen anhalten und uns mitnehmen lassen. Vorzugsweise nach Crowfield, wo wir in einem Hotel Reservierungen haben.«

»Würden Sie ihn fahren?«

»Wen fahren?«

»Den Wagen, den wir anhalten.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mich lässt, angesichts dessen, was ich mit diesem hier angestellt habe.«

Wolfe presste die Lippen aufeinander. »Ich fahre nicht bei einem fremden Fahrer mit.«

»Dann fahre ich allein nach Crowfield, miete einen Wagen und komme Sie holen.«

»Das würde zwei Stunden dauern. Nein.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Vor etwa einer Meile sind wir an einem Haus vorbeigekommen. Dort kann ich per Anhalter hinfahren oder -laufen und telefonisch einen Wagen in Crowfield bestellen.«

»Während ich hier hilflos in diesem manövrierunfähigen Dämon sitze und warte.«

»Genau.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Das wollen Sie nicht?«

»Nein.«

Ich ging hinten um den Wagen herum und besah mir die Umgebung, von nah bis fern. Es war ein schöner Septembertag, und die Hügel und Täler des New Yorker Hinterlands lagen schläfrig und zufrieden in der Sonne. Wir befanden uns auf einer einsamen Landstraße, keiner Hauptverkehrsader, und seit unserem Zusammenstoß mit dem Baum war niemand vorbeigekommen. Knapp hundert Meter weiter machte die Straße eine Rechtskurve und verschwand hinter einigen Bäumen. Das Haus, das wir ungefähr eine Meile zuvor passiert hatten, lag hinter einer weiteren Biegung und war nicht zu sehen. Auf der anderen Straßenseite befand sich eine sanft ansteigende Wiese, die am Übergang zum Wald steiler wurde. Ich drehte mich um. In dieser Richtung sah ich einen weiß gestrichenen Lattenzaun, eine flache grüne Weide und zahlreiche Bäume; dahinter noch einige höhere und das Dach eines Hauses. Es führte kein Weg dorthin, also musste er sich weiter vorn an der Straße befinden, hinter der Biegung, wie ich vermutete.

Wolfe schrie, um zu fragen, was zum Teufel ich machte, und ich kehrte an seine Wagentür zurück.

»Nun«, sagte ich, »eine Werkstatt sehe ich nirgendwo. Aber da drüben zwischen den hohen Bäumen steht ein Haus. Wenn wir die Straße nehmen, wird das wahrscheinlich eine Meile oder mehr sein, nehmen wir die Abkürzung über diese Weide vielleicht nur vierhundert Meter. Wenn Sie nicht hilflos hier sitzen wollen, gehen Sie ein Telefon suchen und ich bleibe, ich bin bewaffnet. Das Haus dort ist das nächste.«

Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Wolfe sah mich an. »Da hat ein Hund gebellt.«

»Ja, Sir.«

»Vermutlich gehört er zu dem Haus. Ich bin nicht in Stimmung, es mit einem freilaufenden Hund aufzunehmen. Wir gehen gemeinsam. Aber ich klettere nicht über diesen Zaun.«

»Das müssen Sie nicht. Ein Stück weiter hinten ist ein Gatter.«

Er seufzte und beugte sich vor, um einen Blick auf die Kisten mit den eingetopften Orchideen zu werfen, eine auf dem Boden und eine zweite auf dem Sitz neben ihm. In Hinblick auf die Launen unseres Wagens war es nur gut, dass sie gesichert worden waren, so dass sie nicht herumrutschen konnten. Dann stieg er aus, und ich trat einen Schritt zurück, um ihm Platz zu machen, zumal Platz etwas war, von dem er meist mehr in Anspruch zu nehmen pflegte, als ihm zustand. Er streckte sich ausgiebig, richtete dabei seinen Gehstock aus Apfelholz wie ein Schwert gen Himmel, drehte sich einmal im Kreis und betrachtete die Hügel und Täler mit finsterem Blick, während ich die Türen des Wagens abschloss. Anschließend folgte er mir am Rande des Grabens entlang zu der Stelle, wo wir hinüber zum Gatter konnten.

Kaum waren wir hindurchgegangen, ich schloss gerade das Gatter hinter uns, hörte ich einen Mann brüllen. Ich blickte über die Weide zum Haus und entdeckte ihn gegenüber auf dem Zaun sitzend. Er musste eben erst hinaufgeklettert sein. Er schrie zu uns herüber, wir sollten zurückgehen, woher wir gekommen seien. Aus dieser Entfernung vermochte ich nicht sicher zu sagen, ob es ein Gewehr oder eine Schrotflinte war, dessen Kolben er an die Schulter gelegt hatte. Er zielte nicht direkt auf uns, aber seine Absichten schienen durchaus in diese Richtung zu tendieren. Wolfe war bereits vorangegangen, während ich noch das Gatter schloss, und nun trottete ich hinter ihm her und packte ihn am Arm.

»Warten Sie einen Moment. Wenn das eine Klapsmühle ist und der dort drüben einer der Insassen, könnte er uns für Murmeltiere oder wilde Truthähne halten –«

Wolfe schnaubte. »Der Mann ist ein Dummkopf. Das ist nur eine Kuhweide.« Als der gute Detektiv, der er war, lieferte er sogleich den Beweis, indem er auf einen runden braunen Haufen dicht bei unseren Füßen zeigte. Dann blickte er wütend zu der Bedrohung auf dem Zaun, bellte »Halten Sie den Mund!« und ging weiter. Ich folgte ihm. Der Typ brüllte und fuchtelte erneut mit der Waffe, doch wir blieben auf Kurs, wobei ich gestehe, dass mir das nicht behagte, denn inzwischen sah ich, dass es sich um eine Schrotflinte handelte und er leicht einer dieser Irren sein konnte, die uns durchsieben würden.

Ziemlich genau in der Mitte der Weide lag ein großer Felsen, vielleicht drei Fuß hoch, und wir befanden uns ein kleines Stück rechts davon, als die zweite Überraschung eintrat. Meine Aufmerksamkeit galt mehr oder weniger vollständig dem Irren mit der Schrotflinte, der nach wie vor auf dem Zaun hockte und jetzt noch lauter brüllte, als ich Wolfes zupackende Finger an meinem Ellbogen spürte und dazu seinen plötzlichen, scharfen Befehl vernahm:

»Halt! Nicht bewegen!«

Ich blieb sofort reglos neben ihm stehen. Zuerst glaubte ich, er habe eine psychologische Erkenntnis über den Zaunvogel gewonnen, aber ohne mich anzusehen, sagte er: »Bleiben Sie absolut still stehen. Bewegen Sie nur den Kopf langsam, sehr langsam nach rechts.«

Einen Augenblick dachte ich, der Irre mit der Flinte habe etwas Ansteckendes und es habe Wolfe erwischt, aber ich tat, wie mir geheißen, und entdeckte die zweite Überraschung. Aus ungefähr siebzig Metern Entfernung kam ein Stier, größer als ich je geglaubt hatte, dass Stiere werden könnten, mit hocherhobenem Kopf von rechts auf uns zu. Er war dunkelrot mit weißen Flecken, einem großen weißen Dreieck im Gesicht, und trabte langsam und gelassen, schüttelte den Kopf, als wäre er nervös oder wollte eine Fliege von seinen Hörnern verscheuchen. Auf einmal blieb er stehen, senkte den Kopf und starrte uns an.

Hinter mir hörte ich Wolfes Stimme flüstern: »Es wäre besser, wenn dieser Dummkopf aufhören würde, so herumzuschreien. Wissen Sie, wie Stiere sich verhalten? Haben Sie schon mal einen Stierkampf gesehen?«

Ich bewegte die Lippen gerade genug, um ein »Nein, Sir« hervorzubringen.

Wolfe brummte. »Stehen Sie still. Sie haben Ihren Finger bewegt, und er hat sofort seine Halsmuskeln angespannt. Wie schnell können Sie rennen?«

»Ich kann schneller am Zaun sein als der Stier. Glauben Sie nicht, dass ich das nicht schaffe. Aber Sie werden es nicht schaffen.«

»Das weiß ich wohl. Vor zwanzig Jahren war ich Athlet. Fast bringt mich dies zu der Überzeugung … aber das kann warten. Ah, er scharrt mit den Hufen. Und hält den Kopf gesenkt. Falls er loslaufen sollte … liegt das an diesem verflixten Geschrei. Jetzt … ziehen Sie sich langsam zurück, weg von mir. Sehen Sie ihn dabei weiter an. Sobald Sie sich ungefähr zehn Fuß von mir entfernt haben, scheren Sie Richtung Zaun aus. Er wird sich bewegen, wenn Sie es tun. So lange er Ihnen nur langsam folgt, setzen Sie Ihren Rückzug fort und sehen Sie ihn dabei an. Wenn er aber losstürmt, drehen Sie sich um und rennen –«

Doch ich kam nicht dazu, den Anweisungen zu folgen. Obwohl ich mich nicht rührte und ich mir sicher bin, Wolfe ebenso wenig. Also musste es an unserem Freund auf dem Zaun gelegen haben – vielleicht war er auf die Weide gesprungen. Wie auch immer, der Stier raste mit gesenktem Kopf auf uns zu; und sollte es der andere Typ gewesen sein, auf den er es abgesehen hatte, so half uns das wenig, da wir im Weg standen und vor ihm dran gewesen wären. Der Stier startete so gewaltig, wie eine Lawine endet. Wären wir still stehen geblieben, wäre er vielleicht an uns vorbeigelaufen, ungefähr einen Meter rechts neben mir, doch stillstehen war in dieser Situation menschlich entweder zu viel von mir verlangt, oder ich bin kein Mensch. Ich behauptete hinterher, ich hätte mir überlegt, ich könnte, indem ich mich bewegte, die Aufmerksamkeit des Stiers auf mich ziehen und von Nero Wolfe ablenken, aber es ist sinnlos, diese Argumentation hier anzubringen. Es steht außer Frage, dass ich mich ohne vorangegangenen langsamen Rückzug in Bewegung setzte. Und es steht ebenso außer Frage, auf wen es der Stier zuerst abgesehen hatte, da ich ihn durch meine Bewegung angelockt hatte. Ich konnte ihn hinter mir hören. Konnte ihn verdammt nah spüren. Auch war ich mir vage der Rufe und eines roten Farbtupfers bewusst, irgendwo oberhalb des Zaunes unweit der Stelle, die ich ansteuerte. Da war er – der Zaun. Ich bremste nicht, sondern nahm ihn in vollem Tempo, wollte mich mit den Händen von der obersten Latte abstoßen, verfehlte diese jedoch, stürzte flach ausgestreckt auf die andere Seite und rollte der Länge nach über den Boden. Dann setzte ich mich auf, keuchte und hörte eine Stimme über mir:

»Herrlich! Um nichts hätte ich das verpassen wollen.«

Ich schaute auf und entdeckte zwei Mädchen, die eine in weißem Kleid und roter Jacke, die andere in gelbem Hemd und gelber Hose. »Soll ich es noch mal machen?«, knurrte ich sie an. Der Irre mit der Schrotflinte kam angesprungen und stellte laut Fragen. Ich sagte ihm, er solle die Klappe halten, und rappelte mich auf. Der Zaun befand sich zehn Meter von uns entfernt. Ich humpelte zurück und sah mich um. Der Stier ging in ungefähr dreißig Metern Entfernung langsam weiter und wackelte dabei mit dem Kopf. Mitten auf der Weide befand sich eine monumentale Statue. Es war Nero Wolfe, der mit verschränkten Armen und am Handgelenk hängendem Stock völlig regungslos auf dem höchsten Punkt des Felsens stand. Es war das erste Mal, dass ich ihn in einer solchen Lage sah, und ich stand da und starrte ihn an, weil ich nie vollständig realisiert hatte, was für ein bemerkenswert anzuschauendes Objekt er doch war. Er wirkte nicht direkt würdelos, aber es hatte etwas Mittleiderregendes, wie er dort verharrte und sich kein bisschen bewegte.

Ich rief ihm zu: »Alles okay, Boss?«

Er erwiderte: »Sagen Sie dem Mann mit der Flinte, dass ich ihn zu sprechen wünsche, wenn ich hier herunterkomme! Sagen Sie ihm, er soll jemanden holen, der den Stier einpfercht!«

Ich drehte mich um. Der Typ sah nicht aus wie einer, der Stiere einpfercht. Er wirkte eher ängstlich als verrückt und in seiner Latzhose und dem Jeanshemd auch recht klein und dünn. Sein Gesicht war wettergegerbt und seine Nase windschief. Er war mir an den Zaun gefolgt und wollte nun wissen:

»Wer seid ihr Jungs? Wieso seid ihr nicht zurückgegangen, als ich es euch gesagt hab? Wo zum Teufel –«

»Halten Sie die Luft an, Mister. Vorstellen können wir uns später. Könnten Sie den Stier da in einen Stall führen?«

»Nein, kann ich nicht. Und ich will Ihnen sagen –«

»Gibt es jemanden hier, der das kann?«

»Nein, gibt’s nicht. Die sind alle bei der Ausstellung und kommen erst in ungefähr einer Stunde zurück. Und ich will Ihnen sagen –«

»Sagen Sie mir das später. Erwarten Sie von ihm, dass er eine Stunde lang mit verschränkten Armen dort auf dem Felsen steht?«

»Ich erwart gar nichts. Er kann sich ja hinsetzen, oder? Aber ich will ihn trotzdem da raus haben und zwar sofort. Ich bewach den Stier.«

»Schön für Sie. Wovor? Vor mir?«

»Vor allen. Hören Sie mal, wenn Sie glauben, Sie können mich …«

Ich gab es auf mit ihm, wandte mich wieder der Weide zu und rief: »Er bewacht den Stier! Er will Sie sofort da weg haben! Er kann den Stier nicht einpferchen und auch sonst gibt es niemanden, der das kann! Erst in einer Stunde wird jemand hier sein!«

»Archie!«, brüllte Wolfe wie Donnergrollen. »Wenn ich hier erst einmal runter –«

»Nein, ich schwör’s bei Gott, ich sage die Wahrheit! Ich kann den Stier kein bisschen besser leiden als Sie!«

Schweigen. Dann: »Es kommt erst in einer Stunde jemand?«

»Das hat er gesagt.«

»Dann werden Sie es machen müssen! Haben Sie mich gehört?«

»Ja.«

»Gut. Kommen Sie wieder auf die Weide und machen Sie den Stier auf sich aufmerksam. Wenn er sich bewegt, gehen Sie in die andere Richtung, halten Sie sich aber einigermaßen dicht am Zaun. War da nicht eine Frau mit etwas Rotem?«

»Ja. Eine Frau oder ein Mädchen.« Ich drehte mich um. »Wie es aussieht, ist sie weg.«

»Suchen Sie sie, borgen Sie sich das rote Ding und bringen Sie es her. Sobald der Stier losrennt, springen Sie wieder über den Zaun. Laufen Sie außen entlang, bis Sie sich weit genug entfernt haben, dann kommen Sie erneut auf die Weide und wiederholen das Ganze. Locken Sie ihn bis ans andere Ende und sorgen Sie dafür, dass er dort bleibt, bis ich draußen bin. Er wird nicht wegen mir von Ihnen ablassen, sofern Sie ihn ausreichend beschäftigen. Lassen Sie ihn glauben, dass er eine echte Chance hat, Sie zu erwischen.«

»Geht klar.«

»Was?«

»Ich habe gesagt: Geht klar!«

»Also schön, dann los. Seien Sie vorsichtig. Rutschen Sie nicht auf dem Gras aus.«

Als ich das Mädchen gefragt hatte, ob ich es noch einmal machen sollte, hatte ich das sarkastisch gemeint, aber jetzt … Ich sah mich nach ihr um. Die in der gelben Hose war noch da und saß auf dem Zaun, aber nicht die andere. Ich machte den Mund auf, um mich nach ihr zu erkundigen, doch noch bevor ich die Frage gestellt hatte, kam die Antwort aus einer anderen Richtung. Der Motor eines Autos brummte im zweiten Gang, und ich sah den Wagen hinter ein paar Bäumen über einen Weg auf den Zaun zuholpern. Er hielt so, dass die Stoßstange ihn beinahe berührte. Das Mädchen in der roten Jacke beugte sich heraus und rief mir zu:

»Kommen Sie und öffnen Sie das Gatter!«

Ich trottete hinkend auf sie zu, weil ich mir das rechte Knie am Zaun angeschlagen hatte, aber der andere Typ, der sich mit großen Sprüngen fortbewegte, kam mir zuvor. Bei meiner Ankunft stand er bereits neben dem Wagen, fuchtelte mit der Flinte herum und ratterte Vorschriften und Statuten Gatter und Stier betreffend herunter.

Das Mädchen erklärte ihm ungeduldig: »Sei nicht albern, Dave. Es hat keinen Sinn, ihn da auf dem Felsen hocken zu lassen.« Sie drehte sich zu mir. »Öffnen Sie das Gatter und steigen Sie ein, wenn Sie mitkommen wollen. Dave wird es hinter uns schließen.«

Ich tat, wie mir geheißen. Doch auch Dave setzte sich in Bewegung und schrie: »Hände weg vom Gatter! Bei Gott, ich werde schießen! Ich hab Befehl von Mr. Pratt zu schießen, wenn jemand das Gatter öffnet oder die Weide betritt!«

»Blödsinn«, sagte das Mädchen. »Du hast dem Befehl längst zuwidergehandelt. Wieso hast du nicht geschossen, als die beiden das andere Gatter geöffnet haben? Dafür kommst du vor’s Kriegsgericht. Und wieso schießt du jetzt nicht? Mach schon und schieß ihn vom Felsen. Mal sehen, was du draufhast.« Sie wurde erneut ungeduldig und auch wütend, dieses Mal mir gegenüber: »Wollen Sie nun, dass Ihr Freund gerettet wird, oder nicht?«

Ich entriegelte das Gatter und ließ es aufschwingen. Der Stier stand ziemlich weit entfernt und drehte sich nun mit leicht zur Seite geneigtem Kopf zu uns um. Dave fluchte und fuchtelte mit der Flinte, aber es war offensichtlich, dass man ihn getrost ignorieren konnte. Als der Wagen hindurchfuhr – ein großes glänzend gelbes Wethersill Cabrio mit offenem Verdeck –, sprang ich hinein, und das Mädchen rief Dave zu, er möge das Gatter schnell wieder schließen. Der Stier, noch immer in weiter Ferne, warf den Kopf zurück, senkte ihn dann wieder und scharrte mit den Hufen. Grasbüschel flogen ihm unter den Bauch.

Ich sagte: »Warten Sie kurz«, und zog die Handbremse. »Wie kommen Sie darauf, dass das funktionieren wird?«

»Keine Ahnung. Wir können es doch versuchen, oder? Haben Sie Angst?«

»Ja. Ziehen Sie das rote Ding aus.«

»Ach, das ist bloß Aberglaube.«

»Ich bin abergläubisch. Ziehen Sie die Jacke aus.« Ich packte den Kragen, sie wand sich heraus und ich warf die Jacke hinter uns. Dann griff ich unter meinem Jackett ans Holster und zog meine Automatik heraus.

Sie sah sie an. »Was sind Sie, ein Spion oder was? Seien Sie nicht albern. Glauben Sie wirklich, Sie können den Stier damit aufhalten?«

»Ich könnte es versuchen.«

»Besser nicht, es sei denn, Sie sind bereit, 45 000 Dollar hinzublättern.«

»Wie viel?«

»45 000 Dollar. Das ist nicht irgendein Stier, das ist Hickory Caesar Grindon. Stecken Sie das Ding weg und lösen Sie die Bremse.«

Ich sah sie eine Sekunde lang an und sagte: »Wenden Sie und fahren Sie hier raus. Ich werde meinen Anweisungen Folge leisten und ihn am Zaun entlang zum anderen Ende locken.«

»Nein.« Sie legte den ersten Gang ein und trat aufs Gas. »Warum sollten nur Sie Spaß haben dürfen?« Der Wagen setzte sich in Bewegung, und sie schaltete in den zweiten. Wir ruckelten und schwankten. »Ich frage mich, wie schnell ich fahren sollte? Ich habe noch nie einem Menschen das Leben gerettet. Von hier aus betrachtet scheint es, als hätte ich mir ein seltenes Exemplar für den Anfang ausgesucht. Soll ich hupen? Was meinen Sie? Sehen Sie ihn sich an!«

Der Stier spielte Schaukelpferd. Sein Hinterteil hob und senkte sich, während er mit den Vorderbeinen ganz tief in die Knie ging, den Schwanz hochstreckte und den Kopf hin und her warf. Er blickte in unsere Richtung. Als wir in ungefähr dreißig Metern Entfernung links an ihm vorbeifuhren, sagte das Mädchen: »Sehen Sie ihn sich an! Ein High-School-Stier!« Der Wagen holperte über ein Loch, und fast wäre ich hinauskatapultiert worden. Ich ächzte: »Passen Sie doch auf, wohin Sie fahren«, behielt dabei aber weiter den Stier im Blick. Er sah aus, als hätte er den Wagen mühelos mit den Hörner aufspießen und davontragen können wie eine Indianerin einen Krug. Wir näherten uns dem Felsbrocken. Sie fuhr dicht heran, verfehlte ihn gerade einmal um einen Zentimeter, hielt und trällerte: »Taxi?«

Während Wolfe vorsichtig vom Felsen kletterte, stieg ich aus und hielt ihm die Tür auf. Ich bot ihm nicht an, ihn am Ellbogen zu stützen, weil ich ihm ansah, dass er nur explodieren würde. Er erreichte den Rand des Felsens und blieb dort auf Höhe des Trittbretts stehen.

Das Mädchen fragte: »Dr. Livingstone, nehme ich an?«

Wolfes Lippen zuckten ein wenig. »Miss Stanley? Sehr erfreut. Mein Name ist Nero Wolfe.«

Sie riss die Augen auf. »Gütiger Gott! Doch nicht der Nero Wolfe?«

»Nun … der, der im Telefonbuch von Manhattan steht.«

»Dann habe ich ja tatsächlich ein seltenes Exemplar erwischt! Steigen Sie ein.«

Während er sich grunzend in das Cabrio hievte, bemerkte er: »Sie sind sehr stark geholpert. Ich bin kein Freund von Geholper.«

Sie lachte. »Ich werde vorsichtig fahren. Auf jeden Fall ist es besser, als von einem Stier aufgespießt zu werden, meinen Sie nicht?« Ich war hinter den Sitz gestiegen, da mit Wolfe an Bord kein weiterer Platz für mich blieb. Sie fuhr an und lenkte nach links. Mir war aufgefallen, dass sie starke Handgelenke und Finger hatte, und ohne die Jacke konnte ich auf ihren nackten Unterarmen ihre Muskeln arbeiten sehen, während sie geschickt um Erhebungen und Löcher herumsteuerte. Ich spähte zu dem Stier und sah, dass er des Schaukelpferdspielens inzwischen müde geworden war und nun mit erhobenem Kopf und gesenktem Schwanz dastand und seine Verachtung zum Ausdruck brachte. Er wirkte größer denn je. Das Mädchen erklärte Wolfe: »Stanley wäre ein schöner Name, aber ich heiße Caroline Pratt. Verzeihen Sie, das Loch habe ich nicht gesehen. Ich bin nicht annähernd so berühmt wie Sie, aber ich habe bereits zwei Mal die New Yorker Golfmeisterschaften gewonnen. Dieser Ort scheint Meister geradezu anzuziehen. Sie sind ein Meisterdetektiv, Hickory Caesar Grindon ist ein landesweit preisgekrönter Meisterstier und ich bin eine Meistergolferin …«

Ich dachte, daher also die Handgelenke und Arme, so eine ist das. Als wir das Gatter erreichten, öffnete Dave es und, nachdem wir durch waren, schloss er es wieder. Sie fuhr langsam unter den Bäumen entlang, deren überhängende Äste mich fast heruntergefegt hätten, und schließlich hielten wir vor einem großen neuen Betongebäude mit vier Garagentoren. Dave war hinter uns hergerannt, noch immer mit der Flinte im Arm, und auch das Mädchen in der gelben Hose kam jetzt auf uns zugeschlendert. Ich sprang über die Wagentür auf den Kies. Die Meistergolferin erkundigte sich bei Wolfe, ob sie ihn irgendwo absetzen dürfe, aber er hatte die Tür bereits geöffnet und war dabei, seinen wuchtigen Körper aus dem Wagen zu heben, also stieg auch sie aus. Dave eilte zu Wolfe und begann ihm laut Fragen zu stellen, aber dieser bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und erklärte ihm: »Sir, ich könnte Anzeige wegen versuchten Mordes gegen Sie erstatten! Und damit meine ich nicht das Gewehr, ich meine die Tatsache, dass Sie vom Zaun gesprungen sind!« Dann ging Wolfe hinten um den Wagen herum zu seiner Retterin und verneigte sich vor ihr:

»Vielen Dank, Miss Pratt, dass Sie Intelligenz besitzen und diese auch nutzen.«

»Nicht der Rede wert. Es war mir ein Vergnügen.«

Er zog eine Grimasse. »Ist der Stier Ihr Eigentum?«

»Nein, er gehört meinem Onkel. Thomas Pratt.« Sie zeigte auf das Haus. »Das ist seins. Er wird bald zurück sein. Einstweilen … wenn ich etwas für Sie tun kann … möchten Sie ein Bier?«

»Nein, danke. Ich möchte zwar ein Bier, aber Gott weiß, wann ich wieder eins trinken werde. Wir hatten einen Unfall. Mr. Goodwin war nicht in der Lage, unseren Wagen in der Spur zu halten – verzeihen Sie. Miss Pratt, das ist Mr. Goodwin.«

Sie streckte mir höflich die Hand entgegen und ich schlug ein. Wolfe wiederholte: »Mr. Goodwin war nicht in der Lage zu verhindern, dass unser Wagen gegen einen Baum fuhr. Nach Begutachtung des Schadens behauptete er, jemand sei über Scherben gefahren. Anschließend überredete er mich, jene Weide zu überqueren. Und doch war ich es, nicht er, der den Stier zuerst entdeckte, nachdem dieser hinter der Baumgruppe hervorgekommen war. Mr. Goodwin rühmte sich desweiteren völliger Ahnungslosigkeit in Hinblick auf das Verhalten von Stieren –«

Schon als wir uns dem Felsen näherten, hatte ich ihm angesehen, dass er sich kindisch aufführen würde, aber er hätte es sich wenigstens für einen ungestörten Moment aufheben können. Schroff fiel ich ihm ins Wort:

»Dürfte ich mal telefonieren?«

»Sie haben Mr. Wolfe unterbrochen«, rügte mich das Mädchen. »Er wollte gerade erklären –«

»Ich zeige Ihnen das Telefon.« Die Stimme kam von hinten, und ich drehte mich um. Nicht weit von mir entfernt stand das Mädchen in der gelben Hose. Erstaunt stellte ich fest, dass sie mir bis zum Kinn oder noch weiter reichte. Sie war blond, aber ganz und gar nicht blass, ihre dunkelblauen Augen waren nicht ganz geöffnet, und ein Mundwinkel zeigte lächelnd nach oben.

»Kommen Sie, Escamillo«, sagte sie, »ich zeige Ihnen das Telefon.«

»Ich wäre Ihnen sehr verbunden«, sagte ich und ging mit.

Beim Gehen streifte sie mich und sagte: »Ich bin Lily Rowan.«

»Schöner Name.« Ich grinste zu ihr hinunter. »Und ich bin Escamillo Goodwin.«

Kapitel Zwei

Wolfes Stimme drang durch die offene Tür: »Wie spät ist es?«

Nach einem Blick auf meine Armbanduhr auf der gläsernen Ablage verließ ich das Badezimmer, hielt dabei den Unterarm gerade und ruhig, damit das Jod trocknen konnte, das ich dort aufgetragen hatte. Als ich vor dem großen Polstersessel stand, in dem Wolfe saß, erklärte ich:

»Es ist 15:26. Ich hatte angenommen, das Bier würde Sie aufmuntern. Wenn Ihre Lebensfreude nicht einmal mehr ausreicht, um die eigene Uhr aus der Tasche zu ziehen, befinden Sie sich auf dem Tiefpunkt.«

»Lebensfreude?«, stöhnte er. »Unser Wagen ist demoliert und die Pflanzen darin ersticken …«

»Die ersticken nicht. Ich habe die Fenster auf beiden Seiten einen Spalt breit offen gelassen.« Ich hob den Arm, betrachtete das Jod und senkte ihn dann wieder. »Gewiss doch, Lebensfreude! Wurden wir verletzt, als der Vorderreifen platzte? Nein. Hat uns der Stier erwischt? Nein. Wir sind netten Menschen begegnet, die uns ein herrliches Zimmer mit Bad zur Verfügung gestellt haben, in dem wir uns waschen können, außerdem hat man Sie mit kaltem Bier versorgt und mich mit Jod. Und ich wiederhole es gern: Wenn Sie noch immer denken, ich hätte eine der Werkstätten in Crowfield überreden sollen, uns und den Wagen abzuholen, dann gehen Sie runter und versuchen Sie es selbst. Die haben mich für verrückt gehalten, so etwas zu erwarten, während die Ausstellung läuft. Dieser Mr. Pratt wird jeden Moment mit einer großen Limousine zurück sein, und seine Nichte sagt, sie wird uns, das Gepäck und die Pflanzen nach Crowfield fahren. Ich habe im Hotel angerufen, und man hat mir versprochen, unser Zimmer bis zehn Uhr heute Abend frei zu halten. Natürlich steht dort ein ganzer Mob vor der Tür, der nach Betten schreit.«

Ich hatte die Ärmel heruntergekrempelt, die Manschetten zugeknöpft und griff nach meinem Jackett. »Wie ist das Bier?«

»Das Bier ist gut.« Wolfe erschauderte und murmelte: »Ein Mob, der nach Betten schreit.« Er sah sich um. »Das ist ein bemerkenswert angenehmes Zimmer … groß und geräumig, gute Fenster … ich denke, vielleicht sollte ich zu Hause in meinem Zimmer auch moderne Fenster einsetzen lassen. Zwei ausgezeichnete Betten – haben Sie eines davon ausprobiert?«

Ich sah ihn misstrauisch an. »Nein.«

»Sie sind erstklassig. Wann, sagten Sie, lässt die Werkstatt den Wagen holen?«

»Morgen um die Mittagszeit«, erwiderte ich geduldig.

»Gut«. Er seufzte. »Ich dachte, ich hätte nichts für neue Häuser übrig, aber dieses hier ist sehr angenehm. Selbstverständlich liegt das am Architekten. Wissen Sie, woher das Geld für den Bau stammt? Miss Pratt hat es mir verraten. Ihr Onkel besitzt eine Kette populärer Restaurants in New York – mit Hunderten von Filialen. Er nennt sie Pratterias. Haben Sie mal eine davon gesehen?«

»Na klar.« Ich hatte die Hose heruntergelassen und inspizierte mein Knie. »Ich habe dort schon häufig zu Mittag gegessen.«

»Tatsächlich. Wie ist das Essen?«

»So lala. Kommt auf die Ansprüche an.« Ich schaute auf. »Sollten Sie im Sinn haben, heute Abend hier zu essen, um eine Mahlzeit im Restaurant zu umgehen, so muss ich Ihnen sagen, dass Pratteria-Speisen ebenso bedeutungs- wie substanzlos sind. Und ipso facto der Koch unten. Übrigens bin ich froh zu erfahren, dass man sie Pratterias nennt, weil sie Pratt gehören. Mich hat der Name immer an ein altes Wort für ›Hintern‹ denken lassen.«

Wolfe brummte. »Ich schätze mal, hier hebt das eine Unwissen das andere auf. Dieses Wort für ›Hintern‹ ist mir noch nie begegnet, und Sie haben keine Ahnung von der Bedeutung von ipso facto. Es sei denn, das mit dem ›Hintern‹ haben Sie sich ausgedacht –«

»Nein. Kommt bei Shakespeare vor. Ich habe es nachgeschlagen. Ich denke mir nie etwas aus, es sei denn –«

Es klopfte an der Tür, und ich sagte: »Herein.« Eine Person in schmutziger Flanellhose, strahlend weiß gestärktem Kittel und Schmiere im Gesicht tauchte auf. Sie blieb im Türrahmen stehen und nuschelte etwas von wegen Mr. Pratt sei nun eingetroffen und wenn wir wollten, könnten wir zu ihm hinuntergehen. Wolfe sagte, wir würden sofort kommen, und die Person zog ab.

»Mr. Pratt muss Witwer sein«, behauptete ich.

»Nein«, sagte Wolfe und machte Anstalten, sich zu erheben. »Er hat nie geheiratet. Das hat mir Miss Pratt verraten. Wollen Sie sich nicht die Haare kämmen?«

Wir mussten sie suchen. In der Eingangshalle unten schüttelte eine Frau mit Schürze den Kopf, als wir sie fragten, also gingen wir ins Esszimmer und wieder hinaus, durchquerten ein großes Wohnzimmer und ein weiteres mit einem Flügel darin, bis wir sie schließlich draußen auf der gefliesten Terrasse unter dem Sonnensegel fanden. Die beiden jungen Frauen saßen dort mit Highballs in der Hand neben einem jungen Mann. An einem Tisch näher bei uns saßen zwei Männer, rieben sich am Kinn und wedelten sich gegenseitig mit Unterlagen aus einer Aktentasche zu. Der eine, jung und adrett, sah aus wie ein aalglatter Aktienhändler; der andere, mittleren Alters oder sogar ein wenig darüber, hatte braunes, bereits leicht ergrautes Haar, schmale Schläfen und einen breiten Kiefer. Wolfe hielt inne, näherte sich dann noch ein Stück und blieb erneut stehen. Sie sahen zu ihm auf, und der eine runzelte die Stirn und sagte:

»Ach, da sind ja die Burschen.«

»Mr. Pratt?« Wolfe deutete eine Verneigung an. »Mein Name ist Wolfe.«

Der jüngere Mann erhob sich. Der andere runzelte einfach weiter die Stirn. »Das hat mir meine Nichte schon gesagt. Selbstverständlich habe ich von Ihnen gehört, aber Sie könnten auch Präsident Roosevelt sein, auf der Weide hatten Sie nichts zu suchen, das hat Ihnen mein Mann deutlich mitgeteilt. Was wollten Sie dort?«

»Nichts.«

»Warum sind Sie dann hinein?«

Wolfe presste die Lippen aufeinander, dann lockerte er sie wieder, um zu fragen: »Hat Ihnen Ihre Nichte berichtet, was ich ihr erzählt habe?«

»Ja.«

»Denken Sie, dass sie gelogen hat?«

»Warum … nein.«

»Denken Sie, ich habe gelogen?«

»Äh … nein.«

Wolfe zuckte mit den Schultern. »Dann bleibt mir nur übrig, Ihnen für Ihre Gastfreundschaft zu danken – das Telefon, die Unterbringung, die Getränke. Besonders das Bier weiß ich zu schätzen. Ihre Nichte hat freundlicherweise angeboten, uns mit Ihrem Wagen nach Crowfield zu fahren … wenn Sie es gestatten?«

»Ich denke, ja.« Der Trottel runzelte noch immer die Stirn. Dann lehnte er sich, die Daumen unter die Achseln geklemmt, zurück. »Nein, Mr. Wolfe, ich glaube nicht, dass Sie gelogen haben, aber ich würde Ihnen dennoch gern die eine oder andere Frage stellen. Sehen Sie, Sie sind Detektiv und könnten engagiert worden sein … weiß der Himmel, wie weit die gehen würden. Man plagt mich halb zu Tode. Heute bin ich mit meinem Neffen nach Crowfield gefahren, um mir die Ausstellung anzusehen, und wurde rausgejagt. Ich musste nach Hause fahren, um zu entkommen. Ich will Ihnen eine direkte Frage stellen: Sind Sie auf die Weide gegangen, weil Sie wussten, dass dort der Stier ist?«

Wolfe starrte ihn an. »Nein, Sir.«

»Sind Sie in diese Gegend gekommen, um wegen des Stiers tätig zu werden?«

»Nein, Sir. Ich bin hergekommen, um im Rahmen der North Atlantic Exposition Orchideen auszustellen.«

»Es war reiner Zufall, dass Sie sich meine Weide ausgesucht haben?«

»Wir haben sie uns nicht ausgesucht. Es handelte sich um eine Frage von Geometrie. Es war der kürzeste Weg zu diesem Haus.« Nach einer kurzen Pause setzte Wolfe verbittert hinzu: »Jedenfalls dachten wir das.«

Pratt nickte. Dann schaute er auf seine Armbanduhr, erhob sich und drehte sich zu dem Mann mit der Aktentasche um, der gerade seine Unterlagen verstaute. »In Ordnung, Pavey, Sie können genauso gut den Sechs-Uhr-Zug von Albany nehmen. Sagen Sie Jameson, es gibt keinen Grund auf Gottes Erde, warum die Anteile unter achtundzwanzig-vier fallen sollten. Weshalb sollten die Menschen in diesem September weniger Hunger haben als in allen anderen Septembern? Denken Sie daran, was ich gesagt habe, keine Fairbanks Pies mehr …« Er sprach noch eine Weile über Geschirrbruch-Prozentzahlen, neue Filialen in Brooklyn und so weiter und schrie Pavey, als dieser bereits um die Ecke des Hauses gebogen und verschwunden war, noch einen letzten Gedanken bezüglich der Kopfsalatpreise hinterher. Dann fragte unser Gastgeber Wolfe unvermittelt, ob er einen Highball wünsche, doch dieser verneinte, Bier sei ihm lieber, aber Mr. Goodwin würde sich zweifellos über einen Highball freuen. Pratt brüllte »Bert!« so laut er konnte, woraufhin Schmiergesicht aus dem Haus kam und die Bestellungen entgegennahm. Als wir uns setzten, kam das Trio von der anderen Seite mitsamt Drinks zu uns herüber.

»Dürfen wir?«, fragte Miss Pratt ihren Onkel. »Jimmy möchte die Gäste kennenlernen. Mr. Wolfe, Mr. Goodwin, das ist mein Bruder.«

Ich stand zur Begrüßung auf und begriff, dass Wolfe ein kompliziertes und verzweifeltes Spiel spielte, als ich sah, wie er sich ebenfalls erhob, anstatt sich, wie gewöhnlich, dafür zu entschuldigen, dass er sein enormes Gewicht nicht aus dem Sessel stemmte. Anschließend setzten wir uns wieder, wobei Lily, die Blondine, sich lässig auf einer Hollywoodschaukel drapierte und eine wunderschöne Wade aus ihrem gelben Hosenbein hervorlugen ließ.

Pratt übernahm das Reden. »Selbstverständlich habe ich von Ihnen gehört«, sagte er zu Wolfe. »Auch in privatem Rahmen das eine oder andere Mal. Mein Freund Pete Hutchinson hat mir erzählt, dass Sie ihm vor ein paar Jahren Ihre Dienste verweigert haben, als er gewisse Nachforschungen seine Frau betreffend in Auftrag geben wollte.«

Wolfe nickte. »Ich greife so selten wie möglich in natürliche Abläufe ein.«

»Jeder wie er will.« Pratt nahm einen Schluck von seinem Highball. »Das ist mein Motto. Es ist Ihr Geschäft und Sie müssen es leiten. Ein anderes Beispiel: Soweit ich weiß, schätzen Sie gutes Essen. Nun bin ich in der Lebensmittelbranche tätig und glaube an Massenverköstigung. Vergangene Woche haben wir im New Yorker Stadtgebiet pro Tag im Schnitt 42 392 Mittagessen verkauft und zwar im Durchschnitt für 23,17 Cent. Damit will ich sagen – wie oft haben Sie schon in einer Pratteria gegessen?«

»Ich …« Wolfe hielt inne, während er sich Bier einschenkte. »Noch nie.«

»Nie?«

»Ich esse immer zu Hause.«

»Oh.« Pratt musterte ihn. »Selbst zu kochen kann natürlich ganz schön sein. Aber die aufwendigeren Sachen … einmal haben wir als Werbemaßnahme eine Gruppe von fünfzig Vertretern der gehobenen Gesellschaft in eine Pratteria eingeladen und ihnen Gerichte von der Tageskarte vorgesetzt. Sie haben alles verschlungen und davon geschwärmt. Mein Erfolg beruht auf zwei Dingen: erstens Qualität und zweitens Werbung.« Er hielt zwei Finger hoch.

»Eine unschlagbare Kombination«, murmelte Wolfe. Ich hätte ihn treten können. Er leckte dem Kerl eindeutig die Stiefel. Und er setzte sogar noch einen drauf: »Ihre Nichte hat mir von Ihrer sagenhaften Karriere erzählt.«

»Ah ja?« Er warf ihr einen Blick zu. »Du hast gar nichts mehr zu trinken, Caroline.« Er drehte den Kopf und brüllte: »Bert!« Dann wieder an Wolfe gewandt: »Nun, sie kennt sich eben aus. Hat drei Jahre bei mir im Büro gearbeitet. Irgendwann hat sie dann angefangen, Golf zu spielen, und sie ist gut darin geworden, und ich dachte, es wäre eine tolle Werbung, eine Golfmeisterin zur Nichte zu haben, und sie hat es geschafft. Das ist besser als alles, was sie im Büro hätte tun können. Und besser als alles, wozu ihr Bruder im Stande ist. Mein einziger Neffe und zu nichts zu gebrauchen. Habe ich nicht recht, Jimmy?«

Der junge Mann grinste ihn an. »Keinen Pfifferling wert.«

»Ja, bloß dass du es nicht ernst meinst und ich schon. Nur weil dein Vater und deine Mutter gestorben sind, als du klein warst … wieso ich immer noch weiter Geld in dich stecke, ist mir schleierhaft. Das ist so ziemlich meine einzige Schwäche. Und wenn ich daran denke, dass ich dir und deiner Schwester in meinem Testament alles vermache, nur weil sonst niemand in Sicht ist … dann hoffe ich, niemals zu sterben. Wie heißt das noch? Unsterblichkeit. Wenn ich nur daran denke, was du mit einer Million Dollar anstellen würdest … darf ich Sie fragen, Mr. Wolfe, was Sie für Ansichten über Architektur haben?«

»Nun … dieses Haus gefällt mir.«

Jimmy kicherte. »Ha! Wow!«

Sein Onkel beachtete ihn nicht und hob nur eine Augenbraue gegenüber Wolfe. »Tut es das? Mein Neffe hier hat es entworfen. Es ist erst letztes Jahr fertig geworden. Ich stamme ursprünglich aus dieser Gegend … wurde in einem alten Bretterschuppen genau an dieser Stelle geboren. Mit Architektur ist absolut kein Geld zu machen und das wird sich auch niemals ändern … ich habe mich informiert. Wie mein Neffe jemals auf die Idee kommen konnte …«

Er schwadronierte weiter und weiter, und Wolfe öffnete seelenruhig noch eine Flasche Bier. Auch ich war nicht schlecht dabei, denn in meinem Highball befand sich keinesfalls Scotch aus einer Pratteria. Ich hatte meinen zweiten fast ausgetrunken und mich so platziert, dass ich die Blondine auf der Hollywoodschaukel mit all ihren Rundungen und was nicht noch betrachten konnte. Ich hörte Pratt gar nicht mehr zu, sondern überlegte träge, welche Eigenschaft bei einem Mädchen wünschenswerter war: die Fähigkeit, ausgestreckt auf einer Hollywoodschaukel derart einladend zu wirken, oder einen Mann vor einem Stier zu retten. Von dort gelangte ich zu etwas anderem, es spielt keine Rolle, was genau, als das angenehme freundschaftliche Beisammensein jäh gestört wurde. Vier Männer kamen schwungvoll um die Ecke des Hauses und trampelten über die Terrasse. Die Bemerkung unseres Gastgebers, man habe ihn vom Ausstellungsgelände gejagt, noch schwach im Hinterkopf, beschlich mich das unbestimmte Gefühl, dass der Ausdruck auf ihren Gesichtern nichts Gutes verhieß. Unwillkürlich ließ ich meine Hand unter mein Jackett und an mein Holster fahren, doch dann kam ich zu mir und tat, als hätte ich mich nur an der Schulter kratzen wollen.

Pratt war aufgesprungen, runzelte die enge Stirn auf ihrer gesamten Breite und stellte sich den Eindringlingen entgegen. Der vorderste, ein drahtiger kleiner Mann mit schmaler Nase und stechenden dunklen Augen, blieb direkt vor ihm stehen und sagte ihm ins Gesicht: »Also, Mr. Pratt, ich glaube, ich weiß, wie wir Sie zufriedenstellen.«

»Ich bin bereits zufrieden. Das habe ich Ihnen schon gesagt.«

»Aber wir nicht.« Sein durchdringender Blick sprang umher. »Wenn Sie mich erklären lassen würden, welches Arrangement ich –«

»Das ist Zeitverschwendung, Mr. Bennett. Ich habe Ihnen gesagt –«

»Gestatten Sie.« Der Ton war barsch und kam von einem solide wirkenden Vogel in einem traumhaften grauen Anzug und passenden Accessoires, einschließlich Autohandschuhen, trotz des warmen Tages. »Sind Sie Pratt? Lew Bennett hier hat mich überredet zu kommen, aber ich muss bald wieder zurück nach Crowfield und weiter nach New York. Ich bin Cullen.«

Bennett ergänzte nervös: »Daniel Cullen.«

»Ach.« Pratt schaute interessiert und fast ein bisschen ehrfürchtig. »Es ist mir eine Ehre, Mr. Cullen. Sie in meinem bescheidenen Heim. Setzen Sie sich. Darf ich Ihnen einen Highball anbieten? Jimmy, bring noch ein paar Stühle. Nein, ihr könnt hierbleiben. Mr. Cullen, darf ich Ihnen meine Nichte vorstellen …« Er stellte ringsum alle vor, inklusive Titel und Beruf. Wie sich herausstellte, war Lew Bennett Geschäftsführer des Landesverbands der Guernsey-Züchter. Der breitschultrige Mann mit dem strähnigen Haar und dem großen müden Gesicht war Monte McMillan. Daniel Cullen war natürlich Daniel Cullen, so wie J. P. Morgan J. P. Morgan ist. Der Vierte im Bunde, der noch müder wirkte als Monte McMillan, war Sidney Darth, Vorsitzender der North Atlantic Exposition. Erneut wurde Bert gerufen und mit einer Getränkelieferung beauftragt. Lily Rowan richtete sich auf, um Platz auf der Schaukel zu machen, und ich registrierte, dass Jimmy Pratt sich neben sie setzte. Scheinbar gelangweilt betrachtete sie die Neuankömmlinge.

Lew Bennett sagte gerade: »Mr. Cullen hat es eilig zurückzufahren, und ich bin zuversichtlich, Mr. Pratt, dass Sie ihn ebenso sehr schätzen wie wir. Sie werden keinen Cent verlieren. Die Sache wird einen glücklichen Ausgang nehmen –«

»Ein verdammter Skandal ist das!« Cullen schaute Pratt finster an. »Vor Gericht gehen sollte man damit! Zum Teufel!«

»Verzeihen Sie«, warf Bennett hastig ein. »Ich habe mich ausführlich mit diesem Aspekt befasst, Mr. Cullen, und wenn Mr. Pratt es nicht so sieht wie wir … dann sieht er es einfach nicht so. Es hat wenig Sinn … was ich sagen will ist: Gott sei Dank sind Sie als Retter eingesprungen.« Er wandte sich an Pratt. »Die Lösung besteht schlicht darin, dass Mr. Cullen sich großzügig bereit erklärt hat, Hickory Caesar Grindon zu übernehmen.«

Pratt brummte und schwieg. Dann fragte er missmutig: »Was will er denn mit ihm?«

Bennett wirkte entsetzt. »Er besitzt eine der besten reinrassigen Guernsey-Zuchten des Landes.«

Cullen knurrte: »Verstehen Sie, Pratt, ich brauche ihn nicht. Mein Stammbulle ist Mahwah Gallant Masterson und der hat 43 RL-Töchter. Außerdem besitze ich noch drei jüngere Zuchtbullen. Ich springe nur der Zucht und dem Verband zuliebe ein.«

Bennett fügte hinzu: »Was das Arrangement betrifft, so hat Mr. Cullen durchaus recht, wenn er sagt, dass er Caesar nicht wirklich braucht. Er zeigt sich sehr großzügig, ist aber nicht bereit, die Summe aufzubringen, die Sie McMillan gezahlt haben. Ich weiß, Sie haben mir gesagt, Sie haben sie angeboten und auch bezahlt und sind zufrieden, aber Fakt bleibt doch nach wie vor, dass 45 000 Dollar für einen Stier ein sehr stolzer Preis sind. Coldwater Grandee höchstpersönlich wurde 1932 für 33 000 Dollar verkauft, und so großartig Caesar auch sein mag, ein Grandee ist er nicht. 1932 hatte Grandee 127 RL-Töchter und 15 RL-Söhne. Das Arrangement sieht also folgendermaßen aus: Mr. Cullen wird Ihnen 33 000 Dollar bezahlen, und Monte, Mr. McMillan, wird Ihnen 12 000 Dollar der Summe, die Sie ihm gezahlt haben, zurückerstatten. Dann haben Sie Ihr ganzes Geld wieder. Mr. Cullen kann Ihnen auf der Stelle einen Scheck ausschreiben, und ich vermute, Sie wissen, dass dieser gedeckt sein wird. Noch vor Einbruch der Dunkelheit kann ein Laster kommen und Caesar abholen. Mr. Cullen will den Stier am Donnerstag in Crowfield zeigen, wenn er bis dahin in Form gebracht werden kann. Ich hoffe, er ist nicht verstört. Wie ich höre, haben Sie ihn auf einer Weide stehen.«

Pratt wandte sich an McMillan. »Sie haben mir heute Mittag erklärt, dass Sie den Verkauf als endgültig abgeschlossen betrachten und sich an keinem Versuch beteiligen werden, ihn wieder rückgängig zu machen.«

»Ich weiß.« Als er sein Getränk abstellte, konnte McMillan nicht verhindern, dass seine Hand ein klein wenig zitterte. »Die anderen haben mir zugesetzt … sie haben … ich bin doch ein alter Guernsey-Mann, Mr. Pratt.«

»Sie sollten sich schämen, so zu reden!« Cullen explodierte. »Man sollte Sie aus dem Verband ausschließen und boykottieren! Pratt weiß es nicht besser, zumindest kann er das als Ausrede vorschieben. Aber Sie nicht! Sie wussten, was mit dem Stier passieren sollte, bevor Sie ihn verkauft haben!«