In den besten Familien - Rex Stout - E-Book

In den besten Familien E-Book

Rex Stout

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  • Herausgeber: Klett-Cotta
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Nero Wolfe mischt sich nicht in anderer Leute Ehen ein. Doch kurz nachdem er den Fall der reichen Erbin Sarah Rackham abgelehnt hat, wird eine Bombe in Form eines Würstchenpakets angeliefert. Der Absender ist sein Erzfeind Arnold Zeck. Nero Wolfe ist klar: Wenn er jetzt nachgibt, wird er sein Handwerk nie wieder ausüben können. Und so beschließt er, unterzutauchen. Sarah Rackham weiß, dass ihr Mann sie nur des Geldes wegen geheiratet hat. Damit kann sie leben. Was sie dagegen nicht weiß ist, wie ihr Gatte seinen erstaunlich ausschweifenden Lebensstil finanziert – schließlich erhält er von ihr nur ein kleines Taschengeld. Verzweifelt bittet sie Nero Wolfe um Hilfe, doch der weigert sich zunächst, ihren Fall zu übernehmen. Kurz darauf stellt sich heraus, dass ausgerechnet Wolfes Erzfeind Arnold Zeck dahinter steckt. Als auch noch eine Leiche auftaucht, beschließt der Detektiv, in den Untergrund zu gehen. Zur Tarnung nimmt er so stark ab, dass ihn nicht einmal sein Assistent Archie erkennt.

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Seitenzahl: 363

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Rex Stout

In den besten Familien

Ein Fall für Nero Wolfe

Aus dem amerikanischen Englisch von Werner Löcher-Lawrence

KLETT-COTTA

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »In The Best Families« erstmals 1950 bei Viking Press, New York, und liegt hier vollständig neu übersetzt vor.

© 1950, 1951, 1953, 1962, 1995 by Rex Stout

Für die deutsche Ausgabe

© 2019 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Umschlag: ANZINGER UND RASPKommunikation GmbH, München

Unter Verwendung einer Illustration von Dirk Schmidt, München

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96386-1

E-Book: ISBN 978-3-608-11557-4

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Kapitel Eins

Es war nicht überraschend, dass Mrs. Barry Rackham den Termin mit einem auf die Lippen gelegten Finger gemacht hatte. Das ist beileibe keine ungewöhnliche Geste für jemanden, der sich in einer Situation befindet, in der er keinen anderen Ausweg sieht, als sich an Nero Wolfe zu wenden.

Bei Mrs. Barry Rackham habe ich mir den Verschwiegenheit fordernden Finger allerdings nur vorgestellt, da sie den Termin telefonisch vereinbarte. Ich hörte ihn in ihrer leisen, abgehackten Stimme und der Art, wie sie immer wieder betonte, wie vertraulich alles sei, selbst noch, als ich ihr feierlich versicherte, dass wir nur selten die Presse informierten, wenn uns jemand um eine geschäftliche Unterredung bittet. Am Ende erklärte sie mir ein weiteres Mal, dass sie lieber mit Mr. Wolfe persönlich gesprochen hätte, und ich legte auf und beschloss, eine diskrete Routineüberprüfung der möglichen Klientin als ratsam zu erachten, beginnend mit Mr. Mitchell bei der Bank und Lon Cohen bei der Gazette. Was unser Hauptinteresse betraf – konnte sie ihre Rechnungen bezahlen und tat sie es auch? –, war das Ergebnis positiv: Sie war gut vier Millionen schwer, vielleicht fünf. Von vier ausgehend und in der Annahme, dass Mr. Wolfes Rechnungen nur die Hälfte davon ausmachen würden, reichte das, um mein gegenwärtiges Gehalt als Wolfes Sekretär, getreuer Assistent und offizielle Nervensäge für einhundertsiebenundsechzig Jahre zu zahlen; und da ich in Wolfes Haus lebte, kamen noch Kost und Logis hinzu. Sollte sich herausstellen, dass sie Detektivarbeit im Wert von zwei Millionen Mäusen benötigte, war ich also bis ans Lebensende versorgt.

Danach zu urteilen, wie sie um 11:05 am nächsten Morgen, freitags, aussah und sich benahm, als es klingelte und ich sie hereinließ, mochte das durchaus möglich sein. Ein Mann stand mit ihr auf der obersten Stufe, und nach einem schnellen Blick nach Osten und nach Westen schob sie sich an ihm vorbei, huschte blitzschnell ins Haus, ergriff meinen Ärmel und erklärte laut flüsternd: »Sie sind nicht Nero Wolfe!«

Sofort ließ sie mich wieder los, packte den Ellbogen ihres Begleiters, um ihn über die Schwelle zu ziehen, und zischte ihm aufbrausend zu: »Komm herein und mach die Tür zu!« Man hätte denken können, sie wäre eine Großfürstin, die in eine Pfandleihe stürzte.

Nicht, dass sie meiner Vorstellung von einer Großfürstin entsprochen hätte. Während ich die beiden hereinließ und Hut und Mantel des Mannes an die Garderobe hängte, musterte ich unsere Besucher. Sie war ein Widerspruch in sich – knochig vom Hals aufwärts, üppig nach unten hin. Über Kinn und Wangenknochen saß die Haut straff gespannt, aber entlang von Mund und Nase zog sich ein Gewirr aus Falten.

Ich half ihr aus dem Pelzmantel und sagte: »Hören Sie, Mrs. Rackham. Sie wollen doch Nero Wolfe sprechen, oder?«

»Ja«, flüsterte sie. Sie nickte und sagte dann mit lauter Stimme: »Selbstverständlich.«

»Dann sollten Sie, wenn möglich, aufhören zu zittern. Es macht Mr. Wolfe nervös, wenn eine Frau zittert. Er denkt dann, sie wird hysterisch, und hört Ihnen vielleicht nicht zu. Holen Sie tief Luft und versuchen Sie, damit aufzuhören.«

»Du hast den ganzen Weg im Auto schon so gezittert«, sagte der Mann mit einem sanften Bariton.

»Habe ich nicht!«, fuhr sie ihn an. Nachdem das geklärt war, wandte sie sich wieder an mich. »Das ist mein Cousin Calvin Leeds. Er wollte nicht, dass ich herkomme, aber ich habe ihn dennoch mitgebracht. Wo ist Mr. Wolfe?«

Ich zeigte auf die Tür zum Büro, ging sie öffnen und führte die beiden hinein.

Ich bin nie dahintergekommen, nach welchen Kriterien Wolfe entscheidet, ob er aufsteht oder nicht, wenn eine Frau sein Büro betritt. Sollte er festen Regeln folgen, sind sie zu kompliziert für mich, entscheidet er subjektiv, wüsste ich nicht, wo ich anfangen sollte. Diesmal blieb er hinter seinem Schreibtisch in der Ecke beim Fenster sitzen, nickte nur und murmelte etwas, als ich die Namen der beiden nannte. Einen Moment lang dachte ich, Mrs. Rackham starre ihn wegen seiner schlechten Manieren vorwurfsvoll an, doch es war, wie ich dann sah, nichts als überraschter Unglaube, dass er dermaßen dick und fett sein konnte. Ich bin so an seine Ausmaße gewöhnt, dass ich leicht vergesse, wie er auf Leute wirken muss, die ihn zum ersten Mal sehen.

Wolfe richtete einen Daumen auf den roten Ledersessel jenseits seines Schreibtischs und brummte in Mrs. Rackhams Richtung: »Setzen Sie sich, Madam.«

Sie ging und setzte sich. Ich tat es ihr nach, hinter meinem Schreibtisch, nicht weit von Wolfes und im rechten Winkel dazu. Calvin Leeds, der Cousin, saß bereits zum zweiten Mal. Er hatte sich zunächst die Couch hinten ausgesucht und war dann auf den Sessel gewechselt, den ich ihm herangezogen hatte. Ich nahm an, dass er und Mrs. Rackham das Licht der Welt etwa gleichzeitig mit dem zwanzigsten Jahrhundert erblickt hatten, aber er konnte auch etwas älter sein. Er trug eine Menge Wetter im Gesicht, hatte eine robust raue Haut, das Haar war mal braun gewesen, jetzt eher grau, und angesichts seiner mittleren Größe und seines mittleren Gewichts sah er aus und bewegte sich, als wären sämtliche Federn in ihm noch tadellos und gängig. Nachdem er Wolfe und das Büro eingehend in Augenschein genommen hatte, hielt er den Blick jetzt auf seine Cousine gerichtet.

Mrs. Rackham wandte sich an Wolfe. »Sie können nicht sehr gut herumlaufen und Dinge herausfinden, oder?«

»Ich weiß es nicht«, sagte er höflich. »Ich habe es seit Jahren nicht probiert und es auch nicht vor. Andere laufen für mich herum.« Er machte eine Geste zu mir hin. »Mr. Goodwin selbstverständlich, und es gibt noch mehr, wenn nötig. Brauchen Sie jemanden, der für Sie herumläuft?«

»Ja.« Sie machte eine Pause. Ihr Mund arbeitete. »Ich denke, schon. Vorausgesetzt, es kann auf sichere Art geschehen – ich meine, ohne, dass jemand davon erfährt.« Ihr Mund arbeitete noch etwas mehr. »Ich schäme mich bitterlich, dass ich in meinem Alter, zum ersten Mal im Leben – dass ich jetzt mit meinen persönlichen Angelegenheiten zu einem Privatdetektiv muss.«

»Dann hättest du nicht kommen sollen«, sagte Leeds verhalten.

»Dann kommen Sie zu früh«, erklärte Wolfe.

»Zu früh? Warum?«

»Sie hätten warten sollen, bis es so dringend oder unerträglich wird, dass Sie keine Scham mehr verspüren, Hilfe zu erbitten, besonders von jemandem, der so teuer ist wie ich.« Er schüttelte den Kopf. »Zu früh. Kommen Sie wieder her, falls und wenn Sie es müssen.«

»Hörst du, Sarah?«, sagte Leeds, aber ohne alles Besserwisserische.

Sie beachtete ihn nicht weiter, beugte sich vor und redete auf Wolfe ein: »Nein, jetzt bin ich hier. Ich muss es wissen! Ich muss das über meinen Mann wissen!«

Wolfes Kopf fuhr mit einem Blick zu mir herum, der mich versengen sollte. Ich hielt ihm stand und erklärte nachdrücklich: »Nein, Sir. Wenn das so ist, hat sie mich belogen. Ich habe ihr gesagt, dass wir nichts mit Beweisen für Scheidungen oder Trennungen zu tun haben wollen, und sie sagte, darum gehe es nicht.«

Er ließ von mir ab und fragte sie: »Wollen Sie, dass man Ihren Mann beschattet?«

»Ich – ich weiß nicht. Ich glaube, nicht –«

»Haben Sie den Verdacht, dass er Ihnen untreu ist?«

»Nein! Das nicht!«

Wolfe knurrte, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, suchte eine bequeme Position und brummte: »Nun reden Sie schon.«

Mrs. Rackhams Kinn begann zu zittern. Sie sah Leeds an. Seine Brauen fuhren in die Höhe, und er schüttelte den Kopf, offenbar nicht grundsätzlich ablehnend, sondern weil er ihr das Reden überlassen wollte. Wolfe ließ ein Grunzen hören. Sie richtete den Blick auf ihn und sagte klagend: »Ich bin neurotisch.«

»Aber ich bin kein Psychiater«, fuhr Wolfe sie an. »Ich bezweifle, dass –«

Sie unterbrach ihn. »Ich bin neurotisch, seit ich denken kann. Ich hatte weder Bruder noch Schwester, meine Mutter starb, als ich drei war, und mein Vater mochte meine Gesellschaft nicht, ich war ihm zu hässlich. Als er starb – da war ich zwanzig –, habe ich die ganze Beerdigung über geheult, nicht weil er tot war, sondern weil ich wusste, dass er mich nicht so lange so nahe bei sich gewollt hätte – in der Kirche, auf der Fahrt zum Friedhof und dort an seinem Grab.«

Ihr Kinn fing wieder an zu zittern, aber sie spannte es an und gewann die Kontrolle. »Ich erzähle Ihnen das, weil es sowieso kein Geheimnis ist, und ich will, dass Sie verstehen, warum ich Hilfe brauche. Ich war nie wirklich sicher, warum mein erster Mann auf mich verfallen war, schließlich hatte er selbst Geld und brauchte meines nicht wirklich. Aber es dauerte nicht lange, bis auch er meinen Anblick hasste, genau wie mein Vater. Also habe ich –«

»Das stimmt nicht, Sarah«, wandte Calvin Leeds ein. »Du hast dir nur eingebildet –«

»Quatsch!«, fuhr sie dazwischen. »So neurotisch bin ich nicht! Also habe ich mich scheiden lassen, mit seiner Zustimmung, dankbar war er mir, denke ich, wenn er auch zu höflich war, es zu sagen, und ich habe die Sache durchgepeitscht, weil er nicht erfahren sollte, dass ich schwanger war. Bald nach der Scheidung wurde mein Sohn geboren, und das ergab Komplikationen, aber ich habe ihn behalten – ich habe ihn behalten, und er gehörte mir, bis er in den Krieg zog. Er hat nie auch nur das kleinste Anzeichen von Gefühlen gezeigt, was mein Aussehen anging, im Gegenteil zu meinem Vater und meinem Mann. Ich war ihm nie peinlich. Er war gern mit mir zusammen. War er das nicht, Calvin?«

»Selbstverständlich war er das«, versicherte Leeds ihr und meinte es offensichtlich ehrlich.

Sie nickte und schien nachdenklich, blickte ins Leere und sah etwas, was nicht da war. Ungeduldig richtete sie den Blick wieder auf Wolfe. »Zugegeben, er heiratete, bevor er in den Krieg zog, ein sehr schönes Mädchen. Es stimmt nicht, dass ich wünschte, er hätte sich eine ausgesucht, die mir wenigstens ein bisschen ähnelte, aber natürlich konnte ich nicht umhin zu sehen, dass er aufs andere Extrem verfallen war. Annabel ist sehr schön. Ich war stolz auf meinen Sohn, dass er sie bekam – es schien meinen Punktestand in Bezug auf all die schönen Frauen, die ich kannte und gesehen hatte, auszugleichen. Annabel denkt, ich hasse sie, aber das stimmt nicht. Menschen, die so neurotisch sind wie ich, sollten nicht nach normalen Standards bewertet werden. Ich gebe Annabel keine Schuld, denn ich weiß sehr gut, dass ihr Verlust, als die Nachricht von seinem Tod in Deutschland kam, größer war als meiner. Er hatte nicht mehr mir gehört, sondern ihr.«

»Entschuldigen Sie«, warf Wolfe höflich, aber bestimmt ein. »Sie wollten mit mir über Ihren Mann sprechen. Sie sind geschieden, sagen Sie?«

»Absolut nicht! Ich –« Sie unterbrach sich. »Oh. Es geht um meinen zweiten Mann. Ich wollte nur, dass Sie mich verstehen.«

»Ich werde es versuchen. Kommen wir also zu ihm.«

»Barry Rackham«, sagte sie und betonte den Namen, als hielte sie das Urheberrecht daran, oder zumindest doch an den Nebenrechten. »Er spielte Football in Yale und hatte dann, bis der Krieg ausbrach, einen Job an der Wall Street. Zu Ende des Krieges war er ein Major, was nicht sehr viel ist nach fast vier Jahren. 1946 haben wir geheiratet – vor drei Jahren und sieben Monaten. Er ist zehn Jahre jünger als ich.«

Mrs. Barry Rackham hielt inne, den Blick auf Wolfes Gesicht gerichtet, als forderte sie ihn einen Moment lang heraus, doch die Herausforderung wurde abschlägig beschieden. Wolfe drängte sie nur mit einem Murmeln fortzufahren. »Und?«

»Ich denke«, sagte sie in einem einräumenden Tonfall, »es gibt in New York niemanden, der nicht davon überzeugt ist, dass er mich nur meines Geldes wegen geheiratet hat. Sie alle wissen es besser als ich, weil ich ihn nie danach gefragt habe, und er ist der Einzige, der es sicher weiß. Eines kann ich jedoch sagen: Es ist ihm nicht unangenehm, mich anzusehen. Das weiß ich sicher, weil ich da sehr sensibel bin, da bin ich neurotisch, und ich würde es in der ersten Sekunde spüren, in der ich es als unangenehm empfände. Natürlich weiß er, wie ich aussehe, er weiß, wie hässlich ich bin, er kann es nicht ändern, aber es macht ihm kein bisschen was aus, nicht mal –«

Sie hielt inne und wurde rot. Calvin Leeds hustete und rutschte auf seinem Stuhl herum. Wolfe schloss die Augen und öffnete sie einen Moment später wieder. Ich wandte den Blick nicht von ihr ab, weil mir selbst etwas unwohl wurde, als ihr die Röte ins Gesicht stieg; ich wollte sehen, ob ich es vor ihr verheimlichen konnte.

Aber sie interessierte sich nicht für mich. »Jedenfalls«, fuhr sie fort, als die Farbe wieder aus ihren Wangen wich, »liegt weiterhin alles in meinen Händen. Wir leben selbstverständlich in meinem Haus, in der Stadt und auf dem Land, ich zahle alles, es gibt Autos und so weiter, aber ich habe ihm nichts überschrieben und zahle auch kein Taschengeld. Das schien für mich nicht die Art, wie man damit umgehen sollte. Wenn er Geld brauchte, hat er mich darum gebeten, und ich habe es ihm, ohne Fragen zu stellen, gegeben.« Sie vollführte eine kleine Geste, ein Wischen mit der Hand. »Nicht immer, aber fast immer. Im zweiten Jahr war es mehr als im ersten und im dritten wieder mehr, und ich hatte das Gefühl, dass es ungebührlich wurde. Dreimal gab ich ihm weniger, als er wollte, ziemlich viel weniger, und einmal weigerte ich mich ganz. Ich stellte immer noch keine Fragen, aber er erklärte von sich aus, wozu er es brauchte, und versuchte, mich zu überreden; er war sehr nett, aber ich weigerte mich. Ich hatte das Gefühl, irgendwo eine Grenze ziehen zu müssen. Wollen Sie die Summen wissen?«

»Nicht dringend«, brummte Wolfe.

»Beim letzten Mal, dem Mal, als ich mich geweigert habe, waren es fünfzehntausend Dollar.« Sie beugte sich vor. »Das war sein letzter Versuch, vor sieben Monaten, am zweiten Oktober, und seitdem hat er mich nicht mehr um Geld gebeten, nicht ein einziges Mal! Aber er gibt eine Menge aus, mehr als zuvor. Für alle möglichen Dinge – gerade letzte Woche hat er achtunddreißig Mann zu einem Dinner eingeladen, ziemlich teuer, im University Club. Ich muss wissen, woher er das Geld bekommt. Das ist mir vor einiger Zeit klar geworden – vor zwei Monaten –, aber ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte. Ich wollte weder mit meinem Anwalt noch mit meinem Banker über so eine Sache reden, tatsächlich mit niemandem, und allein kam ich nicht weiter, also habe ich meinen Cousin Calvin Leeds gefragt.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Er sagte, er würde versuchen, etwas herauszufinden, doch das hat er nicht geschafft.«

Wir sahen Leeds an. Er hob eine Hand.

»Nun«, sagte er, halb entschuldigend, halb protestierend, »ich bin kein ausgebildeter Detektiv. Ich habe ihn rundheraus gefragt, und er hat mich nur ausgelacht. Ich durfte ja niemandem gegenüber eine Andeutung machen, Sarah, dass dich das Geld interessierte, das er nicht von dir bekam, was mich bei meinen Erkundigungen ziemlich behindert hat. Ich habe mein Bestes getan, das weißt du.«

»Mir scheint«, sagte Wolfe zu ihr, »dass Mr. Leeds da eine gute Idee hatte – ihn direkt zu fragen. Haben Sie das auch einmal probiert?«

»Gewiss. Vor langem schon. Er sagte, eine Investition, die er gemacht habe, zahle sich aus.«

»Vielleicht war es so. Warum nicht?«

»Nicht bei meinem Mann.« Da war sie sicher. »Ich weiß, wie er mit Geld umgeht. Er ist niemand, der in irgendetwas investiert. Noch etwas: Er ist jetzt häufiger weg, und im Gegensatz zu früher weiß ich nicht, wo er ist. Ich rede nicht von Wochen oder auch nur Tagen, sondern von Nachmittagen, Abenden – und mehrmals hatte er eine Verabredung, die er nicht absagen konnte, als ich es wollte –«

Wolfe stöhnte, und sie ging gleich auf ihn los. »Ich weiß! Sie denken, dass ich meine, ich hätte ihn gekauft und er gehöre mir! Aber so ist es ganz und gar nicht! Ich will nur eine Ehefrau sein wie jede andere – nicht schön und nicht hässlich, nicht reich und nicht arm –, einfach eine Ehefrau! Und hat eine Frau nicht ein Recht zu wissen, woher das Einkommen ihres Mannes stammt – ist es nicht ihre Pflicht, es zu wissen? Wenn sie eine Frau hätten, würden sie dann nicht wollen, dass sie es weiß?«

Wolfe verzog das Gesicht. »Ich kann Ihnen sagen, Madam, was ich nicht will. Ich will diesen Auftrag nicht. Ich denke, Sie wollen mich übertölpeln. Sie haben Ihren Mann im Verdacht, dass er Sie beschwindelt, emotional oder finanziell, und ich soll ihn dabei ertappen.« Er wandte sich mir zu. »Archie. Sie werden die Formulierung ändern müssen. Wenn in Zukunft eine Anfrage für einen Termin hereinkommt, sagen Sie nicht nur, dass wir keine Beweise für eine Scheidung oder Trennung beschaffen. Machen Sie klar, dass wir niemals einen Mann für seine Frau bloßstellen, oder eine Frau für ihren Mann, unter welchem Vorwand auch immer. Darf ich fragen, was Sie da machen, Mrs. Rackham?«

Sie hatte ihre braune Lederhandtasche geöffnet und ein Scheckbuch und einen kleinen goldenen Füllfederhalter herausgeholt. Sie legte das Scheckbuch auf die Tasche und schrieb etwas mit dem Füller hinein. Wolfe erhielt keine Antwort auf seine Frage, bis sie mit dem Schreiben fertig war, den Scheck herausgerissen, Scheckbuch und Füller zurück in die Tasche gesteckt hatte und den Verschluss zuschnappen ließ. Dann sah sie ihn an.

»Ich will meinen Mann nicht bloßstellen, Mr. Wolfe.« Sie hielt den Scheck zwischen Daumen und Zeigefingerspitze. »Gott weiß, dass ich das nicht will! Ich will nur Bescheid wissen. Sie sind nicht hässlich, furchtsam und neurotisch wie ich, Sie sind gewichtig, ansehnlich und erfolgreich und haben vor nichts Angst. Als mir bewusst wurde, dass ich Hilfe brauche, mein Cousin sie mir nicht geben konnte und ich mich niemandem anvertrauen wollte, den ich kannte, bin ich sehr vorsichtig vorgegangen. Sorgsam habe ich alles über Sie in Erfahrung gebracht, ohne dass jemand davon wusste, oder doch zumindest nicht, warum ich das tat. Wenn mein Mann mich verletzt, ist es das Ende; aber ich will ihn nicht bloßstellen, ich will es nur wissen. Sie sind der größte Detektiv der Welt und ein ehrbarer Mann. Ich will Sie einfach dafür bezahlen, dass Sie herausfinden, wo und wie mein Mann an das Geld kommt, das ist alles. Sie können unmöglich sagen, dass Sie das nicht tun wollen. Unmöglich!«

Damit stand sie aus ihrem Sessel auf, trat vor und legte ihm den Scheck auf den Schreibtisch. »Das sind zehntausend Dollar, was nicht heißt, dass ich denke, das sei genug. Was immer Sie meinen. Aber unterstehen Sie sich zu sagen, dass ich ihn bloßstellen wolle! Mein Gott – ihn bloßstellen?«

Bis zu dem Punkt hatte sie meine Sympathie, was mir jedoch quer herunterging, war ihre Grundannahme, dass reiche Leute bekommen, was sie wollen, wenn sie nur genug dafür auf den Tisch legen. Das reicht, um einem ehrbaren Arbeiter, wie zum Beispiel einem Privatdetektiv, fies auf die Nerven zu gehen. Die Annahme trifft natürlich in einigen Fällen zu, aber was reiche Leute einfach nicht kapieren, ist, dass es wichtige Ausnahmen gibt.

Das war jetzt jedoch keine von ihnen, und ich hoffte, Wolfe würde das einsehen. Er tat es. Er wollte es nicht, doch das Bankkonto hatte sich längst noch nicht von dem Schlag erholt, den es vor nur drei Wochen, am fünfzehnten März, erlitten hatte, und das wusste er. Wolfe beugte sich auf seinem Stuhl vor, um einen Blick auf den Scheck zu werfen, fing meinen Blick auf, sah, was ich davon hielt, stieß einen Seufzer aus und sprach.

»Holen Sie Ihr Notizbuch, Archie. Verflixt.«

Kapitel Zwei

Am nächsten Morgen, samstags, saß ich im Büro und tippte den Abschlussbericht eines Falls, den ich nicht beim Namen nennen werde, weil er von Beginn an von jeder Zeitung und jedem Mikrofon meilenweit ferngehalten werden musste. Wir waren Mrs. Rackhams Auftrag verpflichtet, seit ich am Freitagnachmittag ihren Scheck eingezahlt hatte, unternommen hatten wir jedoch noch nichts, nicht mal bei einer der Telefonnummern angerufen, die sie uns genannt hatte, weil Wolfe meinte, dass wir uns als Erstes Barry Rackham ansehen mussten. Dank Wolfes unumstößlicher Regel, niemals aus beruflichen Gründen sein Haus zu verlassen, und ohne plausiblen Grund, Rackham ins Büro zu holen, würde ich dieses Ansehen übernehmen müssen, was bereits arrangiert war.

Mrs. Rackham hatte darauf bestanden, dass ihr Mann keinesfalls wissen oder argwöhnen durfte, dass er ausgeforscht wurde, und auch niemand anders etwas mitbekommen durfte, was die Vorkehrungen für meine Inspektion leicht verkomplizierte. Sie erhob Einspruch gegen meinen Vorschlag, uns zu einem kleinen Wochenendtreffen in ihr Landhaus in Westchester einzuladen, da wahrscheinlich jemand den Archie Goodwin erkennen würde, der für Nero Wolfe arbeitete. Am Ende war es Calvin Leeds, der eine Alternative anbot, die angenommen wurde. Er besaß ein kleines Haus gleich neben ihrem Anwesen, genannt Hillside Kennels, wo er Hunde züchtete. Vor einem Monat war eines seiner wertvollen Tiere vergiftet worden, und ich sollte am Samstagnachmittag als ich selbst, der Detektiv Archie Goodwin, hinfahren, um den Fall zu untersuchen. Seine Cousine würde ihn abends nach Birchvale zum Essen einladen, und ich sollte mitkommen.

Es war ein ruhiger Samstagmorgen im Büro, Wolfe war wie gewohnt von neun bis elf oben bei seinen Orchideen, und ich tippte meinen Bericht eines gewissen Falls fertig, ohne unterbrochen zu werden, abgesehen von ein paar Anrufen, darunter einem, wegen dem ich kurz bei Wolfe nachfragen musste – von jemandem von Mummiani’s in der Fulton Street, der sagte, sie hätten gerade acht Pfund frische Würste von Bill Darst aus Hackettstown bekommen und Wolfe könne die Hälfte davon haben. Da Wolfe Darst für den besten Wurstmacher westlich von Cherbourg hält, wollte er, dass sie sofort mit einem Boten geschickt wurden, aber um Himmels willen ohne Trockeneis.

Um 11:01 war das Geräusch von Wolfes Aufzug zu hören. Ich legte das große Wörterbuch vor mir auf den Schreibtisch, öffnete es beim Buchstaben H und beugte mich darüber, während er das Büro betrat, zu seinem eigens angefertigten übergroßen Stuhl ging und sich setzte. Er schnappte kein einziges Mal nach mir, da er mit den Gedanken anderswo war. Noch bevor er nach seinem Bier klingelte, fragte er: »Sind die Würste schon da?«

Ohne den Blick zu heben, sagte ich nein.

Er drückte zweimal den Knopf – das Biersignal –, lehnte sich zurück und blickte stirnrunzelnd zu mir herüber. Ich sah das Runzeln nicht, hörte es aber am Klang seiner Stimme.

»Was sehen Sie da nach?«, wollte er wissen.

»Oh, nur ein Wort«, sagte ich leichthin. »Wegen unserer Klientin. Ich fand es ungebildet, Sie ansehnlich zu nennen – erinnern Sie sich? Aber verflucht, es war nur eine Untertreibung. Hier steht es und ist absolut koscher: ›ansehnlich: immens, nicht unbeträchtlich‹. Zum Beispiel eine ›nicht unbeträchtliche Summe Geldes‹. Also hatte sie absolut recht, Sie sind ein ansehnlicher Detektiv, von nicht unbeträchtlichem Ausmaß.« Ich schloss das Wörterbuch, stellte es zurück an seinen Platz und bemerkte fröhlich: »Man lernt nie aus!«

Es war ein Blindgänger. Für gewöhnlich hätte ihn das mit Ausdrücken und Adjektiven um sich werfen lassen, doch er war beschäftigt. Vielleicht hatte er mir nicht mal zugehört. Als Fritz mit dem Bier aus der Küche kam, holte Wolfe aus der Schublade den goldenen Flaschenöffner, den ihm ein zufriedener Kunde geschenkt hatte, und sprach: »Fritz, gute Nachrichten. Wir bekommen einige von Mr. Darsts Würsten – vier Pfund.«

Fritz ließ seine Augen leuchten. »Ha! Heute?«

»Jeden Augenblick.« Wolfe schenkte sich das Bier ein. »Das wirft die Nelkenfrage wieder auf. Was denken Sie?«

»Ich bin dagegen«, sagte Fritz entschieden.

Wolfe nickte. »Ich denke, ich stimme Ihnen zu. Ich denke es. Sie erinnern sich vielleicht, was Marko Vukcic letztes Jahr gesagt hat – und nebenbei bemerkt, er muss eingeladen werden, damit er sie probieren kann. Montag zum Mittagessen?«

»Das wäre möglich«, räumte Fritz ein, »aber wir hatten Barsch mit Rogen verabredet –«

»Natürlich.« Wolfe hob sein Glas und trank, stellte es leer ab und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Lippen. Das, so dachte er, war die einzige Art, wie ein Mann ein Taschentuch parfümieren sollte. »Wir laden Marko am Montagabend zu den Würsten ein, gefolgt von Ente Mondor.« Er beugte sich vor und wackelte mit einem Finger. »Was die Schalotten und den frischen Thymian angeht: Es hat keinen Sinn, sich auf Mr. Colson zu verlassen. Vielleicht werden wir wieder übers Ohr gehauen. Archie wird –«

In diesem Moment klingelte es, und Archie musste zur Tür, was ich gerne tat. Ich weiß die Ergebnisse von Wolfes und Fritz’ Palaver über Fressalien absolut zu schätzen, wenn sie auf den Tisch kommen, meistens jedenfalls, aber oft kommt mir das Gefasel darüber übertrieben vor. Also hatte ich nichts dagegen, in den Flur und zur Tür zu gehen. Davor stand ein junger Mann mit einem Paket und einer Knollennase, auf dessen Kappe »Fleet-Botendienst« stand. Ich unterschrieb die Quittung, schloss die Tür, lief den Flur wieder hinunter, und schon kam mir nicht nur Fritz, sondern auch Wolfe entgegen, der sich gut zu bewegen weiß, wenn er denkt, dass es etwas gibt, wofür es sich lohnt. Er nahm das Paket und steuerte damit die Küche an, gefolgt von Fritz und mir.

Der kleine Karton war mit Klebestreifen verschlossen. Wolfe stellte ihn auf den langen Tisch, zog ein Messer aus dem Halter, schnitt das Klebeband oben auf und öffnete ihn. Meine Reflexe sind gut, und kaum, dass das Zischen anfing, packte ich Wolfes Arm, zerrte ihn vom Paket weg und schrie Fritz zu: »Vorsicht! Runter!«

Wolfe ist in Anbetracht dessen, was er zu bewegen hat, durchaus agil. Er und ich waren durch die offene Tür im Flur, bevor das Paket explodierte. Fritz sprang hinter uns her und riss die Tür mit sich. Wir stürzten weiter, das kurze Stück Flur hinunter zur Bürotür und durch sie hindurch. Da blieben wir stehen. Noch immer keine Explosion.

»Kommen Sie zurück!«, befahl Wolfe.

»Seien Sie still«, befahl ich zurück, ließ mich auf Hände und Knie fallen und kroch in den Flur. Dort hielt ich inne, um schnuppernd die Nase zu heben, kroch bis auf einen Meter an den Spalt unter der Küchentür heran und schnupperte wieder.

Ich stand auf, ging zurück ins Büro und sagte: »Gas. Tränengas, glaube ich. Das Zischen hat aufgehört.«

Wolfe schnaubte.

»Keine Würste«, sagte Fritz grimmig.

»Wenn es ein Zündmechanismus mit einer Granate gewesen wäre«, erklärte ich ihm, »gäbe es reichlich Wurst. Nicht für uns, sondern aus uns. So ist es nur eine verdammte Pest. Ihr bleibt besser hier sitzen und schwatzt eine Weile.«

Ich ging in den Flur, zog die Tür hinter mir zu, lief zur Haustür und öffnete sie weit. Zurück vor der Küchentür, holte ich tief Luft, riss sie auf, rannte zur Hintertür in den Garten, stieß auch sie auf und eilte wieder nach vorne. Selbst dort war die Luft unangenehm gasig, und so trat ich hinaus auf die Stufen. Ich stand kaum einen Moment da, als ich hörte, wie mein Name gerufen wurde.

»Archie!«

Ich drehte mich um. Wolfes Kopf mit seinem dicken, länglichen Gesicht ragte aus einem Fenster des Wohnzimmers.

»Ja, Sir«, sagte ich aufgeräumt.

»Wer hat das Paket gebracht?«

Ich erzählte vom Fleet-Botendienst.

Als der Durchzug die Luft im Flur geklärt hatte, ging ich zurück in die Küche, Fritz kam ebenfalls. Wir inspizierten das Paket und stellten fest, dass es ein ziemlich einfacher Mechanismus war: ein Metallzylinder mit einem Ventil, daran ein Messingstab, der so eingerichtet war, dass sich beim Öffnen des Pakets auch das Ventil öffnete. Aus der Nähe roch es immer noch sehr stark, und Fritz trug das Paket in den Keller. Wolfe saß im Büro, hinter seinem Schreibtisch, und telefonierte.

Ich ließ mich auf meinen Stuhl sinken und betupfte meine tränenden Augen mit einem Taschentuch. Als er auflegte, fragte ich: »Und?«

»Ich hatte nichts erwartet«, knurrte er.

»Gut. Soll ich einen Cop rufen?«

»Nein.«

Ich nickte. »Das war eine rhetorische Frage.« Ich tupfte noch ein wenig an meinen Augen herum und putzte mir die Nase. »Nero Wolfe ruft nicht nach den Cops. Nero Wolfe öffnet seine Wurstpakete selbst und lässt seine Feinde höchstpersönlich ins Gras beißen.« Ich schnaubte in mein Taschentuch. »Nero Wolfe ist ein Mann, der nicht zu stoppen sein wird, wenn er ein Paket zu viel aufmacht. Nero Wolfe hat noch nie –«

»Das war keine rhetorische Frage«, sagte Wolfe grob. »Rhetorisch bedeutet etwas anderes.«

»Ja? Ich habe die Frage gestellt, und ich wollte sie rhetorisch. Können Sie beweisen, dass ich nicht weiß, was rhetorisch bedeutet?« Ich schnaubte in mein Taschentuch. »Wenn Sie mir eine Frage stellen, was Sie weiß Gott oft tun, nehme ich dann an –«

Das Telefon klingelte. Eines von den unzähligen Dingen, mit denen ich mein Gehalt verdiene, ist das Beantworten von Anrufen, also nahm ich ab. Und dann geschah etwas Komisches. Es steht absolut außer Frage, dass es ein Schock für mich war, diese Stimme zu hören, ich spürte es im Magen. Aber zum Teil ist ein Schock auch deshalb ein Schock, weil er unerwartet kommt, und ich glaube nicht, dass der Klang dieser Stimme in meinem Ohr unerwartet war. Ich glaube, Wolfe und ich hatten da nur gesessen und geredet, um uns gegenseitig zu hören, weil wir nach dem, was gerade geschehen war, beide damit rechneten, diese Stimme früher oder später zu vernehmen – wahrscheinlich früher.

Was sie sagte, war nur: »Kann ich bitte Mr. Wolfe sprechen?«

Ich spürte es im Magen, hart und heftig, doch das würde ich mir verdammt noch mal nicht anmerken lassen. Ich sagte, nicht gerade herzlich: »Oh, hallo, wenn ich es richtig verstehe. Hießen Sie nicht mal Duncan?«

»Ja. Mr. Wolfe, bitte.«

»Bleiben Sie am Apparat.« Ich legte eine Hand auf den Hörer und sagte zu Wolfe: »Der – Wer.«

»Wer?«, wollte er wissen.

»Sie können es mir vom Gesicht ablesen. Mr. X. Mr. Z. Er.«

Die Lippen zusammengepresst, griff Wolfe nach dem Hörer. »Nero Wolfe am Apparat.«

»Wie geht es, Mr. Wolfe.« Ich blieb dran, und die harte, kalte, präzise Stimme klang genau wie die vier früheren Male, die ich sie schon gehört hatte, im Verlauf von drei Jahren. Sie sprach jede einzelne Silbe klar und flüssig aus. »Wissen Sie, wer ich bin?«

»Ja.« Wolfe war schroff. »Was wollen Sie?«

»Ich möchte Sie auf meine Nachsicht aufmerksam machen. In dem kleinen Paket hätte etwas wirklich Zerstörerisches sein können, doch ich habe es vorgezogen, es bei einem Hinweis zu belassen. Wie ich Ihnen schon vor etwa einem Jahr gesagt habe, ist diese Welt mit Ihnen interessanter.«

»Das finde ich auch«, sagte Wolfe trocken.

»Kein Zweifel. Im Übrigen habe ich Ihre brillante Überführung des Mörders von Louis Rony nicht vergessen. Zufällig entsprach Ihr Interesse da meinem. Aber jetzt ist es nicht so, mit Mrs. Barry Rackham, und das geht nicht. Wegen meiner Hochachtung für Sie möchte ich nicht, dass Sie Ihre Einnahmen verlieren. Geben Sie das Geld zurück, steigen Sie aus, und in zwei Monaten, von heute an gerechnet, schicke ich Ihnen zehntausend Dollar in bar. Bereits zweimal haben Sie ähnliche Bitten von mir ignoriert, und die Umstände haben Sie gerettet. Ich rate ernsthaft von einer Wiederholung ab. Sie müssen verstehen –«

Wolfe nahm den Hörer vom Ohr und legte ihn auf die Gabel. Damit die Wirkung nicht verloren ging, tat ich es ihm nach, praktisch gleichzeitig.

»Herrgott, da geht es also wieder los«, fing ich an. »Von allen niederträchtigen –«

»Ruhe«, knurrte Wolfe.

Ich gehorchte. Er legte die Ellbogen auf die Stuhllehnen, verschränkte die Finger vorne, wo sein Leib am rundesten war, und starrte auf eine Ecke seiner Schreibunterlage. Ich hatte tatsächlich nichts zu sagen, abgesehen davon, dass es eine lausige Pause war, und das musste nicht gesagt werden. Wolfe hatte mir einmal befohlen zu vergessen, dass ich den Namen Arnold Zeck je gehört hatte, aber ob ich ihn nun Zeck nannte, Der–Wer oder X, er blieb doch der Mann, der vor etwa zehn Monaten zwei Männer mit einer SM und einer Tommy Gun auf ein Dach auf der anderen Straßenseite geschickt hatte, damit sie das Feuer auf Wolfes Pflanzenräume eröffneten; sie hatten Glas und Ausrüstung im Wert von zehntausend Dollar zerstört und Orchideen für achttausend Dollar zum Grundstock für einen Komposthaufen gemacht. Das war nur eine Warnung gewesen.

Jetzt wollte er, dass wir Barry Rackham in Ruhe ließen. Was wohl bedeutete, dass wir, ohne einen Finger zu rühren, die Antwort auf Mrs. Rackhams Frage gefunden hatten – woher bekam ihr Mann sein Taschengeld? Er war in den Kreis von Arnold Zecks Machenschaften gelangt, über die Wolfe mal gesagt hatte, dass sie insgesamt illegal und einige von ihnen moralisch widerwärtig seien. Zeck wollte nicht, dass einem seiner Männer hinterhergeschnüffelt wurde. Das war so gut wie sicher der Punkt, aber ob es sich nun so verhielt oder nicht, Tatsache war, dass wir aufs Neue genau in Zeck hineingerannt waren, was so übel war wie ein Haufen Darst-Würste, die zu einem Tränengaszylinder wurden.

»Dem Kerl gefällt es, die Dinge genau zu timen, zur Hölle mit ihm«, klagte ich. »Er mag es dramatisch. Er hatte jemanden in der Nähe, um zu sehen, wie das Paket abgegeben wurde, und als ich die Haustür offen ließ und hinaus auf die Stufen trat, war klar, dass wir es geöffnet hatten. Sobald ihm das mitgeteilt wurde, rief er an. Himmel, er könnte sogar –«

Ich brach ab, weil ich begriff, dass ich mit mir selbst sprach. Wolfe hörte mich nicht. Er saß da und starrte die Ecke seiner Schreibunterlage an. Ich machte den Mund zu und saß da und starrte ihn an. Es dauerte gute fünf Minuten, bevor er etwas sagte.

»Archie«, sagte er und sah mich an.

»Ja, Sir.«

»Wie viele Fälle haben wir seit letztem Juli bearbeitet?«

»Alles mitgerechnet? Jeder einzelne? Oh, vierzig.«

»Ich hätte gedacht, mehr. Aber gut, sagen wir, vierzig. Wir sind diesem Mann schon vor zwei Jahren ungewollt in die Quere gekommen, und dann wieder im letzten Jahr. Er und ich, wir beschäftigen uns beide mit Verbrechen, und sein Netz ist weit gespannt, also mag man das als vernünftige Aussicht für die Zukunft nehmen: Einmal im Jahr, oder in einem von vierzig Fällen, die uns auf den Tisch flattern, bekommen wir es mit ihm zu tun. Diese Episode wird sich wiederholen.« Er deutete mit dem Daumen auf das Telefon. »Das Ding wird klingeln, und diese verflixte Stimme wird sich anmaßen, uns Vorschriften zu machen. Wenn wir ihr folgen, behalten wir dieses Büro und unser Auskommen nur durch seine Duldung. Wenn wir ihm die Stirn bieten, leben wir in einem Zustand ständiger furchtsamer Wachsamkeit, und einer von uns wird wahrscheinlich getötet werden. Also?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich könnte es nicht klarer sagen. Mir gefallen beide Möglichkeiten nicht.«

»Mir auch nicht.«

»Wenn es Sie erwischt, bin ich meinen Job los, und erwischt es mich, bleibt Ihnen kaum etwas, als in Rente zu gehen.« Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. »Das Vertrackte ist, dass wir nicht ewig haben, um uns zu entscheiden. Es ist zwanzig nach zwölf, und ich werde um drei in Hillside Kennels erwartet und muss vorher noch essen, mich rasieren und umziehen. Das heißt, wenn ich hinwill. Will ich hin?«

»Genau.« Wolfe seufzte. »Das ist Punkt zwei. Vor zwei Jahren, im Fall Orchard, habe ich persönlich die Verantwortung übernommen, die Drohung des Mannes zu ignorieren. Letztes Jahr, im Fall Kane, war es ebenfalls so. Diesmal will ich das nicht und werde es nicht tun. Die Grundentscheidungen der Detektei sind meine Sache, ich weiß, doch ich werde Ihnen nicht sagen, dass Sie dort heute hinfahren und sich Mr. Rackham ansehen müssen, um Ihr Geld zu verdienen. Wenn es Ihnen lieber ist, können Sie anrufen und das Ganze verschieben, und wir überlegen uns die Sache in Ruhe.«

Ich hatte die Brauen angehoben. »Zum Teufel. Damit wälzen Sie es auf mich ab, wie?«

»Ja. Mir fehlt die nötige Energie. Wenn Staatsdiener und andere angesehene Bürger Befehle von diesem Mann entgegennehmen, warum nicht auch ich?«

»Sie verdammter Schwindler«, sagte ich nachsichtig. »Sie wissen genau, dass ich eher Seife fresse, als Sie denken zu lassen, dass ich vor dem Hurensohn kusche, und ich weiß, dass Sie eher Meerrettich auf Austern schmieren, als mich denken zu lassen, dass Sie so was tun. Vielleicht täte ich es, wenn Sie nichts davon wüssten, und Sie, wenn ich nichts davon wüsste, aber so, wie es ist, kommen wir da nicht raus.«

Wolfe seufzte wieder, diesmal noch tiefer. »Ich gehe also davon aus, dass Sie hinfahren?«

»Ich fahre. Aber nur unter der Bedingung, dass die furchtsame Wachsamkeit sofort beginnt. Dass Sie Fritz herrufen, und Theodore aus den Pflanzenräumen, und den beiden erklären, womit wir es zu tun haben, und dass sie an beiden Türen die Ketten vorgelegt halten und von den Fenstern wegbleiben und nichts und niemand hier hereindarf, solange ich nicht hier bin.«

»Großer Gott«, sagte er säuerlich, »so kann man nicht leben.«

»Das können Sie nicht sagen, ohne es versucht zu haben. Vielleicht gefällt es Ihnen ja in zehn Jahren.« Ich griff zum Haustelefon und wählte die Nummer der Pflanzenräume, um Theodore herzuholen.

Wolfe saß da und sah mich grimmig an.

Kapitel Drei

Als ich den Wagen vom Taconic State Parkway auf die Route 100 lenkte, zeigte die Uhr im Armaturenbrett erst 2:40 und ich beschloss, einen kleinen Umweg zu machen. Ich würde nur ein paar Meilen vom Weg abweichen und bog an der Pines Bridge rechts ab, statt links über die Brücke zu fahren. Es würde nichts bringen, zum Eingang des Anwesens mit der großen Steinsäule zu fahren, in die EASTCREST gemeißelt war, da ich von dort nur die Zufahrt hoch in den Wald sehen konnte, und so schwenkte ich eine Meile vorher schon von der Straße auf einen holprigen Weg und fuhr eine Anhöhe hinauf. Oben führte der Weg auf eine Reihe Wiesen, und ich hielt auf dem Gras, nahm das Fernglas und richtete es auf den Gipfel des nächsten Hügels, der ein wenig höher lag und auf dem das Dach und der obere Teil einer großen Villa aus den Bäumen ragten. Jetzt, Anfang April, war alles noch unbelaubt, und ich konnte mit dem Fernglas den Großteil des Anwesens sehen und sogar etwas vom Gelände rundum, über das sich ein paar Männer bewegten.

Das war Eastcrest, der legale Sitz des illegalen Arnold Zeck – aber natürlich gibt es viele Möglichkeiten der Illegalität. Eine besteht darin, über eine rote Ampel zu fahren. Eine andere ist es, das Gesetz nur mit Hilfe eines Stellvertreters zu brechen, für Geld, einen Anteil einzustreichen, der sich nicht zurückverfolgen lässt, und niemals jemanden zu billig einzukaufen. Das war es, was Zeck seit zwanzig Jahren machte – und dort lag Eastcrest.

Alles, was ich wollte, war, einen Blick darauf zu werfen, es oben von einer Anhöhe aus zu betrachten. Ich hatte Zeck nie gesehen, und nach allem, was ich wusste, ging es Wolfe genauso. Jetzt, da wir zum dritten Mal in ihn hineinliefen und es grundsätzlich werden mochte, dachte ich, ich sollte zumindest mal sein Dach sehen und die Schornsteine zählen. Das war alles. Er war so verdammt unerreichbar und geheimnisvoll. Jetzt wusste ich, dass er vier Schornsteine hatte und an dem auf dem Südflügel zwei Ziegel lose waren.

Ich wendete den Wagen, fuhr die Anhöhe wieder hinunter und blickte dabei, wenn Sie es glauben können, ständig in den Rückspiegel, um zu sehen, ob mir jemand folgte. So weit war ich schon, was Zeck anging. Es war nicht gut für meine Selbstachtung, schlecht für die Nerven, und ich war es absolut leid.

Mrs. Rackhams Anwesen, Birchvale, lag nur fünf Meilen entfernt, auf der anderen Seite von Mount Kisco, aber ich bog einmal falsch ab und kam erst um Viertel nach drei an. Der Eingang war angemessen, aber nichts Großartiges. Ich fuhr vorbei, und ehe ich mich versah, stand links ein ordentliches kleines Schild:

HILLSIDE KENNELS

Dobermann-Pinscher

Die Toröffnung war eng, genau wie die Zufahrt. Ich steuerte am Haus vorbei auf einen leeren rechteckigen, nicht sehr schön bekiesten Platz dahinter und steuerte in eine Ecke nahe bei einem hölzernen Gebäude. Als ich ausstieg, erschallte von irgendwo eine Stimme, und eine scharfe, wilde Bestie sprang hinter einem Busch hervor und schoss wie ein Blitz auf mich zu. Ich erstarrte, bis auf meinen rechten Arm, der meine Hand automatisch zu meinem Schulterhalfter fahren ließ.

Eine weibliche Stimme schickte einen schneidenden Befehl über den Platz. »Zurück!«

Die Bestie, noch zehn Schritte von mir entfernt, fuhr auf der Stelle herum und trabte zügig auf eine Frau zu, die am Rand des Platzes erschien, drehte sich erneut um und starrte mich an, mit aller Macht darauf konzentriert, schön und gefährlich auszusehen. Ich hätte ihn mit Vergnügen ausknipsen können. Ich mag keine Hunde, die einen für schuldig halten, bis man beweist, dass man es nicht ist. Ich mag demokratische Hunde.

Ein Mann erschien neben der Frau. Sie kamen näher.

Die Frau sagte: »Mr. Goodwin? Mr. Leeds musste eine Besorgung machen, aber er ist bald wieder da. Ich bin Annabel Frey.« Sie kam zu mir und bot mir ihre Hand an, die ich ergriff.

Es war meine erste Überprüfung einer Angabe, die Mrs. Rackham gemacht hatte, und ich gab ihr die volle Punktzahl in Sachen Genauigkeit. Sie hatte gesagt, ihre Schwiegertochter sei sehr schön. Manch einer hätte geneigt sein können, zu widersprechen, zum Beispiel jemand, der keine so weit auseinanderstehenden Augen mag oder der rosafarbene Haut dunkler vorzieht, aber ich bin nicht pingelig, was die Einzelheiten angeht. Der Mann kam ebenfalls heran, und sie nannte seinen Namen, Hammond, und auch wir schüttelten uns die Hand. Er war ein untersetzter, mittelalter Bursche in einem hellblauen Hemd, einer hellbraunen Jacke und einer grauen Hose – eine wahnsinnige Kombination. Ich trug einen gemischten Tweed von Fradick mit einem gebrochen weißen Hemd und einer kastanienbraunen Krawatte.

»Ich setze mich in meinen Wagen«, erklärte ich den beiden, »um auf Mr. Leeds zu warten. Wenn der Tierbestand hier so frei herumläuft.«

Sie lachte. »Duke läuft nicht frei herum, er gehört zu mir. Er hätte Sie nicht angerührt. Drei Schritt entfernt wäre er stehen geblieben, in Sprungweite, und hätte auf mich gewartet. Mögen Sie keine Hunde?«

»Das hängt ganz vom Hund ab. Sie könnten genauso gut fragen, ob ich Zitronenkuchen mag. Bei einem Hund, der den Raum zwischen sich und mir unter dem Gesichtspunkt von Sprungweite betrachtet, bin ich ein strenger Anhänger furchtsamer Wachsamkeit.«

»Große Güte.« Sie ließ ihre langen Wimpern über den dunkelbauen Augen auf- und niederfahren. »Reden Sie immer so?« Ihr Blick wandte sich Hammond zu. »Haben Sie das gehört, Dana?«

»Ich bin, wie Sie wissen, ganz seiner Meinung«, erklärte Hammond, »und ich fürchte mich auch nicht, es zu sagen, zeigt es doch, zu was ich bereit bin, um Ihnen nahe zu sein. Als Sie seinen Zwinger öffneten und er heraussprang, haben sich all meine Haare aufgerichtet.«

»Ich weiß«, sagte Annabel Frey verächtlich. »Und Duke weiß es auch. Ich denke, ich sperre ihn besser wieder ein.« Sie wandte sich ab, sagte etwas zu dem Hund, der seine Haltung aufgab und zu ihr lief, und sie verschwanden hinter der Ecke des Gebäudes. Es lag eine gewisse Ähnlichkeit in den Bewegungen der beiden, muskulös, sicher, schnell, aber irgendwie auch nervös und zart.

»Jetzt können wir entspannen«, sagte ich zu Hammond.