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Rex Stout war einer der erfolgreichsten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts. Seine literarische Schöpfung, der Privatdetektiv Nero Wolfe, zählt bis heute zu den berühmtesten Figuren des Genres. Zusammen mit seinem Assistenten Archie Goodwin hat der Ermittler mit einer Passion für Orchideenzucht und Gourmetküche weltweit Millionen Leser in den Bann gezogen. Die Neuübersetzung der Krimireihe bietet nun dem deutschen Leser erstmals die Möglichkeit, die Kriminalromane in ihrer vollständigen literarischen Qualität zu entdecken. Die reiche Exzentrikerin Rachel Bruner hat die Nase voll vom amerikanischen Geheimdienst. Sie kauft zehntausend Exemplare eines Enthüllungsbuchs und verschickt es landesweit. Klar, dass das Ärger gibt: Das FBI lässt sie auf Schritt und Tritt überwachen. In ihrer Not wendet sich die vornehme Dame an Nero Wolfe, den berühmtesten Privatermittler von New York. Doch wie soll der ihr helfen? Sein Gegenspieler ist immerhin kein Geringerer als J. Edgar Hoover. Ein Scheck über 100 000 Dollar überzeugt ihn, es zumindest zu versuchen. Da kommt ihm ein Mordfall an einem Journalisten sehr gelegen ...
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Seitenzahl: 274
Rex Stout
Es klingelte an der Tür
Ein Fall für Nero Wolfe
Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch
Mit einem Nachwort von Jürgen Kaube
KLETT-COTTA
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
www.klett-cotta.de
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1965 unter dem Titel »The Doorbell Rang« bei Viking Press, New York, und liegt hier vollständig neu übersetzt vor.
© 1965 by Rex Stout
Nachwort © 2017 by Jürgen Kaube
Für die deutsche Ausgabe
© 2017 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1669, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Cover: ANZINGER UND RASP Kommunikation GmbH, München
Unter Verwendung einer Illustration von Dirk Schmidt, München
Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde
Printausgabe: ISBN 978-3-608-98111-7
E-Book: ISBN 978-3-608-10082-2
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Kapitel Vierzehn
Kapitel Fünfzehn
Nachwort
Aus dem Rex-Stout-Archiv
Da er maßgeblich zur Entscheidung beitrug, kann ich ebenso gut mit seiner Beschreibung beginnen. Ein rosa Zettel, siebeneinhalb Zentimeter breit und knapp achtzehn Zentimeter lang, wies die First National City Bank an, Nero Wolfe einhunderttausendkommanullnull Dollar auszuzahlen. Gezeichnet: Rachel Bruner. Er lag dort auf Wolfes Schreibtisch, wo Mrs. Bruner ihn hingeschoben hatte, bevor sie wieder in dem roten Ledersessel Platz nahm.
Sie war seit einer halben Stunde hier, eingetroffen wenige Minuten nach sechs Uhr. Ihre Sekretärin hatte sich erst drei Stunden zuvor telefonisch wegen eines Termins gemeldet, und so war für Nachforschungen kaum Zeit geblieben, was im Fall der Witwe von Lloyd Bruner, die dessen gesamtes Vermögen geerbt hatte, dennoch ausreichend erschien. Mindestens acht der mehreren Dutzend Immobilien, die Bruner ihr hinterlassen hatte, waren höher als zwölf Stockwerke, und eine sogar aus allen Himmelsrichtungen zu sehen – von Norden, Osten, Süden und Westen. Eigentlich war nicht mehr zu tun gewesen, als Lon Cohen bei der Gazette anzurufen und zu fragen, ob ihm etwas nicht zur Veröffentlichung geeignetes über jemanden namens Bruner zu Ohren gekommen sei, aber ich machte doch noch ein paar weitere Anrufe, unter anderem bei dem Vizepräsidenten unserer Bank und dem Rechtsanwalt Nathaniel Parker. Dabei erfuhr ich nichts, nur sagte der Vizepräsident irgendwann plötzlich: »Oh … das ist eigenartig …«, und verstummte.
Ich fragte ihn, was denn so eigenartig sei.
Pause. »Ach, nichts. Unser Präsident Mr. Abernathy hat ein Buch von ihr bekommen …«
»Was für ein Buch?«
»Es – ich hab’s vergessen. Wenn Sie mich entschuldigen, Mr. Goodwin, ich bin sehr beschäftigt.«
Als ich auf das Klingeln in dem alten Brownstone auf der West Thirty-fifth Street hin die Tür öffnete, sie hereinließ und in unser Büro führte, hatte ich also nicht mehr über sie erfahren, als dass sie einem Mann ein Buch geschickt hatte. Nachdem sie sich in dem roten Ledersessel niedergelassen hatte, legte ich ihren Mantel, der einem Zobel, für den ein Freund von mir achtzehntausend Dollar bezahlt hatte, mindestens ebenbürtig war, auf das Sofa, setzte mich an meinen Schreibtisch und nahm sie in Augenschein. Sie war ein wenig zu klein und ein bisschen zu drall, um als elegant zu gelten, und auch wenn ihr hellbraunes Wollkleid von Dior war, wirkte ihr Gesicht zu rund, doch an den braunschwarzen Augen, die sie auf Wolfe richtete, war nichts auszusetzen, als sie ihn fragte, ob sie ihm erklären müsse, wer sie sei.
Er betrachtete sie ohne jede Begeisterung. Blöderweise hatte das neue Jahr gerade erst angefangen, und wahrscheinlich würde er daher wohl arbeiten müssen. Im November oder Dezember, wenn er bereits einen bestimmten Steuersatz erreicht hatte und drei Viertel von jedem zusätzlichen Einkommen – früher sogar noch mehr – würde abführen müssen, lehnte er Aufträge praktisch automatisch ab, aber im Januar war das etwas anderes, und heute hatten wir den fünften, und diese Frau war steinreich. Das passte ihm nicht. »Mr. Goodwin hat mir Ihren Namen genannt«, sagte er unterkühlt, »außerdem lese ich Zeitung.«
Sie nickte. »Das weiß ich. Überhaupt weiß ich eine ganze Menge über Sie, deshalb bin ich hier. Ich möchte, dass Sie etwas tun, zu dem möglicherweise kein anderer Mensch auf der Welt imstande ist. Sie lesen auch Bücher. Haben Sie eines mit dem Titel Das unbekannte FBI gelesen?«
»Ja.«
»Dann muss ich Ihnen nichts darüber erzählen. Hat es Sie beeindruckt?«
»Ja.«
»Positiv?«
»Ja.«
»Du liebe Güte, sind Sie kurz angebunden.«
»Ich beantworte Ihre Fragen, Madam.«
»Das weiß ich. Ich kann mich auch kurz fassen. Das Buch hat mich beeindruckt. Sogar so sehr, dass ich zehntausend Exemplare gekauft und landesweit allen möglichen Personen geschickt habe.«
»Tatsächlich.« Wolfe hob fast unmerklich die Brauen.
»Ja, ich habe es an Angehörige des Kabinetts geschickt, Richter des obersten Gerichtshofs, sämtliche Staatsgouverneure, alle Senatoren und Repräsentanten, Vertreter der Legislative, Herausgeber und Redakteure von Zeitungen und Zeitschriften, Vorstände von Unternehmen und Banken, Intendaten von Fernseh- und Radiosendern, Kolumnisten, Staatsanwälte, Pädagogen und andere – ach ja, auch an Polizeipräsidenten. Muss ich erklären, warum?«
»Mir nicht.«
In ihren braunschwarzen Augen blitzte es. »Ihr Ton gefällt mir nicht. Ich möchte, dass Sie etwas für mich tun, und bin bereit, dafür Ihren Höchstsatz zu bezahlen, auch mehr als diesen, nach oben sind keine Grenzen gesetzt, aber es wäre sinnlos, fortzufahren, sofern Sie nicht – Sie sagten, das Buch habe Sie ebenfalls positiv beeindruckt. Denken Sie, dass Sie sich der Ansicht des Autors über das FBI anschließen können?«
»Mit gewissen Einschränkungen, ja.«
»Auch über J. Edgar Hoover?«
»Ja.«
»Dann wird es Sie nicht überraschen zu hören, dass ich Tag und Nacht verfolgt werde. ›Beschattet‹ ist wohl der korrekte Begriff. Ebenso mein Sohn, meine Tochter, meine Sekretärin und mein Bruder. Meine Telefone werden abgehört, und mein Sohn glaubt, seines auch – er ist verheiratet und lebt in seinem eigenen Apartment. Einige Angestellte der Bruner Corporation wurden ausgefragt. Ein Unternehmen, das mit seinen über einhundert Mitarbeitern zwei Stockwerke des Bruner Building belegt. Wundert Sie das?«
»Nein.« Wolfe brummte. »Haben Sie den Büchern einen Brief beigelegt?«
»Keinen Brief. Nur meine Karte mit einer kurzen Nachricht.«
»Dann sollten Sie sich nicht wundern.«
»Doch, das tue ich. Tat ich. Ich bin nicht irgendein Kongressabgeordneter, Redakteur, Radiomensch oder Collegeprofessor mit einer Anstellung, die ich mir nicht leisten kann zu verlieren. Glaubt dieser Größenwahnsinnige, er kann mir etwas anhaben?«
»Pfui. Er tut es doch.«
»Nein. Er verärgert mich nur. Einige meiner Mitarbeiter und persönlichen Freunde wurden ausgehorcht – diskret natürlich, unter ausgeklügeltem Vorwand, versteht sich. Angefangen hat es vor etwa zwei Wochen. Ich denke, meine Telefonleitungen wurden wohl vor zehn Tagen angezapft. Meine Anwälte sagen, wahrscheinlich gibt es keine Möglichkeit, dies zu unterbinden, aber sie denken darüber nach. Sie arbeiten für eine der größten und besten Kanzleien New Yorks, und sogar sie fürchten sich vor dem FBI! Sie missbilligen mein Verhalten; sie sagen, ich sei ›schlecht beraten‹ und das Verschicken der Bücher eine ›donquichottische‹ Aktion gewesen. Mir ist egal, was sie sagen. Als ich das Buch las, war ich wütend. Ich habe beim Verlag angerufen, und man hat mir einen Mann geschickt, der mir verriet, dass sich das Buch weniger als zwanzigtausend Mal verkauft hat. In einem Land mit knapp zweihundert Millionen Einwohnern, von denen sechsundzwanzig Millionen Goldwater gewählt haben! Ich habe mit dem Gedanken gespielt, eine Werbekampagne zu finanzieren, fand dann aber, es wäre besser, einfach Bücher zu verschicken, und habe vierzig Prozent Rabatt bekommen.« Sie schlang ihre Finger um die Armlehnen des Sessels. »Jetzt ärgert er mich, und ich möchte, dass ihm Einhalt geboten wird. Ich möchte, dass Sie ihm Einhalt gebieten.«
Wolfe schüttelte den Kopf. »Absurd.«
Sie griff nach ihrer braunen Ledertasche auf dem Tischchen neben sich, öffnete diese, nahm ein Scheckheft und einen Stift heraus, legte das Heft auf das Tischchen, schlug es auf und füllte, ohne Eile, die Zeilen aus, zuerst gewissenhaft den Betrag. Dann riss sie den Scheck heraus, stand auf, legte ihn vor Wolfe auf den Schreibtisch und kehrte zum Sessel zurück. »Die fünfzigtausend Dollar«, sagte sie, »sind nur ein Vorschuss. Wie gesagt, nach oben sind keine Grenzen gesetzt.«
Wolfe warf nicht einmal einen Blick auf den Scheck. »Madam«, sagte er, »ich kann weder Wunder vollbringen, noch bin ich ein Dummkopf. Wenn Sie beschattet werden, ist man Ihnen auch hierher gefolgt, und da liegt die Vermutung nahe, dass Sie mich engagieren wollen. Wahrscheinlich ist bereits jemand eingetroffen, um mit der Überwachung dieses Hauses zu beginnen; wenn nicht, wird diese noch in demselben Augenblick eingeleitet, in dem es erste Anzeichen dafür gibt, dass ich dumm genug war, den Auftrag anzunehmen.« Er wandte den Kopf. »Archie. Wie viele Agenten haben die in New York?«
»Oh …« Ich spitzte die Lippen. »Keine Ahnung, vielleicht zweihundert. Die kommen und gehen.«
Wolfe wandte sich wieder ihr zu. »Ich habe einen. Mr. Goodwin. Aus beruflichen Gründen verlasse ich nie das Haus. Das würde –«
»Sie haben Saul Panzer, Fred Durkin und Orrie Cather.«
Normalerweise wäre er geschmeichelt gewesen, dass sie die Namen einfach so herunterrattern konnte, aber nicht in diesem Moment. »Ich würde von ihnen nicht verlangen, das Risiko auf sich zu nehmen«, sagte er. »Auch von Mr. Goodwin nicht. Und so oder so wäre es vergeblich und albern. Sie sagen ›Einhalt gebieten‹. Wenn ich Sie recht verstehe, meinen Sie damit, ich soll das FBI zwingen, Sie nicht weiter zu ärgern?«
»Ja.«
»Wie?«
»Das weiß ich nicht.«
»Ich auch nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, Madam. Sie haben es drauf angelegt, und jetzt stecken Sie mittendrin. Ich sage nicht, dass ich Ihre Büchersendung missbillige, aber ich gebe den Anwälten recht, dass es ein donquichottisches Unterfangen war. Don Quichotte musste mit seinem Verdruss leben; das müssen Sie auch. Ewig werden die das nicht fortsetzen können, und wie Sie gesagt haben, sind Sie weder Kongressabgeordnete noch ein Arbeitssklave, der etwas zu verlieren hätte. Aber verschicken Sie keine Bücher mehr.«
Sie biss sich auf die Lippe. »Ich dachte, Sie fürchten sich vor nichts und niemandem.«
»Fürchten? Ich weiß der Torheit auszuweichen, ohne mich in Angst zu flüchten.«
»Ich sagte, kein anderer auf der Welt könne es bewerkstelligen.«
»Dann haben Sie sich geirrt.«
Sie griff nach ihrer Tasche und öffnete sie, nahm Scheckheft und Stift heraus und schrieb erneut, wie schon zuvor als Erstes den Betrag, trat an seinen Schreibtisch und ersetzte den ersten Scheck durch den neuen, anschließend kehrte sie zum Sessel zurück.
»Die Hunderttausend«, sagte sie, »sind lediglich ein Vorschuss. Ich übernehme sämtliche Spesen. Bei erfolgreicher Erledigung wird Ihr Honorar, das Sie selbst festsetzen, zusätzlich zu dem Vorschuss gezahlt. Sollten Sie scheitern, haben Sie immer noch die Hunderttausend.«
Er beugte sich vor, um nach dem Scheck zu greifen, betrachtete ihn eindringlich, legte ihn ab, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Da ich ihn kannte, wusste ich, worüber er nachdachte. Nicht den Auftrag; der war absurd, wie er bereits gesagt hatte; er beschäftigte sich mit der wunderbaren Aussicht, dank einhunderttausend Dollar in der Kasse schon am fünften Januar, den ganzen restlichen Winter, Frühling und bis in den Sommer hinein keine weiteren Aufträge mehr annehmen zu müssen. Er könnte Hunderte Bücher lesen und Tausende Orchideen züchten. Paradiesisch. Ein Mundwinkel zuckte nach oben; für seine Verhältnisse war das ein breites Grinsen. Er schwelgte. Dreißig Sekunden lang war das okay, ein jeder hat das Recht zu träumen, aber als es eine ganze Minute lang anhielt, räusperte ich mich laut.
Er öffnete die Augen und richtete sich auf. »Archie? Haben Sie einen Vorschlag?«
Es hatte ihn also gepackt. Jetzt war zumindest vorstellbar, dass er sich verpflichten wollte, wenigstens halbherzig, was aber selbstverständlich nicht genügen würde. Verhindern ließ sich das am besten, indem sie möglichst schnell von hier verschwand.
»Nicht aus dem Stegreif«, sagte ich. »Kein Vorschlag. Aber eine Anmerkung. Sie haben gesagt, wenn sie beschattet wird, ist man ihr hierher gefolgt, wenn aber ihr Telefon abgehört wird, wäre das gar nicht nötig gewesen, denn dann hätte man ja längst mitbekommen, dass ihre Sekretärin einen Termin vereinbart hat.«
Er runzelte die Stirn. »Und dieses Haus wird sowieso überwacht.«
»Möglich. Es könnte auch sein, dass es gar nicht so schlimm ist, wie sie glaubt. Selbstverständlich würde sie nicht bewusst übertreiben, aber –«
»Ich ›übertreibe‹ nicht«, fiel sie mir ins Wort.
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte ich. »Aber«, fuhr ich an Wolfe gewandt fort, »Menschen, die es nicht gewohnt sind, verärgert zu werden, ärgern sich sehr schnell. Wie es mit der Beschattung aussieht, können wir jetzt sofort überprüfen.« Ich drehte mich um. »Sind Sie mit einem Taxi hergekommen, Mrs. Bruner?«
»Nein. Mein Wagen und mein Chauffeur sind draußen.«
»Schön. Ich bringe Sie hinaus und warte, bis sie abgefahren sind, dann sehen wir, was passiert.« Ich erhob mich. »Mr. Wolfe wird Ihnen morgen mitteilen, wie er sich entschieden hat.« Anschließend ging ich zum Sofa, um den Zobel zu holen.
Es funktionierte. Auch wenn es ihr nicht gefiel. Sie war gekommen, um Nero Wolfe zu engagieren, und blieb weitere fünf Minuten, in dem Versuch, doch noch eine Zusage zu erzwingen, aber sie merkte schnell, dass sie ihn damit nur reizte, und so stand sie schließlich auf und schlüpfte in ihren Mantel. Sie war ziemlich sauer auf Wolfe. Wissend, dass er niemandem gerne die Hand gab, bot sie die ihre nicht an, aber als ich ihr auf die Vortreppe folgte, versah sie mich mit einem festen herzlichen Handschlag, da sie begriffen hatte, dass ich in die Entscheidung miteinbezogen sein würde. Auf den sieben Stufen befanden sich einige vereiste Stellen, und ich führte sie am Ellbogen bis zum Gehweg hinunter, wo der Chauffeur an der geöffneten Wagentür auf sie wartete, um ihr hineinzuhelfen. Bevor sie einstieg, schaute sie aus ihren braunschwarzen Augen zu mir auf und sagte: »Danke, Mr. Goodwin. Selbstverständlich bekommen auch Sie einen Scheck, ausgestellt auf Ihren Namen.«
Der Chauffeur berührte sie nicht; anscheinend zog sie es vor, selbst einzusteigen, um nicht zu den bereits etwas ältlichen Witwen gezählt zu werden, die gerne den festen Griff eines großen starken Mannes am Arm spüren. Als sie drinnen war, schlug er die Tür zu, setzte sich ans Steuer und fuhr an; dreißig Meter weiter östlich, Richtung Ninth Avenue, leuchteten die Scheinwerfer eines Wagens auf, der Motor sprang an, und er schob sich aus der Parklücke und an mir vorbei. Zwei Männer saßen vorne. Ich blieb lange genug im kalten Januarwind stehen, um zu sehen, dass er in die Tenth Avenue abbog. Es war lachhaft, und so stieg ich lachend die Stufen hinauf, stellte mein Lachen aber wieder ab, bevor ich zurück ins Haus trat.
Wolfe saß zurückgelehnt mit geschlossenen Augen da, aber seine Lippen waren fest aufeinander gepresst, keinerlei Regung in den Mundwinkeln. Als ich zu seinem Schreibtisch ging, öffnete er seine Augen zu Schlitzen. Ich nahm den Scheck und begutachtete ihn. Noch nie hatte ich einen über die glatte, runde Summe von einhunderttausend Dollar gesehen, durchaus aber schon höhere. Ich legte ihn wieder ab, ging zu meinem Schreibtisch, setzte mich und notierte das Kennzeichen der Verfolger auf einem Schmierblock, drehte das Telefon um, wählte eine Nummer und bekam einen Mann an den Apparat, einen Angestellten der Stadtverwaltung, dem ich einst einen riesigen Gefallen getan hatte. Als ich ihm das Kennzeichen diktierte, sagte er, es könne eine Stunde dauern, und ich versicherte ihm, ich würde geduldig seinen Rückruf erwarten.
Als ich auflegte, ertönte Wolfes Stimme. »Ist es Humbug?«
Ich drehte mich um. »Nein, Sir. Sie befindet sich wirklich in Gefahr. Die Straße runter saßen zwei in einem Wagen. Sie schalteten die Scheinwerfer ein, als sie in ihren Rolls stieg und in die Tenth Avenue abbog, dabei hingen sie so dicht an ihm dran, dass sie beinahe aufgefahren wären. Eine offene Überwachung, aber sie treiben es zu weit. Wenn der Rolls bremst, knallen sie hinten drauf. Sie ist also in Gefahr.«
»Grrr«, sagte er.
»Ja, Sir. Das sehe ich genauso. Die Frage ist, wer sind die? Wenn es privat ist, könnten die Hunderttausend leicht verdient sein. Wenn allerdings wirklich das FBI dahintersteckt, wird sie mit ihrem Verdruss leben müssen, wie Sie gesagt haben. In ungefähr einer Stunde, wissen wir es.«
Er schaute auf die Uhr an der Wand. Zwölf Minuten vor sieben. Dann fixierte er mich. »Ist Mr. Cohen in seinem Büro?«
»Wahrscheinlich. Normalerweise macht er um sieben Schluss.«
»Bitten Sie ihn, mit uns zu Abend zu essen.«
Das war sehr gewieft. Hätte ich gesagt, es sei sinnlos, da die Angelegenheit absurd war, hätte er erwidert, mir sei doch sicherlich bewusst, wie wichtig es wäre, die guten Beziehungen zu Mr. Cohen aufrechtzuerhalten, was es ja wirklich war, und dass er ihn seit über einem Jahr nicht mehr persönlich gesehen hatte, was ebenfalls stimmte.
Ich wirbelte herum, nahm den Hörer ab und wählte.
Um neun Uhr saßen wir wieder im Büro, Lon in dem roten Ledersessel, Wolfe und ich an unseren Schreibtischen, und Fritz servierte Kaffee und Cognac. Die anderthalb Stunden im Esszimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Flures waren bei frittierten Muschelfrikadellen mit Chilisauce, in Rotwein geschmortem Rindfleisch, Kürbis mit Sour Cream und gehacktem Dill, Avocado mit Brunnenkresse, Schwarznusskernen und Liederkranzkäse recht gesellig verlaufen. Das Gespräch hatte sich um den Zustand des Landes im Allgemeinen und des weiblichen Gemüts im Besonderen gedreht, außerdem wurden die Genießbarkeit gegarter Austern, strukturelle Linguistik sowie die Preise von Büchern erörtert. Erhitzt war der Austausch nur in Hinblick auf das weibliche Gemüt, was Lon bewusst provoziert hatte, weil er gespannt war, wie scharf Wolfe darauf reagieren würde.
Lon nahm einen Schluck Cognac und sah auf seine Armbanduhr. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte er, »dann lassen Sie uns zur Sache kommen. Ich muss um zehn Uhr noch woanders hin. Sie erwarten nicht von mir, dass ich mein Essen bezahle, aber ich weiß auch, dass Archie für gewöhnlich einfach anruft oder vorbeischaut, wenn Sie etwas wollen, es muss sich also um etwas Besonderes handeln. Gemessen an diesem Cognac muss es nachgerade phantastisch sein.«
Wolfe nahm einen Zettel von seinem Schreibtisch, sah ihn stirnrunzelnd an und legte ihn wieder hin. Ich hatte ihn eine halbe Stunde zuvor dort platziert. Beim Essen wurde ich durch einen Anruf des Mitarbeiters der Stadtverwaltung unterbrochen, der die gewünschten Information für mich hatte, und bevor ich ins Esszimmer zurückkehrte, hatte ich »FBI« auf dem Schmierblock notiert und Wolfe den Zettel auf seinen Schreibtisch gelegt. Meinem Appetit war das nicht zuträglich gewesen. Hätte Mrs. Bruner sich in Bezug auf ihre Beschatter geirrt, hätten sich großartige Möglichkeiten ergeben, unter anderem eine saftige Gehaltserhöhung für mich in Form eines auf meinen Namen ausgestellten Schecks.
Wolfe trank Kaffee, stellte die Tasse ab und sagte: »Ich habe noch vierzehn Flaschen davon.«
»Guter Gott«, sagte Lon und roch an seinem Cognac. Das war das Seltsame an ihm. Mit dem zurückgekämmten Haar und dem adretten, faltenlosen Gesicht sah er nicht sehr speziell aus, irgendwie schien er aber immer genau dorthin zu passen, wo er war – in seinem Büro im zwanzigsten Stockwerk des Gebäudes, in dem die Gazette untergebracht war, zwei Türen weiter vom Eckzimmer des Verlegers, oder beim Tanz mit einer Dame im Flamingo, oder mit uns am Tisch bei einer Partie Poker in Saul Panzers Apartment. Oder wenn er an einem fünfzig Jahre alten Cognac roch.
Er nahm einen Schluck. »Was immer Sie wünschen«, sagte er. »Ohne Vorbehalte.«
»Eigentlich«, sagte Wolfe, »ist es gar nichts Besonderes. Schon gar nichts Phantastisches. Zunächst eine Frage: Ist Ihnen ein Zusammenhang bekannt, wie weitläufig auch immer, zwischen Mrs. Lloyd Bruner und dem Federal Bureau of Investigation?«
»Sicher. Wer wüsste das nicht? Sie hat einer Million Personen Fred Cooks Buch geschickt, einschließlich unserem Verleger und Chefredakteur. Das ist das neueste Statussymbol, und verdammt, ich habe keins bekommen. Sie?«
»Nein. Ich habe meines gekauft. Ist Ihnen bekannt, ob das FBI zu Repressalien gegriffen hat? Dieses Gespräch ist übrigens geheim und vertraulich.«
Lon grinste. »Sollte das FBI Maßnahmen ergriffen haben, wären diese ebenfalls geheim und vertraulich. Da müssen Sie schon J. Edgar Hoover fragen – es sei denn, Sie kennen die Antwort bereits. Ist das so?«
»Ja.«
Lons Kinn hob sich unvermittelt. »Zum Teufel! Dann sollten auch die Menschen, die für sein Gehalt aufkommen, davon erfahren.«
Wolfe nickte. »Von Ihrer Warte aus betrachtet, natürlich. Sie sind auf der Suche nach Informationen, um sie zu veröffentlichen; ich aus rein privatem Interesse. Und das besteht im Moment vor allem darin herauszufinden, wo meine Interessen liegen. Ich habe keinen Klienten und keine Verpflichtung, und vielleicht sollte ich auch noch einmal deutlich machen, dass ich, selbst wenn ich mich verpflichte und an die Arbeit begebe, Ihnen wahrscheinlich niemals zur Veröffentlichung geeignete Informationen werde übermitteln können, ganz egal, wie die Sache ausgeht. Wenn ich kann, werde ich es tun, aber ich bezweifle es. Stehen wir in Ihrer Schuld?«
»Nein. Alles in allem stehe ich in Ihrer.«
»Gut. Dann greife ich darauf zurück. Warum hat Mrs. Bruner die Bücher verschickt?«
»Keine Ahnung.« Er trank Cognac und bewegte ihn mit Lippen und Wangen, um ihn vor dem Herunterschlucken im Mund zu verteilen. »Vermutlich als Dienst an der Allgemeinheit. Ich habe selbst fünf Exemplare gekauft und an Personen geschickt, von denen ich dachte, dass sie das Buch lesen sollten, dies von sich aus aber wahrscheinlich nicht tun würden. Ein Bekannter von mir hat dreißig Exemplare zu Weihnachten verschenkt.«
»Wissen Sie, ob es private Gründe für Mrs. Bruners Feindseligkeit gegenüber dem FBI gibt?«
»Nein.«
»Haben Sie je Andeutungen bezüglich einer solchen Feindseligkeit gehört? Oder eine Vermutung?«
»Nein. Aber Sie ganz offensichtlich. Sehen Sie, Mr. Wolfe. Ganz unter uns, wer will Sie engagieren? Wenn ich das wüsste, könnte ich vielleicht ein paar Fakten beisteuern.«
Wolfe schenkte sich nach und stellte die Kanne ab. »Vielleicht lasse ich mich gar nicht engagieren«, sagte er. »Wenn doch, ist es gut möglich, dass Sie niemals erfahren, von wem. Was Fakten angeht, so weiß ich, was ich brauche. Ich brauche eine Liste aller Fälle, an denen FBI-Agenten in letzter Zeit gearbeitet haben und jetzt gerade arbeiten, in und um New York. Können Sie mir eine solche beschaffen?«
»Verdammt, bestimmt nicht.« Lon grinste. »Ich fasse es nicht. Ich dachte – unglaublich, aber ich dachte, oder habe mich vielmehr gefragt, ob es sein kann, dass Hoover Sie auf Mrs. Bruner ansetzen will. Das wäre tatsächlich eine Meldung wert. Aber wenn Sie – ich fass es nicht.« Seine Augen verengten sich. »Wollen Sie der Allgemeinheit einen Dienst erweisen?«
»Nein. Und vielleicht auch nicht einmal einer Privatperson. Ich denke darüber nach. Wissen Sie, woher ich eine solche Liste bekommen könnte?«
»Gar nicht. Natürlich ist es in einigen Fällen kein Geheimnis, dass das FBI sich damit befasst, wie zum Beispiel dem Juwelenraub im Naturkundemuseum und dem Geldtransporter in dieser Kirche in Jersey – eine halbe Million in kleinen Scheinen. Aber andere sind keineswegs öffentlich bekannt. Sie haben das Buch gelesen. Selbstverständlich wird geredet, geredet wird immer, aber Schriftliches gibt es nicht. Würde das trotzdem helfen?«
»Kann sein, besonders wenn es Fragwürdiges beträfe, möglicherweise nicht ganz Legales. Ist das so?«
»Mit Sicherheit. Wäre es nicht fragwürdig, würde es keinen Spaß machen, darüber zu reden.« Er blickte auf die Armbanduhr. »Zwanzig Minuten habe ich noch. Wenn ich einen weiteren kleinen Schluck von dem Cognac haben dürfte und wir uns darin einig sind, dass alles unter uns bleibt, und Sie vorhaben, was ich glaube, dass Sie vorhaben, dann will ich gerne meinen Beitrag leisten.« Er sah mich an. »Sie werden Ihr Notizbuch brauchen, Archie.«
Zwanzig Minuten später war sein Glas erneut leer, ich hatte fünf Seiten meines Notizbuchs vollgeschrieben, und er war gegangen. Was auf den fünf Seiten stand, werde ich nicht berichten, denn nur sehr wenig davon wurde je verwendet, und einige der in diesem Zusammenhang genannten Leute wären nicht erfreut darüber. Als ich Lon zur Tür gebracht hatte und ins Büro zurückkehrte, dachte ich an Wolfe, nicht an das Notizbuch. War er im Ernst dabei, es sich zu überlegen? Nein. Unmöglich. Er hatte sich lediglich die Zeit vertreiben und mich selbstverständlich zu einer Reaktion verleiten wollen. Die Frage lautete, wie damit umgehen? Wahrscheinlich erwartete er, dass ich hochging. Also schlenderte ich zu meinem Schreibtisch, grinste ihn an und sagte: »Das war lustig«, riss die fünf Seiten aus dem Notizbuch und diese einmal in der Mitte durch, und als ich sie ein weiteres Mal halbieren wollte, brüllte er: »Aufhören!«
Ich zog eine Augenbraue hoch, was er nicht kann. »Verzeihung«, sagte ich vollkommen freundlich. »Ein Andenken?«
»Nein. Bitte setzen Sie sich.«
Ich setzte mich. »Habe ich etwas übersehen?«
»Das bezweifle ich. Sie übersehen selten etwas. Eine rein hypothetische Frage: Wenn ich Ihnen erklären würde, dass ich beschlossen habe, die hunderttausend Dollar zu behalten, was würden Sie sagen?«
»Dasselbe wie Sie: absurd.«
»Selbstverständlich ist es das. Aber fahren Sie fort.«
»In voller Länge?«
»Ja.«
»Ich würde sagen, dass Sie das Haus und seinen Inhalt verkaufen und sich in ein Pflegeheim einweisen lassen sollten, denn ganz offensichtlich haben Sie den Verstand verloren. Vorausgesetzt Sie haben nicht vor, sie übers Ohr zu hauen und die Sache einfach auszusitzen.«
»Nein.«
»Dann haben Sie den Verstand verloren. Sie haben das Buch gelesen. Wir wüssten nicht einmal, wo wir anfangen sollten. Die Idee bestünde ja darin, vom FBI zu verlangen, dass man mit der Überwachung von Mrs. Bruner aufhört und es dabei belässt. Verrückt. Einfach nur Radau zu schlagen, würde nicht genügen. Man müsste sie wirklich in die Enge treiben, die ganze verfluchte Behörde. Sie in eine Zwangslage bringen. Na schön, angenommen wir würden anfangen. Wir suchen uns einen dieser Fälle aus« – ich tippte auf die zerrissenen Seiten aus meinem Notizbuch – »und versuchen es damit. Von diesem Moment an würde ich, sobald ich das Haus verlasse, nichts anderes mehr tun, als Verfolger abzuschütteln und zwar gute. Alle, die auch nur entfernt mit der Angelegenheit in Verbindung stehen, würden überwacht werden. Unser Telefon würde abgehört. Auch andere Anschlüsse – zum Beispiel von Miss Rowan und Saul und Fred und Orrie, ob wir sie mit ins Boot holen oder nicht. Und natürlich der von Parker. Man könnte versuchen, uns etwas anzuhängen, aber wahrscheinlich wäre das gar nicht nötig, wenn doch, wäre es gewiss etwas, das es in sich hat. Ich würde hier im Büro schlafen müssen. Fenster und Türen, selbst die mit Kette gesicherten, sind für das FBI ein Kinderspiel. Unsere Post würde abgefangen werden. Ich trage nicht zu dick auf. Was von all dem tatsächlich gemacht wird, kommt ganz darauf an, aber die können alles. Denen stehen alle erdenklichen Hilfsmittel zur Verfügung, einschließlich einiger, von denen ich noch nie gehört habe.«
Ich schlug die Beine übereinander. »Wir kämen keinen einzigen Schritt voran. Aber selbst wenn wir irgendwo einen Keil hineintreiben könnten, dann würden sie erst richtig loslegen. Die haben sechstausend ausgebildete Männer, einige davon ausgezeichnet, dazu dreihundert Millionen Dollar im Jahr. Ich würde gerne im Wörterbuch nach einem stärkeren Ausdruck als ›absurd‹ suchen.«
Ich schwang mein übergeschlagenes Bein wieder zurück. »Außerdem, was ist mit ihr? Ich glaube nicht, dass sie sich einfach nur ärgert. Ich wette zwanzig zu eins, dass sie wahnsinnige Angst hat. Sie weiß, dass jemand Dreck am Stecken hat, wenn nicht sie selbst, dann ihr Sohn oder ihre Tochter oder ihr Bruder oder gar ihr toter Ehemann, und sie hat Angst, dass sie es herausfinden werden. Sie weiß, die spielen nicht nur mit ihr; die sind hinter etwas her, das wirklich wehtun würde, und damit wäre dem Buch einiges an Schärfe genommen. Die Hunderttausend sind für sie gar nichts, und außerdem befindet sie sich ohnehin in einer Steuerklasse, in der solche Beträge nur als Kleingeld zählen.«
Erneut schlug ich die Beine übereinander. »Das würde ich sagen.«
Wolfe brummte. »Der letzte Teil war irrelevant.«
»Was ich sage, ist häufig irrelevant. Viele verwirrt das.«
»Sie zappeln ständig mit den Beinen.«
»Auch das verwirrt viele.«
»Pfui. Sie sind unruhig, und das ist kein Wunder. Ich dachte, ich würde Sie kennen, Archie, aber das ist eine neue Facette.«
»So neu nicht. Es ist einfach nur gesunder Menschenverstand.«
«Nein. Hundeverstand. Sie werfen Ihre Beine hin und her, weil Sie den Schwanz eingezogen haben. Im Prinzip haben Sie Folgendes gesagt: Mir wird ein Auftrag mit dem höchsten Vorschuss meiner gesamten Laufbahn angeboten, mit den großzügigsten Spesen und dem besten Honorar, aber ich soll ihn ablehnen. Ich soll den Fall ablehnen, nicht weil er schwierig und vielleicht unlösbar ist – ich habe viele angenommen, die unlösbar zu sein schienen –, sondern weil eine gewisse Person und seine Behörde daran Anstoß nehmen und Vergeltungsmaßnahmen einleiten könnten. Ich soll ablehnen, weil ich es nicht wage, anzunehmen; ich soll mich lieber einer Drohung gegenüber geschlagen geben, als –«
»Das habe ich nicht gesagt!«
»Doch, indirekt. Sie sind eingeschüchtert. Und entmutigt. Nicht ohne Grund, wie ich zugeben muss; zahlreiche hochgestellte Persönlichkeiten sind aufgrund derselben Verzagtheit untätig und stumm geblieben. Möglicherweise würde ich es genauso halten, ginge es lediglich darum, einen Auftrag anzunehmen oder abzulehnen. Aber ich werde keinen Scheck über einhunderttausend Dollar zurückgeben, weil ich mich vor einem Tyrannen fürchte. Das lässt meine Selbstachtung nicht zu. Deshalb schlage ich vor, dass Sie auf unbestimmte Zeit Urlaub nehmen. Bezahlten; ich kann es mir leisten.«
Erneut stellte ich mein übergeschlagenes Bein auf den Boden. »Ab sofort?«
»Ja.« Er schaute düster.
»Die Notizen sind in meiner persönlichen Kurzschrift verfasst. Soll ich sie abtippen?«
»Nein. Damit würden Sie nur mit hineingezogen. Ich werde mich noch einmal mit Mr. Cohen treffen.«
Ich verschränkte die Hände hinter dem Kopf und musterte ihn. »Ich würde immer noch behaupten, dass Sie den Verstand verloren haben«, sagte ich, »und ich bestreite, dass ich den Schwanz eingezogen habe, schließlich hatte ich die Beine bereits übergeschlagen, und es würde mir das größte Vergnügen bereiten, beiseitezutreten und mir anzusehen, wie Sie sich ohne mich an den Fall machen, aber nach all den Jahren, die wir uns nun schon gemeinsam über Wasser halten, wäre es niederträchtig, Sie alleine untergehen zu lassen. Wenn mir auf halber Strecke der Mut abhandenkommt, lasse ich Sie das wissen.« Ich hob die zerrissenen Zettel auf. »Soll ich das tippen?«
»Nein. Sie werden es mir bei Bedarf vorlesen.«
»Gut. Ein Vorschlag. Jetzt, wo Sie in Stimmung sind, möchten Sie offiziell den Krieg erklären, indem Sie die Klientin anrufen? Sie hat ihre Geheimnummer hinterlassen, aber selbstverständlich ist ihr Anschluss angezapft. Soll ich eine Verbindung herstellen?«
»Ja.«
Ich setzte mich an den Apparat und wählte.
Als ich mich vor dem Zubettgehen, ungefähr um Mitternacht, in der Küche noch einmal vergewisserte, dass Fritz die Hintertür verriegelt hatte, nahm ich zufrieden zur Kenntnis, dass auf dem Herd in einer Schüssel Teig für Buchweizenpfannkuchen mit Sauermilch ruhte. Leckerer knuspriger Toast oder fluffige Croissants wären in dieser Situation unangemessen gewesen. Während ich also am Mittwochmorgen kurz nach neun zwei Stockwerke nach unten stieg, wusste ich, dass ich die passende Nahrung bekommen würde. Als ich die Küche betrat, drehte Fritz die Flamme unter dem Blech auf, ich wünschte ihm einen guten Morgen und holte mir meinen Orangensaft aus dem Kühlschrank. Wolfe, der in seinem Zimmer frühstückt, was Fritz ihm auf einem Tablett nach oben trägt, war für seine beiden vormittäglichen Stunden bei den Orchideen bereits in die Gewächshäuser auf dem Dach entschwunden; wie gewöhnlich hatte ich den Fahrstuhl gehört. Als ich mich an den kleinen Tisch an der Wand begab, wo ich frühstücke, fragte ich Fritz, ob noch irgendwo etwas brodelte.
»Allerdings«, sagte er, »und Sie sollen mir verraten, was.«
»Ach, hat er Ihnen das nicht erzählt?«
»Nein. Er hat nur gesagt, dass die Türen verriegelt und die Fenster rund um die Uhr verschlossen zu halten sind und ich ›besonnen‹ sein solle – was heißt das?«
»Das bedeutet, passen Sie auf, was Sie tun. Sagen Sie nichts am Telefon, das Sie nicht gerne in der Zeitung gedruckt sehen wollen. Wenn Sie ausgehen, tun Sie nichts, was nicht ins Fernsehen kommen darf. Freundinnen zum Beispiel. Halten Sie sich fern. Schwören Sie ab. Misstrauen Sie allen Fremden.«
Während die Pfannkuchen den genau richtigen Bräunungsgrad erreichten, wollte Fritz sich nicht weiter unterhalten und tat es auch nicht. Als die ersten beiden sowie das Würstchen vor mir auf dem Teller lagen und gebuttert wurden, sagte er: »Ich will es wissen, Archie, und ich habe ein Recht darauf. Er sagte, Sie würden es mir erklären. Bien. Ich bestehe darauf.«
Ich nahm die Gabel. »Sie wissen, was das FBI ist.«
»Aber gewiss. Mr. Hoover.«
»Das denkt er. Wir werden ihm im Auftrag eines Klienten was auf die Nase geben. Ein ganz alltäglicher Auftrag, nur dass Hoover empfindlich ist und versuchen wird, uns daran zu hindern. Vergeblich.« Ich ließ einen Bissen Pfannkuchen dorthin verschwinden, wo er hingehörte.
»Aber er – er ist ein großer Mann. Oder?«
»Sicher. Ich nehme an, Sie haben Bilder von ihm gesehen.«
»Ja.«
»Was halten Sie von seiner Nase?«
»Gar nicht gut. Nicht direkt épaté, aber breit. Keinesfalls bien fait.«
»Also sollten wir ihm eins draufgeben.« Ich spießte ein Stück Würstchen mit der Gabel auf.