Der Schattendoktor (2). Der weiße Stein - Adrian Plass - E-Book

Der Schattendoktor (2). Der weiße Stein E-Book

Adrian Plass

0,0

Beschreibung

Der Schattendoktor: Die Romanreihe von Adrian Plass, die dem nachspürt, wohin wir uns wenden, wenn wir Heilung brauchen. Der Schattendoktor hat eine ungewöhnliche Art, Menschen und ihren Schicksalen zu begegnen. Jack weiß das, er arbeitet schon eine ganze Weile mit dem beeindruckenden aber schwer fassbaren Mann zusammen. Und während er hofft, vom Schattendoktor lernen zu können, den Menschen bei ihren Problemen zu helfen, bleibt trotzdem vieles für ihn geheimnisvoll. Jack führt eine ganze Liste an Fragen mit sich. Erst recht nachdem der Schattendoktor einen angesehenen Kirchenleiter wegen eines Vergehens zur Rede stellt. Diese Begegnung scheint mehr über die Vergangenheit des Schattendoktors zu offenbaren, als sich Jack zunächst hätte vorstellen können. Doch dann gerät Jack selbst wieder in den Fokus: Wie wird der Schattendoktor wohl reagieren, wenn er erfährt, dass Jack zum ersten Mal in seinem Leben so richtig verliebt ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 365

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dieses Buch ist all den Reitern gewidmet, die in den Graben oder in den Sumpf gefallen sind und sich darauf freuen, wieder in den Sattel zu kommen.

Adrian Plass

DER SCHATTENDOKTOR Der weiße Stein

Roman

Aus dem Englischen von Christian Rendel

Inhalt

Cover

Titel

1. Auf Löwenjagd

2. Der Ärger mit Sammy

3. In der Höhle des Löwen

4. Die kleine Person im Innern

5. Lachen mit Miriam

6. Der Mythos von Sisyphus

7. Victor Morton

8. Die Liste

9. Vorbereitungen für Martha

10. Zeichen der Zeit

11. Treffen mit Martha

12. Marthas Geschichte

13. Der weniger begangene Weg

14. Der Gipfel des Berges

15. Ein Rätsel

16. Grüne Auen

17. Elsie

18. Aelwen

19. Zwei Fragen

20. Streit auf dem Parkplatz

21. Farblosigkeit

22. Spül’s noch mal, Sam

23. Was geschah mit Alice?

24. Zuneigung zu Gott

25. Blau verstehen

26. Sterben, um zu leben

27. Unter dem Strich

Impressum

1. Auf Löwenjagd

„Heute, Jack, gedenke ich, mich an einen Löwen heranzupirschen.“

Jack Merton riss die Augen auf. Die bizarre Ankündigung war aus heiterem Himmel gekommen, während die beiden Männer sich an ihrem geliebten Morgenkaffee labten. Nach zwei Monaten in engem Kontakt mit dem Schattendoktor hatte er sich ein wenig daran gewöhnt, dass der ältere Mann störrisch darauf beharrte, einfache Gedanken in rätselhafte Metaphern zu hüllen. Zwei Probleme blieben aber: Das eine war, dass er bei ein paar erschreckenden Gelegenheiten erlebt hatte, wie solche typisch bizarren Äußerungen sich weder als rätselhaft noch metaphorisch entpuppt hatten. Das andere war, dass ihm immer bewusster wurde, dass dieser ganz und gar einzigartige Kollege weder bereit noch in der Lage war, Abkürzungen zu dem beständigen Zentrum seines Denkens zuzulassen, sofern ein solches existierte. Doc liebte kryptische Kreuzworträtsel. Jack aber hatte nicht das geringste Talent dafür.

„An einen Löwen heranpirschen? Meinen Sie das ernst?“

„Ob ich das ernst meine? Ehrlich gesagt bin ich dieser Bestie schon seit einiger Zeit auf der Spur. Heute habe ich vor, direkt seine Höhle zu betreten.“

Jack seufzte. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Doc schien (wie offenbar auch Oscar Wilde) zu glauben, ein Gedankengang, ein Plan oder auch eine Person verliere ganze Schichten ihres Wesens und ihrer Identität, wenn man sie in etwas so Banales wie einen Namen oder eine einfache Erklärung sperrte. Für Jack hingegen war es erleichternd, so ziemlich allen Dingen beruhigt ihren Stempel geben zu können.

Jack trank einen Schluck seines Kaffees, was ihm einen Moment Zeit verschaffte, sich zurückzulehnen, bevor er seinen Becher mit übertriebener Vorsicht wieder auf dem Küchentisch abstellte. Er blickte auf.

„Also, wenn Sie sagen, Sie wollen sich an einen Löwen heranpirschen, meinen Sie dann etwas aus – nun ja, Fleisch und Blut? Mit Haaren?“

„Aber sicher, Jack! Oh ja. Er atmet, läuft herum, manchmal brüllt er auch und ist aus echtem Fleisch und echtem Blut. Und seine Haare sind berühmt.“

„Ist er gefährlich?“

„Schon möglich. Ist schon vorgekommen. Könnte wieder so sein.“

„Mit einer Mähne?“

„Mit einer Mähne? Natürlich mit einer Mähne! Ein Löwe wäre ja kein Löwe ohne eine Mähne, oder?“

„Doch, durchaus, wenn es ein Weibchen wäre. Nur die männlichen Löwen besitzen schließlich Mähnen, oder?“

„Richtig. Danke für die Erklärung, Professor Grzimek. Nun, der Löwe, an den ich mich heranpirschen möchte, ist unverkennbar männlich, und ich weiß genau, dass dieser spezielle männliche Löwe eine beeindruckende Mähne besitzt und sich äußerst wild gebärden kann. Aber ich werde mein Bestes geben, um mit diesem Geschöpf zu kämpfen, und sollte ich es überwältigen können …“

Doc hielt inne. Seine tiefe, sanfte Stimme bekam einen ernsten, vorsichtigen Unterton, als er weitersprach.

„Sollte ich es überwältigen können, besteht eine kleine Aussicht darauf, dass es mir gelingt, aus dem Kadaver etwas Köstliches zutage zu fördern.“

Jack geriet ins Schwimmen und widerstand der Versuchung, einen netten Sicherheitsanker auszuwerfen und sich an der biblischen Anspielung festzuhalten, die der andere Mann offenbar machte. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass derartige Bemerkungen nicht gut ankamen. Und er schob innerlich die Frage beiseite, die er eigentlich stellen wollte – nämlich die nach dem Grund, warum der Schattendoktor ihn offenbar bei dieser neuesten Expedition, was immer sich dahinter verbergen mochte, nicht dabeihaben wollte. Immerhin hatte Doc bislang immer betont, er sei viel lieber der Beifahrer in seinem großen silbernen X-Trail, während Jack sich sehr gern hinters Steuer setzte.

„Verzeihen Sie meine Unwissenheit, aber müssen Sie nach Afrika, Indien oder irgendwo in den Orient reisen, um dieses Tier zu bezwingen?“

„Nein, leider nicht. Ich muss nur noch Eastbourne.“

„Eastbourne?“

„Ja, Eastbourne.“

„Eastbourne!“

Doc stützte seine Ellbogen auf den Küchentisch und legte sein Kinn auf den verschränkten Fingern ab.

„Jack, es würde zwar das Leben viel einfacher, wenn auch etwas weniger interessant machen, aber wir können wirklich nicht für den Rest unseres Lebens hier in einem Wald in Sussex sitzen und immer abwechselnd ‚Eastbourne‘ zueinander sagen.“ Er hielt die Handflächen parallel zueinander hoch, als wollte er damit seine Pläne in leichter verständliche Stücke zerhacken. „Der Löwe, den ich zu jagen gedenke, befindet sich in Eastbourne. Deswegen muss ich da hin. Es sind ungefähr dreißig Meilen von Wadhurst nach Eastbourne.“ Er schaute auf seine Armbanduhr. „Ich breche gleich nach dem Mittagessen auf.“

Eastbourne. Für Jack steckte Eastbourne voller schwerer wie schillernder Erinnerungen. Die der jüngsten Vergangenheit brachen nun plötzlich über ihn herein. Es war der Ort, an dem Jacks Großmutter Alice Merton die letzten Jahre ihres Lebens in einer kleinen, nahe am Meeresufer gelegenen Wohnung verbracht hatte, nachdem ihr geliebter Mann William gestorben war. Jack und Alice hatten sehr aneinander gehangen und gern Zeit miteinander verbracht, aber wann und wo immer sie sich trafen, war stets derselbe hartnäckige Elefant mit im Zimmer gewesen. Der Dickhäuter war leicht zu benennen: Es war Jacks christlicher Glaube.

Einmal hatte Jack seinen ganzen Mut zusammengenommen und seine Großmutter gefragt, warum sie niemals in irgendeiner Weise positiv auf das reagierte, was er ihr von seinem Glauben erzählte. Ihre Antwort war für ihn niederschmetternd gewesen: Sosehr sie auch hingehört hatte, sagte sie, habe sie ihn nie wirklich etwas sagen hören. In einem Brief, den sie Jack kurz vor ihrem Tod geschrieben hat, hatte Alice sich demütig für den Mangel an Mut entschuldigt, mit dem sie seitdem jeder Möglichkeit, das Thema anzusprechen, aus dem Weg gegangen war. Ironischerweise hatte Jack kurz nach dem Tod seiner Großmutter endlich damit angefangen, sich mit der Leere in seinem Innern auseinanderzusetzen, die sie so deutlich wahrgenommen hatte.

Im selben Brief hatte Alice von einer außergewöhnlichen Begegnung mit einem Mann berichtet, der sich „der Schattendoktor“ nannte. Diese Begegnung hatte sie aus einem Abgrund der Hoffnungslosigkeit gerettet, und sie fügte hinzu, dass dabei noch etwas anderes geschehen war, wovon sie ihm erzählen wollte, wenn sie sich wieder trafen. Doch Alice war schon tot, als Jack ihren langen letzten Brief zu lesen bekam. Aber er fand darin auch die Telefonnummer einer Person, die ihm helfen konnte, zu Doc, dem Schattendoktor, Verbindung aufzunehmen. Falls es so kommen sollte, dass wir uns nicht mehr wiedersehen, hatte sie in einem Postskriptum geschrieben, dann frag Doc, und er wird dir sagen, was mit mir passiert ist.

Ängstlich und beklommen hatte Jack nach einem langen, emotional aufwühlenden Telefonat schließlich ein Treffen mit dem Schattendoktor in dessen Haus in einem entlegenen Teil von Sussex in der Nähe von Wadhurst vereinbart. Was er dort in jener wilden, stürmischen Nacht erlebte, war, gelinde gesagt, überraschend gewesen. Er schien einen sicheren Ort gefunden zu haben, wo er Dinge beim Namen nennen konnte. Diese Freiheit war berauschend, doch er war selbst verblüfft darüber, als er sich ein paar Wochen später schließlich bereit erklärte, sich auf eine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft mit einem Mann einzulassen, der seinen Glauben, wenn es denn Glaube war, auf eine Weise auslebte, auf die er sich fast keinen Reim machen konnte. Jack hatte sein christliches Leben in Umgebungen zugebracht, in denen kaum etwas ihn jemals aus der Fassung brachte und jegliche Spontanität sorgfältig kontrolliert wurde.

Die beiden Männer waren sehr verschieden, und zwischen ihnen hatten schon einige Auseinandersetzungen stattgefunden, aber Jack klammerte sich an die Vorstellung, dass sie beide bereits entscheidende Schritte hinein in das Niemandsland zwischen ihren waffenstarrenden Verteidigungslinien getan hatten. Hoffentlich lag die Zukunft irgendwo dort draußen, wo der Schlamm knietief ist, einem die Kugeln um die Ohren pfeifen und man nichts dringender braucht als einen guten Freund. Das war der Plan, aber jedes Teil im Mosaik dieses Plans schien völlig anders zu sein als alle anderen; insofern waren sie meistens unvorhersehbar und Jack hatte bisher wenig bis nichts zu ihrer Entstehung oder Entwicklung beitragen dürfen.

Der heutige Tag war ein gutes Beispiel dafür. Was war der Plan? Wo gab es in Eastbourne Löwen? Warum hatte sein sogenannter Kollege vor, allein dorthin zu fahren? Schließlich kam ihm eine Frage in den Sinn.

„Was für eine Waffe werden Sie gegen diese wilde Kreatur einsetzen?“

Doc schwenkte den Arm und deutete träge auf einen rechteckigen Gegenstand, der unter dem Erkerfenster an der Wand lehnte. Er war säuberlich in Packpapier gewickelt und verschnürt.

„Da drüben – das ist meine Waffe, Jack.“

Jack musterte das Päckchen.

„Das ist – das sieht aus, als könnte es ein Bild sein.“

„Gut geraten, genau das ist es. Ein Gemälde. Eine Kopie eines Gemäldes.“

„Sie wollen mit einem Bild bewaffnet einen Löwen bezwingen.“

„Genau.“

„Ist das Bild – geladen?“

Der Schattendoktor lächelte grimmig. „Oh ja! Vollgeladen und feuerbereit. Ich muss nur darauf achten, dass ich richtig ziele.“

„Warum kann ich nicht mitkommen?“

Doc schien ganz versunken, den kleinen Überrest eines Keks zu betrachten, an dem er zu seinem Kaffee geknabbert hatte. Jack hob seine Stimme ein wenig.

„Heißt das, dass Sie ganz allein auf die Jagd gehen wollen?“

„Sagen Sie mal, Jack, ist das ein echter Leibniz-Schokokeks, oder ist das wieder einmal so eine wundersame Nachahmung aus diesem Laden in Tunbridge Wells, wo man für ein paar Pfund einen durchaus trinkbaren Single Malt bekommt?“

„Eine wundersame Nachahmung. Warum komme ich nicht mit? Warum haben Sie bislang nichts davon erwähnt?“

Der Schattendoktor steckte sich das letzte Keksstückchen in den Mund und klopfte sich geflissentlich die Hände ab, bevor er antwortete.

„Eigentlich habe ich es erwähnt, wenn auch nicht genau mit diesen Worten.“

„Wie meinen Sie das?“

„Erinnern Sie sich an die frostige Nacht bei Ihrem ersten Besuch hier, als Sie mir in den Wald gefolgt sind? Als wir später wieder im Haus waren, habe ich mich geradezu überschlagen mit Versprechungen, was ich Ihnen alles erzählen würde, wenn Sie bereit wären, zu kommen und mit mir zu arbeiten. Wissen Sie noch?“

„Ob ich das noch weiß? Ich denke ständig daran. Ich werde es nie vergessen.“

Sag es ihm, befahl er sich innerlich. Sag ihm, was den großen Unterschied ausgemacht hat.

„Ich weiß noch, wie Sie mir den Namen Ihrer Frau nannten.“

Es war ein besonderer Moment gewesen. Die beiden Männer hatten in den frühen Morgenstunden einer klirrend kalten Nacht vor der offenen Klappe eines Ofens gesessen. Der Schattendoktor hatte zum ersten Mal zögernd, aber offen über seine Frau gesprochen und Jack erzählt, dass sie vor fünfzehn Jahren an einem Gehirntumor gestorben ist. Jack kam es vor, als ob ihm diese ungewohnte Offenheit wie eine Geisel angeboten wurde. Vielleicht als eine Anzahlung auf guten Glauben für die Entscheidung, sich Doc in seinem Bemühen anzuschließen, Menschen zu helfen, die sich mit einer verwirrenden Vielfalt von Problemen herumschlagen. Obwohl Jack es erst viel später erkannte, war die Frage, die er auf diesen Akt der Wehrlosigkeit hin stellte, wahrscheinlich seinem Bedürfnis entsprungen, sicherzugehen, dass der Mann, der ihm gegenübersaß, nicht immer am Hebel sitzen würde, wenn es darum ging, ihre Beziehung einer Belastungsprobe auszusetzen.

„Wie hieß Ihre Frau?“

So oder so ähnlich hatte Jack die Frage formuliert, und zu seiner Bestürzung hatte der Schattendoktor physisch abrupt darauf reagiert, fast so, als hätte sich jemand vorgebeugt und ihm eine Ohrfeige verpasst. Dennoch beantwortete er die Frage.

„Ihr Name war Miriam. Meine Frau hieß Miriam.“

Es war ein seltsamer Moment. Er war aufgeladen. Bedeutungsvoll. Verstörend und beruhigend zugleich. Und diese besondere Art von Spannung schien ein bleibendes Merkmal ihrer Beziehung zu sein. War es im Lauf der Wochen etwa leichter geworden, diesem merkwürdigen Mann näherzukommen? So ironisch und unlogisch sich das anhörte; es kam ihm vor, als würde er irgendwann Doc bitten müssen, diese Frage zu beantworten. Aber nicht jetzt.

„Ich erinnere mich an alles. Aber an etwas mit Löwen erinnere ich mich nicht.“

Der ältere Mann geriet eigentlich nie ins Stocken, doch jetzt stockte er zweifelsohne. Jack musste lächeln. In einer Frage-Antwort-Fernsehsendung wäre er jetzt an der Reihe gewesen.

„Von Löwen war auch nie die Rede. Ich sagte, ich hätte vor, einen bekannten führenden Christen zu besuchen, und ich glaube, ich habe deutlich gemacht, dass …“

„Richtig, Sie sagten, Sie hätten ihm etwas zu sagen, was möglicherweise sein Leben ruinieren würde.“

„Na ja, ich glaube, ich sagte, es könnte ihm den Tag verderben, aber – wer weiß das schon?“

„Also, jetzt mal Klartext. Dieser Löwe, den Sie meinen, ist in Wirklichkeit ein christlicher Leiter, Pastor oder ähnliches.“

Diesmal war die Pause, die nun folgte, angemessen und bewusst.

„Sein Name ist Trevor Langston.“

Jack war, als hätte er die volle Wucht eines Medizinballs in den Bauch bekommen. Die diffuse Drohung einer möglichen Katastrophe verschlug ihm die Sprache. Fast eine halbe Minute lang hatte er Mühe zu atmen und konnte sich nicht bewegen. Es kam ihm vor, als würden seine Gegenwart und seine Vergangenheit durch einen gefährlichen Zufall miteinander verschmelzen. Aber dann fand er seine Fassung wieder.

„Trevor Langston. Der Trevor Langston? Ist das Ihr Ernst? Der Trevor Langston, der mit seinem riesigen Leiterschaftsinstitut in die Altstadt von Eastbourne gezogen ist? Gleich oberhalb von Meads Village? Ich bin mal dort gewesen. Er hält in der ganzen Welt Vorträge und gibt Prophezeiungen von sich. Und er hat einen Haufen Bücher geschrieben. Doc, den können Sie nicht aufs Korn nehmen. Er ist ein herausragender Mann Gottes. Das sagen alle.“

„Mhm. Man kennt ihn wegen seiner Haare, nicht wahr? Sie sehen ein bisschen aus wie eine Löwenmähne.“

„Nein, Sie verstehen nicht. Als ich ein junger Christ war, war er sehr wichtig für mich. Die Sachen, die er sagte und schrieb. Das war authentisch. Ich – ich habe mich ziemlich auf ihn und seine Gedanken gestützt.“

Jack merkte, wie sich ein flehender Unterton in seine Stimme eingeschlichen hatte.

„Das bezweifle ich nicht“, erwiderte der Schattendoktor leise. Ein freundliches, aber etwas spöttisches Lächeln erhellte seine Züge. „Keine Bange. Sie müssen nicht mitkommen.“

Jack stand auf und sammelte die Kaffeebecher und Teller und die leere Schachtel mit den Keksen ein. Wortlos trug er die Sachen hinüber zur Spüle, warf die leere Schachtel in den Mülleimer am Ende der Arbeitsplatte und spülte die Becher und Teller gründlich unter heißem Wasser ab. Dann holte er sich ein Geschirrtuch von dem Regal neben dem Ofen, trocknete alles sorgfältig ab, hängte die Becher zurück an ihre angestammten Haken über der Anrichte und verstaute die kleinen blauen Teller gleich darunter auf dem obersten Regalbrett. Erst nachdem er all das erledigt hatte, drehte er sich um und sah den anderen Mann wieder an.

„Möchten Sie denn, dass ich mitkomme?“

Der Schattendoktor stützte seine Ellbogen auf den Tisch und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Dann hob er den Kopf und sah Jack hilflos an.

„Ach Jack, die Wahrheit zu sagen ist gar nicht so einfach, wie die Leute immer behaupten. Ich hätte sehr gerne, dass Sie mitkommen, weil ich ein bisschen Angst davor haben, das Ganze alleine durchzuziehen. Das stimmt. Gleichzeitig möchte ich aber auch nicht, dass Sie mitkommen, weil ich mir ziemliche Sorgen mache. Sorgen, dass Sie dabei fast unweigerlich Dinge über mich erfahren, die Ihnen nicht gefallen werden. Dass Sie mich von meiner schwächsten Seite kennenlernen. Und das ist nicht gerade ein schöner Anblick, das kann ich Ihnen verraten. Sehen Sie, ich glaube, ich möchte und möchte wiederum nicht, dass Sie mitkommen, weil – nun, das ist vielleicht das Schwierigste an der Sache, und es wird Sie nicht überraschen. Sie werden einen noch tieferen Einblick bekommen, wer ich bin und was ich mache, als bisher. Weder für Sie noch für mich macht das die ganze Sache einfacher. Angst und Vertrauen und alles Mögliche spielen dabei mit.“ Er strich mit der Handfläche in rhythmischen Bögen über die Tischplatte. „Das Ganze ist ein großer Schritt für mich, Jack. Ich muss das wirklich wollen. Das Kind in mir, der kleine Junge, der immer lieber weglaufen würde, will das definitiv nicht.“ Er neigte seinen Kopf zur Seite. „Also, es liegt bei Ihnen. Kommen Sie mit, wenn Sie möchten.“

„Trevor Langston?“

„Es liegt bei Ihnen.“

„Wenn ich mitkomme, werden Sie mir dann verraten, was los ist, bevor wir dort sind?“

„Nein. Nein, dann würden Sie sich nur für eine Sicht der Dinge entscheiden. Versuchen Sie gar nicht erst, das zu bestreiten. Jeder hat seine persönliche Ansicht. Ich habe mich noch nicht ganz daran gewöhnt, mich mit Ansichten auseinanderzusetzen. Kommen Sie mit?“

„Das sage ich Ihnen nach dem Mittagessen.“

2. Der Ärger mit Sammy

„Nervös, Jack?“

„Ja. Und Sie?“

„Wechseln wir das Thema.“

Jack steuerte den X-Trail vorsichtig auf die Hauptstraße in Richtung Wadhurst.

Während ihres leichten Mittagessens mit Ingwerbier und Schinkensandwiches, eine Runde davon mit englischem Senf und eine ohne, war von dem bevorstehenden Ausflug keine Rede gewesen. Bei dem jüngeren Mann war eine leichte Verstimmung der Grund dafür. Gedanklich hatte er versucht, sich so genau wie möglich an Docs verschachtelte Äußerungen zu erinnern, ob er bei seiner Jagd nun Gesellschaft haben wollte oder nicht. Es war gar nicht so leicht dahinterzukommen, was sie alles bedeuten sollen, aber letztlich hatte Jack sich einen Ruck gegeben und sich selbst gesagt: „Jack Merton, du fährst mit zu diesem Treffen mit Trevor Langston, ob Doc dich nun dabeihaben will oder nicht.“

Pünktlich um zwei Uhr pflückte Jack demonstrativ und ohne Diskussion oder Ankündigung mit dem Zeigefinger den Ring mit dem Autoschlüssel von seinem Haken neben der Eingangstür und ging über den Hof zum X-Trail. Wenige Minuten später erschien der Schattendoktor neben dem Auto und ließ sich, nachdem er sein verpacktes Gemälde sorgfältig auf dem Boden vor der Rückbank verstaut hatte, auf dem Beifahrersitz nieder. Die Reise konnte beginnen.

Trevor Langstons Sekretärin wurde dann noch durch einen kurzen Anruf informiert, dass noch ein weiterer Besucher mitkommen werde, doch erst Docs Frage nach Jacks Nervosität leitete das Gespräch, seit sie aufgebrochen waren, zwischen den beiden Männern ein. Jack beschloss, sein Schmollen aufzugeben und freundlich zu sein.

„Sie wollen das Thema wechseln? Okay. Lassen Sie mich überlegen. Ich weiß – was bringt Sie zum Lachen, Doc?“

„Hm, interessante Frage. Ich muss zugeben, ich bin nicht besonders geistlich korrekt, was die Dinge betrifft, die mich zum Lachen bringen. Vielleicht fehlt mir einfach der Geschmack. Wissen Sie was? Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Da ist so ein Kerl namens Sammy. Ich kenne ihn schon seit Jahren.“

„Was ist das für einer?“

„Sammy? Der ist so ein windiger Geschäftemacher. Man trifft diese Leute überall, manchmal auch in Kirchenkreisen. Sie sprühen vor Charme, solange es ihnen nützt. Mit der Moral nehmen sie es aber nicht so genau. Meistens mag ich diese Typen durchaus. Hin und wieder verwandeln sie sich in gutmütige Problemlöser. Sehr nützlich Leute. Wenn ich es recht bedenke, haben die meisten Leute, die ich kannte, die so klug waren, ihre negative Seite von einem weiseren Richter recyceln zu lassen, sich als wirklich wertvoll erwiesen. Das ist viel besser, als seine Fehler irgendwo zu verstecken und so zu tun, als gäbe es sie nicht.“

„Gilt das für alle Fehler?“

„Wahrscheinlich. Jähzorn ist ein guter Kandidat. Ich finde ja, uns fehlen solche direkten, unverblümten Leute, die es aufgegeben haben, sich in Umsicht und Selbstbeherrschung zu üben und kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es darauf ankommt. Das funktioniert fabelhaft, solange sie ebenso bereit sind, auch einmal still zu sein, wenn ihnen danach ist, das Maul aufzureißen, und sie genau wissen, dass das in dem Moment absolut nicht weiterhelfen würde.“

„Und Wollust?“

„Wollust auch. Damit haben Sie und ich natürlich keine Erfahrung, Jack, aber das ist auch ein gutes Beispiel. Man sollte sie abgeben. Vielleicht wird sie verwandelt oder sogar verherrlicht in einen Hunger, in einen kräftigen Appetit nach Dingen, die zu tun oder zu haben sich lohnt.“

„Ich erinnere mich, als wir unterwegs waren zu der Frau, die dachte, sie würde explodieren, sagten Sie, Appetit zu vergeuden sei eine der schlimmsten Arten von Verschwendung, die es gibt.“

„Völlig richtig. Danke, dass Sie das noch wissen. Das gilt für alle Arten von Appetit. Jack, denken Sie nur an all die nützlichen, saftigen Sünden, die dazu verurteilt sind, vergraben oder in den Schrank gesperrt zu werden. Ich wette, Gott rauft sich die Haare darüber.

Ich kannte einmal einen Mann, der seinen bitteren, fürchterlich sarkastischen Sinn für Humor abgab. Er konnte so richtig mies sein. Heute bringt er die Leute immer noch zum Lachen, aber es wird niemand mehr dabei verletzt – meistens jedenfalls nicht. Alte Gewohnheiten wird man nun mal nicht so schnell los, selbst wenn man eine Verklärung erlebt hat. Vielleicht treffen Sie eines Tages mal jemanden im Himmel, der dachte mal so eine Verklärung zu erleben, aber zu seinem Erschrecken aufgefordert wurde, Schlangen und Eidechsen und Frösche und Vögel zu essen. Von dieser Art negativen Appetit wird er sich dankenswerterweise ziemlich schnell verabschiedet haben, das kann ich Ihnen sagen.“

„Erzählen Sie weiter von Ihrem windigen Geschäftemacher.“

Der Schattendoktor schmunzelte.

„Ja, Sammy war sein Name. Er verbrachte viel Zeit damit, sich zu überlegen, wie er ein paar Scheine verdienen könnte, besonders in Gemeindekreisen. Wissen Sie, Jack, es ist beängstigend einfach, sich die Sprache und die Verhaltensweisen einer kleinen evangelikalen Subkultur anzueignen, und Sammy brachte es zu einer gewissen Expertise darin. Nicht dass er etwas Illegales getan hätte, aber ein bisschen anrüchig war er schon.“

„War er ein Christ?“

„Wer weiß? Wenn ja, dann räumte er, soweit ich das sehen kann, dem Glauben nicht allzu viel Platz in seinem Leben ein.“ Doc zögerte. „Ich würde normalerweise niemandem davon erzählen, Jack, aber ich habe angefragt, ob es möglich wäre – um Sammys willen meine ich –, ihm eine Lektion zu erteilen.“

„Bei Gott angefragt, meinen Sie?“

„Gott? Nein, natürlich nicht. Ich habe ein Formular ausgefüllt und es ans Church House geschickt.“

„Meinen Sie diese anglikanische Zentrale in London?“

„Und die Leute da ließen sich nicht lumpen. Vor nicht allzu langer Zeit dachte Sammy einmal, er wäre auf eine Goldgrube gestoßen. Sammy besaß jede Menge Kontakte in die Touristikbranche für Reisen ins Heilige Land. Ein Riesengeschäft, obwohl die Sicherheitslage heutzutage ziemlich heikel ist. Waren Sie schon einmal im Heiligen Land, Jack?“

„Nein, noch nie, ich würde aber gerne mal hin. Glaube ich zumindest.“

„Ich war da auch noch nicht. Ach, na ja, vielleicht kommen wir mal zusammen da hin.“

Jack registrierte verblüfft den spontanen Hüpfer, den sein Herz bei dieser Aussicht machte, aber ihm fiel nichts ein, was er darauf hätte sagen können. Konzentrier dich.

„Und was war Sammys Geschäftsplan?“

„Er wusste, dass einer der beliebtesten Programmpunkte bei einer üblichen Reise durchs Heilige Land eine Bootsfahrt auf dem See Genezareth ist. Die Leute wollen dahin, wo Jesus und seine Jünger waren. Ein Fest der Kontemplation. Und bestimmt hätten die Leute auch sehr gerne ein Souvenir von diesem unvergesslichen, tief bewegenden Erlebnis. Er kontaktierte einen Bekannten, der bedruckte T-Shirts zu einem lächerlichen Stückpreis herstellen konnte. Der Beginn der Reisesaison stand unmittelbar bevor. Also bestellte Sammy ein großes Kontingent bedruckter T-Shirts und verschickte sie an Hotels, Reiseleiter und alle anderen, die Interesse hatten. Dann lehnte er sich zurück und wartete fröhlich auf die Zahlungseingänge und seinen Profit.“

„Und dann ging etwas schief?“

„Und wie. Sammys erster Fehler war, dass er seinem Lieferanten vertraute. Man hatte ihm ein Probeexemplar des Produkts geschickt. Die allgemeine Qualität war schlecht, aber das war vorhersehbar. Kein Problem. Der leuchtend bunte Blick auf den See Genezareth war genau, wie er ihn bestellt hatte. Der Lieferant machte dann aber den Fehler, sich nicht zu vergewissern, dass die korrekte Aufschrift an die Leute weitergegeben wurde, die die Worte aufzusticken hatten. Vermutlich fiel diese Aufgabe erbärmlich bezahlten Fabrikarbeiterinnen zu – in irgendeinem fernen Land.“

„Es stand etwas Falsches auf dem T-Shirt?“

„Das kann man so sagen. Wohlgemerkt, es war nur ein Fehler. Ein winziger, aber überaus bedeutender Rechtschreibfehler. Jedes T-Shirt verkündete genau dasselbe Statement unübersehbar in Großbuchstaben.“

„Und zwar?“

Doc posaunte die Aufschrift heraus:

„ICH SCHIFFTE AUF DEM SEE GENEZARETH.“

Lachend warf Jack den Kopf zurück. Der Gedanke daran, welche ungeahnten Folgen aus kleinsten Fehlern entspringen können, hatte etwas christlich Befriedigendes.

„Wow! Mit dieser Leistung würden die meisten von uns nicht so gerne angeben.“

„Eher nicht. Das hat das Church House gut gemacht, nicht wahr?“

„Gott, meinen Sie?“

„Nun, das sind sicher sehr ehrenwerte Leute dort, aber ganz so weit würde ich nicht gehen, glaube ich.“

„Also, für Sammy war die ganze Lieferung futsch.“

„So ist es.“

„Und? Gab es ein Happy End? Ist er dann Christ geworden und hat ein Buch darüber geschrieben, wie falsch es ist, die Leute übers Ohr zu hauen, und wurde dann hinterher dauernd zu Konferenzen und so eingeladen?“

„Nein, Jack, so war es nicht. Obwohl das Church House genau das getan hatte, warum ich sie gebeten hatte, ließ sich Sammy dann, um seine Finanzen wieder zu sanieren, einen Plan einfallen, der illegal und, das muss ich leider sagen, auch ausgesprochen verachtenswert war. Er wurde erwischt und kam ins Gefängnis. Dort habe ich ihn vor einer Weile besucht.“

Jack sprach, ohne zu überlegen.

„Warum?“

„Aus mehreren Gründen. Erstens ist er mein Freund. Mich hat er noch nie übers Ohr gehauen. Es würde auch keinen großen Unterschied machen, wenn er es getan hätte. Er findet mich ausgesprochen seltsam, aber wir kommen gut miteinander aus. Zweitens bin ich ihm dankbar dafür, dass er mir etwas gegeben hat, was mich jedes Mal zum Lachen bringt, wenn ich daran denke. Hunderte – vielleicht Tausende – von T-Shirts, die irgendwo auf der Welt in riesigen Stapeln herumliegen, alle mit denselben Worten bedruckt. ICH SCHIFFTE AUF DEM SEE GENEZARETH. Wunderbar!“

„Wird er eines Tages Christ werden?“

„Ich bin an ihm dran, aber es ist nicht meine Entscheidung.“

„Meinten Sie das ernst, dass wir beide mal zusammen ins Heilige Land reisen sollten?“

„Jack, ich glaube, ich wusste schon immer, dass ich diese Reise eines Tages machen werde. Ich kenne einen Mann, der während der vergangenen zwei Jahrzehnte seines Lebens jedes Jahr dort war.“

„Meine Güte. Der muss ja ziemlich versessen auf Jesus gewesen sein.“

„Er verehrte den Boden unter seinen Füßen – nicht Jesus. Wohlgemerkt, nur den Boden unter seinen Füßen. Was mich angeht, so muss ich zugeben, dass die Aussicht mir ein wenig Angst macht.“

„Vor Terroristen, meinen Sie?“

„Nein, das überhaupt nicht. Angst vor mir selbst. Miriam und ich wollten eigentlich die Reise eines Tages zusammen machen. Wir haben viel darüber gesprochen. Wir haben uns das sozusagen aufgehoben als Belohnung für den richtigen Moment – wenn wir dann auch ein bisschen mehr Geld hätten. Das Geld habe ich jetzt, aber ich weiß nicht, ob ich es verkrafte, mit Gott, aber ohne Miriam im Gartengrab zu stehen.“ Er hielt inne. „Wissen Sie was, Jack? Es könnte vielleicht für uns beide eine sehr gute Erfahrung sein, wenn wir zusammen nach Israel fahren. Ich werde mal George fragen, was er von der Idee hält. Er verbringt eine Menge Zeit dort. Ich werde mal sehen, was er sagt.“

„Das ist auch so eine Sache, die Sie mir mal erklären wollten. George. George hier, George da, ständig ist von ihm die Rede. Also, ist George eine tatsächliche –?“

Der Schattendoktor ließ seinen Kopf sinken und hob eine Hand.

„Nicht jetzt, Jack, bitte. Das ist ein bisschen zu schwer. Nicht jetzt. Apropos schwer, wir werden bald Trevor treffen, und es gibt ein paar Dinge, die Sie vorab wissen sollten. Erstens kenne ich Trevor Langston seit Jahren. Früher kannte ich ihn sogar sehr gut – außerordentlich gut. Er wird mich wahrscheinlich mit meinem richtigen Namen ansprechen. Ich bezweifle, dass er irgendetwas von dieser Schattendoktor-Sache weiß.“

„Ich verstehe nicht. Warum haben Sie mir nichts gesagt?“

„Ich sage es Ihnen jetzt, und Sie werden noch eine Menge mehr von ihm und mir hören, bevor der Tag zu Ende ist.“ Ein kurzes Schweigen. „Vielleicht mehr, als Ihnen lieb ist.“

Jack ballte seine Hände zu Fäusten und schlug damit aus lauter Frustration auf das Lenkrad.

„Aber ich verstehe immer noch nicht! Warum dachten Sie –?“

„Die andere Sache, die Sie wissen sollten, ist, dass ich – Entschuldigung, wir – nur zwanzig Minuten von Trevors Zeit bekommen haben. Ich habe Wochen gebraucht, um das zu arrangieren. Ich weiß, Sie sind wütend, aber bitte, bitte, stehen Sie das mit mir durch. Ich bin so froh, dass Sie sich entschlossen haben, mitzukommen. Wenn es hilft …“

Jack bemerkte, dass der Schattendoktor sich vorbeugte und im Handschuhfach herumkramte.

„Ich weiß genau, dass ich hier drin irgendwo einen alten Vergebungsgutschein hatte. Ich bin ziemlich sicher, dass er noch gültig ist, aber …“ Er hörte auf zu kramen und warf Jack einen vorwurfsvollen Blick zu. „Sie haben ihn doch nicht etwa benutzt?“

Jacks Lächeln war echt, auch wenn er ein paar Tränen in den Augen hatte.

„Wahrscheinlich doch, Doc. Ziemlich sicher sogar.“

„Anscheinend benötigen Sie einen ganzen Block davon.“

„Ich weiß, den habe ich schon gesehen.“

3. In der Höhle des Löwen

Trevor Langston sah auf die Uhr an seinem linken Handgelenk.

„Tut mir leid, ich habe nur fünfzehn Minuten Zeit, dann habe ich ein wichtiges Leiterschaftsgespräch, gefolgt von unserer monatlichen Visions- und Strategiekonferenz den ganzen Nachmittag über bis sechs Uhr.“

Für die letzte Etappe ihrer Fahrt hatte Jack das Navi eingeschaltet und war durch Meads Village gefahren, bevor er rechts abbog und bergauf ins freie Gelände am Rande der Sussex Downs fuhr. Batley House, das auf einem großen Schild an der Straße als Sitz von Sustain Ministries gekennzeichnet war, war ein stattliches edwardianisches Gebäude am Ende einer Zufahrt von einer halben Meile, die rechts von der Dean Lane abzweigte, kurz nachdem diese sich mit einer Straße gekreuzt hatte, die, wie Jack sich erinnerte, bis hinauf zum Beachy Head und auf der anderen Seite hinunter nach Birling Gap führte.

An beiden Seiten des ursprünglichen Wohnhauses waren einige modernere Gebäude errichtet worden. Eines davon, ein langer, kirchenähnlicher Bau, an dessen Giebel an einem Ende ein großes Holzkreuz befestigt war, war der Ort, wo Jack bei einer zweimonatlich stattfindenden öffentlichen Veranstaltung mit dem Titel „Gemeinsam Wachsen“ einmal Trevor Langston hatte sprechen hören. In ihm rumorte es vor Aufregung und Furcht, als er vor dem Eingang des Hauptgebäudes anhielt und, von der abrupten Ankunft überrumpelt, einen Moment lang sitzen blieb.

Wenige Minuten später führte eine Rezeptionistin die beiden Männer mit professioneller Liebenswürdigkeit und Effizienz einen zentral verlaufenden Korridor entlang und durch die offenen Türen eines großen Büros an der Hinterseite des Gebäudes. Es war elegant dekoriert und möbliert und eröffnete durch riesige moderne Fenster den Blick hinaus auf die mit grünem Teppich überzogenen Hügel, die sich in der Ferne dem heute strahlend blauen Himmel entgegenwölbten. Trevor Langston kam hinter seinem auf Hochglanz polierten hölzernen Schreibtisch hervor und begrüßte den Schattendoktor mit einem Händedruck, während er Jacks Gegenwart kaum zu bemerken schien. Hochgewachsen, elegant und sprühend vor Selbstbewusstsein in seinen Bewegungen und seiner ganzen Art, sich zu geben, deutete der silberhaarige Leiter von Sustain Ministries auf zwei gefällig angeordnete Sessel und kehrte dann wieder auf seinen Platz hinter dem Schreibtisch zurück.

Obwohl er unerwartet einige der zwanzig Minuten, die ihm versprochen worden waren, eingebüßt hatte, quittierte Doc den von Trevor Langston vorgegebenen, gekürzten Zeitrahmen mit einem kooperativen Nicken. Er griff neben seinem Sessel nach dem Paket, nahm es vorsichtig empor, packte den schweren, gerahmten Druck aus und stellte ihn, gegen eine schwere Tischlampe gelehnt, ans Ende des Schreibtisches, sodass die beiden anderen Männer ihn gut sehen konnten.

„Schön. Dürfte ich Sie bitten, Trevor, einen Blick auf diesen Druck zu werfen?“ Er schaute über den Tisch. „Ist Ihnen schon einmal ein Künstler namens Gustave Doré begegnet?“

Die silbrigen Locken bewegten sich mit seidiger Eleganz, als Langston die Frage gleichgültig verneinte.

„Ein sehr interessanter Mann.“ Der Schattendoktor plauderte munter, während die beiden anderen das Gemälde betrachteten, Jack mit furchtsamer Neugier, Langston ohne viel erkennbares Interesse.

„Er war Franzose natürlich und starb schon mit etwas über fünfzig Jahren. War nie verheiratet. Ich glaube, er wohnte den größten Teil seines Lebens bei seiner Mutter, abgesehen von einer kurzen und verblüffend lukrativen Zeit in London. Für einen professionellen Künstler seiner Zeit verdiente Doré erstaunlich viel Geld. Er war sehr talentiert. Er machte alles Mögliche. Drucke, viele Illustrationen. Interessanterweise hat er uns praktisch das landläufige Bild von Don Quijote in die Köpfe gepflanzt. Faszinierend, Trevor, nicht wahr? Comics, Karikaturen, Skulpturen. Er starb in den frühen 1880ern, glaube ich. Und dies hier –“

Doc hob die Hand und stieß den Finger in die Luft, um das Ende des biografischen Überblicks anzudeuten.

„Dies ist eine der vielen Bibelillustrationen, die Doré gemalt hat. Sie waren zu seinen Lebzeiten sehr populär. Genau genommen ist das hier der Druck eines Gemäldes, das Jesus bei der Bergpredigt zeigt. Er hat mehrere Versionen von dieser Szene gemalt. Als ich diese hier kürzlich entdeckte, Trevor, erinnerte sie mich sofort an etwas anderes, was ich einmal gesehen habe, und dann dachte ich aus Gründen, die Sie gleich verstehen werden, an Sie. Deshalb habe ich das Bild mitgebracht.“ Lächelnd gestikulierte er zu dem Bild. „Hier ist es.“

Doc lehnte sich auf seinem Sessel zurück und machte dabei eine Miene, die Jack so deutete, als hätte Doc seinen Standpunkt klargemacht und brauchte nichts weiter zu sagen. Vielleicht war tatsächlich nichts mehr zu sagen, mutmaßte Jack ohne viel Zuversicht. Jedenfalls konnte der Prediger den Vergleich nur schmeichelhaft finden.

„Darf ich fragen, warum Sie dabei an mich dachten?“

Trevors Tonfall klang widerwillig, als wäre es ungewohnt für ihn, eine Erklärung zu benötigen. Doc antwortete ihm in demselben Plauderton, in dem er bisher gesprochen hatte.

„Ach, na ja, das war so. Ich habe mir neulich wieder mal eine Episode von Frasier angeschaut, meiner amerikanischen Lieblings-Sitcom – Jack mag sie auch gern, nicht wahr, Jack?“

Jack nickte und murmelte zustimmend. Er hatte keine Ahnung, was das sollte. Weniger als keine Ahnung. Zufällig stimmte es, was Doc sagte, aber wenn es nicht so gewesen wäre, hätte er genauso genickt und gemurmelt. Er wollte dies später mit dem Schattendoktor noch einmal besprechen.

„Wissen Sie, da gab es eine Szene, in der Frasier Cranes Chefin, eine sehr temperamentvolle Frau, nach einem Unfall im Krankenhaus liegt und Frasier sie besucht. Neben den ernsthaften Verletzungen, für die sie im Krankenhaus behandelt wird, hat sie noch ein kleines Wehwehchen am Finger. Also hält sie die Hand mit dem verletzten Finger hoch und beklagt sich bei Frasier, sie werde nun für eine Weile nicht in der Lage sein, ihr Auto vernünftig zu steuern, denn diesen Finger brauche sie unbedingt zum Fahren – womit sie meint, dass sie ihn für aggressive Gesten gegenüber anderen Autofahrern braucht, über die sie sich ärgert. Große Heiterkeit im Publikum.“ Doc drehte dabei den Kopf und warf dem Mann hinter dem Schreibtisch einen Blick zu. „Sind Sie noch bei mir, Trevor?“

Vermutlich hatte Trevor Langston die gesagten Worte durchaus verstanden, aber die Art, wie er seinen Kopf etwas zurückneigte und wie sich die Miene seines falkenähnlichen Gesichts verhärtete, ließ Jack vermuten, dass der Mann nach dieser unappetitlichen kleinen Anekdote allenfalls in rein örtlichem Sinne noch bei Doc war.

„Und ein paar Tage später stieß ich zufällig auf dieses Bild und da musste ich an Sie denken, Trevor.“

Nicht zum ersten Mal gab Jack seine schwächlichen Versuche auf, zu verstehen oder zu erraten, worauf in aller Welt sein neuer Freund hinauswollte. Zwar dachte er, seit er in das Häuschen im Wald eingezogen war, nicht mehr ganz so agnostisch über die Möglichkeit, dass zwei schnurgerade parallele Linien sich irgendwo im Kosmos oder sogar auf der Welt unverhofft überschneiden, und es war ein aufregendes, befreiendes Gefühl, zu wissen, dass dieses Phänomen möglich war. Dennoch fand er den Prozess immer noch genauso verwirrend wie eh und je. Manchmal war es haarsträubend. Dies hier drohte einer dieser Fälle zu sein.

Doc fuhr fort, als hätte Langston mit begeisterter Faszination reagiert, beugte sich vor und deutete auf die Gestalt in der Mitte des Gemäldes.

„Schauen Sie nur! Hier sitzt Jesus oben auf dem Hang, von hinten angestrahlt vom Licht, wie so oft in diesem klassischen Stil der Bibelillustration, und hier an den Seiten und oben im Hintergrund sind alle Jünger und wohl noch ein paar andere, Schriftgelehrte und Pharisäer, Hinz und Kunz gewissermaßen, und stehen oder sitzen herum und lauschen dieser berühmten, erstaunlichen Auflistung der Arten von Leuten, die in der geistlichen Lotterie gewonnen haben und ihr Glück kaum werden fassen können, wenn sie die Nachricht erhalten. Eine sehr schöne Darstellung, finden Sie nicht auch?“

Jack hielt seine Hand schützend vors Gesicht, als er merkte, dass ihm die Augen feucht wurden. Ausgerechnet hier in diesem Büro redete der Schattendoktor ausnahmsweise einmal geradeheraus über Jesus, in leicht verständlichen Worten und mit einer Leidenschaft, die seine Seele zum Singen brachte. Albern, aber wahr. Machen Sie das nicht kaputt, Doc. Meinen Sie es so, wie Sie es sagen. Bitte machen Sie es nicht kaputt.

„Aber jetzt schauen Sie sich das hier an.“ Er winkte die beiden anderen Männer mit gekrümmtem Finger näher heran. „Warten Sie – Trevor, kommen Sie ein bisschen näher, das müssen Sie sich unbedingt ansehen.“

Mit einem kaum unterdrückten Seufzer beugte sich Langston vor, stützte seine Hände resigniert auf die hölzerne Tischfläche vor ihm und lehnte seinen Oberkörper über den Schreibtisch, um das Bild zu betrachten. Jack, der nichts verpassen wollte, drehte sich nach rechts und stützte sich auf dem Ellbogen ab, um das Bild zwischen den Köpfen der beiden anderen Männer noch sehen zu können.

„Schauen Sie Jesus an.“ Ein neuer Unterton lag in Docs Stimme, eine Intensität und, so hörte es sich für Jack an, ein Hauch von Autorität. „Sehen Sie, wie er seine rechte Hand hebt und seinen Finger in die Höhe reckt, während er in unsere Richtung schaut. Erinnern Sie sich an die Frau aus der Frasier-Episode, von der ich Ihnen erzählt habe, Trevor? Okay. Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, Jesus macht genau dasselbe wie diese Frau. Ich glaube, er benutzt seinen erhobenen Finger, um Ihnen jetzt in diesem Moment genau zu sagen, was er von Ihrer Arbeit hält.“ Die Atmosphäre schlug um. „Können Sie sich vorstellen, warum er das wohl tut?“

Es war, als ob die drei Gestalten im Raum zu Eis erstarrten. Jack, der sich vor Schreck nicht rühren konnte, tobte innerlich vor Wut. Es war von Anfang an ein allmählicher Prozess gewesen, zu lernen, dem Schattendoktor zu trauen, aber immerhin hatte er Fortschritte gemacht. Es hatte sich etwas getan. Nun aber tat sich ein Abgrund vor ihm auf.

Nach einer kleinen Ewigkeit räusperte sich Trevor Langston und ließ sich ganz langsam wieder auf seinen Drehsessel sinken. Er betrachtete den Schattendoktor aus großen Augen mit einer Miene, die irgendetwas zwischen Mitleid und Verachtung ausdrückte, und schien sich vollkommen als Herr der Lage zu fühlen. Jack senkte den Blick und kauerte sich elend auf seinem Sessel zusammen. Kein Wunder, dass sein Schabernack treibender Kompagnon ihn bei diesem Ausflug nicht hatte dabeihaben wollen. Die ganze Sache war unangemessen, schlecht durchdacht und sinnlos. Es verschlug ihm fast den Atem. Hätte Jack sich in der Lage gefühlt, irgendwelche Worte aus seinem Innern zutage zu fördern, so hätte er Doc angefleht, sein blödes Bild und dessen blöde Verpackung zu nehmen und zuzusehen, dass sie beide, blöde Blödmänner, die sie waren, sich aus dem Staub machten.

Aber der Schattendoktor war offensichtlich noch nicht fertig. „Ich habe Ihnen eine Frage gestellt, Trevor. Warum, glauben Sie, könnte Jesus so über Ihre Arbeit denken?“ Er hob den Blick hinauf zu der Uhr, die hinter Langston an der Wand hing. „Ein paar von unseren fünfzehn Minuten sind noch übrig. Das reicht allemal, um meine Frage zu beantworten.“

Es war eigenartig. Jack fiel plötzlich ein Ausdruck ein, den sein Vater ihm gegenüber erwähnt hatte. Er hatte ihn während einer Reise nach Südafrika in den Zeiten der Apartheid aufgeschnappt. Die „blaue Wand des Schweigens“ war ein Ausdruck, der von Leuten gebraucht wurde, die in jenen düsteren Zeiten gelernt hatten, der Polizei nicht über den Weg zu trauen. Eine unausgesprochene Verschleierungspolitik derer, die an der Macht waren. Warum fielen diese Worte ihm ausgerechnet jetzt ein?

Jack wagte sich kaum zu rühren, während er beobachtete, wie Trevor Langstons Kopf in winzigen, raschen Bewegungen hin und her zuckte. Vielleicht waren Docs Worte und sein allgemeines Auftreten so unfassbar empörend gewesen, dass es ihm schwerfiel, sich für eine von unzählig vielen angemessen vernichtenden und ausgesprochen passenden Antworten zu entscheiden, die ihm durch den Kopf gingen. Schließlich aber gelang es ihm, eine auszuwählen. Seine Stimme klang vollkommen selbstsicher.

„Ich bin bestürzt. Ich habe keine Ahnung, ob das so eine Art Witz sein soll, aber ich weiß kaum, was ich sagen soll. Um ehrlich zu sein, finde ich Ihre verschleierte Anschuldigung gegen mich und Ihre vulgäre, banale Verballhornung eines Bildes des Herrn Jesus albern, abfällig und ausgesprochen anstößig.“

Der Schattendoktor nickte langsam und verzog seine Lippen zu einem freudlosen Lächeln.

„Mhm! Zweieinhalb von drei Punkten für die Alliteration, Trevor, aber würden Sie auch sagen – und was würde Ihrer Meinung nach der Gott, dem Sie zu dienen behaupten, sagen –, dass mein kleiner Witz, wie Sie es nennen, mehr oder weniger albern, abfällig und anstößig ist, wenn eine unschuldige Person von dem Mann, der sie angeblich beschützen und für sie sorgen wollte, absichtlich und zynisch benutzt und manipuliert wird?“

Trevor Langston lehnte sich in seinen Sessel zurück. In seinen Augen schien etwas zu schimmern.

„Soll das heißen, dass Sie mir tatsächlich eine konkrete Sünde vorwerfen, Michael? Denn wenn das der Fall sein sollte, würde ich Sie bitten, einmal gründlich und mit viel Bedacht über drei Verse im siebten Kapitel des Matthäusevangeliums nachzudenken.“

Der Schattendoktor antwortete, ohne auch nur einen Moment zu zögern.

„Ach, die, wo es darum geht, über andere zu richten, meinen Sie? Die mit den Splittern und den Balken und so.“

Langstons Miene veränderte sich. Jack vermutete, dass der neue Ausdruck Pflichtbewusstsein und Bekümmerung vermitteln sollte. Sein Tonfall war derselbe wie der des Schattendoktors.

„Es tut mir aufrichtig leid, das aussprechen zu müssen, was ich jetzt sagen werde, aber mir bleibt kaum eine Wahl. Der Geist ist auf und in mir.“

Langston schwieg einen Moment und richtete seine blauen Augen, durchdringender als jeder Blick, den Jack je gesehen hatte, unverrückbar auf das Gesicht des Schattendoktors. Jack erinnerte sich an diese Augen von ein paar Großveranstaltungen her, die er mit Anfang zwanzig besucht hatte. Trevor Langston, ein großer Name in der evangelikalen Szene, war dort der Hauptredner gewesen. An einem dieser Abende, gegen Ende der Ansprache, unmittelbar vor der Aufforderung, nach vorn zu kommen, hatte Langston mit ruhiger Gewissheit verkündet: „Der Herr hat gerade sechs Menschen dazu berufen, als Missionare in den Sudan zu gehen.“ Dann ließ er seinen Blick über die versammelte Menschenmenge wandern, und diese strahlenden, stechenden Augen verfehlten keine einzige Seele. Jack erinnerte sich an die qualvolle Zeit in seinem Leben, die darauf folgte, in der ihn jedes Mal ein erstickendes Gefühl von Schuld und Verwirrung erfüllte, wenn in irgendeinem Zusammenhang die Rede vom Sudan war, was immer dort für Bedürfnisse herrschen und wo immer das überhaupt sein mochte. Noch jetzt schlummerten diese Gefühle irgendwo in seinem Innern. Nie war ihm der Gedanke gekommen, dass dieser große Mann Gottes sich geirrt haben könnte.

In diesem Moment spürte er nichts außer dem gequälten, leidenschaftlichen Verlangen, Hals über Kopf aus einer Situation zu fliehen, die seiner neu gefundenen und immer noch sehr schwach schimmernden Hoffnung, so etwas wie Frieden zwischen sich und Gott zu finden, gefährlich werden konnte. Den Schattendoktor hingegen schien die Situation überhaupt nicht aus der Fassung zu bringen, ebenso wenig wie diese durchdringenden Augen, soweit Jack das beurteilen konnte.

„Wie Sie wissen“, fuhr Trevor Langston fort, „und bitte glauben Sie mir, wenn ich sage, dass es mir nicht die geringste Befriedigung verschafft, Sie daran zu erinnern, war ich persönlich