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Anekdoten, kleine Geschichten und interessante Fakten zu mindestens 111 Bahnhöfen in den Alpenländern Österreich, Schweiz, Liechtenstein sowie in Südtirol. Der zweite von fünf Bänden zu den 1001 interessantesten Bahnhöfen der Welt.
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Seitenzahl: 94
Vorwort
Österreich
1.1 Wien
1.2 Niederösterreich
1.3 Burgenland
1.4 Steiermark
1.5 Kärnten
1.6 Oberösterreich
1.7 Salzburg
1.8 Tirol
1.9 Vorarlberg
Liechtenstein
Südtirol (Italien)
Schweiz
4.1 Kanton Zürich
4.2 Nordwestschweiz
4.3 Zentralschweiz und Bern
4.4 Ostschweiz
4.5 Westschweiz und Tessin
Anhang
Tabellen
Literatur
Im Sommer 2007 brachte ich das Taschenbuch Palast der tausend Winde und Stachelbeerbahnhof heraus, welches kleine Geschichten, interessante Fakten und Anekdoten zu 200 Bahnhöfen weltweit enthielt. Im Laufe der Zeit sammelten sich weitere Anekdoten an und so publizierte ich Ende 2008 einen eigenen Band für außereuropäische Bahnhöfe (Der Lebkuchenbahnhof am Ende der Welt).
Später sind weitere Geschichten dazugekommen und deshalb veröffentlichte ich im Sommer 2009 Anekdoten zu amerikanischen Bahnhöfen in einem dritten Taschenbuch (Grand Central Terminal und Pampabahnhof) und im Herbst 2009 Anekdoten zu europäischen Bahnhöfen (Flügelradkathedrale und Zuckerrübenbahnhof) in einem vierten Band.
Mit dem vorliegenden fünften Band zu Bahnhöfen in den Alpenländern ist die Reihe mit insgesamt 1001 Bahnhofsgeschichten nun abgeschlossen.
Die in der siebten Auflage dieses Bändchens neu hinzugekommenen Bahnhöfe sind mit einer Raute ❖ gekennzeichnet. Es handelt sich um Bahnhöfe in Kärnten (Villach, Velden, Pörtschach) und Osttirol (Lienz, Huben).
Das vorliegende Buch enthält somit Anekdoten und Fakten zu (mindestens) 111 Bahnhöfen in Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und in Südtirol. Etwa alle 2 Jahre soll das Buch aktualisiert werden. Hinweise für weitere interessante Geschichten, Anekdoten und Fakten zu Bahnhöfen sind deshalb immer willkommen.
Danken möchte ich besonders Hubert Riedle (Bern), der das Schweiz-Kapitel aktualisiert und ergänzt und die Beiträge zu Altdorf und Genf Eaux-Vives geschrieben hat, sowie Jörg Berkes (Langen) für Hinweise und Korrekturvorschläge
Berlin, im Dezember 2020
Richard Deiss
Wien Westbahnhof
Österreichs Städte wurden im Krieg allgemein weniger stark bombardiert als die deutschen, doch etliche Bahnhöfe wurden zerstört, unter anderem die in Innsbruck, Graz und Linz. Obwohl die Kriegsschäden nicht bei allen Wiener Bahnhöfen gravierend waren, wurden die meisten von ihnen durch Neubauten ersetzt. Und wie in Berlin wird der Phantomschmerz des Verlustes der historischen Bahnhöfe durch das Projekt eines neuen Hauptbahnhofes sublimiert. Infolge der langjährigen Isolierung durch den wenige Kilometer östlich von Wien verlaufenden Eisernen Vorhang war lange Zeit der Westbahnhof die wichtigste Bahnstation Wiens. Dieser 1858 eröffnete Bahnhof brannte 1945 aus, 1949 wurde er abgerissen und 1952 wurde ein Neubau eröffnet. 1995 trat Österreich der EU bei, der Bahnhofsplatz wurde zum Europaplatz und 15 Flaggenmasten wurden vor dem Bahnhof aufgestellt. Mittlerweile gibt es jedoch 27 EU-Mitgliedsländer. Die Masten waren auch aus einem anderen Grund obsolet: aufgrund eines Konstruktionsfehlers hätten sich gehisste Flaggen durch Luftverwirbelungen um die zu dicht beieinanderstehenden Masten gewickelt. Mit dem Umbau des Westbahnhofs sind die Masten mittlerweile verschwunden.
Der Eskimo am Westbahnhof
Der Wiener Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger (1928-1986) schaffte es im Sommer 1951, eine Zeitungsente zu lancieren. Diese kündigte den Wien-Besuch des berühmten Eskimo-Dichters Kobuk an. Etliche Reporter warteten am 3. Juli 1951 im Wiener Westbahnhof auf den Autor von ‚Das brennende Iglu‘. Dem Zug entstieg statt des Eskimos Helmut Qualtinger mit Pelzmantel und Pelzmütze. Auf die Frage eines Radioreporters nach seinem ersten Eindruck von Wien antwortete er ‚Haaß is‘ (‚Heiß ist’s‘).
Am 19. Oktober 2011 eröffnete am Wiener Westbahnhof die erste ‚Happiness Station‘ der Eiskrem-Marke Eskimo. Nun gibt es also wieder einen ‚Eskimo am Westbahnhof‘.
Wien Südbahnhof
Der einst prächtige alte Wiener Südbahnhof wurde nach dem Krieg durch einen gesichtslosen Neubau ersetzt. Helmut Qualtinger meinte ‚dass der Südbahnhof dafür sorgt, dass jeder Eintreffende Wien im Zustand von 1945 erlebt.‘ Die vom Vorgängerbau gerettete Skulptur des geflügelten Markuslöwen (das Symbol Venedigs) erinnerte jedoch in der nüchternen Bahnhofshalle noch lange an die Zeit, als die Lagunenstadt ‚noch bei Österreich war‘. Reisende und Besucher trafen sich im Bahnhof `beim Löwen´. Anfang 2010 wurde das Aufnahmegebäude des Südbahnhofs abgetragen, um Platz für den neuen Wiener Hauptbahnhof zu schaffen.
Dieser wurde im Dezember 2012 teilweise und 2015 vollständig in Betrieb genommen.
Früher galt der Südbahnhof innerhalb Wiens als eher schlecht erreichbar. Der österreichische Schriftsteller Karl Kraus (1874-1936) meinte einst: ‚Nach Ägypten wär’s nicht so weit. Aber bis man zum Südbahnhof kommt...‘
Der Franz-Josefs-Bahnhof
Der Schriftsteller Heimito von Doderer bezeichnete den Franz-Josefs-Bahnhof einst als ‚der böhmische Bahnhof zu Wien‘. Von hier fuhren Züge ins böhmische Bäderdreieck und hier kam böhmisches Bier aus Pilsen an. Ein Prager Architekt entwarf zudem den im historisierenden Ringstraßenstil 1872 erbauten Bahnhof.
Der Franz-Josefs-Bahnhof wurde im Zweiten Weltkrieg nur wenig zerstört und war der einzige der großen Wiener Bahnhöfe, der unmittelbar nach dem Krieg den Betrieb wieder aufnehmen konnte. Doch durch fehlende Investitionen und Vernachlässigung ging es in den folgenden Jahren mit dem Bahnhof schleichend bergab. Schließlich wurde der Bahnhof Opfer von Modernisierungswahn und Profitinteressen. Die Bahn sollte unter die Erde verlegt werden und das Bahnhofsgelände mit 4 Hochhäusern bebaut werden. Schließlich wurden diese Pläne zu einem nur 28 Meter hohen Glasfassadenkomplex zurechtgestutzt, der ‚Kristall’ oder auch ‚Riese vom Alsergrund’ genannt wird. Er beherbergt ein Computerzentrum einer Großbank, eine Wirtschaftsuniversität und Hochschulinstitute. Da bei der Überbauung kommerzielle Interessen Vorrang vor Fahrgastbedürfnissen hatten, war der Zugang zum Bahnhof nur schwer zu finden. Lange galt deshalb der Spruch ‚Nur Eingeweihte wissen den Eingang zu finden‘. Mittlerweile ist der Bahnhofsname am Eingang gleich doppelt zu lesen.
Der Bahnhof als Filmstar
Weil der Bahnhof eine historische Kulisse abgab und der schwache Verkehr wenig mit Dreharbeiten ins Gehege kam, wurde der alte Franz-Josefs-Bahnhof vor seinem Abriss mehrfach Hintergrund von Filmaufnahmen. Sein altertümliches Stellwerk 1, ein Relikt aus der Entstehungszeit trug 1959 im Film ‚Der brave Soldat Schwejk‘ die Aufschrift ‚Smolensk‘ und war für die Filmaufnahmen von künstlichen Sonnenblumen umgeben. Im Jahr 1967 wurde der Film ‚Mayerling‘ mit Omar Sharif als Kronprinz Rudolf in der Bahnhofshalle gedreht. Eine reiche Dekoration mit Flaggen Großbritanniens und der k.u.k.-Monarchie verdeckte den sich verschlechternden Bauzustand der Bahnhofshalle.
Der alte Nordbahnhof
Der 1865 erbaute alte Nordbahnhof war einst der wichtigste Bahnhof Wiens. Nach der Besichtigung sagte Erzherzog Ludwig kopfschüttelnd: „Sehr schön, aber für Wien viel zu groß.“ Für den kaiserlichen Hof war ein luxuriöser, mit wertvollen Bildern geschmückter Wartesalon vorhanden. Vom Nordbahnhof fuhren einst Züge nach Brünn, Krakau und Lemberg ab. Der aus einem galizischen Schtetl stammende Joseph Roth (1894-1939) meinte einst, dass ‚durch den Nordbahnhof noch das Aroma der Heimat wehe‘ und er ‚ein offenes Tor für den Rückweg darstelle‘.
Der alte Nordbahnhof Wiens (Postkarte)
Später schrieb Roth: ‚Ich könnte jahrelang zu Hause sitzen und zufrieden sein. Wenn nur die Bahnhöfe nicht wären‘.
Der Nordbahnhof war Ausgangspunkt der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn, der ersten Dampfeisenbahn Österreichs. Weil es anfangs viele Unfälle mit Todesfolge gab, hatte die Nordbahn bald den Spitznamen ‚Mordbahn‘. Allerdings sagte man auch ‚Pünktlich wie die Nordbahn‘.
Wegen mäßigem Angebot in den Speisewagen wurde das Bahnkürzel KFNB von der Bevölkerung auch als ‚Kein Fleisch, nur Brot‘ interpretiert.
Der Niedergang des Nordbahnhofes
Mit seinem toskanisch-maurischen Stilmix war der Nordbahnhof Stilvorbild verschiedener k.u.k-Bahnhöfe, so desjenigen von Czernowitz. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Nordbahnhof beschädigt, hätte aber durchaus erhalten werden können. Doch wie andere Wiener Bahnhöfe ließ man ihn verfallen. 1965 wurde er schließlich gesprengt. Heute gilt die unweit gelegene Station Praterstern als Nachfolger des Nordbahnhofs, allerdings fahren von diesem Bahnhof nur wenige Fernzüge ab.
Wien Mitte
Vom Praterstern auf der S-Bahn-Stammstrecke eine Station weiter nach Süden liegt der Bahnhof Wien Mitte, der ursprünglich Wien Hauptzollamt und später Wien Landstraße hieß. Der Bahnhof Wien Hauptzollamt war 1859 auf dem Gelände eines zugeschütteten Bassins des Wiener Neustädter Kanals errichtet worden. Um 1975 gab es Pläne, in der Station Fernzüge halten zu lassen, deshalb wurde sie von Wien Landstraße in Wien Mitte umbenannt. Fernzüge halten hier immer noch nicht, doch mit dem U-Bahnanschluss 1978 wurde die Station zu einem wichtigen Verkehrsknoten. Mit 60 000 Fahrgästen gilt Wien Mitte als der am zweitstärksten frequentierte Bahnhof Österreichs (wenn man die U-Bahn hinzuzählt). Doch an der aus dem Jahr 1962 stammenden Bausubstanz des Bahnhofskomplexes nagte in den letzten Jahrzehnten zusehends der Zahn der Zeit. Der Bahnhof galt immer mehr als ‚Schandfleck Wiens‘. 1999 wurde ein Neubau des Bahnhofsbereichs geplant, einschließlich des Hochhausprojekts Wien Mitte, mit fast 100 m hohen Bürotürmen. Dieses Projekt wurde mittlerweile aufgegeben. Der alte Bahnhofskomplex, von Bürgermeister Häupl als Ratzenstadl bezeichnet, ist jedoch mittlerweile abgerissen. An seiner Stelle entstand ein Neubaukomplex mit Büros, Läden und einem Hotel.
Wien Meidling
Überraschenderweise ist Wien Meidling heute der meistfrequentierte Bahnhof Österreichs. Und diese Position dürfte er in den nächsten Jahren halten, denn ab Dezember 2009 übernahm er für drei Jahre die Funktionen des sich im Umbau befindlichen Südbahnhofs. Meidling hatte sogar noch ein aus dem Jahr 1841 stammendes Stationsgebäude, welches aber in den letzten Jahren abgerissen wurde. Im Österreichischen Bürgerkrieg des Jahres 1934 besetzte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei SDAP den Bahnhof. Die Polizei konnte erst mit Hilfe des Bundesheeres, welches einen Panzerzug einsetzte, den Bahnhof zurückerobern.
Der Aspangbahnhof
Der Aspangbahnhof galt als einer der Schicksalsorte Wiens und Österreichs. 1881 wurde er auf einem zugeschütteten Wiener Hafenbecken errichtet. Ab 1939 war der Bahnhof Ausgangspunkt für die Deportation der jüdischen Bürger Wiens.
Am 8. Mai 1995, dem 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, wurde am Platz der Opfer der Deportation ein Gedenkstein mit folgender Inschrift enthüllt:
IN DEN JAHREN 1939-1942
WURDEN VOM EHEMALIGEN ASPANGBAHNHOF
ZEHNTAUSENDE ÖSTERREICHISCHE JUDEN
IN VERNICHTUNGSLAGER TRANSPORTIERT
UND KEHRTEN NICHT MEHR ZURÜCK
1971 wurde der Bahnhof stillgelegt, 1977 abgetragen. Seither findet sich am ehemaligen Standort ein unbebauter Platz. Hier soll allerdings in Zukunft das Projekt Eurogate realisiert werden.
Hütteldorf und Otto Wagner
Otto Wagner (1841-1918) war der bedeutendste Jugendstilarchitekt Wiens und auch als Bahnhofserbauer von Bedeutung. So stammt das Aufnahmegebäude des 1898 errichteten Bahnhofs Wien-Hütteldorf von Otto Wagner. Es zeichnet sich wie andere Wagner-Verkehrsbauten durch Wohlproportioniertheit, harmonisch aufeinander abgestimmte Details und zeitlose Ästhetik aus. Früher hieß die Station Hütteldorf-Hacking, was, denkmalgeschützt, immer noch an der Fassade abzulesen ist. In Hütteldorf hatte Wagner auch zwei Villen errichtet, in denen er selbst zeitweilig wohnte.
Heiligenstadt und Otto Wagner
Otto Wagner prägte auch die Architektur der Stationen der tangential verlaufenden Vorortelinie Hüttelstadt-Heiligenstadt. Mehrere Stationen wurden in der Nachkriegszeit jedoch abgetragen oder in anderem Stil wiederaufgebaut. Heute noch in Otto Wagner-Architektur erhalten sind die Stadtbahnstationen Ottakring, Hernals und Gersthof. In Heiligenstadt, dem Endpunkt der Vorortelinie, sind noch Elemente der Wagner-Architektur erhalten.
Wien Floridsdorf
Der österreichische Eisenbahnpionier Mathias von Schönerer (1807-1881) bestellte einst eine Lokomotive für die Wien-Raaber Eisenbahn nicht, wie damals üblich, in England (bei Stevenson), sondern im amerikanischen Philadelphia (deshalb gibt es in Wien heute eine Philadelphiabrücke). Per Schiff wurde die Lok 1839 nach Triest gebracht und von dort per Ochsenkarren nach Wien gezogen.
Auf der Strecke Floridsdorf-Wagram wurden damals die ersten Lokomotiven getestet. Trotz des frühen Beginns des Eisenbahnzeitalters in Floridsdorf bekam der heutige 21. Gemeindebezirk von Wien erst 1961 einen Bahnhof.
Rudolf Steiner und der brennende Zug