Der Schlüssel zur Weltmacht: Afrikas Frauen - Tanja Schmidt - E-Book

Der Schlüssel zur Weltmacht: Afrikas Frauen E-Book

Tanja Schmidt

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Beschreibung

populärwissenschaftliches Sachbuch zu den Themen Feminismus und Afrikanistik

Das E-Book Der Schlüssel zur Weltmacht: Afrikas Frauen wird angeboten von tredition und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Schwarzer Feminismus, Panafrikanismus, Womanism

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Tanja Schmidt

Der Schlüssel zur Weltmacht: Afrikas Frauen

© 2021 Tanja Schmidt

Autor: Tanja Schmidt

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

ISBN: 978-3-347-33619-3 (Paperback)

978-3-347-33620-9 (Hardcover)

978-3-347-33621-6 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Kapitel 1: Afrika – Wiege der Menschheit und Kontinent der Vielfalt

„Lucy in the Sky with Diamonds” – diesen Song der Beatles hörten die Ausgräber und Archäologen Mary und Louis Leakey, als sie 1964 das Skelett eines prähistorischen Menschen entdeckten. Es war in der Olduvai-Schlucht in Tansania, Ostafrika. Sie stellten fest, dass es die Überreste eines weiblichen Menschen waren und nannten sie Lucy.

Afrika ist die Wiege der Menschheit, wenngleich neuere Forschungserkenntnisse ergeben haben, dass die Menschheitsentwicklung sich nicht auf Ostafrika beschränkte, sondern an vielen Orten in Afrika geschah. Wir alle sind also Afrikaner*innen.

Afrika – das ist ein faszinierender Kontinent mit atemberaubenden Landschaften und einer imposanten und reichhaltigen Tierwelt, Inbegriff für wilde Tiere und ungezähmte Natur. Besonders stechen die Big Five hervor: Elefanten, Nashörner, Büffel, Löwen und Leoparden.

Die Landschaften Afrikas sind von bezaubernder Schönheit: Die Äquatorgegend ist noch von Tropenwald bedeckt und vermischt sich mit dem Kongobecken Richtung Guinea nach Nordwesten. Im Norden, Süden und Osten erstrecken sich weite Savannen. Im südlichen Afrika findet sich auch die große Kalahari-Wüste. Grasreiche Hochebenen, auf denen die Herden der Massai weiden, gibt es im Osten des Albertsees und in Tansania. In Orientalafrika von Äthiopien bis Moçambique ist die reichste Tierwelt anzutreffen. Im Norden in Richtung Sahara breitet sich Trockenheit immer stärker aus (vgl. Büttighausen/Jelačić 1980: 13).

Afrika – das ist ein Kontinent, der geprägt ist von der Vielfalt der verschiedenen Völker – angefangen von den Niloten und Nilo-Hamiten über die Sudanesen, die sehr dunkel und von athletischem Körperbau sind, den etwas helleren Bantu im Süden der Äquatorlinie von Douala über Kamerun bis nach Tana und Kenia.

Leni Riefenstahl, die umstrittene Filmemacherin, die während des Nationalsozialismus Propagandafilme drehte, konnte sich dem Zauber der Nuba nicht entziehen und setzte diesem Volk in ihren Altersjahren ein filmisches Denkmal.

In Nordafrika finden sich die Berber, die Tuareg und die Fulani, die wohl von einem Hamitenzweig abstammen. Zu den nubischen Völkern gehören die Galla, die Danakil und die Somali. Auch hier besteht eine Verwandtschaft zu den Hamiten, vielleicht gehören auch die Niloten im Sudan dazu, die Shilluk, die Dinka und die Nuer. Dann gibt es noch die Pygmäen und die Khoisan, die wohl zu den ältesten Bewohnergruppen gehören und durch ihre Kleinwüchsigkeit hervorstechen. Die Bezeichnungen „Hamiten“, „Sudanesen“ und Bantu nehmen Bezug auf sprachliche Verwandtschaften, umfassen aber recht verschiedenartige Völkergruppen. Wie die Völker Afrikas entstanden sind, ist weitgehend ungeklärt. Vornehmlich in Südafrika gibt es eine weiße Community, in Ostafrika eine asiatische (vgl. Büttighausen/Jelačić 1980: 11f).

Afrika – das sind aber auch Wolkenkratzer und hypermoderne Bürokomplexe neben Wellblechhütten. Die rasanten Entwicklungen im technologischen und wirtschaftlichen Bereich tragen zu solchen Gegensätzen bei. Doch werden diese erst wahre Früchte tragen, wenn es gelingt, die Gesellschaft auf ein stabiles Fundament zu stellen und Afrikas Traditionen und Werte einfließen zu lassen (vgl. Büttighausen/Jelačić 1980: 9).

Noch hört man wenig von diesem Kontinent und wenn, dann kaum positive Neuigkeiten. Die Nachrichten aus Afrika sind geprägt von Krieg und Militärinterventionen, Krankheiten, Hungersnöten und Gewalt. Bitter mutet es an, wenn es das Foto eines halb verhungerten afrikanischen Kindes, mit Fliegen übersät, eher auf die Titelseite westlicher Zeitungen schafft als ein afrikanischer Politiker. Eine positive Überraschung war daher ein Bericht in der Chicago Tribune über ugandische Politikerinnen in der Frauenspalte der Zeitung (Tamale 1999: 115). Die Berichte aus Afrika kommen verzerrt und zeitverzögert auf die Weltbühne und das im digitalen Zeitalter! Will man den Schatz Afrikas heben, muss sich etwas ändern.

Von Afrikas Frauen sieht man häufig stereotype Bilder, entweder in leuchtend bunten Kleidern, über und über mit Ketten bedeckt, oder umringt von einer Kinderschar mit aufgedunsenen Bäuchen von Hunger und Infektionskrankheiten. In den ernsten Gesichtern dieser Frauen spiegeln sich Resignation und Angst. Darunter Spendenaufrufe. Afrikas Frauen erscheinen weit weg, nicht nur auf einem anderen Kontinent, sondern auch in einer völlig anderen Lebenswirklichkeit, gefangen in patriarchalischen Bräuchen und einer frauenfeindlichen Kultur.

Schier unglaublich sind daher die Zahlen zu Vergewaltigungen, die einer Studie des „American Journal of Public Health“ zufolge in der Demokratischen Republik Kongo geschehen: Täglich mehr als 1100 Frauen sollen von diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit betroffen sein. Vergewaltigung ist nicht irgendein Verbrechen: Es ist organisierte Gewalt gegen die Hälfte der Menschheit. Es ist nicht allein die damit verbundene Demütigung, die besonders in Kriegszeiten an der Tagesordnung ist, sondern die Herabwürdigung eines Menschen aus einem einzigen Grund: Weil dieser Mensch eine Frau ist. Bereits die Literaturwissenschaftlerin und Frauenrechtlerin Pumla Dineo Gqola hat die Verstrickung von Rassismus und Sexismus als strukturelle Vorbedingung erkannt, warum auch in Südafrika traurige Realität ist, dass sogar Gruppenvergewaltigungen in den Townships nicht beendet werden konnten. Sie stellt fest: „Ich laufe nicht den einen Tag als Schwarze und den anderen Tag als Frau durch diese Welt. Ich trage immer beides in mir.“ Eine schwarze Frau erfährt, dass sie anders ist, weil sie eine Frau ist. Doch sie ist doppelt anders, weil sie eine schwarze Frau ist.

Die Sichtweise der Afrikaner*innen auf sich und ihren Kontinent wurde zu lange mit Füßen getreten. Bestes Beispiel war die Kolonialkonferenz vom Februar 1885 in Berlin, wo mit dem Reißbrett Grenzen afrikanischer Staaten bestimmt wurden, oftmals schnurgerade und ohne jede Rücksicht auf die Menschen und Stämme, die bereits dort lebten.

Afrikas Geschichte und Kultur bleiben häufig unerwähnt. Aus Ghana, Bornu oder Benin sind Beispiele einer hoch entwickelten Zivilisationskultur bekannt. Die sagenumwobene Stadt Timbuktu in Mali existiert schon seit über 1000 Jahren (vgl. Büttighausen/Jelačić 1980: 9). Noch schlimmer: Es wird so getan, als hätte Afrika keine eigenständigen Leistungen auf diesem Gebiet vollbracht, als sei die Kultur erst mit dem Kolonialismus gekommen!

Der Kulturimperialismus des Westens in Dauerschleife aber hat ausgedient – Afrikas Feministinnen stehen auf! Was haben uns die Menschen aus Afrika und besonders die Frauen zu sagen? Längst melden sich überall auf dem afrikanischen Kontinent die Frauen zu Wort, um Afrikas Frauen endlich ihre Stimme wiederzugeben.

Es sind die Stimmen u.a. von der nigerianischen Journalistin und Bloggerin von MsAfripolitan Minna Salami oder der ebenfalls aus Nigeria stammenden Autorin des Bestsellers „Americanah“ Chimamanda Ngozi Adichie oder der Moderatorin und Schriftstellerin Nana Akusoa Hanson.

Warum hören wir hierzulande keine Reportagen von ihnen oder wissen nichts über ihre Bücher und Blogs – außer, man recherchiert intensiv? Es wird Zeit etwas zu ändern und die Perspektive zu ändern. Wer dies tut, wird feststellen, zu welche beeindruckenden Leistungen Frauen in allen Ecken der Welt fähig sind, ungeachtet der oftmals widrigen Begleitumstände. Dies könnte auch dem europäischen Feminismus einen Schub geben. Es wirkt ungeheuer ermutigend zu sehen, was Frauen an kreativen Einfällen haben, um für die Gleichstellung einzutreten.

Zum Vorschein kommt mit dem Afrikanischen Feminismus eine Kultur, typisch afrikanisch und damit bunt, vielfältig, wild und ungezähmt, einfach magisch, ganz so, wie sie Minna Salami auch in ihrem neuen Buch „Sensuous Knowledge: A Black Feminist Approach for Everyone“ (2020, Sinnenhaftes Wissen: Der Ansatz schwarzer Feministinnen für jedermann“, Übersetzung d. Autorin) beschreibt.

Afrikas frühe Kulturen lebten ganz im Einklang mit der Natur. In der animistischen Weltsicht der Afrikaner*innen hatte alles seinen Platz. In dieser Vorstellung ist jede Blume, jede Pflanze, alles von einem lebendigen Geist durchdrungen, selbst die Materie wie Steine, und Götter, die Ahnen oder Geister können durch Tiere, Pflanzen oder andere Gegenstände sprechen.. Die Menschen waren sich bewusst, dass sie nicht allein auf der Welt leben, sondern inmitten von Tieren und Pflanzen, und alles seinen Einfluss auf alles ausübt, das Wetter, die Sonne und der Regen, denn ohne dies würde nichts gedeihen.

Wie man Kenntnis über diese Lebenskraft erhält, um sie für sich nutzbar zu machen, dafür sind Religion und Kultur dar und finden ihren Ausdruck vor allem in der Kunst. Beispiele für herausragende Künstlerarbeiten finden sich überall, jedoch haben es die Ashanti, Yoruba und einige Bantu-Stämme im Kongo (z.B. die Kuba) zu einiger Berühmtheit gebracht. Afrikanische Sitten und Gebräuche sind in Tätowierungen und Körperbemalungen sichtbar, die Fruchtbarkeit bewirken sollen. Die Tellerlippen schwarzer Frauen sollen beispielsweise Geister hindern, in den Körper der Trägerin einzudringen.

Dominierend war auch die Stellung der Frau in den frühen afrikanischen Gesellschaften, war sie es doch niemand Geringeres als die Hüterin des Lebens. Für Völker, die von der Viehzucht leben, sind ihre Tiere heilig, für solche, die vom Ackerbau leben, ist es die Erde selbst. Denn aus dieser wachsen die Pflanzen, die die Nahrung sind. Die Erde nährt und trägt alle Tiere und Menschen. Die Frau, die die Erde bearbeitet, pflegt damit eine mystische Beziehung zu ihr. Indem die Frau durch den Ackerbau den Kreislauf des Wachsens am Leben erhält, sorgt sie für das Überleben aller.

Entsprechend gilt die Menschwerdung in jeder Schwangerschaft als das Sinnbild für die Fruchtbarkeit der Erde. „V’Imo v’Epya?“ ist ein Sprichwort der Ovimbundu aus Angola und bedeutet „im Schoß der Mutter wie in der Erde“ (vgl. Büttighausen/Jelačić 1980: 10.

In diesem Buch gehe ich auf Spurensuche der afrikanischen Feministinnen. Ziel ist:

- einen Einblick in Womanism als afrikanische Antwort für Emanzipation zu geben.

- Die Lebensläufe und Verdienste von Frauen werden dargestellt, die für Afrikas Feminismus stehen.

- Weil diese Frauen nur selten in den Medien hierzulande erscheinen, ist dieses Buch als eine Initiative gegen Rassismus und Sexismus entstanden. Die Beschäftigung mit dem unheilvollen Erbe des Kolonialismus ist unabdingbar, um das Ausmaß dieses Traumas zu begreifen und eine kultursensible Sichtweise einzunehmen.

Afrikas Frauen sind die beste Inspirationsquelle, um ein ermutigendes Zeichen zu setzen gegen die Gewalt von Patriarchat und Neokolonialismus. Sie wehren sich vehement und intensiv, ja, mehr als das: sie entwickeln eine eigene Identität und Kultur neben ihrer Rolle als Versorgerinnen ihrer Familien und verlieren dabei Optimismus und Fröhlichkeit nicht.

Damit die vielen Stimmen der afrikanischen Frauen endlich gehört werden und auf der ganzen Welt so bekannt werden wie Lucy, aber zu ihren Lebzeiten und nicht als stumme Zeugen, habe ich diese gesammelt. Ja, Afrikas Frauen haben eine Botschaft an uns alle.

Hören wir ihnen zu!

1.1. Afrikanischer Feminismus: Weißer Feminismus – nein danke!

Furore machte das Buch „Americanah“ der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Adichie, das als Serie mit Oscarpreisträgerin Lupita Nyong‘o verfilmt wurde. Darin seziert die Autorin den alltäglichen Rassismus und Sexismus, der ihr als Afrikanerin entgegenschlug, als sie zum Studieren in die USA kam. Ihr Slogan „We should all be Feminists“ druckte Dior auf T-Shirts, und Beyoncé baute Passagen aus Adichies Ted-Talks in ihren Song „Flawless“ ein.

Die Moderatorin Nana Akosua Hanson brachte die MeToo-Debatte nach Ghana. Damit leistete sie Pionierarbeit und bewerkstelligte einen kulturellen Transfer, denn die Probleme der Frauen in Afrika sind nicht exakt die der Frauen der #Me-Too-Bewegung, die sich vornehmlich gegen sexuelle Diskriminierung und Ausbeutung im Job wenden. Für Frauen in Afrika geht es um die Eliminierung von sexueller Gewalt in allen Lebenslagen, nicht nur im Beruf. Dass solche Leute wie Weinstein vor ein Gericht gestellt wurden, hat für Frauen weltweit und besonders für die afrikanischen Frauen eine Signalwirkung, denn sie erleben oft, dass sie nicht ernst genommen werden und gewalttätige Männer davonkommen.

In ihrem Blog MsAfropolitan schreibt Journalistin Minna Salami als über Afrika, Feminismus, race, Popkultur und Mode. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Vertreterinnen des Afrikanischen Feminismus sind.

Afrikanerinnen sind es leid, dass weiße Frauen glauben, sie müssten die Afrikanerinnen „befreien“, weil sie dadurch nur ein weiteres Mal eine Form der Kolonialisierung erleben. Den Feminismus-Import aus Europa lehnen sie darum ab. Die unbequeme Wahrheit ist, dass der Reichtum der sogenannten entwickelten Welt auf Kosten der Menschen in Afrika geht.

Afrikas Feministinnen decken auf, wie wirtschaftliche Schieflagen mit Korruption und instabilen politischen Systemen einhergehen, die anfällig für Krieg sind. Auf einem solchen Nährboden gedeihen religiöser Fundamentalismus und Diktaturen. Westliche Militärinterventionen und ebenso NGO-Propaganda werden kritisch gesehen.

In den Augen vieler Afrikaner*innen hat Europa den Weg zu den aktuellen Konflikten gebahnt, den es jetzt durch die Entsendung von Soldaten zu bekämpfen versucht. Auch die Ausbeutung der Ressourcen des Kontinents bleibt nicht verborgen.

Viele fliehen daher nach Europa auf der Suche nach einem besseren Leben und werden dort Opfer von Menschenhändlern. Blessing Okoedion aus Nigeria, gelernte PC-Technikerin, erlebte, dass ihr eine Arbeit vermittelt werden sollte. Stattdessen wurde sie, kaum auf dem europäischen Kontinent angekommen, gezwungen, auf dem Straßenstrich zu arbeiten. Okoedion wehrte sich, und es gelang ihr mit Unterstützung eines Nigerianers zur Polizei zu gelangen. Eine Kirchgängerin entpuppte sich als eine der sog. Madames, die am schmutzigen Geschäft verdiente. Heute klärt sie Mädchen in ihrem Land auf, wie sie angeworben worden war. Ihre Erlebnisse hat Okoedion 2018 in ihrem Buch „The Courage of Freedom“ niedergeschrieben.

Was Afrika nach Ansicht seiner Bürger*innen wirklich braucht, sind eigene soziale Institutionen, die sich entschieden gegen die Hegemonie fremder Völker widersetzen. Funktionierende Rechts- und Gesundheitssysteme und die Landwirtschaft müssen eigenständig von den afrikanischen Staaten entwickelt werden genauso wie Absprachen zum Handel auf dem Kontinent. Ansonsten erlebt Afrika einen Kulturimperialismus in Dauerschleife, der nicht ins 21. Jahrhundert passt.

Ohne stabile Bildungssysteme kann kein Diskurs geübt werden und fehlt der Grundstock zum Aufbau einer kulturellen Identität. Wenn Kultur aber reproduziert wird, entstehen neue Formen des Austausches. Erst dann können althergebrachte Thesen kritisch reflektiert und durch neue, zeitgemäße Kulturtechniken ersetzt werden. Bildungsinstitutionen bündeln das Wissen, durch das die Kultur eines Landes entsteht.

Weil es das nicht flächendeckend in Afrika gibt, fehlt ein Bewusstsein, mit Aids umzugehen und um die reproduktive Gesundheit von Frauen zu garantieren oder die Infrastruktur voranzutreiben. Auch dass Gleichberechtigung unafrikanisch und Homosexualität Sünde sei, bleibt dann unwidersprochen.

Das heißt nicht, dass die Menschen dies auch glauben! Aber damit sich etwas ändert, muss sich erst etwas in den Köpfen bewegen. Nicht nur in den afrikanischen. Vor allem auch in unseren. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, doch Afrikas Frauen sind entschlossen, ihn zu gehen.

1.1.2 Pumla Dineo Gqola (Südafrika): Liberation in lifetime for blackwomen

Zu den Zeiten der Apartheid sah man Schwarze mittags am Straßenrand sitzen und essen. Sie waren unterwegs, um Verwandte zu besuchen, und weil ihnen der Zutritt zu Restaurants verwehrt war, sie aber bei langen Fahrten durch das Land eine Rast einlegen mussten, kam es zu solchen Vorkommnissen, die dem einen oder anderen noch in Erinnerung sind.

Mit 21 Jahren erlebte Pumla Dineo Gqola das Ende der Apartheid. Gqola ist Literaturprofessorin an der Universität von Fort Hare in Südafrika. Fort Hare war bis in die 1960er einzige Uni, an der schwarze Afrikaner sich einschreiben konnten. Die ersten freien Wahlen, bei denen Nelson Mandela zum Präsidenten gewählt wurde, führten zur Hoffnung im Land, dass alle schwarzen Afrikaner noch zu Lebzeiten die gleichen Rechte wie die weißen genießen würden („liberation in lifetime“).

In ihrem dritten Buch „Rape – A South African Nightmare” geht Gqola der Frage nach, wie es dazu kommen kann, dass das Verbrechen der Vergewaltigung in Südafrika so häufig begangen wird. Benachteiligungen durch Klasse und Rasse sind bekannt und finden Aufmerksamkeit. Doch die Hoffnung, dass mit der Demokratisierung Freiheit und Gleichheit für beide Geschlechter verwirklicht würden, hat sich zerschlagen. Häufig sind die Männer in Geschlechterfragen sehr reaktionär. Die Demokratisierung des Landes verlief rasant, ohne dass Geschlechterungleichheiten diskutiert wurden, wie Gqola beweist. Vor einer „liberation in lifetime“ für die südafrikanischen Frauen ist noch viel zu tun.

Viele Frauen haben einen sozialen und beruflichen Aufstieg geschafft. Aber immer noch bestimmt eine unfaire Verteilung von Grundbesitz und wirtschaftlicher Macht das Land. Viele Schwarze leben nach wie vor in Armut. Von struktureller Gewalt sind Frauen besonders betroffen. Es geht Gqola darum aufzuzeigen, dass „blackwomen“ nicht nur von Rassismus, sondern stets auch als Frau von strukturellen Ungleichheiten betroffen sind. Sie vertritt damit die Position eines intersektionalen Feminismus. Erst wenn Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen und Bereichen gesellschaftlichen Lebens offengelegt wird, kann etwas wirksam dagegen unternommen werden.

In ihrem vierten Buch „Reflecting Rogue: Inside the Mind of a Feminist” begibt sich Gqola mit Essays auf eine Reise durch das Spektrum feministischen Denkens.

1.1.3 Die hässliche Seite des Patriarchats

Afrikas Frauen wissen, dass wir alle im Patriarchat leben. Die Geschichte ist stets eine Geschichte männlicher Dominanz. Die Botschaft, dass alles Männliche Vorrang hat, infiltriert alle öffentlichen und privaten Lebensbereiche wie Recht, Tradition, Macht, Bräuche, Sprache oder Arbeit mit dem Ziel, alles Weibliche unter Kontrolle zu haben. Sichtbar wird dies in der Haushaltsführung, bei Ehebräuchen, Produktionsmethoden oder der Gewährung von Freiheiten (gerade auch sexueller).

Patriarchalische Institutionen wie die Polygamie, der Witwenmissbrauch, Genitalverstümmelung, Hexenjagd und der fehlende Zugang zu Besitz und Macht in den Gesellschaften sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, existieren aber nach wie vor.

Verbreitet sind in Afrika immer noch eine vermeintlich heterosexistische Norm und Homophobie. Auf die Rechte von Lesben und queeren Frauen muss daher aufmerksam gemacht werden. Fragen nach sexuellem Vergnügen gerade für den anderen Teil der Menschheit müssen erlaubt sein statt Dominanz zu erdulden.

Genau darum geht es auch Rakieta Poyga. Sie kämpft in Burkina Faso gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Bei der Geburt ihrer Tochter wurde Poyga bewusst, was ihr als Betroffene hierdurch für Qualen aufgebürdet wurden. Sie gründete die Organisation „Bangr Nooma“ („Es gibt nichts Besseres als Wissen.“) und informiert in Kampagnen gezielt die männlichen Dorfältesten über die grausamen Folgen, damit diese die Praktik verbieten. Auch an ehemaligen Beschneiderinnen richtet sie sich, um zu erreichen, dass diese geplante Verstümmelungen unterbinden. Denn offiziell ist die Beschneidung von Mädchen und Frauen verboten, doch im Untergrund geht es weiter.

Außerdem setzt sie sich für Minderjährige ein, die von einer Vergewaltigung schwanger geworden sind, und Zwangsheirat. Besonders junge Schwangere werden in einem Land mit 40 % Analphabeten als Hexen verflucht. Bei ungewollten Schwangerschaften riskieren die Mädchen ihr Leben, um abzutreiben, oder gar die Mutter wird vom Vater aus dem Haus verbannt, weil die Tochter schwanger ist. Poyga stellt fest, sobald die Frauen Bildung erfahren, lassen sie sich von ihren Männern nicht mehr alles gefallen.

1.1.4 Eine Frau und schwarz sein

Afrikas Frauen beschäftigen sich nicht nur mit dem bekannten Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern, sondern mit den Folgen aus dem hierarchischen Verhältnis von race und sozio-politischen Gegebenheiten.

Doch gehen schwarze Frauen und Männer unterschiedlich damit um, auch weil sie unterschiedlich betroffen sind. Frau ist nicht gleich Frau: Frauen einer race, Ethnie oder sozialen Klasse können gegenüber Männern Vorteile bzw. Nachteile haben. Eine schwarze Frau erfährt eine doppelte Diskriminierung, weil sie eine Frau ist und die schwarze Hautfarbe hat.

Durch die Sklaverei und den Kolonialismus gibt es ein gemeinsames Trauma, das bis in die Gegenwart wirkt. Diese bewirken die Zementierung sozioökonomischer Ungleichheiten. Gesellschaftliche Veränderungen werden so verhindert.

Ziel der afrikanischen Feministinnen ist es, Rollen und Zustände zu beleuchten, damit rassistische Politiken und Routinen aufgedeckt werden. Der afrikanische Feminismus spürt dezidiert das Dilemma schwarzer Frauen auf, dass diese durch die Sklaverei und durch alltäglichen Rassismus doppelt diskriminiert werden. Nur so kann das Spannungsfeld entlarvt werden, indem sich Feminismus und Rassismus immer noch befinden und der nach wie vor herrschende Kulturimperialismus sichtbar werden.

Die Künstlerin Peju Alatise erkennt in der herrschenden Ungleichheit von Frau und Mann in Nigeria ein Erbe des europäischen, christlich-kolonialen Einflusses, denn bei den Yorúbàs waren die Frauen zuständig für den Handel und das Geld und hatten daher eine sehr gute Machtposition.

Alatise weiß: „Meine eigene Großmutter und ihre Vorfahren zum Beispiel hatten sogar mehrere Ehemänner. Dann kamen die Kolonial-Herren mit ihrer Religion und haben alles gefickt. Und auf einmal waren nigerianische Frauen devot, minderwertig und mussten alle ihre Rechte und Privilegien abgeben."

Aber afrikanische Frauen haben sich immer gewehrt. Weil sie eine kollektive Erinnerung an Sklaverei und Besatzung haben, ist ihnen ihr eigenes kulturelles Erbe, eigenes Wissen und Spiritualität wichtig. Doch wollen sie Traditionen an die aktuellen Zeiten anpassen. Kultur soll eine Gesellschaft bereichern und nicht die Menschen darin verstümmeln. Ein Beispiel, wie sie den lobola (Brautpreis) auf feministische Weise in ihre Hochzeitszeremonie integriert hat, liefert Sisonke Msimang.

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund wird verständlich, warum Ansätze aus Lateinamerika und Asien offener als solche aus Europa diskutiert werden. Die Ignoranz privilegierter Weißer lässt viele wütend werden, aber auch traurig oder verstört.

1.1.5 Feminismus und Panafrikanismus

Afrikas Frauen wollen einen Feminismus, der ihre Bedürfnisse berücksichtigt jenseits der Normen von weißen, gutbürgerlichen, heterosexuellen Frauen. An weißen Feministinnen kritisieren sie, dass diese blind sind für neokolonialistische Prozesse und sich paternalistisch, ja rassistisch verhalten, wenn sie die Themen der Afrikanerinnen schlichtweg unter den Tisch fallen lassen.

Zwar können Impulse der afro-amerikanischen und auch der europäischen Frauenbewegung beschleunigend wirken, doch wo der Feminismus als Bewegung weißer Frauen und Import aus Europa daherkommt, wird er rundweg abgelehnt. Wobei hervorragende Arbeiten von Feministinnen aus Europa und Amerika durchaus Beachtung finden und Impulsgeber sein können.

Aber auch im Hinblick auf die Afro-Amerikanerinnen wehren sich die Afrikanerinnen gegen deren Deutungshoheit, dass sie nicht für die gesamte schwarze Community sprechen können. So beschränken sich Angela Davis und Bell Hooks bei ihren Analysen lediglich auf Geschlecht, Rasse und Klasse. Afrikas Feministinnen gehen einen Schritt weiter.