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Im System der VESTAG-Planeten hat die Sonne ein kritisches Alter erreicht. Sie wird sich bald zu einem Roten Riesen aufblähen und sterben. Höchste Zeit für die Bewohner, sich nach einem anderen Lebensraum umzuschauen. Raumschiffe wurden ausgesendet, eine neue Heimat zu finden. Eines davon ist die VESTAG III. Am Rande einer fernen Galaxis findet Commander Kirhan ein System mit zwei Planeten, die endlich einen Erfolg für ihre Mission versprechen. Doch ihre Aufgabe beschränkt sich nicht nur auf die Suche nach einem neuen Lebensraum, sie sollen auch ihre DNA auf eine humanoide Spezies des Planeten applizieren, damit spätere Siedler eine ihnen genetisch verwandte Menschenpopulation vorfinden. Eine Gruppe von Experten wird aus dem Kälteschlaf geweckt und zur Sondierung des Sonnensystems entsandt. Die äußeren Himmelskörper sind eine einzige Enttäuschung; Eis- und Gasplaneten weit weg von jeglicher Chance auf menschliches Leben. Selbst Orbit 4, ein Planet, den man in die Klasse BLAU eingestuft hatte, entpuppt sich als eine lebensfeindliche rote Sandwüste. Erst als die vier Pioniere Pollan, Honak, Minsu und Kossa Orbit 3, den drittnächsten Sonnentrabanten, erreichen, sind sie überwältigt von dessen Schönheit. Es gibt Wasser in Fülle, Landmassen mit üppiger Vegetation und eine Atmosphäre mit hervorragender Atemluft. Mit einem Alter von 4,5 Milliarden Jahren befindet sich Orbit 3 in der Epoche, als auf VESTAG sich die ersten intelligenten Lebensformen entwickelten. Hier will man das tun, was Gott nach der heiligen Schrift am sechsten Tag tat: Menschen erschaffen! Doch noch bevor die wissenschaftlichen Vorarbeiten zur Erforschung des Planeten richtig beginnen können, unterläuft Astro-Biologin Kossa ein folgenschwerer Fehler…
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Thomas W. König
Der Sechste Tag
Taschenbuch Erstausgabe
11. Oktober 2022
KV03
Impressum
Texte: © 2022 Copyright by Thomas W. König
Umschlag: © 2022 Copyright by Thomas W. König
Verantwortlich
für den Inhalt: Thomas W. König
Am Heiligenstock 5
61231 Bad Nauheim
Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Thomas W. König
Science-Fiction Roman
Für unsere Zukunft:
Für Lasse, Aaron, Anna und Lönne
Vor 4,6 Milliarden Jahren, rund 9,2 Milliarden Jahre nach dem Urknall, bildete sich aus kosmischem Staub unser Sonnensystem. Zusammen mit der Sonne entstanden die Planeten, darunter auch die Erde. Es dauerte über eine Milliarde Jahre, bis sich erste Spuren von Leben als Einzeller zeigten. Es blieb ein weiter Weg bis zu höherem Leben! Irgendwann aber platzte der Knoten und vor rund 2,5 Millionen Jahren traten mit Homo Rudolfensis, Homo Habilis und etwas später Homo Erectus die ersten Frühmenschen-Arten ins Dasein.
Bevor die Wissenschaft die Evolutionsgeschichte der Menschheit nachzeichnete, orientierten sich die Völker der Erde an ihren religiösen Mythen und Legenden. Ob Sumerer oder antikes Griechenland, ob Buddhismus, Hinduismus oder Zoroastrismus, selbst die Buschleute Afrikas, die Völker des Pazifiks oder die Ureinwohner Amerikas; sie alle berufen sich auf eine oder mehrere Gottheiten, denen die Erschaffung des Menschen zugeschrieben wird. Auch die Bibel macht da keine Ausnahme.
Viele Jahrhunderte galt die biblische Schöpfungsgeschichte in der Alten Welt als unumstößlich. Mit wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnissen stellten Menschen jedoch immer mehr die biblischen Worte infrage. 1858 veröffentlichte Charles Darwin seine Evolutionstheorie und ein Jahr später provozierte er in seinem Hauptwerk On the Origin of Species die (von ihm nie geäußerte) platte Behauptung, dass der Mensch vom Affen abstamme.
Was aber, wenn der Mensch gar nicht das ausschließliche Produkt der irdischen Evolution ist? Was, wenn er nur der Ableger einer Art ist, die schon lange vor uns irgendwo in den Tiefen des Universums existierte? Was, wenn das »Lasst uns Menschen machen« am sechsten Tag der Schöpfung gar nicht die Krone der Schöpfung im Auge, sondern ganz andere Beweggründe hatte?
Genau diese Idee greift der vorliegende Roman auf. Der Begriff der Panspermie, abgeleitet aus den griechischen Worten Pan (=alles umfassend) und sperma (= Samen, Saat), taucht immer wieder einmal auf, wenn es um die Frage geht: Wie kam das Leben auf die Erde? Laut Wikipedia beschreibt es die These, »dass sich (einfache) Lebensformen über große Distanzen durch das Universum verbreiten und so auch die Anfänge des Lebens auf die Erde brachten. (…) Von den meisten Wissenschaftlern wird die Panspermie jedoch bisher als reine Spekulation betrachtet, da bislang nur auf der Erde Leben nachgewiesen werden konnte.«
Meine Fantasie hat diese Vorstellung schon lange beflügelt, ohne dass ich ein Verfechter dieser Theorie geworden wäre. Sie gibt aber viel Raum für Spekulationen und einen herrlichen Hintergrund für die Handlung dieses Romans.
Im Prolog werden die ersten fünf Tage des Schöpfungsberichts aus dem Buch Genesis frei interpretiert, um ihn einigermaßen mit den heute gültigen »trivial-wissenschaftlichen Erkenntnissen« in Einklang zu bringen. Der eigentliche Roman beginnt zu einer Zeit, als die Erde bereit ist, Menschen auf diesem Planeten eine erfolgversprechende Zukunft zu bieten. Doch steht die menschliche Evolution noch ganz am Anfang. Fünf Tage sind nach biblischem Verständnis vergangen, jetzt bricht ein neuer Tag an – Der Sechste Tag ...
Prolog
___________Der erste Tag
Dunkel und unwirklich lastete das Gemisch aus Kohlenstoffoxiden, Methan, Ammoniak, Schwefelverbindungen und Wasserdampf auf der schmelzflüssigen Oberfläche des Planeten. In der lebensfeindlichen Atmosphäre entluden sich elektrostatische Teilchen in gigantischen Blitzen und zauberten mittels Spektralbrechung grandiose Farbspiele auf das undurchdringliche Firmament. Es war das einzige Licht, was den neugeborenen Himmelskörper erhellt. Zu dicht war die toxische Gashülle, um die Strahlen der Sonne auf die lavabrodelnde Oberfläche treffen zu lassen.
Was sich hier um die eigene Achse drehte, war zwar weitaus mehr als NICHTS, aber auch noch weit davon entfernt ETWAS zu sein. Alles, was von einem Beobachter – hätte es denn einen gegeben – zu bestaunen gewesen wäre, war ein heißer, giftiger Ball aus flüssigglühendem Gestein, Dämpfe ausspuckend, die in einer fernen Zukunft von Abermillionen Jahren einmal Bausteine primitiven Lebens produzieren sollten.
Was dem modernen Menschen lange als einmaliges Wunder im Universum anmutete, war aber nur die Wiederholung eines ewig wiederkehrenden Prozesses. Hundertfach, ja tausendfach hatte sich das gleiche schon zuvor in anderen Sonnensystemen dieser Galaxis abgespielt. Tausendfach, ja millionenfach findet zur selben Stunde das gleiche Geschehen in den verschiedensten Milchstraßen des Kosmos statt. Millionenfach, ja milliardenfach wird sich auch zukünftig Ähnliches irgendwo in der Unendlichkeit des Alls ereignen. Geburt und Tod, Werden und Vergehen, Sein und Nichtsein. Es sind die unveränderlichen Gesetze des Universums, die sich in ewiglich währenden Zyklen wiederholen; die Reinkarnation von Materie und Energie; unerschöpflich, nie versiegend, vollkommen.
Und dennoch; wie häufig ein solcher Vorgang im bestehenden Raum-Zeit-Kontinuum auch wiederkehren mag, keiner wird sich in vollkommener Gleichheit zu einem anderen wiederholen. Was bleibt, ist der kleine Unterschied, und sei es nur im winzigsten Teil seines Mikrokosmos. Diese kümmerlich kleine Verschiedenheit ist letztlich der Grund einer trilliardenfachen Vielfalt, die die Evolution hervorbrachte und weiterhin hervorbringen wird; eine Kultur kann erblühen – eine andere muss vergehen.
So viele Varianten auch entstehen mögen, gesegnet ist nur jene, deren Beschaffenheit der göttlichen Autorität wohlgefällt und zum Fortbestehen auserkoren ist. Dieser unbedeutende Planet am entlegenen Rande einer Galaxie, einer unter Ungezählten, geboren fast zehn Milliarden Jahren nach Entstehen von Materie und Energie, dieser Planet, der in ferner Zukunft einmal Erde genannt werden sollte, fand jene Wertschätzung Gottes. So steht es verzeichnet im Weltenbuch der Schöpfung.
Keine der heute bekannten Lebensformen zählte die tausend und abertausend Umläufe des jungfräulichen Himmelskörpers um sein Zentralgestirn; immer bemüht, einer gastfreundlicheren Welt den Boden zu bereiten. Langsam aber stetig kühlte seine Oberfläche ab, bildete sich eine Atmosphäre, die es dem Licht der Sonne mehr und mehr gestattete, das Dunkel auf diesem Planeten zu vertreiben. Und Gott sah, dass das Licht gut war. So ward es Morgen, der erste Tag!
________________Der zweite Tag
Seit Jahrtausenden drehte sich die Erdkugel bereits um ihre eigene, leicht geneigte Achse. Verheerende Stürme fegten über zum Teil verfestigtem Gestein, erstarrt zu bizarr aufragenden Gebilden. Orkane wirbelten über kochende Magmaströme, die an ungezählten Stellen der noch dünnen Erdkruste hervordrängten und die brodelnde Atmosphäre mit giftigen Kohlendioxiden, fauligem Schwefelwasserstoff und zischenden Wasserdampffontänen aus dem Innern des Planeten speiste.
Es wäre eine zum Tode verdammte Welt geblieben, hätte Gott der Herr nicht den Schein der Sonne durch die Gasschichten dringen lassen. So aber erhob sich nun über alledem im ständigen Wechsel von Tag und Nacht das große Licht. Es bestritt seit Urzeiten seinen Weg auf einer elliptischen Bahn über dem Horizont. Im Osten erhob sich des Morgens die Sonne aus ihrem Schlafe und wanderte beständig über das Firmament, bis es abends im Westen wieder hinter der Erdkrümmung versank.
Zwar zählte niemand die Auf- und Untergänge des Gestirns, maß keiner an ihm die Zeit, die sich über eine Welt voller Unrast und Veränderungen ergoss, aber das Licht begleitete den werdenden Erdenkreis und zeugte von der göttlichen Gnade, die ihm zuteilgeworden war.
So schied der Sonne Lauf das Gewölbe über dem Boden von dem nackten Gestein. Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Den Boden aber, mit seinem Gestein und Geröll, nannte er Erde. Gott sah, dass es gut war. Es ward Abend und es ward Morgen, der zweite Tag!
______________________Der dritte Tag
Dem Tag folgte die Nacht, der Nacht folgte der Tag. Wieder und wieder ging die Sonne auf und versank hinter dem Horizont, nachdem der Planet sich weitergedreht hatte; ein gleichbleibender Rhythmus. Das Licht des Tages erwärmte die mit Wasserdampf gesättigte Atmosphäre und begann einen Teil der Wassermoleküle in ihre Atome Hydrogen und Oxygen aufzuspalten. Fünfzehnmal leichter als Sauerstoff entwich ein Großteil des frei werdenden Wasserstoffes in die Weite des Alls. Was zurückblieb war reinster Sauerstoff, der die Gashülle der Erde mehr und mehr mit diesem Element anreicherte.
Aber noch verblieb mehr als genügend Wasserdampf in der Luft. In dichten Schwaden zog er über Land, bis er kondensierte und sich in Wolkenbrüchen auf die leblose Erde ergoss. Pausenlos fielen die Wassermassen auf den steinigen Boden. Bar jeglicher Erdkrume und unfähig, die gewaltigen Mengen an Flüssigkeit aufzusaugen, bildeten sich Bäche, vereinigten sich zu Flüssen und mündeten in reißende Ströme. Diese sammelten sich zu Seen und traten schließlich immer weiter über ihre Ufer. So füllten sich Täler und Schluchten, der Wasserpegel stieg unaufhörlich und überschwemmte bald riesige Teile des Himmelskörpers. Mehr als die Hälfte der Oberfläche wurde so ein Raub des Wassers.
In wütenden Wogen attackierte das neue Element die verbliebenen Landmassen. Gischt schäumend brandeten die Fluten der Ozeane gegen ihre Küsten, als wollten sie davon ablenken, welch Wunder sich bereits in ihren unergründlichen Tiefen abzuspielen begannen.
Hatten sich schon in der Atmosphäre aufsehenerregende Molekülverbindungen zusammengefunden, die in der Lage waren, neue, gleichartige Strukturen zu reproduzieren, so fand diese Entwicklung eine weitaus bemerkenswertere Fortsetzung in den salzhaltigen Wassern der Meere. Gottes Plan entsprechend, bildeten sich kleinste, einzellige Lebewesen. Einfachste Pflanzen entstanden; Rot-, Braun-, Blau- und Grünalgen brachten mittels Fotosynthese weiteren Sauerstoff in die Erdatmosphäre. Mit einem tiefen Atemzug begann der ehemals tote Planet zu leben und entwickelte Stück für Stück einen Lebensraum, dessen Vielfalt noch nicht absehbar war.
Tobten auch weiterhin die Urgewalten der Natur mit Erdbeben, Stürmen und Sintfluten an der Oberfläche, so war doch nun die Wurzel zu Neuem, Erhabenen, eingesenkt in den Schoß der Meere. Und Gott blickte voller Wohlgefallen auf seine Schöpfung. Er sah, dass alles gut war, was er geschaffen hatte. So ward es Abend und es ward Morgen, der dritte Tag!
____________________
Der vierte Tag
Millionen von Jahren waren vergangen, seit eine Wolke aus stellarer Materie sich zu einem neuen Sonnensystem zu verklumpen begann. Planeten wurden geboren und drehten sich seitdem um eine Sonne. Dabei hatte das Zentralgestirn sich erdreistet, über neunundneunzig Prozent der vorhandenen Masse für sich selbst zu beanspruchen. Ein mehr als unverschämter Anteil, fürwahr; doch noch immer nicht ausreichend, um sich als rechtschaffene Mutter allen ihren Kindern in gleicher Weise widmen zu können.
Die beiden ihr nächstgelegenen Planeten, sie sollten später Merkur und Venus genannt werden, erdrückte ihre Mutterliebe. Sich nach ihnen verzehrend, verschwendete der Stern seine Wärme in so überschwänglichem Maße, dass die Hitze jedes höhere Leben auf ihnen über eine längere Zeitspanne unmöglich machte. Dem entgegen stand ihre Kälte für die Sprösslinge am äußeren Rande ihrer Planetenfamilie. Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun vegetieren seit jener Zeit bar jeglicher Liebe, unterkühlt und weit entfernt von der wärmenden Mutter. Noch weiter entfernt klammern sich verzweifelt Pluto und Charon aneinander, denn die Sonne erkannte sie schon nicht mehr als eigenständige Kinder an; zu klein, unbedeutend und weit entfernt, zogen sie in doppelt gebundener Rotation ihre Kreise. Was diesen weit entfernten Sonnenkindern bliebt, war die Hoffnung auf bessere Zeiten, wenn dereinst in wiederum fünf Milliarden Jahren die Sonne ihr tödliches Wachstum beginnen würde und sich auszudehnen trachtet. Vor ihrem Tod wird sie erkennen müssen, dass auch weiter draußen Planeten existieren, die ihrer Gunst früher bedurft hätten.
Zwischen diesen beiden Extremen aber genossen zwei Himmelskörper alle Vorteile, die das Zentralgestirn zu bieten hatte. Erde und Mars lagen in einer Zone, die es gestattete, Leben zu entwickeln. Und doch hatte die Erde einen entscheidenden Vorteil: Ihre Größe! Die Masse des Mars betrug nur etwa ein Zehntel der Erdmasse und so sollten die vielversprechenden Anfänge auf dem zunächst ebenfalls blauen Planeten in einer kosmisch kleinen Zeitspanne dahinscheiden, losgelassen von einer unzureichend großen Gravitation. Aus dem einst wasserreichen Mars sollte eine vertrocknete rote Wüste werden. So war es die Erde, welche sich unter ihren Geschwistern hervortat und sich anschickte, für eine Zeitspanne die herausragende Rolle unter den Sonnenkindern zu spielen.
Gott hatte Wohlgefallen an allen Teilen seiner Schöpfung gefunden; nicht ein Jota, das er daran verwarf. Die Sonne, die Planeten und ihre umkreisenden Monde, sie alle hatten ihre Aufgabe im Gefüge des Universums gefunden. Der Herr erfreute sich an ihnen und ließ die Sterne und Planeten als Lichter der Nacht über der Erde erscheinen. Er sah, dass alles sehr gut war. Es wurde Abend und es wurde Morgen, der vierte Tag.
___________________Der fünfte Tag
Die Erde war bereitet. Es gab salziges Wasser in Fülle, aber auch süßes, trinkbares Nass war vorhanden. Trockenes Land und eine mit Sauerstoff angereicherte Luft garantierten dem Planeten gute Bedingungen für seine neue Aufgabe. Wind und Wasser hatten die ehemalige Steinwüste zum Teil mit lockeren Sandschichten bedeckt. An den Stränden der Meere landeten die frühen Pflanzen an und bemächtigten sich nach und nach auch des trockenen Bodens. Schimmernde Flore von Flechten und grünen Moosen überspannten weite Teile des noch kargen Erdbodens.
Der ständige Kreislauf von Leben und Tod, Werden und Vergehen reicherte den Boden mit Nährstoffen an, sodass der Bewuchs immer üppiger werden konnte. Wälder von Seetang machten die seichten küstennahen Zonen der Meere zu wogend grünen Flächen. Farne und Schachtelhalme entwickelten sich, schickten Samen immer weiter ins Landesinnere und reckten ihre Wedel der Sonne entgegen.
Das Grün der Pflanzen aber war mehr als bloße Augenweide gegenüber dem nackten Fels. Ihr Chlorophyll wandelte Lichtenergie in chemische Energie und band das in Luft und Wasser vorhandene Kohlendioxid organisch in Form von Glucose. Weiterer Sauerstoff konnte in die Atmosphäre gelangen und machte sie zu dem, was sie noch heute für jedes Wesen auf der Erde darstellt: Eine in diesem Sonnensystem einzigartige Hülle zur Erhaltung und Schutz von Leben; Raum und Grundlage für eine lebensbejahende Zukunft.
So blieb es nicht bei der Herrschaft der Pflanzen. In den Meeren hatten sich andere Lebensformen gebildet. Ammoniten, Trilobiten, Quallen, Schnecken, Muscheln und Kopffüßler, Quastenflosser, viele Arten brachte der Planet hervor. Anders als die Pflanzen, die ihre Samen meist durch die Luft verstreuten und so für ihre Ausbreitung sorgten, vermehrte sich die neue Lebensform durch Paarung mit ihresgleichen. Gott fand sein Wohlgefallen an ihrer Fortpflanzung und sprach zu ihnen: »Seid fruchtbar, mehret euch und erfüllt das Wasser der Meere.«
Und die Tiere taten es! Sie fanden sich ein und fanden Gefallen an ihren Artgenossen, liebten sich und brachten vielfältige Nachkommen in Gottes Schöpfung. Bald wimmelte es in den Meeren voller Leben, sodass einige von ihnen sich aufmachten andere Lebensräume zu erobern. Amphibien, Tiere, die sowohl im Wasser als auch auf dem Lande existieren konnten, brachen auf, unbekannte Regionen des Planeten zu besiedeln. Auch in der Luft fanden sich Tiere ein. Insekten surrten und schwirrten umher, fanden Nahrung auf den Pflanzen und wurden Beute von Landtieren. Es wurde lebhaft in den Wäldern aus Bärlapppflanzen und Schachtelhalmen des riesigen Kontinents.
Weiterhin galt das Gesetz von Geburt und Tod, von Entstehen und Verlöschen. Im Tierreich, sowohl zu Wasser als auch zu Lande, kam es aber zu einer neuen zusätzlichen Regel: Der Stärkere fraß den Schwächeren. Der Kampf ums Überleben nahm seinen Anfang, denn nicht alleine das Erblühen und Vergehen der Lebenszellen bestimmte nun, wann eine Kreatur ihr Leben aushauchte, sondern Kraft, Stärke, Verschlagenheit, Geschicklichkeit, all dies spielte mehr und mehr eine Rolle für die Geschöpfe dieser Welt.
Und so wurde es auch am fünften Tage Abend, an dem Gott noch immer mit Wohlgefallen auf sein Werk schaute.
Irgendwo im Universum
Roman
Lautlos glitt die metallene Tür zur Seite und integrierte sich vollständig in die Seitenwand. Erst als die junge Frau die Öffnung durchschritten hatte, schob sie sich wieder zurück in ihre ursprüngliche Lage und hinterließ nicht den Hauch einer Idee, dass hier eine Tür die Wände des Raumkreuzers teilte. Mit selbstsicherem Schritt durchmaß die Wissenschaftlerin die kahlen, mattsilbernen Gänge und folgte dem Hologramm, das ihr den Weg zur Brücke wies. Trotz des leichten Schuhwerks an ihren Füßen, hallte jeder Tritt metallisch wider und erfüllte den Gang mit dem typischen Klack-Klack-Geräusch, das man an Bord des Schiffes fast überall hörte. In ihren zierlichen Händen hielt sie eine kleine Glaskugel von der Größe eines Golfballes und war bemüht, den Behälter trotz ihres forschen Schrittes so ruhig wie möglich zu halten.
»Wie weit ist es noch bis zur Brücke, Guide?«, fragte sie, nachdem sie schon viele Korridore durchquert hatte.
»Wenige Schritte«, antwortete das Hologramm und manifestierte sich für den Augenblick der Antwort in das neutrale Gesicht eines geschlechtslosen Wesens.
Die Frau seufzte leicht und meinte: »Mach hin. Das Serum wird nicht ewig stabil bleiben. Ich muss es schnellstmöglich Calisa zeigen.«
»Du hättest deine Chefin zu dir bestellen sollen, das wäre einfacher gewesen.«
Die Schöpfer des Hologuides hatten der künstlichen Intelligenz ihres Produkts einen Schuss Schalkhaftigkeit spendiert, die der Hologuide immer wieder einzusetzen wusste.
»Hab‘ ich versucht, du kleiner Klugscheißer. Aber der Commander beanspruchte ihre Anwesenheit auf der Brücke. Also, was macht eine pflichtbewusste Mitarbeiterin?«
»Ich verstehe. Wir sind gleich da.«
Wieder öffnete sich in der Wand eine Gleittür und gab den Blick in den Kommandostand des Kreuzers frei. Rund um den Raum spannte sich ein Ring aus entspiegeltem und gebleichtem Glas. Winzige Leuchtpunkte formierten sich darauf zu immer neuen Bildern und Informationen, die die Position des Schiffes im interstellaren Raum anzeigte. Für Kossa waren es unverständliche Hieroglyphen. Sie verstand nichts von Navigation, aber ihr Wissen reichte, um zu erkennen, dass sich das Sternenschiff VESTAG III wieder einem neuen Sonnensystem näherte.
Oberhalb des Glasrings sorgte ein großes Panoramafenster für einen Blick hinaus ins Universum. Myriaden von Gestirnen malten in fast allen Farben des Spektrums Punkte, Nebel und Wolken auf das Schwarz der Unendlichkeit. Im Zentrum des runden Raumes kontrollierte ein Mann, der nach Kossas Einschätzung im Begriff stand, seine besten Jahre abzuschließen, den Flug des Schiffes. Ins Auge stach Kossa sofort sein langes schlohweißes Haar, das er zu einem Knoten gewunden und auf dem Kopf festgesteckt hatte; nur eine Strähne fiel aus diesem Knoten heraus und hing ihm über den Rücken. Der ungewöhnliche Schopf verlieh dem Mann eine gewisse Aura von Autorität. Bekleidet war er mit dem silbergrauen Einteiler der Konföderation, gleicher Machart, wie ihn jedes Mitglied der VESTAG-Besatzung auf dieser Mission trug.
Die Frau neben ihm war das Ziel Kossas Besuches auf der Brücke. Die Chef-Biologin und Bordärztin der VESTAG verantwortete neben der Gesundheit ihrer Kolleginnen und Kollegen auch das biologische Entwicklungsprogramm der Mission. Kossa war Mitarbeiterin ihres Teams. Die Frau mittleren Alters trug eine modische Kurzhaarfrisur. Ihr dunkelblondes Haar rahmte ein attraktives Gesicht, das durch fast nicht wahrnehmbare Fältchen gereift war. Calisa lauschte, ihren Blick auf eine Sternformation des Weltraums gerichtet, den Erklärungen Kirhans, der ihr mit gestenreichen Worten die Szenerie hinter dem Panoramafenster erläuterte.
Kossa trat durch die entstandene Öffnung und sogleich erlosch das Guide-Hologramm, das sie hierhergeführt hatte. Abrupt unterbrach Commander Kirhan das Gespräch mit Calisa und blickte zu ihr herüber.
»Ah, da ist ja die viel gerühmte Brühe!«, begrüßte sie der Mann und erhob sich von seinem Sitz.
Kossas Augen zogen sich merklich zu Schlitzen zusammen. »Brühe!? Commander, wissen Sie eigentlich, wie viel Arbeit in der Entwicklung dieser Brühe steckt?«
Sie sah den obersten Chef des Raumkreuzers heute erstmals aus nächster Nähe. Beim Aufbruch ihres Schiffes hatte Kossa den Mann auf der Begrüßungsveranstaltung nur von Weitem gesehen und kannte ihn ansonsten lediglich aus der 3D-Animation, die von jedem Bordmitglied verteilt worden war.
Als er sich erhob, stellte sie irritiert fest, dass er von der Hüfte an abwärts eine hybrid-organische Prothese trug. Sein menschlicher Oberkörper mündete unübersehbar in ein technisches Bauteil und machte ihn somit zum Halbandroiden. Dass jemand seine Beine durch Kunstglieder austauschen musste, war nichts Besonderes. Doch diesem Mann hatte man den kompletten Unterleib ersetzt. Ein Anflug von Bedauern legte sich auf Kossas Gemüt. Wie der Commander ohne seinen Pullermann auskommen konnte, war ihr ein Rätsel. Das Leben musste ihm schon so manches abverlangt haben.
Dennoch hatte sie Mühe, die Erregung aus ihrer Stimme zu verbannen, schließlich hielt sie das Ergebnis harter Forschungsarbeit in ihren Händen. Allein heute hatte sie über elf Bordstunden im Labor gestanden, um das Panspermie-Serum in einer weiteren Stufe zu stabilisieren. Sie war müde und abgespannt von der Tätigkeit und fand es respektlos, dass man das Ergebnis ihres Schaffens als Brühe bezeichnete.
»Schon gut, Kossa«, besänftigte die Chef-Biologin und Medizinerin den Unmut ihrer Mitarbeiterin. »Commander Kirhan weiß wohl zu schätzen, was wir für die Mission leisten. Dass du gerade jetzt das Serum in einen stabilen Zustand versetzen konntest, kann man fast als Fügung des Schicksals bezeichnen. Commander Kirhan hat mir soeben mitgeteilt, dass wir in Kürze ein weiteres SOL-G2 System erreichen. Unsere Mission steht nach all den bisherigen Fehlschlägen kurz vor einer neuen Bewährungsprobe. Da kann das Ergebnis deiner Arbeit für unseren Erfolg nur hilfreich sein.«
Kirhan nickte. Über sein leicht pockennarbiges Gesicht huschte ein einschmeichelndes Lächeln: »Bitte entschuldigen Sie meine verbale Entgleisung. Wie könnte ich gegenüber zwei so bezaubernden Damen Abwertendes im Schilde führen? Ohne Ihre Arbeit wäre unsere Reise weiter ein einziges Lotteriespiel. Jetzt aber könnten wir uns berechtigte Hoffnung machen, unsere Mission mit Erfolg zu krönen.« Er deutete auf die kleine Kugel in Kossas Händen. »Denken Sie, dass diese Charge des Serums der Durchbruch ist?«
»Ich bin überzeugt, meine Arbeit bringt uns dem Ziel ein ganzes Stück näher«, nickte die junge Frau und reichte die Kugel ihrer Chefin.
Calisa hob die Kugel und prüfte sie gegen das Licht. »Wie lange konntest du die Stabilisationsphase ausbauen?«
»Die letzten Versuche haben ein Minimum von zwölf Stunden ergeben. Tendenz steigend. Wenn ich weitere Parameter optimieren kann, ist eine Haltbarkeit von einem oder gar mehreren Tagen sicherlich keine Illusion mehr.«
Beeindruckt aktivierte Calisa den Extruder in der Kommandokonsole vor ihnen und tippte einen Code auf die sensitive Folie. In Sekundenschnelle baute sich ein mit Plasma gefülltes Gefäß auf, in das Calisa die Kugel vorsichtig eintauchen ließ.
»Computer: Datenauswertung und Transmission!«, bestellte sie den entsprechenden Service und wand sich ihrer Kollegin zu. »Wir werden es in wenigen Augenblicken wissen. Laut Commander Kirhans Aussage erreichen wir morgen das Zielsystem. Eine erste Analyse unserer ausgesandten Diagnosesatelliten hat ergeben, dass von den acht SOL-G2-Planeten zwei in der habitablen Zone des Sterns liegen. Sie könnten also für unsere Panspermie-Mission geeignet sein. Mit deinem Serum ist der Erfolg greifbar.«
Kirhan trat neben die Chef-Biologin und musterte deren junge Mitarbeiterin mit unverhohlenem Interesse. »Sie sind noch sehr jung. Wie lange arbeiten Sie schon an dem Serum?«
Sein Blick glitt langsam taxierend an Kossa herab. Er kannte sie nur flüchtig, denn auch dem obersten Kommandanten des Schiffes war es unmöglich, alle Mitglieder der Mission in jeder Einzelheit im Gedächtnis zu haben. Doch was er sah, brachte ihn zu dem Schluss, dass es sich durchaus lohnte, Kossa näher zu beachten; er hatte ein Faible für attraktive Frauen.
Viele davon liefen ihm im Augenblick jedoch nicht über den Weg. Die VESTAG III war ein Raumschiff der K-Klasse, wobei K für Kryostase – Kälteschlaf – stand. Im Volksmund wurden die Schiffe auch Schläferschiffe genannt. Die riesigen Distanzen, die Raumfahrzeuge der K-Klasse zurücklegen mussten, um ihrer Mission gerecht zu werden, konnten von ihrer Besatzung nur überlebt werden, indem sie die meiste Zeit tiefgefroren in den Kältekammern verbrachten. Kirhan wusste genau, dass die Mehrheit seiner Crew im Moment noch in den Schlafkabinen darauf wartete aufgeweckt zu werden. Nur gut ein Dutzend Wissenschaftler – und natürlich ihn, den Leiter der Expedition – hatte der Bordcomputer vor drei Wochen aus dem Kälteschlaf geholt, um sie auf die Ankunft im System des G2-Sterns mit der Leuchtkraft V vorzubereiten.
Kossa war Mitarbeiterin im Stab der Astro-Biologen, die vor Erreichen eines neuen Zielsystems die tiefgefrorenen Sourcen des Panspermie-Serums aufbereiteten, um daraus eine brauchbare und stabile Charge des Impfstoffes herzustellen. Der Auftrag der VESTAG-Konföderation für die Panspermie-Mission war klar umrissen: Eine neue Welt für die Ausbreitung menschlichen Lebens musste gefunden werden, da die zu erwartende Restlebenszeit ihrer Heimatsonne die kritische Periode von einer Million Zyklen unterschritten hatte. In weniger als einer Million Jahren würde die Kernfusion ihres Sterns mehr und mehr unbeständige Schwankungen aufweisen. Der Sterbeprozess würde lange dauern; mehrere Millionen Jahre. Doch weitaus früher wäre Leben auf den drei Planeten nicht mehr möglich. Die Sonne würde beginnen, sich unaufhaltsam aufzublähen und ihre Strahlung ins Spektrum der rötlichen Farbe verschieben. Noch bevor sie das Stadium eines Roten Riesen erreicht hätte, schluckte sie die Planetenbahnen der derzeit habitablen Zone. Auch wenn eine Million Jahre eine immense Zeitspanne, gemessen an einem Menschendasein, bedeutete, im Zeitmaß des Universums war es nur eine kurze Periode. So hatte die Konföderation beschlossen, früh genug eine Mission zu starten, um besiedelbare Planeten zu finden und sie – wenn nicht für eine mögliche Migration der menschlichen Rasse, dann wenigstens für die Erhaltung ihres Erbgutes – vorzubereiten.
Dazu war Commander Kirhan mit seiner Crew vor nunmehr einunddreißig Zyklen mit der VESTAG III aufgebrochen. Die meiste Zeit davon hatten sie in den Kälteschlafkammern verbracht. Nur wenn das Schiff sich einem Zielsystem näherte, weckte der Zentralcomputer eine Handvoll Personen aus der Kryostase, die dann für das weitere Vorgehen Entscheidungen treffen mussten. Oft genug schon hatten sich Commander Kirhan und seine Mitstreiter wieder in den Kälteschlaf versetzten lassen müssen, da die angeflogenen Sonnen trotz Prognose des Computers nicht die Voraussetzung für ihre Mission erfüllten. Nur wenn sie einen Planeten der Kategorie Blau fänden, auf dem Leben ihrer Lebensform möglich wäre, könnte eine Abordnung auf dem Planeten landen und das Panspermie-Serum auf geeignete Individuen einer hominiden Spezies übertragen. Die Wissenschaftler hofften, dass nach überschaubaren Zeitperioden auf diese Weise die Evolution auf dem Planeten eine menschenähnliche Lebensform hervorbringen würde. Im Wissen, gleichgesinnte Individuen vorzufinden, könnte man Besiedelungsflüge vorbereiten, sollte ein Verlassen des Heimatplaneten notwendig werden. Aber auch ohne solche Besiedelungsflüge wäre durch ihre Arbeit ein Fortbestand der menschlichen Rasse gesichert und die hominide DNA könnte sich weiterentwickeln.
Kirhans Bedenken, Kossa sei eventuell noch nicht erfahren genug für diese verantwortungsvolle Aufgabe, hatte er wohl eine Spur zu entschieden vorgebracht. Er wusste, ihre Arbeit setzte viel Wissen und noch mehr Erfahrung voraus. Bisher war es immer Sache der Chef-Biologin höchstpersönlich gewesen, ein Kontingent an Serum zu produzieren und für den Einsatz zu stabilisieren. Dass die Frau diesmal diese Aufgabe Kossa übertragen hatte, zeugte davon, dass sie vollstes Vertrauen in die Qualifikation ihrer Mitarbeiterin setzte. Bei einigen vorhergehenden Missionsetappen hatte Calisa feststellen müssen, dass ihre Doppelverantwortung als Bordärztin und Chef-Biologin sie zu sehr belastet hatte. Sollte es wieder zu einer Exkursion auf einem der Planeten kommen, wollte sie ihre volle Konzentration auf die medizinische Betreuung richten können. Kossa hatte sie nicht enttäuscht und den Job sehr akribisch durchgeführt.
»Lange genug, Commander, um zu wissen, was ich tue«, gab Kossa kurz angebunden zurück. Es ärgerte sie, dass dieser Mann sie womöglich für unfähig hielt. Sie hatte ihr Studium auf Trevalon mit Auszeichnung abgeschlossen. Aber das wollte sie ihm nicht unter die Nase reiben. Als Commander dieser Mission sollte Kirhan in der Lage sein, ihr Können anhand ihrer Arbeitsergebnisse bewerten zu können.
Kirhan blickte auf Calisa und nahm ihr zustimmendes Nicken zur Kenntnis. Er beschloss, keine weiteren Fragen mehr zu stellen. Warum dieses Mädchen verärgern, der Computer würde sowieso gleich anzeigen, was sie zustande gebracht hatte.
Wie alt sie wohl ist, fragte er sich. Das absolute Alter war bei den Teilnehmern der Expedition nie am Äußeren festzumachen. Dazu lagen sie zu oft und zu lange in den Kälteschlafkammern. Ihr Stoffwechsel wurde so weit heruntergefahren, dass es zu fast keinerlei körperlichem Alterungsprozess kam. Über Jahre lagen sie so und alterten maximal um einen Tag. Aber ihr relatives Alter, also die Tage, in der sie aktiv gelebt hatte und nicht dem Kälteschlaf ausgesetzt war, schätzte er auf Mitte zwanzig.
Ihr schulterlanges, glattes Haar leuchtete in grellem Rot unter dem künstlichen Licht der Kommandozentrale und betonte den leicht bronzefarbenen Ton ihrer Haut; ein typisches Anzeichen, dass dieses Mädchen vom Planeten Ansiega stammte. Das Funkeln ihrer gelben Augen wirkte im Augenblick aggressiv, doch stand es ihr ausgezeichnet. Kirhan musste ein Grinsen unterdrücken. Er wusste genau, wie sich junge Menschen verhielten, wenn man ihre Leistungsfähigkeit anzweifelte und sie dies auch noch fühlen ließ.
Kossa reckte ihr scharf geschnittenes Kinn nach vorne und presste ihre dunklen, vollen Lippen zusammen. Die Arme hatte sie abwehrend über ihrer Brust verschränkt und stand etwas breitbeinig wie ein angriffslustiger Kämpfer vor ihrem Kommandanten. Trotz seines fortgeschrittenen Alters genoss Kirhan immer wieder den Anblick gut aussehender Frauen, wohl wissend, dass er das weibliche Geschlecht aufgrund seiner körperlichen Behinderung nur wie ein berauschendes Kunstwerk genießen durfte. Schöne Frauen waren für ihn wie Bilder der alten Meister, perfekt zum Anschauen, aber er konnte nichts mit ihnen anfangen. Es schmerzte ihn jedes Mal, wenn er sich dieses bewusst machte. Was er hier sah, war ein durchaus beachtenswerter Anblick. Der eng anliegende Overall setzte ihre weibliche Seite voll in Szene und ihre leicht gereizte Kampfhaltung gab Kossa etwas sehr Anziehendes. Dass ein so attraktiver Mensch auch intellektuell noch viel zu bieten hatte, machte sie umso reizvoller. Er bedauerte aufrichtig, dass die Zeiten für ihn vorbei waren, solch attraktive Frauen auch körperlich näher kennenlernen zu können.
Ein schrilles Fiepen riss ihn aus seinen Gedanken.
»Analyse beendet. Datentransfer auf Monitor Fünf eingeleitet«, informierte die synthetische Stimme des Bordcomputers.
Alle drei Personen richteten ihr Augenmerk unvermittelt auf den genannten Bildschirm, wo die Auswertedaten erschienen. Kirhan und Calisa neugierig, Kossa selbstbewusst, denn sie kannte die Daten bereits aus dem Labor.
»Gute Arbeit, Kossa. Sieht nach einem sehr brauchbaren Resultat aus!«, lobte ihre Chefin sie nach Studium der Ergebnisse. »Ich hätte es nicht besser machen können.«
Kossas triumphierender Blick wanderte intuitiv zum Commander.
»Nun, ich bin zwar nicht der Experte auf diesem Gebiet, aber wenn Calisa mit ihrer Arbeit zufrieden ist, bin ich es auch. Danke Kossa!«
Sein versöhnliches Lächeln beschwichtigte die Wissenschaftlerin ein wenig.
»Jetzt liegt es an Ihnen, uns sicher zu einem Planeten der Kategorie Blau in diesem System zu bringen«, provozierte sie bewusst etwas schnippisch ihren Kommandanten. Sie neigte leicht ihren Kopf zu einem kurzen Gruß. »Commander!« war das letzte Wort, was sie sagte, bevor sie sich umdrehte und die Brücke verließ. Die amüsierten Blicke Kirhans und Calisas folgten ihr.
*
Das Guide-Hologramm hatte das Mädchen zurück ins Labor gebracht. Sobald sie wieder auf den Gang getreten war, hatte sich der virtuelle Führer erneut aktiviert. Auf einem Raumkreuzer der K-Klasse ging wegen seiner immensen Größe fast nichts ohne einen Guide. Zu verwirrend verband ein gleichförmiges Korridorsystem die einzelnen Komplexe der Arbeits-, Wohn- und Funktionsbereiche.
Dabei war das Schiff von seiner Architektur relativ einfach aufgebaut. Es bestand aus zwei Basiseinheiten, einer Antriebs- und einer Nutzeinheit. Die längliche Konstruktion der doppelröhrigen Antriebseinheit war durch zwei ringförmige Wartungskorridore verbunden und beherbergte neben Maschinenraum und Antriebsaggregaten die Energieeinheit. Ihren »Treibstoff« bezog die VESTAG unmittelbar aus den im Universum zwar sehr vereinzelt, aber doch in unendlicher Menge vorkommenden Elementen. Die gesamte Außenhülle des Fahrzeugs war so konstruiert, dass sie die atomaren Bestandteile der Elemente aus dem All einsammelte und einem Tokengenerator an Bord des Schiffes zuführte. Dieser setzte die Atome zu allen Basisressourcen zusammen, die auf dem Raumfahrzeug benötigt wurden. Dazu zählte, neben der Energie für den Antriebe und die Versorgung des Schiffes, insbesondere auch jede Form von Nahrung und Verbrauchsmaterial für die Besatzung. Auf diese Art und Weise generierte das Schiff permanent alle Substanzen, die es für seinen Flug benötigte. Ein Selbstversorger im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Antriebseinheit mündete an der einen Seite in die Impulsaggregate, die das Schiff auf annähernde Lichtgeschwindigkeit beschleunigen konnten. Am anderen Ende ging sie in eine große Kugel, den Globe, über. Dort war das Herz des Raumschiffes mit Brücke und Kommandozentrale untergebracht. Der Globe lag im Zentrum dreier konzentrischer Ringe, die die Nutzeinheit bildeten und verband so Antriebs- mit Nutzeinheit. Diese praktische Konstruktion sorgte dafür, dass alle Schiffskomplexe etwa gleich weit entfernt vom Globe angesiedelt waren und man von überall einen kurzen Weg zur Brücke der VESTAG hatte.
Im obersten Ring der Nutzeinheit, Torus A, lagen die Wohnbereiche für die Besatzung, sofern die Crew-Mitglieder nicht noch in den Kältekammern schlummerten und auf ihren Einsatz warteten. Der Wohnkomplex beanspruchte nur dreiviertel des Rings, sodass die Konstrukteure im letzten Viertel Sport- und Freizeitanlagen, Med-Center und ein Casino, die Messe, platziert hatten.
Ähnlich gestaltet war der untere Ring, Torus C. Er bestand zur Hälfte aus Kältekammern und deren Überwachungssystemen. Im restlichen Halbring befanden sich Labore, produzierten Lebensmittelgeneratoren auf Anforderung die benötigte Verpflegung und bildeten Speicher-Units Stauraum für Artefakte, die man gegebenenfalls von den Expeditionen auf den besuchten Planeten mitbringen würde.
Der mittlere Ring, Torus B, unterschied sich von den beiden äußeren Ringen erheblich. Vierundzwanzig separate Elemente, aufgefädelt auf einem weiteren Korridortorus, enthielten die technischen Ausrüstungsgegenstände des Schiffes. Hangars mit Raumbooten, Gleitern, On-Board-Shuttles sowie mehrere Docks zur Instandhaltung jeglicher technischer Geräte fanden hier Platz. Auch einige Waffensysteme zum Schutz des Schiffes waren dort installiert, obwohl man in der gesamten Historie der VESTAG-Konföderation noch nie eine gewaltsame Auseinandersetzung im Weltraum hatte führen müssen. Doch da K-Klasse-Schiffe so weit ins unbekannte Universum vordrangen, wollte die Regierung sicher gehen, angemessene Verteidigungssysteme an Bord der Schiffe zu haben. Verbunden war Torus B mit dem Globe über drei Speichen-Korridore, die direkt zur Brücke führten. Außerdem erlaubten zwölf Liftsysteme, die Ebenen der drei Nutzeinheit-Ringe zu wechseln. Jeder der übereinander gestapelten Ringe wurde in vierundzwanzig Sektoren unterteilt.
Aus dem All betrachtet, erinnerte das Raumschiff in seiner Konstruktion an ein riesiges Speichenrad auf einer doppelläufigen Achse, bei dem die Nabe den Kommandostand darstellte. Dabei hatten die Designer großen Wert darauf gelegt, Ästhetik und Funktionalität des Schiffes in Einklang zu bringen. Bis auf Torus B war die gesamte Schiffshülle mit einem silbrig-weißen Überzug versehen; die Elemente des mittleren Ringes hingegen erstrahlten in einem tief goldenen Glanz und machten das Schiff zu einem überdimensionalen Schmuckstück.
War der Hinweg schon verwirrend für jemanden, der sich nicht täglich zur zentralen Brücke begab, so war es der Rückweg in die Peripherie um ein Vielfaches mehr. Die Krux an der Sache war die Gleichförmigkeit der Gänge. Sie unterschieden sich lediglich in der Nummerierung der Kabinen, ansonsten glichen sie sich wie ein Ei dem anderen. Der Hologuide war somit eine unverzichtbare Hilfestellung, wollte man sich nicht hoffnungslos in den Gängen des Kreuzers verlaufen.
Im Labor hatte Kossa nur noch ihren Arbeitsplatz deaktiviert und sich dann in ihre Kabine auf Torus Ebene A zurückgezogen. Im Sektor siebzehn befanden sich die Kabinen der Biologen und Kossa bewohnte Nummer fünf. Aus diesem Grund wurde ihre Bord-Identität mit »Kossa A-17/5« angegeben. Für heute war ihr Arbeitstag beendet. Elf Bordstunden hatte sie an der Stabilisierung des Serums gearbeitet und jetzt hatte sie dreizehn Stunden frei.
Kossas Tage an Bord waren in drei Abschnitte unterteilt. Acht Stunden Arbeit, aus denen meist etwas mehr wurden, folgten acht Stunden Freizeit – abzüglich der Überstunden – und diesen wiederum acht Stunden Schlaf. Die Ruhezeit war ihr absolut heilig. Diese Aufteilung hatte sich als sehr effizient erwiesen. Die Biologin hatte festgestellt, dass ihre Leistungsfähigkeit durch diese Einteilung optimiert wurde. Zu Hause auf ihrem Heimatplaneten Ansiega hatte der Tag auch vierundzwanzig Stunden. Hier auf der Reise zu anderen Welten simulierte das Schiff die Tag- und Nacht-Sequenzen. Zwölf Stunden verbreitete eine künstliche Beleuchtung nahezu perfektes Tageslicht, während in der restlichen Zeit die Helligkeit gedämpft und damit der Zustand einer künstlichen Nacht vermittelt wurde. Ihr Biorhythmus hatte inzwischen diese Intervalle vollständig adaptiert und ihre Melatoninausschüttung bestens angepasst.
In ihrem Apartment angekommen, nahm Kossa als Erstes eine Dusche. Jede Kabine hatte eine integrierte Nasszelle mit Waschbecken, Dusche und Toilette. Nicht groß, aber funktional. Kossa streifte den Arbeitsanzug ab, warf ihn achtlos zu Boden. Sofort wuselte der Reinigungsroboter heran, hob ihn auf und entsorgte das benutzte Kleidungsstück in der Wiederaufbereitungseinheit. Nackt betrat Kossa die Dusche, wählte auf dem Modus-Panel »Massage« und stellte den Timer auf zehn Minuten ein.
»Sie verschwenden Bordressourcen. Empfohlene Duschzeit: vier Minuten!«, mahnte sie die vertraute Stimme des Bordsystems.
»Ach Schnauze!« mit einem gezielten Tritt gegen das Panel setzte sie die Stimme außer Kraft. Sofort prasselte das erfrischende Wasser auf sie herab. Kossa räkelte sich unter dem perlenden Strahl, seifte sich den Körper ein und ließ den Schaum von einem angenehm harten Massagestrahl wieder abspülen. Zum Schluss wusch sie sich ihre Haare, massierte kurz ihre Kopfhaut und genoss das heiße Wasser auf ihrer Haut, bis die zehn Minuten vorüber waren.
Sie trat aus der Kabine und stellte sich in die Trockenröhre. Ein sanfter Lufthauch umschmeichelte ihren Körper von den Schultern abwärts und trocknete auch die letzten Wassertropfen auf ihrer Haut, bevor sie ein feiner Nebel aus wohlriechenden Ölen einhüllte. Mit leisem Summen fuhr eine kleine Lade aus und bot ihr ein frisches, flauschiges Handtuch für die Haar- und Gesichtstrocknung. Es war auf Körpertemperatur vorgewärmt. Nach nur einer viertel Stunde hatte sie den kompletten Stress des Arbeitstags abgespült und hinter sich gelassen.
»Wie spät ist es?«, wollte Kossa wissen.
»17:25 Uhr«, antwortete die gleiche Stimme, die sie auch schon auf die Wasserverschwendung hingewiesen hatte. Zum Glück sind Computer nicht nachtragend, dachte Kossa und ihre Mundwinkel zuckten belustigt.
»Haben Sie Hunger? Die Bordküche bietet heute…« und dann leierte die Stimme eine fast endlose Litanei von Speiseangeboten herunter.
»Gute Frage«, murmelte die Frau und horchte in ihren Magen. Nein, wirklich hungrig war sie nicht! Sie schaute in den Spiegel, als wolle sie nachsehen, ob sie sich dennoch einen Snack leisten könne. Was sie sah, war tadellos. Schlanke zweiundfünfzig Kilogramm verteilt auf eine Größe von 172 Zentimetern. Zierliche Schultern, sportliche Figur, feste Brüste, schmale Hüften, einen herzeigbaren Po und schlanke, lange Beine. Doch, sie fand sich soweit in Ordnung!
»Vielleicht einen kleinen leichtkalorischen Salat mit Quarkdressing«, orderte sie und ging zum Schrank, um sich ein bequemes Outfit für den Feierabend zusammenzustellen. Sie entschied sich für ein rostbraunes Kapuzenshirt und eine Slim Fit Hose aus grellgelbem Stretchgewebe. Damit wollte sie das Silbergrau der Arbeitsuniform vergessen machen. Sie liebte auffallende Farben. Es war auch der Grund, warum sie sich die Haare knallrot gefärbt hatte.
Bevor sie sich ihrem Salat hingab, schaute sie auf dem Info-Monitor die Übersicht der heutigen Freizeitangebote an. Fitness und Sport, Unterhaltung, Meditation/Esoterik/Religion, Kunst und Kultur, Erotik und Sex, … sie scrollte durch alle Kategorien, entschied sich aber erst einmal dafür, ihre angefangene Lektüre, einen historischen Roman über die Gründerzeit der VESTAG-Konföderation, aufgepeppt mit einer rührenden Liebesschnulze, weiterzulesen und sich dabei ihren Salat schmecken zu lassen.
Kossa hatte noch nicht aufgegessen, als sich wieder die Computerstimme meldete. »Ihre Chefin wünscht sie zu sprechen. Schalten sie den Monitor auf Sprachempfang und aktivieren sie den Hologrammmodus.«
»Heilige Scheiße«, stöhnte Kossa etwas genervt, »hat man denn gar keine Ruhe hier?« Sie entschied sich dafür, ihre Chefin lediglich über die Sprachfunktion zu empfangen.
»Calisa, hallo, was gibt’s?«
»Sorry Kossa, dass ich dich so schnell nach Dienstschluss schon wieder störe.«
»Kein Problem, ich habe mich sowieso gerade gefragt, was ich nun anstelle«, log Kossa.
»Nun, da hätte ich vielleicht einen Vorschlag. Kirhan und ich sind noch einmal die Daten der Planeten des Zielsystems durchgegangen. Jetzt befürchten wir, dass sich die Anzahl der Kandidaten für unsere Mission auf einen einzigen Planeten reduziert. Obwohl Orbit 4 in der habitablen Zone liegt, scheint er wichtige Eigenschaften der Blau-Kategorie zu vermissen. Es könnte gut sein, dass dieser Planet so gut wie biologisch tot ist. Auch wenn es dort früher einmal Wasser gegeben haben muss, hat sich inzwischen das meiste verflüchtigt. Seine Atmosphäre lässt vermuten, dass sich auf längere Zeit selbst primitivste Lebensformen nicht halten können. Wahrscheinlich werden wir dort keine Spezies finden, die sich für die Impfung mit Panspermie-Serum eignet.«
»Oh, keine gute Nachricht, wie mir scheint. Wir haben doch hoffentlich nicht schon wieder ein Zielsystem vergeblich angeflogen?«
»Das wohl nicht! Orbit 3 sieht sehr vielversprechend aus. Er kommt den Planeten der VESTAG-Konföderation sehr nahe. Seine Atmosphäre gleicht verblüffend der unserer Triplex-Planeten. Lage und Umlaufbahn zum Zentralgestirn sind ideal und die Daten lassen die Option auf eine mögliche Population höherentwickelten Lebens zu; hominide Formen nicht ausgeschlossen.«
»Na, klingt doch super! Wo ist dann das Problem und was hat das mit meinem Abendprogramm zu tun?«, wollte Kossa zurück zum eigentlichen Thema des Anrufs.
»Nun, Commander Kirhan hat sich entschlossen, die Daten vor Ort durch einen Aufklärungstrupp verifizieren zu lassen. Schon morgen soll eine Expedition zu Orbit 3 geschickt werden. Sie soll Messdaten und Aufnahmen aus einer bodennahen Umlaufbahn sammeln und, wenn irgendwie möglich, auch schon einen Überblick über existierende Lebensformen gewinnen. Kirhan will deshalb einen Vertreter unseres Biologenteams mit an Bord haben und da habe ich dich vorgeschlagen.«
Für einige Sekunden war nichts als Schweigen zu hören. Calisa wartete geduldig, bis Kossa ihre Gedanken sortiert hatte.
»Ich soll zu Orbit 3 fliegen? Morgen? Traust du mir das zu?«
»Hätte ich dich sonst vorgeschlagen? Du kennst unser Serum bestens und weißt, für welche Spezies es infrage kommt. Außerdem hast du mehr Eindruck auf Kirhan gemacht, als du denkst. Ich finde, du hast absolut die Qualifikation dazu.«
Kossa überlegte. Sie fühlte sich geschmeichelt. Es war ein verlockender Auftrag. Mal raus aus dem Alltagstrott und hinein in ein kleines, aber kalkulierbares Abenteuer. Warum nicht? Sie hatte sich schon während ihres Studiums mit der Evolution verschiedenster Lebensformen auseinandergesetzt. Es faszinierte sie immer wieder zu sehen, wie das Leben anhand selektiver Auswahl die Optimierung seiner Geschöpfe vorantrieb. Wenn sie eine Ahnung bekam, mit welchen Lebensformen auf Orbit 3 zu rechnen war, würde ihr dieses Wissen bei der Adaption des Serums bestimmt eine hervorragende Hilfestellung geben.
»Wie lange wird das Team unterwegs sein und wer ist mit dabei?«
»Wohl kaum länger als drei bis vier Tage«, meinte Calisa. »Wer alles mit von der Partie sein wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Kirhan hat Leutnant Pollan als Leiter der Mission ausgewählt. Vorausgesetzt, du sagst zu, bist du der zweite Teilnehmer. Wir brauchen noch einen Experten für Geologie und jemanden, der euren Raumgleiter aus dem Effeff beherrscht. Vermutlich werden dafür extra zwei Personen aus dem Kälteschlaf reaktiviert. Der Commander will das Unternehmen so klein wie möglich halten und keine weiteren Personen der aktuell aktivierten Crew abstellen. Er ist gerade dabei, die Liste der Schläfer durchzugehen, um die geeigneten Personen zu finden.«
»Na schön. Wie kann ich mich auf den Einsatz vorbereiten? Ich denke, das ist der Grund deines Anrufs.«
»In der Tat. Ich möchte dich um zwei – eigentlich drei – Dinge bitten. Es wäre schön, wenn du bis morgen die bisher vorliegenden Daten von Orbit 3 bezüglich seiner Entwicklungsstufe studieren könntest. Finde heraus, welche Lebensformen wahrscheinlich sind. Je mehr Erkenntnisse du sammelst, umso besser können wir nach Hinweisen einer geeigneten Spezies suchen. Zweitens möchte ich dich bitten, in etwa zwei Stunden mit Kirhan Kontakt aufzunehmen. Bis dahin wird er wissen, wen er noch auf die Mission schicken wird. Lass dir Namen und Profile deiner Begleiter durchgeben und mach dich vertraut mit ihnen. Es ist wichtig, dass ihr wisst, wer eure Teammitglieder sind und welche Eigenschaften sie auszeichnen.«
»Halt mal…«, unterbrach Kossa ihre Vorgesetzte. »Das heißt im Umkehrschluss, dass auch die anderen meine Daten erhalten, um sich mit meinen Talenten und Macken auseinanderzusetzen.«
»Das ist wohl richtig. Hast du damit Probleme?«
»Na ja… was wird denn da alles offengelegt?«
»Keine Angst. Es geht hier um deine Qualifikation, deine Fitnesswerte, deine Teamfähigkeit… Da hast du doch nichts zu verbergen!«
»Danke! Aber so ganz wohl ist mir nicht bei dem Gedanken, dass wildfremde Bordmitglieder mich durchleuchten…«
»Mach dir darüber mal keine Gedanken. Kirhan wird dafür sorgen, dass die Privatsphäre unangetastet bleibt.«
Kossa lachte skeptisch auf. »Warten wir’s ab… Und was ist die dritte Sache, um die du mich bitten wolltest?«
Calissa zögerte einen Augenblick. Dann fuhr sie fort: »Drittens möchte ich dich bitten, auf dich aufzupassen. Bei dem Flug ist zwar keine Landung auf Orbit 3 vorgesehen, aber das Patrouillenteam wird weitestgehend auf sich selbst gestellt sein. Für euch geht es in ein unbekanntes Zielgebiet. Es ist angesichts seines stellaren Alters nicht damit zu rechnen, dass im System dieses G2-Sterns schon eine Zivilisation existiert, die zur Hochtechnologie oder gar Raumflügen fähig ist. Dennoch sind Überraschungen nie ausgeschlossen. Denke daran: Ich brauche dich später wieder hier in unserem Labor.«
Kossa lachte. »Deine Fürsorge ehrt mich. Aber solche Patrouillenflüge sind inzwischen Routine. Noch nie ist etwas schiefgelaufen. Warum also diesmal?«
»Ja«, meinte Calisa zustimmend. »Unsere Chancen, eine hominide Lebensform zu entdecken, standen noch nie so gut. Bisher waren die Populationen der Planeten entweder noch zu primitiv oder schon degenerativ. Doch diesmal setzen wir große Hoffnung darauf, eine brauchbare Spezies zu finden. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich euch die Daumen drücke. Eure Mission wird die Grundlage schaffen, endlich einen Erfolg zu verzeichnen. Davon bin ich fest überzeugt!«
»Hoffen wir das Beste.«
»Danke für deine Bereitschaft. Kossa. Du kannst ab morgen Geschichte schreiben.«
Kossa lachte. »Alles klar. Ich mache mich sofort an die Arbeit. Und in zwei Stunden spreche ich bei Kirhan vor – versprochen! Einen angenehmen Abend, Calisa.«
»Dir auch und viel Glück!«
»Computer: Verbindung trennen! Erinnere mich, in zwei Stunden Kirhan zu kontaktieren!«
»Ende der Sprachverbindung! Erinnerungsalarm gesetzt!« bestätigte die Computerstimme.
Es war ganz anders als aus einem normalen Schlaf zu erwachen. Zuerst wurde sein Geist angeschaltet. Es machte einfach klick, und von einer auf die andere Sekunde arbeiteten die Synapsen wieder. Wie bei einem Computer durchliefen die Hirnströme eine Art Bootstrapping und luden das Betriebssystem, erst die Grundlagen und dann die komplexeren Zusammenhänge. Schritt für Schritt wurde das vielschichtige System des menschlichen Gehirns wieder auf Touren gebracht.
Langsam, ganz langsam – so als müsste sich der Geist erst einmal wieder warmlaufen, kamen Erinnerungen zurück. Erinnerungen an ein Leben, das für viele Jahre pausiert hatte. Es war der Preis, den jeder auf dem Schiff bezahlen musste, um bei diesem Abenteuer dabei zu sein. Manche durchliefen den Prozess nicht nur einmal, sondern mehrfach. Für den gesamten Organismus stellte der Prozess der Kryostase, sowohl die Schritte zum Einfrieren als auch die Wiedererweckung aus der Kältestarre, einen erheblichen Stressfaktor dar.
In der Konföderation hatte die Wissenschaft jedoch den Kälteschlaf schon lange als ein probates Mittel zur Überbrückung nutzloser Lebensabschnitte etabliert. Gerade in der interstellaren Raumfahrt waren Kältekammern gang und gäbe. Die Naturgesetze der Physik hatten eindeutig gezeigt, dass das Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit für Materie in der Praxis nicht möglich ist. So musste die Kryonik herhalten, um den Menschen die Überwindung größter Distanzen zu ermöglichen.
Auch als die Software des Gehirns wieder funktionierte und Honaks Geist seinen Gedächtnisspeicher aufgeladen hatte, war der Simistone noch weit davon entfernt, wieder ins Leben zu treten. So farbenfroh und plastisch wie sich seine Gedankenwelt bereits wieder präsentierte, sein Körper war tot. Noch waren alle blutführenden Gefäße mit einem hochtoxischen Gemisch aus Dimethylsulfoxid, Formamid und Ethylenglykol gefüllt und stark heruntergekühlt. Honak spürte weder Schmerz noch Wohlbefinden. Er lag völlig körperlos in seiner Kühlschale und wartete darauf, dass das Frostmittel gegen Eigenblut ausgetauscht werden würde.
Es waren seltsame Empfindungen, die der Mann wahrnahm. Eigentlich bei vollem Bewusstsein, hatte er Visionen. Bilder seines bisherigen Lebens zogen an seinem geistigen Auge vorbei. Von seiner Geburt, die er selbstredend nicht bewusst miterlebt hatte, über seine unbeschwerte Kindheit in der Oase und den fürchterlichen Erlebnissen, als die kleine Familie auseinandergerissen wurde, bis hin zu seiner Ausbildung zum Ingenieur und dem Zeitpunkt, da er sich auf der VESTAG für diese Mission in der Kälteschlafkammer eingefunden hatte. Er dachte all diese Ereignisse, während er starr da lag und das Ende der Prozedur herbeisehnte.
Nach einer Weile merkte er, wie sein Herz zu schlagen begann. Jeder Schlag pumpte weiteres Blut in seinen Körper, aber jeder Schlag schmerzte auch wie der Aufprall eines Hammers auf einen Amboss. Endlich spürte er ein erstes Kribbeln in seinen Fingerspitzen. Auch die Fußzehen fingen an zu prickeln und seine Augenlider zuckten.
Es schmerzte! Endlich! Gefühle kehrten zurück und machten ihn glücklich. Der Moment, als er seine Augen das erste Mal nach zwanzig Jahren wieder öffnete, brannte wie Feuer und Licht flutete in unkontrolliertem Übermaß durch seine Iris. Die Lichtmenge, die die Netzhaut traf, blendete ihn und in seinem Gehirn kam eine volle Ladung Weiß an. Doch allmählich zeichnete sich ein Bild seiner Umgebung ab. Mit einem tiefen Atemzug presste er Sauerstoff in seine Lungen. Sein Brustkorb hob und senkte sich. Sein Betriebssystem Hirn war endgültig wieder in der Lage, auch die Peripherie zu erreichen und Befehle in physischer Form ausführen zu lassen. Dann schob jemand den Glasdeckel seiner Kühlschale zurück und Honak setzte sich erstmals seit seiner Schockfrostung wieder auf. Er war zurück im Leben.
*
»Orbit 3 umrundet sein Zentralgestirn auf einer elliptischen Bahn; Perihel: 147,1 Millionen Kilometer, Aphel: 152,1 Millionen Kilometer – mittlerer Abstand 149,6 Millionen Kilometer. Damit benötigt der Planet etwas mehr als 365,25 Tage für eine Umkreisung und weist eine Orbitalgeschwindigkeit von knapp 30 Kilometern pro Sekunde auf. Die Rotationsperiode beträgt 23 Stunden, 56 Minuten und vier Sekunden. Bei einer Masse von 5,9724 mal zehn hoch vierundzwanzig Kilogramm ist Orbit 3 der massendichteste, aber nur der fünftgrößte Planet im Zielsystem. Der Äquatordurchmesser beträgt 12.756,27 Kilometer, sein Polabstand 12.713,50 Kilometer. 71 % der Planetenoberfläche bestehen aus Wasser, 29 % sind von Landmasse bedeckt. Die Atmosphäre setzt sich aus 78,08 % Stickstoff, 20,9 5% Sauerstoff, 0,93 % Argon, 0,042 % Kohlenstoffdioxid und 0,002 % Neon zusammen. Im Mittel beträgt die Oberflächentemperatur auf Nullniveau ca. 289° Absolut-Grad A. Es können erhebliche Abweichungen vom Mittel auftreten, das Temperaturintervall liegt zwischen ca. 183° bis 331° A. Alter des Planeten ca. 4,53 Milliarden Jahre.«
Kossa hatte sich die wesentlichen Rahmendaten ihres Reiseziels vom Zentralcomputer geben lassen. Die in Absolut-Grad (°A) angegebenen Temperaturen hatte sie schnell in die gebräuchlichere Skala der Wassergrade (°W) umgerechnet. Absolute Temperaturen benutzte die Konföderation lediglich im wissenschaftlichen Bereich, im umgänglichen Sprachgebrauch verwendetet die Bevölkerung die Skala der Wassergrade. Sie basierten auf dem Gefrierpunkt als 0° W und Siedepunkt als 100° W des Wassers und errechnete sich durch Abzug von 273,15° A vom Messwert. Auf Orbit 3 herrschte also im Schnitt eine Temperatur von ca. 15° W. Der Gedanke ließ sie leicht frösteln, denn für ihr persönliches Wohlbefinden waren 21° bis 25° W schon angebracht.
Die Zahlen und Daten, die Kossa über Orbit 3 erhalten hatte, sagten erst einmal wenig über die zu erwartenden Lebensformen aus, gaben ihr jedoch das Gefühl einer gewissen Vertrautheit. Die Triplex-Planeten ihres Heimatsystems wiesen nur leichte Abweichungen dieser Werte auf, sodass sie auf eine gute Vergleichbarkeit zwischen Orbit 3 und den ihr bestens bekannten Welten um die VESTAG-Sonne hoffen konnte. Doch anders als in Kossas Sonnensystem handelte es sich hier nur um einen einzigen Planeten, der auf dieser Umlaufbahn um die Sonne rotierte. Zu Hause, das wusste jedes Schulkind ab der dritten Klasse, teilen sich gleich alle drei Wandelsterne eine einzige Umlaufbahn. Die Entfernung zwischen ihnen entspricht jeweils einem Winkel von 60 Grad, gemessen vom Mittelpunkt des Sterns. Nur diese Anordnung macht es möglich, dass das Tripel nicht kollidiert. Die drei Planeten Trevalon, Galmanon und Ansiega bilden dabei die Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks, eine echte Seltenheit im Universum.
Durch die gleichen Bedingungen auf den drei Planeten hatten sie auch eine fast identische Entwicklung durchlaufen. Geologie, Flora und Fauna hatten die gleiche Evolution hinter sich gebracht und ähnliche Lebensformen, inklusive des Menschen, hervorgebracht. Doch so wie die Bewohner versprengter Inseln ohne Wissen voneinander lange Zeit völlig isoliert ihr Leben fristen können, waren auch die Völker der Triplex-Planeten mit ihren eigenen Sorgen und Problemen beschäftigt gewesen. Daran änderte sich zunächst auch nichts, als man durch die Entdeckung der Radiowellen Kontakt untereinander aufnahm. Erstaunt stellte man fest, dass neben vielen evolutionären Gemeinsamkeiten sich auch fast identische Probleme auftaten.
Auf Galmanon lief man zuerst in die Katastrophe. Angesichts der explodierenden Bevölkerungszahlen ergaben sich zusehends Schwierigkeiten bei der Ernährung der Menschen. Abholzung von Regenwäldern und Raubbau an den planetaren Ressourcen brachten nur kurzfristig eine Verbesserung, führten aber mittelfristig in eine Klimakatastrophe, die den Planeten in seiner Existenz gefährdete. Mit dem Aufkommen der Raumfahrt bedrohten Migrationswellen den Frieden in der Triplexwelt. Krieg um die verbliebenen Ressourcen lag zwischen den Planeten in der Luft.
Der trevalonische Kanzler Ban erkannte die Chance, in einem gemeinsamen Kraftakt der drohenden Gefahr entgegenzutreten. Es war die Geburtsstunde der Konföderation. So fanden Trevalon und Galmanon zum ersten Bündnis zusammen und boten auch Ansiega den Beitritt an. Selbst als Ban, der als der »Große Ban« in die Geschichtsbücher einging, mit hundertfünfzig Jahren verstarb, verfolgten seine Nachfolger mit Nachdruck den föderalen Gedanken. Mit dem Anschluss Ansiegas blühte die Kultur auf den Triplex-Planeten auf. Gemeinsam suchte und fand man Lösungen, dem Hunger und der Platznot zu entgehen.
Der Preis, den man dafür bezahlte, war eine neue Form des Zusammenlebens. Prägten in vorkonföderierter Zeit noch Kleinfamilien und Sippen die Gesellschaft, so wurde nun das Wohl der Gesellschaft in den Mittelpunkt gestellt. Höchste Priorität hatte das Gemeinwesen, danach erst kam der einzelne Mensch. Jeder behielt zwar seine Menschenrechte und Freiheiten, doch schränkte man das Recht auf Fortpflanzung ein. Die Regierung der Konföderation legte die Anzahl der Individuen in der Konföderation fest, definierte Obergrenzen für jeden der drei Planeten und unterwarf die Bevölkerung einer strengen Geburtenkontrolle. Dennoch wuchs und wuchs die Gesamtbevölkerung der Konföderation und alte Probleme führten erneut zu klimatisch kritischen Entwicklungen.
Die Konföderation begegnete ihnen durch den Bau künstlicher Biosphären für die Metropolen, zwang ganze Regionen unter riesige Glaskuppeln, wo ein künstliches Klima den Aufenthalt erträglicher machte. Um die strikte Geburtenkontrolle besser überwachen zu können, erließ man ein Gesetz, das jedem Menschen vorschrieb, sich mit zwölf Jahren sterilisieren zu lassen. Die Schaffung neuer Menschen wurde nur noch über die staatlichen Invitro-Gesellschaften zugelassen. Eigenem Kinderwunsch wurde durch Aufhebung von Lebensgemeinschaften ein Riegel vorgeschoben. Jeder Triplexer lebte sein eigenes Leben und fand seine Erfüllung im Voranbringen der Konföderation. Geburtshäuser und staatliche Kinderhorts übernahmen die Aufgabe, Menschen für die Gemeinschaft aufzuziehen und anhand von staatlich vorgegebenen Anforderungen zu planen. Gentechnik stellte sicher, dass jeder neue Mensch für die Gemeinschaft einen Gewinn darstellte. Humane Wertschöpfung war das entsprechende Schlagwort, unter dem die Geburtenindustrie neue Menschen generierte.
Auch für Humanindividuen jenseits des Arbeitsalters war gesorgt. Seniorenstädte mit altersgerechten Einrichtungen garantierten einen würdevollen Lebensabend, konnten aber die Vereinsamung der familiär ungebundenen Individuen nicht verhindern. Viele Generationen hatten versucht sich gegen die neuen Regeln aufzulehnen, konnten aber letztendlich nichts gegen die staatliche Hoheit ausrichten.
Mit fortschreitender Zeit gewöhnten und akzeptierten die Menschen der Triplex-Konföderation die neue Lebensform. Die Menschheit führte ohne Bedenken ein Leben, das geprägt war von Individualismus, bei dem persönliche Glücksfindung und Streben nach Gemeinwohl als höchstes Gut galten.
Drei künstliche Welten, Vertagan, Eristan und Simistos, hatte man geschaffen, um allen Menschen die Gelegenheit zu bieten, ihre Bedürfnisse in der Freizeit voll und ganz auszuleben. Freizeit- und Sportparks, Theater-, Kunst- und Kultur-Bühnen, Glücksspielstätten, virtuelle Welten, Sex und Erotik-Tempel, alles konnte man auf den Kunstwelten finden.
Anfangs waren diese Kleinwelten nicht dafür vorgesehen, dauerhaft Lebensraum für Menschen zu bieten. Geschaffen ausschließlich für temporäres Amüsement und Freizeitgestaltung, gab es dort große Hotelstädte, aber keine dauerhaften Wohnsiedlungen. Doch auch dies änderte sich mit der Zeit und so wurden Vertagan, Eristan und Simistos vollwertige Mitglieder der neuen Konföderation. Die Anfangsbuchstaben der zugehörigen Welten bildeten von nun an den Namen der Konföderation: VESTAG.
Einen Unterschied machte man dennoch zwischen den Kunstwelten und den natürlichen Planeten. Auf den natürlichen Triplexwelten duldete man noch zähneknirschend einige wenige Oasen, wo Familien mit eigenen Kindern leben konnten; ein Zugeständnis der Regierung an die alten Religionsgemeinschaften. Den Bewohnern der Kunstwelten war dies jedoch bei strengsten Strafen verboten, da sie keinerlei Beitrag zur Ernährung der Menschheit leisten konnten.
All dieses Basisschulwissen ging Kossa durch den Kopf, als sie sich vorzustellen versuchte, was sie in einer neuen Welt wie Orbit 3 wohl finden würde. An Bord des Raumkreuzers schrieb man heute das 13. Millennium nach Ban und befand sich in dessen 245. Zyklus.
Kossa schloss mit einer Geste die Datenbank mit den Informationen über Orbit 3. Noch gut eine Stunde verblieb ihr, sich auf das Gespräch mit Kirhan vorzubereiten. Dann sollte sie erfahren, wer sie auf der Mission begleiten würde. 4,53 Milliarden Jahre Evolution soll Orbit 3 hinter sich haben, dachte Kossa. Wie sah es um diese Zeit bei uns aus?
Kossa fand es eine gute Idee, in der verbliebenen Stunde sich dieser Frage zu widmen. Anhand der vorliegenden Daten wählte sie Trevalon für einen Abgleich aus. Der Planet kam auch größenmäßig der neuen Welt am nächsten und so hoffte sie, anhand seiner Evolutionsgeschichte noch mehr Optionen für Orbit 3 ableiten zu können.
»Computer – Archivdaten: Liste Biodiversität von Fauna und Flora auf Trevalon. Bezugszeit: 4,5 Milliarden Sonnenzyklen nach Entstehung«, instruierte sie die Maschine.
Es dauerte nur Bruchteile von Sekunden und auf dem Monitor erschien die geforderte Information.
»Atmosphäre toxisch unbedenklich --- Bodenbeschaffenheit nährstoffreich --- Pflanzenvielfalt ca. 750.000 Arten --- Tierformen etwa 400.000 --- Majorität: Insekten --- dominante Lebensform: Säugetiere --- hominide Frühformen: vier. Weitere Präzisierung der Anfrage erbeten!«
Nur vier menschliche Frühformen hatte es zu diesem Zeitalter auf Trevalon gegeben? Das war nicht sehr viel, fand Kossa. Da konnte es durchaus sein, dass Orbit 3 überhaupt keine hervorgebracht hatte. Aber genauso gut konnte es dort auch schon weiterentwickelte Formen geben. Ihr Flug zu Orbit 3 konnte also durchaus spannend werden.
»Kulturelle Entwicklungsstufe?«, fragte Kossa weiter.
»Negativ«, kam prompt die Antwort.
»Auftreten einer ersten höheren Zivilisation?«
»4,9 Milliarden Sonnenzyklen nach Entstehung«
»Oh … da haben wir ja wohl noch ein wenig Zeit, bis auf Orbit 3 mit kompetenten Gesprächspartnern zu rechnen ist«, grinste Kossa.
Sie schaute sich noch einige 3D-Simulationen von Trevalon zur relevanten Vergleichszeit an und geriet bei der Ansicht von leeren Stränden, grünen Savannen, reißenden Flüssen und unbelasteter Natur ins Schwärmen. Es musste damals eine majestätische Welt gewesen sein. Ob sie hier genau das vorfinden würde? Eine Arte von Pioniergeist machte sich in ihr breit und weckte Vorfreude und Spannung auf die kommenden Tage.
»Fünf Minuten bis Alarmzeitpunkt. Kontakt zu Commander Kirhan!«, riss sie der Computer aus ihren Gedanken.
»Na denn, mal sehen, wer mich da alles so begleiten wird. Computer: Holografische Verbindung zur Brücke – Commander Kirhan!«
*
»Guten Abend, so schnell sieht man sich wieder!« Kirhans Ebenbild stand als dreidimensionale Projektion in ihrer Kabine. Es wirkte so lebensecht, dass Kossa ihm fast die Hand zu Begrüßung auf die Schulter gelegt hätte. Sein Lächeln wirkte ehrlich, aber Kossa war angesichts ihrer ersten Begegnung etwas reserviert.
»Guten Abend Commander! Sie wollten mich heute noch sprechen, sagte mir Calisa.«
»So ist es. Sie wissen, worum es geht?«
»Meine Chefin hat mich informiert. Sie wollen mich morgen auf einen Aufklärungsflug zu Orbit 3 schicken und mir heute noch meine Teamkameraden ans Herz legen.«
»Auch das«, nickte Kirhan. »Aber an erster Stelle wollte ich Sie um Entschuldigung bitten … für mein laxes Benehmen vorhin.«
Kossa zog etwas überrascht die Augenbraue nach oben. Davon hatte Calisa ihr nichts gesagt. Aber gut – es war dennoch angebracht, fand sie zumindest. Trotzdem musste sie lachen. »Ok – angenommen. Ich war vielleicht auch etwas zu sensibel.«
»Gut, belassen wir es dabei«, meinte der Kommandant. Mit einem wohlwollenden Lächeln kam er wieder auf Kossas neue Aufgabe zu sprechen. »Haben Sie sich bereits mit Orbit 3 vertraut machen können?«
»So gut es die Daten des Bordsystems zuließen«, nickte Kossa. »Zusätzlich habe ich noch einen zeitrelevanten Abgleich mit Trevalon durchgeführt. Es ist nie verkehrt, wenn man eine Vergleichsbasis hat. Auf Orbit 3 kann eine sehr besondere Welt auf uns warten.«
»Ich sehe, Sie nehmen die Sache ernst«, freute sich Kirhan. »Ja, wir alle hoffen fest darauf, dass der Planet uns sehr viel weiter bringt. Leutnant Pollan wird morgen Ihr Patrouillen-Führer sein. Er ist ein ausgezeichneter Pilot und Navigator, hat viel Erfahrung bei der Analyse von Kategorie-Blau-Planeten und ist ein ausgesprochener Teamplayer. Sie werden ihn mögen.«
»Freut mich zu hören. Glauben Sie, er wird auch von meiner Qualifikation überzeugt sein?«
»Da sehe ich keine Probleme. Calisa hat Sie wärmstens empfohlen. Ich habe mir daraufhin erlaubt, Ihr Profil aus unserer Personaldatei anzuschauen – es hat mich überzeugt. Übrigens: Was mich überraschte, wir sind fast der gleiche Jahrgang!«
»Wirklich?« Kossa stutzte. Das hätte sie jetzt nicht gedacht. Kirhan sah doch um Vieles älter aus als sie. Der Commander hatte ihre Überraschung sehr wohl richtig interpretiert, schien es ihr aber nicht übelzunehmen: »Tja, im Gegensatz zu Ihnen habe ich bereits über fünfzig aktive Zyklen hinter mir«, warf er lächelnd ein. »Und glauben Sie mir, nicht alle waren ein Zuckerschlecken. Der verdammte Computer! Als Kommandant dieser Mission weckt er mich ständig aus dem Kälteschlaf. Etwas mehr Kryostase hätte meinem Erscheinungsbild dann wohl auch gut getan.«
Kossa musterte unbewusst das Hologrammbild. Der Mann schien eitel zu sein, denn er hatte die untere Hälfte seines Körpers mit einem Avatar maskiert. Auf der Brücke hatte sie deutlich erkennen können, dass er ein Halbandroide war, jetzt wirkte er komplett menschlich.