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Ausgewählte Werke des bedeutendsten am Bodensee lebenden Lyrikers, der auch als Literaturdetektiv, Autor von Kurzprosa und Übersetzer tätig ist.
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Seitenzahl: 94
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ÜBER DEN AUTOR
Peter Salomon, 1947 in Berlin geboren, lebt seit 1972 als Schriftsteller und Literaturdetektiv in Konstanz.
ÜBER DEN HERAUSGEBER
Klaus Isele, 1960 geboren, lebt als Verleger, Herausgeber und Lektor im Südschwarzwald.
GEDICHTE
Porträt Hildgard J.
Über Kaufhäuser und Interviews
Die Einkaufsminute
Kleine Bilanz
Gedicht für Reinhard Kiefer
Meine handgreiflichsten Kindheitserinnerungen
»Die Liebe zu den drei Orangen«
Gegen Erkältung
Kleine Pannenhilfe für Schöngeister
G.
»Unsere Schöne Welt«
November 1974, am Bodensee
Letzte Strophe
Gedicht für Rolf Nörtemann (und mich)
Mängelbericht
Ohne Titel
Leere Hüllen
Adel
Per Eilboten
»Das Gutachten«
September 1975, am Bodensee
Der Schwimmer
Der »Hirschen« in Salenstein
Marina Grande, 1977
Konstanzer Idylle
Die Geburtstagsparty
Melancholie
Nächtliches Bild aus einem abgelegenen Hafenwinkel
Vorübergehende Entfernung
Winterspaziergang, am See
Lilienthal
Herausgewachsen
»Glückliche Augenblicke«
35
Licht
In Meersburg
Notizen aus Markelfingen
Pappelallee, im Juni
Sbw., Hotelterrasse
Das Döbele
Konstanz, Marktstätte, 12. Juli 1993
Brauhaus Albrecht, Konstanz 1991
Hans Davidsohn in Sayn
Marburg, 1962
Meine Väter
Die Jahre hinab!
Der Spaziergang
Stimmungsbild
Der Tag der Stadt
Der Bodensee
Schorle im Costa del Sol
Über die alte Rheinbrücke
September am Bodensee
Der Seher
Herzschmerzen
Konstanz, 1. Mai
Im Grunewald
Mein zweites Leben
Bubi Scholz und Thomas Mann
Berliner Sommer 1961
Das Grab meiner Kindheit
Alter Friedhof Freiburg 1970
Das Schlößchen am Rhein
Der Schweizer Nationalfeiertag
Heißluftballons
Der müde Schwimmer
My Lord
Die neunte Stunde
(1979)
Das Küßchen
Für meine Fans
Berühmt werden
Der Maler Helmut Kolle
Zur Dichtkunst
Vergessene Gedichte
Der Zeuge
Der See geht unter!
Die lebenslänglichen Pakete meiner Mutter
Zu meiner Geburt
Ich lege bloß den Stift hin
Das Morgenbad im Bodensee
Geburtsanzeige
John Ruskin
Mit der Linie 7
Drei Leute
Mit Gemälden reisen
PROSA
Abgang Juhnkuhns
Die Sperrfilterdose
Mein Flugzeug über dem Haus
Dichter am Bodensee
Lest die Klassiker, Leute!
ÜBERTRAGUNGEN
Guillaume Apollinaire: Zone
Paolo Buzzi: Grunewald
Stephen Crane: Zwei Gedichte
William Everson: Zwei Gedichte
Textnachweise und -anmerkungen
Nachwort
Die auf den ostpreußischen Kartoffeläckern
versäumte Schulzeit
war ihr nicht hinderlich.
In sechzig Jahren
mit zwei Kriegen
kann man schon Fähigkeiten entwickeln.
So schreibt sie
jetzt so gut
wie fehlerfrei,
stellt ihre Lohnforderungen
brieflich
und mit Erfolg. Sie kocht
wie die Chefin
einst kochte,
trägt deren einmal
getragene Kostüme auf.
Was sie verdient
investiert sie in Perserteppiche.
Auch die letzte Brotfliege
tötet sie heute rücksichtslos.
Nur auf Mallorca träumt sie
von einer eigenen Insel.
Der Anfang
glaubt sie
sei gemacht.
Auf dem Weg zum WOOLWORTH
gerate ich prompt in ein Interview.
Ich sage: »Ich hab es eilig!«
»Dankeschön«, sagt der Reporter und
abends werde ich nun wieder das Radio einschalten
um mich sagen zu hören: »Ich hab es eilig!«
Wenn das so weitergeht
glaub ich das selbst noch.
Im HERTIE verfolge ich einen Jungen kreuz und quer
durch alle Etagen.
Er fühlt sich völlig unbeobachtet.
In einem Polizeistaat, denke ich (und das ist mit Sicherheit
ein ganz gefährlicher Gedanke), hätte er keine Chance.
Die Art wie er klaut ist vollkommen arglos.
Sieht so der Abschaum von 1990 aus?
Auch wir bohren in der Nase
aber wir schämen uns
(unser häßlicher Blick!).
Dem Meinungsforscher in der Haushaltsabteilung sage ich:
»Wir leben zu schnell, warum
sollten die Kochtöpfe ewig halten?«
Was ich von der Einführung der gesamteuropäischen
Bürozeit halte?
»Eine große Idee setzt sich immer durch!«
Macht Spaß Schmutz?
»Eine ernste Sache, aber jetzt muß ich weiter.«
Am Ausgang wieder der Junge.
Die Taschen prallvoll
(»wie Hungerödeme«).
Mein Vater erzählte vom Krieg.
Ich erzähle von unseren Trümmerspielen
im kaputten Berlin.
Er wird von den verbummelten Kaufhausstunden erzählen
zuerst so
dann so
Ja Timo! Du wirst die Supermärkte noch lieben müssen
und besser
verteidigen
als wir das Gras verteidigten (als es noch grün war).
Zuhaus im Treppenhaus berichtet die Nachbarsfrau
von ihrem neusten Fernsehbeitrag.
Sie ist die Nummer 16
(zwischen 18 und 18 Uhr 30)
zum Thema:
»Welches Gesetz würden Sie in den Bundestag einbringen
(wenn Sie dürften)?«
Sie ist gespannt darauf
was sie gesagt hat.
Ihr Jüngster kommt demnächst täglich.
30 Sekunden lang wird er uns
die neue Luftschokolade (von »Cadbury«) voressen und dazu
das liebste Gesicht von der Welt machen
ganz wortlos
und auf eine ganz neue Weise zufrieden.
»Ich kauf der ganzen Welt heut eine Cola«
ruft Peter mir aufgekratzt zu
und verschwindet im »Coop«.
Er hat recht
es ist wirklich
ein besonders heißer Tag heute also
ich hinterher.
Wir reihen uns in die längste Schlange ein
und lassen noch etliche Hausfrauen vor bis
sie allzusehr meckern; auch sie
wollen frische Luft tanken.
Jemand sagt: »Wenn ihr so weitermacht,
erhöhen die DIE EINKAUFSMINUTE noch auf
20 Pfennig« –
(sie kennen unsere Schwäche für soziales Verhalten).
Draußen schwitzen wir gleich wieder,
Peter macht die Flasche auf
und läßt mir
den ersten Schluck.
Er hätte das Zeug
zu etwas wirklich
Großem.
4 mal
im Kino gewesen
21 Mark 50
3 Bücher gekauft
19 Mark 80
Zeit und Spiegel
gelesen
4 Mark 50
Macht
35 Mark 80
Zu teuer
für ein Gedicht
»Jetzt noch bis 1976 überleben
und dann fahren wir
sowieso alle mit Sicherheitsgurt.«
Es ist halb drei Uhr nachts.
Als mir der erste Satz dieses Gedichts
eingefallen war, dachte ich: »Prima,
jetzt beginnt wieder eine wirklich produktive Phase«
(nach sechs Wochen bloß Briefe schreiben);
morgen früh werde ich unausgeschlafen sein
wie ein übernächtigter Dichter.
Es ist Vollmond.
Ich war sehr erstaunt (so ca. 1970)
als ich entdeckte, daß ich mondsüchtig bin,
nachdem ich jahrelang, ohne einen Gedanken daran
jeden Monat eine Nacht am offenen Fenster rumgeturnt hatte
und alte Literaturzeitschriften las. Nun
ich turne immer noch rum, aber ich weiß
: »Mensch, du bist bloß wieder mondsüchtig!«
Manchmal finde ich ein altes Gedicht von mir
in den alten Zeitschriften. Und immer
schreibe ich dann ein Neues.
Hoffentlich falle ich nicht eines Nachts aus dem Fenster,
während ich daran denke, daß ich auf dem besten Weg bin
ein berühmter Dichter zu werden. Dieses Gedicht ist
für Reinhard Kiefer, der mich heute Mittag antelefoniert
und gefragt hat, ob ich ihm nicht einmal ein Gedicht
widmen kann.
»Klar«, habe ich gesagt, »wird gemacht«.
(Ich wünschte, mir fiele alles so leicht.)
(1947 ff.)
: Unsere Spiele
in den Schuttbergen Berlins.
Jetzt nirgends mehr Trümmer.
Spaßeshalber
werfe ich eine Tasse
an die Wand.
Ich hab sie wohl
nicht mehr
alle.
Wer nie Ruinen
zertrümmern konnte,
was muß dem fehlen?
: Wieviele Tassen,
wieviel
Phantasie, Nachsicht
schulden wir dem?
Meine Mutter
(im Berlin von 1945: gerade 20 Jahre alt!
und trotzdem nicht: »geschändet«)
erzählte oft von den »häßlichen Russen«.
Russen und »Negerlippen«
Russen und »Negerschweiß«
das waren noch Vorstellungen
als ich schon für die (»echten« und amerikanischen
»SCHWARZEN« kämpfte (na: fühlte!)
Und heute (im Fernsehn)
statt der bekannten Militärparaden auf dem Roten Platz
(und doch: »in echt Moskauer Inszenierung«)
: »Die Liebe zu den drei Orangen«!
Hin und wieder
zwischen all den dunklen
unverständlichen Lauten
verstehst du so etwas
wie das Wort »PRINZESSA«
»PRINZESSA«.
Und der, der nur der PRINZ sein kann,
siehst du, ist, auch hier, ein anmutig,
fast mädchenhafter Jüngling.
Wenn er glaubt, er bekommt die Grippe,
steckt er sich abends ein Lakritzbonbon
in die Backentasche,
und wenn er am nächsten Morgen aufwacht,
ist es immer noch nicht »zergangen«.
Es ist fürchterlich, denkt er,
ich nehme mich zu wichtig.
Und im Mund dieser pappige Geschmack!
Schnell putzt er sich die Zähne (mit »Dentagard«),
und nun schmeckt alles nach Pfefferminz!
Es ist fürchterlich (unwichtig)!
Und er ärgert sich mit seinem ganzen Verstand darüber,
daß eine eingebildete Grippe so unwichtig sein kann
und daß ihm kein vernünftiger Gedanke einfällt
um das Gegenteil behaupten zu können
und er sich schämt (so oder so),
weil ihm das alles viel mehr bedeutet.
Er gilt als sog. BÜRGERLICHER INTELLEKTUELLER.
Etwas Coca Cola über die Windschutzscheibe schütten,
verreiben, mit klarem Wasser nachspülen,
und der schmierige Silikonbelag ist weg.
Wenn bei Regen der Scheibenwischer ausfällt,
brauchst Du bloß mit der Schnittfläche einer
rohen Kartoffel gleichmäßig über das Glas zu
fahren, und sofort verteilt sich das Wasser zu
einem gut durchsichtigen Film.
Und: Immer einen Damenstrumpf
(Nylon, Perlon) dabeihaben; es könnte ja mal
ein Keilriemen reißen!
Natürlich: Diese
und 1000 Tips mehr,
findest Du auch in diesen handlichen, abwaschbaren
und preiswerten
»Hilf-Dir-selbst«-Büchlein, aber
Du liest ja Gedichte!
Zur Arbeit
fahren
und lebend
ankommen
was für ein
Glück
– als wir noch völlig sicher waren
daß die Atombombentests
UNSER WETTER verderben,
– die Winter waren uns zu kalt
oder es gab grüne Weihnachten
und Schnee zu Ostern,
– und nun
sind sie immer noch da
: alle Arten von Jahreszeiten
und alle
nach wie vor: ganz unterschiedlich.
Das Wort SCHNEE, heute, kaum ausgesprochen
: und gleich stecken wir
bis über beide Ohren
in einer Rauschgiftdebatte.
Die Schraffierung auf dieser Karte bedeutet
: »gefährliche Anreicherung mit Industriemüll«,
und wir schwimmen trotzdem vergnügt
und zum Nutzen unseres Muskelsystems
»IM VERPESTETEN BODENSEE«
(deine Angst vor Schlingpflanzen
und Seerosen: sie wird immer noch gekitzelt).
Immer mehr Zweifel, Bedenken, Befürchtungen etc.
Immer mehr ausbleibende Katastrophen!
Die Waldluft bei Langenargen, da wo
wir zweimal die Woche den Trimm-Dich-Pfad laufen
soll eine einzige Ölwolke sein; manchmal
sagt jemand: »Ich kann nichts riechen. Riechst du was?«
Du sagtest: »Es ist wie mit dem Muskelkater
zu Beginn der Saison,
einmal
dann nicht mehr!«
DER LANDRAT bezeichnet »die Sozialisierung der Seeufer«
als
»UNSERE VORDRINGLICHSTE AUFGABE«.
(Trotz dieses politischen Aspekts ist dieses Gedicht
nicht engagiert. Es ist eher ratlos, aber
das nützt auch nichts
: wir werden uns auch an die Ratlosigkeit
gewöhnen.
Vielleicht schreiben wir bald nur noch Lobgedichte
AUF UNSERE SCHÖNE WELT –)
Auf dem Schweizer Unterseeufer
(»Seerücken«)
entgehen wir dem Konstanzer Herbstnebel.
Es ist toll: 100 m Höhenunterschied
und schon Sonnenschein. »Die ideale Mittagspause«
sagst selbst du.
Ja, es ist echt
beflügelnd.
Jetzt sind die Felder abgeerntet
und du brauchst dir meine Gemüsevorträge
nicht mehr anzuhören.
(Zwiebeln, Rot-, Weiß- und Blumenkohl, Mohrrüben,
Rote Beete, Porree, Zuckerrüben, Fenchel, Wirsing),
– es war leicht dich zu beschwindeln, wenn ich was
nicht kannte.
Gelegentlich
sagtest du:
»Ah, eine leere Dose Humbser!«
»Ah, ein kaputtes Renault-Getriebe!«
Warum erklärst du mir heute
keine Abfälle mehr,
ehe wir zurücktauchen
ins trübe
Konstanz?
– ja ja, ich
liebe dich (immernoch).
Aber jetzt geh
besser
in deinen »Grundkurs MARXISMUS I«.
Inzwischen korrigiere ich dieses Gedicht
und frage mich
was ich falsch gemacht habe
und was du
kritisieren wirst