Die nachexpressionistische Dichterjugend - Peter Salomon - E-Book

Die nachexpressionistische Dichterjugend E-Book

Peter Salomon

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Beschreibung

Eine Bibliographie der jungen Dichter des Nachexpressionismus.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Bibliographie

Einzeltitel

Anthologien, Jahrbücher, Almanache

Zeitschriften

Sekundärliteratur

Vorwort

Keine Literaturepoche ist so intensiv und anhaltend erforscht worden wie das expressionistische Jahrzehnt 1910 bis 1920 (plus/minus drei-Jahre). Also nicht nur die Großmeister, sondern auch die Autoren der zweiten und dritten Reihe sind in den letzten Jahrzehnten bedacht und zumeist auch neu oder sogar erstmals gedruckt worden. Eine der Triebkräfte der Wissenschaftler besteht darin, das große Unrecht zu lindern, das diese Generation durch zwei Kriege und die Naziverfolgung erlitten hat. Dabei kam und kommt der Wiederentdeckung zugute, daß die Druckwerke des Expressionismus in der Regel von hoher Qualität und Stabilität sind. Es gab von Anfang an Sammler, die den Wert zu schätzen wußten und die Bücher über die wirren Zeiten gerettet haben.

Über das Interesse am Expressionismus wurde jedoch die nachfolgende Dichter-Generation bis heute übersehen, ja mißachtet. Es sind dies die Jahrgänge um 1900 (plus/minus), die zu jung waren, um am Expressionismus teilzunehmen, als dieser noch florierte. Und als sie anfingen, Autoren zu werden, also so um 1923, hatte die expressionistische Bewegung abgewirtschaftet, und das Interesse der Leserschaft an junger Literatur war erlahmt. Dazu kamen die wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkrieges und die Weltwirtschaftskrise, welche die Finanzkraft der Verleger und der Leser minimierte. Es war kein Geld da, um hochwertige Bücher zu produzieren, und es fehlte auch an Geld, um selbst bescheidenere Werke zu kaufen. Die Veröffentlichungsmöglichkeiten für junge Autoren waren schlecht.

Trotzdem entstand neue Literatur, und sie wurde auch veröffentlicht. Die Autoren schlossen sich zu »Notgemeinschaften« zusammen. Man begnügte sich mit dünnen Broschüren in kleinen Auflagen, die verglichen mit expressionistischen Titeln zumeist »billig« wirken und Sammler nicht unbedingt anspringen. Gleichwohl ist in der Rückschau (wenn man denn solche Titel vorliegen hat) eine neue Handschrift der Verleger und der Autoren zu sehen. Man machte viel aus den beschränkten Mitteln.

Wer sich unter den Jungen gleichwohl halbwegs durchsetzen konnte, dem blieb keine Zeit zur Vervollkommnung, weil die Nazizeit und der Zweite Weltkrieg den eingeschlagenen Weg zerstörten. Ein Teil der jungen Autoren wurde selber Nazis, der andere wurde von diesen verfolgt oder entzog sich ins Schweigen.

Und als dann ab 1960 die Wiedergutmachungsarbeit begann, wurde der bis heute attraktivere Expressionismus bevorzugt, ja fast ausschließlich beforscht. Dabei gibt es auch in der nachexpressionistischen Generation Dichter und Bücher zu entdecken, die interessant sind und heute noch etwas zu sagen haben. Es ist also nicht nur eine historische Pflichtaufgabe, sich dieser Literatur zuzuwenden, es macht auch Freude.

Ich selbst habe mich zwischen 1968 und 1993 ausschließlich für den Expressionismus interessiert (neben der Gegenwartsliteratur). 1993 war ich in Zürich, um in Antiquariaten zu stöbern, die es vor dem Online-Handel noch zahlreich gab. In dem Antiquariat von André Grab (einem Nachkommen von Herrmann Grab) lag im Schaufenster zwischen expressionistischen Titel, die ich kannte, das apart aufgemachtes Büchlein eines mir unbekannten Autors, das noch expressionistisch wirkte: »Auf flammender Brücke« von einem Walter G. Oschilewski. Auf dem Umschlag eine stark stilisierte (reduzierte) Brücke, knallrot koloriert. Da ich immer unterwegs war, um möglichst Unbekanntes, Abseitiges aufzustöbern, zog mich das Buch an. Erstaunt war ich, daß es aus dem Karl Rauch Verlag Dessau stammte und das Datum 1924 trug; der Autor war Jahrgang 1904, konnte also kein Expressionist mehr sein. Ich kaufte das Buch trotzdem, und dies war die Initialzündung für mein Interesse an dem Jahrzehnt nach dem expressionistischen Jahrzehnt, also etwa von 1923 bis 1933.

Das Sammeln auf diesem Gebiet war ungleich schwieriger. Es gab keine Bibliographie, an der man sich hätte orientieren können. Auf dem Gebiet des Expressionismus gab es seit 1985 das Handbuch von Paul Raabe, in dem der Kanon der wichtigsten Expressionisten versammelt war; immerhin mehr als 350 Autoren (in der 2.Auflage). Ich benutzte es zum Schluß hauptsächlich dafür, um nachzuschauen, ob ein Autor meines Interesses dort nicht verzeichnet war, denn ich suchte zuletzt nur noch das noch Unbekannte. Von daher hatte ich schon gewisse Erfahrungen gesammelt und ein Gespür entwickelt, wie man an Bücher herankommt, die man nicht kennt und die dennoch mit großer Wahrscheinlichkeit in die Sammlung passen. Glücklicherweise gab es nach 1993 noch viele Antiquare mit Ladengeschäft, in dem man die Bücher genau beschauen konnte. Aber auch wenn man auf die damals häufigen Antiquariats-Kataloge oder später die Internet-Kataloge angewiesen war, gab es Anknüpfungspunkte. Zunächst einmal das Alter des Autors und das Erscheinungsjahr des Buches. War der Autor jung genug? Wurde das Buch im gesuchten Zeitraum verlegt?

Besonders Anthologien und Zeitschriften waren eine ergiebige Quelle, um an Autorennamen und Bücher heranzukommen. War ein unbekannter Autorenname mit einem guten, zeittypischen Text gekoppelt, so notierte ich den Namen und schaute, ob es von diesem Autor auch Bücher gab. Zuerst halfen die frühen Bände des Kürschner weiter, später konnte man die Namen googeln. Oft gab es in Zeitschriften kleine Buchbesprechungen, oder Bücher waren annotiert; und in den Anthologien fanden sich häufig am Ende Autorennotizen, die weiterhalfen.

Sprechend waren oft auch die Titel: großsprecherisch im Expressionismus, zurückgenommener im Jahrzehnt danach. Wenn man aus einem Verlag schon ein oder mehrere Bücher kannte, die die Suchkriterien erfüllten, bestand eine gewisse Chance, daß auch das Buch, auf das man es abgesehen hatte, in die Sammlung passen könnte. Aufschlußreich war auch die Titelgestaltung: zwischen 1923 und 1933 oft neusachlich, die Schrift nicht mehr Fraktur, sondern Grotesk. Letztendlich mußte man den Kauf einfach wagen; schlimmstenfalls, wenn das Buch teuer war und überhaupt nicht paßte, konnte man es zurückschicken. Hilfreich waren auch Telefonate mit dem Antiquar. Ich bat dann, das Buch zum Telefon zu holen und stellte Fragen oder ließ mir das Inhaltsverzeichnis vorlesen. Kam irgendwo ein Auto, ein Flugzeug, eine Litfaßsäule, der Bahnhof und die Großstadt vor, Dirnen, Zuhälter, Arbeitslose, Sekretärinnen – dann kam das Buch in Betracht. Waren aber die Gedichte den Müttern, der Madonna, dem Herrgott oder dem Wald gewidmet, so stand zu befürchten, daß es sich um konventionelle, abgelebte Lyrik handelte. Trotzdem konnte man sich täuschen. Der Gedichtband »Die eherne Lyra« (1934) von Fritz Brainin (1913-1992) klang so, als ob der Autor eine Rolle rückwärts gemacht hätte; denn sein erster Band »Alltag«, 1929 im Verlag der neuen Jugend erschienen, war so modern, wie der Titel versprach. Nur weil der Umschlag der »Lyra« noch halbwegs modern anmutete, befragte ich den Antiquar genauer und erfuhr, daß der Autor in puncto Zeitkritik und Formsicherheit noch zugelegt hatte. Den »altfränkischen Titel« hatte er extra gewählt, um völkische Kritiker zu täuschen. Der Titel sollte den ewig Gestrigen signalisieren, daß hier ein junger Neuerer wieder zum Maß zurückgefunden hätte. Es half nicht, der verfolgte jüdische Dichter mußte wenig später in die USA emigrieren.

Ein gewisses Problem hatte ich bei dem neuen Sammelgebiet damit, daß es in die Nazizeit hineinreichte. Bei schönen Gedichtbänden, die ich erworben hatte, stellte ich später fest, daß der jeweilige Autor zum Nazi geworden war. Andere waren es schon ganz früh gewesen, bei manchen wußte ich es, und dann fiel mir ein guter Gedichtband in die Hand, dem man von der politischen Ausrichtung des Autors nichts anmerken konnte. Sollte ich ihn kaufen? Schließlich gab es noch wenige Fälle von sozusagen guter Nazi-Kunst. Man denkt ja, das gibt es nicht, Nazi-Kunst sei immer schlecht, kitschig und dumm. Aber zum Beispiel gibt es den Gedichtband eines Rupert Rupp (geb. 1908): »Die brennende Erde« (1933), sein Erstling. Der Mann war NS-Abteilungsleiter der Reichsstudentenführung. Ein sehr guter Lyriker, teilweise noch etwas dem Expressionismus verhaftet. Der Band enthält 60 Gedichte, und alle beschwören mit kraftvoller Sprache und drastischen Bildern die Vernichtung der Städte und Menschen auf alle denkbaren Arten. Sowas hatte ich noch nie gelesen. Wirklich ein gutes, sehr böses Buch. Sollte ich etwa von alldem die Finger lassen? Beim Expressionismus konnte man ja das Gefühl haben, die Dichter seien alle gute, anständige Menschen gewesen, die sich sogar mit dem All verbrüdern wollten. Beim Jahrzehnt danach bekam man mit, wie sich binnen kurzem Menschen zum Negativen ändern konnten. Es bedurfte einer Zeit der »Gewöhnung«, bis mir die Bücher nazistisch angehauchter Autoren nicht mehr so eklig waren und ich nicht länger mit dem Gedanken spielte, sie »auszusondern« und in meiner Zweitwohnung aufzustellen, die als Archiv und Bibliothek dient. Inzwischen steht sogar Joseph Goebbels’ Tagebuchroman »Michael« (1929) wie jedes andere Buch in der Sammlung, zwischen Emil Ginkel und Albrecht Goes. Jahrelang war es ausgelagert und lag mit Hitlers »Mein Kampf« in einer Kommode der Archiv-Wohnung. Bei den meisten Büchern weiß ich natürlich gar nicht, wie sich die Autoren in der Nazizeit verhalten haben. Ich forsche nicht extra in diese Richtung. Erfahre ich etwas, vermerke ich es auf Zetteln, aber nicht in den Büchern. Die Bücher werden nicht markiert, und in die nachfolgende Bibliographie habe ich auch keine entsprechenden Vermerke aufgenommen. Wer für dieses Thema ein spezielles Interesse hat, muß selber forschen. Es geht hier um eine erste Bestandsaufnahme der Literatur einer Generation. Diese und die Autoren sind bislang so unerforscht, daß ich nicht übereilte Urteile über einen Makel abgeben will, der ja zu den schlimmsten gehört, die unsere Gesellschaft zu vergeben hat.