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Gronds Romanheld erlebt wie auf den Kriegsschauplätzen der Macht die Kunst zur Waffe wird: Der von seinem Freund Alfons Schrei, einem bildenden Künstler, geförderte und beratene Robert Brand übernimmt vom alten Herrscher über den Kunstbetrieb Utz Knapp die Leitung des Avantgarde-Künstlerhauses in einer österreichischen Stadt. Mit seinen ehrgeizigen Plänen begibt sich Brand in eine Maschinerie der Macht und gerät allmählich unter die Räder... Eine Parabel auf Macht und Methoden der Machterhaltung, auf Selbstgerechtigkeit, Intrigenspiel und Rufmord im Kulturbetrieb wollte Grond schreiben. Daß tatsächliche Ereignisse und Personen in Graz der Anlaß sind, ist im Grunde Nebensache. Es ist ja überall dasselbe: Der Künstler agiert als Soldat, Kunst dient als Kriegswerkzeug.
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Seitenzahl: 370
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Mehrere Personen und ihre Beziehungen zueinander im Spannungsfeld von Freundschaft, Kulturbetrieb und Politik, unter den Zwängen von öffentlichem Engagement, Karrierestreben, wirtschaftlichem Druck und schlechtem Gewissen stehen im Mittelpunkt von Gronds Roman. Der Künstler, gemäß klassischem Selbstverständnis dem „Guten und Schönen“ verpflichtet, agiert als Soldat, Kunst dient der Politik als Kriegswerkzeug.
Grond stellt Selbstgerechtigkeit, Eitelkeit, Intrigenspiel und Rufmord im Kulturbereich bloß, seine Helden erleben hautnah, analysieren aber auch in Gesprächen und Reflexionen die ewig gleichen Methoden der Machterhaltung. Die erzählte Geschichte wird zur Parabel:
Der von seinem Freund Alfons Schrei, einem Bildenden Künstler, geförderte und beratene Robert Brand übernimmt von Utz Kapp, dem alten Herrscher über den Kunstbetrieb, die Leitung des Avantgarde-Künstlerhauses in einer österreichischen Landeshauptstadt. Mit seinen ehrgeizigen Plänen begibt sich Brand in eine Maschinerie der Macht und gerät unter die Räder ...
Die Kunstszene als Schlachtfeld auf den Kriegsschauplätzen der Macht, wo eine Hand die andere wäscht und Geld als Ziel und Mittel der Politik, aber auch als Waffe eine beherrschende Rolle spielt.
Walter Grond
Roman
© 1998HAYMON verlagInnsbruck-Wienwww.haymonverlag.at
Ungekürzte E-Book Ausgabe 2014.
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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ISBN 978-3-7099-7362-2
Covergestaltung: Benno PeterCoverbild: Selbstporträt von Martin Kippenberger
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MUSEUM
Ein rechteckiger Direktor. Ein runder Diener ...Ein dreieckiger Kassierer. Eine quadratische Wache ...Volk nicht gestattet. Hier wird täglich gespieltbis zum Ende der Welt.
Marcel Broodthaers, Offene Briefe
AUFTRETENDE PERSONEN
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Allmeier, Sabrina; Angestellte, verheiratet mit Alfons Schrei, befreundet mit Robert Brand, Sabeth Feller, Daniela Ferrini und Daniela Mazzini, von 1986 bis 1995 Sekretärin, seit 1995 Geschäftsführerin des Künstlerhauses
August, Franz; Künstler, Bruder Friedrich Augusts, seit 1996 Kurator des Künstlerhauses
August, Friedrich; Architekt, Bruder Franz Augusts, befr. mit Bert Erber, Konrad Salmon und Anton Sand, von 1992 bis 1995 Kurator, seit 1995 Stellvertreter Brands als Präsident, seit 1997 Präsident des Künstlerhauses
Baum, Werner; Dramatiker, befr. mit Günter Lehmann, Andreas Marbach, Alfons Schrei und Philipp Schwarz, Mitglied des Künstlerhauses
Beck, Alois; Politiker, befr. mit Daniela Ferrini, Utz Kapp, Theo Rubner und Erich Wühler, von 1975 bis 1988 Kulturlandesrat, seit 1985 Präsident der Festwochen
Brand, Robert; Kurator, befr. mit Sabrina Allmeier, Fred Brenner, Dominik Chemnitz, Alfons Schrei und Fabian Zellmann, von 1985 bis 1994 Kurator, seit 1995 Präsident des Künstlerhauses
Brandner, Ernst; Künstler, befr. mit Andreas Marbach und Hans Ulmer, seit 1992 Kurator der Landesgalerie
Böhringer, Bruno; Schriftsteller
Brenner, Fred; Regisseur, befr. mit Robert Brand und Fabian Zellmann, seit 1986 Leiter des Theaters des Künstlerhauses
Chemnitz, Dominik; Kunsthistoriker, befr. mit Robert Brand und Mikou Nerlinger, seit 1995 Kurator im Künstlerhaus
Damm, Reinhard; Wiener Steuerberater, 1996 Finanzberater des Künstlerhauses
Daxer, Emil; Wiener Zeitungsherausgeber, von 1993 bis 1995 Kurator im Künstlerhaus, im Jänner 1997 vom Vorstand als Geschäftsführer des Künstlerhauses designiert
Ehrenreich, Frederic; Kritiker, von 1980 bis 1985 Kulturressortleiter der Tageszeitung, von 1985 bis 1990 Intendant der Festwochen, seit 1991 Kulturressortleiter einer Wiener Tageszeitung, dort Rücktritt 1996 nach der Bestellung zum Landeskulturamtsleiter durch Gerling
Erber, Bert; Künstler, Gymnasiallehrer, befr. mit Utz Kapp und Friedrich August, von 1975 bis 1985 Kurator des Künstlerhauses
Feller, Rudolf; Geschäftsmann, verheiratet mit Sabeth Feller, befr. mit Alfons Schrei
Feller, Sabeth; Kunsthistorikerin, verh. mit Rudolf Feller, befr. mit Sabrina Allmeier und Alfons Schrei, von 1991 bis 1995 Kuratorin des Künstlerhauses, seit 1996 polit. Sekretärin von Kulturlandesrat Gerling
Ferrini, Daniela; Hochschullehrende, verh. mit Erich Wühler, befr. mit Sabrina Allmeier, Alois Beck, Utz Kapp, Markus Patek, Theo Rubner und Alfons Schrei, von 1969 bis 1984 Sekretärin, seit 1985 Geschäftsführerin der Fotozeitschrift des Künstlerhauses, seit 1995 Intendantin der Festwochen
Fonak, Elisabeth; Landesbeamte, seit 1993 Kassierin des Künstlerhauses
Freising, Werner; Landesbeamter, von 1990 bis 1995 Sekretär Lehmanns, seit 1995 Landeskulturamtsleiter Freundlich untergeordnet
Freundlich, Edwin; Landesbeamter, von 1975 bis 1978 polit. Sekretär von Landeshauptmann Huber (Volkspartei), seit 1996 Landeskulturamtsleiter unter Kulturlandesrat Gerling
Gerling, Werner; Politiker, befr. mit Lukas Wesner, seit 1990 sozial. Landesparteivorsitzender, seit 1990 Landeshauptmannstellvertreter, seit 1996 Kulturlandesrat
Gut, Emma; Angestellte, seit 1991 Sekretärin des Künstlerhauses Hagen, Erich; Politiker, von 1990 bis 1995 Wirtschaftslandesrat, befr. mit Johann Muran, seit 1996 Landeshauptmann
Hoch, Josef; Dramatiker, befr. mit Alfons Schrei
Hoffmann, Erna; Schriftstellerin, befr. mit Utz Kapp, Andreas Marbach und Hans Ulmer
Jürgens, Emmerich; deutscher Künstler, 1996 Akademieberater des Künstlerhauses
Kapp, Utz; Dichter, Gymnasiallehrer, befr. mit Alois Beck, Bert Erber, Daniela Ferrini, Erna Hoffmann, Tilmann Karner, Daniel Kosa, Günter Lehmann, Markus Patek, Karl Teller und Thomas Zacharias, seit 1960 Herausgeber der Literaturzeitschrift, von 1967 bis 1995 Präsident des Künstlerhauses
Karner, Tilmann; Philosoph, Hochschullehrender, befr. mit Utz Kapp, Matthias Nolden, Karl Teller und Fabian Zellmann, von 1990 bis 1994 Mitglied des Künstlerhauses, von 1990 bis 1994 konzeptueller Leiter der Festwochen
Kisch, David; Medienkünstler, befr. mit Anton Linzer, Theo Rubner und Lukas Wesner, Mitglied des Künstlerhauses
Knauss, Albert; Architekturstudent, befreundet mit Mikou Nerlinger, seit 1996 Kurator des Künstlerhauses
Köhl, Alexander; Politiker, von 1957 bis 1975 Kulturlandesrat, 1967 Begründer der Festwochen und bis 1985 deren Präsident
Kosa, Daniel; Schriftsteller, befr. mit Utz Kapp, Mitglied des Künstlerhauses
Krein, Martin; deutscher Künstler, befr. mit Daniela Mazzini und Alfons Schrei
Lehmann, Günter; Politiker, befr. mit Werner Baum, Utz Kapp, Markus Patek, Anton Sand, Hans Strauss und Philipp Schwarz, von 1978 bis 1995 Landeshauptmann
Linzer, Anton; Politiker, seit 1986 Bürgermeister, befr. mit Lukas Wesner
Loran, Roger; Schriftsteller
Marbach, Andreas; Filmproduzent, befr. mit Werner Baum, Ernst Brandner, Erna Hoffmann, Alfons Schrei und Philipp Schwarz, von 1961 bis 1963 Kurator des Künstlerhauses
Mazzini, Daniela; deutsche Künstlerin, befr. mit Sabrina Allmeier, Martin Krein und Alfons Schrei, 1996 Akademieberaterin des Künstlerhauses
Muran, Johann; Politiker, befr. mit Ernst Hagen, Konrad Salmon und Anton Sand, seit 1996 Wirtschaftslandesrat
Nerlinger, Mikou; Architektin, befr. mit Dominik Chemnitz und Albert Knauss, seit 1995 Mitarbeiterin des Künstlerhauses
Nolden, Matthias; Hochschullehrer, befr. mit Tilmann Karner, Karl Teller und Fabian Zellmann, von 1970 bis 1994 Mitglied des Künstlerhauses, seit 1972 Werberessortleiter einer Schuhfabrik, von 1985 bis 1990 Kulturressortleiter der Tageszeitung, von 1990 bis 1994 Intendant der Festwochen
Patek, Markus; Politiker, befr. mit Daniela Ferrini, Utz Kapp, Günter Lehmann, Theo Rubner, Anton Sand und Erich Wühler, seit 1989 Generalsekretär der Landesvolkspartei, seit 1992 Sportlandesrat
Pöll, Johann; Kulturmanager, seit 1995 Betriebsberater des Künstlerhauses
Rubner, Theo; Politiker, befr. mit Alois Beck, Daniela Ferrini, David Kisch, Markus Patek, Anton Sand und Alfons Schrei, seit 1985 Kulturstadtrat
Salmon, Konrad; Architekt, befr. mit Friedrich August, Johann Muran und Anton Sand, von 1983 bis 1991 Kurator des Künstlerhauses
Sand, Anton; Landesbeamter, befr. mit Friedrich August, Günter Lehmann, Johann Muran, Markus Patek, Theo Rubner und Konrad Salmon, von 1978 bis 1995 Architekturreferent des Landeshauptmannes
Schrei, Alfons; Künstler, Erzieher, verh. mit Sabrina Allmeier, befr. mit Werner Baum, Robert Brand, Sabeth und Rudolf Feller, Daniela Ferrini, Josef Hoch, Martin Krein, Andreas Marbach, Daniela Mazzini und Theo Rubner, von 1985 bis 1992 Kurator des Künstlerhauses, seit 1996 Artdirector der Festwochen
Schwarz, Philipp; Schriftsteller, befr. mit Werner Baum, Günter Lehmann und Andreas Marbach, von 1967 bis 1991 Mitglied, von 1980 bis 1982 Stellvertreter Kapps als Präsident des Künstlerhauses
Strack, Sandra; deutsche Schriftstellerin
Strauss, Hans; Politiker, seit 1978 Stadtrat für Liegenschaftsfragen, befr. mit Günter Lehmann
Teller, Karl; Schriftsteller, Gymnasiallehrer, befr. mit Utz Kapp, Tilmann Karner, Matthias Nolden, von 1980 bis 1985 Kurator des Künstlerhauses
Ulmer, Hans; Schriftsteller, befr. mit Ernst Brandner und Erna Hoffmann
Wesner, Lukas; Hochschullehrer, befr. mit David Kisch, Anton Linzer und Werner Gerling, seit 1993 Rektor der Universität, seit 1996 künstlerischer Beirat der Festwochen
Wolf, Christian; Priester, Leiter des Kulturzentrums der Diözese
Wühler, Erich; Fotograf, verh. mit Daniela Ferrini, befr. mit Alois Beck und Markus Patek, seit 1977 Herausgeber der Fotozeitschrift des Künstlerhauses
Zacharias, Thomas; Schriftsteller, befr. mit Utz Kapp, von 1964 bis 1971 Mitglied des Künstlerhauses
Zellmann, Fabian; Journalist, befr. mit Robert Brand, Fred Brenner, Tilmann Karner und Matthias Nolden, seit 1980 Kritiker in der Tageszeitung, von 1990 bis 1994 Berater seines ehemaligen Kulturressortchefs und damaligen Festwochenintendanten Nolden
Solange Brand schwieg, würde Schrei nicht losbrüllen. Brand starrte, seinen Kopf gesenkt, auf die Tischplatte, und Schrei, hastig rauchend, schaute herausfordernd, mit verkniffenen Augen.
Im Sitzungssaal der Rotunde wurde es still. Brand richtete sich auf, schaute rundum in die Gesichter der Vorstände und sagte, er wünsche einen Augenblick lang nicht unterbrochen zu werden. Alfons Schrei, sein Freund, sei durch die Stadt gezogen, um seinen, Brands, Kopf zu fordern, und habe über Gut und Böse entschieden wie der liebe Gott selbst. Seine Selbstgerechtigkeit habe Schrei zum Rufmörder gemacht. Was ihn, Brand, dazu veranlasse zu gehen, sei indes nicht Schreis Feldzug, sondern ihr Schweigen.
Mit Blick auf den Brunnen draußen erklärte Robert Brand seinen Rücktritt als Präsident des Künstlerhauses im Hofgarten, einer Sezession, der der Ruf vorauseilte, nicht nur ein Labor für Experimente in allen Künsten, sondern eine Art Künstlerstaat zu sein, ein Hort der Begabtesten und Klügsten.
Als Brand das Hauptgebäude, das in einem Krater unter Erdniveau lag, verließ, schimmerten die Treppen des rundum gemauerten Lichthofs. Er kam aus dem Eingang auf dem Grund der Arena, von wo die Treppen fliehend nach oben verlaufen. Von hier schien die gläserne Rotunde in den Himmel zu ragen, und als Brand seinen Blick nach oben wandte, wankte sie plötzlich und drohte ihn unter sich zu begraben. Einen Augenblick später verschwand die Wolke, die an der Spitze der Rotunde vorbeigezogen war, aus seinem Blickfeld. Die optische Täuschung löste in Brand hysterische Gefühle aus. Er zitterte und wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Er stieg die Treppen hinauf in den Park und ging durch den Hofgarten zum Brunnen, weg von der Gesellschaft, die sich für allgegenwärtig hielt. Er ging, und kein Schrei und nicht die Gewalt der Kunst würden ihn einholen.
Vom Brunnen aus sah er nur die Rotunde. Das Glas spiegelte die Morgensonne und blendete ihn. Er ging noch einmal zurück, durch den englischen Garten, stieg die Treppen der Arena hinunter, preßte das Gesicht an das Fenster und warf einen Blick auf die aktuelle Ausstellung. Durch das Glas betrachtete er die Präparate Damien Hirsts in den Glascontainern, die in Formalin schwimmenden Hälften von Kühen und Schafen, die sezierte und konservierte Farbenpracht, den Anschein des Untoten.
Von einer Telefonzelle rief er seine Frau an, berichtete ihr von seinem Rücktritt und ging nach Hirm, einem Teich am östlichen Stadtrand. Während des Gehens war er beflügelt, und die Alleen, die Zäune und Hecken, die gepanzerten Tore, die Videokameras, die Jugendstilhäuser und Villen flogen an ihm vorbei. Er ging und hörte die Vögel zwitschern, und als er sich auf eine Gartenbank am Ufer des Teiches setzte, nahm er erstaunt wahr, daß die Haut seines Unterarms von der Sonne angenehm juckte. Er beobachtete die Enten, die im Schlamm des leeren Teiches steckten, und die Passanten, die an ihm vorbeiflanierten, die alten Frauen mit Brotresten für die Tauben, die jungen Mütter mit Kinderwägen, die Asylanten im speckigen Sonntagsanzug.
Brand genoß die Anonymität. Er versuchte sich an den Tag seiner Wahl vor zwei Jahren zu erinnern, an die Pläne, die er dem Vorstand dargelegt, wie er eine Pressekonferenz gegeben und mit seinem Team die nächsten Schritte besprochen hatte. An Einzelheiten erinnerte er sich nicht, als existierte für ihn ohne Termin in einem Terminkalender nichts, auch nicht als Gefühl, daß da etwas gewesen sein muß.
Hier auf der Parkbank, dachte Brand, unter den morgendlichen Passanten, verkörpere der Kalender, dieses Resultat der äußersten Ernüchterung einer Biographie, keine Vernunftsleistung. Nicht die fixe Idee der absoluten Leere für Augenblicke, die keiner Notiz im Terminkalender wert waren. Nicht die lückenlose Überprüfbarkeit seiner Existenz. Und nicht, daß die Ermangelung einer Notiz im Terminkalender für diesen oder jenen Abend diesen oder jenen Abend verdächtig mache. Hier auf der Parkbank verkörpere ein Leben als die Aneinanderreihung von konspirativen Möglichkeiten Präsidentenkitsch.
Er habe Menschen enttäuscht, weil er sie – wie sich selbst – vergessen und seine fortschreitenden blinden Flecken als selektives Gedächtnis gerechtfertigt habe, das sich Künstlerhauspräsidenten wie Politiker aneignen müßten. Weil nur der Erfolg zähle und mit jedem Mißerfolg der Sturz ins Bodenlose drohe, selektierten Präsidenten andauernd Menschen aus ihrem Gedächtnis. Macht, dachte Brand, wende sich mörderisch gegen das Erinnern.
Jetzt saß er am Teich und empfand eine kindliche Freude an den Vorboten des Frühlings. Blumen blühten noch keine, aber die Sonne prickelte auf der Haut. Der Euphorie folgte Müdigkeit, und im Einschlafen erinnerte er sich an Salman Rushdie, den er als Unterzeichner einer Menschenrechtsdeklaration vor Monaten in Straßburg gesehen hatte.
Er, Brand, sei damals in Straßburg aus dem Europäischen Parlament auf die Freitreppe getreten und habe die Delegiertenkarte, erschöpft von den Berichten über Greuel und Leid, in einen Papierkorb geworfen. Unten auf dem Boulevard sei die Limousine mit Rushdie verschwunden, während er, Brand, sich erleichtert für eine Straßenbahn entschieden und über die Freiheit gefreut habe, aus seiner Haut schlüpfen zu können. Am Abend dann sei er in einem Gasthaus am Domplatz eingekehrt, um Hühnchen in Weißweinsauce zu bestellen, und habe sich, als das Huhn nicht kam, darüber beschwert, bis schließlich der Kellner an seinem Tisch Platz genommen, Wein nachgeschenkt und vergnügt von Jean-Marie Le Pen erzählt habe.
Le Pen, der in Begleitung einer schönen Frau am selben Tisch gesessen wäre, hätte Seeteufel gegessen. Und als der Seeteufel nicht kam, so der Kellner, hätte er eine Stunde lang geduldig auf Ersatz gewartet, eine schlichte Forelle. Kein Wort der Beschwerde wäre aus Le Pens Mund gekommen, kein Drängen auf Eile, und beim Gehen hätte er dem Kellner, ohne die Spur einer herablassenden Miene, 200 Franc Trinkgeld gegeben. Der Kellner habe von sich als einem Grünen gesprochen, aber privat, habe er behauptet, privat seien die alle ausnahmslos lieb.
In jenem Augenblick empfand Alfons Schrei große Zufriedenheit. Er saß fensterseitig am Konferenztisch, von wo er alle Bewegungen Brands mitverfolgen konnte. Den Freund in Verruf zu bringen, den er nur mehr als Brand in den Mund nahm, mit einem abfällig umgangssprachlichen Ton, hatte große Konzentration von ihm erfordert, und so fühlte sich Schrei jetzt zugleich zufrieden und erschöpft.
Wie in Zeitlupe verfolgte er, wie Brand hinausging, die aufschnellende Bewegung, als er sich vom Sessel erhob, sein jähes Hochziehen der Schulter, die trotzige Handbewegung und wieder die Bewegung der Hand, wie sie zur Stirn fuhr, als erwidere sie einen Gruß. Die großbürgerliche Verbohrtheit, mit der Brand im Augenblick der Niederlage zwanghaft Haltung zu bewahren versuchte, war Schrei vertraut. Schrei hatte Brands Reaktion vorausberechnet, seinen Hochmut, der Brand daran hindern würde, sich zu verteidigen. Hochmut kommt vor dem Fall, sagte sich Schrei, der großmütterliche Sprichwörter liebte.
Die Tür war ins Schloß geschnappt, und es blieb still, länger als einen Augenblick. Die Vorstände warteten auf die Rückkehr Brands, der ihnen ohne zu fragen, ob sie seinen Rücktritt respektierten, gerade den Rücktritt erklärt hatte. Der blaue Thonetsessel blieb leer, und die Halogenlampen an der Decke brannten, obwohl es hell und sonnig war.
Dominik Chemnitz durchbrach die Stille. Der treue Adjutant Brands, wie Schrei ihn nannte, stand auf und erklärte, nicht nur seinen Sitz als Vorstand und Kurator zur Verfügung zu stellen, sondern aus dem Künstlerhaus auszutreten. Niemand sagte etwas, bis Schrei dem jungen Chemnitz zu seinem ersten klugen Schritt im Leben gratulierte und in die Hände klatschte. Wie kurz zuvor Brand, verließ Chemnitz den Sitzungsraum, ohne daß sich einer der Vorstände mit einem Wort dazu geäußert hatte.
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