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Klara ist fassungslos: Die Villa auf Mallorca, die ihr nach der Scheidung von ihrem Exmann zugesprochen wird, entpuppt sich als absolute Bruchbude - wenn auch mit traumhaftem Meerblick. Doch ihr bleibt nichts anderes übrig, als kurzerhand dort einzuziehen, denn sie ist pleite. Ein Job muss her: Mit einem Online-Shop für mallorquinische Bio-Spezialitäten will sie in der neuen Heimat Fuß fassen und macht sich auf die Suche nach den Köstlichkeiten der Insel.
Doch während sie über der Geschäftsidee brütet, steht plötzlich ihr Nachbar vor der Tür: geheimnisvoll, unverschämt attraktiv - und leider ziemlich eigenbrötlerisch. Zu allem Überfluss lernt sie auch noch den smarten Olivenölproduzenten Christoph kennen, der sie schamlos umgarnt. Hatte sie sich nicht geschworen, den Männern und der Liebe den Rücken zu kehren und den Neuanfang allein zu wagen?
Ein charmanter Sommerroman mit viel Gefühl auf Spaniens schönster Insel - so süß wie Mandelkuchen, so lockerleicht wie Orangensorbet, so samtig wie Olivenöl.
Alle Geschichten dieser Reihe zaubern dir den Sommer ins Herz und bringen dir den Urlaub nach Hause. Die Romane sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Danksagung
Eine Liebeserklärung an die schönste Insel im Mittelmeer.
Karla ist fassungslos: Die Villa auf Mallorca, die ihr nach der Scheidung von ihrem Exmann zugesprochen wird, entpuppt sich als absolute Bruchbude – wenn auch mit traumhaftem Meerblick. Doch ihr bleibt nichts anderes übrig, als kurzerhand dort einzuziehen, denn sie ist pleite. Ein Job muss her: Mit einem Online-Shop für mallorquinische Bio-Spezialitäten will sie in der neuen Heimat Fuß fassen und macht sich auf die Suche nach den Köstlichkeiten der Insel. Doch während sie über der Geschäftsidee brütet, steht plötzlich ihr Nachbar vor der Tür: geheimnisvoll, unverschämt attraktiv – und leider ziemlich eigenbrötlerisch. Zu allem Überfluss lernt sie auch noch den smarten Olivenölproduzenten Christoph kennen, der sie schamlos umgarnt. Hatte sie sich nicht geschworen, den Männern und der Liebe den Rücken zu kehren und den Neuanfang allein zu wagen?
Ein charmanter Sommerroman mit viel Gefühl auf Spaniens schönster Insel – so süß wie Mandelkuchen, so locker leicht wie Orangensorbet, so samtig wie Olivenöl.
Geboren und aufgewachsen in Bayern, verließ Sophie Oliver nach dem Abitur ihre Heimat, um zu studieren und die Welt zu erkunden. Mittlerweile ist sie zu ihren Wurzeln zurückgekehrt und lebt mit Familie und Hund auf dem Land. Sophie liebt die bunte Vielfalt, Schräges genauso wie Schönes sowie »all things British«. Ihre Lebensneugierde drückt sie in ihren Romanen und Kurzgeschichten aus, wobei sie sich darüber freut, in verschiedenen Genres schreiben zu dürfen.
SOPHIE OLIVER
DerSommerderOliven
beHEARTBEAT
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Natalie Röllig
Lektorat/Projektmanagement: Anne Pias
Covergestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung von Motiven von © istockphoto/Foxys Forest Manufacture
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-4289-5
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Klara konnte nicht widerstehen und öffnete das Fenster des Taxis. Der Fahrer schien nichts dagegen zu haben. Warme Luft strömte herein, die ganz anders roch als in Deutschland. Die Fahrt vom Flughafen Palma de Mallorca nach Port d’Andratx dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Sie hatte es nicht eilig. Klara hätte sich den ganzen Tag über die Insel kutschieren lassen können, so sehr genoss sie es, hier zu sein. Daheim in München hatte es geregnet. Sie hatte ewig im Stau gestanden und schon befürchtet, ihren Flug zu verpassen. Die Leute hatten übellaunig in ihren Fahrzeugen gesessen, mit hängenden Mundwinkeln, ausdruckslosen Gesichtern – passend zum trüben Wetter. Wenn sie jetzt aus dem Fenster schaute, sah sie links und rechts der Autobahn pinkfarbene Oleanderbüsche blühen. Wobei »blühen« noch untertrieben war, sie wucherten regelrecht. Dahinter wechselten sich Olivenhaine mit hübschen Wohnanlagen ab, und gelegentlich erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf das Meer. Da konnte man überhaupt nicht missmutig gucken! Außer man war von Haus aus ein schlecht gelaunter Schwarzseher wie Klaras Exmann Michael, der an allem etwas Negatives fand. Wie froh war sie, seine Dauernörgeleien nicht mehr ertragen zu müssen!
Lieber allein sein als mit diesem Miesepeter an meiner Seite, dachte Klara.
Irgendwann ging die Fahrt zu Ende, und sie tauchte aus ihren Gedanken auf. Nachdem der Fahrer Port d’Andratx durchquert hatte – es gab sicher schlechtere Wohnorte, wie sie sich grinsend eingestand –, ging es vom Hafen aus eine Anhöhe hinauf. Das Taxi bog in eine Wohnsiedlung ein, in der sich Ferienwohnungen und Protzvillen abwechselten. Im Gegensatz zu manchen deutschen Baugebieten schien es hier keine Vorschriften hinsichtlich des Aussehens der Häuser zu geben. Ein jedes bestand auf seine Individualität. Unterschiedlich hohe Tore und Mauern begrenzten die größeren Grundstücke, manche aus Stein, andere aus Stahl, und meistens befand sich auch eine Sprechanlage samt Kamera daran. Nicht überall gab es Zufahrten, ein paar der Hauseingänge waren nur durch wenige Stufen von der Straße beziehungsweise von einem schmalen Bürgersteig getrennt, auf dem Piniennadeln und Laub lagen. Die verstreut stehenden Bäume warfen Schatten. Klara fiel auf, dass viele der Eingänge mit Pflanzen geschmückt waren, deren Terrakottatöpfe einen deutschen Winter niemals unbeschadet überstehen würden.
Natürlich wusste sie, dass Port d’Andratx ein teures Pflaster war, und sie erwartete ein dementsprechendes Haus. Ihr Fahrer hielt vor einem Holztor, das die Zufahrt zum Grundstück versperrte. Ein Schild mit der Aufschrift Can Cargol hing windschief daran. Hier war sie richtig. Nervosität breitete sich in ihrem Magen aus. Mit einem Mal fühlte sie sich, als hätte sie zu viel Espresso getrunken. Rechts von ihrem Grundstück lag eine der wenigen noch unbebauten Parzellen der Siedlung, links schloss sich das Anwesen ihres Nachbarn an. Während die Einfahrt zu dessen Grundstück ordentlich gepflastert war, wirbelte Klara reichlich Staub auf, als sie auf dem Kiesweg ihrem neuen Zuhause entgegenmarschierte. Ihr schwerer Koffer hinterließ tiefe Schleifspuren. Nett wären Olivenbäume gewesen, die den Weg säumten. Leider gab es nur Gestrüpp, dort, wo sich kein verdorrtes Gras befand. Oder von der Sonne gelb gebackene Erde. Nicht gerade ein malerisches Bild, musste sich Klara eingestehen. Wenigstens bereitete sie die Zufahrt ein wenig auf das unschöne Gebäude vor, das nach einer Kurve vor ihr auftauchte. Nur teilweise verputzt, schien es schon ziemlich lange Zeit ein halber Rohbau zu sein. Ein architektonisch nicht gerade gelungener obendrein. Klara mühte sich mit dem Schlüssel ab, bis sie es endlich schaffte aufzuschließen. Beinahe hätte sie sich dabei einen Fingernagel abgebrochen. Abgestandene warme Luft schlug ihr entgegen. Sie trat in einen düsteren Flur mit einer Wandgarderobe, einem Schuhschrank und einem kleinen Spiegel darin. Es musste am angeschmutzten Spiegel liegen, dass ihr Haar darin eher aschig als blond aussah, beschloss Klara, strich es sich aus der Stirn und band es zu einem Pferdeschwanz. Müde sah sie aus, blass und gestresst, nur ihre hellblauen Augen stachen blitzend hervor. Um ihr Äußeres würde sich Klara später kümmern. Die letzten Wochen hatten an ihren Kräften gezehrt. Und nun dieser Neuanfang in einem fremden Land.
Eins nach dem anderen, dachte sie.
Klara schaute sich weiter im Flur um: Lediglich nichtssagende Möbel ohne Flair, aber die Fliesen auf dem Boden waren hübsch: Sie waren blau-weiß und wirkten wie ein glücklicher Flohmarktfund. Rasch trat sie in den offenen Wohnraum mit Essecke und Küche – und war sofort ein wenig zuversichtlicher. Nicht weil ihr die spartanische Einrichtung gut gefallen hätte – die zusammengewürfelten Restpostenmöbel setzten sich auch hier fort –, sondern weil sie durch die Glasfront auf eine großzügige Terrasse, einen noch großzügigeren Garten und hinaus auf das Meer sehen konnte. Sie öffnete die Verandatür – ein wenig frische Luft schadete den muffigen Räumen nicht – und lief hinaus bis ans hinterste Ende des Gartens, um dem Meer so nah wie möglich zu sein. Da ihr Grundstück am Hang lag, hatte Klara nicht nur einen herrlichen Blick über das Mittelmeer, sondern auch auf die Poolterrasse des unterhalb angrenzenden Nachbars. Allerdings nur, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte und über eine Betonmauer spähte. Nachdem sie sein Anwesen ausreichend bewundert hatte, ohne dabei entdeckt zu werden, ging sie zurück ins Haus. Die restlichen bewohnbaren Räume waren schnell besichtigt: ein Badezimmer, eine separate Toilette und ein Schlafzimmer im oberen Stockwerk, in dem allerdings nur ein Kleiderständer aus Metall und ein Doppelbett standen, an dessen Namen sich Klara sogar erinnern konnte: MALM. Von IKEA. Weiß lackiert. Die Matratze sah aus, als hätte jemand mit einem Inkontinenzproblem darin geschlafen. Daneben gab es noch ein paar nicht ausgebaute Zimmer im Rohzustand.
Mit Tränen in den Augen setzte sie sich auf die Terrasse und atmete tief durch. Wenigstens stand hier eine Polyrattan-Garnitur, die nicht so übel aussah.
Wie sollte sie auch? Plastik brauchte Jahrhunderte, um zu verrotten, da war es keine Kunst, wenn diese Sitzmöbel noch den besten Eindruck machten.
Warum sie weinte, konnte sie selbst nicht genau sagen. Gründe dafür gab es viele.
Hier war sie nun, Klara Jung, vierunddreißig, frisch geschieden und mit einem Haus auf Mallorca abgefunden. Ihr Exmann Michael hatte mit Klauen und Zähnen darum gekämpft, es aber letztendlich an sie abtreten müssen. Laut Auskunft ihres Anwalts hatte Michael Can Cargol kurz nach ihrer Hochzeit erworben und seitdem als Ferienhaus vermietet. Klara schnaubte. Für jemanden, der keinen Wert auf wohnliches Ambiente legte, mochte dies ein Ferienhaus sein. Sie würde es eher als Dauerbaustelle bezeichnen. In den meisten Zimmern befanden sich unverputzte Wände und Estrichböden. Wenn sie bleiben wollte – was sie vorhatte, weil es keine Alternative gab –, musste sie schleunigst für ein geregeltes Einkommen sorgen, damit wenigstens peu à peu aus dieser Bruchbude ein richtiges Zuhause wurde. Klara fühlte sich verschwitzt und müde. Sie würde duschen und sich dann erst einmal hinlegen. Danach konnte sie immer noch darüber nachdenken, was aus ihr werden sollte, so allein. Nein, das Wort allein wollte sie aus ihrem Vokabular streichen.
Das Bad war erstaunlich schick. Anscheinend hatte der Bauherr hier zuerst investiert. Es gab eine gemauerte Dusche, eine Badewanne, ein Doppelwaschbecken, hell, mit großen Sandsteinplatten an den Wänden und Designerarmaturen. Erleichtert schlüpfte sie aus ihrer Jeans. Nach etwas Gurgeln und Spotzen kam tatsächlich klares Wasser aus der Leitung! Sie schloss die Augen und stellte sich unter die Regendusche. Als sie die Lider wieder öffnete, stieß Klara einen gellenden Schrei aus, der im gesamten Haus widerhallte. Einen Moment lang stand sie wie erstarrt da, dann flüchtete sie, so schnell es ging, aus der Dusche. Dabei wäre sie um ein Haar ausgerutscht. Zitternd und mit Herzrasen starrte sie an die Badezimmerdecke.
Plötzlich hämmerte es an der Haustür. Sie schlüpfte zurück in Jeans und T-Shirt und rannte die Treppe runter.
»Ja?«, stieß sie außer Atem hervor, nachdem sie die Tür geöffnet hatte.
Vor ihr stand ein großer dunkelhaariger Mann, leider so attraktiv, dass Klara schlagartig ihr triefnasses, bis über die Schultern hängendes Haar und die Wasserflecken auf ihrem T-Shirt bewusst wurden, die sich zügig in Richtung ihrer Brüste ausbreiteten. Während der Unbekannte sie eingehend musterte, hoben sich seine Augenbrauen in einer Mischung aus Belustigung und Sorge. Er war barfuß, trug Jeans und ein marineblaues Poloshirt, dessen Farbe mit seiner gebräunten Haut und dem kurz geschnittenen schwarzen Haar hervorragend harmonierte. Es saß so gut, dass sich eine muskulöse Brust darunter abzeichnete. Sein Dreitagebart passte zu ihm. Obwohl Klara glatt rasierte Männerhaut bevorzugte, fand sie das markante Stoppelkinn auf Anhieb anziehend.
»Ich habe einen Schrei gehört«, sagte er auf Deutsch mit einem schönen spanischen Akzent.
Klara trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Das war ich«, erklärte sie unnötigerweise.
»Geht es Ihnen gut? Ist etwas passiert?«
»Nein, nein, alles in Ordnung.«
»Wohnen Sie jetzt hier? Oder machen Sie nur Ferien? Es war ziemlich lange niemand mehr im Haus. Ich bin Ihr Nachbar«, setzte er erklärend hinzu. »Xavier Cardona.«
»Klara Jung. Ich ziehe gerade ein«, stellte sie sich vor und streckte ihm die Hand hin. Dummerweise war auch diese noch feucht, sodass er sich seine nach dem Händeschütteln dezent an der Hose trocken wischte.
Dann war er also der Besitzer der gepflasterten Einfahrt. Gewiss würde auch sein Haus in einem wesentlich besseren Zustand sein als das ihre. Klara fühlte sich ein wenig wie die Flodders vor der vornehmen Nachbarsfamilie. Andererseits musste ihr gar nichts peinlich sein, nicht sie hatte Can Cargol verkommen lassen. Und selbst wenn es so wäre, ginge es ihn nichts an. Die Unsicherheit, die immer schnell von ihr Besitz ergriff, nervte sie. Genauso wie der Drang, sich dauernd zu entschuldigen – beides Wesenszüge, die sie vor ihrer Ehe nie gekannt hatte. Und die sie schleunigst wieder ablegen wollte. Klara bemerkte, dass über ihrem Grübeln eine Verlegenheitspause entstanden war, weigerte sich aber, diese peinlich zu finden.
Man muss in jedem Augenblick an sich arbeiten, hatte ihr die Therapeutin in München geraten. Diejenige, die sie sich nach der Scheidung nicht mehr leisten konnte und die ihr sowieso nie weitergeholfen hatte.
»Weshalb haben Sie geschrien?«, fragte Xavier unumwunden. Es wäre charmanter gewesen, wenn er dabei ein wenig gelächelt hätte, aber er schien eher ein ernster Typ zu sein. Dunkel und grüblerisch.
Klara stieg Hitze in die Wangen, bevor sie antwortete. »Ich war gerade in der Dusche. Und über mir an der Decke saß die mit Abstand größte Spinne, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«
Eigentlich hatte sie mit einem maskulin-spöttischen Grinsen gerechnet, doch er blieb völlig neutral.
»Soll ich sie für Sie entfernen? Ich bin Tierarzt, Spinnen machen mir nichts aus.«
Dankbar öffnete Klara die Tür ein Stück weiter, damit er eintreten konnte. Kurz schoss ihr durch den Kopf, dass es nicht gerade intelligent war, einen wildfremden Mann in einem wildfremden Land ins Haus zu bitten. Aber ihre Angst vor dem scheußlichen Tier in der Dusche gewann die Oberhand. Sie führte ihn nach oben ins Bad und zeigte ihm die Stelle.
»Da ist nichts«, sagte er.
»Wie bitte? Das kann nicht sein! Wo ist sie hin?« Panik stieg in Klara auf.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, sehe ich mich mal um. Vielleicht sitzt sie hier ja noch irgendwo.«
Mit einem Nicken verließ Klara das Bad und spähte argwöhnisch in alle Ecken des Flurs. Sie würde in dieser Bruchbude kein Auge zutun, bevor nicht alles blitzblank geputzt war. Alle Kriechtiere mussten verschwinden. Alle! Und eine neue Matratze für das Bett würde sie auch kaufen.
»Ah! Ich habe sie«, hörte sie Xavier rufen. »Die ist wirklich groß. Bringen Sie mir bitte ein Glas aus der Küche!«
Während er das langbeinige, haarige Ungetüm nach draußen trug, stand Klara mit dem Rücken an die Wand gepresst, damit er ihr nur nicht zu nahe kam. Erst als er die Spinne in ein Gestrüpp hinten im Garten entlassen hatte, atmete sie auf.
»Ich danke Ihnen! Oh, ich danke Ihnen vielmals!«
Sie meinte es aus tiefstem Herzen und entlockte Xavier damit ein erstes Lächeln. »Kein Problem. Sind Sie sicher, dass Sie hier zurechtkommen werden?«
»Natürlich. Das Haus ist nur ein wenig anders, als ich es erwartet hatte. Aber ich werde es schon schaffen.«
»Was hatten Sie denn erwartet?«
Klara zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Bis vor Kurzem wusste ich noch nicht einmal, dass es Can Cargol überhaupt gibt, geschweige denn, dass mein Exmann es gekauft hat. Er gab sich nämlich alle Mühe, diese Bruchbude vor mir geheim zu halten. Gott weiß, weshalb … Es wurde mir bei der Scheidung zugesprochen.«
Dank Klaras Anwalt, der sich wie ein Pitbull in Michaels frisierte Unterlagen verbissen hatte, um wenigstens etwas für sie herauszuschlagen. Die Gegenseite hatte nämlich frecherweise behauptet, dass Michael Jung pleite wäre und Klara ihm Unterhalt zahlen müsste. Eine Lüge. Unmöglich zudem, da sie ja während ihrer Ehe Hausfrau gewesen war.
Aber Michaels Rechtsbeistand war mit allen Wassern gewaschen. Trotzdem konnte nicht einmal er ein Haus auf Mallorca unter den Tisch kehren, selbst wenn Michael sich reichlich Mühe gegeben hatte. Im Internet hatte Klara nichts weiter darüber gefunden außer einem Schnappschuss von der Aussicht auf das Meer und einem gezeichneten Grundrissplan. Den Rest hatte ihre Vorstellung erledigt. Kein Wunder, dass sie enttäuscht war.
»Was hätten Sie denn erwartet, wenn es heißt, Sie bekommen eine Villa mit Meerblick in Port d’Andratx?«
Jetzt musste er tatsächlich lachen. »Na ja, Villa ist vielleicht ein wenig hoch gegriffen. Das Haus hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Dem Bauherrn ging irgendwann das Geld aus, da ließ er es unvollendet und wohnte eine Weile in den fertig ausgebauten Zimmern. Schließlich musste er es verkaufen. Wir hörten, dass es sich ein Geschäftsmann aus Deutschland unter den Nagel gerissen hat. Ab und an wohnten hier Feriengäste, aber die meiste Zeit über stand es leer. Kein Wunder, dass die Spinnen so prächtig gedeihen.«
Ein Schauer überlief Klara.
»Aber das mit dem Meerblick stimmt wenigstens«, setzte er hinzu, wie um wenigstens etwas Positives zu sagen. Klara gab sich keine Mühe, ihre Abneigung gegen das schmutzige und ihrer Ansicht nach kriechtierverseuchte Haus zu verbergen. So eine schöne Aussicht wog nicht alles auf.
Er sah sich um. »Man kann sicher was draus machen, wenn man genügend Zeit und Geld investiert.«
Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, blickte Klara ihm nach, wie er sich im Garten einen Weg durch die Hecke hinüber auf sein Grundstück bahnte.
Deshalb ist er so schnell hier gewesen, dachte sie, und ohne Schuhe. Beruhigend, eigentlich. Noch im selben Augenblick widerrief sie den Gedanken. Was sollte beruhigend daran sein, wenn ein fremder Mann schnell zu ihr ins Haus gelangen konnte? Sie kannte Xavier Cardona nicht. Und am allerwenigsten brauchte sie jemanden, der sich in ihr Leben einmischte. Sie würde allein zurechtkommen, wollte allein zurechtkommen. Dafür, dass sie das Wort allein gestrichen hatte, benutzte sie es ziemlich oft.
»Zum Teufel mit den Männern«, flüsterte sie vor sich hin und ging zurück ins Haus. Dann stellte sie fest, dass sie überhaupt nicht in den Ort fahren konnte, weil sie kein Auto besaß. Sie fragte sich, warum sie am Flughafen ein Taxi genommen hatte, anstatt sich einen Mietwagen zu leihen. Ziemlich unüberlegt. Es war wohl besser, sich schnell daran zu gewöhnen, auf sich gestellt zu sein. Dazu gehörte, dass eben kein Auto daheim in der Garage stand. Wobei – eine Garage gab es hier sowieso nicht, nur einen kleinen Verschlag.
Darin fand sie, neben allerlei Schaufeln, Brettern, Zementsäcken und dreckigem Werkzeug, ein altes Fahrrad nebst Luftpumpe. Mit Abscheu befreite sie es von den Spinnweben, mit denen es überzogen war, und nach einer scheinbaren Ewigkeit rollte sie endlich die Straße hinunter, auf der Suche nach einem Supermarkt.
Am nächsten Morgen wachte Klara mit schmerzenden Beinen auf. Sie war nach ihrer Rückkehr über die steil ansteigende Straße so müde gewesen, dass sie nur das Bad geputzt hatte. Weil sie sich vor dem Bett ekelte und bezüglich der Spinnen auf Nummer sicher gehen wollte, hatte sie in der Badewanne geschlafen. Ihr größtes Badetuch hatte sie zur Decke umfunktioniert, und als Kissen dienten einige zusammengerollte Pullover. Definitiv kein Dauerzustand! Sie fuhr erneut in den Ort, setzte sich in eines der Cafés am Hafen und bestellte sich einen großen café con leche. Nach dem ersten Schluck sah die Welt schon besser aus. Niemand konnte lange Trübsal blasen, wenn er in der Sonne saß und dabei auf Meer und Boote blickte. Es war so früh am Morgen, dass die meisten Läden noch nicht geöffnet hatten. Einige Häuser weiter fegte die Mitarbeiterin einer Modeboutique gerade den Bürgersteig vor ihrem Geschäft. Daneben befand sich ein Friseur, aus dessen geöffneter Tür bereits das Rauschen zahlreicher Haarföhne zu hören war. Auf zwei Klappstühlen vor dem Schaufenster saß die wartende Kundschaft im Schatten. Eine ältere Dame in einem Kleid mit Leopardenmuster und ein Herr im Anzug, der eine Zigarette rauchte und wahrscheinlich noch einen Haarschnitt wollte, bevor er ins Büro fuhr. Die beiden unterhielten sich angeregt, niemand schien es eilig zu haben. Auf Klara wirkte das morgendliche Erwachen von Port d’Andratx wie eine Einladung, sich ebenfalls ein wenig locker zu machen und nicht alles so verbissen zu sehen. Immerhin hatte sie es schon mal weg aus München geschafft, hierher in die Sonne Mallorcas. Michael hätte ihr das bestimmt nie zugetraut.
Ein Schritt nach dem anderen, dachte sie. Ich schaffe es, in meinem Tempo und aus eigener Kraft.
Auf einem Zettel notierte sie die Dinge, die jetzt am dringlichsten waren. Zuerst brauchte sie ein Auto. Klara beschloss, umgehend einen Wagen zu mieten, um sofort mobil zu sein. Ihre erste Fahrt würde sie zu einem Möbelhaus führen, um eine neue Matratze zu kaufen, weil die Aussicht auf eine weitere Nacht in der Badewanne nicht gerade verlockend war.
Dann würde sie den Kühlschrank putzen und befüllen. Falls sie weiterhin sämtliche Mahlzeiten hier in der Stadt einnahm, würde sie bald pleite sein.
Und danach, erst wenn ein normaler Tagesablauf in ihrem neuen Zuhause annähernd möglich war, würde sie sich mit allem, was sie aufzubieten hatte, in ihre neue Geschäftsidee stürzen.
Hoch motiviert zog Klara mit dem Kugelschreiber einen dicken Strich unter ihre Liste, bezahlte und schwang sich aufs Rad. Ein Fitnessstudio würde sie sich schon mal sparen können, denn der Anstieg zu ihrem Grundstück hinauf trieb ihr ohnehin jedes Mal den Schweiß aus allen Poren.
Nach erfolgreicher Auto- und Matratzenaktion und dem Putzen der bewohnbaren Zimmer, nahm sich Klara eine Auszeit auf ihrer Terrasse. Die Sonne stand schon tief, und die Hitze des Tages war milder geworden. Aus allen Richtungen war das Zirpen der Grillen zu hören, das es nur im Süden gab. Laut, ausdauernd, herrlich mediterran. Weil niemand sie in ihrem zugewucherten Garten sehen konnte, scheute sich Klara nicht davor, es sich in ihrer Unterwäsche auf einem Liegestuhl bequem zu machen. Einer der wenigen Vorteile des Grundstücks, den sie sich öfter ins Gedächtnis rufen sollte. Auf ihren Bikini war sie in den Tiefen des Koffers noch nicht gestoßen. Vielleicht lag es an dem Glas Weißwein, das sie sich gegönnt hatte, vielleicht war sie auch einfach nur erschöpft von der Arbeit, jedenfalls dauerte es keine zwei Minuten, und sie war eingeschlafen. Geweckt wurde sie von etwas, das unsanft auf ihren Bauch klatschte. Unfähig zu schreien, weil ihr die Luft wegblieb, fuhr Klara hoch.
»Es tut mir so leid, Señora! Das wollte ich nicht!« Aus der Hecke zum Nachbargrundstück schoss ein kleiner Junge auf sie zu. Es wirkte beinahe schon komisch, wie er händeringend auf ihren Bauch starrte, auf dem sich ein großer roter Fleck abzeichnete. »Tut es sehr weh? Es war nur ein Softfußball, wirklich! Papa lässt mich nicht mehr mit richtigen Fußbällen im Garten spielen, seitdem ich zweimal das Kellerfenster eingeschossen habe. Er meint, mit dem hier kann ich keinen Schaden anrichten. Aber wenn ich mir Ihren Bauch so ansehe … Mein Fußballtrainer sagt, ich hätte den härtesten Schuss in unserer Mannschaft, wissen Sie …«
Während der Junge unablässig plapperte, schlüpfte Klara in ihre Sachen. »Es ist schon gut«, unterbrach sie ihn. Rasch schloss sie die letzten Knöpfe ihrer Leinenbluse. »Nicht weiter schlimm. Ich war nur erschrocken.«
Erleichtert atmete der Junge auf.
»Bist du der Sohn von Señor Cardona?« Sie deutete auf die Hecke, durch die er gekommen war.
»Ja. Antoni. Ich bin acht Jahre alt.«
Sie musste grinsen. »Nett, dich kennenzulernen. Ich heiße Klara. Du kannst Du zu mir sagen. Ich bin vierunddreißig Jahre alt.«
Ehrfurchtsvoll nickte Antoni mit dem Kopf. »Vierunddreißig«, wiederholte er. »Das ist alt. Sogar älter als mein Papa. Der ist dreiunddreißig.«
Klara lachte. »Na du bist ja ein charmanter Kerl! Wieso sprichst du eigentlich so gut Deutsch?«
»Das machen die meisten Leute hier. Mein Papa sagt, uns bleibt auf Mallorca nichts anderes übrig. Ich lerne es in der Schule.«
»Du hast bestimmt eine Eins in Deutsch! Wo gehst du denn zur Schule?«
In diesem Moment kam Bewegung in die Hecke, und Xavier Cardona steckte den Kopf hindurch. »Ist mein Sohn bei Ihnen?«, rief er.
Über ein freundliches Hallo hätte sich Klara gefreut, aber sie ließ sich nichts anmerken. Xavier schien nicht nur dunkel und grüblerisch zu sein, sondern er sprach wohl auch nur das Nötigste. Eine Eigenschaft, die ihn von seinem Sohn unterschied.
»Ja«, rief sie zurück. »Wir unterhalten uns gerade.«
»Ich hoffe, er belästigt Sie nicht?«
Mit großen, runden Kinderaugen blickte Antoni zu ihr auf.
»Nein, keineswegs. Wir verstehen uns wunderbar. Er kann mich jederzeit gerne besuchen.«
Nun sagte Xavier ein paar Sätze auf Spanisch an seinen Sohn gerichtet. Dieser schnappte sich den Ball und wandte sich zum Gehen.
»Was hat er gesagt?«, wollte Klara wissen.
Antoni grinste spitzbübisch. »Dass ich sofort rüberkommen soll. Und ich soll nur nicht denken, er wüsste nicht, dass ich den Fußball durch die Hecke geschossen habe.« Er lief ein paar Schritte in Richtung seines Gartens, kehrte dann noch einmal um und meinte zu Klara: »Du solltest auf alle Fälle Spanisch lernen, wenn du hierbleiben willst. Das hilft echt weiter.«
Damit verschwand er endgültig durch die Hecke. Klara hörte noch unverständliche Wortfetzen von Vater und Sohn, bis sich die beiden entfernt hatten. In der Schule hatte sie mehrere Jahre lang Spanischunterricht gehabt. Entweder war das viel zu lange her, um sich noch an etwas zu erinnern, oder der schlaue Spruch »Was rastet, das rostet« traf tatsächlich zu. Leider hatte Klara kein Wort von dem verstanden, was die beiden gesagt hatten.
Ein weiterer Punkt auf meiner Liste, dachte sie. Spanisch lernen. Das rangiert sogar unter den Top drei.
Zurück im Haus stellte sie nicht nur fest, dass es sie ärgerte, wie Xavier einfach so grußlos erschienen und wieder verschwunden war, sondern dass sie auch noch ihre Bluse falsch geknöpft hatte.
Ein Flohmarkt am Wochenende entpuppte sich als ebenso individuelle wie finanzschonende Rettung für Klaras Wohnproblem. Sie beglückwünschte sich zu dem Entschluss, einen Kombi anstatt eines Kleinwagens gemietet zu haben, und packte ihn bis unters Dach mit ihren Fundstücken voll. Obendrauf schnallte sie mithilfe des freundlichen Verkäufers sogar noch einen Schrank. Daheim in Can Cargol warf sie nicht nur die alte Matratze, sondern gleich das ganze Bett hinaus, den Kleiderständer hinterher. Sie hatte nämlich ein schlichtes Metallbett erstanden, mit einem Gestänge, über das sie zusätzlich ein Moskitonetz hängen konnte. Keine Chance dem Getier! Zusammen mit ihrer neuen Matratze, dem neuen Bettzeug und dem Schrank wurde aus dem Ekelschlafzimmer ein hübscher Raum, in dem Klara von nun an sicher gut träumen würde. Sie trennte sich außerdem von sämtlichen vorhandenen Tassen, Gläsern und Tellern, die einen Sprung hatten, und ersetzte sie durch buntes Keramikgeschirr, das sie in einem kleinen Laden entdeckt hatte. Wenn Klara morgens mit einem handgebrühten Kaffee und einer ensaïmada, einer süßen Teigschnecke, auf der Terrasse saß und den Ausblick genoss, ohne dabei auf ihr Handy zu starren oder sich mit etwas anderem zu beschäftigen, würde sie sich beinahe schon mallorquinisch fühlen.
Durch ihre täglichen Rituale lernte sie, den Augenblick wertzuschätzen. Während ihrer Ehe mit Michael war sie rund um die Uhr damit beschäftigt gewesen, etwas zu repräsentieren, das er in ihr sehen wollte. Eine konservativ hübsche Hausfrau mit gebügelter Bluse und Perlohrsteckern. Nett, aber nicht offensiv attraktiv zurechtgemacht. Mittlerweile ließ Klara ihr Haar lufttrocknen, was Michael viel zu hippiemäßig gewesen wäre. Die Perlohrringe hatte sie noch nicht einmal ausgepackt, und mit dem Bügeln ihrer Kleidung hielt sie sich bewusst zurück. Stattdessen steckte sie ihre Energie in Can Cargol, fand Spaß daran, ihr neues Zuhause zu verschönern.
Den nichtssagenden Flurmöbeln verordnete sie einen Anstrich in Weiß und Lichtgrau. Was toll zu den Fliesen auf dem Boden passte und Klara zum Lächeln brachte, jedes Mal wenn sie durch die Haustür trat. Über die abgewetzte Couch im Wohnzimmer kam ein heller Überwurf, sämtliche Teppiche wurden ersatzlos gestrichen. Nach ein paar Wochen hatte Klara allen Holzmöbeln, die sie behalten wollte, ein neues Gesicht verpasst. Ihre Flohmarktfundstücke verliehen den Räumen eine heimelige Note. Am meisten freute sie sich über die neu geschaffene Büroecke im Wohnzimmer – ein antikes Türblatt, ebenfalls vom Flohmarkt, das sie mit zwei Klappböcken aus ihrem Schuppen zu einem Schreibtisch umfunktioniert hatte. Von dort aus konnte sie durch die Glasfront aufs Meer hinausblicken. Bei geöffneten Terrassentüren hatte sie das Gefühl, im Freien zu sitzen. Dass die beiden Böcke mit Farbklecksen übersät waren, störte Klara nicht, im Gegenteil.
Während ihr Haus in München ausgesehen hatte wie aus dem Katalog eines Designmöbelhauses – Michael war der Meinung gewesen, nur was teuer war, machte viel her –, verströmte Can Cargol langsam minimalistisches Boho-Inselflair.
Einen Monat nach ihrer Ankunft hatte Klara ihr Haus mit kleinem Budget groß aufgehübscht. Sie begann sich darin zu Hause zu fühlen. Viele Punkte auf ihrer Liste konnte sie schon abhaken. Nun ging es daran, ihre Geschäftsidee umzusetzen.
An einem Montagmorgen um acht Uhr setzte sich Klara an ihren neuen Schreibtisch. Sie trug zwar ihre tägliche Uniform aus Jeansshorts und T-Shirt, das blonde Haar zum Pferdeschwanz gebunden, aber ihr Gesichtsausdruck war der einer Geschäftsfrau. Konzentriert, fokussiert, motiviert. Nach einem großen Schluck aus der Kaffeetasse atmete sie tief durch und fuhr den Computer hoch. Sie führte zahlreiche Telefonate und recherchierte ausgiebig im Internet, und bevor sie sichs versah, war es Nachmittag. Rasch lief Klara nach oben, um sich umzuziehen, schnappte sich den Autoschlüssel und verließ das Haus. Sie hatte ihren ersten Geschäftstermin!
Erneut beglückwünschte sie sich zur Wahl ihres Wagens, den sie zwischenzeitig in Dauermiete hatte, denn er verfügte nicht nur über viel Stauraum, sondern auch über ein Navigationsgerät, das Klara zielsicher ins Inselinnere lotste. Mit abgestellter Klimaanlage, heruntergelassenen Scheiben und ihrer Lieblingssonnenbrille auf der Nase genoss sie den Fahrtwind – etwas, das sie in Deutschland nie gemacht hatte. Sie erinnerte sich nicht einmal daran, jemals die Scheiben ihres schicken Sportwagens geöffnet zu haben, den Michael ihr gekauft hatte. Wozu auch? In München roch die Luft nicht nach Sonne und Meer. Das schnittige Gefährt war nun Geschichte. Klara hatte ihn verkauft, um an Bargeld für ihre Auswanderung zu kommen. Ohnehin war ein Kombi mit vergrößertem Bodenabstand wesentlich praktischer hier auf Mallorca. Durch kleine Dörfer ging die Fahrt und dann über unglaublich schönes Land. Auf halbem Weg nach Inca breitete sich eine weite Ebene aus. Im selben Maß, in dem die Hitze des Sommers schwächer geworden war, hatte sich auch das Licht auf Mallorca in den letzten Wochen verändert. Alles wirkte sanft. Die dürr-gelbe Graslandschaft am Straßenrand hatte sich wieder in Grün zurückverwandelt. Anstatt verdorrter Stauden sah Klara erholte Büsche. Die Sonne stach nicht mehr vom Himmel, sondern wärmte mild die Luft. Morgens und abends konnte es mittlerweile frisch werden. Aber tagsüber war es angenehm warm, und Klara fühlte sich manchmal wie ein Reptil, das die Strahlen in sich aufsog. Wenn sie in ihrem Liegestuhl im Garten lag, stellte sie sich vor, sie wäre eine Schlange, die sich auf einem Stein zusammenrollte und in Wärme badete. In solchen Momenten brauchte sie keinerlei Rahmenunterhaltung. Sie machte die Erfahrung, dass, egal wie viele Stunden sie arbeitete, egal wie eingespannt sie mit dem Haus oder der Umsetzung ihrer Existenzgründung war, sie die Freizeit intensiver erlebte. Sogar wenn es sich nur um eine halbe Stunde handelte, fühlte sich diese auf Mallorca entspannender an als jemals zuvor in Deutschland. Der Erholungswert eines café con leche im Straßencafé in Port d’Andratx schlug jeden Milchkaffee in München um Längen. Einfach nur mit seiner Tasse in der Sonne zu sitzen, die Leute zu beobachten und zufrieden vor sich hin zu lächeln war eine unglaublich wohlige Erfahrung für Klara. Nie hätte sie geglaubt, dass sie sich selbst Gesellschaft genug sein könnte, dass sie niemanden brauchte, um glücklich zu sein. Auch jetzt, während sie durch Olivenhaine fuhr, die Farbharmonie von blauem Himmel, grünen Bäumen und vereinzelten weißen Wolken genoss, stellte sie fest, wie zufrieden sie war. Ein gutes Gefühl. Irgendwann wurden die Olivenbäume weniger, die Weinstöcke dafür mehr – und vor allem die Mandelbäume. Das Navi wies Klara mit sanfter Stimme an, rechts abzubiegen. Sie fuhr durch Sencelles, ein Dorf, in dem die traditionellen ockergelben Häuser mit dem Azurblau des Himmels um die Wette strahlten. Es war ein hübscher Ort mit verwinkelten Gassen und einem Kirchplatz, auf dem gerade ein Markt stattfand. Gern wäre Klara eine Weile hiergeblieben und hätte sich die bunten Stände genauer angesehen. Bestimmt gab es dort herrliches Obst und Gemüse. Aber sie folgte brav ihrem Navigationssystem, ließ Sencelles hinter sich, dann die geteerten Straßen, hoppelte mit ihrem Wagen über Schlaglöcher, staubige Feldwege und bog schließlich in einen schmalen Kiesweg ein, der zu ihrem Ziel führte. In der Ferne, hinter der Ebene, stiegen die Berge des Tramuntana-Gebirges auf. Weit und breit war kein anderes Haus zu sehen als Son Pau, ein uraltes Gehöft, das die Eigentümerin, Emilia Moles, mit der Klara verabredet war, in ein Agroturismo-Hotel umgewandelt hatte. Neben der Produktion von Olivenöl war der Tourismus das zweite Standbein für Emilia Moles. Klara hatte ihre Hausaufgabe gemacht und im Internet alles über Son Pau ausgekundschaftet, was sie hatte finden können. Es gefiel ihr, dass eine Frau den Betrieb leitete, besonders in einer Domäne, in der weibliche Führungskräfte nicht gerade an der Tagesordnung waren. Sie konnte sich vorstellen, dass Señora Moles es gegenüber der Übermacht an männlichen mallorquinischen Olivenbauern nicht gerade leicht hatte. Diese Vermutung löste sich allerdings in Luft auf, als Emilia Moles die schwere Holztür ihres Landhauses öffnete. Sie machte nicht im Entferntesten den Eindruck, als ließe sie sich von irgendjemandem einschüchtern. Auf den Stufen döste ein Hund in der Sonne, der aufgrund seiner Körperfülle wohl kaum hauptberuflicher Wachhund sein konnte. Er hob nicht einmal den Kopf, als sein Frauchen über ihn hinwegstieg und dem wildfremden blonden Neuankömmling die Hand schüttelte.
»Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich haben, Señora Moles«, sagte Klara höflich.
Die attraktive Frau mit den wilden, dunklen Locken lachte sie an. Dabei kam Klara nicht umhin, ihre blütenweißen Zähne zu bewundern, die den Teint noch dunkler erscheinen ließen. Emilia Moles verkörperte den Inbegriff der mediterranen Frau, mit Feuer im Blick und gestikulierenden Händen. Ihr Bräunungsgrad verriet, dass sie sich wohl die meiste Zeit des Tages im Freien aufhielt, wie man es von einer Olivenölproduzentin erwarten durfte. Sie trug eine weite Leinenhose und darüber ein enges, kurzärmliges Shirt, was an sich relativ schlicht wirkte, aber für Klara beneidenswert entspanntes Boho-Flair verströmte. Weshalb, konnte sie nicht sagen. Keinerlei Schmuck oder Accessoires verrieten Señora Moles’ modische Vorlieben. Es lag einzig an ihrer Ausstrahlung.
»Gerne! Ihre Geschäftsidee klang am Telefon interessant. Es gibt zwar einige Onlineshops, die Mallorca-Spezialitäten ins Ausland verschicken, aber ausschließlich biozertifizierte Lebensmittel von Kleinherstellern anzubieten finde ich super! Ich wäre sehr daran interessiert, unsere Produkte auch nach Deutschland zu verkaufen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen erst mal alles, damit Sie sich eine Vorstellung von unserem Betrieb machen können.«
Das Deutsch von Emilia Moles hatte nur einen schwachen spanischen Akzent, viel weniger als der von Xavier. Weshalb sie ausgerechnet an ihn dachte, als sie durch den Olivenhain marschierte und die wundervollen Bäume bestaunte, wusste Klara selbst nicht. Rasch drängte sie ihren Nachbarn aus dem Kopf und konzentrierte sich auf Señora Moles’ Ausführungen.
»Diese Bäume tragen Oliven von der Sorte Arbequina aus Nordspanien«, erklärte sie gerade, »und sind nach andalusischer Art gestutzt. Sehen Sie hier – der Baum hat drei Stämme, die Krone bildet eine runde Form, das ist typisch für diese Art des Zuschnitts.«
»Warum macht man das so?«
»Damit mehr Luft und Licht an das Geäst kommt. Durch die drei Stämme ist die Krone ausladender verteilt und nicht so dicht. Aber ich persönlich kann keinerlei Vorteil gegenüber der herkömmlichen Baumform feststellen. Ich finde einen naturbelasseneren Baum sogar schöner. So wie diese zum Beispiel.«
Nun standen sie vor einer Reihe Olivenbäume, die einen einzigen Stamm hatten. »Das sind Picual Oliven. Die kommen aus Andalusien. Alle unsere Bäume, egal ob Arbequina oder Picual, sind um die fünfundzwanzig Jahre alt. Ab etwa zwanzig Jahren tragen sie so viele Früchte, dass sich die Ernte lohnt. Ihren Zenit erreichen sie mit ungefähr achtzig Jahren. Es gibt aber auch Olivenbäume, die ein paar Tausend Jahre alt sind und immer noch Früchte haben. So wie der neben dem Haus, der dicke Baum, dessen Stamm so verdreht aussieht, als hätte man ihn ausgewrungen. Ist Ihnen der aufgefallen?«
»Ja klar! Ein wundervolles Exemplar! Er sieht wirklich besonders aus. Aber dass er ein biblisches Alter hat, hätte ich nicht gedacht. Ich muss ihn mir unbedingt auf dem Rückweg noch einmal genauer anschauen.«
»Ich weiß nicht, wie viel Olivenöl sie exportieren wollen«, fuhr Emilia Moles fort, »aber hier auf Son Pau produzieren wir etwa tausend Liter im Jahr. Nicht besonders viel im Vergleich zu den Großherstellern, aber dafür ist es Öl von einer Qualitätsstufe, wie Sie es hier auf der Insel nicht oft finden werden.«
Interessiert horchte Klara auf. Warum war sich Emilia so sicher, dass ihr Öl das beste war? Die Nachmittagssonne schien wohlig auf sie herunter. Es machte Spaß, durch die Reihen der Bäume zu spazieren. Gelegentlich blieb Emilia stehen, zupfte eine Olive ab, um Klara die Größe des Kerns und die Dicke des Fruchtfleischs zu zeigen.
»Warum hängen Flaschen in den Ästen?«, fragte Klara.
»Als Bioproduzenten verwenden wir natürlich kein Spritzmittel. In den Flaschen befindet sich Zuckerwasser und etwas Apfelessig. Eine natürliche Fliegenfalle sozusagen. Die Oliven sind in ein paar Monaten reif, Anfang Dezember ist es so weit. Wir sind ein Familienbetrieb, und bei der Ernte packen alle mit an. Das meiste ist Handarbeit.«
»Das stelle ich mir unglaublich mühsam vor.«
Emilia schüttelte den Kopf. »Es erfordert hauptsächlich Genauigkeit, um nichts zu übersehen. Eigentlich kann die Olivenernte sogar ziemlich meditativ sein, wenn man still vor sich hin arbeitet.« Lachend zuckte sie mit den Schultern. »Oder kurzweilig, wenn genügend andere Helfer für eine Unterhaltung da sind. Wir benutzen einen Kamm, der die Oliven abstreift. Für die oberen Äste haben wir seit Neuestem eine Art Gummiarm, der ein wenig rüttelt. Sobald wir einige Eimer geerntet haben, werfen wir die Presse an. Kommen Sie, die zeige ich Ihnen als Nächstes.«
Mittlerweile waren sie wieder in der Nähe des Hofes. Klara hatte nicht bemerkt, dass sie eine große Runde gelaufen waren. Bevor sie aus dem Olivenhain traten, wies Emilia sie noch auf einen am Rand stehenden Baum hin.
»Das sind wilde Oliven. Leider haben wir nur wenige Bäume davon.« Abermals zupfte sie eine Frucht ab, um sie Klara zu zeigen. Dank Emilias Ausführungen fielen ihr mittlerweile tatsächlich Unterschiede auf. »Schauen Sie, wie groß der Kern ist und wie wenig Fruchtfleisch darum. Das Öl der wilden Oliven ist das mit Abstand beste. Auf dem Markt werden horrende Summen dafür bezahlt. Wir pressen jedes Jahr ein paar Flaschen, verkaufen es aber nie. Das ist ausschließlich für unseren Eigengebrauch …« Sie zwinkerte Klara verschwörerisch zu. »… unser kleiner Luxus.«
Sie überquerten den Hof – der dicke Hund schlief noch immer – und steuerten auf ein Gebäude zu, das etwas abseits stand. Klara hatte es für eine Art Stall oder Wirtschaftsgebäude gehalten. Als Emilia die Tür öffnete, sah sie als Erstes eine moderne Olivenpresse, komplett aus Edelstahl und in etwa dimensioniert wie eine große Gefriertruhe auf Rädern. Oben auf dem rechteckigen Kasten saß ein Trichter, vorn befand sich ein Zapfhahn. Eigentlich hatte sich Klara die Presse imposanter vorgestellt, sie war überrascht, als Emilia ihr mitteilte, dass dies das einzig notwendige Gerät zur Herstellung des Öls sei.
»Früher war das Ganze viel aufwendiger. Man musste die Oliven zu einem Brei zermahlen, den Brei zwischen Matten legen und das Öl mühsam auspressen. Mittlerweile ist auch in unserer Branche die Moderne eingezogen. In einigen Gehöften stehen manchmal noch alte Pressen herum, vielleicht sehen Sie noch irgendwo eine. Jedenfalls sind wir sehr froh über die Erleichterung bei der Ölherstellung. Deshalb haben wir in dieses extrem teure Gerät investiert. Wir wollten die Großpressen vermeiden, bei denen alle anderen ihre Oliven abliefern. Nur so können wir beste Ölqualität garantieren.«
Neugierig besah Klara den Raum. Neben der Presse standen mehrere Stahlgefäße mit Zapfhähnen in unterschiedlicher Höhe. Dann gab es noch ein Regal mit leeren Flaschen und Pappkartons sowie einen langen Tisch, der als Arbeitsfläche diente. Der geflieste Boden war blitzsauber gewischt, es war kühl und roch angenehm.
Es würde Klara Spaß machen, hier zu arbeiten, irgendwie fühlte es sich gut an, hier drin.
»Sobald wir ein paar Eimer voller Oliven gepflückt haben«, fuhr Emilia in ihren Erklärungen fort, »geht einer von uns an die Presse und füttert sie hier oben durch den Trichter. Die Maschine zermahlt zuerst alles zu einem feinen Brei und presst ihn anschließend sofort aus. Wir müssen nur noch das Öl an diesem Hahn ablassen.«
Klara war beeindruckt. »Das heißt, die Oliven werden sofort nach der Ernte verarbeitet?«
»Ja. Wir haben keinerlei Standzeit. Das ist unser Marktvorteil. Wenn die gepflückten Oliven in der Sonne rumstehen, erhöht sich die Säure in ihnen, weil sie schnell anfangen zu gären. Das wiederum verringert die Ölqualität. Wie Sie wissen, gibt es verschiedene Qualitätsstufen für Olivenöl, die höchste heißt nativ extra. Hauptkriterium hierfür ist der pH-Wert. Wenn Sie also Olivenbauer sind und zu lange darauf warten mussten, bis Sie an der Großpresse an der Reihe sind und Ihre Oliven in der Zwischenzeit angefangen haben zu gären, hat das gepresste Öl einen zu niedrigen pH-Wert, um als nativ extra eingestuft zu werden. Was einen geringeren Verkaufspreis zur Folge hat und für viele Kleinbauern sehr bitter ist. Ein Problem, das für uns, dank unseres Herstellungsprozesses, nicht existiert. Wir pressen ausschließlich Öl in höchster und reinster Bioqualität.«
»Ah! Jetzt verstehe ich, warum Sie von Ihrem Produkt so überzeugt sind.«
Emilia verschränkte die Arme vor der Brust und sah Klara abschätzend an. Offenbar überlegte sie, wie viel Fachinformation sie ihrem Gast zumuten konnte. Aber wenn Klara vorhatte, etwas als hochwertiges Lebensmittel zu verkaufen, sollte sie tunlichst wissen, woraus es bestand, was es enthielt und wie es hergestellt wurde. Anscheinend sah Emilia Moles das genauso, denn sie fuhr fort: »Wenn Sie zur Erntezeit zu einer der Großpressen fahren, nach Caimari zum Beispiel, das liegt etwa zehn Minuten von hier in Richtung der Berge, dann werden Sie sehen, wie die Bauern Schlange stehen. Die Oliven werden alle zur gleichen Zeit reif, müssen alle zur gleichen Zeit geerntet werden. Und stauen sich dann in der Warteschlange für die Presse. Das kann dauern. Manchmal stehen die Oliven mehrere Tage in der prallen Sonne. Dann passiert genau das, was ich Ihnen gerade erklärte. Teilweise stinken die Oliven sogar schon, bevor sie weiterverarbeitet werden. Aber was sollen die Leute machen? Nicht jeder hat die Mittel für eine eigene kleine Presse, und die Großhersteller können auch nur einen nach dem anderen drannehmen.«
Während Emilia sprach, gestikulierte sie viel mit den Händen. Je länger Klara ihr zuhörte, desto selbstbewusster fand sie die Mallorquinerin. Sie konnte sich bestimmt in ihrer Branche behaupten. Weil sie eine entspannte Sicherheit ausstrahlte, die nicht gespielt war.
Klara schätzte Emilia Moles auf Anfang vierzig. Um ihre Augen lagen Lachfältchen. Zusammen mit der etwas dominanten Nase, den hohen Wangenknochen und den geschwungenen, nicht zu vollen Lippen bildeten sie ein attraktives Gesicht.
Man merkte ihr an, dass sie gern noch mehr gesagt hätte, aber es war bereits spät und fing an zu dämmern. Im Raum war es noch frischer geworden, sodass Klara fröstelte.
»Kommen Sie doch mit ins Haupthaus. Dort können wir das Öl gemütlich verkosten«, schlug Emilia vor.
»Gerne! Ich bin schon sehr gespannt, wie es schmeckt.«
Der dicke Hund zuckte nur kurz mit dem Ohr, als die beiden über ihn hinwegstiegen.
»Pepita liegt den ganzen Tag vor der Tür. Wir haben versucht, sie an einen anderen Platz zu gewöhnen, der nicht gerade unter den Füßen der Leute ist, haben ihr sogar ein Hundesofa gekauft – aber sie ist da eigensinnig. Es müssen die Stufen sein, schon immer. Sobald es Abendessen gibt, wird sie sich zur Küche aufmachen und dort herumlungern, bevor sie sich für die Nacht in mein Schlafzimmer zurückzieht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Was für ein Hundeleben! Aber wir lassen sie machen, weil sie schon etwas betagt ist.«
»Pepita?« Der niedliche Name für den wuchtigen Hund amüsierte Klara.
»Mein Sohn bekam sie als Welpe. Er dachte, sie würde immer ein kleines Fellbündel bleiben …«
Sie gingen durch einen lang gezogenen Gang mit hoher Decke, dessen weiß gekalkte Wände indirekt beleuchtet wurden. Das Innere von Son Pau war geschmackvoll gestaltet. Offensichtlich hatte man die alte Bausubstanz erhalten, so gut es ging, und sie mit hellen, modernen Elementen kombiniert. Am Ende des Flurs befand sich ein großer Raum mit einer verspiegelten Bar sowie einigen Tischen und Stühlen, alles in Creme, Weiß und Silber gehalten. Klara vermutete, dass hier gespeist wurde, wenn es das Wetter draußen nicht zuließ. Heute war es allerdings mild, deswegen traten sie durch eine offene Glastür hinaus in einen Innenhof, eine Art Patio. Nach dem kühlen Produktionsraum spendeten ein paar Feuerschalen wohlige Wärme und trugen zum gemütlichen Ambiente bei. Mit hellem Stoff überspannte Holzgestelle dienten im Sommer als Beschattung für die Tische. Zusätzlich schlängelten sich üppige grüne Kletterpflanzen die Holzsäulen empor. In Töpfen blühte Oleander neben Küchenkräutern.
»Wie hübsch!«, rief Klara aus.
Emilia nahm ihre Begeisterung lächelnd zur Kenntnis und sah Klara dabei zu, wie sie an den Zweigen eines Rosmarinstrauchs rieb und an ihren Fingern roch.
»Was für ein herrlicher Duft! Ich liebe Rosmarin. So einen großen Strauch habe ich noch nie gesehen, das ist fast schon ein Busch. Wissen Sie, in Deutschland kann man im Supermarkt Kräutertöpfchen kaufen, die derartig mickrig sind, dass es gerade mal für ein paar Gerichte reicht. Und ich habe es noch nie geschafft, dass die Pflänzchen sich nach dem Abzupfen wieder erholt haben. Ihrem Koch gehen sicher nie die Kräuter aus.«
»Nein, dieses Problem haben wir nicht. Was das betrifft, können wir aus dem Vollen schöpfen. Rosmarin, Oregano, Thymian, Petersilie – das alles gedeiht hier prächtig.«
»Ihre Gäste können sich wirklich glücklich schätzen, in diesem herrlichen Innenhof speisen zu dürfen«, bemerkte Klara. Aus der Küche drang der Duft von gebratenem Fisch zu ihnen.
»Es dauert noch ein wenig, bis es Essen gibt«, meinte Emilia. »Setzen wir uns doch.«
Wie auf Stichwort erschien ein Kellner und stellte Tomaten, Knoblauch, drei Flaschen Olivenöl und einen Korb mit frischen sowie gerösteten Brotscheiben vor sie hin.
Emilia goss ein wenig von dem Öl in ein flaches Schälchen, zupfte ein Stück des frischen Brots ab und tunkte es hinein. »So schmecken Sie das Aroma des Öls am besten. Wenn man die Oliven relativ früh erntet, ist der Geschmack fruchtig. Je reifer sie sind, desto nussiger wird er.« Sie befüllte eine weitere Schale mit einem anderen Öl und schob den Brotkorb zu Klara, damit sie ebenfalls probieren konnte. Tatsächlich schmeckte man den Unterschied deutlich.
»Beides vorzüglich«, lautete Klaras Urteil. »Aber ich glaube, ich bin eher ein Fan des fruchtigen Öls.«
»Dann sagen Sie mir mal Ihre Meinung hierzu.« Damit goss Emilia ein klein wenig Olivenöl in eine dritte Schale und wartete gespannt darauf, dass Klara ihr Brot hineintauchte.
»Himmlisch! Da könnte ich mich reinsetzen.«
Emilia lachte. »Das dachte ich mir. Sie sind eine Feinschmeckerin. Das ist das wilde Olivenöl. Nur damit Sie es mal probiert haben. Nachdem unser Öl aus der Presse kommt, füllen wir es zuerst in einen Bottich, in dem sich die Schwebstoffe senken können. Nichts wird gefiltert. Das reine Öl obenauf schöpfen wir dann ab.«
»Deswegen die höher liegenden Hähne an den Gefäßen?«, fragte Klara.
»Genau. Anschließend geben wir das Öl in ein Edelstahlgefäß, von dem aus die Abfüllung in die Flaschen erfolgt. Wir lagern es etwa einen Monat lang. Dadurch verliert es an Bitterstoffen, bevor es verkauft wird. Was wir hier verkosten, ist das letztjährige Olivenöl. Wir haben nur noch das, was wir für den Eigenverbrauch und das Hotel behalten haben, aber die Ernte steht kurz bevor.«
Erst jetzt merkte Klara, wie hungrig sie war. Seit dem Mittag hatte sie nichts mehr gegessen, und der Spaziergang durch den Olivenhain an der frischen Luft hatte ihren Appetit geweckt. Glücklicherweise schien es Emilia Moles ähnlich zu gehen, denn sie sagte: »Jetzt zeige ich Ihnen, wie man Pa amb Oli richtig isst. Zumindest wie wir das in meiner Familie machen. Pa amb Oli bedeutet Brot mit Öl, wie sie wahrscheinlich wissen. Praktisch jedes Gasthaus auf der Insel bietet seine eigene Version davon an. Je touristischer, desto exotischere Varianten gibt es, die mit der Grundidee allerdings nicht mehr viel gemeinsam haben.«
Emilia griff nach einer gerösteten Brotscheibe und rieb sie mit einer Knoblauchzehe ein, so enthusiastisch, dass Klara kurz überlegte, ob sie am nächsten Tag irgendwelche Termine hatte, bei denen sie tunlichst nicht nach Knoblauch riechen sollte. Sie gab sich selbst Entwarnung und sah zu, wie Emilia den Vorgang wiederholte, dieses Mal mit einer halbierten Tomate, die ihr Inneres widerstandslos an die raue Brotoberfläche abgab. Natürlich durfte das Beträufeln mit Olivenöl nicht fehlen, bevor Klara das Ganze kosten durfte. Sie entschied sich für das Fruchtige. Mittlerweile war es dämmrig geworden. Ein Angestellter brachte ein Windlicht, und die brennende Kerze darin warf einen Tanz aus Licht und Schatten auf die beiden Frauen. Weil Klara nun ordentlich Hunger hatte, biss sie ohne falsche Scheu herzhaft in das Brot – und entdeckte das Paradies! Wenn ihr vorher jemand gesagt hätte, welche Glückseligkeit dieses bescheidene Mahl in ihr auslösen würde, hätte sie ihn ausgelacht. Brot, Knoblauch, Tomate und Öl! Der Himmel auf Erden!
»Das gehört bei uns sozusagen zu den Grundnahrungsmitteln. Ein sehr einfaches Essen. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen?« Sie schien durch Klaras Schweigen verunsichert, dabei lag es lediglich daran, dass sie vor Verzückung unfähig war zu sprechen. Erst nachdem sie alles verputzt hatte, lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und seufzte.
»Das war das beste Essen aller Zeiten. Wenn ich bis an mein Lebensende nur noch Pa amb Oli bekommen würde, wäre ich ein glücklicher Mensch.«
Emilia brach in schallendes Lachen aus. »Sie sind eine Frau nach meinem Geschmack! Darauf sollten wir anstoßen!«
Auf einen Wink brachte ein Kellner eine Flasche mit einer bräunlichen Flüssigkeit, in der Zweige und Blätter schwammen.
»Hierbas«, stellte Klara fest. »Das kenne ich. Teufelszeug. Allerdings habe ich den eher grün in Erinnerung.«