Der Sprint im Supermarkt - Dietrich Schilling - E-Book

Der Sprint im Supermarkt E-Book

Dietrich Schilling

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Beschreibung

Der Alltag steckt voller Überraschungen: Da ist die junge Frau in der U-Bahn, die am Handy laut ihr Privatleben ausbreitet - oder der ebenso junge Mann, der in dunkler Nacht seinen Müll neben den Glascontainer kippt. Ein maulfauler Arzt wird erst gesprächig, als der Patient ihn auf ein hübsches Bild in seiner Praxis anspricht. Eine Konzertbesucherin verliert ihre Garderobenmarke und eine 5jährige Enkelin erlebt beim Zoobesuch ein unerwartetes Highlight. Und dann noch das Gedränge im Supermarkt vor nur zwei geöffneten Kassen und einer gepflegten Kundin, der es nicht schnell genug gehen kann. Wenn man die Augen öffnet, erlebt man an jeder Ecke ein kleines Abenteuer.

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Seitenzahl: 69

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Dietrich Schilling, Jahrgang 1945, hat nach seinem Germanistik-Studium fast 40 Jahre lang als Hörfunk-Redakteur beim NDR gearbeitet. Er ist verheiratet und lebt als freier Autor in Hamburg.

Stephan Zörnig, Jahrgang 1947, hat in Hamburg als Lehrer am Gymnasium gearbeitet. Er reist gern und spielt Rock’N’Roll.

Inhaltsverzeichnis

Im Sand

Der heimliche Künstler

Der Sprint im Supermarkt

Das Leid der Hornveilchen

Ein analoger Zwischenfall

Der Herr im Haus

So ein Mist

Das Lächeln im Park

Die große Attraktion

Der Schein trügt

Die Garderobenmarke

Zwei Männer

Die Leistungsfähigkeit des Beckenbodens

Nicht mehr dieselbe

1

Im Sand

Es war noch kühl, aber die Hamburger Sonne strahlte von einem ungewöhnlich blauen Himmel. Hoheluft-Ost bereitete sich auf einen wunderschönen Sonnabend vor.

Auf dem Spielplatz schräg gegenüber der Kirche St. Markus hatte er schon begonnen. Eltern wissen, dass dort nur wenige Bänke stehen. Und wer nicht endlos zwischen der großen Rutsche und dem kleinen Bolzplatz herumstehen will, der macht sich rechtzeitig auf den Weg. Wie Joshis Eltern. Die saßen, mit dem Rücken zum Falkenried, längst auf einer Bank und lasen das Hamburger Abendblatt.

Joshi, ihr Sohn, thronte im Sand. Keine 5 m von seinen Eltern entfernt. Bewegungslos wie ein Buddha. Um ihn herum verstreut ein rotes Schäufelchen, ein grünes Schäufelchen, ein Eimerchen und zahllose bunte Förmchen. Doch der zerbröselte Sand-Kuchen, den er gebacken hatte, interessierte ihn nicht mehr. Also schaute er sich nach etwas besserem um. Und das saß ganz in seiner Nähe: ein kleines Mädchen, das einen gelungenen Kuchen nach dem anderen buk. Meditativ versenkt in seine faszinierende Tätigkeit.

Joshi schnappte sich das rote Schäufelchen und krabbelte im Zeitlupentempo auf allen vieren in Richtung kleines Mädchen. Spätestens in diesem Augenblick hätte seinen Eltern Böses schwanen müssen. Doch die lasen das Hamburger Abendblatt und ahnten von nichts.

Erst als sich ein sirenenhafter, messerscharfer Heulton erhob und auch nicht wieder erstarb, wurden sie aufgeschreckt und erkannten das Unheil in seinem ganzen Umfang. Und während sich das kleine Mädchen längst in die Arme seiner herbeigeeilten Mami geflüchtet hatte, schwang Joshi begeistert sein Schäufelchen und zerhackte systematisch all die Sandkuchen, die das Mädchen akkurat nebeneinander aufgereiht hatte.

„Geh du mal!“, sagte Joshis Vater zu seiner Frau. Aber die dachte nicht daran. „Ich geh montags bis freitags, am Wochenende bist du dran.“

Dagegen gab es kein Argument. Etwas unwillig faltete der Vater seinen Zeitungsteil zusammen, erhob sich von der Bank und hockte sich neben Joshi in den Sand. „Pass mal auf, mein Kleiner“, begann er. Aber Joshi passte überhaupt nicht auf. Im Gegenteil. Er ignorierte seinen Papa und zerlegte auch die beiden letzten überlebenden Kuchen.

„Jetzt hör mal zu“, sagte der Vater und gab sich Mühe, seiner Stimme einen angemessen erzieherischen Ton zu verleihen. Doch dann schwieg er. Denn tatsächlich wusste er gar nicht, was er Joshi sagen sollte. „Gib mir mal das Schäufelchen“, bat er schließlich.

Da Joshi sein Zerstörungswerk abgeschlossen hatte, übergab er dem Papa das Schäufelchen. Der wusste aber nicht so recht, was er damit anfangen sollte, und begann aus lauter Verlegenheit einfach ein Loch zu buddeln. Einfach so.

„Los, du auch, Joshi!“

Er drückte ihm das grüne Schäufelchen in die Hand und zeigte ihm, wie man ein Loch gräbt.

Joshi beobachtete ihn stumm, aber tatenlos und verzog keine Miene. Auch seine Mutter beobachtete ihren Mann eine ganze Weile. Was daraus wohl wird, dachte sie.

Doch dann fiel ihr plötzlich etwas ein. Sie legte das Feuilleton neben sich auf die Bank und begab sich ebenfalls in den Sand. Nahm Joshi die grüne Schaufel aus der Hand und begann ebenfalls ein Loch zu buddeln. „Guck mal, Joshi!“

Joshua guckte. Mehr aber nicht.

Doch seine Mutter hatte keine erzieherischen Ziele. Sie buddelte und buddelte und beförderte eine Schaufel Sand nach der anderen aus zunehmender Tiefe.

„Früher auf Langeoog haben wir immer zwei Löcher gegraben und dann unterirdisch einen Tunnel vom einen zum anderen gebohrt“, sagte sie. Woraufhin ihr Mann auch wieder anfing zu buddeln.

Als beide Löcher tief genug waren, begannen die Eltern mit der Tunnelarbeit. Sie trieben von beiden Seiden je einen Stollen aufeinander zu. Das war nicht ganz einfach. Aber je weiter sie vorankamen und je mehr die Spannung wuchs, desto mehr Spaß machte es ihnen. Irgendwann lagen sie beide komplett auf dem Boden. Auf dem Bauch. Konzentriert. Die eine Gesichtshälfte tief in den Sand gedrückt, die Lippen fest zusammengepresst und jeder einen Arm so tief wie möglich in seinen Stollen gesteckt. Die Anstrengung war ihnen in die Gesichter geschrieben. Aber auch die Begeisterung, die Freude.

Joshi begriff, dass etwas Besonderes vor sich ging. Und auch in seinem Gesicht erschien eine erwartungsvolle Spannung.

„Ich hab dich!“, schrie seine Mutter plötzlich.

„Ich auch!“, juchzte sein Vater.

Und ohne es zu sehen, konnte man erkennen, dass sich beide Hände in dem Tunnel tief unten im Sand gefunden haben mussten. Denn auf den Gesichtern, auf beiden, erschien ein seliges Lächeln. Etwa genau so musste es ausgesehen haben, als sie sich vor vielen Jahren ineinander verliebt hatten …

Wie gesagt: Es wurde ein wunderschöner Sonnabend. Auch für Joshi. Aber ganz besonders für seine Eltern.

2

Der heimliche Künstler

„Herr Schilling!?“

„Ja …“

Ich schlug das Buch zu, in dem ich gelesen hatte, stand auf und folgte ihm durch den langen Flur.

Alles war blendend weiß: die Wände, die Deckenleuchten, die lackierten Türen links und rechts, sogar die Bodenvasen. Nur einen weißen Kittel, den trug er nicht; heute sind die Ärzte anders. Auch dieser sah aus wie einer von den unzähligen, ganz normalen Männern in ihren Dreißigern oder Vierzigern. Dynamisch, drahtig laufen sie durch die Welt, immer in Richtung Zukunft. Sneakers, Jeans, T-Shirt, kurze Haare, wahlweise polierte Glatze, durchtrainierter Körper. ‚Selbst die erfahrenen unter ihnen sind inzwischen schon eine ganze Generation jünger‘, dachte ich. Mit schnellem, festen Schritt ging er vor mir her. Ich musste mir Mühe geben, ihm zu folgen, obwohl ich nicht unsportlich bin.

„Hier hinein, bitte!“

Das Sprechzimmer, das ich betrat, sah aus wie eine Mischung aus Arbeits- und Wohnraum. Es hatte nichts mehr gemein mit den nach Medikamenten und Desinfektionsmitteln riechenden Arztzimmern, die ich aus meiner Schulzeit kannte. Zum Fenster hin stand ein Schreibtisch, auf dem nichts zu sehen war außer einem PC. Davor ein ziemlich alter und abgenutzter, aber sehr geschmackvoll bezogener Sessel. In der Ecke ein graphitgrauer Büroschrank mit etlichen Schubladen. Und an der Wand ein paar Bilder.

„Bitte!“

Der Arzt deutete mir an, auf dem Sessel Platz zu nehmen, und verschanzte sich hinter dem PC. Er schien mich schon wieder vergessen zu haben, denn er sagte lange Zeit kein Wort und würdigte mich auch keines Blickes.

Gut, dachte ich, er muss sich erst einmal informieren. Obwohl nicht allzu viele Daten von mir vorliegen konnten, denn ich war erst zum zweiten Mal in dieser Praxis, das erste Mal vor mehr als 5 Jahren. Doch die wenigen, die ihm vorlagen, fesselten offenbar seine ganze Aufmerksamkeit.

Ich ließ ihn gewähren und sah über seinen gebeugten Kopf mit den messerscharf gestutzten Haaren hinweg auf die Wand hinter ihm. Das Bild, das da hing, interessierte mich. Es war ziemlich bunt, und soweit ich es von meinem Platz aus erkennen konnte, zeigte es eine Stadt mit Straßen und Plätzen und sehr vielen Menschen, die ähnlich wie bei Chagall durch die Luft flogen. Doch anders als bei Chagall fühlte man sich nicht wie in einen Traum entführt, sondern in einen riesigen Zirkus, der völlig unzusammenhängende Dinge zeigte, einige nur in ihren Umrissen, andere sehr detailliert. Trotzdem hatte man als Betrachter den Eindruck, dass alles irgendwie zusammenpasste. Es machte einen heiteren Eindruck. Je länger ich es in Augenschein nahm, desto besser gefiel es mir.

Hatte der Arzt etwas gesagt? Oder gefragt?

Ich hatte eine Art Murmeln vernommen, war mir aber nicht sicher. Wenn ja, konnte es kaum mehr als ein