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Was Hubertus Halbfas hier gelungen ist, sucht wirklich seinesgleichen. Wenn ein Buch sich auch 30 Jahre nach dessen erstem Erscheinen ungebrochener Nachfrage erfreut, zugleich aber nichts von seiner geistigen und geistlichen Frische, Originalität und erzählerischen Kraft verloren hat, darf man es wohl zurecht als einen Klassiker bezeichnen. Jetzt erscheint die Jubiläumsausgabe dieser unvergleichlichen, außerordentlich anregenden, eingängigen, inspirierenden Anleitungen zu einem ebenso reichen wie sehr persönlich geprägten spirituellen Leben in einer neuen Ausstattung.
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Seitenzahl: 118
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Buch lesen
Cover
Haupttitel
Inhalt
Quellen
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Hubertus Halbfas
Der Sprung in den Brunnen
Eine Gebetsschule
Patmos Verlag
ICH
Der Brunnen
Das Labyrinth
Der Lebensbaum
GOTT
Die Frage
Der Name
Das Mandala
GEBET
Leben
Lob
Bitte
Für Ansgar, Bernward und Ina
Als zu dem Lehrer einmal ein Junge kam, entspann sich folgendes Gespräch:
DER JUNGE: Ich hab den Wunsch zu lernen. Wollt Ihr mich lehren?
DER LEHRER: Ich glaube nicht, dass du weißt, wie man lernt.
DER JUNGE: Könnt Ihr mich lehren, wie man lernt?
DER LEHRER: Kannst du lernen, mich lehren zu lassen?
Das war für den Jungen eine seltsame Frage. Erst nachdem er sie verstand, wurde er zum Schüler. Vordem war er in allgemeinen Schulen gewesen, wo man glaubt, es genüge die Lehre und die Methode: wer beides kenne, sei bereits Lehrer; wer behalten und anwenden könne, ein guter Schüler. Der Junge hatte erfahren, dass auf diesem Wege meist gleichgültige Dinge verhandelt werden.
Als der Junge sich anschickte, von seinem Lehrer Abschied zu nehmen, bat er ihn, den gemeinsamen Weg aufzuschreiben, damit auch andere ihn finden könnten.
DER LEHRER: Kann man einen Kuss durch Boten senden?
DER JUNGE: Es käme wohl anderes an, als gemeint ist.
DER LEHRER: Genauso wenig kann ein Buch, wenn es um den inneren Weg geht, den Lehrer und die Erfahrung ersetzen.
DER JUNGE: Ich weiß, dass Worte nicht alles vermitteln.
DER LEHRER: Innere Erfahrung ist etwas, das einem geschieht, nicht etwas, das man jemandem geben kann, und schon gar nichts, das man durch Lesen erreicht.
DER JUNGE: Selbst wenn einige glauben, gedruckte Erfahrungen seien wohlfeil, sollte es dich nicht hindern, unsere Gespräche aufzuschreiben. Es gibt auch andere, die sich durch ein Buch auf den Weg eigener Mühe führen lassen.
DER LEHRER: Wenn schon der Versuch gelten soll, kommt alles darauf an, dass er wahre Schüler findet: Schüler, die sich lesend nicht als Leser verstehen.
SCHÜLER: Zeige mir, wie ich beten kann.
LEHRER: Kann ich es dir zeigen? Ich kann es nicht.
SCHÜLER: Bist du denn nicht ein Lehrer der Religion?
LEHRER: Eben deswegen! Beten lernt niemand durch Wissen und Können, sondern durch Erfahren und Leben. Was immer ich weiß, kann dir nicht ersparen, dich selbst zu suchen. Selbst musst du in den Brunnen springen, die Tiefe wagen, den inneren Raum und die innere Zeit entdecken. Hör zu!
Da ging eines Tages der Knabe zu seinen Brüdern. Er sagte zu ihnen: »Gebt Acht! Ich will, dass wir zusammen einen merkwürdigen Ort aufsuchen.«
»Wohin willst du uns denn führen?«, fragten die Brüder.
»Ich will euch dahin führen, wo ihr die Wahrheit über euch selbst erfahren sollt.«
Die Brüder baten ihn: »Lass es doch sein, es lohnt sich nicht. Danke, wozu sollen wir schon wieder ausziehen?« Sie wollten nicht gehen. Der Jüngste aber bestand darauf: »Entweder kommt ihr mit, oder ich bringe mich um!« So zwang er sie, mit ihm zu gehen.
Sie gingen lange, und noch am selben Tage kamen sie zu jenem Brunnen. Der Jüngste sagte zum Ältesten: »Ich will dich anbinden und in den Brunnen hinunterlassen. Schau dir an, was es dort im Brunnen gibt.«
Der Älteste fing zu weinen an. »Warum willst du mich in den Brunnen hinunterlassen?« Er hatte Angst, in den Brunnen zu gehen. Er bat um Gnade. Der Jüngste sagte zu ihm: »Bitte nicht um Gnade, wir müssen dorthin!« Er band ihm den Strick um und ließ ihn hinunter. Aber kaum war der Bruder ein paar Klafter tief, fing er zu schreien und zu weinen an, – noch ein bisschen, und die Angst zerreißt ihn. »Ich sterbe, ich sterbe!« Er war noch nicht einmal ein Viertel des Brunnens hinunter. Der Knabe zog ihn heraus, denn er sah, was für ein Mensch das war.
Dann kam der Zweite. Der Knabe band auch ihn und ließ ihn hinunter. Er war kaum bis zur Hälfte des Brunnens gekommen, da begann er zu schreien vor lauter Angst. »Ich sterbe, ich sterbe!« Er zog ihn heraus.
Dann kam die Reihe an den Jüngsten. Er sagte: »Hört zu! Wie viel ich auch weinen und schreien werde, zieht mich nicht hoch. Lasst mich hinunter, bis ihr fühlt, dass der Strick leicht geworden ist.« Die Brüder fingen ihn zu bitten an: »Du bist unser Jüngster! Warum willst du von uns gehen?« Sie baten, er möge sie doch nicht verlassen, aber er wollte nicht auf sie hören. Da banden sie ihn und ließen ihn hinunter.
SCHÜLER: Das ist eine schöne Geschichte. Ich möchte wissen, wie sie weitergeht.
LEHRER: Es ist nicht irgendeine Geschichte, es soll deine Geschichte werden. Wohin sie führt, musst du selbst erproben.
SCHÜLER: Aber wo gibt es den Brunnen, in den ich springen könnte?
LEHRER: Weitab und doch nahe. »Sie gingen lange, und noch am selben Tag kamen sie an«, heißt es. Je weiter du in die Welt ausschweifst, umso entfernter bist du ihm. Suchst du bei dir, schaust du über seinen Rand.
SCHÜLER: Dann ist der Brunnen in mir?
LEHRER: Deine eigene Tiefe!
SCHÜLER: Aber warum dann Angst haben. Was in mir ist, muss ich doch nicht fürchten?
LEHRER: Nichts ist den Menschen unbekannter und erschreckender als die eigene Seele. Die meisten Menschen haben Todesängste, in das Brunnenloch zu steigen und den Abstieg zum unbekannten Seelengrund zu wagen. Sie leben nur außen, von allem gefesselt, was zur Schau gestellt wird, aber sie werden schon verwirrt, wenn sie nur einen Blick über den Brunnenrand werfen sollen. Ihre Sicherheit liegt im Geläufigen der äußeren Welt; vor der Tiefe in sich selbst sind sie voll hilfloser Not. Aber der Brunnen ist noch nicht verschüttet. Wer ehrlich will, kann ihn finden und das Wagnis beginnen.
SCHÜLER: Ich bin nicht sicher, dass ich das will.
LEHRER: Dann zähl dich zu den älteren Brüdern. Sie bilden die Mehrheit. Mit ihnen verbindet sich keine Hoffnung.
SCHÜLER: Wie also komme ich in die Tiefe?
LEHRER: Zunächst musst du mit dir allein sein können! Wenn du es versuchst, wirst du sehen, wie schwer das ist. Du kannst unruhig werden und sogar Angst verspüren. Dann wird dich nichts anderes drängen als der Wunsch, schnell wieder nach oben zu kommen. Du wirst dir vorsagen, Alleinsein sei sinnlos, führe zu nichts, und Ähnliches.
SCHÜLER: Und? Ist es wirklich anders?
LEHRER: Es ist anders. Aber nicht sofort und nicht nach drei Wochen. Dazu gehören Beständigkeit und Geduld. Für jemanden, der das Alleinsein wieder und wieder übt, verändert sich die Welt. Dann werden die Dinge zugänglich: Es wird zugänglich der Baum, zugänglich wird der Himmel, zugänglich wird der Bach. Was zuvor im geschäftigen Leben nur zufällig da war, wird jetzt die eigentliche Welt. Die kann man nur durch häufiges, müh-seliges Alleinsein erfahren.
Hier sind ein paar Übungsaufgaben für dich. Schreibe sie auf einen Zettel. Sooft du alleine bist, kannst du sie immer wieder lesen, bis du die Texte inwendig verstehst.
Geht man nicht aus der Tür,kennt man die Welt.Blickt man nicht aus dem Fenster,sieht man des Himmels Weg.Je weiter man ausgeht,desto weniger kennt man.
Das Kleine sehen,heißt erleuchtet sein,das Weiche bewahren,heißt stark sein.Braucht man sein Leuchtenund kehrt zu seinem Licht zurück,so verliert man nichts bei des LeibesZerstörung.Das heißt: in das Ewige eingehen.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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