Der Tanz auf dem Vulkan - Al Weckert - E-Book

Der Tanz auf dem Vulkan E-Book

Al Weckert

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Beschreibung

Von morgens bis abends begegnen uns Menschen, die uns mehr oder weniger offen ihre Gefühle zeigen: neugierige oder wütende Kunden, zuversichtliche oder hilflose Kollegen, motivierte oder verzweifelte Chefs, lebhafte oder genervte Kinder, fröhliche oder resignierte Ehepartner … Durch Gefühls-Äußerungen möchte unsere Umwelt Gefühls-Reaktionen in uns auslösen und auf erfüllte bzw. unerfüllte Bedürfnisse hinweisen. Doch der Umgang mit Emotionen, insbesondere mit starken und als negativ empfundenen, wirkt auf viele Menschen kompliziert und angsteinflößend. Das in diesem Buch von Al Weckert vorgestellte Trainingssystem basiert auf der Methode der Gewaltfreien Kommunikation (GFK). Die Methode „Tanz auf dem Vulkan“ wurde von Monika Oboth für Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen und Organisationen, für Mediatoren und Konflikttrainer, für Erzieher und Lehrer, für Therapeuten, Ärzte und Pflegekräfte, sowie für alle Menschen entwickelt, die etwas über den Umgang mit starken Gefühlen lernen wollen.

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Seitenzahl: 197

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Al Weckert & Monika ObothDer Tanz auf dem VulkanGewaltfreie Kommunikation und Neurobiologie in Konfliktsituationen

Über dieses Buch

Entwicklung und zwischenmenschliche Verbindung in Konflikten 

Von morgens bis abends begegnen uns Menschen, die uns mehr oder weniger offen ihre Gefühle zeigen: neugierige oder wütende Kunden, zuversichtliche oder hilflose Kollegen, motivierte oder verzweifelte Chefs, lebhafte oder genervte Kinder, fröhliche oder resignierte Ehepartner … Durch Gefühls-Äußerungen möchte unsere Umwelt Gefühls-Reaktionen in uns auslösen und auf erfüllte bzw. unerfüllte Bedürfnisse hinweisen. Doch der Umgang mit Emotionen, insbesondere mit starken und als negativ empfundenen, wirkt auf viele Menschen kompliziert und angsteinflößend. 

Das in diesem Buch von Al Weckert vorgestellte Trainingssystem basiert auf der Gewaltfreien Kommunikation (GFK). Die Methode »Tanz auf dem Vulkan« wurde von Monika Oboth für Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen und Organisationen, für Mediatoren und Konflikttrainer, für Erzieher und Lehrer, für Therapeuten, Ärzte und Pflegekräfte sowie für alle Menschen entwickelt, die etwas über den Umgang mit starken Gefühlen lernen wollen.

Al Weckert ist Mediator, Trainer für GFK und Experte für Modelle nachhaltiger Konfliktbearbeitung in Unternehmen. Mit dem »Empathienavigator« entwickelte er die erste GFK-App. http://www.empathie.com

Monika Oboth ist Wirtschaftsmediatorin, Führungskräftecoach, Coachingausbilderin und zertifizierte GFK-Trainerin. http://www.bmc-germany.de

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2012 2. Auflage 2017 

Coverfoto: © Beboy_ltd – istockphoto.com 

Layout, Satz & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn 

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2017

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-714-8

ISBN dieses E-Books: 978-3-87387-902-7 (EPUB), 978-3-95571-137-5 (PDF), 978-3-95571-136-8 (MOBI).

Prolog

„Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort.“

Joseph Freiherr von Eichendorff

Vorwort

Dieses Buch ist für mich das, was man gemeinhin eine Herzensangelegenheit nennt. In meiner Kindheit waren starke Gefühlsäußerungen (von gegenseitigem Anschreien bis zu völligem Rückzug) Alltag in der Herkunftsfamilie. Einige dieser Muster habe ich als Ehemann und Vater reproduziert. Als Konfliktprofi merkte ich später, dass starke Gefühlsäußerungen nicht nur das Privat-, sondern auch das Berufsleben entscheidend beeinflussen. Jeder Gedanke, jede Entscheidung und unser gesamtes Handeln sind an Emotionen geknüpft.

Mit der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall Rosenberg fand ich ein Handwerkszeug, um Gefühlsäußerungen bei mir und anderen deutlicher wahrzunehmen. Mir wurde bewusst, dass Menschen letztlich immer von der Sehnsucht nach Bedürfniserfüllung angetrieben werden. Wenn Bedürfnisse im Mangel sind, drückt sich das in starken Emotionen wie Wut oder Trauer aus. Ist der Bedürfnistank randvoll gefüllt, kommen Freude oder Leichtigkeit auf.

Ein besonders effizientes Trainingswerkzeug für den Umgang mit starken Gefühlsäußerungen ist das „Training mit dem Roten Tuch“, das meine Schwester und Kollegin Monika Oboth entwickelt hat. Mithilfe des „Roten Tuchs“ lässt sich der Aufbau von ehrlichem, spontanem, authentischem und empathischem Kontakt in Seminaren und Workshops trainieren. Beim Üben prägt sich als weiterer Effekt ein flexibles und flüssiges Vokabular an Gefühlswörtern und Bedürfnisbegriffen ein.

Während der gemeinsamen Arbeit mit Monika Oboth als Ausbilderin für Mediation und Gewaltfreie Kommunikation durfte ich viele Varianten des Roten Tuchs erlernen und weiterentwickeln. Doch erst bei der Beschäftigung mit aktuellen neurobiologischen Studien wurde mir der größere Zusammenhang klar, in dem sich diese Übungen bewegen. Der Einsatz des Roten Tuchs dient drei zentralen Bedürfnissen: (1) zwischenmenschliche Verbindung herzustellen, (2) in Konflikten Entwicklung zu ermöglichen und (3) in eskalierenden Situationen Sicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.

Ich erläutere in diesem Buch auch die neurobiologischen Hintergründe, auf denen die Arbeit mit dem Roten Tuch basiert. Vorwegnehmen möchte ich jedoch, dass Logik, Wissenschaft und Gesprächstechnik eines niemals ersetzen können: Haltung. Eine empathische Grundhaltung geht nur aus Inspiration, Selbsterfahrung und Feedback hervor. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen den bestmöglichen Lernverlauf.

Als Materialgrundlage für die Übungen eignet sich jedes beliebige Stofftuch in roter Farbe. Wir empfehlen ein Format von mindestens 70 x 70 cm. 

Al Weckert

Vom Nutzen dieses Buches

Dieses Buch widmet sich der Vereinfachung eines Themas, das auf viele Menschen kompliziert und angsteinflößend wirkt: des Umgangs mit starken Emotionen. Von morgens bis abends begegnen uns Menschen, die uns mehr oder weniger offen ihre Gefühle zeigen. Dabei handelt es sich um neugierige oder wütende Kunden, zuversichtliche oder hilflose Kollegen, motivierte oder verzweifelte Chefs, lebhafte oder genervte Kinder, fröhliche oder resignierte Ehepartner ... Durch Gefühlsäußerungen möchte unsere Umwelt Gefühlsreaktionen in uns auslösen und auf erfüllte bzw. unerfüllte Bedürfnisse hinweisen.

Das Erkennen und Verstehen von Gefühlen und Bedürfnissen anderer Menschen lernen wir rein intuitiv im Kindesalter. Die Qualität des Erlernten ist davon abhängig, wie gut unsere Eltern (und andere Bezugspersonen) uns das Entschlüsseln von Gefühlsäußerungen vorleben, insbesondere in der Beziehung zu uns. Gesellschaftlich erfahren wir kaum Hilfreiches zu diesem Thema. Im Gegenteil: Unsere Alltagssprache vermischt den Ausdruck von Gefühlen systematisch mit Gedanken und Interpretationen.

Wenige „normal“ erzogene Menschen sind ohne intensives Training in der Lage, hinter Abwertungen der eigenen Person („Ich bin sauer, weil du ständig unpünktlich bist“) spontan das eigentliche Anliegen des Gegenübers zu erfassen (zum Beispiel den Wunsch nach Entlastung), ohne den anderen zu verurteilen. Die meisten Menschen versuchen sich instinktiv vor Schuldzuweisungen und Aggression zu schützen. Unsere Alltagssprache, die vor allem auf gegenseitiger Bewertung basiert, fördert eine Kultur des emotionalen Mauerns anstatt des mitfühlenden Verstehens.

Aus diesem Grund möchte ich Ihnen in diesem Buch ein Trainingssystem vorstellen, mit dessen Hilfe Sie sich ohne Angst für starke Gefühlsäußerungen Ihres Gegenübers öffnen können. Das Training basiert auf der Methode der Gewaltfreien Kommunikation, deren Grundannahmen in den letzten Jahren durch neurobiologische Forschungen eindrucksvoll bestätigt wurden. Das Verstehen anderer Menschen ist für alle Beteiligten nützlich und angenehm. Es verpflichtet zu nichts (Verstehen bedeutet, nicht einverstanden zu sein), aber es fördert Verbindung und Klarheit. Es beinhaltet unglaubliche Chancen, Beziehungen zu kultivieren, welche die Bedürfnisse aller Parteien berücksichtigen.

An wen sich dieses Buch richtet

Die Methode „Tanz auf dem Vulkan“ wurde für Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen und Organisationen, für Mediatoren und Konflikttrainer, für Erzieher und Lehrer, für Therapeuten, Ärzte und Pflegekräfte sowie für Familien, Paare und alle anderen Menschen entwickelt, die etwas über den Umgang mit starken Gefühlen dazulernen wollen.

Im Berufsleben kann sie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit fördern und zu stabilen Arbeitsbeziehungen beitragen. Mediatoren und Konflikttrainern nützt die Methode beim Umgang mit eskalierten Konfliktsituationen und bei der Konfliktprävention. Erzieher und Lehrkräfte erhalten mit ihr ein effektives Werkzeug, um Kindern dabei zu helfen, sich konstruktiv auszudrücken. In Familien und Liebesbeziehungen kann eine entwickelte Fähigkeit zu Selbst- und Fremdempathie den Vertrauensbeweis und die Chancen sichtbar machen, die hinter starken Gefühlsäußerungen verborgen sind. Ärzten, Therapeuten und Angehörigen von Pflegeberufen bietet der Tanz auf dem Vulkan eine geniale Möglichkeit, die Situation und die Bedürfnisse von Patienten, Heimbewohnern und deren Angehörigen auch in angespannten und konfliktbelasteten Situationen besser zu verstehen.

Das Erspüren von Emotionen und das Bewusstsein für erfüllte und unerfüllte Bedürfnisse gibt Menschen ein wirkungsvolles Navigationssystem auf dem Weg zu Eigenverantwortlichkeit und persönlichem Glück in die Hand. Der Tanz auf dem Vulkan fördert vertrauensvolle Beziehungen und nachhaltige Arbeits-, Lern-, Therapie- und Pflegeerfolge.

Von der Methode zur Haltung

Das Buch ist das Ergebnis Hunderter Trainings und Gespräche zum „Umgang mit starken Gefühlen“. Es fasst zusammen, was sich – aus meiner Sicht – aktuell zu diesem Thema durch Worte ausdrücken lässt. Vor allem aber beschreibt es ein wichtiges menschliches Grundthema, eine Herausforderung für jeden neuen Tag.

Im Idealfall entwickelt sich aus der Anwendung der in diesem Buch beschriebenen Methode auf längere Sicht eine Haltung, die zu einem (absichtslosen) gegenseitigen Verstehen führt. Das Buch drückt die tief verwurzelte Sehnsucht aus, zwischenmenschliche Gräben zu überbrücken, indem wir Zugang zu uns selbst und zu den Herzen anderer finden – gerade dann, „wenn es knallt“.

1. Der Tanz auf dem Vulkan

1.1 Warum empfinden und zeigen wir Gefühle?

Die Natur versorgt uns mit Gefühlen, um uns zu leiten. Wir speichern in unseren Zellen ab, was wir bei einer Handlung körperlich fühlen. Wenn wir eine Handlung wiederholen oder die Wiederholung einer Handlung planen, ruft unser Gehirn die in den Zellen gespeicherte Erfahrung ab. Es findet also ein ständiger Austausch von Psyche und Körper statt, jede unserer Handlungen (und darunter fällt auch die Planung einer Handlung) wird von Gefühlen begleitet.

Einige Erinnerungen empfinden wir als angenehm, andere als unangenehm. Manche Erinnerungen lösen in uns regelrechte Panikzustände aus, bei anderen machen wir Freudensprünge. Das Wort „Emotion“ verbindet das Präfix „e“ mit dem lateinischen Verb „movere“ und ergibt zusammengenommen die Bedeutung, „sich aus etwas heraus bewegen“. Handelt es sich um unangenehme Emotionen, wollen wir einen unangenehmen Zustand beenden oder verändern. Ist der Zustand angenehm, möchten wir zu seiner Verlängerung beitragen.

Menschen fühlen sich wohl, wenn ihre Bedürfnisse erfüllt sind. Gefühle agieren dabei wie Agenten. Sind unsere Bedürfnisse erfüllt, fühlen wir uns wohl. Sind wichtige Bedürfnisse im Mangel, treten Gefühle des Unwohlseins auf. Warum jedoch zeigen wir Gefühle auch nach außen und nicht nur nach innen?

Seit jeher lebt der Mensch in kleinen und großen Gruppen. Unsere neurobiologischen Systeme belohnen kooperatives Verhalten durch Ausschüttung körpereigener Stoffe, die Glückszustände auslösen. Dieses innere System hat die Menschheit in grauer Vorzeit auch unter härtesten Umweltbedingungen und existenziellsten Bedrohungen als Kollektiv überlebensfähig gemacht.

Wie können nur kooperieren, wenn wir in der Lage sind, die Bedürfnisse anderer Menschen mit einigermaßen hoher Treffsicherheit zu erkennen und richtig zu deuten. Gefühlsäußerungen sind die äußerlichen Anzeichen, die Menschen dazu befähigen, anderen Menschen anzusehen, ob sie sich wohl- oder unwohl fühlen. Die Übersetzungsarbeit übernehmen Spiegelneurone, die in uns „nachspielen“, was andere fühlen.

Gefühle haben also zwei wesentliche Leitfunktionen: Sie helfen uns dabei herauszufinden, was (1) wir und (2) andere Menschen brauchen.

1.2 Gold in schmutziger Verpackung

Solange sich Gefühlsäußerungen in einem bestimmten gesellschaftlich akzeptierten Korridor bewegen, stößt sich niemand an ihnen. Anders ist es in Konflikten oder schwierigen Situationen. Unangenehme Gefühle lösen bei uns und anderen Schmerzen aus. Sie lassen sich in den Schmerzzentren unseres Gehirns nachweisen. Bei innerer Not zeigen wir uns von unserer Schattenseite.

Das Erste, was Menschen in Notsituationen probieren, ist das Aussenden von Signalen. Wir zeigen Emotionen in Gesicht, Körperhaltung und Stimme. Je nach Dringlichkeit fallen diese Signale deutlich bis drastisch aus. Mit diesen Signalen verbinden wir die begründete Hoffnung auf Verständnis und Reaktion.

Eine andere Variante von Selbstschutz ist die Aggression. Spätestens, wenn es um unsere körperliche Unversehrtheit geht, werden wir rabiat. Inzwischen wissen wir durch die neurobiologische Forschung, dass Gefühle immer etwas mit körperlichen Zuständen zu tun haben. Das erklärt, warum Menschen auch Worte als Angriff auf ihre Souveränität erleben können.

In Konflikten (insbesondere in eskalierten Konflikten) verbinden sich emotionaler Selbstausdruck und Aggression zu einer explosiven Mischung. Die Konfliktparteien suchen nach Schuldigen. Sie erhoffen sich Entlastung durch eine Verhaltensänderung der Gegenseite. Dabei werden häufig Druck und Zwang angewendet.

Aggression ist jedoch nicht per se etwas Schlechtes. Sie beinhaltet auch eine sehr vitale Komponente. Ohne Aggression wären wir schutzlos. Als Intervention versagt sie immer dann, wenn wir nicht zu Kooperationsangeboten zurückfinden, sobald die unmittelbare Not gelindert ist.

Empfänger einer aggressiven Botschaft können deeskalierend reagieren, wenn ihnen bewusst ist, dass hinter starken Gefühlen und Aggression „Gold in schmutziger Verpackung“ verborgen steckt. Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Anklagen, Spott und Rückzug weisen auf elementare Bedürfnisse hin, die beim Sender im Mangel sind und deren Erfüllung über den Weg der Aggression durchgesetzt werden soll.

Dieses Buch handelt davon, wie starke Gefühlsäußerungen wieder zu dem werden können, was sie ursprünglich waren: überdeutliche Notsignale und Hinweisgeber auf (subjektiv) lebenswichtige unerfüllte Bedürfnisse.

1.3 Der Tanz auf dem Vulkan

Auf der Seite des Interversandhändlers Amazon wird ein Taschenmesser der Schweizer Firma Wenger angeboten, das über 87 Werkzeuge mit 141 Funktionen verfügt. Mit diesem Universal-Tool in der Tasche steht man keiner Situation mehr hilflos gegenüber. Es enthält unter anderem einen U-Bahntunnelbohrer, eine mobile Disko mit 700 Leuchteffekten und einen Teilchenbeschleuniger.

Ist es nicht der Traum eines jeden Kommunikationsprofis, ein vergleichbar kompaktes Werkzeug für eskalierende Gesprächssituationen in der Tasche zu haben? Ein Tool, das sich trainieren lässt und bei kaltem Schweigen oder heißen Tränen, giftigen Bemerkungen und trockenen Aufrechnungen, bei Nachkarten und launigen Sprüchen, beißendem Zynismus oder überheblichen Urteilen und sogar bei gnadenlosen gegenseitigen Abwertungen zu überraschenden Gewinnen für den Verständigungsprozess führt?

Aus Sicht der Gewaltfreien Kommunikation stellt Erste-Hilfe-Empathie ein solches Allround-Werkzeug dar. Indem wir die Emotionen der Beteiligten ansprechen und deren Wortbeiträge unmittelbar in die dahinter liegenden Bedürfnisse übersetzen, erfahren wir etwas über die in ihnen enthaltenen Ich-Botschaften. Durch die Übersetzung werden diese Ich-Botschaften von Schuldzuweisungen bereinigt. Den „entgifteten“ Botschaften lässt sich wesentlich leichter zuhören.

Der Tanz auf dem Vulkan – die Übersetzung starker Gefühle in die dahinter liegenden Interessen – ist ein Allzweck-Tool, das die beteiligten Parteien in heiklen Phasen eines Konflikts überraschen und für einen unerwarteten Stimmungswandel sorgen kann. Er verkörpert die kantige Seite der Gewaltfreien Kommunikation, die Wut, Aggression, Enttäuschung und Ärger im Konflikt willkommen heißt.

Der Tanz auf dem Vulkan trainiert unter Zuhilfenahme des Roten Tuchs ein Handwerkszeug, um angstauslösende Gefühlsausbrüche sicher aufzunehmen. Er begegnet Anliegen, die sich hinter extremen Formulierungen verbergen, mit Wertschätzung und verzichtet auf Ratschläge und Bewertungen. Er lädt die Streitparteien dazu ein, sich authentisch zu zeigen, wenn es in ihnen kocht, anstatt die Lava ihres inneren Vulkans so lange zu deckeln, bis sich die Wut in Form einer unkontrollierten Explosion mit vernichtender Wirkung breit macht.

1.4 Das Training mit dem Roten Tuch

Das Training mit dem Roten Tuch eignet sich als Soforthilfe-Tool für zahlreiche Kommunikationssituationen in Verbindung mit starken Gefühlen. Besonders effizient können mithilfe des Roten Tuches folgende Fälle trainiert werden:

Wenn eine Streitpartei eine weitere anwesende Person massiv abwertet.

Wenn Ihr Gegenüber sein Anliegen auf einem Silbertablett präsentiert, ohne es klar ausdrücken zu können.

Wenn Streitparteien sich gegenseitig die Schuld für einen Konflikt zuweisen.

Wenn Beteiligte ihre Anliegen nur indirekt äußern (z. B. durch Körpersprache).

Wenn abwesende Dritte angeklagt werden.

Wenn Sie selbst angegriffen oder abgewertet werden.

Wenn zwei Personen sich in hohem Tempo gegenseitig attackieren.

Wenn eine Situation mit vielen Beteiligten eskaliert.

Wenn „alte Geschichten“ die Konfliktdarstellung dominieren.

Wenn wiederholt auf einen Mangel anstatt auf Bedürfnisse, Möglichkeiten und die angestrebten konkreten Ziele geschaut wird.

Das Rote Tuch ist ein Hilfsmittel zu Trainingszwecken. Rot ist die meistgebrauchte Farbe für Aggression, Alarm und Haltesignale. Ein Rotes Tuch wird im Stierkampf verwendet, um Bullen zum Äußersten zu treiben. Beim Tanz auf dem Vulkan wird das Tuch zur Arbeit in Trainingsgruppen genutzt. Im Rahmen spezieller Übungen werden die Teilnehmer dazu eingeladen, echte eigene Erlebnisse, die mit starken Gefühlen verbunden sind, einzubringen. Dabei stellt sich der jeweilige Falleinbringer auf das Rote Tuch, um von dort aus seine Situation darzustellen. Auf dem Roten Tuch kann er Wut, Enttäuschung, Trauer oder Ekel ungefiltert artikulieren.

In jeder Übungsrunde gibt es einen Zuhörer, der – anstatt seinerseits zurückzuschlagen – einen empathischen Kontakt mit dem Erzähler sucht. Der Zuhörer ist der eigentliche Übende. Er hört aktiv zu, verbindet sich mit den Emotionen des Falleinbringers und übersetzt alle Aussagen, die Schuldzuweisungen oder Urteile enthalten, in die dahinter liegenden Gefühle und Bedürfnisse. Spürt der Falleinbringer, dass der Zuhörer ihn versteht, verlässt er das Rote Tuch und signalisiert dadurch das Ende der Übung. Falleinbringer und Zuhörer befinden sich nun in einer offenen, einfühlsamen Verbindung.

1.5 Vorbereitung der Kleingruppenübungen mit dem Roten Tuch

Eine typische Trainingssituation mit dem Roten Tuch erfordert das Mitwirken von drei Übenden in einer Kleingruppe. In Seminaren wird die Gesamtgruppe (zum Beispiel per Losverfahren) in Dreiergruppen aufgeteilt. Bleiben ein oder zwei Personen übrig, können zusätzlich zu den Dreiergruppen eine oder zwei Zweier- oder eine Vierergruppe gebildet werden.

Jede Kleingruppe bekommt ein Rotes Tuch zum Üben und jeder Teilnehmer eine schriftliche Anleitung mit Übungsbeispielen als Handout. Die Übungszeit in der Kleingruppe wird laut und deutlich angesagt und an die Tafel (Whiteboard oder Flipchart) notiert. Für die Übungen mit dem Roten Tuch hat sich ein Zeitraum zwischen 30 und 60 Minuten bewährt. In dieser Zeitspanne erhält jeder Teilnehmer mehrfach Gelegenheit, den Tanz auf dem Vulkan als Falleinbringer und Zuhörer zu erleben und zu üben.

In den Übungssequenzen werden Dialogsituationen zwischen einem Falleinbringer und einem Zuhörer trainiert. Bei den Situationen, die auf dem Roten Tuch dargestellt werden, handelt es sich um Erlebnisse aus dem echten Leben der Falleinbringer. Eine solche Situation kann sich im Büro, auf dem Flur eines Unternehmens oder einer Organisation, in der Teeküche einer Abteilung, in einem Meeting oder einem Mitarbeitergespräch, während einer Präsentation, im Verlauf einer ärztlichen Untersuchung, auf dem Amt, in der Schule, beim Abendbrot, im Kinderzimmer oder in jedem beliebigen anderen Umfeld abgespielt haben.

Rollenverteilung innerhalb der Kleingruppen

Zunächst wird das Rote Tuch auf dem Boden ausgebreitet. Das Tuch steht für starke Konfliktenergie. Anschließend machen die Rollenspieler untereinander aus, wer in der ersten Übungsrunde als Falleinbringer auf das Rote Tuch tritt und wer als Erstes die Rolle des Zuhörers übernimmt. Zusätzlich zu den Rollen des Falleinbringers und Zuhörers wird in jeder Übungsrunde an die dritte Person der Kleingruppe eine Beobachterrolle vergeben. Nach jeder Übungsrunde wechseln die Rollen, sodass jeder Teilnehmer im Verlauf der Übungszeit mehrfach Falleinbringer, Zuhörer und Beobachter ist.

Der Falleinbringer:

Bevor sich der Falleinbringer auf das Rote Tuch stellt, überlegt er sich eine Situation, in der er selbst starke Gefühle erlebt hat, die er zu Übungszwecken in die Kleingruppe einbringen möchte. Wenn beispielsweise der Umgang mit Situationen trainiert wird, in denen abwesende Dritte angeklagt werden, überlegt er sich eine Situation, in der er wütend über eine dritte Person gewesen ist. Anschließend stellt sich der Falleinbringer auf das Rote Tuch und spielt die Situation vor, in der er sich gegenüber dem Zuhörer über eine abwesende dritte Person beklagt.

Der Zuhörer:

Während der Falleinbringer sich auf seine Rolle vorbereitet, stimmt sich der Zuhörer auf eine empathische Grundhaltung ein. Um die Sichtweise des Falleinbringers zu verstehen, muss er nicht mit dessen Urteilen einverstanden sein. Er vergegenwärtigt sich, dass eine besondere Qualität der Verbindung zwischen ihm und dem Falleinbringer entstehen kann, wenn er sich in sein Gegenüber einfühlt, bis dieses Signale der Entspannung zeigt oder verbal bestätigt, dass der Zuhörer seine Anliegen verstanden hat.

Der Beobachter:

Der Beobachter gibt dem Falleinbringer und dem Zuhörer nach der Übung Feedback. Das Feedback beinhaltet Resonanzen, die das Rollenspiel in ihm ausgelöst hat.

1.6 Eine beispielhafte Trainingssequenz: „Anklagen gegen abwesende Dritte“

Das folgende Kapitel soll eine ganz konkrete Vorstellung von einer Trainingseinheit mit dem Roten Tuch vermitteln. Dargestellt wird der Ablauf eines Rollenspiels am Beispiel einer Situation, in der eine abwesende dritte Person vom Falleinbringer beschuldigt wird, etwas falsch gemacht zu haben. Bei „Anklagen gegen abwesende Dritte“ handelt es sich um typische Gesprächssituationen, wie sie im Büro, zwischen Kollegen und Freunden, in der Schule oder zu Hause sehr häufig vorkommen.

Der Falleinbringer spielt die Gefühle der Echtsituation

Der Falleinbringer überlegt sich eine Situation, in der er auf eine dritte Person sauer gewesen oder heute noch wütend ist. Er bezieht sich im Spiel auf eine Echtsituation, die er selbst erlebt hat. Er beginnt die Übungsrunde, indem er eine Kostprobe seiner Gefühlslage abliefert. Er stellt sich auf das Rote Tuch, schimpft oder erstarrt, schüttelt die Arme oder zieht sich in sich zurück, erklärt seine Sichtweise oder erstickt die Konversation in Schweigen. Er stellt seine Emotionen so dar, wie er sie aus der Echtsituation erinnert oder auch jetzt noch fühlt.

Der Zuhörer steigt in den Dialog ein

Spätestens nach drei bis fünf Sätzen fasst der Zuhörer zusammen, was er bis hierhin gehört und verstanden hat. Schweigt der Falleinbringer zu Anfang des Rollenspiels (das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn er einen Moment großer Frustration oder eines Schocks darstellt), äußert der Zuhörer eine Vermutung, wie es dem Falleinbringer gerade geht, die sich rein intuitiv aus seinen Beobachtungen ergibt.

Der Zuhörer nutzt bei der Wiedergabe des Gehörten die Techniken des Aktiven Zuhörens und des körpersprachlichen Spiegelns, wie sie im weiteren Verlauf des Buches ausführlich erklärt werden. Zwischenzeitlich schweigt er und drückt durch Brummsprache („Aha“, „Oh!“) seine Präsenz und sein Interesse aus. Er achtet auf seine innere Resonanz, während er dem Falleinbringer zuhört.

Inhaltlich fasst der Zuhörer alle Fakten, Gefühle und Bedürfnisse zusammen, die aus der Darstellung des Falleinbringers hervorgehen. Er lässt keine wichtigen Aussagen unter den Tisch fallen, er verharmlost nicht und er erkennt die Not an, die hinter Schuldzuweisungen verborgen liegt.

Durch das Aktive Zuhören erfährt der Falleinbringer Wertschätzung für die wertvolle Lebensenergie, die er bislang nur in der destruktiven Form von Sarkasmus, Beschimpfung, Wut oder Bitterkeit ausdrücken konnte. Der Falleinbringer ist meistens überrascht, dass ein anderer Mensch so schnell und tief greifend verstehen kann, wie es ihm geht.

Beispieldialog

Der Falleinbringer schimpft: „Frau Meier lässt sich in keinem Meeting blicken und vermeidet jeden telefonischen Austausch. Sie delegiert die Aufgaben an die mittlere Führungsebene, die untereinander Zoff hat und auch nichts entscheidet. Ich habe das von Anfang an bemängelt.“

Die Reaktion des Zuhörers könnte lauten: „Sind Sie sauer, weil Sie sich regelmäßigen Kontakt zu Ihrem Auftraggeber wünschen? Sind Sie frustriert, weil Sie sich Anerkennung dafür wünschen, dass Sie seit langer Zeit eine andere Zusammenarbeit anmahnen?“

Was auf Papier möglicherweise synthetisch klingt, bewirkt in einer Echtsituation Wunder! Der von starken Emotionen gepackte Falleinbringer erhält unübersehbare Zeichen, dass sein Anliegen gehört und verstanden wird. Statt im Mangel zu verharren, verhilft ihm der Zuhörer zu mehr Klarheit bezüglich seiner Bedürfnisse. Eine Lösung, die zu seinen Bedürfnissen passt, kann eine wirkliche Veränderung für ihn darstellen. Gemeinsam richten Falleinbringer und Zuhörer den Blick von der Vergangenheit auf die Gegenwart und die Zukunft.

Körpersprachliche Reaktionen des Falleinbringers

Bei starken Emotionen spiegelt häufig der Körper die Stimmungslage des Falleinbringers wider. Stand der Falleinbringer anfangs mit verschränkten Armen da, kann eine empathische Reaktion bereits zu einer Lockerung seiner Haltung führen. Möglicherweise gestikuliert er mit den Armen, wenn er den Dialog fortsetzt. Körpersprachlich würde eine solche Reaktion ausdrücken, dass Bewegung in die Sache gekommen ist.

Fortsetzung des Beispieldialogs

In unserem Beispieldialog hat der Zuhörer den Falleinbringer durch aktives Zuhören ermutigt, sein Anliegen zu präzisieren: „Ja, genau! Dieses Versteckspiel gefährdet den Projekterfolg. Am Ende kriege ich noch Ärger, weil ich nicht gut gearbeitet habe, obwohl ich allein gar nicht vernünftig arbeiten kann.“

Der Zuhörer greift das Gesagte auf: „Ich höre aus Ihren Worten eine große Sorge bezüglich des Projekterfolgs. Sie wünschen sich Unterstützung, ist es das? Außerdem befürchten Sie, dass ein möglicher Misserfolg an Ihnen hängen bleibt. Sie wünschen sich eine faire Beurteilung Ihrer Leistung, stimmt das?“

Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses

Die Situation wirkt durch die Einladung an den Falleinbringer, seine starken Emotionen einzubringen, paradoxerweise schnell weniger bedrohlich als vorher. Zwischen Falleinbringer und Zuhörer entsteht durch den Ausdruck von Empathie eine tragfähige Verbindung. Selbst Momente der Scham oder der verbalen Gewalt werden Ausgangspunkte für berührende Erkenntnisprozesse. Die Lava kann ungehindert aus dem Vulkan abfließen und der innere Druck des Falleinbringers nimmt sichtlich ab. Der Falleinbringer tritt so weit vom Roten Tuch herunter, wie er sich mit der Spiegelung seines Anliegens wohlfühlt.

Typischerweise verändert sich die Ausdrucksweise des Falleinbringers, wenn der Zuhörer konsequent die Gefühle und Bedürfnisse widerspiegelt, die in der Erzählung des Falleinbringers vorkommen. Dabei ist es unwichtig, ob der Zuhörer das Gehörte bereits beim ersten Mal präzise erfasst. Der Zuhörer bewegt sich wie ein Blinder am Rande eines Labyrinths. Er tastet sich voran und lässt sich dabei vom Falleinbringer helfen.

Ab einem gewissen Punkt des Dialogs enthalten die Erwiderungen des Falleinbringers nun ihrerseits Gefühle und Bedürfnisse. Es handelt sich auch dabei um Spiegelungsprozesse, der Falleinbringer verändert seine Selbstwahrnehmung. Seine Sprache drückt immer präziser das aus, was er wirklich fühlt und braucht. Der Zuhörer greift die Korrekturen des Falleinbringers sofort und umfassend auf. Er lässt Hypothesen, die beim Falleinbringer auf keine Resonanz stoßen, zunächst fallen.

Wenn der Falleinbringer auf den Kern seines eigentlichen Anliegens stößt, zeigt er dies äußerlich durch einen entspannten Muskeltonus, manchmal auch durch Freude in seiner Mimik. Es fühlt sich für ihn gut an, Klarheit zu erlangen. Der Falleinbringer ist jetzt ganz bei sich, aus seiner Aufregung wird Aufmerksamkeit und Ruhe. Der Zuhörer nimmt ein tiefes Ausatmen, ein Zurücksinken der Schultern oder andere körpersprachliche Zeichen der Entspannung wahr.

Fortsetzung des Beispieldialogs