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Möchten auch Sie einfühlsamer kommunizieren? Al Weckert erläutert Ihnen die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg: urteilsfreie Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse, Bitten, die eine wertschätzende Kommunikation mit dem Gegenüber ermöglichen. Sie erfahren anhand vieler Beispiele und Übungen, wie die Gewaltfreie Kommunikation im Beruf, in der Partnerschaft und der Erziehung Konflikte entschärft und hilft, Lösungen zu finden, in denen die Belange aller Beteiligten berücksichtigt werden. Außerdem gibt er denen, die Gewaltfreie Kommunikation weitergeben wollen, zahlreiche Hinweise zur Aus- und Weiterbildung.
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Seitenzahl: 538
Gewaltfreie Kommunikation für Dummies
Beim ersten Schritt der Gewaltfreien Kommunikation geht es um wertfreies Beobachten. »Ich habe gehört, gesehen, gelesen …« Die Gewaltfreie Kommunikation unterscheidet wertfreies Beobachten von Bewertungen, Analysen, Diagnosen und Schuldzuweisungen. Wertfreies Beobachten hilft Ihnen, in schwierigen Situationen einen konstruktiven Gesprächseinstieg zu finden. Hilfreiche Fragen für wertfreies Beobachten sind:
Was ist wertfrei betrachtet geschehen?Was wurde gesagt und getan?Was haben Sie konkret beobachtet?Beim zweiten Schritt der Gewaltfreien Kommunikation geht es um die Wahrnehmung von Gefühlen. Die Gewaltfreie Kommunikation unterscheidet Gefühle von Gedanken. Sie benutzt ein Vokabular von angenehmen und unangenehmen Gefühlen, die auf erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse hinweisen. Alle Menschen auf der Welt verfügen grundsätzlich über denselben Gefühlsschatz. Zwischenmenschliches Vertrauen entsteht über gegenseitige Einfühlung. Hilfreiche Fragen zu Gefühlen sind:
Wie geht es Ihnen mit dem Gehörten (Gesagten, Beobachteten …)?Wie fühlen Sie sich dabei?Was löst das bei Ihnen aus?Alles, was wir tun, tun wir aufgrund von Bedürfnissen. Konflikte entstehen, wenn die Bedürfnisse einer Partei auf Kosten der Bedürfnisse einer anderen befriedigt werden. Die Gewaltfreie Kommunikation unterscheidet Bedürfnisse von Strategien zur Erfüllung von Bedürfnissen. Während jeder Mensch das Bedürfnis nach Nahrung hat (Bedürfnisse sind universell), mögen die einen gerne Steak und die anderen lieber Rohkost. Während man über Strategien zur Erfüllung von Bedürfnissen vortrefflich streiten kann, erzeugt das Gespräch über die individuellen Bedürfnisse gegenseitiges Verständnis. Gewaltfreie Kommunikation zielt auf Lösungen ab, die die Bedürfnisse aller Beteiligten im Blick haben. Hilfreiche Fragen zu Bedürfnissen lauten:
Was genau ist Ihnen wichtig?Geht es Ihnen um … (hier können Sie Bedürfnisbegriffe einfügen)?Was soll sich dabei für Sie erfüllen?Im vierten Schritt der Gewaltfreien Kommunikation teilen Sie Ihrem Gegenüber in Form einer Bitte mit, wie Sie sich die Erfüllung Ihrer Bedürfnisse konkret vorstellen. Die Gewaltfreie Kommunikation unterscheidet zwischen Bitten und Forderungen. Wenn Sie Ihrem Gegenüber die Wahl lassen, über die Erfüllung Ihrer Bitten frei zu entscheiden, erhöhen Sie die Bereitschaft für gegenseitige Einfühlung, flexible Verhandlungen und gute Lösungen. Hilfreiche Fragen zu Bitten lauten:
Worum möchten Sie ganz genau bitten?Wie stellen Sie sich den nächsten Schritt vor?In welcher Form kann ich Sie konkret unterstützen?Die folgenden Bedürfnisbegriffe haben sich im Alltag, in Trainings für Gewaltfreie Kommunikation und bei der Bearbeitung von Konflikten vielfach bewährt:
Autonomie: Freiheit, Selbstbestimmung
Körperliche Bedürfnisse: Luft, Wasser, Bewegung, Nahrung, Schlaf, Distanz, Unterkunft, Wärme, Gesundheit, Heilung, Kraft, Lebenserhaltung
Integrität (Stimmigkeit mit sich selbst): Authentizität, Einklang, Eindeutigkeit, Übereinstimmung mit eigenen Werten, Identität, Individualität
Sicherheit: Schutz, Übersicht, Klarheit, Abgrenzung, Privatsphäre, Struktur
Einfühlung: Empathie, Verständnis, Gleichbehandlung, Gerechtigkeit
Verbindung: Wertschätzung, Nähe, Zugehörigkeit, Liebe, Intimität/Sexualität, Unterstützung, Ehrlichkeit, Gemeinschaft, Geborgenheit, Respekt, Kontakt, Akzeptanz, Austausch, Offenheit, Vertrauen, Freundschaft, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Toleranz, Zusammenarbeit
Entspannung: Erholung, Ausruhen, Spiel, Leichtigkeit, Ruhe, Entlastung
Geistige Bedürfnisse: Harmonie, Inspiration, »Ordnung«, (innerer) Friede, Freude, Humor, Abwechslungsreichtum, Ausgewogenheit, Glück, Ästhetik
Entwicklung: Beitrag, Wachstum, Anerkennung, Feedback, Rückmeldung, Erfolg im Sinne von Gelingen, Kreativität, Sinn, Bedeutung, Effektivität, Kompetenz, Lernen, Feiern, Trauern, Bildung, Engagement
Echte Gefühle erkennt man an folgenden Merkmalen:
Jeder Mensch – auch ein Baby – kann sie erleben.Sie sind körperlich wahrnehmbar. Wenn Sie es nicht körperlich spüren, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Gedanke, keine Emotion.Echte Gefühle drücken keine Täter-Opfer-Beziehung (»Ich bin verletzt – du bist schuld!«), sondern eine Ich-Botschaft (»Ich fühle mich angespannt.«) aus.Die folgenden Gefühlsbegriffe eignen sich für das Training der Gewaltfreien Kommunikation:
angeregt, aufgedreht, aufgeregt, ausgeglichen, befreit, begeistert, behaglich, belebt, berauscht, beruhigt, berührt, beschwingt, bewegt, dankbar, eifrig, ekstatisch energetisiert, engagiert, enthusiastisch, entlastet, entschlossen, entspannt, entzückt, erfreut, erfrischt, erfüllt, ergriffen, erleichtert, erstaunt, erwartungsvoll, fasziniert, frei, friedlich, froh, fröhlich, gebannt, geborgen, gefesselt, gelassen, gerührt, gesammelt, gespannt, gesund, glücklich, gut gelaunt, heiter, hellwach, hoffnungsvoll, inspiriert, klar, kraftvoll, lebendig, leicht, locker, lustig, motiviert, munter, mutig, neugierig, optimistisch, ruhig, sanft, satt, schwungvoll, selbstsicher, selig, sicher, sorglos, still, stolz, überglücklich, überrascht, überwältigt, unbeschwert, vergnügt, verliebt, vertrauensvoll, wach, weit, wissbegierig, zärtlich, zufrieden, zugeneigt, zuversichtlich.
alarmiert, angespannt, ängstlich, apathisch, ärgerlich, aufgeregt, ausgelaugt, bedrückt, besorgt, bestürzt, betroffen, betrübt, beunruhigt, bitter, blockiert, deprimiert, durcheinander, eifersüchtig, einsam, elend, empört, enttäuscht, ernüchtert, erschlagen, erschöpft, erschrocken, erschüttert, erstarrt, frustriert, furchtsam, gehemmt, geladen, gelähmt, gelangweilt, genervt, hart, hasserfüllt, hilflos, in Panik, irritiert, kalt, kraftlos, leer, lethargisch, matt, miserabel, müde, mutlos, nervös, niedergeschlagen, ohnmächtig, panisch, perplex, ratlos, resigniert, ruhelos, sauer, scheu, schlapp, schüchtern, schwer, schwermütig, sorgenvoll, teilnahmslos, tot, träge, traurig, überwältigt, unbehaglich, ungeduldig, unglücklich, unruhig, unsicher, unter Druck, unwohl, unzufrieden, verbittert, verspannt, verwirrt, verzweifelt, widerwillig, wütend, zappelig, zornig.
Die Übung der Gewaltfreien Kommunikation »Celebration of Life« erinnert uns an die Fülle und den Reichtum des Lebens. Sie fördert das Bewusstsein, aktiv für die Befriedigung von Bedürfnissen zu sorgen und Dankbarkeit für empfangene Unterstützung zu empfinden.
Denken Sie dafür an eine Situation zurück, die in Ihnen Freude ausgelöst hat.
Was ist konkret passiert? (Schritt 1: Beobachtung)Wie haben Sie sich dabei gefühlt? (Schritt 2: Gefühle)Was hat sich dabei für Sie erfüllt? (Schritt 3: Bedürfnisse)Entsteht aus der Erinnerung an dieses Ereignis und die damit verbundenen Gefühle und Bedürfnisse eine Bitte an Sie selbst? (Schritt 4: Bitten)Ärger ist eine Mischung aus Gefühlen und Gedanken. Er ist körperlich wahrnehmbar, aber gleichzeitig immer mit einer negativen Bewertung verbunden. Während Gefühle kommen und gehen, bleiben Gedanken gerne haften. Der Gedankenanteil macht Ärger zu einer klebrigen Angelegenheit, die den Menschen schlaflose Nächte und Magenbeschwerden beschert. Die folgende Anleitung hilft Ihnen, von Ihren Gedanken zu den tiefer liegenden Gefühlen und Bedürfnissen vorzustoßen. Sie können den Ärger anschließend loslassen.
Was ist genau passiert? Welche Beobachtungen gehen Ihrem Gefühl von Ärger voraus? Was haben Sie gesehen oder gehört?Können Sie den Ärger körperlich wahrnehmen? Wo fühlen Sie die Wut in sich? Lässt sich der Ärger in einem bestimmten Körperteil verorten? Wie drückt er sich konkret aus?Welche Bewertungen schießen Ihnen gerade durch den Kopf? Welche Analyse oder Diagnose beherrscht Ihr Denken? Wem geben Sie innerlich die Schuld? Wen oder was verurteilen Sie?Gehen Sie zurück zu Ihrer Beobachtung. Welche Bedürfnisse waren stark im Mangel? Was hätten Sie auf der Bedürfnisebene in der Situation gebraucht?Wie fühlt es sich an, wenn diese Bedürfnisse im Mangel sind? Wie fühlt es sich an, wenn Sie sich vorstellen, dass sich diese Bedürfnisse erfüllen?Was können Sie tun, um Ihre Bedürfnisse zu erfüllen? Was wäre der erste Schritt auf dem Weg zur Bedürfnisbefriedigung? Welche Bitten möchten Sie an sich selbst oder andere Menschen richten?
Gewaltfreie Kommunikation für Dummies
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
2. Auflage 2023© 2023 Wiley-VCH GmbH, Boschstraße 12, 69469 Weinheim, Germany
Wiley, the Wiley logo, Für Dummies, the Dummies Man logo, and related trademarks and trade dress are trademarks or registered trademarks of John Wiley & Sons, Inc. and/or its affiliates, in the United States and other countries. Used by permission.
Wiley, die Bezeichnung »Für Dummies«, das Dummies-Mann-Logo und darauf bezogene Gestaltungen sind Marken oder eingetragene Marken von John Wiley & Sons, Inc., USA, Deutschland und in anderen Ländern.
Das vorliegende Werk wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autor und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie eventuelle Druckfehler keine Haftung.
Coverfoto: © bourbon numérik / stock.adobe.comKorrektur: Johanna Rupp, Walldorf, Frauke Wilkens, München
Print ISBN: 978-3-527-72077-4ePub ISBN: 978-3-527-84250-6
Al Weckert ist Management-Trainer und Fachbuchautor. Er konnte in den vergangenen zehn Jahren über 10.000 Mitarbeiter von großen Unternehmen und Organisationen für das Thema Gewaltfreie Kommunikation (GFK) begeistern. Er ist zertifizierter Trainer der beiden großen GFK-Verbände Center for Nonviolent Communication (CNVC) und Fachverband Gewaltfreie Kommunikation e.V. Außerdem bildet er als lizensierter Ausbilder des Bundesverbandes Mediation (BM) bundesweit Mediatoren aus. Dazu hat er im Wiley-Verlag gemeinsam mit Monika Oboth das Buch Mediation für Dummies veröffentlicht.
Das Hauptinteresse von Al Weckert gilt den Fragen: Wie lässt sich die Empathiefähigkeit vom Mitarbeitern und Führungskräften dauerhaft erhöhen? Wie muss Weiterbildung gestaltet sein, damit den Teilnehmern eine offene und wertschätzende Kommunikation am Arbeitsplatz gelingt? Wie erlernen Mitarbeiter und Führungskräfte einen souveränen Umgang mit starken Gefühlsäußerungen? Wie gelingt ihnen eine erfolgreiche Konfliktklärung? Wie meistern sie die immer anspruchsvolleren Herausforderungen von Teamarbeit und Change-Management?
Bei der Vermittlung von Gewaltfreier Kommunikation haben sich für Al Weckert fünf Schwerpunkte herausgestellt, die er als »Die fünf Superkräfte der Kommunikation« bezeichnet: Gewaltfreie Kommunikation (Grundhaltung), Mimikresonanz, der Umgang mit starken Emotionen (Tanz auf dem Vulkan), Mediation (Konfliktklärung) und emotionale Selbstregulation. Diese fünf »Superkräfte« werden im vorliegenden Buch vermittelt – und noch viel mehr!
An der Akademie im Park (Wiesloch) bietet Al Weckert einmal jährlich offene Workshops zu den fünf Superkräften der Kommunikation an. Die Workshops bauen aufeinander auf und basieren alle auf Gewaltfreier Kommunikation. Schwerpunkt seiner Tätigkeit bleiben jedoch GFK-Schulungen für große Unternehmen und Organisationen. Mehr Informationen über Al Weckert und seine Trainings finden Sie auf der Website www.empathie.com.
Cover
Titelblatt
Impressum
Über den Autor
Einführung
Über dieses Buch
Törichte Annahmen über die Leser
Wie Sie dieses Buch nutzen
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Symbole, die in diesem Buch verwendet werden
Teil I: Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation
Kapitel 1: Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation
Von Rogers zu Rosenberg
Die drei Säulen der Gewaltfreien Kommunikation
Schlüsselunterscheidungen der Gewaltfreien Kommunikation
Kapitel 2: Schritt 1: Wertfreie Beobachtung
Beobachtung und Bewertung unterscheiden
Verantwortung für die eigene Sprache übernehmen
Warum wertfreies Beobachten in Konflikten hilfreich ist
Wertfreies Beobachten trainieren
Kapitel 3: Schritt 2: Gefühle
Gefühle steuern die Kommunikation
Echte Gefühle und Pseudogefühle
Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen
Nutzen von Gefühlen für die Konfliktbewältigung
Wahrnehmung und Ausdruck von Gefühlen trainieren
Kapitel 4: Schritt 3: Bedürfnisse
Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen
Psychologie, Hirnforschung und Motivationstheorien
Die »ultimative Bedürfnisliste«
Das Aussprechen von Bedürfnissen trainieren
Kapitel 5: Schritt 4: Bitten
Die Bitte in der Gewaltfreien Kommunikation
Kriterien für den Erfolg einer Bitte
Den Unterschied zwischen Bitten und Forderungen verstehen
Bitten in großen Gruppen äußern
Teil II: Empathische Präsenz
Kapitel 6: Neurobiologische Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation
Empathiefähigkeit als Grundvoraussetzung für das Zusammenleben
Wie Menschen sich die Welt erklären: Die Theory of Mind
Körpersprache und das Erkennen von Emotionen
Kapitel 7: Übungen zur empathischen Präsenz
Unterschiedliche Formen des Zuhörens
Aktives Zuhören
Emotionale Resonanz und empathische Spekulation
Empathische Präsenz im Konfliktgespräch
Kapitel 8: Flexibilität in der Anwendung der vier Schritte
Flexibilität in der Reihenfolge der vier Schritte
Selbsteinfühlung mit dem Giraffentanzparkett
Fließender Wechsel von Fremd- und Selbsteinfühlung
Das Sechs-Stühle-Modell der Gewaltfreien Kommunikation
Kapitel 9: Umgang mit starken Gefühlen
Vom Konflikt zur Kooperation
Der »Tanz auf dem Vulkan«: Übungen mit dem roten Tuch
Übungen für den Umgang mit Eskalation
Teil III: Innere Konflikte auflösen
Kapitel 10: Gewaltfreie Grenzen setzen
Beschützende Anwendung von Macht
Bestrafende Anwendung von Macht
Kategorien von Machtanwendung
»Nein« sagen», Nein« hören
»Stopp« sagen: Der »Giraffenschrei«
Kapitel 11: Selbstempathie und Einfühlung für das innere Team
Alles beginnt mit Selbstempathie
Empathie für das innere Team
Ärgerprozesse auflösen
Umgang mit Scham und Schuld
Kapitel 12: Achtsamkeit, Wertschätzung und mentales Training
Achtsamkeit gegenüber Körper und Geist
Wertschätzung und Dank ausdrücken
Gewaltfreie Kommunikation mental trainieren
Kapitel 13: Spielend Gewaltfreie Kommunikation erlernen
Ablauf eines Grundlagentrainings
Übungsgruppen und Intervisionsgruppen
Feedback geben
Teil IV: Gewaltfreie Kommunikation in der Gesellschaft
Kapitel 14: Gewaltfreie Kommunikation im Beruf und Gemeinwesen
Chancen und Risiken von Konflikten
Empathietraining als Teil der Personalentwicklung
Systemisches Konsensieren und gewaltfreie Entscheidungsfindung
Kapitel 15: Erziehung und Partnerschaft
Gewaltfreie Kommunikation in der Erziehung
Herausforderungen von Liebesbeziehungen
Die Macht der Projektionen
Kapitel 16: Gewaltfreie Kommunikation und Mediation
Vorteile der Mediation
Was ist Mediation?
Stufen der Konflikteskalation
Die Phasen der Mediation
Wie Gewaltfreie Kommunikation in der Mediation hilft
Kapitel 17: Gewaltfreie Kommunikation vertiefen und weitergeben
Der Weg zum Trainer der Gewaltfreien Kommunikation
Verbände und Zertifizierungsstandards
Checkliste für Ihr Know-how als Trainer
Netzwerkpflege
Teil V: Der Top-Ten-Teil
Kapitel 18: Zehn Übungen zum Erlernen des Vokabulars der Gefühle und Bedürfnisse
Ich sattle meine Giraffe
Synonyme für Gefühle finden
Bedürfnisse vollständig ausdrücken
Welches Gefühl ist anders?
Mit dem Finger Bedürfnisse auf den Rücken schreiben
Gefühle nacheinander nennen
Tabu mit Bedürfnisbegriffen
Spiel mir ein Gefühl
Bedürfnisse von den Lippen ablesen
Gefühle mit dem »Empathie-Navigator Gewaltfreie Kommunikation« erfassen
Kapitel 19: Zehn Autoren, die Sie gelesen haben sollten
Bücher und DVDs von Marshall Rosenberg
Bücher von Joachim Bauer
Bücher von Monika Oboth
Kelly Bryson: »Sei nicht nett, sei echt!«
Paul Ekman: »Gefühle lesen«
Dan Greenburg: »Die Kunst, sich schlecht zu fühlen«
Alfie Kohn: »Liebe und Eigenständigkeit«
Dirk Eilert: »Mimikresonanz«
Melanie Sears: »Gewaltfreie Kommunikation im Gesundheitswesen«
Bridget Belgrave und Gina Lawrie: »Das GFK-Tanzparkett«
Kapitel 20: Zehn Kriterien zur Auswahl einer Ausbildung für Gewaltfreie Kommunikation
Ausstrahlung des Ausbildungsteams
Erfahrung und beruflicher Hintergrund des Ausbildungsteams
Persönliche Empfehlungen
Methodische Gestaltung
Inhaltliche Schwerpunkte
Kosten der Ausbildung
Räumlichkeiten und Umgebung
Entfernung und Übungsgruppen
Allgemeine Geschäftsbedingungen
Ihre Ziele und Absichten
Kapitel 21: Zehn Möglichkeiten, die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation zu vertiefen
Ein Grundlagentraining besuchen
Eine berufsbegleitende Jahresausbildung absolvieren
Schwerpunktseminare belegen
Teilnahme an Übungsgruppen
Bücher, Hörbücher und Videos
Ein Tagebuch der Gewaltfreien Kommunikation führen
Dinge feiern und betrauern, die Sie bewegen
Empathische Briefe und E-Mails schreiben
Lernen, von Gewaltfreier Kommunikation zu erzählen
Arbeitgeber und Familie einbeziehen
Abbildungsverzeichnis
Stichwortverzeichnis
End User License Agreement
Kapitel 8
Abbildung 8.1: Die Grundform des Giraffentanzparketts
Abbildung 8.2: Das Giraffentanzparkett mit 13 Schritten
Abbildung 8.3: Das Sechs-Stühle-Modell der Gewaltfreien Kommunikation
Cover
Titelblatt
Impressum
Über den Autor
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Fangen Sie an zu lesen
Abbildungsverzeichnis
Stichwortverzeichnis
End User License Agreement
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Im Jahre 2001 wurde das Grundlagenwerk »Gewaltfreie Kommunikation« des US-Amerikaners Marshall B. Rosenberg in Deutschland veröffentlicht. Schnell entwickelte es sich zum Bestseller. Das große Interesse von Lehrern, Erziehern, Therapeuten, Ärzten, Konfliktprofis, Sozialarbeitern, Entwicklungshelfern, Eheberatern und Pflegetätigen spiegelt sich in unzähligen Seminaren und Übungsgruppen in fast jeder Stadt im deutschsprachigen Raum wider.
Aktuell erfasst die Welle der Aufmerksamkeit vor allem die Entscheider in der Wirtschaft, in Behörden und in großen Organisationen. Nach Auskunft des Magazins »managerSeminare« sind mehr als 75 Prozent aller Personalabteilungen mit dem Thema vertraut. Gewaltfreie Kommunikation ist innerhalb von nur zehn Jahren in die Top Ten der Trainingsmethoden für Führungskräfte und Mitarbeiter aufgestiegen.
Als Marshall Rosenberg 1985 sein Konzept im Gemeindehaus der Münchner Kreuzkirche zum ersten Mal in Europa vorstellte, bestand das Publikum aus einem kleinen Kreis friedensbewegter Aktivisten. Seitdem haben die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) allein hierzulande Hunderttausende von Menschen für das Training der eigenen Empathiefähigkeit und Ausdrucksklarheit begeistert. Rosenberg präsentiert ein einfach nachvollziehbares, aber äußert wirkungsvolles Trainingskonzept, um Menschen zu einer bewussten und mitfühlenden Lebensweise zu befähigen.
Marshall Rosenberg hat sich im Jahr 2011 zur Ruhe gesetzt und ist 2015 im Alter von 80 Jahren verstorben. Heute geben zahlreiche von ihm oder seinen Mitarbeitern ausgebildete Trainer das Wissen der Gewaltfreien Kommunikation weiter. Weil diese Trainer ganz unterschiedliche Herkunftsberufe und Interessenschwerpunkte haben, findet sich für jeden an der Gewaltfreien Kommunikation Interessierten eine passende Anlaufstelle.
Dieses Buch vermittelt Einsteigern einen Überblick über die wesentlichen Inhalte der Gewaltfreien Kommunikation. Es soll Sie ermutigen und inspirieren, auf Ihrem Weg zu mehr Aufrichtigkeit, Achtsamkeit und Mitgefühl voranzuschreiten. Sie werden Beispiele aus vielen Bereichen der Gesellschaft und des privaten Alltags finden. Einen besonderen Platz nehmen diejenigen Themen ein, die uns im täglichen Leben am meisten beschäftigen: Partnerschaft und Familie, die Kommunikation am Arbeitsplatz, der Umgang mit starken Gefühlsäußerungen und die Reflexion eigener Gewohnheiten und Glaubenssätze.
Obwohl sich dieses Buch an Einsteiger wendet, werden auch fortgeschrittene Anwender von der Lektüre profitieren. Zahlreiche Übungen sind im deutschsprachigen Raum noch wenig bekannt. Das Buch greift darüber hinaus aktuelle Trends in der Gewaltfreien Kommunikation (wie die konsensorientierten Entscheidungsverfahren) auf.
Die Vielzahl von Übungen, die Schummelseite und die praktischen Tipps im Top-Ten-Teil gewährleisten, dass Sie dieses Buch auch mit zeitlichem Abstand immer wieder mit Gewinn zur Hand nehmen können. Weil jedes Kapitel für sich steht, können Sie je nach aktueller Interessenlage zwischen den Kapiteln hin und her blättern.
Mich faszinierte anfangs besonders die Beschäftigung mit dem Bedürfnisvokabular. Einige Zeit später widmete ich mich im Rahmen eines Buchprojekts intensiv der Erforschung meiner Gefühle. Erst durch die Tätigkeiten in Unternehmenskontexten erschloss sich mir die Macht präzise formulierter Bitten.
Tatsächlich höre ich die Vorträge von Marshall Rosenberg und anderen Kollegen Jahr für Jahr mit einem neuen Paar Ohren. In diesem Sinne lade ich Sie zum fortwährenden Stöbern in diesem Buch ein. Auch Ihnen werden immer wieder neue Aspekte auffallen.
Die meisten Menschen, die Bücher über Gewaltfreie Kommunikation kaufen oder an GFK-Seminaren teilnehmen, werden von der Sehnsucht nach einem einfühlsameren Miteinander angetrieben. Während sie den großen Krisen der modernen Welt oft ohnmächtig gegenüberstehen, sammeln sie in ihrem Umfeld positive Erfahrungen, sobald sie die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation einnehmen. Viele persönliche Konflikte lassen sich lösen, indem wir richtig zuhören und die Bedürfnisse hinter gegenseitigen Schuldzuweisungen verstehen.
Gewaltfreie Kommunikation ist ein besonders effizientes Hilfsmittel, um in Alltagssituationen ein klares Verständnis für eigene oder fremde Gefühle und Bedürfnisse zu erzeugen. Als »Gefühls- und Bedürfniskompass« kann die Gewaltfreie Kommunikation in fast jeder Situation genutzt werden: im Büro, zu Hause, im Umgang mit geliebten oder gehassten Menschen, im Liebesleben und bei schweren Konflikten. Sie befähigt uns zu mehr Authentizität und Offenheit im eigenen Auftreten. Das Leben wird nicht einfacher, aber es wird reicher, bunter und zufriedenstellender.
Für viele Menschen ist die Gewaltfreie Kommunikation auch deshalb so attraktiv, weil sie keinerlei Zugehörigkeit zu einer Glaubensrichtung, einer sozialen Strömung oder einer festen Gruppe voraussetzt. Ganz egal ob Sie eine Ausbildung durchlaufen oder studiert haben: Mit der Gewaltfreien Kommunikation fördern Sie Ihr Einfühlungsvermögen, Ihre Menschlichkeit und den persönlichen inneren Frieden. Sie können die Gewaltfreie Kommunikation als Anhänger jeder Glaubensrichtung, jeder Partei und jedes sozialen Standes praktizieren. Empathiefähigkeit, Echtheit und Klarheit im Selbstausdruck helfen Ihnen in jeder Branche, in fast jeder Situation und gegenüber nahezu jedem Menschen weiter.
Vielleicht teilen Sie auch die Erfahrung von Marshall Rosenberg, dessen Interesse an Kommunikation durch biografische Erfahrungen mit gelebter Einfühlsamkeit ausgelöst wurde. Kennen Sie Menschen, deren Ehrlichkeit, Zuwendungsfähigkeit und Offenheit Sie bewundern? Vielleicht konnten Sie im Rahmen eines Seminars, an Ihrem Arbeitsplatz oder bei sich zu Hause miterleben, wie Konflikte durch Gewaltfreie Kommunikation geklärt, Gräben zwischen Menschen überwunden und bereichernde Beziehungen geknüpft wurden. Das vorliegende Buch macht Ihnen zahlreiche Vorschläge, wie Sie Ihren inneren Kompass (neu) entdecken, sich entsprechend ausdrücken und von sich ausgehend zu einer lebenswerteren Welt beitragen können.
Dieses Buch ist ein Ratgeber. Es ist deshalb weniger theoretisch als praktisch ausgerichtet. Weil Menschen sich nur durch Reflexion und ständiges Training verändern und weiterentwickeln, habe ich zahlreiche Übungen in den Text eingebaut, mit deren Hilfe Sie das Erlernte ausprobieren und dessen wohltuende Wirkung selbst erleben können. Einige dieser Übungen sind Gruppenübungen mit mindestens einem Partner. Das Feedback anderer ist für einen erfolgreichen Lernprozess (besonders im Bereich der Kommunikation) äußerst wertvoll.
Das Buch eignet sich deshalb sowohl zum Alleinstudium als auch als Arbeitsmaterial für Übungsgruppen der Gewaltfreien Kommunikation. Nehmen Sie sich immer wieder ein paar Minuten Zeit, um darin zu lesen und tiefer in die Materie einzusteigen. Die Beschäftigung mit Empathie und einer authentischen Lebensweise wirkt wohltuend. Darüber hinaus empfehle ich Ihnen die Suche nach Übungspartnern, damit sich das Erlernen der Gewaltfreien Kommunikation nicht auf den geistigen Prozess beschränkt (Tipps, wie Sie Übungspartner finden und sich in der Gewaltfreien Kommunikation weiterbilden können, finden Sie in den Kapiteln 13 und 17). Die befreiende und stärkende Wirkung der Gewaltfreien Kommunikation erleben und verankern Sie am intensivsten durch praktische Anwendung in Ihrem Umfeld.
Eine weitere wirksame Lernweise ist das Führen eines Tagebuchs zur Gewaltfreien Kommunikation. Blicken Sie abends auf Ihren Tag zurück: Welche Bezüge ergeben sich aus dem Alltag zu den Dingen, die Sie in diesem Buch erfahren? Für Ihr Tagebuch können Sie sich konkrete Lernziele setzen. Ein Beispiel: Begleitend zur Lektüre des Kapitels über »wertfreie Beobachtung« können Sie Bewertungen aufschreiben, die Sie im Laufe des Tages über andere Menschen treffen oder von anderen Menschen hören. Abends notieren Sie sich zu jeder Bewertung die zugrunde liegende wertfreie Beobachtung.
Durch die Lektüre der Kapitel, die Anwendung und das Training in Gemeinschaft mit anderen und durch die kontinuierliche Reflexion Ihrer Fortschritte und Fragen mithilfe eines Tagebuchs können Sie aus diesem Buch gleich mehrfachen Gewinn ziehen.
Grundsätzlich stehen alle Kapitel für sich. Sie können nach Belieben hin und her blättern. Anfängern rate ich jedoch, mit der Lektüre des ersten Teils des Buches zu beginnen, der die »vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation« vorstellt und erklärt.
Das Erlernen der Gewaltfreien Kommunikation beginnt mit der Beschäftigung mit dem Grundmodell der vier Schritte »Beobachtung«, »Gefühl«, »Bedürfnis« und »Bitte«. Diese vier Schritte beschreiben das Zusammenspiel von Wahrnehmungen, Empfindungen und Handlungen des Menschen. Unsere Beobachtungen lösen Gefühle aus, Gefühle weisen auf erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse hin, Bedürfnisse sind der Motor unseres Handelns. Um unsere Bedürfnisse zu erfüllen, müssen wir aktiv werden: »Wenn ich a sehe, dann fühle ich b, weil ich c brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne d.« (Marshall Rosenberg)
Trotz (oder gerade wegen) seiner überraschenden Einfachheit umfasst dieses Modell Lösungen für die allermeisten Kommunikationsprobleme. Während Kapitel 1 die Entstehung und Grundprinzipien der Gewaltfreien Kommunikation vorstellt, erläutern die Kapitel 2 bis 5 für jeden der vier Schritte, wie stark herkömmliche Kommunikation das mitfühlende Miteinander blockiert. Durch zahlreiche Übungen erhalten Sie einen Strauß von Ideen, wie sich trennende Elemente der Kommunikation überwinden und eine verbindende Sprache erlernen lassen.
Als Marshall Rosenberg die Gewaltfreie Kommunikation entwickelte, war von Neurobiologie nur in streng wissenschaftlichen Insiderzirkeln die Rede. Heute ist die Erforschung der menschlichen Motivationssysteme ein allgegenwärtiges Thema. Veröffentlichungen zum Thema Empathie und soziales Lernverhalten stürmen die Büchercharts. Die darin enthaltenen Befunde bestätigen eindrücklich die Grundaussagen Rosenbergs.
Kapitel 6 setzt sich deshalb mit aktuellen Forschungsergebnissen der Neurowissenschaften auseinander. Wie erlernen Menschen Einfühlsamkeit? Warum weicht die Neigung zur Einfühlsamkeit bei vielen Menschen der Ausübung von Gewalt? In welchen Verhaltensformen äußert sich Empathie? Welchen Beitrag leistet das Training von Emotionserkennung zur Entwicklung der eigenen Empathiefähigkeit?
Die weiteren Kapitel des zweiten Teils schlagen immer wieder Brücken von Grundannahmen und Methoden der Gewaltfreien Kommunikation zu aktuellen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen. Kapitel 7 erläutert die Hauptbestandteile empathischer Präsenz in konkreten Gesprächssituationen. Im Mittelpunkt des Kapitels stehen unterschiedliche Formen des Zuhörens, die Wahrnehmung feiner emotionaler Resonanzen und das achtsame Ansprechen von Stimmungen Ihres Gegenübers.
Weil sich der Prozess der Gewaltfreien Kommunikation in Gesprächssituationen aus drei unterschiedlichen Säulen (»einfühlsames Zuhören«, »authentischer Selbstausdruck« und »Selbstempathie«) zusammensetzt, wird in Kapitel 8 das flexible Zusammenspiel dieser Fähigkeiten trainiert. Sie lernen zentrale Übungen der Gewaltfreien Kommunikation wie »das Tanzparkett der Gewaltfreien Kommunikation« und das »Sechs-Stühle-Modell der Gewaltfreien Kommunikation« kennen.
Kapitel 9 überträgt das bisher Erlernte auf kritische und emotionale Situationen. »Der Tanz auf dem Vulkan« vermittelt Sicherheit im Umgang mit starken Gefühlsäußerungen. Nicht mehr nur die Mimik, sondern der ganze Körper wird als Vermittler emotionaler Signale beachtet. Das Kapitel endet mit Empfehlungen zum konstruktiven Umgang mit Aggression und Eskalation.
Der Mensch, mit dem Sie die allermeisten Dialoge führen, sind Sie selbst. Sie sind auch diejenige Person, auf deren Gefühle und Handlungen Sie den größten Einfluss haben. Deshalb enspielen das Thema Selbstempathie und die Arbeit mit persönlichen Glaubenssätzen eine wichtige Rolle in der Gewaltfreien Kommunikation. Der dritte Teil des Buches widmet sich der Frage, wie Sie innere Konflikte gewinnbringend auflösen können.
Ein Bestandteil dieses Themenbereichs sind Antworten auf die Frage, wann und wie wir uns gegenüber den Handlungen und Forderungen anderer wirkungsvoll abgrenzen wollen. Kapitel 10 erläutert den Unterschied zwischen beschützender Anwendung von Macht im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation und herkömmlichen Formen von bestrafender Machtanwendung. Kapitel 11 enthält Anleitungen für die dazugehörigen Selbstklärungsprozesse. Es bietet zahlreiche Übungen zur Selbstempathie an, deren Anwendung zu einer spürbaren Erhöhung der Lebensqualität und der inneren Zufriedenheit führen kann.
In enger Verbindung zum Thema Selbstempathie steht die persönliche Achtsamkeit. In Kapitel 12 geht es um die Wahrnehmung unserer Empfindungen. Zahlreiche Übungen bieten Ihnen die Gelegenheit, tief in sich selbst zu horchen und mehr über sich und Ihre Gefühle und Bedürfnisse zu erfahren. Achtsamkeit ist eine wichtige Voraussetzung, um sich von alltäglichen Ereignissen nicht treiben zu lassen, sondern über ein Bewusstsein für die eigene Wahlfreiheit zu verfügen.
Der dritte Teil dieses Buches schließt mit einer breiten Palette von Ideen, wie Sie sich die Gewaltfreie Kommunikation spielerisch aneignen können. Meine Vorschläge basieren auf der Erfahrung zahlreicher Grundlagenkurse für Unternehmen und Organisationen, in Krankenhäusern und pädagogischen Einrichtungen. Ich rate zu einer abwechslungsreichen Didaktik mit Kurzvorträgen, Rollenspielen, Aktivierungen und Übungen zur Selbsterfahrungen. In Kapitel 13 erhalten Sie einen Eindruck von der Dynamik eines Trainings der Gewaltfreien Kommunikation und einen Überblick über die Themen, die die meisten Trainerkollegen und Verbände für ein Grundlagentraining einsetzen und empfehlen.
Gewaltfreie Kommunikation ist auf jeden Lebensbereich übertragbar. Die Grundhaltung von Mitgefühl und Echtheit unterscheidet nicht zwischen Freund und Feind, Beruf und Privatleben. Abweichend ist gelegentlich das Vokabular, mit dem wir uns gegenüber unterschiedlich gereiften und gebildeten Menschen ausdrücken. Fortbildungen zu Gewaltfreier Kommunikation finden heute in fast jedem gesellschaftlichen Bereich statt: im Umfeld von Kindergärten, Schulen, Gerichten, Gefängnissen, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Organisationen, Unternehmen …
Der vierte Teil des Buches beschäftigt sich mit den Herausforderungen des Berufs- und Privatlebens. Kapitel 14 erläutert den Nutzen von Gewaltfreier Kommunikation für die Personalentwicklung. Unter anderem werden neue Methoden für zufriedenstellende Entscheidungsprozesse vorgestellt. Kapitel 15 thematisiert den Umgang mit Kindern und die Herausforderungen erfüllender Liebesbeziehungen. Neben Tipps zur Unterbrechung destruktiver Konfliktrituale finden Sie hier Erläuterungen zur Auflösung psychologischer Abwehrmechanismen mithilfe der Gewaltfreien Kommunikation.
In Kapitel 16 erfahren Sie, wie Sie Gewaltfreie Kommunikation bei der Klärung von Konflikten einsetzen können. Sie lernen das Grundschema einer erfolgreichen Mediation und die Rolle der Gewaltfreien Kommunikation bei der Herausarbeitung von Bedürfnissen kennen.
Kapitel 17 verhilft Ihnen zu einer besseren Orientierung, wenn Sie selbst eine Tätigkeit im Bereich der Gewaltfreien Kommunikation erwägen. Wie wird man Trainer der Gewaltfreien Kommunikation? Welche Verbände und Zertifizierungsstandards sollten Sie kennen? Hier finden Sie auch eine Checkliste für Ihr Trainer-Know-how und Tipps für den Aufbau Ihres persönlichen Netzwerks zur Gewaltfreien Kommunikation.
Im Top-Ten-Teil biete ich Ihnen Listen an, um das Gelernte im Alltag umzusetzen.
In Kapitel 18 schlage ich zehn Übungen für das Erlernen des Gefühls- und Bedürfnisvokabulars vor. Wenn Sie sich noch über dieses Buch hinaus zur Gewaltfreien Kommunikation weiterbilden wollen, empfehle ich Ihnen in Kapitel 19 zehn Autoren. In Kapitel 20 finden Sie die zehn wichtigsten Kriterien für die Auswahl einer Ausbildung zur Gewaltfreien Kommunikation. Zum guten Schluss habe ich in Kapitel 21 zehn Ideen zur Vertiefung Ihrer persönlichen Fähigkeiten in der Gewaltfreien Kommunikation zusammengestellt.
Unter www.downloads.fuer-dummies.de finden Sie zwei weitere Top-Ten-Kapitel als Bonuskapitel: zehn Ideen zur Führung eines Tagebuchs der Gewaltfreien Kommunikation und zehn nicht ganz ernst gemeinte Tipps, um sich schlechter zu fühlen.
Hier bringe ich eine wichtige Aussage der Gewaltfreien Kommunikation noch einmal für Sie auf den Punkt.
Dieses Symbol erinnert an Ereignisse oder Erkenntnisse, die für die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation von Bedeutung sind.
Wenn Sie das Gelesene gleich ausprobieren wollen, können Sie bei diesem Symbol mit einer Übung loslegen.
Dieses Symbol warnt vor typischen Stolperfallen beim Training und bei der Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation.
Hier erzähle ich eine beispielhafte Geschichte, die ich selbst erlebt habe oder die mir zugetragen wurde.
Teil I
IN DIESEM TEIL …
Hier geht es um die Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation. Es beginnt mit einem Blick auf die drei Hauptsäulen der Gewaltfreien Kommunikation »Selbstempathie«, »Einfühlung für andere« und »authentischer Selbstausdruck«. Sie erfahren, welche Inhalte Gewaltfreie Kommunikation umfasst und was Sie sich vom Erlernen einer einfühlsamen Grundhaltung versprechen können.
In den folgenden Kapiteln werden die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation erklärt: wertfreie Beobachtung, Wahrnehmung von Gefühlen, Erkennen von Bedürfnissen und Äußern von Bitten. Zahlreiche Beispiele vermitteln Ihnen ein Gespür für die Bedeutung und Anwendbarkeit der vier Schritte in alltäglichen Gesprächssituationen. Die enthaltenen Übungen helfen Ihnen dabei, dass frisch erworbene Wissen praktisch anzuwenden und nachhaltig zu verankern.
Kapitel 1
IN DIESEM KAPITEL
Von Rogers zu RosenbergDie drei Säulen der Gewaltfreien KommunikationWichtige Unterscheidungen der Gewaltfreien KommunikationIn diesem Buch geht es um die Methode der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) und das Erlernen einer einfühlsamen und authentischen Kommunikationsweise. Die Gewaltfreie Kommunikation wurde in den 1970er-Jahren von dem US-Amerikaner Marshall B. Rosenberg entwickelt und 1983 in ihrer heutigen Form der englischsprachigen Öffentlichkeit vorgestellt. Inzwischen erfreut sich die Gewaltfreie Kommunikation weltweit großer Beliebtheit.
Gewaltfreie Kommunikation fördert die Fähigkeit, Gefühle und Bedürfnisse bei sich und anderen besser wahrzunehmen, sich darüber auszutauschen und gemeinsam gute Lösungen zu finden. Mit zunehmender Fertigkeit finden Sie einen leichteren Zugang zu Ihrer natürlichen Einfühlsamkeit. Der Kontakt zu anderen wird von immer mehr Klarheit und Aufrichtigkeit geprägt. In der Folge erhöhen sich Ihre Zufriedenheit, Ihr Wohlbefinden und die Qualität Ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen.
Oft wird gefragt, ob Gewaltfreie Kommunikation eine Gesprächstechnik oder eher eine Haltung ist. Meiner Ansicht nach ist Gewaltfreie Kommunikation ein Bewusstsein, das sich über das Training spezieller Fähigkeiten mit der Zeit in eine persönliche Grundhaltung verwandelt. Rosenberg hat sich zu diesem Thema oft geäußert und dabei betont, dass bereits ein Bruchteil der angestrebten mitfühlenden Haltung einen größeren Effekt auf die Verbindung und das Zusammenleben von Menschen hat, als es die formale Anwendung von Worten oder Techniken allein je bewirken kann.
Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation basiert auf drei Säulen:
einfühlsames Zuhören
Selbstempathie
achtsamer und ehrlicher Selbstausdruck
In diesem Kapitel möchte ich die wichtigsten Inhalte der Gewaltfreien Kommunikation vorstellen und erläutern, wie Marshall Rosenberg den Ideen für sein Trainingskonzept auf die Spur gekommen ist.
Die Geschichte der Gewaltfreien Kommunikation wurde bisher kaum wissenschaftlich erforscht. Wer sich darüber informieren möchte, muss Videos, Interviewtranskriptionen und wissenschaftliche Aufsätze aus der ganzen Welt auswerten und deren Informationen wie ein Puzzle zusammensetzen. Das daraus entstehende Bild ist umso faszinierender.
Marshall Rosenberg wurde 1934 in der Kleinstadt Canton im US-amerikanischen Bundesstaat Ohio geboren. Im Alter von neun Jahren zogen seine Eltern mit ihm und seinem jüngeren Bruder nach Detroit, wo der Vater (ein Transportarbeiter) Arbeit fand. In der neuen großstädtischen Umgebung sammelte Rosenberg schmerzhafte Erfahrungen mit Gewalt. Im Jahre 1943 konnte die Familie infolge von Rassenunruhen vier Tage lang nicht das Haus verlassen. Dutzende Menschen starben in der unmittelbaren Nachbarschaft.
Auch in der Schule lief es für Marshall Rosenberg schlecht. Aufgrund seiner jüdischen Glaubenszugehörigkeit wurde er vom ersten Schultag an von Mitschülern gehänselt und verprügelt. Er setzte sich zur Wehr, entwickelte ein einschüchterndes Auftreten und verstrickte sich in Schlägereien, die zu zahlreichen Krankenhausaufenthalten führten. Noch vierzig Jahre später erklärte er in einem Interview: »Vieles davon versuche ich mir auch heute noch abzugewöhnen.«
Aus seinen persönlichen Erlebnissen im Zuge der Rassenkrawalle und den Erfahrungen mit Diskriminierung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit ergaben sich für Marshall Rosenberg Fragen, die maßgeblichen Einfluss auf seine Arbeit und sein Lebenswerk hatten: Was macht Menschen gewalttätig? Warum lassen Menschen ihre Artgenossen gerne leiden?
Gleichzeitig beobachtete Rosenberg in seinem Elternhaus ungewöhnlich starke Formen der Einfühlsamkeit und gegenseitigen Unterstützung. Seine Großmutter erkrankte am Lou-Gehrig-Syndrom und lag einige Jahre lang sterbend im Esszimmer. Auch der senile Großvater und eine pflegebedürftige Tante lebten bei den Rosenbergs. Vater und Mutter kümmerten sich um Job, Haus und die Verwandtschaft. Den stärksten Eindruck auf den jungen Rosenberg hinterließ ein Onkel namens Julius, der den Eltern bei der Pflege der Großeltern regelmäßig zur Hand ging.
Marshall Rosenbergs Onkel Julius war ein Mann, der sich aufgrund seiner Liebenswürdigkeit und Einfühlsamkeit größter Beliebtheit erfreute. Sein Laden, der in einem überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtviertel lag, war trotz seines jüdischen Glaubens und seiner weißen Hautfarbe von den Auswirkungen der Rassenunruhen verschont geblieben. »Er wurde nie beraubt, weil er gegenüber allen Besuchern seines Ladens diese ungewöhnlich starke Einfühlsamkeit zeigte.«
Onkel Julius war es, der Rosenberg vom Wesen seiner sterbenden Großmutter erzählte. Sie hatte neun Kinder in bitterster Armut großgezogen. Trotz der Umstände durften auch andere Arme aus dem Stadtviertel oft jahrelang bei den Rosenbergs mitwohnen und mitessen. Seine Großmutter prägte das Motto: »Wozu laufen, wenn du tanzen kannst.« Als Marshall Rosenberg den Onkel viele Jahre später am Sterbebett auf das Geheimnis seiner Mitmenschlichkeit ansprach, antwortete dieser: »Ich hatte gute Lehrer.« Damit war Rosenbergs Großmutter gemeint.
Aus der Beobachtung gelebter Einfühlsamkeit, aus den Geschichten über seine Großmutter und dem Umgang mit seinem Onkel Julius ergaben sich für Marshall Rosenberg neue Überlegungen: Warum bleiben manche Menschen auch unter schwierigsten Umständen mitfühlend? Wie lässt sich eine einfühlsame Haltung erlernen und weitergeben?
In einem Umfeld voller Rassismus, Armut und hoher Pflegebedürftigkeit verlor Rosenberg den Mut, seine Gefühle zu zeigen. »Ich fühlte mich als verachteter Angehöriger einer Minderheit.« Die Emotionslosigkeit des Vaters diente ihm als Vorbild, um den Schmerz seiner Einsamkeit zu überwinden. »Ich lernte mich selbst hassen und machte mich unsichtbar.« Er beschloss, Psychologie zu studieren, um der Beantwortung seiner Fragen näherzukommen. An der Universität pflegte er sein Macho-Image durch Trunkenheit und Schlägereien, bis die Begegnungen mit dem Soziologen Michael Hakeem und dem Psychologen Carl Rogers seinem Leben eine Wende gaben.
Michael Hakeem politisierte das Denken Rosenbergs. Für Hakeem war der Einfluss gesellschaftlicher Strukturen entscheidend für die Entstehung von Gewalt. Hakeem äußerte in Vorlesungen und Büchern Zweifel am Erfolg gängiger psychologischer Therapieformen. Er forderte Rosenberg auf, den Zusammenhang von Sprache, Denkweise und Machtausübung zu hinterfragen. Sein Vorwurf gegenüber der Psychologie lautete, dass sie wissenschaftliche Urteile und Werturteile auf gefährliche Art vermische.
Marshall Rosenberg erzählt die Geschichte eines Patienten, der sich vor Gericht verteidigen musste, weil er Farbbeutel auf das Firmenschild einer Waffenfabrik geworfen hatte. Als er vor Gericht die Haltung der Gewaltlosigkeit erklärte, ließ ihn der Richter psychiatrisch untersuchen. Dem Mann wurde eine Schizophrenie diagnostiziert. Die Kritik von Michael Hakeem an diesem und ähnlichen Vorgängen »machte mein ganzes Psychologiestudium zunichte«.
Im Jahr 1960 nahm der bekannte Psychologe Carl Rogers einen Lehrstuhl an Rosenbergs Universität an. Rosenberg konnte an Rogers Forschungsprogramm zur Wirksamkeit unterschiedlicher Therapieformen teilnehmen. Die Ergebnisse der Untersuchung prägten Rosenbergs Denken. Carl Rogers identifizierte Empathiefähigkeit, Aufrichtigkeit und Gleichwertigkeit als wichtigste Bestandteile einer helfenden zwischenmenschlichen Beziehung.
Aus den Begegnungen mit Michael Hakeem und Carl Rogers entstanden Rosenbergs Annahmen über das Gelingen menschlicher Kommunikation und therapeutischen Erfolgs: die Unterscheidung zwischen Beobachtung und Interpretation (ein Farbbeutelwurf gegen das Gebäude eines Rüstungsunternehmens muss nicht auf eine psychische Erkrankung hindeuten), der Respekt vor der individuellen Sichtweise und Erfahrung jedes einzelnen Menschen, die Bedeutung empathischen Zuhörens und die Wichtigkeit ehrlicher Selbstkundgabe.
Marshall Rosenberg sah das eigene Berufsbild plötzlich mit neuen Augen. Sein Interesse galt von nun an den Fragen: Was brauchen Menschen, um glücklich zu leben? Wie können Therapeuten ihren Klienten beibringen, sich aus eigener Kraft zu beschaffen, was sie zu ihrem Glück brauchen?
Die 1960er- und 1970er-Jahre verbrachte Rosenberg damit, Trainingsformen für eine neue Sprache des einfühlsamen und unterstützenden Miteinanders zu entwickeln. Mit den vier Schritten der Gewaltfreien Kommunikation fand er eine Form, um Kindern und Erwachsenen die wesentlichen Fähigkeiten gelingender Kommunikation zu vermitteln. Anfang der 1980er-Jahre gründete Rosenberg das »Center for Nonviolent Communication CNVC«), um die Methode weiterzuverbreiten und die Qualität der Trainerausbildung abzusichern.
Marshall Rosenberg benutzt zwei Handpuppen, um das Modell der Gewaltfreien Kommunikation vorzuführen. Die Giraffe steht für einfühlsame Kommunikation. Sie hat das größte Herz unter den Säugetieren (sie braucht das riesige Herz, damit der Blutkreislauf den langen Weg zum Kopf gut bewältigt). Sie behält stets den Überblick und die Höcker auf ihrem Kopf sehen wie Antennen aus (so klappt es besser mit der Wahrnehmung). Außerdem kann die Giraffe mit ihrem Speichel Dornen auflösen (eine Eigenart, die für die Bewältigung schwierig zu hörender Botschaften steht).
Der Wolf hingegen heult sofort los, wenn ihm etwas fehlt oder er Schmerzen hat. Dabei zeigt er den Zuhörern sein großes und angsteinflößendes Gebiss. Seine scharfen Zähne stehen für die gegenseitigen Abwertungen und Schuldzuweisungen, die unsere Alltagssprache prägen. Weil der Wolf in vielen außereuropäischen Ländern eine andere Bedeutung hat, benutzt Rosenberg regional unterschiedliche Tiere für wölfische Formen der Kommunikation (zum Beispiel Schakalpuppen in Nordamerika und Schlangen in Skandinavien).
Wolf und Giraffe stehen nicht für Gut und Böse, sondern für unterschiedliche Gewohnheiten im Ausdruck und der Wahrnehmung von Gefühlen und Bedürfnissen. Der Wolf hat einen eigenen Wert als bedeutender Hinweisgeber. Er engagiert sich mit seinem Geheul kraftvoll für die Erfüllung von Bedürfnissen. Doch erst durch die stetige Übersetzungsleistung der Giraffe werden seine Botschaften verständlich. Wer Giraffenohren aufsetzt, kann die eigentlichen Anliegen aus dem Wolfsgeheul herausfiltern. Wer die Giraffensprache trainiert, findet zu einer achtsamen und klaren Ausdrucksweise, der andere Menschen leichter zuhören können.
Im Jahre 1985 besuchte Rosenberg Deutschland, um auf Einladung einer Friedensinitiative seinen ersten Workshop in Europa zu leiten. Den großen Durchbruch im deutschsprachigen Raum erlebte die Gewaltfreie Kommunikation auf dem evangelischen Kirchentag 1993 in München. Anschließend bildeten sich Übungsgruppen in ganz Deutschland. Mit mehr als 500.000 verkauften Exemplaren entwickelte sich die deutschsprachige Ausgabe seines Grundlagenbuchs zu einem Bestseller. Über Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und soziale Organisationen fanden Seminare für Gewaltfreie Kommunikation den Weg bis in die Vorstandsetagen großer Unternehmen.
Gewaltfreie Kommunikation basiert auf den Fähigkeiten zu einfühlsamem Zuhören, Selbstempathie sowie ehrlichem und achtsamem Selbstausdruck. Keine dieser drei Fähigkeiten hat eine privilegierte Stellung. Erst im Zusammenspiel ermöglichen sie ein wertschätzendes Miteinander.
Auf der Fähigkeit zu gegenseitigem Verständnis und einfühlsamem Zuhören basieren die Erfolge des menschlichen Zusammenlebens. Zuhören bedeutet, einen Moment ganz bei unserem Gegenüber zu sein, bei den Gefühlen des anderen mitzuschwingen und dessen Aussagen logisch einordnen zu können. Durch Zuhören und Verständnis entsteht zwischen Menschen diejenige Qualität des Kontakts, die wir als berührend und vertrauensbildend empfinden.
Verstehen bedeutet nicht zwangsläufig, einverstanden zu sein. Wir wechseln die Perspektive und akzeptieren, dass jeder Mensch gute Gründe für sein Handeln hat. Wir erweitern durch gegenseitiges Zuhören den Umfang der Möglichkeiten, vorhandene Bedürfnisse in eine gute Lösung zu integrieren.
Die Fähigkeit zu einfühlsamem Zuhören ist eine Gabe der Natur, die geschult und entwickelt werden muss. Das Verstehen anderer verpflichtet zu nichts. Es erhöht jedoch die Bereitschaft, unserem angeborenen Bedürfnis nach gegenseitiger Unterstützung zu folgen und Geborgenheit zu geben.
Die meisten Zwiegespräche führen wir mit uns selbst. Je nach Stimmung bezeichnen wir dies als »nachdenken«, »grübeln«, »brüten« oder »reflektieren«. Auch Selbstgespräche sind geprägt von Gefühlen, Bedürfnissen, Bewertungen und Glaubenssätzen. Schon das kleinste Missgeschick und die unbedeutendste Kritik können negative Urteile über uns selbst oder andere auslösen.
Selbstempathie ist ein bedeutender Akt der Psychohygiene. Sie führt zu einem besseren Verständnis von uns selbst. Wir sortieren das innere Gefühlschaos. Wenn wir die tieferen Bedürfnisse hinter unseren Gefühlen erkennen lernen, motivieren wir uns zu ersten Schritten in Richtung guter Lösungen. Wir erkennen, in welchen Angelegenheiten wir für uns selbst sorgen können und wo wir um Hilfe bitten möchten. Anderen gegenüber können wir uns verständlicher ausdrücken.
Ein glückliches und zufriedenes Leben beginnt im eigenen Kopf. Damit wir genau wissen, wie es uns geht und was wir brauchen, liefert uns die Selbstempathie einen verlässlichen Kompass. Mit Übungen zur Selbsteinfühlung können wir Ärger und Wut auflösen, Entscheidungen treffen, Trauer überwinden und Erfolge feiern. Selbstempathie ist eine wichtige Voraussetzung für innere Ausgeglichenheit und ein authentisches Auftreten gegenüber der Umwelt.
»Gewalt« bedeutet im Zusammenhang mit Gewaltfreier Kommunikation, dass Menschen sich eigene Bedürfnisse auf Kosten anderer erfüllen. In Gesprächssituationen äußert sich Gewalt vor allem in Form von Urteilen und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Sätze wie »Ich fühle mich ungerecht behandelt« weisen dem Gegenüber eine Täterrolle und die Alleinverantwortung für das eigene Unglück zu. Forderungen, Druck und Zwang fördern ein aggressives Gesamtklima. In unserer Alltagssprache wird die Verantwortung für fehlende Dialogbereitschaft häufig geleugnet und hinter Formulierungen wie »müssen« und »sollen« versteckt.
In der Gewaltfreien Kommunikation übernehmen wir die Verantwortung für die eigenen Gefühle. Die Spirale gegenseitiger Schuldzuweisungen wird durchbrochen, die eigenen Bedürfnisse in einer verständlichen Sprache mitgeteilt. Wir sprechen aus, auf welche Weise wir uns konkrete Unterstützung erhoffen, und erklären, auf welche Beobachtungen sich unsere Reaktionen beziehen. Unser Kontakt zu anderen basiert auf der Bereitschaft zu einem Interessenausgleich.
In der Gewaltfreien Kommunikation geht es nicht um den Austausch von Nettigkeiten, sondern um wertschätzende Verbindung. Voraussetzungen dafür sind Aufrichtigkeit im Selbstausdruck und ein authentisches Auftreten. Die Achtsamkeit der eigenen Haltung drückt sich unter anderem in einer dem Reife- und Bildungsgrad des Gegenübers angemessenen Wortwahl aus. Wir sprechen von uns selbst, anstatt andere anzugreifen oder zu verurteilen. Dabei helfen uns die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation und die damit verbundenen Schlüsselunterscheidungen.
Im Laufe der Jahre führte Marshall Rosenberg zahlreiche Schlüsselunterscheidungen ein, mithilfe derer die Kernaussagen seines Modells klarer werden. Am wichtigsten und bekanntesten ist das »Modell der vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation«. Dieses Modell unterscheidet
Beobachtungen und Bewertungen,
Gefühle und Gedanken,
Bedürfnisse und Strategien zur Erfüllung eines Bedürfnisses,
Bitten und Forderungen.
Die Interpretation und Bewertung von Informationen ist notwendig, um sich eine Meinung zu bilden und angemessene Entscheidungen zu treffen. Wenn wir aussprechen, auf welche Beobachtung sich unsere Interpretationen stützen, bleiben unsere Gedankengänge auch für Außenstehende nachvollziehbar. Gefährlich ist hingegen die Vermischung von Beobachtungen und Interpretationen. Bewertungen wie »dein Zimmer ist ein echter Saustall« oder »Ihre Präsentation ging voll an der Sache vorbei« lösen bei unserem Gegenüber nicht Interesse, sondern Abwehr aus.
In Schritt 1 der Gewaltfreien Kommunikation geht es um wertfreies Beobachten. Was ist in der Situation konkret passiert? Was wurde gesagt oder getan? Auf welche Wahrnehmungen beziehen wir unsere Schlussfolgerungen? Wenn Sie mit einer wertfreien Beobachtung in das Gespräch einsteigen, erhöhen Sie die Chance, dass Ihnen auch bei schwierigen Themen weiter zugehört wird.
Gefühle sind körperlich wahrnehmbare Empfindungen, die durch innere oder äußere Reize ausgelöst werden. Sie weisen uns auf erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse hin. Sie drücken aus, wie es uns geht: »Ich fühle mich wach« oder »Ich bin unsicher« … Der Satz »Ich fühle mich über den Tisch gezogen« drückt hingegen keine Gefühle, sondern einen Gedanken in Form einer Schuldzuweisung aus. Im Alltag werden Gefühlsäußerungen häufig mit Pseudogefühlen und Gedanken verwechselt.
Die meisten Konflikte spielen sich auf der Beziehungsebene ab. Das Verständnis für Gefühle leistet einen großen Beitrag zur Stabilisierung gestörter Beziehungen. Weil alle Menschen über die gleiche Grundausstattung von Gefühlen verfügen, ermöglicht das Aussprechen Ihrer Gefühle Ihrem Gegenüber ein besseres Verständnis Ihrer Stimmung. Umgekehrt erzeugen Sie durch die Verbalisierung der Gefühle Ihres Gegenübers Sicherheit und Vertrauen.
Konflikte entstehen, wenn die Bedürfnisse einer Partei auf Kosten der Bedürfnisse einer anderen befriedigt werden. In einer solchen Situation versteifen sich die Parteien oft auf spezielle Problemlösungsstrategien, von deren Umsetzung sie sich volle Zufriedenheit versprechen. Wenn Forderung auf Forderung prallt, besteht wenig Verhandlungsspielraum. Bedürfnisse lassen sich jedoch erfahrungsgemäß nicht nur auf eine, sondern auf vielfältige Weise erfüllen.
Jedes Bedürfnis kann auf unterschiedliche Weise befriedigt werden. Schauen Sie in Konflikten zunächst auf die Gefühle und Bedürfnisse hinter den Forderungen der Beteiligten. Anschließend können Sie kreativ nach Lösungswegen suchen, die die Bedürfnisse aller Beteiligten erfüllen.
Bitten drücken aus, wie wir uns die Erfüllung unserer Bedürfnisse vorstellen. Im Unterschied zu Forderungen überlassen wir bei Bitten dem Gegenüber die Wahlfreiheit, ob er oder sie unsere Vorschläge erfüllen will. Bitten fördern die Wahrscheinlichkeit, gegenseitige Einfühlung und flexible Verhandlungen zu erreichen. Forderungen führen hingegen oft zu Abwehr, bröckelndem Vertrauen und einer spürbaren Abnahme des persönlichen Engagements.
Wenn wir bitten, anstatt zu fordern, erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, dass unser Gesprächspartner einfühlsam auf unsere Bedürfnisse reagiert. Forderungen und Druck führen zwar gelegentlich zu schnellen Resultaten, kosten aber einen hohen Preis auf der Beziehungsebene.
Kapitel 2
IN DIESEM KAPITEL
Beobachtung und Bewertung unterscheidenVerantwortung für die eigene Sprache übernehmenWarum wertfreies Beobachten in Konflikten hilfreich istWertfreies Beobachten trainierenDie Trennung zwischen Beobachtungen und dazugehörigen Interpretationen ist einer der Kernpunkte der Gewaltfreien Kommunikation. Es geht in der Gewaltfreien Kommunikation nicht darum, Bewertungen ihren Sinn abzusprechen. Sie tragen jedoch erst dann zum Gelingen eines Gesprächs bei, wenn wir zwischen der Bewertung und der Beobachtung unterscheiden, auf die wir uns bei ihr beziehen.
Ein weiteres zentrales Thema der Gewaltfreien Kommunikation ist die Übernahme von Verantwortung für das eigene Denken, Fühlen und Handeln. Es macht einen Unterschied, ob ich meine Bewertung als objektive Wahrheit darstelle (»Diese Kleidungsstücke passen überhaupt nicht zusammen!«) oder als persönliche Meinung kennzeichne und auf die dazu passende Beobachtung hinweise: »Das gestreifte Sakko und die karierte Krawatte wirken in der Kombination unruhig auf mich.« Insbesondere in schwierigen Gesprächssituationen ist ein Gesprächseinstieg mit einer eindeutigen Beobachtung und einem für alle Gesprächspartner nachvollziehbaren Bezugspunkt hilfreich, um ein offenes Gesprächsklima zu erzeugen.
In diesem Kapitel geht es deshalb um die Unterscheidung zwischen wertfreier Beobachtung und subjektiven Bewertungen in der Alltagskommunikation (zum Beispiel wenn wir Ereignisse aufgrund eigener Erfahrungen auf bestimmte Art interpretieren oder bloße Annahmen mit gesichertem Wissen vermischen). Mithilfe zahlreicher Übungen können Sie Ihre Sensibilität für die Wahrnehmung und den Ausdruck beobachtbarer Wirklichkeit schärfen.
Das Überleben unserer Spezies hängt von unserer Fähigkeit ab, Dinge richtig einzuschätzen und zu interpretieren. Bereits der Steinzeitmensch musste die Spuren seiner Beute im Unterholz lesen können. Im Agrarzeitalter wurde die Deutung von Wetterlagen überlebenswichtig. Heute unterscheidet der Mensch problemlos zwischen nützlichen und belanglosen Hinweisschildern an der Kreuzung einer Hauptverkehrsstraße. Ohne unsere Intuition könnten wir nicht einmal eine Fußgängerzone gefahrlos durchqueren. Wir erahnen, wo sich die entgegenkommenden Menschen als Nächstes hinwenden. Wir interpretieren unsere Beobachtungen mit allergrößter Routine.
In der Kommunikation jedoch stellt die Interpretation und Bewertung von Aussagen und Handlungen unseres Gegenübers ein großes Hindernis dar. Das Verhalten von Menschen ist komplexer als eine Spur im Sand oder ein fest verschraubtes Hinweisschild. Unsere Sprache wurzelt in einer Zeit, in der die Wirklichkeit vergleichsweise einfach strukturiert war. Wir treffen unsere spontanen Bewertungen der Verhaltensweisen anderer Menschen auf der Basis weniger, subjektiv ausgewählter Informationen und rufen damit bei anderen Menschen häufig Ärger und Abwehr hervor. Unsere Urteile werden unserem Gegenüber oft nicht gerecht. Kritik, gegenseitige Schuldzuweisungen und abwertende Vergleiche führen in den Konflikt.
Diese Übung können Sie mit einer Gruppe von fünf bis 15 Teilnehmern ausprobieren. Legen Sie gemeinsam einen Ort fest, an dem sich Menschen typischerweise als Gruppe begegnen: zum Beispiel ein Betriebsfest, eine Elternversammlung, ein Klassenzimmer oder eine Geschäftsbesprechung. Welche Rollen werden Menschen bei solchen Gelegenheiten gerne unbewusst vergeben? Da gibt es zum Beispiel den »Macher«, den »Clown«, den »Eckensteher«, den »Partylöwen« oder die »Drama-Queen«. Schreiben Sie die Situation und alle Verhaltensetiketten (Rollen), die der Gruppe dazu einfallen, mit Moderationsmarkern auf Moderationskarten.
Die Karten werden anschließend gemischt und verdeckt an die Teilnehmenden ausgeteilt. Alle halten ihre Karte gut sichtbar an die Stirn, ohne das eigene Etikett vorher gelesen zu haben. Nun bewegen sich die Teilnehmenden durch den Raum und betrachten die Etiketten der anderen.
In den nächsten fünf Minuten haben die Mitspieler die Aufgabe, die entgegenkommenden Personen so zu behandeln, wie es deren Etikett nahelegt. Dem »Macher« wird entweder gefolgt oder er wird schnell umgangen. Über den »Clown« lachen sie sich kaputt, vielleicht zucken sie aber auch nur genervt die Schultern.
Nach fünf Minuten werden die Teilnehmenden reihum befragt, wie es ihnen in ihrer Rolle erging. Anschließend dürfen sie raten, welches Etikett sie tragen. Dann legen alle die Moderationskarten in einen großen Kreis ab. Es werden neue Moderationskarten ausgeteilt, auf die die Teilnehmenden Bedürfnisse notieren, die ihre Rolle möglicherweise bei ihnen befriedigt (zum Beispiel »Erfolg« oder »Distanz« beim »Macher«); eine Liste mit Bedürfnissen finden Sie in Kapitel 4. Die mit ihren Rollen verknüpften Bedürfnisse werden am Ende der Übung vorgelesen und zu den Etiketten gelegt.
Die Übung »Verhaltensetiketten« verhilft uns zu einer Ahnung davon, wie es sich anfühlt, wenn ein Verhalten wiederholt nur in eine Richtung gedeutet wird, ohne dass die Richtigkeit der eigenen Wahrnehmung und die Gültigkeit unserer Interpretationen immer wieder neu hinterfragt werden.
Menschen verändern und entwickeln sich ständig. Sie abzustempeln und in Schubladen zu stecken, ist Teil jener sprachlichen Gewalt, die durch Achtsamkeit und Gewaltfreie Kommunikation überwunden werden soll. Bewertende Aussagen besitzen einen starren und statischen Charakter. Die Gewaltfreie Kommunikation strebt eine dynamische Ausdrucksweise an, die Flexibilität für sich fortwährend verändernde Umstände bietet.
Eine Beobachtung im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation ist all das, was wir sehen, schmecken, riechen, hören und fühlen können. Für Beobachtungen wird auch die Abkürzung ZDF gebraucht: Zahlen, Daten, Fakten. Wir beschreiben die Dinge so ähnlich, wie sie eine Videokamera (mit gewissen Zusatzfunktionen) aufnehmen würde. Dabei geht es weniger um exakte Mengenangaben oder minutengenau gemessene Zeitangaben. In den meisten Fällen genügt eine einfache Beschreibung der Dinge, die ich im jetzigen Augenblick wahrnehme.
»Du bist zu spät!« Mit Vorwürfen lösen wir in der Regel Abwehr und Angst aus. Noch gereizter reagieren Menschen auf Diagnosen, die sie charakterlich auf eine »falsche« Verhaltensweise festnageln: »Du kommst immer zu spät.«
Wenn wir erreichen wollen, dass sich unser Gegenüber öffnet und uns interessiert zuhört, müssen wir Beobachtung und Bewertung sauber trennen. »Als du geklingelt hast, war es kurz nach acht. Meiner Erinnerung nach waren wir um sieben Uhr verabredet.« Eine solche Ausdrucksweise steigert die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Aufmerksamkeit unseres Zuhörers erhalten. Wir können nun davon erzählen, was die Beobachtung in uns auslöst.
Notieren Sie sich auf einem Zettel drei Beobachtungen und drei Bewertungen der eigenen Person. Stellen Sie sich dabei ruhig vor einen Spiegel. Vielleicht tragen Sie einen roten Rock oder eine schwarze Hose. Das wäre die erste Beobachtung. Sind Ihre Haare zu lang geworden? Oder haben Sie vergessen sich zu rasieren? Diese beiden Aussagen sind Bewertungen. Eine Videokamera weiß nicht, was lang oder kurz ist. Sie kann auch nichts aufnehmen, was nicht passiert. Sie speichert ab, dass Sie einen roten Rock tragen und Ihr Pony einen Zentimeter über Ihre Augenbraunen fällt. Sie nimmt auf, dass Sie mit einer schwarzen Hose bekleidet vor dem Spiegel stehen, einen Bart tragen, Zähne putzen und das Bad verlassen.
Weil es so etwas wie eine objektive Wirklichkeit nach Ansicht der meisten Naturwissenschaftler nicht gibt, reicht uns für die Unterscheidung zwischen Beobachtung und Bewertung der Konsens innerhalb einer bestimmten kulturellen Gruppe oder eines Milieus. Die Haare, die Männer auf ihrem Kinn sehen, bezeichnen wir übereinstimmend als Bart. Streng genommen handelt es sich bei unserer Wahrnehmung um Lichtwellen, die bestimmte Formen erzeugen. Dennoch ist die Bezeichnung Bart hilfreicher, alles andere würde Konfusion erzeugen. Auch die Bezeichnung »Dreitagebart« ist eine Beobachtung, weil der Name die Definition leicht vergröbert in sich trägt.
Ganz anders sieht es bei den Begriffen »unrasiert«, »sexy« oder »hinterwäldlerisch« aus. Unter diesen Begriffen versteht fast jeder Mensch etwas völlig anderes. Ein Dreitagebart kann sorgfältig gestutzt sein, der Besitzer würde sich gegen die Bezeichnung »unrasiert« zur Wehr setzen.
Ähnlich uneins sind wir uns bei bewertenden Substantiven wie »Ordnung«, »Freiheit« oder »Leckerbissen«. Wer Ordnung herbeifleht, hat vielleicht die Ablage bearbeiteter Akten in ein Hängeregister im Hinterkopf, nicht aber eine zentimetergenau abgemessene Rasenkante. Unter dem Stichwort Freiheit kämpft der eine für die Aufhebung der Zollgrenzen und der andere für die Legalisierung von Sterbehilfe. Wer als Leckerbissen Blutwurst serviert, erntet Unverständnis bei Millionen von Vegetariern.
Wenn Sie Ihre Beobachtung konkretisieren, schaffen Sie Klarheit für den weiteren Gesprächsverlauf. Bei der wertfreien Beobachtung geht es nicht um eine wissenschaftlich einwandfrei objektive Aussage, sondern um einen Gesprächseinstieg, der sich auf einen Konsens in der Wahrnehmung (Fakten und Beobachtungen) bezieht.
Unsere Angewohnheit, die Dinge unablässig spontan zu bewerten, führt zu viel Ärger und Durcheinander. Stellen Sie sich einen Ehestreit vor, bei dem die Frau zu ihrem Mann sagt: »Du hast mich bezüglich der Steuerzahlung belogen.«
Die Frau unterstellt, dass ihr Mann ihr absichtlich die Unwahrheit gesagt hat. Vielleicht schämt sich der Mann, weil er glaubt, dass er erwischt wurde. Eventuell hat der Mann aber auch keine Ahnung, was genau die Frau kritisiert, da er sich an keine Lüge erinnert. In beiden Fällen wird er bei einem Frontalangriff automatisch ein »mentales Rollgitter« vor seiner emotionalen Fassade herablassen oder zu einem verbalen Gegenangriff ausholen, um sich vor weiteren Angriffen zu schützen: »Du nennst mich einen Lügner? Wer von uns beiden hat denn vorgeschlagen, die Putzhilfe schwarz zu bezahlen? Ich oder du?«
»Was du mir über die Steuerabgaben erzählt hast, entspricht nicht der Wahrheit.« Diese Aussage klingt zwar deutlich objektiver, sie ist es aber nicht. Die Ehefrau behauptet, dass eine bestimmte Wahrheit (vielleicht die der Steuerbehörde) wahrer als eine andere Wahrheit (die Darstellung des Mannes) ist. Auch dieser Gesprächseinstieg wird erfahrungsgemäß in einen verbalen Schlagabtausch münden: »Ich kann doch nichts dafür. Ich habe mich genau an die Vorschriften gehalten. Kümmere du dich doch um die Steuer, wenn du glaubst, dass du das alles besser verstehst.«
»Du hast gesagt, dass wir mit einer Nachzahlung von 5.000 Euro rechnen können, in diesem Brief steht aber etwas über 10.000 Euro Nachforderungen.« Diesmal geht es wirklich um Beobachtungen. Die 5.000 Euro beziehen sich auf eine Aussage des Mannes, die 10.000 Euro auf einen Brief des Finanzamts. Es wird klarer, warum die Ehefrau aufgeregt ist. Die Erfahrung mit Zeugenaussagen zeigt jedoch, dass Menschen die Wahrnehmung von Ereignissen sehr unterschiedlich filtern und abspeichern.
Die folgende Aussage berücksichtigt diese Erfahrung: »Ich habe gehört, wie du von 5.000 Euro Nachforderungen gesprochen hast, in diesem Brief steht aber, dass wir 10.000 Euro nachzahlen müssen.« Bei dieser Formulierung übernimmt die Frau die Verantwortung dafür, wie sie die Aussage ihres Mannes gehört hat. Sie bezieht sich einerseits auf ihre Erinnerungen an konkrete Aussagen und andererseits auf ein vorliegendes Dokument. Für den Einstieg in den Gesprächsprozess ist in diesem Fall nicht entscheidend, wer gelogen hat und wer die Wahrheit kennt. Stattdessen sind beide Ehepartner jetzt im Bilde, warum die Frau das Gespräch sucht. Auf dieser Basis kann die Ehefrau ansprechen, was der Brief und die Erinnerung in ihr auslösen und was sie in der aktuellen Situation braucht. Die Aussage enthält keine Schuldzuweisung und erhöht die Chance, dass ihr Mann ihr weiter zuhört.
Es gibt keine Garantie dafür, dass eine wertfreie Beobachtung als solche gehört wird. Grundsätzlich können Menschen jede Aussage eines anderen Menschen als Angriff auf ihre Person interpretieren. Um auszuschließen, dass andere unsere Aussagen als Bedrohung bewerten, müssten wir uns beim Sprechen auf wenige Worte und völlig unverfängliche Themen beschränken. Allerdings kann bereits unsere körperliche Anwesenheit beim anderen Ärger auslösen. Die Gewaltfreie Kommunikation strebt deshalb keine störungsfreie Kommunikation (eine Utopie!) an, sondern eine Verbesserung der Qualität unserer Verbindung zu anderen Menschen. Wertfreie Beobachtung ist ein wertvoller und effektiver Schritt in diese Richtung.
Wie feine Fäden verweben wir unsere Bewertungen überall in unsere Alltagssprache. Wir spüren ihre (unangenehme) Wirkung insbesondere dann, wenn sie uns als vermeintliche Objektivität statt als persönliche Meinung präsentiert werden.
Besonders hart treffen uns die Urteile anderer Menschen, wenn wir in eine Schublade gesteckt werden, in der wir uns nicht wohlfühlen. Häufig werden Formen des Wörtchen »sein« zur Bewertung anderer Menschen eingesetzt: »Du bist noch zu klein dafür.« Es fehlt die Beobachtung, auf die sich die Bewertung bezieht. Es wird nicht deutlich, dass es sich um die eigene Meinung handelt, es fehlt die persönliche Verantwortungsübernahme für das Gesagte.
Möglicherweise liegt der Aussage »Du bist zu klein« folgende Beobachtung zugrunde: »Das Zentimetermaß zeigt bei dir 1,26 Meter an. Wir haben gemessen, dass man mindestens 1,30 Meter groß sein muss, um mit den Händen an die Klettergeräte zu kommen. Du musst noch vier Zentimeter wachsen, bevor ich dir das Klettern auf dem Parcours erlaube.«