Der Tempel der Fortuna - Elodie Harper - E-Book

Der Tempel der Fortuna E-Book

Elodie Harper

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Beschreibung

Der finale Teil von Elodie Harpers Sunday Times-Bestseller-Trilogie rund um eine starke Frau in Pompeji kurz vor Ausbruch des Vesuvs  Eine mächtige Kurtisane in Rom, verfolgt von ihrer Vergangenheit. Ihr Name ist Amara. Wie wird sich ihr Schicksal entwickeln?  Amara ist jetzt eine mächtige Kurtisane in Rom, sie ist eine freie Frau mit Reichtum und Einfluss, und doch verfolgt sie ihre Vergangenheit. Denn während Amara in die politischen Intrigen des kaiserlichen Palastes verwickelt ist, bleibt ihre Tochter in Pompeji und wird von dem einzigen Mann aufgezogen, den sie jemals wirklich geliebt hat. Obwohl sie sich nach ihrer Familie sehnt, weiß Amara, dass es am sichersten ist, wenn sie weit weg ist. Doch wir schreiben das Jahr 79, und der Vesuv steht kurz vor seinem Ausbruch und Pompeji vor seinem Untergang ... 

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Weitere Bände der Reihe:

Die Wölfe von Pompeji (Band eins)

Das Haus mit der goldenen Tür (Band zwei)

© Elodie Harper, 2023

Titel der englischen Originalausgabe »The Temple of Fortuna«, Head of Zeus Ltd, London, 2023

© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2024

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Thomas Schlück GmbH

Übersetzung: Inga ter Pres

Korrektur: Michaela Retetzki

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Emily Bähr, www.emilybaehr.de

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com und Freepik.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Die Wolfshöhle

SEPTEMBER AD 79

ROM

1

2

3

4

5

6

7

OKTOBER AD 79

POMPEJI

8

9

10

11

12

13

14

15

16

24. OKTOBER AD 79

VESUVIUS

17

18

19

20

21

22

23

DEZEMBER AD 80

NEAPOLIS

24

25

26

APRIL AD 81

NEAPOLIS

EPILOG

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Andrea Binfor für eine jahrzehntelange Freundschaft, die uns vom Teenagergekicher im Park bis zu den Straßen von Pompeji geführt hat.In ungebrochener Liebe

Die Wolfshöhle

Das Lupanar in Pompeji hatte für die Römer zwei Bedeutungen – sowohl Bordell als auch Wolfshöhle, so wie das Wort Lupa sowohl Prostituierte als auch Wölfin bedeuten konnte.

SEPTEMBER AD 79

ROM

1

Berenike war auf dem Höhepunkt ihrer Macht … Sie wohnte im Palast und lebte mit Titus zusammen. Sie erhoffte sich eine Heirat mit ihm und verhielt sich bereits in jeder Hinsicht so, als wäre sie seine Frau; aber er beugte sich der Unzufriedenheit der Römer mit der Situation und schickte sie weg.

Cassius Dio, Römische Geschichte

Die Nachtluft ist schwer vom Duft des Oleanders, dem süßen Gift, das Amara immer mit Rom verbindet. Sie steht mit anderen Frauen an den hohen Bogenfenstern, die den Blick auf die mondbeschienene Stadt freigeben, umschmeichelt von einer Brise, die noch warm ist von der brütenden Hitze des Tages. Von hier oben auf dem Palatin ist der Straßenlärm nur noch schwach zu hören, doch die Hauptstadt des Imperiums kommt nie zur Ruhe. Zu jeder Stunde rumpeln und klappern Karren über die Steine, und dort unten, unterhalb des kaiserlichen Palastes, das weiß Amara, ist der Geruch faulig, nicht blumig.

Das Fackellicht flackert über den Marmorboden und die bemalten Wände und lässt das Blattgold flüssig erscheinen. Der Reichtum, der Amara umgibt, gehört zu einer anderen Welt als der dunklen der Wolfshöhle, die sie geprägt hat, aber trotz der Pracht hier ist Schmerz allgegenwärtig. Königin Berenike steht vor ihnen, das dunkle Haar offen, ihr schwarzer Kajal zieht sich in Streifen über ihre Wangen. Die Königin von Judäa hat schon immer einen Sinn für Dramatik gehabt, kaum etwas, was sie tut, ist ohne Berechnung, aber Amara weiß, dass ihre Tränen heute Abend ungeheuchelt sind. Selbst die mächtigste Frau kann von der Liebe gebrochen werden.

Leises Klagen hallt im Raum wider, während sich weinende Jungfrauen um die Königin scharen und sich an ihre Kleider klammern. Amara beobachtet sie mit kaltem Blick und überlegt, wie viele wirklich traurig sind, dass ihre Herrin geht. Es sind weniger einflussreiche Leute hier, um sich von Berenike zu verabschieden, als sie erwartet hat. Vielleicht wird Titus seine Meinung doch nicht ändern, vielleicht wird seine Geliebte diesmal wirklich verbannt. Er hat so oft versprochen, sich von Berenike loszusagen, und konnte sich dann doch nicht von der Frau trennen, die in allen wichtigen Belangen als seine Ehefrau fungiert. Amara ist sich sicher, dass Berenike die Ironie nicht entgeht: Der Moment, in dem sie den Gipfel des Rades der Fortuna erreichte, als ihr Geliebter Kaiser wurde, war auch der Moment, in dem Titus gezwungen war, sie fallen zu lassen.

Die Schlange schiebt sich weiter. Bald wird Amara an der Reihe sein, sich zu verabschieden. Sie versucht sich alle Gesichter einzuprägen, die sie hier sehen kann, und zählt die Menschen im Stillen auf. Ihr Gönner Demetrius wird einen möglichst detaillierten Bericht erwarten. Deshalb hat er sie geschickt. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie wahrscheinlich es ist, dass Berenike zurückkehren wird. Amara redet sich ein, dass sie auf jeden Fall gekommen wäre, um ihre Aufwartung zu machen; schließlich bewundert sie die Königin sehr. Aber sie weiß in ihrem Herzen, dass sie ferngeblieben wäre, wenn Demetrius sie darum gebeten hätte.

Amara blinzelt, um den Neuankömmling in der Halle zu erkennen – ist es die Frau eines Senators? –, da bemerkt sie, dass die Frau vor ihr, die gar nicht davon ablassen wollte, Berenikes juwelenbesetzte Finger an ihren Busen zu drücken, endlich gehen will. Amara tritt schnell nach vorn in die Umarmung der Königin.

»Plinia Amara. Du bist gekommen.«

Sie kann kaum glauben, dass dies das letzte Mal sein soll, dass sie die tiefe Stimme der Königin hört. Amara blickt in Berenikes Augen, die von Tränen verschleiert sind. Die Frau, die Titus’ Herz gestohlen hat, ist fast fünfzig und damit in einem Alter, in dem Possenreißer ihre Hinfälligkeit beklagen. Aber ihr Spott kann Berenikes Schönheit nicht trüben. Selbst jetzt, nach einer durchwachten Nacht, ist sie immer noch eine der beeindruckendsten Personen, die Amara je gesehen hat. Aber das ist nicht der Grund, warum Titus sie ausgewählt hat. Der Kaiser liebt Berenike aus demselben Grund, aus dem ihre Feinde sie hassen: Sie ist eine mächtige Frau, von enormer Intelligenz, die sich nicht scheut, ihre Meinung zu sagen.

»Er wird wieder nach dir schicken«, sagt Amara impulsiv und vergisst dabei die schmeichelnden Worte, die sie einstudiert hat. »Wenn er ein Jahr lang Rom regiert hat, wenn seine Stellung sicher ist. Dessen bin ich mir sicher.«

»Das sagen alle.« Berenike weist auf die Warteschlange. Sie schnieft und stellt sich aufrechter hin. »Aber vielleicht werde ich mich weigern zu kommen.«

Amara hält den Blick der Königin, bis Berenike lächelt. »Na, vielleicht auch nicht.«

Berenike sieht müde aus, und Amara versteht den Schmerz der stolzen Verliererin. Dass sie von der Laune eines Mannes abhängt, auch wenn es der mächtigste der Welt ist.

»Ich werde es vermissen, dich lesen zu hören«, sagt Berenike. »Der Admiral hat nicht gelogen, was deine Stimme angeht.«

»Du bist zu freundlich. Aber ich bin sicher, dass du in Jerusalem viele fähige Dienerinnen haben wirst.«

»Keine mit deinem Verstand. Vielmehr deinem scharfen Verstand.« Berenikes Stimme ist hart geworden, so wie der Frost das Gras im Winter härtet. »Deine Aufwartung, Plinia Amara, ist für mich ein größerer Trost als jeder andere. Wenn du das sagst, ist meine Rückkehr nach Rom wohl sicher, denn du warst noch nie jemand, der ein sinkendes Schiff nicht verlassen hätte.«

Amara zögert. Berenike macht das oft – ein Kompliment, bei dem die Gefahr besteht, dass der Empfänger es mit einer Beleidigung erwidert. »Dein letztendlicher Triumph steht außer Frage«, sagt sie. »Aber nichts hätte mich heute Abend von dir ferngehalten.«

»Wenn so sicher ist, dass wir wieder zusammenkommen, werde ich mich nicht verabschieden.« Berenike streckt Amara ihre Hand zum Kuss entgegen. Amara neigt den Kopf, und die Königin wendet sich ab, als erwarte sie bereits ihre nächste Audienz. Amara verharrt einen Moment, weil sie eine förmlichere Entlassung erwartet, die erfolgt jedoch nicht. Sie versucht, den Blick einer der Jungfrauen zu erhaschen, die immer noch leise weinen und sich an den Rocksaum der Königin klammern, aber das Mädchen sieht schnell zur Seite. Es bleibt Amara nichts anderes übrig, als zu gehen. Sie schreitet rückwärts, den Kopf immer noch gesenkt, um nicht respektlos zu wirken, und durchquert den Raum so leise wie möglich in Richtung Treppe. Der Palast fühlt sich plötzlich bedrückend an, düster von der Trauer der Königin und der Abwesenheit des Kaisers. Nur mit Mühe kann Amara dem Drang widerstehen, wie ein Kind die Marmorstufen hinunterzurennen. Stattdessen geht sie feierlich an den wartenden Sklaven vorbei, die ihr Leben damit vergeuden, Wache zu halten, vorbei an den vergoldeten Statuen von Augustus, Livia und Cäsar, unter den hängenden Öllampen hindurch, die wie die Sternbilder über ihr leuchten, und tritt in die Nachtluft hinaus.

Ihre Sänfte wartet schon auf sie. Das Schwanken, wenn die Sklaven sie vom Boden hochheben, macht Amara schwindelig. Sie lehnt sich in die Kissen, der Stoff liegt weich an ihrer Haut, und sie widersteht dem Drang, sich an den Seiten festzuhalten. Sie kann sich nicht so recht daran gewöhnen, sich von anderen tragen zu lassen; beim kleinsten Stolpern glaubt sie, dass sie die Sänfte fallen lassen werden. Ihre eigenen Füße fühlen sich viel zuverlässiger an. Sie streicht mit den Fingerspitzen über die Vorhänge, die sie umgeben, und öffnet sie einen Spalt – nur so weit, um einen Blick auf die vorbeiziehende Außenwelt zu werfen, ohne gesehen zu werden. Sie verlassen das Gelände des kaiserlichen Palastes mit seinen Springbrunnen und Blumen und begeben sich auf die Straße. Amaras Puls schlägt schneller. Sie mag es nicht, nachts in Rom unterwegs zu sein. Es geht die Hänge des Palatins hinunter, die Geschäfte am Rande des kaiserlichen Anwesens sind längst alle geschlossen. Dann erreichen sie den Vicus Longus. Die schaukelnde Bewegung von Amaras Sänfte wird oft unterbrochen, da Wagen voller Mauersteine die Straße verstopfen, die sich ihren Weg zum kolossalen Amphitheatrum Flavium bahnen. Als sie an der Baustelle vorbeikommen, blickt sie hinaus. Wie ein Gespenst erhebt sich die Arena vor dem Nachthimmel, ihre hellen Steinbögen umrahmen die Dunkelheit im Inneren. Vespasians Theater des Todes, die Quelle von so viel Lärm, Hämmern und Staub, ist fast fertig.

Der Weg nach Hause führt von hier aus nur noch geradeaus; Amara könnte ihn fast im Schlaf gehen. Demetrius lebt am Vicus Longus, in der Nähe des Quirinals, des Hügels, auf dem sein früherer Herr Vespasian seit Langem familiäre Wurzeln hatte. Der Umzug des neuen Kaisers auf den Palatin ist einer der wenigen Brüche, die Titus mit seinem Herrschaftsantritt vollzogen hat, und Amara hofft, dass die räumliche Entfernung ihres eigenen Gönners vom Palast nicht auch ein Abdriften von seinem Einflussbereich mit sich bringt. Vorbei sind die Zeiten, in denen Demetrius innerhalb weniger Minuten von einer Audienz beim Kaiser zurückkehren konnte; jetzt ist es ein langsamerer, lauterer Weg zurück, wenn auch zumindest ein breiter, gut bevölkerter. Die Stadt ist gefährlich, besonders die verwinkelten Hinterhöfe sind für Amara ein Schrecken.

Die nächtliche Welt Roms zieht flüchtig an ihrem schmalen Vorhangspalt vorbei. Ein wohlhabender Mann spaziert, umringt von Sklaven mit Fackeln, auf dem Bürgersteig vorbei. Er ignoriert eine Prostituierte, die von einem Torbogen aus ihr Glück versucht. Amara beobachtet, wie die Frau ihn leise verflucht, nachdem er vorbeigegangen ist, und ihre schmale Hand zittert. Die niedergeschlagene Haltung der Frau hat etwas an sich, das in Amara Erinnerungen aufsteigen lässt, vor ihrem inneren Auge verwandelt sich die Fremde in Cressa, ihre längst verstorbene Freundin aus dem Bordell in Pompeji. Dann ist sie vorüber, die Gestalt im Schatten verschwunden.

Weihrauchschwaden kündigen den nahe gelegenen Febris-Schrein an, lange bevor ihre Sänfte den bemalten Altar der Fiebergöttin mit seinen rauchenden Opfergaben erreicht, der die Hälfte von Amaras Wegstrecke markiert. Amara macht das Zeichen gegen den bösen Blick. Die Verehrung der Römer für Febris widerspricht allem, was ihr in Griechenland beigebracht wurde, wo ihr Vater, ein Arzt, der sein ganzes Berufsleben lang mit dem Tod zu tun hatte, sorgfältig jede Erwähnung des Hades vermied. Warum sollte man die Aufmerksamkeit des Todes oder der Krankheit auf sich lenken? Das ergab keinen Sinn.

Amaras Stimmung wird durch die aufblitzenden Schmierereien nicht besser, die sie immer wieder an Hauswänden sieht. Möchtegern-Kleopatra, orientalische Schlampe, Judenhure. Der Hass auf Berenike scheint allgegenwärtig sein. Amara zieht die Vorhänge zu und hüllt sich in die Dunkelheit ein, mit einem unguten Gefühl im Magen. Ausländische Huren sind in Rom nicht beliebt; vielleicht ist es sicherer, sich zu verbergen. Wer weiß, ob eine hergelaufene griechische Kurtisane nicht den Unmut dieser Schmierfinken auf sich ziehen würde, nachdem die Königin verbannt ist? In Rom gab es schon immer Spannungen, Unruhen, die unter der Oberfläche schwelten wie heiße Glut, bereit zu entflammen, aber noch nie so sehr wie jetzt. Seit dem Tod des Kaisers Vespasian vor vier Monaten hat Amara Angst. Es ist schon so lange her, dass diese Stadt einen friedlichen Machtwechsel erlebt hat.

Selbst in der Dunkelheit erkennt Amara an der Unebenheit der Straße, die die Sänftenträger überwinden müssen, dass sie gleich vor Demetrius’ Tür halten werden. Sie riecht den Weihrauch aus dem nahe gelegenen Fortuna-Tempel, der Göttin des Glücks und des Schicksals. Die Männer nehmen sie von ihren Schultern und helfen ihr aus der Sänfte. Der Pförtner Salvius begrüßt sie in der Eingangshalle. »Er wartet auf dich.«

Sobald Amara über die Schwelle des Hauses getreten ist, verspürt sie ein vertrautes Gefühl der Ruhe. Es ist das Gefühl der Zugehörigkeit, das sie einst für selbstverständlich hielt, als sie nach Aphidnai zurückkehrte, als ihr Vater noch lebte, obwohl das Atrium hier unendlich viel größer ist als das Haus ihrer Familie in der Region Attika. Amara streift sich das Tuch von ihrem Haar und lässt die Seide auf ihre Schultern fallen, während sie über den Marmorboden geht. Die Wände sind nicht bemalt, sondern mit schimmernden Glasmosaiken bedeckt, deren Farben selbst im Lampenlicht unnatürlich leuchten. Demetrius gab die Szenen in Auftrag, viele Jahre bevor er Amara kennenlernte, aber ihre Kühnheit bringt sie immer zum Lächeln. Wo in anderen reichen Häusern die Götter in all ihrer Pracht und Macht dargestellt werden, hat er sich entschieden, die Gerissenheit zu feiern. Szenen aus Fabeln, die von Äsop, einem einfachen griechischen Sklaven, geschrieben wurden, werden wie unbezahlbare Edelsteine dargestellt. Die Gäste in Demetrius’ Haus werden von einer schillernden Schar von Füchsen, Wölfen, Mäusen und Krähen beobachtet. Als er sie das erste Mal hierhergebracht hatte, hatte Amara ihn gefragt, was er damit zum Ausdruck bringen wolle. Demetrius hatte nur gelacht. Mein Schatz, sei stolz auf die Dinge, die andere verachten. Wen kümmert es, dass du einst eine Hure und ich ein Sklave war? Schau, wo wir jetzt stehen.

Es dauert eine Weile, bis sie auf die gegenüberliegende Seite des Hauses gelangt, wo die Zimmer zum Garten hinaus gehen. Die Tür zum Schlafgemach ihres Gönners steht einen Spalt offen, ein junger Sklave hält draußen Wache. Amara nickt dem Jungen als Zeichen der Entlassung zu. Durch den Spalt in der Tür kann sie sehen, dass Demetrius eingeschlafen ist, während er auf sie gewartet hat. Er sitzt aufrecht auf einer Liege, die Augen geschlossen, der Kiefer schlaff. Sie schließt die Tür laut genug, um ihn zu wecken, da sie weiß, dass er die Schwäche seines Alters nicht wahrhaben will, und lässt sich dann Zeit, den Riegel zu schließen, um ihm einen Moment Zeit zu geben, sich zu sammeln, während sie ihm den Rücken zuwendet.

»Wie geht es Berenike?«

Auf seine Rede hin dreht sie sich um, durchquert den Raum und setzt sich neben ihn. »So wie zu erwarten. Ein gebrochenes Herz, Wut, Stolz. Ich glaube, dieses Mal will er sie wirklich verbannen. Da war ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit.«

Demetrius seufzt. »Plinius sagt das Gleiche. Titus ist entschlossen – so unglaublich das auch erscheinen mag. Wen hast du dort noch gesehen?«

Amara geht die Liste durch und zählt gegen Ende an den Fingern ab, um sicherzugehen, dass sie niemanden vergessen hat. »Und er hat alle Musiker und Künstler vom Hof entlassen.«

»Alle?« Demetrius zieht die Augenbrauen hoch. »Ich hatte gehört, dass er die Tänzerinnen hinausgeworfen hat, aber nicht auch die Sängerinnen. Dem Hof wird das sicher gar nicht gefallen.«

»Vielleicht werden wir beide bald das ausschweifendste Paar dort sein.«

Demetrius lächelt nicht, er ignoriert ihre Einladung, es auf die leichte Schulter zu nehmen. »Appetit auf Kurtisanen ist immer vorhanden, man muss ihnen ja nicht zu viel Macht zugestehen.« Er senkt die Stimme, obwohl sie ganz allein sind. »Sieh dir den Bruder des Kaisers an. Er weigerte sich, Antonia Caenis, die Konkubine seines Vaters, zu küssen, und denkt nicht daran, sich eine eigene zu halten.«

Die Spannung ergreift Amara wie eine ungewollte Umarmung. Sie weiß, wohin dieses Gespräch führen wird. Domitian. Der unberechenbare jüngere Bruder des Kaisers, dessen Enttäuschung über die fehlende Teilung der Macht mit Titus nach dem Tod ihres Vaters ein offenes Geheimnis ist und dessen Ehrgeiz und Grausamkeit ihren Gönner in ständige Angst versetzen. Gerüchte über einen Mord verfolgen ihn, doch niemand würde es wagen, Domitian öffentlich zu beschuldigen.

Demetrius beobachtet Amara genau. »Es gibt keinen Grund für dieses mürrische Gesicht, meine Liebste.« In einer halbherzigen Geste der Zuneigung legt er seine Hand auf ihr Knie, obwohl sie ihn finster ansieht.

»Es gibt eine Menge Gründe. Es ist offensichtlich, was du mich als Nächstes fragen wirst.«

»Das Problem ist, Kalliste, dass du ein zu guter Spion bist, um dich nicht einzusetzen.«

»Wie schmeichelhaft«, sagt Amara und lässt sich nicht davon beirren, dass er ihren griechischen Kosenamen benutzt.

»Nun, du kannst darüber entweder fröhlich oder ungehalten sein, wie du willst. Aber ich brauche dich morgen bei Saturia.«

»Das Mädchen macht mich wütend.« Amara bewegt sich so, dass er seine Hand wegnehmen muss. »Und außerdem hat sie nie etwas Nützliches zu sagen. Ich glaube nicht, dass Domitian seine Zeit mit Saturia wegen ihrer politischen Weisheit verbringt. Ich bezweifle, dass er ihr überhaupt etwas erzählt. Das würde ich auch nicht. Sie ist eine absolute Närrin.«

»Männer erzählen den Frauen, denen sie beiliegen, immer etwas. Das ist unvermeidlich.«

»Aber meinst du nicht, Domitian könnte vermuten, dass du mich zum Spionieren geschickt hast, wenn ich zu oft mit ihr gesehen werde? Oder noch schlimmer, was, wenn seine Frau denkt, dass er auch mit mir schläft? Domitian ist wahrlich kein Feind, den wir uns zulegen müssen.«

»Alles, was man sehen wird, sind zwei hübsche kleine Kurtisanen, die Zeit miteinander verbringen, um die neueste Mode zu diskutieren. Manchmal, meine Liebe, ist es von Vorteil, wenn andere Leute deine Intelligenz unterschätzen. Auch wenn ich das nie tue.«

Amara denkt an die Fabeln an Demetrius’ Wänden. Seine Huldigung der Gerissenheit. Sie weiß, dass dies einer der Gründe ist, warum er sie so sehr schätzt, und schnaubt, um ihn nicht wissen zu lassen, dass seine Schmeichelei verfangen hat.

»Ich frage nur aus großem Respekt vor dir, Plinia Amara.« Demetrius fährt mit seiner Charmeoffensive fort und legt einen Arm um ihre Taille. Sie verzieht den Mund bei der Anstrengung, weiterhin unzufrieden auszusehen. Den Sieg witternd, beugt er sich vor und küsst sie leicht auf die Lippen.

»Nun gut«, sagt sie mit dem Tonfall einer Frau, die ein großes Zugeständnis macht. »Ich werde gehen.«

»Plinius möchte auch, dass du die Freundschaft mit Saturia pflegst, falls dir das die Entscheidung leichter macht.«

Es entgeht Amara nicht, dass Demetrius ihr das erst sagt, nachdem sie seiner Bitte zugestimmt hat. Es ist eines der wenigen Anzeichen von Eifersucht, die sie je bei ihrem Gönner gesehen hat – seine Unsicherheit, ob ihre Loyalität zu Plinius, dem Mann, der ihr die Freiheit gewährt hat, größer ist als ihre Loyalität zu ihm.

»Das macht die Sache nicht besser«, sagt sie mit einem gespielten Anflug von Gereiztheit. »Wie unangenehm von euch beiden, mich herumzukommandieren.« Aus den Augenwinkeln sieht sie, wie er lächelt. »Und jetzt erwartest du wohl, dass ich über Nacht bleibe.« Amara küsst Demetrius erneut, um den Stachel aus ihrem Ton zu übertünchen und deutlich zu machen, dass sie der Idee nicht abgeneigt ist. In Wahrheit verspürt Amara absolut kein Verlangen nach Demetrius, und hat es auch nie gehabt. Aber sie mag ihn, und manchmal findet sie es beruhigend, ihm körperlich nahe zu sein, und sei es nur, weil ihr Gönner dann entspannt genug ist, um ihr seine wahre Zuneigung zu zeigen.

»Wie könnte ich eine so freundliche Einladung ablehnen?« Demetrius erwidert ihren Kuss, sein eigenes Verlangen ist echt. Er steht auf und nimmt sie bei der Hand, um sie zum Bett zu führen. »Allerdings kann ich dich nicht die ganze Nacht hier haben. Ich brauche danach etwas Schlaf. Und du lässt mir ja keinen Platz.«

Gegen ihren Willen denkt Amara an Philos. Daran, wie es sich anfühlte, mit einem Mann zusammen zu sein, der sie festhielt, als wollte er sie nie wieder loslassen. Dessen Liebe sie nie angezweifelt hat. Sie verdrängt die Erinnerung, lächelt stattdessen ihren Gönner an und tut so, als ob sie nicht den Schmerz der Einsamkeit in ihrem Herzen spürt.

2

… So sehr sind wir dem Zufall unterworfen, dass dieser selbst für einen Gott gilt und dieser Gott daher für unzuverlässig gehalten wird.

Plinius der Ältere, Naturgeschichte

Die Dienstmädchen umschwirren Amara wie Bienen eine Blume, nur dass sie sie mit Nektar überziehen, anstatt ihn auszusaugen. In diesen Tagen dauert es eine ganze Stunde, um sie salonfähig zu machen. Der weiße Puder juckt, als eines der Mädchen ihn über ihr Gesicht und ihren Hals streicht und ihrer Haut einen blassen, schimmernden Glanz verleiht. Amara besteht aus Respekt vor ihrem Vater, dem Arzt, darauf, Mergel zu verwenden, auch wenn er weniger modisch ist als Blei. Timaios hat sie oft über die giftigen Eigenschaften des Metalls belehrt, und sie kann sich nicht dazu durchringen, es zu benutzen, auch wenn Demetrius angesichts ihrer Anspruchshaltung die Augen verdreht.

Iris spitzt die Lippen, während sie das Rot auf Amaras Mund aufträgt und den Amorbogen mit kleinen, geschickten Pinselstrichen betont. Als sie fertig ist, tritt sie zurück und ermuntert Amara zu einem Schmollmund. Demetrius hat ein Vermögen für Iris und Daphne bezahlt, die beiden Frauen, deren Leben sich darum dreht, seine Mätresse schön zu machen. Ein weiteres Vermögen liegt in Form von Parfums und Kosmetika auf dem Frisiertisch, darunter eine Muschel, gefüllt mit leuchtend grünem Malachit. Amara schließt die Augen in Erwartung der Farbschattierung, die Iris über die bereits gezeichneten Kajalstriche legen wird. Die sanfte Berührung des Pinsels auf ihren Augenlidern ist beruhigend, ebenso wie die Stille. Hinter ihrem Stuhl stehend frisiert Daphne sorgfältig ihr Haar, so sanft, dass sie es kaum spüren kann. Amara weiß nur wenig über die beiden Frauen, sie zieht es vor, ihren eigenen Gedanken nachzuhängen, während sie arbeiten.

Nachdem sie fertig sind, muss Amara nicht einmal den Spiegel anheben, um sich zu betrachten. Daphne hält ihn ihr hin, eine große, hochglanzpolierte Silberscheibe, auf deren Rückseite das Profil einer Frau eingraviert ist. Amara starrt auf ihr Spiegelbild. Ihre Augen sind perfekt symmetrisch, das Grün, das sich an den Winkeln verjüngt, lässt sie größer erscheinen. Ihr Mund, der schon immer ihr auffälligstes Merkmal war, wirkt mit seinem tiefen Rotton noch voller. Es ist nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihre Intelligenz, die dazu geführt hat, dass Amara an diesem Frisiertisch sitzt, der einem der reichsten Männer Roms gehört. Sie denkt an ihre Freundin Dido, die noch schöner war, stellt sich vor, wie auch sie mithilfe einer Daphne oder einer Iris verwandelt worden wäre, und merkt, dass sie sich selbst nicht mehr ansehen will.

»Danke«, sagt sie und lächelt Daphne an, die daraufhin den Spiegel sinken lässt. Iris bringt ein Holzkästchen mit zwei Perlmuttintarsien, die tanzende Nymphen darstellen. Der silberne Verschluss ist kühl unter Amaras Daumen, als sie daraufdrückt, um den Deckel zu öffnen. Sie nimmt sich einen Moment Zeit, um die Reichtümer darin zu betrachten. Eine unbezahlbare Kamee von Demetrius, in die ihr eigenes Gesicht als Göttin Pallas Athene eingraviert ist, goldene und silberne Armspangen, die sich zu einem Stapel auftürmen wie die billigen Glasarmbänder, die sie früher in Pompeji zum Verkauf sah, und viele, viele Ringe. Das Wertvollste von allem sind eine goldene Halskette und eine Perle, die ihr der verstorbene Kaiser Vespasian an einem ersten März geschenkt hatte. Sie kann sich noch an Demetrius’ Stolz erinnern, als sie als eine der Frauen ausgewählt wurde, die von der jährlichen Großzügigkeit des Kaisers profitierten. Sie hatten darüber gesprochen, ob Vespasian ihr vielleicht auch beiliegen wollte, und Demetrius hatte deutlich gemacht, dass dies ein Akt der Untreue war, den er zulassen würde. Amara weiß bis heute nicht, ob er enttäuscht oder erleichtert war, als sein Herr nicht um eine Nacht mit seiner Geliebten bat. Wie sie Demetrius kennt, ist davon auszugehen, dass es beides war. Sie wählt die Kamee, ein Paar goldene Ohrringe und mehrere Ringe aus, darunter zwei, die sie immer trägt: einen aus Bronze mit einem Amethyst – den sie für sich selbst gekauft hat – und den Ring, den Demetrius ihr schenkte, als er sie zum ersten Mal nach Rom brachte. Er ist aus massivem Silber und trägt ein Relief eines springenden Hasen, dem Symbol für Sexualität und Fruchtbarkeit. Vielleicht schenkst du mir im Gegenzug einen Sohn, hatte er gesagt, als sie ihm dankte. Sein Tonfall war leicht, als bedeutete es nichts, aber sie hatte die Hoffnung in seinen Augen gesehen. Drei Jahre später haben sie kein Kind, nur zwei frühe Verluste, über die keiner von ihnen je spricht.

Die beiden Dienstmädchen treten zurück, als sich Amara von ihrem Stuhl erhebt, und Daphne nimmt den Seidenumhang vom Bett und legt ihn ihrer Herrin ehrfürchtig über Kopf und Schultern. Er ist blau, passend zu ihrem Chiton, und mit silbernen Sternen bestickt. Amara überlässt es Iris und Daphne, den Schminktisch aufzuräumen, tritt hinaus in den Garten und geht am Schlafgemach ihres Gönners vorbei, das neben dem ihren zu den Kolonnaden hinaus liegt. Demetrius ist um diese Zeit gewöhnlich nicht zugegen, sondern trifft sich mit Kunden in seinem Arbeitszimmer und erledigt Geschäfte im Namen des Kaisers. Der exklusive Duft von Zimt vermischt sich mit dem des Oleanders, als sie sich auf den Weg zu ihrem gewohnten Platz am Springbrunnen macht. Eine Sklavin wartet mit süßen Brötchen und Feigen und bietet sie Amara an, während sie sich auf die Bank setzt, die von der Septembersonne gewärmt wird.

Als Amara sich niedergelassen hat, hält die Sklavin ihr ein versiegeltes Schreiben hin. »Das ist für dich gekommen, Herrin.«

In ihrer Eile, den Brief zu nehmen, lässt Amara fast das Essen fallen. Er ist aus Pompeji. Ihre Hände zittern, als sie das Siegel bricht, ihr Blick wandert nach oben.

Sei gegrüßt, Herrin, alles ist gut mit deiner Tochter.

Amara atmet zitternd aus, überwältigt von Erleichterung. Philos beginnt seine Briefe immer auf diese Weise, um ihr die Angst zu nehmen. Er weiß, dass sie sich vor schlechten Nachrichten fürchtet – so viele kleine Kinder sterben, und ihre Eltern dürfen sie nicht einmal richtig betrauern, bevor sie zehn Jahre alt sind. Amara liest weiter und hört jedes Wort in Philos’ Stimme mit ihrem melodischen campanischen Akzent.

Rufina übertrifft sich weiterhin in allem, was sie tut. Sie ist fröhlich, höflich und wird von allen, die sie kennen, geliebt. Im Alter von drei Jahren beherrscht sie nicht nur das Alphabet – wie du weißt –, sondern kann jetzt auch schon über zwanzig Wörter schreiben, was, wie ich höre, erstaunlich ist. Der Spielzeugvogel, den du ihr geschickt hast, wird selten aus der Hand gegeben und liegt jede Nacht neben ihrem Bett. Sie schickt ihrer geliebten Mutter einen Kuss und behält dich in ihrem Herzen.

Tränen brennen Amara in die Augen, und sie ist gezwungen innezuhalten. Es gibt einen Platz in ihrem Herzen, wo all die Liebe für ihre Tochter gefangen und versteckt gehalten ist. Rufina. Es ist so viel einfacher, nicht an sie zu denken, nicht an Philos zu denken. Die Familie zu vergessen, die sie zurückgelassen hat. All das Geld, das Demetrius Amara gibt, sichert die Zukunft ihrer Tochter, doch sie weiß, dass die Jahre, die sie nicht mit ihr verbringt, unwiderruflich verloren sind.

Julia und Livia geht es gut. Sie wünschen dir den Segen der Götter. Deine Geschäfte florieren weiterhin, auch wenn uns unerwartete Kosten entstanden sind. Britannica wurde ausgewählt, die Spiele im Oktober zu leiten, eine Ehre für die gesamte Gladiatorentruppe, die unter deiner Schirmherrschaft weiterhin erfolgreich ist. Ich habe keinen Zweifel, dass sie sie zum Sieg führen wird.

Ich hoffe, dass es dir in Rom gut geht, Herrin, und verbleibe als dein gehorsamer Diener

Philos

Die letzte Wendung tut weh, auch wenn die Worte nur eine Formel sind. Es ist nicht so, dass Philos seine wahre Rolle als Rufinas Vater oder als Amaras Geliebter zugeben darf. Ehemaliger Geliebter, ermahnt sie sich und lässt den Brief in ihren Schoß sinken. Es ist Jahre her, dass sie miteinander geschlafen oder eine der Intimitäten geteilt haben, die ihr tägliches Leben mit Demetrius ausmachen. Vielleicht liebt Philos jetzt eine andere. Der Gedanke ist nicht gerade tröstlich. Der Brief von Philos ist nur ein paar Zeilen lang, und doch löst er einen Schwall schmerzlicher Gefühle aus.

Amara spürt, wie die Kälte der steinernen Bank sie durchdringt, während sie dasitzt, unfähig zu essen, voller Sehnsucht nicht nur nach ihrer Tochter, sondern nach allen, die sie zurückgelassen hat. Britannica, ihre treueste Freundin, deren Heldentaten als Gladiatorin in der Arena Amara sowohl mit Stolz auf ihre Stärke als auch mit Angst um ihre Sicherheit erfüllen. Julia und Livia, deren Gesellschaft und brillanten Verstand sie sehr vermisst. Julia war es, die Amara ein festes Zuhause in Pompeji verschaffte, nachdem Rufus sie verlassen hatte, und Julia sorgt nun dafür, dass Rufina in demselben Haus, innerhalb der Mauern ihres Anwesens, eine Kindheit voller Liebe verbringen kann. Als eine der angesehensten Unternehmerinnen der Stadt und Freundin von Plinius ist Julia Felix das, was für Rufina in Amaras Abwesenheit einer Mutter am nächsten kommt. Sie hat sogar dafür gesorgt, Rufus davon zu überzeugen, seinen Sklaven Philos an Amara auszuleihen, um die Erziehung des Kindes zu überwachen. Philos. Es ist unmöglich, ohne Schmerz an ihn zu denken. Amara hat Demetrius sehr lieb gewonnen, aber es ist eine Zuneigung, die nicht mit der Leidenschaft mithalten kann, die sie einst für Philos empfand, den Mann, den sie sich selbst ausgesucht hatte und den sie dann aufgeben musste.

Sie liest den Brief noch einmal in Ruhe, und das lenkt ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Halbsatz: … auch wenn uns unerwartete Kosten entstanden sind. Es scheint eine harmlose Formulierung zu sein, aber das Vage macht sie unruhig. Philos spricht immer Klartext, es sei denn, er kann es nicht, es sei denn, er spielt vielleicht auf Felix an, den Erpresser, der ihre Familie immer noch verfolgt. Selbst bis hier nach Rom, in die schöne Villa ihres Gönners, wirft ihr alter Herr aus dem Bordell noch immer seinen Schatten. Amara starrt auf das Schreiben und zerbricht sich den Kopf darüber, worum es gehen könnte, während der Brunnen neben ihr plätschert und die Sklavin stumm danebensteht.

Der ummauerte Garten, in dem sie sitzt, fühlt sich auf einmal nicht mehr sicher an. Es gibt kein Bollwerk, das stark genug wäre, um ihre Vergangenheit auszusperren. Ihr früheres Leben als Bordellhure und später als Rufus’ Konkubine. Die Tatsache, dass sie eine Konkubine war, ist ihrem Gönner wohlbekannt; es ist unmöglich, dass eine Frau versklavt war und tugendhaft gelebt hat. Aber das Geheimnis, das sie zerstören könnte, ist eines, von dem sie weiß, dass Demetrius es nicht verzeihen könnte. Der Vater von Amaras Tochter ist nicht Rufus, sondern Philos, Rufus’ Sklave. Einen Gönner mit seinem eigenen Diener zu betrügen, ist nicht nur ein Charakterfehler, es ist auch verboten und könnte Amara und Rufina die Freiheit kosten. Dies ist das Geheimnis, das Felix hütet, ein Geheimnis, das er in seinem Testament aufgeschrieben hat, und der Grund, warum sie immer noch gezwungen ist, jeden Monat für sein Schweigen zu bezahlen. Es ist ein Geheimnis, das ihm von Victoria verraten wurde, die einst Amaras engste Freundin war und jetzt Felix’ Frau ist. Amara verkrampft die Hände um den Brief, als sie sich wie immer fragt, was ihr eines Tages aus Pompeji Unangenehmes widerfahren könnte.

Schließlich legt sie den Brief beiseite. Sie wird keine Angst zulassen, denn sie weiß, welche Worte Philos benutzt hätte, wenn ihre Familie durch Felix in ernste Gefahr geraten wäre. Sie haben sich bereits auf einen Code geeinigt, wenn sie dringend nach Pompeji zurückkehren muss oder Gefahr besteht, dass ihr Geheimnis aufgedeckt wird. Amara beendet ihr Frühstück, ohne mit der Frau zu sprechen, deren Anwesenheit sie kurzzeitig vergessen hatte. Früher hatte es sie gestört, dass ihr erster Gönner Rufus die Sklaven, die ihm dienten, ignorierte, Menschen, die seine Bedürfnisse vorhersahen und sich um ihn herumbewegten wie Motten, die um eine Kerze tanzen. Aber jetzt sind sie und Demetrius sich sehr ähnlich, obwohl beide selbst die Versklavung durchgemacht haben.

Stimmen unter den Kolonnaden holen sie in die Gegenwart zurück. Einige der Hausangestellten besprechen die Vorbereitungen für den späteren Besuch von Plinius. Amara blickt nach oben. Der Himmel hat die rosige Färbung des Morgens verloren und nimmt das klare Blau eines heißen Septembertages an. Der Besuch bei Saturia kann nicht länger aufgeschoben werden. Sie erhebt sich, ohne mit der Frau, die sie bedient hat, zu sprechen, und geht durch den Garten Richtung Atrium. Die Villa in Rom ist groß, aber nicht so riesig wie Demetrius’ luxuriöses Anwesen in Stabiae – als Freigelassener will er nicht zu viel Neid bei der Elite der Hauptstadt auf sich ziehen.

Amaras Blick fällt auf ein Mosaik mit einer Reihe von Ameisen, als sie am Arbeitszimmer ihres Gönners anlangt. Die aus Obsidianplättchen gebildeten Insekten sind fleißig bei der Arbeit, während eine gelbe Grille singt und ihren Tag mit Müßiggang verbringt. Es ist typisch für Demetrius, dass er eine Fabel über die Bedeutung des Fleißes in Auftrag gegeben hat, und das direkt neben seinem eigenen Arbeitszimmer. An der Tür hält sie inne und hört sein tiefes Murmeln, er spricht griechisch. Der Klang ist beruhigend. Amara würde gern hineinschlüpfen, um sich zu verabschieden, bevor sie geht, aber sie ahnt, dass ihn das verärgern könnte. Die Abneigung gegen eine Unterbrechung bei einem Gespräch mit einem Kunden übersteigt die Zuneigung, die Demetrius für sie empfindet.

Vor der Tür wartet eine Sänfte auf sie. Der Herr hat bereits Anweisungen gegeben, wie seine Geliebte ihren Tag verbringen soll. Amara sitzt aufrecht und hält sich am Pfosten fest, während die Träger sie auf ihre Schultern heben, und dann geht es los. Die Straßen Roms sind jetzt bei Tageslicht wie verwandelt. Selbst die bösartigsten Schmierereien verlieren ihren Schrecken, die Menschen rufen sich auf der Straße oder aus den Fenstern etwas zu, die Bürgersteige sind voll von Händlern und Kaufwilligen. Amara lässt ihren Vorhang offen und genießt es, durch das Gedränge der Menge getragen zu werden. Sie erinnert sich daran, wie sie in Pompeji um jeden Zentimeter Platz kämpfen musste, wie die Säume ihrer Tuniken ständig von Staub und Schmutz beschmutzt waren.

Saturia wohnt in einer mondänen Straße auf dem Campus Martius. Ihre Villa ist nicht so prächtig wie die von Demetrius, aber glamouröser und moderner. Zumindest hat Saturia das Amara gegenüber oft erklärt. Das Haus der Kurtisane ist sofort zu sehen, als Amaras Sänfte in ihre Straße einschwenkt. Das leuchtend gelbe Gebäude hebt sich von seinen schlichteren Nachbarn ab, und im ersten Stock ist die Liebesgeschichte von Eros und Psyche in einer Reihe runder Reliefs dargestellt. Psyches nackte Gestalt ist in verschiedenen aufreizenden Posen dargestellt, und sie hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit Saturia selbst. Für den geflügelten Gott Eros hat der Künstler allerdings eindeutig ein weniger anstößiges Motiv als Domitian gewählt.

Einer von Demetrius’ Sänftenträgern, ein Gallier, dessen Namen Amara nicht aussprechen kann, befiehlt seinen Gefährten, anzuhalten. Amara steigt vorsichtig aus, da sie weiß, wie sehr Saturia immer auf das Auftreten anderer Frauen achtet, und schiebt den Seidenschleier über ihrem Haar zurecht. Weihrauch weht aus dem Haus auf die Straße, als Amara in die kühle, dunkle Diele tritt. Der Pförtner steht im Schatten, sein geölter Bart schimmert im schwachen Licht. Er verbeugt sich. Amara ist längst ein vertrauter Gast in Saturias Haus. Sie folgt dem Mann in das Atrium, das im neuesten Stil gestrichen ist, wobei die Wände ein falsches Gefühl von Tiefe vermitteln und gemalte grüne Vorhänge zwischen Säulen das Auge täuschen. Das Spiegelbild eines schleichenden Tigers aus Marmor auf dem Rand des Beckens in der Mitte des Raumes kräuselt sich im seichten Wasser.

Der Pförtner klatscht in die Hände, und ein junges Mädchen eilt herbei. »Sag der Herrin, dass Plinia Amara hier ist.«

Das blonde Mädchen huscht die Treppe hinauf, leichtfüßig wie ein Kaninchen, und lässt Amara und den Pförtner einen Moment lang in peinlichem Schweigen verharren.

Die Dienerin kommt aufgeregt zurück. »Die Herrin lässt sich gerade die Haare machen, aber sie wird dich empfangen.«

Amara folgt dem Mädchen die Treppe hinauf und dann den gefliesten Korridor entlang in Richtung Stimmengewirr. Die Tür ist offen, und dahinter empfängt sie das geschäftige Treiben in Saturias Schönheitssalon. Es ist ein ganz anderes Bild als im düsteren Atrium. Zwei Fenster gehen auf den Garten hinaus und lassen das Licht der Morgensonne herein, und die Luft ist voller Lachen, während sich vier Dienstmädchen um ihre Herrin kümmern. Amara kann Saturias Gesicht nicht sehen, nur eine Kaskade goldbrauner Haare, die gelockt werden, und eine schlaffe Hand, die zum Färben der Nägel hingehalten wird.

»Meine Liebe, wie schön, dass du gekommen bist!« Saturia dreht sich nicht um, sodass Amara keine andere Wahl hat, als vor sie hinzutreten. Domitians junge Geliebte wird vom Sonnenlicht angestrahlt, ihr Haar wirkt wie ein feuriger Heiligenschein. Es ist unmöglich, nicht von ihrer Schönheit beeindruckt zu sein. Ihre Haut glänzt von einer Schicht aus weißem Blei, die sie wie eine Puppe aussehen lässt. Ihre weit auseinanderstehenden Augen haben einen ungewöhnlichen Blauton, den sie immer mit einem farblich passenden Strich betont, und ihre Wangen sind kindlich rund, was es ihr erlaubt zu behaupten, sie sei siebzehn, obwohl Amara sicher ist, dass sie eher zwanzig ist. Aber egal, wie alt Saturia genau ist, sie ist jünger als Amara, eine Tatsache, die sie selten vergisst.

»Du siehst strahlend aus«, sagt Amara und schenkt Saturia ihr einschmeichelndstes Lächeln, das Lächeln, das sie im Bordell erlernt hat, das Lächeln, das ihr Zuhälter Felix immer aufsetzte, wenn er schwierige Kunden bezaubern wollte.

»Ich wünschte, du würdest mir erlauben, dir etwas hiervon zu geben.« Saturia deutet auf das Blei. »Mergel kann so alt machen. Das Puder bringt selbst die kleinsten Fältchen zum Vorschein.«

Amara behält ihr Lächeln bei, zieht nur interessiert die Augenbrauen hoch.

»Nun ja, dein Gönner ist schon alt, nicht wahr? Ich nehme an, das hat auch seine Vorteile. Selbst wenn du mit vierzig schon lange darüber hinaus bist, wirst du für ihn immer noch wie ein junges Mädchen aussehen – er wird dann schon sehr, sehr alt sein.«

»Demetrius hat die Energie eines viel jüngeren Mannes.« Amara ist bemüht, ihren Geliebten zu verteidigen, und versucht, ihn sich nicht so vorzustellen, wie er gestern Abend aussah, müde vom Warten auf sie. Stattdessen beschwört sie seinen Anblick bei der Arbeit in seinem Arbeitszimmer vor ihrem inneren Auge herauf, wo er die Geschäfte des Kaisers führt. Ihr Schicksal ist mit dem seinen verbunden, und sie fürchtet den Verlust seiner Zuneigung ebenso sehr wie die Schwächung seines Machtanspruchs durch sein Alter.

»Wie lieb von dir, dass du ihn magst«, sagt Saturia und wackelt mit den Fingern in der Luft, um die Farbe auf ihren Nägeln zu trocknen. »Ich weiß nicht, ob ich an deiner Stelle über seine Vergangenheit hinwegsehen könnte. Stimmt es, dass er als Sklave die Frau seines ersten Herrn beglücken musste?« Sie schaudert. »Die Vorstellung, dass ein Mann einer Frau dient, ist entsetzlich unnatürlich.«

Amara verflucht Demetrius innerlich dafür, dass er sie hierhergeschickt hat. Saturia ist ungeheuer nervtötend. Aber wenigstens kann sie sich jetzt bei ihrem Gönner mit einem kleinen Akt der Illoyalität revanchieren, um das Vertrauen ihrer Zielperson zu gewinnen. »Es stimmt tatsächlich«, sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln und greift damit ein Gerücht auf, das Demetrius’ Ruf seit Langem belastet. »Er war verpflichtet, der Frau seines Herrn zu dienen. Wobei ich nicht behaupten kann, dass es unangenehm ist, wenn ein Mann gelernt hat, auf das Vergnügen einer Frau zu achten. Außerdem erzählte er mir einmal, dass die Frau jung und hübsch gewesen sei, sodass es für ihn nicht so schwer zu ertragen war.«

Saturia schnappt mit gespieltem Entsetzen nach Luft, dann lacht sie. »Entschuldige, Liebes, aber ich bin Demetrius ja begegnet, und das ist doch lächerlich. Die Vorstellung, dass es irgendjemand jemals nach ihm gelüstet! Obwohl er wie alle einmal jung war.«

»Natürlich kann nicht jede so viel Glück mit ihrem Liebhaber haben«, antwortet Amara, die es nicht wagt, Domitian zu nennen, aber hofft, dass Saturia es tut.

Stattdessen lächelt das Mädchen nur mit ärgerlicher Selbstgefälligkeit. »Ich glaube nicht, dass es dir schlecht geht, meine Liebe«, sagt Saturia. »Er hat ein schönes Haus, nicht wahr? Das macht sicher einiges wieder wett.«

Amara versucht, sich selbst mit den Augen von Saturia zu sehen. Eine ältere Kurtisane mit einer zweifelhaften Vergangenheit, deren Gönner – trotz seines Reichtums und Einflusses – ein einfacher Freigelassener ist. Vielleicht denkt Saturia, Amara sei unsicher oder neidisch auf eine Siebzehnjährige, die mit dem Bruder des Kaisers schläft. »Natürlich«, sagt sie und versucht, bescheiden zu klingen. »In meinem Alter habe ich Glück, dass ich ihn habe. Und wenigstens ist er immer sanft und freundlich.«

Zu Amaras Überraschung scheint Saturia ihre Bemerkung eher als Stichelei denn als Selbstironie zu verstehen. Selbst durch die Bleipaste kann sie sehen, wie Saturias Wangen rot werden. »Wie schön für dich«, spottet sie. »Jemanden zu haben, der nett ist.« Saturia hebt ihr Kinn und sieht Amara trotzig an. »Ich weiß nicht, was du gehört hast, aber ich bin sehr glücklich und kann hervorragend auf mich selbst aufpassen. Männer sind nur dann sanftmütig, wenn sie zu alt und tattrig für anderes sind. Und wer will das schon.«

Es herrscht einen Moment lang Schweigen. Die Dienerinnen sehen sich an, und das Mädchen, das Saturia den letzten Fingernagel einfärbt, hält jetzt ganz still.

»Ich wollte dir nicht zu nahe treten.« Amara hebt die Hände. »Ich schwöre, dass ich nichts gehört habe, und wenn doch, wäre es das Letzte, was ich jemals gegen eine andere Frau verwenden würde. Du kennst sicherlich genug Gerüchte über meine Vergangenheit, um mir zu glauben.«

Sie sieht Saturia an, die nun finster zu Boden blickt und deren Unterlippe zittert. Amara fühlt sich an ihre frühere Freundin Victoria erinnert, ihre Kollegin im Bordell, die ihre Angst vor Felix hinter Wut verbarg. Und da versteht sie es. Saturia hat Angst vor Domitian.

»Du kannst dir nicht vorstellen, dass ich dich nur bewundere, nicht wahr?«, sagt Amara und spricht sanft zu Saturia, als wäre sie ein verängstigtes Kind.

»Man sagt, Plinius habe dich in einem Bordell aufgegabelt.« Saturia schnaubt und nimmt Amaras Köder, um ihr Gesicht zu wahren. »Ist das wahr?«

»Ich bezweifle, dass der Admiral jemals einen Fuß in ein Bordell gesetzt hat. Aber ja, ich war in einem.«

»Dann hast du dich wohl sehr gut geschlagen.« Saturia schnippt nach dem Dienstmädchen und bedeutet ihr, das Bemalen des Fingernagels zu beenden. »An deiner Stelle wäre ich froh, Demetrius an Land gezogen zu haben.«

Eines wie dieses ist das größte Kompliment, zu dem Saturia einer anderen Frau gegenüber fähig ist. Amara neigt den Kopf. »Du bist zu gütig.«

Saturia hält inne und beobachtet, wie der letzte Pinselstrich roter Paste den Nagel ihres kleinen Fingers bedeckt, dann steht sie auf und winkt die Dienstmädchen weg. »Ich wollte mir heute Morgen die neue Statue ansehen, die im Tempel der Fortuna Huiusce Diei ausgestellt ist. Alle reden davon. Möchtest du mich begleiten?«

Der Tempel der Göttin Fortuna in ihrer Gestalt als Göttin dieses Tages ist mehr Kunstgalerie als religiöses Heiligtum und einer der angesagtesten Orte in Rom. Amara hätte ein privateres Beisammensein zu Hause vorgezogen – wenn Domitian nicht schon von dieser Freundschaft weiß, dann spätestens, nachdem sie durch Fortunas Rotunde gewandelt sind. Andererseits kann sie kaum ablehnen.

»Was für eine wunderbare Idee«, ruft sie aus und nimmt Saturias ausgestreckte Hand. »Ich freue mich darauf.«

Der Tempel ist nur einen kurzen Spaziergang vom Haus entfernt, aber Amara bereut bald ihre Entscheidung, die Sänfte nicht zu nehmen. Es zerrt an den Nerven, mit Saturia den Bürgersteig entlangzugehen. Sie werden von einer Schar Dienerinnen verfolgt, und Saturia beschwert sich ständig über den Lärm, den Gestank und den Schmutz. Einmal muss Amara helfen, Saturias Chiton hochzuhalten. Sie vermutet, dass es sich dabei um ein absichtliches Machtspiel handelt, um den Passanten zu zeigen, wer von beiden die wichtigere Kurtisane ist.

Nach einem weiteren Stopp vor einem Stoffladen erreichen sie den Tempel der Fortuna. Er steht hinter dem Theater des Pompeius, wo, wie Demetrius ihr einmal erzählt hat, Julius Cäsar ermordet wurde – eine Ironie angesichts der lebenslangen Verehrung des Imperators für die Schicksalsgöttin. Amara betrachtet das elegante runde Gebäude, das über einer Treppe aus weißem Marmor aufragt. Es erinnert sie ein wenig an den Hera-Tempel in ihrer Heimatstadt Aphidnai, und einen Moment lang steht sie gedankenverloren da und stellt sich den Klang der Stimmen ihrer Eltern vor, die sie rufen. Dann bemerkt sie, dass Saturia in einer kindlichen Geste der Langeweile von einem Fuß auf den anderen tritt, so wie Victoria immer gezappelt hat, wenn sie unruhig war. Wieder spürt Amara ein Aufflackern von Mitleid. Die junge Frau ist lästig, aber es ist schrecklich, sich vorzustellen, dass sie von einem mächtigen Mann wie Domitian missbraucht wird. Amara lächelt. »Sollen wir hineingehen?«

Saturia nickt, und die beiden steigen langsam die Stufen zum Tempel hinauf. Oben angekommen, hält Saturia inne, angeblich um ihr Kopftuch zu richten, aber Amara weiß, dass sie nur eine möglichst schmeichelhafte Pose einnehmen will. Als Saturia mit ihrem Aussehen zufrieden ist, betreten sie das Heiligtum. Selbst im gedämpften Licht zieht die Statue der Fortuna alle Blicke auf sich. Sie ragt bis zur Kuppel empor und ist eine monströse Gestalt, die es leicht macht, an die Macht der Gottheit zu glauben, die Menschen und deren Reiche mit Füßen treten kann. Träte Amara vor die Göttin hin, würde ihr Kopf nicht einmal bis zu ihrem Knie reichen.

»Sie ist nicht besonders hübsch dargestellt, oder?« flüstert Saturia Amara zu und drückt ihren Arm.

Amara verkneift sich ein Lachen. »Nein«, sagt sie demütig. »Eher nicht.«

Es stimmt, diese Fortuna hat nichts offenkundig Weibliches an sich; ihr Gesicht könnte fast das eines Mannes sein, und ihre Lippen sind geschürzt, nicht vor Verlangen, sondern in Gleichgültigkeit. Ihr bronzener Oberkörper ist fast flachbrüstig, was sie noch androgyner erscheinen lässt, und das schwere Füllhorn, das sie in der Hand hält, könnte auch als Waffe dienen. Amara starrt sie an. Fortuna sieht ein wenig aus wie ihre Freundin Britannica. Sie lächelt bei dem Gedanken. Die Fähigkeit, an diesem Tag Glück zu bringen, scheint ein passendes Geschenk für eine Gladiatorin zu sein, und Amara ruft die Schicksalsgöttin für Britannicas Unversehrtheit in der Arena an, an diesem Tag und an jedem anderen.

»Ich war noch nie hier drin«, sagt Amara und blickt sich um, während sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnen. »Es ist wunderschön.«

»Du warst noch nie hier?« Saturia ist verblüfft. »Vielleicht weißt du als Griechin nicht, was in Rom kulturell wichtig ist. Dieser Tempel beherbergt einige der besten Kunstwerke der Stadt. Ich glaube, da drüben ist die neue Statue.«

Sie macht sich auf den Weg durch die Rotunde und zwingt Amara, mit ihr Schritt zu halten. Die Wände sind mit Fresken bedeckt, und sie und die Statuen davor demonstrieren die Macht der Fortuna über das Leben der Sterblichen. Die Göttin steht breitbeinig auf Städten, die sie sowohl erhebt als auch zerstört, während zu ihren Füßen Heere kämpfen, deren Sieghaftigkeit nicht durch Schlagkraft, sondern durch Schicksal beschlossen ist. Fortunas Gesichtsausdruck ist in all diesen Szenen derselbe; sie erscheint gleichermaßen ungerührt von Freude und Leid.

Saturia schenkt den Fresken kaum Beachtung und betrachtet stattdessen die Statuen. Selbst Amara, die nur wenig über Kunst weiß, kann erkennen, dass diese besser sind. Sie verweilt bei einer wunderschön ausgeführten Version von Pallas Athene und berührt die Kamee an ihrem Hals, die Demetrius ihr geschenkt hat. Die Göttin aus Attika – Amaras griechischer Heimat – stützt sich auf ihren Speer und sucht den Horizont nach dem Feind ab, wobei sie ihre Lippen zu einem rätselhaften Lächeln verzieht. Das Haupt der Medusa ist an ihrem Brustpanzer befestigt, die Schlangen sind so echt, dass Amara beinahe erwartet, sie würden sich gleich bewegen. Am liebsten würde sie eine Stunde lang jedes Detail ihrer Schutzgöttin durchgehen, aber sie merkt, dass sie Saturia vernachlässigt, den Grund, warum sie eigentlich hier sein sollte. Amara gesellt sich zu ihr am Fuße eines hohen Aktes – ein junger Mann, der ein Schwert trägt.

»Ist es klug, hier stehen zu bleiben?«, fragt Amara und hebt ein Augenbraue, in der Hoffnung, Saturia mit einer Stichelei hervorzulocken. »Die Leute könnten sich fragen, warum wir ihn anstarren.«

»Nun, Liebes, ich kann verstehen, warum Demetrius eifersüchtig sein könnte.« Saturia schmunzelt. »Aber vielleicht ist er der Frau seines Herrn vor Jahrhunderten so erschienen, als sie ihn begehrt hat.«

»Und hat dein Gönner Grund, eifersüchtig zu sein?«

»Niemals, was meine Loyalität betrifft.« Saturia starrt immer noch auf den nackten jungen Mann, der die Waffe in den Händen hält. Ihre Stimme, als sie wieder spricht, ist kaum ein Murmeln. »Und ich glaube, dass er fähig ist, höher aufzusteigen als der hier.«

Amara blickt ihre Gefährtin schnell an. Was Saturia eben gesagt hat, kommt einer politischen Bemerkung ziemlich nahe. Saturia erwidert den Blick, und einen Moment lang liegt unverkennbar eine Schärfe darin, doch dann lächelt sie und legt ihre Finger schüchtern an die Lippen, als ob sie ihrem Liebhaber nur ein Kompliment hatte machen wollen.

3

Was warst du für ein großartiger Kamerad, als wir gemeinsam im aktiven Dienst waren!

Plinius der Ältere an Kaiser Titus, Vorwort zur Naturgeschichte

Der Admiral der römischen Flotte sitzt auf einer Bank vor dem Speisesaal des Demetrius, während ein Sklavenjunge ihm die Füße wäscht. Plinius strahlt die gewohnte Unruhe aus, als wäre selbst das Innehalten für die einfachsten Vorbereitungen vor dem Essen verschwendete Zeit. Er ist grauer und massiger geworden, seit Amara ihn kennengelernt hat, aber sein Verstand ist noch genauso scharf. Sie und Demetrius sitzen ihrem Gast gegenüber und bekommen ihre eigenen Füße von einem anderen Diener abgetrocknet.

»Sie ist also endlich weg.« Plinius erhebt sich von der Bank, sobald der Sklave ihn zwischen seinen Zehen abgetrocknet hat.

»Die Königin ist heute Morgen nach Judäa aufgebrochen.« Amara stellt sich Berenike so vor, wie sie am Abend zuvor gewirkt hat, trostlos und allein. »Hat Titus sie besucht, um sich von ihr zu verabschieden?«

»Nein. Und das ist auch besser so. Ich mochte sie sehr, wie du weißt. Aber das Volk würde sie nie akzeptieren. Es ist schwer genug zu regieren, ohne täglich Beleidigungen über die eigene Person oder die Wahl der Partnerin zu ertragen. Ihr Bleiben hätte den Respekt vor dem Amt des Kaisers untergraben können.«

Sie gehen in den Speisesaal, und Plinius lässt sich auf die mittlere Liege sinken, während Amara und Demetrius die Plätze an den Seiten einnehmen. Demetrius erwartet nie, dass Amara sich neben ihn legt, wenn Gäste anwesend sind, als wäre sie ein Spielzeug. Stattdessen wird ihr der Status einer Ehefrau zuerkannt.

»Ich fürchte, du hörst das nicht gern, Amara«, fährt Plinius fort, »aber ich habe Titus dringend geraten, sich nicht mehr mit ihr zu treffen. Das verlängert nur die Qualen, und wir können es uns nicht leisten, dass er schwankt.«

»Titus kann sich glücklich schätzen, dass er deinen Rat hat«, sagt Demetrius und nimmt einen Becher Wein von dem Sklaven entgegen, der neben ihm steht.

»Er hat ihn kaum nötig. Wir hätten uns keinen besseren Machtwechsel nach dem Tod unseres verstorbenen – viel betrauerten – Weisungsgebers wünschen können. Vespasian und Titus haben sich über viele Jahre hinweg gut auf diesen Moment vorbereitet, und ihre Mühe hat sich gelohnt. Das war etwas, das ich an Vespasian immer bewundert habe – sein Pragmatismus und sein Engagement. Rom ist mehr wert als das Leben eines einzelnen Mannes, selbst des Kaisers. Er hat das verstanden.«

»Besonders angesichts dessen, was vorher war«, bemerkt Demetrius.

Es herrscht einen Moment lang Schweigen. Amara vermutet, dass beide Männer über die turbulente Herrschaft Neros und den darauffolgenden Bürgerkrieg nachsinnen. In Griechenland war sie sich des Chaos, das hier vor zehn Jahren am Sitz der Macht geherrscht hatte, kaum bewusst, sondern mehr mit dem schmerzlichen Schicksal ihrer eigenen Familie beschäftigt gewesen. Es fällt ihr schwer, sich Demetrius so vorzustellen, wie er damals gewesen sein muss: ein treuer Diener Vespasians, der nicht Kaiser, sondern nur General in der römischen Armee war und dessen Machtanspruch noch lange nicht gesichert erschien.

»Möge Fortuna dafür sorgen, dass wir solche Tage nie wieder erleben«, sagt Plinius und hebt seinen Becher. »Auf Kaiser Titus. Möge er lange leben.«

Die drei trinken. Sklaven aus der Küche servieren die Mahlzeit auf kleinen silbernen Tischen neben ihren Liegen, und der Geruch von gekochter Gans, gewürzt mit Kümmel und Thymian, strömt aus den geöffneten Schalen. Den Boden unter ihren nackten Füßen ziert ein Mosaik aus Fischgräten, die die Reste für die Lemuren symbolisieren, die Geister, die in den dunklen Ecken eines jeden Hauses lauern.

»Ich fürchte, die Gans ist nicht so gut wie die Vögel aus Germanien«, sagt Demetrius zu Plinius, während er das Fleisch probiert. »Aber wir haben sie so zubereitet, wie dein Koch es empfohlen hat.«

Plinius nickt zustimmend. »Dieses Gericht habe ich früher mit Titus gegessen, auf dem Feldzug. Ich frage mich, ob er sich noch daran erinnert. Als junger Mann war er immer eine sehr angenehme Gesellschaft. Jener Feldzug war ruhiger als erwartet, aber es gab immer noch genug Kämpfe. Germanien war eine brutale Front.«

Amara fällt es immer noch schwer, sich Plinius als Soldat vorzustellen, selbst nach all den Jahren, die sie ihn kennt. Leichter fällt ihr, sich die Stunden vorzustellen, die er während der Feldzüge damit verbrachte, die Bräuche der Völker und die Tierwelt zu notieren, auf die er traf. Letztes Jahr schenkte Plinius Demetrius als Zeichen ihrer Freundschaft einen Entwurf seiner Naturgeschichte, aber Amara, nicht ihr Gönner, hat jedes Wort gelesen.

»Hoffen wir, dass Rom selbst kampffrei bleibt«, sagt Demetrius.

»In der Tat.«

Sowohl Plinius als auch Demetrius sehen Amara an. »Du hast heute den Tempel der Fortuna besucht, nicht wahr?«, sagt Plinius zu ihr. »Mit deiner neuen Freundin.«

»Saturia war am meisten von einer Soldatenstatue im Heiligtum beeindruckt«, sagt Amara, als ob sie eine beiläufige Bemerkung machen würde. »Wobei sie dachte, dass ihr Gönner es zu Höherem bringen könne.«