Der Tod des Achilleus und andere Erzählungen - Willy Seidel - E-Book

Der Tod des Achilleus und andere Erzählungen E-Book

Willy Seidel

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Beschreibung

Dieses eBook: "Der Tod des Achilleus und andere Erzählungen" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Willy Seidel (1887-1934) war ein deutscher Schriftsteller. Willy Seidels erzählerisches Werk hat mehrere Facetten: In seinen frühen Arbeiten war er als Schilderer ferner Länder ein typischer Vertreter des Exotismus; allerdings ging Seidel bald darüber hinaus und übte Kritik am Kolonialismus. Die Schilderung seines Amerika-Aufenthalts Der neue Daniel ist ausgesprochen amerikakritisch. Aus dem Buch: "Über dem Hellespontos spaltete sich eine Wolke. Es blitzte golden. Ein Strahl schoß hervor, tastete über das Blachfeld und erlosch. Achilleus rasselte nieder. Ächzend griff er nach der rechten Ferse und drehte die blutverschleierten Augenbälle wie drohend gen Himmel. Was war dies Rauschen, das ihm das ungeheure Geschrei bald herzutrug, bald in Entfernung schob? Sein Kiefer straffte sich. Er hockte auf Händen und Knien. Wütend schüttelte er das Haupt; die schwarze Roßhaarmähne stürzte, den Staub peitschend, in zwei Wellen über seine Brauen. Sein flachsenes Ringelhaar troff von Schweiß; seine Nüstern empfanden zum erstenmal den Geruch des Staubes. Seine Mundwinkel rundeten sich wie im Ekel; sein Atem blies in Stößen. Von der Ferse bis in den Schenkel hinauf zuckte das Verderben."

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Willy Seidel

Der Tod des Achilleus und andere Erzählungen

e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-5277-3

Inhaltsverzeichnis

Das siebenköpfige Tier
Die vier Augen
Der Tod des Achilleus

Das siebenköpfige Tier

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

I
II
III
IV
V
VI
VII

I

Inhaltsverzeichnis

Wo das Wasser noch nicht das Rad der Mühle getrieben, trug es noch die Verpestung der Fabriken in sich: erst später, lange hinter der Mühle, klärte es sich im Grün der Wiesen wie eine sündige Seele, die sich läutert unter dem Himmel.

Auf die Mühle zu, dem Zickzack des Wassers bedächtig folgend, das sie durch sanfte schwäbische Hügellandschaft führte, schritten zwei Spaziergänger. Das wohlwollende glatte Gesicht und die ein rundes Bäuchlein umhüllende Soutane des einen deuteten auf geistlichen Beruf, während der andere mit Anzeichen höheren Beamtentums nicht hinterm Berg hielt, als da waren: Backenbart, goldene Brille und abgezirkelte Grandezza beim Aufsetzen des Knaufstocks. – An diesem prangenden Julisamstag hatten sie beide in einer Waldschenke gespeist und waren nun auf dem Rückweg in die Kreisstadt.

Da wurden sie aus ihren beschaulichen Gedanken gerissen. Eine kleine Rotte von Häuslerjungen brach aus dem Wald und lief ihnen voll Erwartung voraus. »Was gibt’s ?« rief der Pfarrherr. – »In der Mühle ischt wieder Krach!« schrien sie zurück; und vorwärts stoben sie, wie um den Beginn einer Zirkusvorstellung nicht zu versäumen. – D. Hilarius Degele stand still, entfaltete sein Taschentuch, barg sein gerötetes Gesicht darin und blickte dann leise seufzend mit seinen guten Augen nach der Mühle hinüber.

»Was soll’s denn da geben?« erkundigte sich der Stadtamtmann Egidius Matterlin.

»’s ist unser Ketzer«, sprach Degele in drolliger Verzweiflung. »Der alte Hader; wahrscheinlich mit dem Knecht oder der Tochter. Zwar Stühle und Töpfe fliegen wohl nicht herum; aber genug irre Worte, um selbst ein Juristenhirn wie Ihres zu verrücken. Ich muß da wieder einmal eingreifen; ’s ist meine trübe Pflicht. Dieser Reibedanz! Gott wird ihm das Fell noch gerben und Handschuhleder daraus machen, dem schwarzen Gemeindeschaf. Arbeitsam sonst und friedsam – aber der Sparren! Der wunderliche Sparren!«

»Ein Phantast, dieser Mühlentischler ?«

»Gott bewahre Sie! Haben Sie noch nichts gehört? Aber ’s ist denkbar. Er hat weder Anverwandte noch Freunde und fällt sich nur selbst zur Last. Offenste Bereitschaft hab’ ich schon verschwendet an den Verstockten. Bestechendstes Argument gesetzt gegen das krause Wesen. ’s ist leichter, eine Kuh in den brennenden Stall zu treiben als diesen Elenden in den Kirchenschoß. – Doch setzen wir uns. Unter das Bäumchen dort.«

»So laß uns denn, o Phaidros, der Ruhe pflegen unter jener schattenspendenden Platane«, zitierte der Humanist. »Also, was gibt’s mit dem verrückten Tischler?«

»Dies ist ein verkrüppelter schwäbischer Kirschbaum«, sagte der Pfarrer aufschnaubend, »und die Angelegenheit ebenso unhellenisch. Unter Maria Theresia – so sagt man mir – waren die Vorfahren dieses Gotthold Reibedanz ausgewandert. Nach Siebenbürgen. Von dort kommt auch er. Von jeher war er verbissen, in unfrohem Ehrgeiz; das hat man dort nicht gern. Gott ist denen gefälliger, die sich freudig tummeln. Die anderen, die Seine Gnade herabzwingen wollen mit finsterer Gewalt, die lehnt Er ab. Der Meister hat allerlei angedeutet; so reime ich mir’s zusammen. Als er Geld gehamstert hatte, geschah ihm das, was er ›Erleuchtung‹ nennt. – Ich nenn’s Verfinsterung. Freilich, besser noch so eine Art Glauben als überhaupt keiner; darum habe ich mich abgegeben mit ihm.«

»Das war tolerant, Hochwürden.«

»Um die Seelen zu erfassen, muß man sie erst volllaufen lassen vom Irrtum. Ein reifer Irrtum fällt dann vom Stengel wie eine faule Frucht. Der Irrtum wird mürbe; der Meister reift mir entgegen. Zwischendurch ist so lautes Unwesen nur ein – Umweg zu uns.«

»Was für ein Sektierer ist er denn ?«

»Einer der Unglücklichen, die sich Neu-Irvingianer nennen. Statt des Kreuzes hängen sie in den Betsaal die Symbole der vier Evangelisten: Engel, Löwe, Stier und Adler. Ich habe mich, recht widerwillig, befaßt mit ihren Doktrinen. Der Meister verweist mich auf ihr Blättlein; ›Zepter Juda‹ nennen sie’s. Eine arme Näherin – so heißt’s darin – bezeichnete zwölf Mannsbilder als Apostelwiedergeburten. Vom Spirito Sancto, so verkündete sie hochtrabend, sei sie geküßt, und sie sei demnach ihrer Sache gewiß und sicher. Und da unser Herr übergegangen sei in die Apostel, so sei auch jeder der sotanen Männer ein Teilstück, sozusagen ein christliches Zwölftel. Der brave Tischler läßt sich durchaus nicht überzeugen, daß hier ein fieberkranker Schwarmgeist, ein ekstatischer Blaustrumpf mit dem Dogma umspringt, als sei es Großmutters löcheriger Regenschirm; daß es einen schmunzeln macht, wie sie aus ein paar schlichten Gemütern sozusagen eine Heiligenkonkurrenz aufrufen will. Als ob nicht von Sankt Petro die legitime Kette liefe, angeschmiedet vom Herrn an Seinen Fels!... Und wie sie ihre Favoriten im Rundschreiben an Welt- und Kirchenbehörde ankündigt, ist nicht ohne Selbstbewußtsein. Diese zwölf Apostel, sagt sie, würden nie sterben. – Sie raten recht, Matterlin; sie sind doch gestorben, soweit sie reif waren. Aber man half sich. Man stattete sie etwas besser aus. Man gab ihnen die Macht der ›Versieglung‹; in jede Lücke springt nun ein neuer Kandidat mit den ›Geistesgaben der Urkirche‹; der Heilige Vater ist daher im vorhinein eine anmaßende Überflüssigkeit. Wenigstens sagt das Meister Reibedanz. Er selbst –« der Pfarrer kicherte – »ist der Apostel Johannes.«

»Also«, meinte der Stadtamtmann, »nicht gerade der allerbescheidenste Posten. Mit dem Symbol des Adlers.«

»Spricht fast für ihn. – Die einfältige Seele: das Beste ist ihm gut genug. Einmal im Jahr fährt er nach Ruppin in apostolischer ›Mission‹ und ›versiegelt‹ dort Hinz und Kunz; teilt aus vollem Säckel ›ewige Seligkeit‹ aus. Mit mir diskutiert er gern, wenn’s ihn packt; läßt mich gelten als Kollegen von der Irrtumspartei, der Mitleid verdient. – Doch, Matterlin, mich dünkt, wir schaffen’s nicht mehr in rechter Zeit zur Stadt; brechen wir jetzt auf. Ich habe mich ohnedies etwas zu warm geredet für einen Diener Gottes. Ich müßte es mir aufsparen. Ich brauche meinen Zorn bald genug wieder ungeschwächt für den Menschen, denn er schickt mir die Kleine nicht zur Kommunion.«

Sie schritten fürbaß.

II

Inhaltsverzeichnis

»Wann spürtet Ihr denn zuerst Eure ›Erleuchtung‹, Meister?« fragte Molk, der Knecht, mit hämischem Unterton und sehr laut.

Der Tischler Gotthold Reibedanz gab dem Balken, den das Sägeblatt des Blockgatters kreischend durchtanzt hatte, einen Stoß. Das dicke Brett fiel in einer Wolke gelben Holzstaubs klappernd auf die Seite. Molk und sein Brotherr standen sich mit hängenden Armen gegenüber. Reibedanz wischte sich mit dem Handrücken schweißverklebtes Sägemehl von der Stirn. Der Schuppen wurde durchtost vom Rhythmus des leerlaufenden Gatters, an dem die Pleuelstange der Welle stieß und zerrte. Der Tischler liebte die Frage des Knechtes; wohlvorbereitet traf sie ihn.

»Molk«, sagte er rauh und ebenso laut und krauste die Hakennase, »das ist vierzehn Jahre her, in Ungarn, da sagte unser HErr zu mir, träumenderweise: ›Nimm die Zara zu dir, das Zigeunermensch, die Verworfene.‹ – Da droben liegt sie nun.«

Er deutete mit dem Daumen nach dem Kirchhof am Hügel. »›Du bist mein Lieblingsapostel‹, hat Er mir weiter gekündet. ›Noch ist der Heilspfad dunkel. Aber Johann der Evangelist hat sich zur Wiederkunft erkoren deinen Leib. Üb’ Sanftmut!‹ – Und die Zara ist bei mir, den Kopf voll Münzen wie ein Rabennest und das Hemd gänzlich offen auf der Brust. Weg von mir, Versucherin! Geprügelt hab’ ich sie und den Hobel nach ihr geworfen. Schachmatt hab’ ich ihn gesetzt, den Satan, auf Geheiß des HErrn. Da ward sie zahm. Ihre Seele hab’ ich verwaltet für ihn, so gut ich’s vermocht. Bis Er sie hinwegnahm von mir.«

»Sie muß einen Narren gefressen haben an Euch.«

»Was da! Vor ihrem Buhlen floh sie. Der wollt’ sie umbringen, weil sie seinen Eßtopf mit dem Rock gestreift. Derlei Aberwitz herrscht noch bei den Heiden. Sie war geächtet, und ich hab’ mich ihrer erbarmt.«

»Und habt sie aus Erbarmen gefreit.«

»Jawohl. Was lacht Ihr so töricht ? Gefreit hab’ ich sie und versiegelt.«

»Was heißt das, Meister ?«

»Ich als Apostel« – der Meister hob jetzt seine Stimme zum Singsang – »darf versiegeln. Das ist meines Amtes, und wen ich versiegle, der wird teilhaft der ewigen Seligkeit. So erspart’ ich dem HErrn die Mühe der Läuterung; sauber ging sie ein zu Ihm. Fort war das Heidentum, ganz fort.« Er war bleich, und sein Schnurrbart zitterte. »Und das Kind, Molk – mir anvertraut vom HErrn –, das Kind der Sünde, auch dieses hab’ ich versiegelt.«

Molk kratzte sich den Kopf.

Um die Schlafenszeit setzte der Knecht sich auf einen Bretterstapel und schmauchte. Da kam, in der Dämmerung, das Kind Seraphine, das »Kind der Sünde«, um die Ecke.

Mit kleingekniffenen Augen musterte er sie und erkannte das sprossende Weibtum der Vierzehnjährigen; die beim Schlendern leicht sich wölbenden Hüften; die kecke kleine Brust unter der blauen Schürze. Sie trat näher und peitschte mit einer Weidengerte die Luft.