:
Frankreich-Krimi
von Alfred Bekker
In der Sportarena Le Dôme in Marseille wird ein Wrestler
ermordet, und der Verdacht richtet sich auf den Ganoven Janton, der
auch des Wettbetrugs verdächtigt wird. Aber dann wird ein weiterer
Mann bei einer Sportveranstaltung im Ring getötet, und plötzlich
werden die Commissaire Marquanteur und Leroc mit einem Serienkiller
konfrontiert. Er wird LA MOUCHE genannt hat sich vorgenommen, ein
teuflisches Spiel mit Marquanteur zu beginnen… Mit mörderischem
Ausgang!
In der Serie um Commissaire Marquanteur sind bereits
erschienen:
Der Killer von Marseille
Commissaire Marquanteur und die Nächte von Marseille
Commissaire Marquanteur und der Mordzeuge von Marseille
Commissaire Marquanteur und der Kämpfer von Marseille
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Facebook:
https://www.facebook.com/alfred.bekker.758/
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Erfahre Neuigkeiten hier:
https://alfred-bekker-autor.business.site/
Zum Blog des Verlags!
Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!
https://cassiopeia.press
Alles rund um Belletristik!
1
An diesem Wochenende machte ich mit meinem Kumpel Doudou eine
Segeltour. Marseille vom Meer aus sehen, das ist was Besonderes.
Und Doudou hat eine tolle Yacht. Der Himmel war blau, die Luft
frisch und salzhaltig. Der Wind blies einem um die Ohren.
“Du machst ein paar Dinge falsch, Pierre”, meinte
Doudou.
“So, was mache ich denn falsch?”
“Als kleiner Commissaire bei der Kriminalpolizei, da kommst du
finanziell doch nie auf einen grünen Zweig. Vielleicht hast du ein
gutes Gefühl, weil du dich für das Gute und die Gerechtigkeit und
das ganze Zeug einsetzt. Aber reich wirst du dadurch nicht.”
“Ich habe meinen Job nicht gewählt, um reich zu werden”, sagte
ich.
“Das habe ich mir schon gedacht”, sagte Doudou.
“Da hast du richtig gedacht.”
“Aber vielleicht willst du ja eine Kleinigkeit nebenbei
verdienen.”
“Ich habe genug.”
“Man hat nie genug, Pierre.”
“Ich schon, Doudou.”
“Das redest du dir nur ein. Sieh dir dieses Boot an. Würdest
du nicht auch gerne so eine Yacht haben?”
“Ich hätte gar nicht genug Zeit dafür, sie zu pflegen,
Doudou.”
“Wie auch immer. Es gibt immer irgendeinen Grund, aus dem man
mal etwas mehr Geld braucht. Ich weiß, du hast keine Familie. Keine
Frau und keine Kinder. Da sieht das vielleicht noch etwas anders
aus. Und deine kleine Wohnung gleicht einer Mönchszelle zum
Schlafen.”
“Willst du mein Leben kritisieren?”
Doudou winkte ab.
“Das würde ich nie tun, Pierre.”
“Warum erzählst du mir das dann?”
“Hast du schonmal von Wrestling Events gehört?”
“Da verkloppen sich Catcher”, sagte ich. “Mit solchen Dingen
habe ich beruflich zu tun, da schaue ich mir das nicht auch noch in
der Freizeit an.”
“Solltest du aber.”
“Wieso?”
“Du kannst auf diese Kämpfe wetten, Pierre - und dabei viel
Geld machen.”
“Diese Kämpfe sind meistens abgesprochen, Doudou. Wusstest du
das nicht?”
“Doch, das wusste ich schon.”
“Und deswegen kannst du bei solchen Wetten nur
verlieren.”
“Nicht, wenn du vorher weißt, wie genau die Absprache bei dem
Kampf lautet. Dann kannst du nur gewinnen.”
Ich war ziemlich sprachlos.
“Das ist jetzt nicht dein Ernst, Doudou!”
“Ich kann dir einen Tipp geben, Pierre. Ich sag dir einfach
nur, auf welchen Kämpfer du setzen sollst. Das ist alles. Alles
andere braucht dich ja nicht zu interessieren, wenn dein sensibles
rechtschaffenes Polizistengewissen das nicht aushält.”
Ich winkte ab.
“Lass nur”, sagte ich. “So nötig habe ich das Geld
nicht.”
“Wie du meinst.”
*
Bonjour.
Mein Name ist Pierre Marquanteur. Ich bin Commissaire in einer
Spezialabteilung der Kriminalpolizei von Marseille und teile mir
mit meinem Kollegen François Leroc ein Dienstzimmer.
Genau da saßen wir nun.
Zuvor hatten wir uns ein Baguette im Bistro besorgt.
Als ich das essen wollte, setzte sich eine Fliege drauf, die
mich schon die ganze Zeit geärgert hatte. Ich verscheuchte sie mit
einer wedelnden Handbewegung, worauf sie sich auf meine Stirn
setzte.
Ziemlich dreist, oder?
Ich klatschte mir die Hand gegen die Stirn.
Vergeblich.
»Da bist du chancenlos, Pierre«, sagte mein Kollege François
Leroc. »Was auch immer du tust: Die Fliege ist schon weg. Du kannst
sie nicht kriegen!«
Nachdem ich nacheinander mit der flachen Hand auf meine Stirn
und auf den Schreibtisch gehauen hatte, musste ich zugeben, dass
mein Kollege wohl Recht hatte.
Dass mir bald eine andere Fliege den letzten Nerv zu rauben
drohte, hätte ich in diesem Moment noch nicht für möglich gehalten.
Aber der Reihe nach!
*
In der großen Halle Le Dôme de Marseille, die sich im
Stadtteil Chartreuse befindet, tobte es.
»Kill ihn!«, kam es von den Rängen.
Mario L'ÈTALON (der Hengst) Amato packte den MASQUE VENGEUR
an den Ohren. Dann versetzte er ihm einen brutalen Kopfstoß. Le
MASQUE VENGEUR brüllte. Amato hakte sich mit dem Fuß in die
Kniekehle seines Gegners. Gleichzeitig vollführte er einen
Doppelschlag. Eine Faust bohrte sich in den Magen des MASQUE
VENGEUR, die andere erwischte ihn am Kinn.
Mit einem dumpfen Geräusch fiel der MASQUE VENGEUR auf den
Rücken. Er wirkte benommen.
Amato trommelte sich mit den Fäusten wie ein Gorilla auf den
gewaltigen Brustkorb. Die Menge wurde dadurch noch mehr
angeheizt.
»Soll ich ihn fertigmachen?«, schrie Amato in die Menge.
Zustimmender Jubel antwortete ihm.
Den schmächtigen Schiedsrichter, der um ihn herumwieselte,
packte Amato am Kragen und gab ihm einen Stoß, so dass er in die
Seile taumelte.
Das Gebrüll der Menge wurde geradezu ohrenbetäubend.
Der MASQUE VENGEUR versuchte sich wieder aufzurichten. Aber er
kam nicht mehr dazu. Amato war über ihm.
Er ließ sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf den MASQUE
VENGEUR fallen und rammte ihm dabei den Ellbogen in den Bauch.
Amato sprang auf, die Arme wie ein Sieger ausgebreitet. Er
schüttelte sich. Der Schweiß tropfte von seinem Körper.
Le MASQUE VENGEUR krümmte sich derweil am Boden. Er sah
erbärmlich aus. Sein schmerzerfülltes Stöhnen ging im Geheul der
Menge unter.
Dem verdutzten Conferencier riss Amato das Mikrofon aus der
Hand.
»Wer ist der Champion?«, krächzte er heiser in das Mikrofon
hinein, das übersteuerte. Aber die Fans wussten auch so, was er
rief. Es war ein Ritual.
»Ich höre nichts! Wer ist der Champion?«, rief er
nochmals.
»L'ÈTALON!«, kam es zurück.
»Lauter!«, rief Amato.
»L'ÈTALON!«, kam es ihm wie ein Donnerhall entgegen.
Schiedsrichter und Conferencier liefen etwas irritiert und von
wachsender Nervosität erfasst durch den Ring. Die Situation war
ihnen entglitten.
Aber das war ein Teil der Show. Die Leute wollten es so.
Regelverstöße waren das Markenzeichen von L'ÈTALON. Dafür
liebten seine Fans ihn.
Amato stieg auf das unterste Seil. Er ballte die Fäuste und
streckte sie in die Höhe. Das drahtlose Mikrofon des Conferenciers
schleuderte er in die Menge.
Der Schiedsrichter hatte den MASQUE VENGEUR indessen
ausgezählt.
Grenzenloser Jubel brandete auf.
Amato stand noch immer auf dem untersten Seil und trommelte
nun erneut auf seinem Brustkasten herum.
Arzt und Trainer kümmerten sich indessen um den MASQUE
VENGEUR, der wieder zu sich kam. Er brüllte laut auf, fletschte die
Zähne. Er riss sich die schwarze Maske vom Gesicht, die Augen und
den Großteil der Nase bedeckte. Seine Augen leuchteten wie irre. Er
taumelte in Richtung seines Gegners. Der Kampf war für ihn noch
nicht vorbei.
Schiedsrichter und Conferencier versuchten sich ihm in den Weg
zu stellen, aber sie waren ihm buchstäblich nicht gewachsen. Er
fegte sie mit den Armen zur Seite.
Das Publikum schrie schrill auf.
Und Mario L'ÈTALON Amato schien nichts zu bemerken.
»Wer ist der Champion?«, brüllte er heiser, während sein
Gegner zu einem gemeinen Angriff von hinten ansetzte.
In dieser Sekunde ging ein Ruck durch Amatos Körper.
Das verzerrte Wolfsgesicht des Champions erstarrte zu einer
Fratze.
Blut sickerte durch das schweißnasse Haar an seinem
Hinterkopf.
Den Schuss hatte niemand hören können.
Zwei weitere Kugeln fuhren ihm in den Rücken. Die erste riss
ein blutendes Loch genau zwischen die Schulterblätter, die zweite
traf Amato in die Nieren, als er bereits vornüber fiel.
Wie ein nasser Sack plumpste sein lebloser Körper zu Boden.
Die Metallroste, durch die Frischluft hereingeblasen wurde,
schepperten.
Ein Raunen ging durch die Menge. Entsetzen breitete sich aus.
Hier und da war das schrille Kreischen einer Frauenstimme zu hören.
Tausende von Augen waren auf Mario L'ÈTALON Amato gerichtet.
»Steh auf, ÈTALON! Gute Show, aber jetzt ist es genug!«, rief
ein dicker Mann mit Halbglatze, der in der ersten Reihe saß. Aber
dann blickte er auf und sah, dass selbst das Gesicht des MASQUE
VENGEUR bleich wie die Wand geworden war.
Anstatt seinen Gegner anzubrüllen, wie es seiner Rolle
entsprochen hätte, ließ der furchteinflößende Catcher den Blick
über die Zuschauerränge auf der anderen Seite kreisen.
Und spätestens da begriff auch der Letzte, dass das kein Teil
der Show mehr war.
Das war nichts anderes als ein Mord gewesen – begangen vor
Tausenden von Zeugen.
Das Raunen in der Menge hörte sich an wie ein drohendes
Gewitter.
Der Conferencier ließ sich ein neues Mikro geben. Mit
stotternden Worten versuchte er, die drohende Panik unter den
Zuschauern zu verhindern. Gleichzeitig begannen sich schwarz
uniformierte Männer eines privaten Sicherheitsdienstes an
verschiedenen Stellen durch die Menschenmenge zu arbeiten.
Ein Arzt war indessen zu dem am Boden liegenden Amato
gestürzt. Mehr als dessen Tod feststellen konnte er aber auch
nicht.
»Bitte bewahren Sie Ruhe, meine Damen und Herren …«, bemühte
sich der Conferencier.
Vergeblich.
Das Grauen war stärker.
Kein noch so vernünftiges Argument konnte jetzt noch diese
Menschenmenge unter Kontrolle halten. Das blanke Chaos brach
aus!
2
Als ich an diesem Morgen im Büro von Monsieur Marteau, unserem
Chef, saß, war ich noch ziemlich müde. In der Nacht zuvor hatten
wir eine Razzia im LUNE BLEUE durchgeführt, einem Glitzerclub, von
dem wir schon lange vermutet hatten, dass er ein Umschlagplatz für
Designer-Drogen war. Diese Operation saß mir jetzt noch in den
Knochen. Aber wenn ich mir die anderen Gesichter der
FoPoCri-Kollegen ansah, die sich im Büro unseres Chefs versammelt
hatten, war ich nicht der einzige. FORCE SPECIALE DE LA POLICE
CRIMINELLE, so heißt unsere Sondereinheit. Oder eben kurz
FoPoCri.
Ich nippte an meinem Kaffee. Mein Freund und Kollege François
Leroc schien meinen Gesichtsausdruck bemerkt zu haben. Er saß neben
mir.
»Melanie hat Urlaub«, raunte er mir zu.
»Das erklärt alles«, erwiderte ich.
Melanie war die Sekretärin unseres Chefs. Und ihr Kaffee war
in der gesamten Dienststelle eine Legende. Das Gebräu, das ich
jetzt vor mir hatte, konnte damit auf keinen Fall
konkurrieren.
Außer François und mir waren noch die Kollegen Boubou Ndonga
und Stéphane Caron anwesend.
»Sie werden von dem jüngsten Vorfall in der Sportarena Le
Dôme, hier in Marseille, gehört haben«, begann Monsieur
Marteau.
Natürlich hatten wir das. Das war gar nicht zu vermeiden.
Schließlich waren sämtliche Zeitungen und die Nachrichten in
Fernsehen und Radio voll davon. »Vorgestern ist bei einem vom
France-Wrestling-Verband ausgetragenen Kampf im Freistil-Catchen
der Star des Abends umgebracht worden, ein gewisser Mario Amato. Er
mag dem einen oder anderen, der an dieser Sportart interessierter
ist als ich, vielleicht unter dem Namen L'ÈTALON ein Begriff
sein.«
»Ich habe nur die Plakate vor dem Le Dôme gesehen«, sagte
Boubou Ndonga, ein Kollege, der als bestangezogenster Beamter des
Reviers galt.
Monsieur Marteau schaltete einen Projektor ein und zeigte uns
erst einige Aufnahmen von Amato, dann vom Tatort.
»Es gibt sogar eine Videoaufnahme des Geschehens«, erklärte
Monsieur Marteau dann. »Ein Kabelsender, der sich auf Catchen
spezialisiert hat, hat den Kampf nämlich live übertragen. Die
Aufnahme stelle ich Ihnen für die Ermittlungen zur Verfügung. Aber
zunächst möchte ich Ihnen die Ermittlungsergebnisse kurz darlegen,
die unsere Kollegen bereits gewonnen haben. Vielleicht haben Sie
die entscheidenden Ausschnitte der Videoaufzeichnung ohnehin schon
im Frühstücksfernsehen bewundern können.«
Monsieur Marteau schüttelte angewidert den Kopf. »Das, was da
im Le Dôme passiert ist, ist schlimm genug. Aber die Art und Weise,
wie manche Medien das ausbeuten, gefällt mir ebenfalls
nicht.«
Anhand mehrerer weiterer Aufnahmen erläuterte Monsieur Marteau
uns den Tathergang, so wie er bisher rekonstruiert worden war. Der
Täter hatte aus dem Publikum heraus geschossen. Die Ballistiker
hatten inzwischen sogar feststellen können, von welchem Platz aus.
In der allgemeinen Panik hatte der Täter dann unerkannt flüchten
können. Die Leute waren aus der Halle gestürzt und hatten die
Sicherheitsleute und Ordner einfach über den Haufen gerannt. Einige
Dutzend Verletzte waren mit Prellungen und Knochenbrüchen in
Krankenhäuser eingeliefert worden. Insgesamt ein halbes Dutzend
Personen glaubten, den Täter beobachtet zu haben. Die Polizei hatte
ihre Aussagen aufgenommen, aber sie waren dermaßen unterschiedlich,
dass ihr Wert gleich Null war.
Vermutlich hatte keiner dieser Menschen wirklich etwas
gesehen.
Bei den verwendeten Projektilen handelte es sich um Kugeln vom
Kaliber 38.
»Wieso ist das unser Fall?«, erkundigte ich mich.
Monsieur Marteau hob die Augenbrauen.
»Dazu komme ich sofort, Pierre.« Er hielt eine Fernbedienung
in der Hand, mit der er den Projektor bediente. Das Gesicht eines
Mannes in den mittleren Jahren erschien jetzt an der Wand. »Mario
Amato hatte Verbindungen zur Unterwelt. Insbesondere zu Louis
Janton!«
»Dem Wettkönig aus Pointe-Rouge?«, meinte François.
Monsieur Marteau nickte.
»Genau! Janton ist eine große Nummer im illegalen Glücksspiel
und Wettgeschäft. Er betreibt mehrere Bars und ein paar Wettbüros.
Außerdem vermuten wir, dass er in großem Maßstab Wettbetrug
betreibt. Abgesprochene Pferdewetten und manipulierte Kämpfe beim
Boxen und Catchen. Allerdings ist bislang nichts
Gerichtsverwertbares dabei herausgekommen. Louis Janton macht sich
selbst die Hände nicht schmutzig. Dafür hat er seine Leute. Im
letzten Jahr wollte ein Aussteiger aus Louis Jantons Organisation
als Kronzeuge aussagen. Er wurde auf dem Weg zum Staatsanwalt von
einem Scharfschützen erschossen. Dass Louis Janton dafür den
Auftrag gab, konnte nie bewiesen werden.«
»Und weshalb sollte er etwas mit dem Tod von Mario L'ÈTALON
Amato zu tun haben?«, fragte François.
»Amato stand praktisch auf der Gehaltsliste von Janton.
Jedenfalls sagen uns das unsere Informanten. Aber es gibt auch
andere Anhaltspunkte, die das mehr als nahelegen. Amatos Manager
hat früher für Janton gearbeitet. Mit Jantons Geld ist Amato
aufgebaut worden.«
»Und je nachdem, wie die Wettquoten standen, ist Amato dann
entweder umgefallen oder als Sieger vom Platz gegangen«, schloss
Caron. Der flachsblonde Kollege schlug die Beine
übereinander.
Monsieur Marteau zuckte die Achseln.
»Es spricht sehr viel für diese Vermutung. Jedenfalls soll
Amato sich mit seinem Mentor verkracht haben. Gerade jetzt, wo er
groß im Kommen war und für Janton richtig Geld gebracht
hätte!«
»Und deshalb musste er sterben?«, fragte ich.
»Es wäre nicht das erste Mal, Pierre, dass Louis Jantons Leute
aus seinem Imperium, die nicht parieren, wenig später auf
mysteriöse Weise eine Kugel in den Schädel bekommen. Janton ist,
was das angeht, nicht unbedingt ein kalt kalkulierender
Unterwelt-Boss. Er kann mitunter sehr emotional reagieren. Sein
nachtragender Hass ist berüchtigt. Eine Beleidigung genügt, und ihm
brennen sämtliche Sicherungen durch …«
»Klingt nicht gerade nach jemandem, den ich näher kennenlernen
möchte«, raunte mir François zu.
»Gehört wohl leider zum Job«, erwiderte ich.
Monsieur Jean-Claude Marteau wandte sich an Boubou: »Sie und
Monsieur Caron ermitteln bitte am Tatort. Nehmen Sie jedes Detail
noch einmal unter die Lupe und arbeiten Sie dabei mit Commissaire
Kruger, dem Leiter der zuständigen Mordkommission zusammen!
Insbesondere möchte ich, dass Sie sich mit den Organisatoren des
Catch-Events in Verbindung setzen und ermitteln, ob es vielleicht
im Vorfeld des Attentats irgendwelche Auffälligkeiten gab.«
Boubou Ndonga nickte.
»In Ordnung, Monsieur Marteau.«
Monsieur Marteau vollführte eine halbe Drehung in meine
Richtung.
»Sie und Monsieur Leroc ermitteln in Amatos Umfeld … Es wäre
nicht schlecht, wenn wir Louis Janton endlich mal festnageln
könnten.«
»Leichter gesagt als getan«, erwiderte ich.
Mordaufträge gehörten leider zu den am schwersten
nachweisbaren Delikten. Es war viel leichter, denjenigen dingfest
zu machen, der sich dafür hergab, eine Waffe abzudrücken. Denn so
geschickt er sich dabei auch immer anstellen mochte, er hinterließ
ganz sicher mehr Spuren als sein Auftraggeber.
3
Mario Amato hatte zuletzt in einer Villa in Marseille Sainte
André gewohnt. Erst vor einem halben Jahr war er dort eingezogen.
Das äußere Zeichen dafür, dass er - das Kind armer italienischer
Gastarbeiter - es In Frankreich geschafft hatte. Jetzt empfing uns
dort seine junge Frau Isabella. Sie war dunkelhaarig und zierlich.
Neben ihrem Mann musste sie geradezu winzig gewirkt haben.
Isabella Amato trug ein schwarzes Kleid, als sie uns empfing.
Verwundert nahm sie unsere Ausweise zur Kenntnis.
»Bonjour«, sagte ich.
»Ich habe doch schon alles, was ich wusste, der Polizei
gesagt«, erklärte sie. »Und jetzt noch einmal mit Ihnen …«
»Tut uns leid, Madame Amato, aber …«, begann ich.
»Sie können ja nichts dafür, Monsieur …«
»Marquanteur, Kriminalpolizei Marseille. Und dies ist mein
Kollege François Leroc.«
Sie führte uns in ein luxuriös ausgestattetes
Wohnzimmer.
In einer Glasvitrine waren die Pokale und Medaillen
aufgereiht, die Amato gewonnen hatte. Es sah aus wie ein
Schrein.
»Vorgestern Abend wurde dieses schreckliche Attentat verübt«,
sagte sie mit vor der Brust verschränkten Armen. »Und seitdem habe
ich Stunden damit zugebracht, Polizisten Rede und Antwort zu
stehen.« Sie schluckte. Der Schmerz war ihr deutlich anzusehen.
»Sie haben ja keine Ahnung von dem, was jetzt alles auf mich
einstürzt.«
»Wir werden Sie bestimmt nicht länger belästigen, als
unbedingt nötig, Madame Amato«, sagte ich.
Und François fragte: »Seit wann waren Sie verheiratet?«
»Seit einem Jahr.«
»Was haben Sie gemacht, bevor Sie Monsieur Amatos Frau
wurden?«
»Ich habe in einer Bar namens Sangcœur gearbeitet – am Hafen.
Dort habe ich Mario kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten
Blick, wie man so schön sagt.« Sie atmete tief durch und rieb
nervös die Handinnenflächen gegeneinander. Sangcœur gehörte zu den
Läden, die unter Kontrolle von Louis Janton standen.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte Isabella. Wir schüttelten
beide den Kopf. »Dann nehmen Sie doch wenigstens Platz.«
Wir ließen uns in den gewaltigen Ledersesseln nieder.
Ich beugte mich etwas vor und fragte: »Ihr Mann hatte ziemlich
engen Kontakt zu Louis Janton.«
»Aus Marios Geschäften habe ich mich immer herausgehalten. Er
hätte es auch gar nicht geduldet, wenn ich mich da eingemischt
hätte.» Sie sah mich nicht an, als sie das sagte.
»Ihr Mann soll sich mit Louis Janton überworfen haben«, sagte
ich.
»Wer sagt das?«
»Es wird so herumerzählt.«
»Ich kann nichts Negatives über Monsieur Janton sagen«,
erklärte sie schließlich. »Ich kannte ihn noch aus der Zeit, als
ich im Sangcœur gearbeitet habe. Er war immer sehr nett.«
»Haben Sie mal erlebt, wie Ihr Mann sich mit Janton gestritten
hat?«
»Ja, letzte Woche am Telefon. Ich weiß allerdings nicht mit
Sicherheit, dass Janton am anderen Ende der Leitung war.«
»Worum ging es?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Ich habe Mario hinterher danach gefragt, ob es
Ärger gäbe.«
»Und? Was hat er geantwortet?«
»Er hat gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Es sei
nichts Ernstes. Allerdings habe ich ihm das nicht geglaubt.«
»Warum nicht?«
»Weil er wie ein Verrückter hinter seinem Manager her
telefoniert hat.«
»Hat er ihn erreicht?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Muss wohl. Am Tag darauf hat er sich mit Dereque Lysson,
seinem Manager, getroffen. Es war hier in diesem Zimmer. Die beiden
hatten etwas ziemlich Wichtiges zu besprechen, und mein Mann war
sehr erregt.«
Ich fragte: »Haben Sie etwas davon mitbekommen, worum es
ging?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Leider nein.«
»Dereque Lysson war früher für Louis Janton tätig,
oder?«
»Das weiß ich nicht. Schon möglich. Wie gesagt, Monsieur
Marquanteur, mein Mann war der Ansicht, dass Frauen sich nicht ins
Geschäft einzumischen hätten.« Sie atmete tief durch und wischte
sich mit einer fahrigen Bewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Ich frage mich allerdings, was das alles mit dem Tod meines Mannes
zu tun haben soll.« Sie musterte mich. Ihre Augenbrauen bildeten
dabei eine Schlangenlinie. »Sehen Sie lieber zu, dass Sie diesen
Verrückten kriegen, der Mario einfach so abgeknallt hat! Wie einen
Hund!« Sie schluchzte auf.
»Das versuchen wir, Madame Amato«, sagte ich vorsichtig. »Und
ich verspreche Ihnen, dass wir alles tun werden, um den Mörder
Ihres Mannes zu finden.«
»Und was soll dann diese ganze Fragerei nach Louis Janton?
Glauben Sie denn, dass er etwas damit zu tun hat?«
»Wir können nicht ausschließen, dass es sich um einen
Auftragsmord handelt, Madame Amato«, sagte ich.
Sie erriet meine Gedanken.
»Und Sie glauben, dass Louis Janton der Auftraggeber des
Killers war?«
Ich sah sie an.
»Bis jetzt ist noch alles offen«, sagte ich. »Aber wir müssen
jede Möglichkeit in Betracht ziehen.«
»Da haben Sie natürlich recht.«
»Können wir uns etwas im Haus umsehen? Uns interessieren vor
allem Monsieur Amatos persönliche Dinge.«
Sie blickte auf. Ihr Gesicht wurde jetzt von einer leichten
Röte überzogen.
»Sie wollen sicher wissen, wer sein Vermögen erbt und ob es
eine Lebensversicherung gibt«, erklärte sie dann mit galligem
Unterton. Sie erhob sich. Dabei sah sie mir direkt in die
Augen.
François und ich standen ebenfalls auf.
»Es wäre schon wichtig für uns, seine finanziellen
Verhältnisse zu kennen.«
»Ich nehme an, dass ich mich gegen Ihre Wünsche wohl kaum
wehren kann.«
»Sie haben Ihren Mann geliebt«, sagte ich. Nicht als Frage,
sondern als Feststellung.
Sie schluckte. »Ja«, flüsterte sie sichtlich bewegt.
»Das einzige, was Sie jetzt noch für ihn tun können, ist, uns
zu unterstützen, Madame Amato. Damit wir den Mörder finden, der
Mario Amato auf dem Gewissen hat. Auch wenn es für Sie vielleicht
schmerzlich ist.«
Sie nickte.
»Gut«, sagte sie. »Sie haben freie Hand. Tun Sie, was immer
Sie für notwendig halten! Und damit Sie es sich nicht mühsam aus
Marios Unterlagen heraussuchen müssen, sage ich gleich auch noch
Folgendes: Ja, es gibt eine Lebensversicherung zu meinen Gunsten.
Mario meinte, dass das notwendig sei. Catchen ist ein brutaler
Sport – obwohl es nicht halb so viele Verletzungen wie beim Boxen
gibt. Aber ein Risiko ist natürlich immer dabei. Mario war sicher
vermögender als ein Beamter der FoPoCri. Aber er war nicht so
reich, wie viele vermuten. Er befand sich am Anfang einer großen
Karriere. Trotz des Erbes und der Lebensversicherung werde ich
dieses Haus zum Beispiel nicht halten können.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit«, sagte ich. »Hatten Sie
einen Ehevertrag?«
»Ja. Im Fall einer Scheidung wäre ich leer ausgegangen. Sie
können mich also ruhig auf die Liste der Verdächtigen setzen. Aber
ich habe Mario geliebt. Unsere Ehe war glücklich.«
»So war es nicht gemeint«, sagte ich.
»Doch, Monsieur Marquanteur, das war es. Auch wenn Sie etwas
mehr Charme haben als Ihre Kollegen von der Mordkommission.«
4
Wir durchsuchten Amatos Sachen sehr gründlich. Jeden Beleg,
den wir in seinem Schreibtisch fanden, seinen Terminkalender und
das Adressregister. Isabella Amato beobachtete uns dabei.
Schließlich hörten wir den Anrufbeantworter ab.
»Ich bin seit Marios Tod noch nicht dazu gekommen«, sagte sie.
»Außerdem wollte ich niemanden sprechen. Den ganzen Tag über
klingelte es. Ein Presse-Kollege nach der anderen. Ich hatte
einfach nicht den Nerv, um mit irgendjemandem von den Medien zu
reden …«
»Das verstehe ich gut«, erklärte ich.
Wir gingen die Anrufe einzeln durch. Das meiste war
tatsächlich aus dem Presse- und Medienbereich. Jeder dieser
News-Geier wollte der erste sein, der mit der Witwe sprach.
Isabella Amato hätte eine Menge Geld verdienen können, wenn
sie abgehoben und irgendeines dieser Angebote angenommen
hätte.
»Isabella, hier ist Louis Janton«, meldete sich dann
irgendwann eine Stimme. »Isabella, ich weiß, dass du zu Hause bist,
also nimm ab. Es ist wichtig. Wir müssen miteinander reden, bevor
…« Er brach ab. »Du weißt schon. Ich versuche es später noch
mal.«
Tatsächlich hatte es Louis Janton insgesamt dreimal
versucht.
»Was kann er von Ihnen gewollt haben, Madame Amato?«,
erkundigte sich François.
»Ich weiß es nicht.«
»Es klang sehr dringend.«
»Ja, ich habe wirklich keine Ahnung, worum es ihm gegangen
sein könnte. Vielleicht ruft er ja noch mal an, dann kann ich Ihnen
Näheres sagen. Oder Sie fragen ihn selbst.«
»Das werden wir bestimmt noch tun«, kündigte ich an.
Wir untersuchten auch Mario Amatos Garderobe. Seit er reich
geworden war, schien er ein Faible für Maßanzüge entwickelt zu
haben. Allerdings waren das bei seiner muskulösen Bodybuilder-Figur
vermutlich auch die einzigen, die er tragen konnte. Er hatte
mehrere Dutzend davon. Manche waren vom Schnitt und von der
Farbgebung her ziemlich extravagant und schrill. Aber die Stoffe
waren immer erste Wahl, die Verarbeitung exzellent.
In einer der Jacketts fand François einen Brief in der
Innentasche. Adressiert war er mit einer Schreibmaschine, deren
Typen schon seit Jahrzehnten nicht gereinigt zu sein schienen. Die
beiden kleinen a in Mario Amato waren nur noch kleine, schwarze
Schmierpunkte. Ein Absender war nicht vorhanden. Der Umschlag war
an der Oberseite aufgerissen.
François holte eine weiße Pappkarte heraus, die in der Mitte
gefaltet war. Außen trug sie keinerlei Beschriftung. Einfach ein
Stück dünner Karton mit Glanzbeschichtung.
François öffnete die Karte.
Innen gab es auch keinerlei Beschriftung. Dafür etwas anderes
höchst Merkwürdiges. Eine dicke Fliege war mitten auf dem weißen
Karton aufgeklebt.
»Hast du so etwas schon mal gesehen?«, fragte François
angewidert.
Ich schüttelte den Kopf.
»Sollen wir Wetten darüber abschließen, ob die Fliege echt
ist?«
»Sie ist echt«, meinte François. »Ich hoffe nur, dass sie
nicht noch gelebt hat, als dieser Spinner sie auf die Post
gab.«
Ich sah mir den Umschlag an. Laut Stempel war er in Gardanne
abgeschickt worden. Ich fragte Isabella, warum ihr Mann diese Karte
bei sich gehabt hatte.
»Sie muss eine besondere Bedeutung für ihn gehabt haben«, war
ich überzeugt.
Aber Isabella war da anderer Auffassung.
»Er hatte die Angewohnheit, solche Sachen einfach einzustecken
und dann zu vergessen. Was glauben Sie, was ich alles aus seinen
Taschen schon herausgeholt habe, bevor ich sie in die Reinigung
geben konnte.«
»Wissen Sie, was es mit diesem Brief auf sich hat?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, keine Ahnung. Aber wissen Sie, Fans sind manchmal
seltsam. Besonders Wrestling-Fans. Mario hat des Öfteren Geschenke
bekommen, über die normale Menschen nur den Kopf schütteln
können.«
5
Ein scharfer Schweißgeruch kam uns entgegen, als wir die Räume
von Malverts Wrestling Schule auf Pointe-Rouge betraten. Matthieu
Malvert war Amatos Trainer gewesen. Und hier, in Malverts Schule
war L'ÈTALON groß geworden.
Das Maß aller Dinge - das bedeutete Amatos Künstlername.
Und so hatte er sich gesehen.
Angefangen hatte er hier, ganz klein.
Malvert war nicht nur ein wichtiger Zeuge, von dem wir uns
weitere Informationen zu Amatos Lebensumständen erhofften. Er war
auch bei dem Attentat dabei gewesen. Auf dem Videoband der
Live-Übertragung war er deutlich zu sehen. Er hatte seinen
Schützling während des Kampfes betreut.
Dumpfe Schlaggeräusche waren zu hören. Riesige Kerle in
durchschwitzten T-Shirts droschen bis zur Besinnungslosigkeit auf
Sandsäcke ein. In einem der Sparrings lief gerade ein
Trainingskampf zwischen einem gewaltigen Schwarzen und einem Weißen
mit Gorilla-Gesicht und einer blonden Lockenmähne, die wie eine
Parodie auf einen Rauschgoldengel wirkte.
Ein kleiner, hagerer Mann, der in seiner hektischen Art etwas
von einem Wiesel hatte, trat uns entgegen. Er sah uns aus tiefen
Augenhöhlen an.
»Heh, was wollen Sie hier? Hier hat nicht einfach jeder
Zutritt und kann glotzen!«
Ich holte den Ausweis heraus.
Als der Hagere den Ausweis sah, verlor sein Gesicht den
letzten Rest von Farbe. Er schluckte.
»Ich bin Commissaire Pierre Marquanteur, und dies ist mein
Kollege Leroc«, stellte ich uns vor. »Ist Monsieur Malvert zu
sprechen?«
»Monsieur Malvert ist nicht da«, sagte der Hagere. »Tut mir
leid für Sie.«
»Haben Sie Ahnung, wo er sein könnte?«, fragte ich.
»Zu Hause, nehme ich an.«
»Da meldet sich niemand. Wir haben mehrfach versucht, ihn
anzurufen.«
Inzwischen war es sehr still im Raum geworden. Niemand
kümmerte sich noch um einen Sandsack, und auch im Sparring wurde
eine Pause eingelegt. Mit vor der Brust verschränkten Armen standen
die Catcher da und beobachteten uns.
»Gibt es Probleme, Speedy?«, fragte der Blonde. Er stieg aus
dem Ring heraus. Sein schwarzer Trainingskontrahent folgte diesem
Beispiel. Die beiden bauten sich rechts und links von dem Hageren
auf und wirkten jetzt fast wie eine Begleiteskorte.
»Was wollen Sie?«, knurrte der Blonde in meine Richtung.
»Wir ermitteln im Mordfall Mario Amato«, sagte ich
ruhig.
»Die Mordkommission war schon hier und hat uns alle befragt.
Warum interessiert sich die FoPoCri für den Fall?«
»Irgendetwas dagegen einzuwenden, wenn sich ein paar Leute
mehr darum kümmern, einen Attentäter zu fassen?«, fragte ich.
Der Blonde funkelte mich mit seinen blassblauen Augen an. Und
dann machte er noch einen Schritt nach vorne und baute sich vor mir
auf. Er war einen halben Kopf größer als ich. Es war unverkennbar,
dass er mich durch seine physische Erscheinung einschüchtern
wollte. Er entblößte zwei Reihen völlig gleichmäßig wirkender
Zähne, bei denen ich mich fragte, wie sie bei einem wie ihm noch
echt sein konnten. Den Zeigefinger drückte er mir wie den Lauf
einer Waffe auf das Jackett-Revers.
»Hör zu, Flic! Ich mag es nicht, wenn man mich für dumm
verkauft!«
»Ich auch nicht«, erwiderte ich kühl.
»Wenn die FoPoCri sich mit so einem Fall befasst, dann muss es
dafür besondere Gründe geben.«
»Schon mal was von organisiertem Wettbetrug und frisierten
Kämpfen gehört?«, fragte ich.
Die Muskeln des blonden Riesen spannten sich. Er atmete tief
durch. Es schien ihn einige Mühe zu kosten, sich zu
beherrschen.
Speedy, der Hagere, versuchte ihn zu besänftigen.
»Ganz ruhig, Ricky! Hör dir erst mal an, was der Kollege zu
sagen hat, ja?«
Der Blonde drehte sich herum und wischte sich mit der Hand
durch das verschwitzte Lockenhaar. Dann gab er einem der Sandsäcke
einen Tritt und ließ ihn wie ein Pendel durch die Gegend
schwingen.
»Die Sache geht Ricky ziemlich nahe«, meinte Speedy. »Er ist
an demselben Abend in einem der Vorkämpfe aufgetreten. Der Schuss
hätte auch ihn treffen können …«
»Wir glauben eher, dass Amato ganz gezielt als Opfer
vorgesehen war«, sagte François.
»Trotzdem«, meinte Speedy. »Stehen Sie mal vor zehntausend
oder zwanzigtausend Leuten im Ring …«
Ricky drehte sich jetzt wieder um. Er kam erneut auf mich zu,
schob seine Haare zurück, so dass die Ohren sichtbar wurden. »Sehen
Sie sich diese Ohren an, Mann! Ich weiß, dass das Catchen einen
schlechten Ruf hat und alle Welt glaubt, dass das, was im Ring
passiert, nichts als eine Art Stunt-Show ist. Sehen Sie sich die
verkrüppelten Ohren an, Mann! Ist das Show? Meine Nase ist fünfmal
gebrochen gewesen. Sehen Sie in mein Gesicht, und dann wiederholen
Sie noch mal den Quatsch, den Sie gerade abgelassen haben!«
»Halt die Klappe, Ricky!«, fuhr Speedy dazwischen.
Ich fragte ruhig: »Kannte jemand von Ihnen Mario Amato
wirklich gut?«
Ein Gemurmel entstand.
Der Schwarze sagte schließlich: »Wir kannten ihn alle ziemlich
gut. Wir waren wie eine Familie.«
»Amato hatte offenbar eine ziemlich intensive Verbindung zu
einem Mann namens Louis Janton«, fuhr ich fort.
Eisiges Schweigen schlug uns entgegen. Ich studierte ein
Gesicht nach dem anderen. Manche wandten den Blick. Sie wichen mir
aus. Von Janton wollte hier niemand etwas wissen.
»Wir waren nicht Marios Kindermädchen«, sagte schließlich
Speedy.
»Amato soll sich mit Janton vor Kurzem zerstritten haben. Weiß
jemand etwas darüber?«
»Keine Ahnung, wovon Sie sprechen!«, presste der Schwarze
zwischen den Lippen hindurch.
Hier würde uns fürs Erste niemand weiterhelfen.
»Kommen Sie, ich bringe Sie raus!«, sagte Speedy.
Die Catcher sahen uns nach. Manche von ihnen wandten sich
wieder ihren Sportgeräten zu. Speedy brachte uns vor die Tür. Er
wollte offenbar noch einen Augenblick mit uns allein
sprechen.
»Sie müssen das den Jungs nicht übelnehmen«, meinte Speedy,
als wir draußen waren. »Aber wenn jemand ihren Sport in ein
zweifelhaftes Licht rückt, reagieren sie etwas allergisch.«
»Dann kennt hier also niemand Louis Janton«, sagte ich
ironisch.
»Jeder kennt ihn. Er hat diese Wrestling-Schule
mitfinanziert.«
»Ich kann mir vorstellen, dass Malvert nicht gerade begeistert
darüber war, als sich Amato mit Louis Janton verkrachte.«
»Natürlich nicht!«
Ich fragte: »Haben Sie mitgekriegt, worum es bei dem Streit
ging?«
»Nein. Fragen Sie Malvert mal. Der war Amatos engster
Vertrauter in diesen Dingen. Und natürlich sein Manager, Dereque
Lysson.«
»Wenn ich wüsste, wo Malvert jetzt steckt …«
»Er hat seit drei Tagen eine neue Wohnung. In seiner alten
können Sie so viel klingeln, wie Sie wollen, da ist niemand mehr.
Warten Sie, ich schreibe Ihnen die Adresse auf …« Er holte einen
schmierigen Notizblock aus der Jackentasche und kritzelte mit einem
Kugelschreiber darauf herum. Dann riss er den Zettel ab und gab ihn
mir.
»Hatte dieser Wohnungswechsel irgendeinen bestimmten Grund?«,
fragte ich.
»Hören Sie, ich bin hier nur Hausmeister und Mädchen für
alles. Genauer gesagt kümmere ich mich um alles, worum sich sonst
niemand kümmert. Aber ich bin keiner, der seinen Boss
ausfragt!«
6
Matthieu Malvert wirbelte herum, als er den ohrenbetäubenden
Krach hörte. Jemand hatte brutal die Tür seiner Wohnung in
Marseille Belle de Mai aufgetreten.
Ein maskierter Mann stürmte herein. Er trug eine
Micky-Maus-Maske aus Gummi, die sein gesamtes Gesicht verdeckte.
Mit beiden Händen umklammerte der Eindringling den Griff einer
Beretta, deren Lauf direkt auf Malverts Kopf zielte.
Ein zweiter und ein dritter Mann kamen herein. Jedenfalls nahm
Malvert auf Grund ihrer Körperformen an, dass es sich um Männer
handelte. Von den Gesichtern konnte er auch bei ihnen nichts sehen.
Einer trug eine Goofy-Maske, der dritte eine Maske mit dem
Gorilla-Gesicht von King Kong.
Malvert erhob sich aus seinem Sessel. Er stellte die Bierdose
auf den niedrigen Tisch. Malvert war selbst nicht gerade klein.
Früher war er aktiver Wrestler gewesen.
Seine verkrüppelten Ohren, der unübersehbare Knick in seiner
Nase, und die Tatsache, dass in seinem Mund die Farbe Gold
vorherrschend war, belegten das eindrucksvoll. Malverts aktive Zeit
war natürlich längst vorbei. Aber für einen Fünfzigjährigen war er
immer noch gut im Training. So leicht konnte es keiner mit ihm
aufnehmen.
Gegen drei Gegner hatte er bei Schauveranstaltungen schon
gekämpft.
Aber gegen drei Bewaffnete, das war etwas anderes.
Und sie trugen alle drei Berettas.
Der Mann mit der King Kong-Maske war damit beschäftigt, die
Tür notdürftig wieder zu schließen. Musste ja nicht jeder, der
durch den Flur ging, hineinschauen.
»Hier hast du dich also verkrochen, du Ratte!«, zischte Micky
Maus dumpf unter der Maske hervor. »Hast wohl gedacht, wir finden
dich nicht, was?«
»Hört mal, ihr …«
»War ‘ne Kleinigkeit für uns!«
»Wer seid ihr?«, fragte Malvert.
»Spielt doch keine Rolle, oder?«
»Schickt Louis Janton euch?«
»Der, der uns schickt, macht sich Sorgen um dich«, sagte jetzt
King Kong, der seine Arbeit an der Tür beendet hatte.
Malvert versuchte, seine Chance abzuschätzen. Er wusste, dass
sie denkbar schlecht standen.
Die drei verteilten sich im Raum. Von jeder Seite der Lauf
einer Beretta.
Eine falsche Bewegung und ich bin ein Sieb, dachte
Malvert.
»Was wollt ihr?«
»Dir ein bisschen den Ernst der Lage klarmachen, Malvert!«,
grunzte King Kong unter seiner Maske hervor.
Der Goofy-Mann lachte dazu dumpf.
Micky Maus machte einen Schritt nach vorn.
»Schön stehenbleiben!«, zischt er, an Malvert gewandt. Er
drückte ihm den Lauf der Beretta an die Schläfe. Der Ex-Catcher
geriet ins Schwitzen. »Rühr dich auch nur ein einziges Mal und du
hast keinen Kopf mehr«, zischte es unter der Micky Maus-Maske
hervor.
Malvert schluckte.
»Hört mal, man kann über alles reden …«
King Kong trat auf Malvert zu. Er warf Goofy seine Beretta zu.
Der fing sie auf. Dann schnellten King Kongs Fäuste vor. Eine
bohrte sich in Malverts Magengrube. Er krümmte sich, wurde aber
sogleich wieder hochgerissen, als der nächste Schlag sein Kinn
traf. Malvert flog nach hinten und drückte mit seinem Körpergewicht
den niedrigen Wohnzimmertisch platt. Ehe er sich auch nur einmal
rühren konnte, bekam er von dem Mann mit der Goofy-Maske einen
Tritt in die Nieren.
Malvert stöhnte auf.
King Kong ließ sich die Beretta zurückgeben und lachte, bevor
er von der anderen Seite zutrat.
Malvert zuckte.
»Wir machen dich so fertig, dass du nie wieder auf dumme
Gedanken kommst, Malvert!«, kündigte Micky Maus kalt an.
7
Die Adresse, die Speedy uns gegeben hatte, gehörte zu einem
schon etwas in die Jahre gekommenen Mietshaus in Marseille Belle de
Mai. Vorwiegend wurden hier kleine Appartements für Singles
vermietet, denen die Innenstadt zu teuer war, die aber wegen ihrer
Jobs darauf angewiesen waren, im Zentrum zu wohnen.
Schon als wir den Eingang betraten, hatte ich das Gefühl, dass
hier etwas nicht stimmte.
Im Empfangsbereich stand eine Art Glaskasten, in dem
normalerweise rund um die Uhr jemand darauf achtete, dass die
Videoüberwachungsanlage funktionierte, sich nichts Ungewöhnliches
ereignete und niemand ins Haus gelangte, der hier nicht hingehörte.
Aber in dem Glashaus schien niemand zu sein.
Auf den ersten Blick zumindest.
Papiere, Bewohnerliste und die Zeitung, die der
Sicherheitsposten benutzt hatte, lagen überall verstreut.
Wir traten näher.
Ich sah ein paar Füße.
Reflexartig ging meine Hand zum Gürtel. Bei François war es
dasselbe. Einen Sekundenbruchteil später hatten wir beide unsere
Dienstpistolen vom Typ Sig Sauer P226 in den Fäusten.
François umrundete den Glaskasten mit schnellen,
entschlossenen Schritten. Ich blickte mich derweil in Richtung des
Treppenhauses und der Aufzüge um.
François hatte inzwischen das Büro des Sicherheitspostens
betreten. Er beugte sich nieder.
»Bewusstlos!«, rief er mir zu. »Bekam einen Schlag von hinten
mit einem harten Gegenstand. Er blutet etwas …«
Ich machte eine Schritt nach vorn, so dass ich besser sehen
konnte. Der Sécurité-Mann hatte offenbar seine Waffe zu ziehen
versucht. Jedenfalls lag sie auf dem Fußboden. Sein Büro war ein
einziges Chaos. Die Telefonleitungen hatte jemand
durchtrennt.
Ich zog mein Handy hervor und meldete den Vorfall an die
Zentrale, um Verstärkung zu rufen. Die Zentrale würde auch die
Kollegen der Polizei informieren. Einen Notarztwagen bestellte ich
ebenfalls zu dieser Adresse. Wir konnten nicht abschätzen, wie
schwer es den Sécurité-Mann erwischt hatte.
François stand vor den Bildschirmen der
Video-Überwachungsanlage, die von einem Besucher, der außerhalb des
Glaskastens stand, nicht eingesehen werden konnte.
»Die Videoanlage funktioniert«, meinte François.
Wer immer hier auch eingedrungen war, er kannte sich
aus.
Bei manchen Mietshäusern ist diese Überwachungsanlage nämlich
mit einem automatischen Alarmsystem verbunden. Der Alarm wird
ausgelöst, sobald die Anlage nicht mehr läuft. Aber genau das
hatten der oder die Täter offenbar unter allen Umständen vermeiden
wollen.
Und auch der Zeitpunkt, den sie sich ausgesucht hatten, war
denkbar günstig. Neunundneunzig Prozent der Bewohner waren zu
dieser Tageszeit in der City und gingen ihren Geschäften
nach.
»Da kommen drei Typen«, sagte François. »Sie steigen gerade in
den Lift ein.«
»Du meinst, das sind sie?«
»Sie tragen Masken!«
»Na, dann werden wir sie mal gebührend empfangen!«
8
Wir verschanzten uns in der Nähe der Aufzüge. An der
Leuchtanzeige über der mittleren der drei Lifte konnten wir sehen,
wo sich die Kabine jetzt befand. Sie kam unaufhaltsam näher. Die
Metalltür öffnete sich.
Wir sahen die drei Männer mit den Masken von Goofy, Micky Maus
und King Kong.
Und wir sahen auch die Berettas in ihren Händen.
François und ich hatten uns jeder auf einer Seite
postiert.
François hatte Deckung hinter einer scharfen Biegung, die der
Flur machte.
Ich befand mich in einer Türnische. Die Tür selbst war
abgeschlossen. Der Aufschrift nach war das ein Abstellraum.
»FoPoCri! Waffen fallenlassen!«, rief ich.
Die Antwort kam sofort in Form eines Bleihagels. Sie schossen
wie verrückt in unsere Richtung. Die Lifttür schloss sich wieder.
Aber bevor das geschehen war, warf einer der Kerle noch etwas zu
uns hinaus.
Etwas, das ungefähr die Größe eine Straußeneis hatte, flog uns
entgegen.
Eine Reizgasgranate!
Die graugelbe Substanz, die ihr mit Hochdruck entströmte,
hatte einen stechenden Geruch und ließ die Augen tränen.
Ich zögerte keine Sekunde und stürzte zur Treppe. Die anderen
Aufzüge herbeizuholen, wäre zu zeitaufwendig gewesen. Außerdem
hätte ich dann mitten durch die Reizgaswolke hindurchlaufen müssen.
Und das war alles andere, als empfehlenswert. Schließlich hatte es
keinen Sinn, wenn ich mich halbblind auf die Fersen der drei
Masken-Gangster begab.
Sie wollten in den Keller.
So viel war an der Leuchtanzeige des Lifts ablesbar gewesen.
Ich hetzte die Stufen hinunter, nahm immer mehrere mit einem
Schritt und versuchte, ein aussichtsloses Wettrennen
aufzunehmen.
Ich konnte nicht gewinnen.
Das einzige, was im Bereich des Möglichen lag, war, die
Gangster nicht ganz zu verlieren.
François war mir dicht auf den Fersen. Wir kamen kurz
nacheinander unten an.
Mein Blick glitt zur Tür des mittleren Fahrstuhls. Sie schloss
sich bereits wieder.
Ich sah den langen, kahlen Kellergang entlang. Er war kaum
beleuchtet. Aus dem Halbdunkel heraus blitzte das Mündungsfeuer
einer Pistole auf. Ich warf mich seitwärts.
Während ich fiel, feuerte ich mit meiner P226 zurück. Erneut
blitzte es auf der anderen Seite auf. Hektische, ungezielte
Schüsse, die als tückische Querschläger weitergegeben wurden,
nachdem sie den Putz geritzt hatten.
Wir arbeiteten uns von Türnische zu Türnische vor und gaben
uns dabei gegenseitig Feuerschutz.
Ich erwischte einen Lichtschalter.
Plötzlich stand einer der Kerle in voller Beleuchtung
da.
Es war der Micky Maus-Mann. Die Beretta hielt er in der
Linken. Von seinen Komplizen war nichts zu sehen. Der Kellergang
machte eine scharfe Biegung, hinter der die beiden andere wohl
schon verschwunden waren.
Er drückte sofort ab. Aber es machte nur klick.
»Waffe fallenlassen!«, brüllte ich.
Er stand wie angewurzelt da, während ich aus der Deckung
hervorkam. Sein Kopf wandte sich zur Seite.
Ich konnte förmlich seine Gedanken lesen. Er wollte einfach
davonrennen, seinen Komplizen hinterher. Dorthin, wo er außerhalb
des Schussfeldes meiner P226 war. Seine Muskeln spannten sich. Aber
ehe er den Versuch wirklich startete, brannte ich eine Kugel etwa
einen Meter neben ihn in den Boden. Sie kratzte den Beton auf.
Micky Maus schreckte zurück und hob die Hände. Die Beretta fiel zu
Boden.
»Umdrehen, die Beine auseinander und an die Wand!«, sagte ich
knapp.
»Das ist Polizeigewalt!«
»Erstmal Bonjour. Soviel Zeit muss sein. Und abgesehen davon,
erklär ich Ihnen die vorläufige Festnahme!«
Er gehorchte und ließ sich durchsuchen.
Ich tastete ihn kurz ab und holte noch ein Springmesser, eine
zweite Reizgasgranate und einen Kleinkaliber-Revolver aus seinen
Sachen heraus. Ich griff hinten an meinen Gürtel und holte meine
Handschellen hervor. Es machte klick, als ich den Kerl an einem
offenen Wasserrohr festmachte.
François tastete sich bis zu Biegung vor und blickte den Gang
entlang.
»Alles okay. Da ist niemand«, meinte er.
Wir sahen uns kurz an.
François nickte und stürmte los. Ich folgte ihm im Abstand von
mehreren Metern, um ihn zu sichern.
Er rannte den Gang entlang. Zwei Türen waren vorhanden.
Eine war abgeschlossen. Es war eine feuersichere Stahltür, die
offensichtlich zu den Heizungskesseln führte. Die zweite Tür ließ
sich öffnen. François ließ sie mit einem Tritt zur Seite fliegen.
Der Lichtschalter war außen, François drückte ihn.
Er blickte in meine Richtung und schüttelte den Kopf.
Dort schien niemand mehr zu sein.
Dann trat François ein. Ich folgte ihm. Wir durchquerten einen
Raum, in dem sich einige Stapel mit Getränkekisten befanden. Eine
Tür führte in einen weiteren Raum. Die Tür stand halb offen. Ein
Luftzug wehte zu uns hinüber.
Augenblicke später sahen wir, was es damit auf sich
hatte.
Ein Kellerfenster stand offen. Die beiden Flüchtigen waren
vermutlich ins Freie entkommen.
Sirenen waren jetzt zu hören. Es schien, als würde unsere
Verstärkung gerade ankommen.
Kurz entschlossen kletterte ich aus dem Fenster. Ich wollte
mich noch nicht damit abfinden, dass die beiden einfach auf und
davon waren.
Ich tauchte in einem etwas vernachlässigten Hinterhof auf. Ein
Pkw waren hier abgestellt worden. Und überquellende Müllcontainer.
Der Hof war ziemlich eng und die umgebenden Gebäude allesamt mehr
als zehn Stockwerke hoch. Der Himmelsausschnitt, den man zu Gesicht
bekam, war dementsprechend klein. Ich ließ den Blick
schweifen.
Indessen hörte ich mit halbem Ohr, wie François über Handy
unsere Verstärkung dirigierte, bevor auch er aus dem Kellerfenster
herauskroch.
Aus dem Hinterhof heraus führte eine breite Einfahrt, aber die
war mit einem mindestens zweieinhalb Meter hohen Gitter versperrt,
das an der Oberseite außerdem noch mit scharfen Spitzen bewehrt
war. Man musste schon Zirkusakrobat oder wahnsinnig sein, wenn man
dort hinüberklettern wollte.
»Kann sein, dass die noch hier sind«, zischte ich François
zu.
»Oder sie sind in eines der Häuser eingedrungen …«
»Das wäre die übelste Möglichkeit!«
Wir gingen hinter einem der Pkws in Deckung.
Der Innenbereich des Hofs glich durch die Müllcontainer und
die parkenden Wagen einem Labyrinth. François und ich arbeiteten
uns in verschiedenen Richtungen systematisch vor. Wir mussten auf
der Hut sein. Wenn hinter einem der Müllcontainer noch jemand mit
einer Beretta in der Hand lauerte, war das unter Umständen
tödlich.
Den ersten Container hatte ich erreicht.
Mit der Pistole in beiden Händen umrundete ich ihn.
Dahinter war alles ruhig. Nirgends eine Spur von den
Comic-Gestalten. Ganz in der Nähe befand sich eine Tür, die in
eines der Gebäude führte. Ich bewegte mich vorsichtig darauf zu.
Einige Augenblicke später erreichte ich sie.
Behutsam testete ich, ob die Tür verschlossen war. Sie war es.
Und zwar mit einem dicken Sicherheitsschloss. Selbst Spezialisten
brauchten etwas länger, um so etwas zu knacken. In den wenigen
Augenblicken, die uns King Kong und Goofy voraushatten, war das
nicht anzunehmen. Wenn die anderen Türen auch verschlossen waren,
dann saßen die beiden buchstäblich in der Falle.
Die Fenster befanden sich erst in einer Höhe von ungefähr ein
Meter achtzig, da die Gebäude auf Betonsockel aufgesetzt waren.
Auch dort konnten die beiden nicht einfach so ohne weiteres
eindringen.
Den nächsten Container brachte ich hinter mich.
Wieder nichts.
Ein schabendes Geräusch ließ mich zusammenzucken.
Dann ein Klirren.
Ich blickte nach links. Mit zwei, drei weiten Schritten war
ich über einem Rost. Darunter befand sich ein Schacht zu einem
Kellerfenster. Darin fand ich eine zusammengekauert dasitzende
Gestalt. Es war der Goofy-Mann. Er war gerade damit beschäftigt,
das Kellerfenster gewaltsam zu öffnen, ohne dabei allzu viel Krach
zu machen.
Ich richtete die P226 auf ihn.
»Keinen Laut«, murmelte ich.
Goofy erstarrte mitten in der Bewegung.
Ich hob mit der Linken den Rost und legte es zur Seite.
Die ausdruckslose Goofy-Maske sah mich an.
Goofy ließ ich dabei keine Sekunde aus den Augen. Der Lauf
meiner Pistole war die ganze Zeit auf ihn gerichtet. Ich streckte
die Linke aus.
»Deine Pistole!«, forderte ich.
Goofy zögerte.
»Na, los!«
Er gab sie mir, mit dem Griff nach vorne. Ich steckte sie in
die Jackentasche.
»Wo ist dein Komplize?«, fragte ich.
Goofy sagte keinen Ton.
Die Antwort auf meine Frage bekam ich früher als mir lieb war.
Aus den Augenwinkeln heraus sah ich eine Bewegung.
Blitzschnell tauchte ein Schatten hinter einem der Container
auf. Ich wirbelte herum und ließ mich gleichzeitig seitwärts
fallen. Das King Kong-Gesicht fletschte mich mit seinem
Gummi-Gebiss an. Die Beretta blitzte auf. Der Knall hallte in dem
Innenhof mehrfach wider. Es klang, als ob er mindestens dreimal
abgedrückt hätte.
Der Schuss ging dicht an meiner Schulter vorbei. Ich kam hart
auf dem Boden auf und feuerte zurück, noch ehe King Kong den
zweiten Schuss abgeben konnte. King Kong schrie auf. Ich hatte ihn
am Arm erwischt. Er taumelte zur Seite gegen den Container und
fluchte dabei.
François stürmte indessen um die Ecke. Er riss die Pistole
herum.
»Waffe weg!«, rief er. King Kong gehorchte. Die Pistole fiel
auf den Boden. Der Ärmel seiner Jacke hatte sich bereits rot
verfärbt.
9
Eine Viertelstunde später waren wir in Malverts Wohnung und
konnten mit ihm reden. Er war ziemlich übel zugerichtet worden. Der
Notarzt hatte sich um ihn gekümmert.
Malvert hatte Prellungen am ganzen Körper, außerdem eine
gebrochene Rippe. Ein Krankenwagen, der ihn in die Klinik bringen
würde, war schon unterwegs.
»Monsieur Malvert, was wollten diese drei Kerle von Ihnen?«,
fragte ich.
»Welche drei Kerle?«, fragte er und sah mich mit seinen blauen
Augen an. Er stöhnte.
»Sie wollen uns doch wohl nicht weismachen, dass Sie sich
selbst das angetan haben«, meinte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fauchte er.
»Wir ermitteln im Mordfall Amato.«
»Und was hat der mit diesen Straßenräubern zu tun, die am
helllichten Tag in ein Mietshaus eindringen?«
»Monsieur Malvert, ich glaube nicht an Zufälle«, sagte ich
gelassen. »Hatten Sie auch Meinungsverschiedenheiten mit Louis
Janton? Hat der Ihnen diese Kerle auf den Hals geschickt?«
»Ich sage nichts mehr«, meinte Malvert.
»Warum haben Amato und Janton sich entzweit?«
»Vergessen Sie es! Ich werde keinen Ton sagen!«
Wir wechselten einen Blick. Dieser Mann war ein wahrer Bär von
einem Kerl – auch wenn er vielleicht nicht mehr so gut in Form war
wie zu seinen besten Zeiten. Aber er hatte Angst, das war
unverkennbar. So große Angst, dass er es nicht einmal jetzt wagte,
seinen Mund aufzumachen.
»Lass ihn!«, raunte François mir zu. »Es hat keinen Sinn
…«
Ich legte Malvert eine der Visitenkarten auf den Tisch, die
die FoPoCri für seine Commissaire im Außendienst drucken
lässt.
»Hier, falls Ihnen noch etwas einfällt …«
Er sah nicht hin. Die Karte schien ihn nicht zu
interessieren.
Bevor wir hinausgingen, drehte ich mich noch einmal um.
»Ich hoffe, Sie überlegen sich das noch«, meinte ich. »Ich
habe gehört, dass Sie und Amato sich ziemlich nahestanden.«
»Das stimmt«, erwiderte er düster. »Ich war schließlich sein
Trainer.« Seine Hände ballten sich dabei zu Fäusten.
»Dann kann ich mir nicht vorstellen, dass es Ihnen
gleichgültig ist, wer den ÈTALON auf dem Gewissen hat, Monsieur
Malvert.«
10
Die drei Maskenträger waren längst von unseren Kollegen
abgeführt worden. Ein Beamter der Polizei befragte gerade den
Sécurité-Posten am Ausgang, der inzwischen wieder zu sich gekommen
war.
»Malvert hat eine Riesenangst«, stellte ich fest, während wir
zum Sportwagen gingen und einstiegen.
»Fragt sich nur, vor wem oder was?«, meinte François.
»Louis Janton ist für mich der erste Kandidat.«
»Und warum schweigt Malvert? Ich hatte gedacht, er war selbst
ein Kämpfer!«
»Vermutlich will er nicht so enden wie Amato!«
»Das, was die drei Comic-Figuren ihm verpasst haben, war eine
Warnung.«
»Und zwar eine ziemlich deutliche …«
Ich drehte den Zündschlüssel herum, startete den Motor des
Sportwagen und fädelte mich in den Verkehr ein.
»Stell dir mal Folgendes vor, François …«
»Nur zu, ich höre!«
»Amato wurde von Malvert aufgebaut. In einer Wrestling-Schule,
die sich im Wesentlichen wohl mit Louis Jantons Geld finanziert. Er
wird sogar Champion in dieser Sportart – wenn man das Theater
tatsächlich so bezeichnen will. Er hat die Rolle des Guten, er soll
gewinnen.«
»Jedenfalls sehen das die Leute so, die schreiend im Le Dôme
von ihren Sitzen aufspringen!«
»Was, wenn Louis Janton Amato die Order gab, in diesem Kampf
zu verlieren? Aus welchen Gründen auch immer. Um sich mit einem
Wettbetrug eine goldene Nase zu verdienen, oder weil er den Gegner
auch unter Vertrag hatte und ihn durch einen Sieg über den Champion
groß machen wollte.«
François nickte. »Und Amato hat sich geweigert …«
»Wäre das kein Mordmotiv?«
»An sich schon, Pierre. Aber dass Louis Janton so ein
Spektakel organisiert, einen Schützen in Le Dôme bestellt und dort
vor den Augen des Publikums seinen Star umbringen lässt …« François
schüttelte den Kopf. »Das passt irgendwie nicht dazu. Warum hat er
nicht einfach seine Knochenbrecher vorbeigeschickt, um Amato
einzuheizen?«
11
Die drei Festgenommenen verweigerten die Aussage. Der Anwalt,
den sie anriefen, war in anderen Verfahren auch schon für Louis
Janton tätig gewesen. Ein Umstand, der niemanden von uns verwundern
konnte.
Für den Abend verabredeten wir uns mit Dereque Lysson in Lords
Bar auf Pointe-Rouge. Lysson kam mit der Maschine aus Paris, wo er
seine begehrte Unterschrift unter einen Fernsehvertrag gesetzt
hatte.
»Das Leben geht weiter«, meinte er, während er seinen Whisky
on the Rocks zum Mund führte. Er grinste dabei. »Das mit dem ÈTALON
ist natürlich tragisch, aber wir Lebenden müssen sehen, dass wir
auch weiterhin unsere Brötchen verdienen.«
Er trank das Glas in einem Zug leer.
»Mario Amato soll sich kurz vor seinem Tod mit Louis Janton
überworfen haben.«
»Wer sagt das?«
»Es hat so die Runde gemacht, Monsieur Lysson.«
»Ich dachte, Sie sind von der FoPoCri – und nicht von
irgendeinem Klatschblatt, das alles druckt, was interessant klingt.
Aber ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt.«
Jetzt mischte sich François ein.
»Und wir dachten, Sie wären jemand, dem auch daran liegt, dass
der Mord an Amato aufgeklärt wird.«
»Und Sie denken, dass Louis Janton etwas damit zu tun
hat?«
»Wir stellen einfach nur klare Fragen«, sagte ich. »Und wir
erwarten Antworten. Die Schlüsse daraus ziehen wir schon selbst,
Monsieur Lysson.«
»Wissen Sie eigentlich, was Monsieur Janton alles für den
Wrestling-Sport getan hat? Er spendet jährlich einige
hunderttausend Euro an den Verband, er tritt als Sponsor von
Wrestling-Veranstaltungen auf, und er hat schon einige ganz groß
herausgebracht.«
»Sie wollen ihn nicht belasten«, stellte ich fest.
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich muss weiter mit ihm auskommen.«
»Wir können Sie auch offiziell vorladen, Monsieur Lysson«,
kündigte ich an. »Und es könnte doch sein, dass Monsieur Janton
davon erfährt …«
»So etwas würden Sie tun?«
»Und Sie würden Amatos Mörder decken. Vor Gericht könnte Ihnen
das sehr übel ausgelegt werden.«
»Das ist Erpressung!«
Unsere Blicke begegneten sich. Seine Augen wurden sehr schmal.
Auf seiner linken Wange zuckte ein Muskel.
»Jetzt hören Sie mir gut zu, Monsieur Lysson«, sagte ich dann.
»Wir sind ausschließlich an Amatos Mörder und seinem Auftraggeber
interessiert. Es geht uns nicht um irgendwelche kleinen
Betrügereien, um abgesprochene Kämpfe und so etwas. Und wir kommen
auch nicht vom Finanzamt. Sie wissen, warum Amato sich mit Louis
Janton überworfen hat. Also packen Sie aus!«
»Louis wird es nicht erfahren?«
»Nein. Jedenfalls nicht, wenn wir es vermeiden können.«
»Vor Gericht werde ich abstreiten, je mit Ihnen gesprochen zu
haben!«
»Tun Sie das! Aber falls es soweit kommt, sprechen Sie besser
erst mit Ihrem Anwalt darüber!«
Er atmete tief durch, ließ sich vom Barkeeper noch einen Drink
geben und sagte dann: »Es gab einen Vertrag zwischen Louis Janton
und Amato. Keinen seriösen Vertrag. Amato hatte ihn abgeschlossen,
bevor er sich unter meine Fittiche begab und sich endlich
professionellen Rat holte.«
»Wie sah der Vertrag aus?«
»Vierzig Prozent von Amatos Einnahmen für Louis Janton. Na ja,
Janton hatte natürlich auch erhebliche Investitionen getätigt, um
Amato groß rauszubringen. Es ist nicht so einfach, einen Wrestler
in einem großen Kampf unterzubringen. In dem Punkt stimmt der
schlechte Ruf dieser Branche. Sie müssen schon ein gut gefülltes
Portemonnaie mit Bestechungsgeldern haben, sonst kommt nichts dabei
heraus. Außerdem hatte Janton natürlich die ganze Ausbildung von
Amato bezahlt, ihn jahrelang quasi ausgehalten, bis er soweit war.
Jetzt begann sich alles auszuzahlen. L'ÈTALON lächelt einen aus
Illustrierten an und hält ein Glas Milch in die Kamera oder testet
in einem Fernsehspot, wie große Blasen man mit einem bestimmten
Kaugummi machen kann. Amato hatte es geschafft – und Louis Janton
dachte, dass er jetzt absahnen könnte.«
»Wo war der Haken?«, fragte ich.
»Amato wollte aussteigen.«
»Ich bin kein Jurist«, sagte ich. »Aber ist Vertrag nicht
Vertrag?«
»Genau das hat Louis Janton auch gesagt. Wenn einer wie der
nämlich einem einzigen seiner Schützlinge erlaubt, aus der Reihe zu
tanzen, kann er morgen sein kleines Schmuddel-Imperium dichtmachen.
Louis ist bekannt dafür, sehr auf Disziplin zu achten.«
Das hatten wir an Malvert gesehen.
Lysson drehte sich zweimal um, trank sich dann noch einmal
kräftig Mut an und rutschte etwas näher zu mir. Es sollte wirklich
keiner mithören. »Amato hat Louis Janton mit irgendetwas in der
Hand gehabt.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Weil Louis schließlich bereit war, Amato aus dem Vertrag
herauszulassen. Nur den Zeitpunkt, den hat er immer wieder
hinausgezögert, und deswegen war Amato schließlich auch sehr
ungehalten. Kurz vor dem Kampf – an dem Tag, als er ermordet wurde
– war Louis bei ihm in der Umkleide. Die beiden haben sich
furchtbar angeschrien. Ich lass dich hochgehen, du verdammter
Blutsauger!, habe ich Amato immer noch im Ohr. Wir hatten schon
Angst, dass L'ÈTALON Janton an den Kragen geht und ihn zu Mus haut
– so, wie er es mit seinen Gegnern macht. Malvert und ich sind dann
reingegangen, um das Schlimmste zu verhindern. Louis war völlig
außer sich.«
»Malvert ist heute von Unbekannten krankenhausreif geschlagen
worden«, berichtete ich. »Haben Sie keine Angst, dass Ihnen
dasselbe passiert?«
»Natürlich. Was glauben Sie, warum ich mich hier mit Ihnen
treffe und nicht in meinem Büro?«
»Sie haben früher für Janton gearbeitet …«
»Ja, und manchmal denkt er immer noch, dass er mich am
Gängelband führen kann. Wir haben eine Menge an gemeinsamen
Interessen, aber ab und zu gehen sie auch auseinander.«
»Zum Beispiel, was Amato betraf.«
»So ist es. Janton meinte immer, dass ich Amato gegen ihn
aufhetzen würde.«
»Und haben Sie das?«
»Ich habe ihn auf seine Rechte aufmerksam gemacht und dafür
gutes Geld kassiert. Natürlich hat Janton das nicht gerne gesehen.
Allerdings wird er sich zweimal überlegen, ob er etwas gegen mich
unternimmt.«
»Wieso?«, fragte François.
»Ich habe einflussreiche Kontakte im Wrestling-Verband. Wenn
ich wollte, könnte ich dafür sorgen, dass nie wieder einer seiner
Leute bei irgendeinem dieser Spektakel seinen Auftritt
bekommt.«
»Malvert scheint weniger wichtig gewesen zu sein«, stellte ich
fest.
Er hob die Augenbrauen.
»Sind Sie denn sicher, dass es Louis Jantons Leute waren, die
ihn vermöbelten?«
»Wäre der Gedanke denn so abwegig?«
Lysson schüttelte den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht.«
Ich hob die Augenbrauen. »Das müssen Sie uns erklären!«
»Malvert hat die Wrestling-Schule gegründet. Eines Tages
tauchte dann Louis Janton auf und hat ihm eine Beteiligung
aufgezwungen. Jantons Angebote können manchmal recht handfest sein
…«
»Ich verstehe.«
»Der Laden expandierte natürlich, nachdem Janton sein Geld
hineinpumpte. Aber Malvert wäre den guten Louis lieber früher als
später wieder losgeworden. Ich bin mir sicher, dass er wusste, was
Amato gegen Louis in der Hand hatte.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Die beiden waren sehr vertraut miteinander. Malvert war wie
ein Vater zu Amato.« Er zuckte die Achseln. »Na ja, nur ‘ne
Vermutung von mir. Ich muss mir keine grauen Haare wachsen lassen
wegen der Sache …« Er grinste schief. »Das ist Ihr Job!«
»Noch eins: Besitzen Sie Kopien des Vertrags zwischen Amato
und Janton?«
»Nein, tut mir leid. Suchen Sie in Amatos Sachen nach.«
»Das haben wir.«
»Meines Wissens hatte er ein Schließfach für solche
Sachen.«
»Sie wissen nicht zufällig, wo.«
»Nein.«
12
Nach diesem Gespräch hätten wir liebend gern noch einmal mit
Malvert geredet. Aber als wir in der Klinik anriefen, in die man
ihn eingeliefert hatte, bekamen wir den Bescheid, dass er nicht
vernehmungsfähig sei. Vermutlich auch nicht vernehmungswillig. Wenn
sich an seiner Haltung nichts änderte, saßen wir ziemlich auf dem
Trockenen.
Am nächsten Morgen saßen wir in Monsieur Marteaus Büro, um mit
unserem Vorgesetzten das weitere Vorgehen abzusprechen.
Die Kollegen Boubou Ndonga und Stéphane Caron waren ebenso
anwesend wie unser Ballistik-Experte Davide Cherdin.
»Es steht nunmehr zweifelsfrei fest, dass die Waffe, die bei
dem Attentat verwendet wurde, zuvor noch nie bei einem Verbrechen
innerhalb von Deutschland benutzt wurde«, erklärte Cherdin.
»Zumindest nicht bei einem, das aktenkundig geworden ist.«
»Profis wechseln des Öfteren mal die Waffe, wenn sie nicht
gerade das Spiel mit dem Risiko lieben«, war Stéphane Carons
Kommentar dazu.
»Jedenfalls hat der Schütze sehr präzise getroffen. Von dem
Standpunkt aus, an dem er sich beim Abgeben der tödlichen Schüsse
laut den vorliegenden Berichten befunden haben muss, war das eine
Leistung. Der Winkel war sehr schräg.«
»Ihre Schlussfolgerung?«, fragte Monsieur Marteau.
»Ein Schütze, der regelmäßig im Training ist, das steht fest.
Zumal wenn man bedenkt, dass er kaum Zeit gehabt haben dürfte, um
anzulegen und zu zielen, weil das mit Sicherheit den Leuten in der
Umgebung aufgefallen wäre.«
Dann berichteten Stéphane Caron und Ndonga von ihren
Ermittlungen im Le Dôme.
Stéphane legte etwas auf den Tisch. Es war ein Umschlag.
»Dies bekam der Veranstalter gestern mit der Post«, erläuterte
er. »Der Erkennungsdienst hat sich bereits damit beschäftigt. Ich
kann also nichts verderben.« Stéphane öffnete das Kuvert. Innen
befand sich eine Karte aus weißem Karton, der in der Mitte gefaltet
war. Auf der rechten Seite befand sich eine Fliege – vermutlich
eine echte! – die der Täter dort aufgeklebt hatte. Auf der anderen
Seite war mit einem Klebestreifen etwas Metallisches festgemacht
worden.
Eine Patrone!
Stéphane fuhr fort: »Diese Patrone ist vom selben Typ wie die,
mit denen Amato umgebracht wurde. Das ist überprüft worden. Was
dieser Scherz mit der Fliege soll, weiß kein Mensch.«
»Ich habe so etwas noch nie gesehen«, meinte Davide
Cherdin.
»Ich schon«, sagte ich. Im nächsten Moment fühlte ich
sämtliche Blicke auf mir ruhen. »Bei Amato. Er hatte so eine Karte
in einem seiner Jacketts stecken. Allerdings ohne Patrone.«
Boubou sagte: »Wie auch immer. Monsieur Steinert von der
Veranstaltungsagentur, die diesen Wrestling-Wettbewerb organisiert
hat, kam es jedenfalls merkwürdig vor, dass einen Tag nach Amatos
Tod eine Patrone mit demselben Kaliber verschickt wurde.«
»Wirkt fast wie eine Art Bekenntnis zur Tat«, meinte Monsieur
Marteau kopfschüttelnd.
»Oder es will uns jemand an der Nase herumführen«, sagte
François.
Ich fragte: »War das Kaliber der Waffe denn allgemein
bekannt?«
»Leider ja«, antwortete Boubou. »Die Kollegen der Polizei, die
die ersten Ermittlungen durchgeführt haben, gaben diese Information
an die Presse. Andernfalls wüssten wir jetzt, ob wir es mit
jemandem zu tun haben, der etwas mit der Tat zu tun haben
muss.«
Wichtigtuer und Psychopathen, die sich zu jedem Verbrechen
bekannten, das in den Medien erwähnt wurde, gab es leider allzu
zahlreich.
Monsieur Marteau wandte sich mit ernstem Gesichtsausdruck an
Boubou und Stéphane.
»Versuchen Sie etwas darüber herauszufinden!«, meinte er.
»Vielleicht gab es ja irgendwelche Fälle mit Parallelen.« Dann
drehte er den Kopf in meine Richtung.
»Was gibt es in Amatos Umfeld für Spuren?«
»Ein paar Indizien«, sagte ich. »Und die deuten alle in
Richtung von Louis Janton.«
»Dann fühlen Sie ihm auf den Zahn, Pierre!«
»Er steht heute auf unserer Besuchsliste«, meinte
François.
Und ich erklärte: »Amato wollte sich geschäftlich von Louis
Janton trennen. Amatos Manager meint, dass der Catcher seinen
Gönner mit irgendetwas erpresst hat. Leider haben wir noch nicht
die leiseste Ahnung, worum es sich dabei handeln könnte.«
13
Louis Janton residierte auf dem Dach eines mehrstöckigen
Wohn-Towers. Ein Penthouse mit hervorragender Aussicht bis hinüber
zum Meer. Am Eingang begrüßte uns ein Mann mit schwarzer Lederweste
über einem roten Hemd. Ein Schrank von einem Kerl. Die Waffe trug
er offen am Gürtel. Es war ein riesiger 45er Magnum-Revolver. In
keinem Fall die Waffe, mit der Amato umgebracht worden war, ging es
mir durch den Kopf.
Der Mann in der schwarzen Weste knurrte uns etwas
Unverständliches entgegen, als wir ihm die Ausweise
entgegenhielten. Als er den Kopf etwas drehte, sah ich den
Totenkopf, den er sich auf das linke Ohrläppchen hatte tätowieren
lassen.
»Wir sind Beamte der FoPoCri und möchten mit Monsieur Janton
sprechen«, sagte ich.
Der Tätowierte, der hier wohl die Rolle eines Bodyguards
spielte, entblößte seine Zähne zu einem Raubtiergrinsen.
»Einen Moment«, sagte er und schlug uns die Tür wieder vor der
Nase zu.