Der Tod kommt nach Marseille: Vier Frankreich Krimis - Alfred Bekker - E-Book

Der Tod kommt nach Marseille: Vier Frankreich Krimis E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane von Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und der Kämpfer von Marseille Commissaire Marquanteur und der Mordzeuge von Marseille Commissaire Marquanteur und die Nächte von Marseille Commissaire Marquanteur und die Klinikmörder von Marseille: Manchmal frage ich mich, wie viele Männer in Frankreich eigentlich Jean heißen. Der Name kommt ziemlich häufig vor und manchmal hat man das Gefühl, von Trägern dieses Namens geradezu umzingelt zu sein. In dieser Geschichte gibt es drei Männer mit dem Namen Jean. Mein Chef heißt Jean-Claude. Ein Kollege von mir heißt Jean-Luc. Und dann spielt da noch ein ziemlich zwielichtiger Typ eine Rolle, der unter dem Namen Jean Sorell bekannt ist. Aber vielleicht sollte ich den Fall von Anfang an erzählen. Bonjour erst mal. Mein Name ist Pierre. Pierre Marquanteur. Genauer gesagt: Commissaire Pierre Marquanteur aus Marseille. Zusammen mit meinem Kollegen François Leroc bin ich in einer Spezialabteilung. Wir kümmern uns um die großen Fische, so könnte man das zusammenfassen, auch wenn wir mit dem Fischmarkt weniger zu tun haben. Den gibt es hier natürlich auch. Marseille hat ja einen großen Hafen. Aber zurück zu den Aufgabe unserer Abteilung. Organisiertes Verbrechen ist unser Hauptarbeitsgebiet. Und da gibt's natürlich jede Menge zu tun. Marseille hat einen großen Hafen, und nicht alles, was da mit den Schiffen so ankommt, ist auch legal. Und dann gibt es natürlich le Vieux-Port, den Alten Hafen, wo die Clans von Algeriern und Schwarzafrikanern einen Krieg gegeneinander führen und gleichzeitig versuchen, die klassischen Hafen-Größen zu verdrängen. Wer weiß, vielleicht ist die uralte Italo-Mafia dann der lachende Dritte. Und dann gibt es da noch die Russen, die Marokkaner und die Libanesen. Und natürlich diverse Rockergruppen, die auch mitzumischen versuchen.

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Alfred Bekker

Der Tod kommt nach Marseille: Vier Frankreich Krimis

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Inhaltsverzeichnis

Der Tod kommt nach Marseille: Vier Frankreich Krimis

Copyright

Commissaire Marquanteur und der Kämpfer von Marseille

Commissaire Marquanteur und der Mordzeuge von Marseille

Commissaire Marquanteur und die Nächte von Marseille

Commissaire Marquanteur und die Klinikmörder von Marseille

Der Tod kommt nach Marseille: Vier Frankreich Krimis

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Romane
von Alfred Bekker:
Commissaire Marquanteur und der Kämpfer von Marseille
Commissaire Marquanteur und der Mordzeuge von Marseille
Commissaire Marquanteur und die Nächte von Marseille
Commissaire Marquanteur und die Klinikmörder von Marseille:
Manchmal frage ich mich, wie viele Männer in Frankreich eigentlich Jean heißen. Der Name kommt ziemlich häufig vor und manchmal hat man das Gefühl, von Trägern dieses Namens geradezu umzingelt zu sein.
In dieser Geschichte gibt es drei Männer mit dem Namen Jean.
Mein Chef heißt Jean-Claude.
Ein Kollege von mir heißt Jean-Luc.
Und dann spielt da noch ein ziemlich zwielichtiger Typ eine Rolle, der unter dem Namen Jean Sorell bekannt ist.
Aber vielleicht sollte ich den Fall von Anfang an erzählen.
Bonjour erst mal.
Mein Name ist Pierre.
Pierre Marquanteur.
Genauer gesagt: Commissaire Pierre Marquanteur aus Marseille. Zusammen mit meinem Kollegen François Leroc bin ich in einer Spezialabteilung. Wir kümmern uns um die großen Fische, so könnte man das zusammenfassen, auch wenn wir mit dem Fischmarkt weniger zu tun haben.
Den gibt es hier natürlich auch. Marseille hat ja einen großen Hafen.
Aber zurück zu den Aufgabe unserer Abteilung.

Organisiertes Verbrechen ist unser Hauptarbeitsgebiet. Und da gibt‘s natürlich jede Menge zu tun. Marseille hat einen großen Hafen, und nicht alles, was da mit den Schiffen so ankommt, ist auch legal. Und dann gibt es natürlich le Vieux-Port, den Alten Hafen, wo die Clans von Algeriern und Schwarzafrikanern einen Krieg gegeneinander führen und gleichzeitig versuchen, die klassischen Hafen-Größen zu verdrängen. Wer weiß, vielleicht ist die uralte Italo-Mafia dann der lachende Dritte. Und dann gibt es da noch die Russen, die Marokkaner und die Libanesen. Und natürlich diverse Rockergruppen, die auch mitzumischen versuchen.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Commissaire Marquanteur und der Kämpfer von Marseille

von Alfred Bekker

: Frankreich-Krimi

von Alfred Bekker
In der Sportarena Le Dôme in Marseille wird ein Wrestler ermordet, und der Verdacht richtet sich auf den Ganoven Janton, der auch des Wettbetrugs verdächtigt wird. Aber dann wird ein weiterer Mann bei einer Sportveranstaltung im Ring getötet, und plötzlich werden die Commissaire Marquanteur und Leroc mit einem Serienkiller konfrontiert. Er wird LA MOUCHE genannt hat sich vorgenommen, ein teuflisches Spiel mit Marquanteur zu beginnen… Mit mörderischem Ausgang!
In der Serie um Commissaire Marquanteur sind bereits erschienen:
Der Killer von Marseille
Commissaire Marquanteur und die Nächte von Marseille
Commissaire Marquanteur und der Mordzeuge von Marseille
Commissaire Marquanteur und der Kämpfer von Marseille
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
1
An diesem Wochenende machte ich mit meinem Kumpel Doudou eine Segeltour. Marseille vom Meer aus sehen, das ist was Besonderes. Und Doudou hat eine tolle Yacht. Der Himmel war blau, die Luft frisch und salzhaltig. Der Wind blies einem um die Ohren.
“Du machst ein paar Dinge falsch, Pierre”, meinte Doudou.
“So, was mache ich denn falsch?”
“Als kleiner Commissaire bei der Kriminalpolizei, da kommst du finanziell doch nie auf einen grünen Zweig. Vielleicht hast du ein gutes Gefühl, weil du dich für das Gute und die Gerechtigkeit und das ganze Zeug einsetzt. Aber reich wirst du dadurch nicht.”
“Ich habe meinen Job nicht gewählt, um reich zu werden”, sagte ich.
“Das habe ich mir schon gedacht”, sagte Doudou.
“Da hast du richtig gedacht.”
“Aber vielleicht willst du ja eine Kleinigkeit nebenbei verdienen.”
“Ich habe genug.”
“Man hat nie genug, Pierre.”
“Ich schon, Doudou.”
“Das redest du dir nur ein. Sieh dir dieses Boot an. Würdest du nicht auch gerne so eine Yacht haben?”
“Ich hätte gar nicht genug Zeit dafür, sie zu pflegen, Doudou.”
“Wie auch immer. Es gibt immer irgendeinen Grund, aus dem man mal etwas mehr Geld braucht. Ich weiß, du hast keine Familie. Keine Frau und keine Kinder. Da sieht das vielleicht noch etwas anders aus. Und deine kleine Wohnung gleicht einer Mönchszelle zum Schlafen.”
“Willst du mein Leben kritisieren?”
Doudou winkte ab.
“Das würde ich nie tun, Pierre.”
“Warum erzählst du mir das dann?”
“Hast du schonmal von Wrestling Events gehört?”
“Da verkloppen sich Catcher”, sagte ich. “Mit solchen Dingen habe ich beruflich zu tun, da schaue ich mir das nicht auch noch in der Freizeit an.”
“Solltest du aber.”
“Wieso?”
“Du kannst auf diese Kämpfe wetten, Pierre - und dabei viel Geld machen.”
“Diese Kämpfe sind meistens abgesprochen, Doudou. Wusstest du das nicht?”
“Doch, das wusste ich schon.”
“Und deswegen kannst du bei solchen Wetten nur verlieren.”
“Nicht, wenn du vorher weißt, wie genau die Absprache bei dem Kampf lautet. Dann kannst du nur gewinnen.”
Ich war ziemlich sprachlos.
“Das ist jetzt nicht dein Ernst, Doudou!”
“Ich kann dir einen Tipp geben, Pierre. Ich sag dir einfach nur, auf welchen Kämpfer du setzen sollst. Das ist alles. Alles andere braucht dich ja nicht zu interessieren, wenn dein sensibles rechtschaffenes Polizistengewissen das nicht aushält.”
Ich winkte ab.
“Lass nur”, sagte ich. “So nötig habe ich das Geld nicht.”
“Wie du meinst.”
*
Bonjour.
Mein Name ist Pierre Marquanteur. Ich bin Commissaire in einer Spezialabteilung der Kriminalpolizei von Marseille und teile mir mit meinem Kollegen François Leroc ein Dienstzimmer.
Genau da saßen wir nun.
Zuvor hatten wir uns ein Baguette im Bistro besorgt.
Als ich das essen wollte, setzte sich eine Fliege drauf, die mich schon die ganze Zeit geärgert hatte. Ich verscheuchte sie mit einer wedelnden Handbewegung, worauf sie sich auf meine Stirn setzte.
Ziemlich dreist, oder?
Ich klatschte mir die Hand gegen die Stirn.
Vergeblich.
»Da bist du chancenlos, Pierre«, sagte mein Kollege François Leroc. »Was auch immer du tust: Die Fliege ist schon weg. Du kannst sie nicht kriegen!«
Nachdem ich nacheinander mit der flachen Hand auf meine Stirn und auf den Schreibtisch gehauen hatte, musste ich zugeben, dass mein Kollege wohl Recht hatte.
Dass mir bald eine andere Fliege den letzten Nerv zu rauben drohte, hätte ich in diesem Moment noch nicht für möglich gehalten.
Aber der Reihe nach!
*
In der großen Halle Le Dôme de Marseille, die sich im Stadtteil Chartreuse befindet, tobte es.
»Kill ihn!«, kam es von den Rängen.
Mario L'ÈTALON (der Hengst) Amato packte den MASQUE VENGEUR an den Ohren. Dann versetzte er ihm einen brutalen Kopfstoß. Le MASQUE VENGEUR brüllte. Amato hakte sich mit dem Fuß in die Kniekehle seines Gegners. Gleichzeitig vollführte er einen Doppelschlag. Eine Faust bohrte sich in den Magen des MASQUE VENGEUR, die andere erwischte ihn am Kinn.
Mit einem dumpfen Geräusch fiel der MASQUE VENGEUR auf den Rücken. Er wirkte benommen.
Amato trommelte sich mit den Fäusten wie ein Gorilla auf den gewaltigen Brustkorb. Die Menge wurde dadurch noch mehr angeheizt.
»Soll ich ihn fertigmachen?«, schrie Amato in die Menge.
Zustimmender Jubel antwortete ihm.
Den schmächtigen Schiedsrichter, der um ihn herumwieselte, packte Amato am Kragen und gab ihm einen Stoß, so dass er in die Seile taumelte.
Das Gebrüll der Menge wurde geradezu ohrenbetäubend.
Der MASQUE VENGEUR versuchte sich wieder aufzurichten. Aber er kam nicht mehr dazu. Amato war über ihm.
Er ließ sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf den MASQUE VENGEUR fallen und rammte ihm dabei den Ellbogen in den Bauch. Amato sprang auf, die Arme wie ein Sieger ausgebreitet. Er schüttelte sich. Der Schweiß tropfte von seinem Körper.
Le MASQUE VENGEUR krümmte sich derweil am Boden. Er sah erbärmlich aus. Sein schmerzerfülltes Stöhnen ging im Geheul der Menge unter.
Dem verdutzten Conferencier riss Amato das Mikrofon aus der Hand.
»Wer ist der Champion?«, krächzte er heiser in das Mikrofon hinein, das übersteuerte. Aber die Fans wussten auch so, was er rief. Es war ein Ritual.
»Ich höre nichts! Wer ist der Champion?«, rief er nochmals.
»L'ÈTALON!«, kam es zurück.
»Lauter!«, rief Amato.
»L'ÈTALON!«, kam es ihm wie ein Donnerhall entgegen.
Schiedsrichter und Conferencier liefen etwas irritiert und von wachsender Nervosität erfasst durch den Ring. Die Situation war ihnen entglitten.
Aber das war ein Teil der Show. Die Leute wollten es so.
Regelverstöße waren das Markenzeichen von L'ÈTALON. Dafür liebten seine Fans ihn.
Amato stieg auf das unterste Seil. Er ballte die Fäuste und streckte sie in die Höhe. Das drahtlose Mikrofon des Conferenciers schleuderte er in die Menge.
Der Schiedsrichter hatte den MASQUE VENGEUR indessen ausgezählt.
Grenzenloser Jubel brandete auf.
Amato stand noch immer auf dem untersten Seil und trommelte nun erneut auf seinem Brustkasten herum.
Arzt und Trainer kümmerten sich indessen um den MASQUE VENGEUR, der wieder zu sich kam. Er brüllte laut auf, fletschte die Zähne. Er riss sich die schwarze Maske vom Gesicht, die Augen und den Großteil der Nase bedeckte. Seine Augen leuchteten wie irre. Er taumelte in Richtung seines Gegners. Der Kampf war für ihn noch nicht vorbei.
Schiedsrichter und Conferencier versuchten sich ihm in den Weg zu stellen, aber sie waren ihm buchstäblich nicht gewachsen. Er fegte sie mit den Armen zur Seite.
Das Publikum schrie schrill auf.
Und Mario L'ÈTALON Amato schien nichts zu bemerken.
»Wer ist der Champion?«, brüllte er heiser, während sein Gegner zu einem gemeinen Angriff von hinten ansetzte.
In dieser Sekunde ging ein Ruck durch Amatos Körper.
Das verzerrte Wolfsgesicht des Champions erstarrte zu einer Fratze.
Blut sickerte durch das schweißnasse Haar an seinem Hinterkopf.
Den Schuss hatte niemand hören können.
Zwei weitere Kugeln fuhren ihm in den Rücken. Die erste riss ein blutendes Loch genau zwischen die Schulterblätter, die zweite traf Amato in die Nieren, als er bereits vornüber fiel.
Wie ein nasser Sack plumpste sein lebloser Körper zu Boden. Die Metallroste, durch die Frischluft hereingeblasen wurde, schepperten.
Ein Raunen ging durch die Menge. Entsetzen breitete sich aus. Hier und da war das schrille Kreischen einer Frauenstimme zu hören. Tausende von Augen waren auf Mario L'ÈTALON Amato gerichtet.
»Steh auf, ÈTALON! Gute Show, aber jetzt ist es genug!«, rief ein dicker Mann mit Halbglatze, der in der ersten Reihe saß. Aber dann blickte er auf und sah, dass selbst das Gesicht des MASQUE VENGEUR bleich wie die Wand geworden war.
Anstatt seinen Gegner anzubrüllen, wie es seiner Rolle entsprochen hätte, ließ der furchteinflößende Catcher den Blick über die Zuschauerränge auf der anderen Seite kreisen.
Und spätestens da begriff auch der Letzte, dass das kein Teil der Show mehr war.
Das war nichts anderes als ein Mord gewesen – begangen vor Tausenden von Zeugen.
Das Raunen in der Menge hörte sich an wie ein drohendes Gewitter.
Der Conferencier ließ sich ein neues Mikro geben. Mit stotternden Worten versuchte er, die drohende Panik unter den Zuschauern zu verhindern. Gleichzeitig begannen sich schwarz uniformierte Männer eines privaten Sicherheitsdienstes an verschiedenen Stellen durch die Menschenmenge zu arbeiten.
Ein Arzt war indessen zu dem am Boden liegenden Amato gestürzt. Mehr als dessen Tod feststellen konnte er aber auch nicht.
»Bitte bewahren Sie Ruhe, meine Damen und Herren …«, bemühte sich der Conferencier.
Vergeblich.
Das Grauen war stärker.
Kein noch so vernünftiges Argument konnte jetzt noch diese Menschenmenge unter Kontrolle halten. Das blanke Chaos brach aus!
2
Als ich an diesem Morgen im Büro von Monsieur Marteau, unserem Chef, saß, war ich noch ziemlich müde. In der Nacht zuvor hatten wir eine Razzia im LUNE BLEUE durchgeführt, einem Glitzerclub, von dem wir schon lange vermutet hatten, dass er ein Umschlagplatz für Designer-Drogen war. Diese Operation saß mir jetzt noch in den Knochen. Aber wenn ich mir die anderen Gesichter der FoPoCri-Kollegen ansah, die sich im Büro unseres Chefs versammelt hatten, war ich nicht der einzige. FORCE SPECIALE DE LA POLICE CRIMINELLE, so heißt unsere Sondereinheit. Oder eben kurz FoPoCri.
Ich nippte an meinem Kaffee. Mein Freund und Kollege François Leroc schien meinen Gesichtsausdruck bemerkt zu haben. Er saß neben mir.
»Melanie hat Urlaub«, raunte er mir zu.
»Das erklärt alles«, erwiderte ich.
Melanie war die Sekretärin unseres Chefs. Und ihr Kaffee war in der gesamten Dienststelle eine Legende. Das Gebräu, das ich jetzt vor mir hatte, konnte damit auf keinen Fall konkurrieren.
Außer François und mir waren noch die Kollegen Boubou Ndonga und Stéphane Caron anwesend.
»Sie werden von dem jüngsten Vorfall in der Sportarena Le Dôme, hier in Marseille, gehört haben«, begann Monsieur Marteau.
Natürlich hatten wir das. Das war gar nicht zu vermeiden. Schließlich waren sämtliche Zeitungen und die Nachrichten in Fernsehen und Radio voll davon. »Vorgestern ist bei einem vom France-Wrestling-Verband ausgetragenen Kampf im Freistil-Catchen der Star des Abends umgebracht worden, ein gewisser Mario Amato. Er mag dem einen oder anderen, der an dieser Sportart interessierter ist als ich, vielleicht unter dem Namen L'ÈTALON ein Begriff sein.«
»Ich habe nur die Plakate vor dem Le Dôme gesehen«, sagte Boubou Ndonga, ein Kollege, der als bestangezogenster Beamter des Reviers galt.
Monsieur Marteau schaltete einen Projektor ein und zeigte uns erst einige Aufnahmen von Amato, dann vom Tatort.
»Es gibt sogar eine Videoaufnahme des Geschehens«, erklärte Monsieur Marteau dann. »Ein Kabelsender, der sich auf Catchen spezialisiert hat, hat den Kampf nämlich live übertragen. Die Aufnahme stelle ich Ihnen für die Ermittlungen zur Verfügung. Aber zunächst möchte ich Ihnen die Ermittlungsergebnisse kurz darlegen, die unsere Kollegen bereits gewonnen haben. Vielleicht haben Sie die entscheidenden Ausschnitte der Videoaufzeichnung ohnehin schon im Frühstücksfernsehen bewundern können.«
Monsieur Marteau schüttelte angewidert den Kopf. »Das, was da im Le Dôme passiert ist, ist schlimm genug. Aber die Art und Weise, wie manche Medien das ausbeuten, gefällt mir ebenfalls nicht.«
Anhand mehrerer weiterer Aufnahmen erläuterte Monsieur Marteau uns den Tathergang, so wie er bisher rekonstruiert worden war. Der Täter hatte aus dem Publikum heraus geschossen. Die Ballistiker hatten inzwischen sogar feststellen können, von welchem Platz aus. In der allgemeinen Panik hatte der Täter dann unerkannt flüchten können. Die Leute waren aus der Halle gestürzt und hatten die Sicherheitsleute und Ordner einfach über den Haufen gerannt. Einige Dutzend Verletzte waren mit Prellungen und Knochenbrüchen in Krankenhäuser eingeliefert worden. Insgesamt ein halbes Dutzend Personen glaubten, den Täter beobachtet zu haben. Die Polizei hatte ihre Aussagen aufgenommen, aber sie waren dermaßen unterschiedlich, dass ihr Wert gleich Null war.
Vermutlich hatte keiner dieser Menschen wirklich etwas gesehen.
Bei den verwendeten Projektilen handelte es sich um Kugeln vom Kaliber 38.
»Wieso ist das unser Fall?«, erkundigte ich mich.
Monsieur Marteau hob die Augenbrauen.
»Dazu komme ich sofort, Pierre.« Er hielt eine Fernbedienung in der Hand, mit der er den Projektor bediente. Das Gesicht eines Mannes in den mittleren Jahren erschien jetzt an der Wand. »Mario Amato hatte Verbindungen zur Unterwelt. Insbesondere zu Louis Janton!«
»Dem Wettkönig aus Pointe-Rouge?«, meinte François.
Monsieur Marteau nickte.
»Genau! Janton ist eine große Nummer im illegalen Glücksspiel und Wettgeschäft. Er betreibt mehrere Bars und ein paar Wettbüros. Außerdem vermuten wir, dass er in großem Maßstab Wettbetrug betreibt. Abgesprochene Pferdewetten und manipulierte Kämpfe beim Boxen und Catchen. Allerdings ist bislang nichts Gerichtsverwertbares dabei herausgekommen. Louis Janton macht sich selbst die Hände nicht schmutzig. Dafür hat er seine Leute. Im letzten Jahr wollte ein Aussteiger aus Louis Jantons Organisation als Kronzeuge aussagen. Er wurde auf dem Weg zum Staatsanwalt von einem Scharfschützen erschossen. Dass Louis Janton dafür den Auftrag gab, konnte nie bewiesen werden.«
»Und weshalb sollte er etwas mit dem Tod von Mario L'ÈTALON Amato zu tun haben?«, fragte François.
»Amato stand praktisch auf der Gehaltsliste von Janton. Jedenfalls sagen uns das unsere Informanten. Aber es gibt auch andere Anhaltspunkte, die das mehr als nahelegen. Amatos Manager hat früher für Janton gearbeitet. Mit Jantons Geld ist Amato aufgebaut worden.«
»Und je nachdem, wie die Wettquoten standen, ist Amato dann entweder umgefallen oder als Sieger vom Platz gegangen«, schloss Caron. Der flachsblonde Kollege schlug die Beine übereinander.
Monsieur Marteau zuckte die Achseln.
»Es spricht sehr viel für diese Vermutung. Jedenfalls soll Amato sich mit seinem Mentor verkracht haben. Gerade jetzt, wo er groß im Kommen war und für Janton richtig Geld gebracht hätte!«
»Und deshalb musste er sterben?«, fragte ich.
»Es wäre nicht das erste Mal, Pierre, dass Louis Jantons Leute aus seinem Imperium, die nicht parieren, wenig später auf mysteriöse Weise eine Kugel in den Schädel bekommen. Janton ist, was das angeht, nicht unbedingt ein kalt kalkulierender Unterwelt-Boss. Er kann mitunter sehr emotional reagieren. Sein nachtragender Hass ist berüchtigt. Eine Beleidigung genügt, und ihm brennen sämtliche Sicherungen durch …«
»Klingt nicht gerade nach jemandem, den ich näher kennenlernen möchte«, raunte mir François zu.
»Gehört wohl leider zum Job«, erwiderte ich.
Monsieur Jean-Claude Marteau wandte sich an Boubou: »Sie und Monsieur Caron ermitteln bitte am Tatort. Nehmen Sie jedes Detail noch einmal unter die Lupe und arbeiten Sie dabei mit Commissaire Kruger, dem Leiter der zuständigen Mordkommission zusammen! Insbesondere möchte ich, dass Sie sich mit den Organisatoren des Catch-Events in Verbindung setzen und ermitteln, ob es vielleicht im Vorfeld des Attentats irgendwelche Auffälligkeiten gab.«
Boubou Ndonga nickte.
»In Ordnung, Monsieur Marteau.«
Monsieur Marteau vollführte eine halbe Drehung in meine Richtung.
»Sie und Monsieur Leroc ermitteln in Amatos Umfeld … Es wäre nicht schlecht, wenn wir Louis Janton endlich mal festnageln könnten.«
»Leichter gesagt als getan«, erwiderte ich.
Mordaufträge gehörten leider zu den am schwersten nachweisbaren Delikten. Es war viel leichter, denjenigen dingfest zu machen, der sich dafür hergab, eine Waffe abzudrücken. Denn so geschickt er sich dabei auch immer anstellen mochte, er hinterließ ganz sicher mehr Spuren als sein Auftraggeber.
3
Mario Amato hatte zuletzt in einer Villa in Marseille Sainte André gewohnt. Erst vor einem halben Jahr war er dort eingezogen. Das äußere Zeichen dafür, dass er - das Kind armer italienischer Gastarbeiter - es In Frankreich geschafft hatte. Jetzt empfing uns dort seine junge Frau Isabella. Sie war dunkelhaarig und zierlich. Neben ihrem Mann musste sie geradezu winzig gewirkt haben.
Isabella Amato trug ein schwarzes Kleid, als sie uns empfing. Verwundert nahm sie unsere Ausweise zur Kenntnis.
»Bonjour«, sagte ich.
»Ich habe doch schon alles, was ich wusste, der Polizei gesagt«, erklärte sie. »Und jetzt noch einmal mit Ihnen …«
»Tut uns leid, Madame Amato, aber …«, begann ich.
»Sie können ja nichts dafür, Monsieur …«
»Marquanteur, Kriminalpolizei Marseille. Und dies ist mein Kollege François Leroc.«
Sie führte uns in ein luxuriös ausgestattetes Wohnzimmer.
In einer Glasvitrine waren die Pokale und Medaillen aufgereiht, die Amato gewonnen hatte. Es sah aus wie ein Schrein.
»Vorgestern Abend wurde dieses schreckliche Attentat verübt«, sagte sie mit vor der Brust verschränkten Armen. »Und seitdem habe ich Stunden damit zugebracht, Polizisten Rede und Antwort zu stehen.« Sie schluckte. Der Schmerz war ihr deutlich anzusehen. »Sie haben ja keine Ahnung von dem, was jetzt alles auf mich einstürzt.«
»Wir werden Sie bestimmt nicht länger belästigen, als unbedingt nötig, Madame Amato«, sagte ich.
Und François fragte: »Seit wann waren Sie verheiratet?«
»Seit einem Jahr.«
»Was haben Sie gemacht, bevor Sie Monsieur Amatos Frau wurden?«
»Ich habe in einer Bar namens Sangcœur gearbeitet – am Hafen. Dort habe ich Mario kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick, wie man so schön sagt.« Sie atmete tief durch und rieb nervös die Handinnenflächen gegeneinander. Sangcœur gehörte zu den Läden, die unter Kontrolle von Louis Janton standen.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte Isabella. Wir schüttelten beide den Kopf. »Dann nehmen Sie doch wenigstens Platz.«
Wir ließen uns in den gewaltigen Ledersesseln nieder.
Ich beugte mich etwas vor und fragte: »Ihr Mann hatte ziemlich engen Kontakt zu Louis Janton.«
»Aus Marios Geschäften habe ich mich immer herausgehalten. Er hätte es auch gar nicht geduldet, wenn ich mich da eingemischt hätte.» Sie sah mich nicht an, als sie das sagte.
»Ihr Mann soll sich mit Louis Janton überworfen haben«, sagte ich.
»Wer sagt das?«
»Es wird so herumerzählt.«
»Ich kann nichts Negatives über Monsieur Janton sagen«, erklärte sie schließlich. »Ich kannte ihn noch aus der Zeit, als ich im Sangcœur gearbeitet habe. Er war immer sehr nett.«
»Haben Sie mal erlebt, wie Ihr Mann sich mit Janton gestritten hat?«
»Ja, letzte Woche am Telefon. Ich weiß allerdings nicht mit Sicherheit, dass Janton am anderen Ende der Leitung war.«
»Worum ging es?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Ich habe Mario hinterher danach gefragt, ob es Ärger gäbe.«
»Und? Was hat er geantwortet?«
»Er hat gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Es sei nichts Ernstes. Allerdings habe ich ihm das nicht geglaubt.«
»Warum nicht?«
»Weil er wie ein Verrückter hinter seinem Manager her telefoniert hat.«
»Hat er ihn erreicht?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Muss wohl. Am Tag darauf hat er sich mit Dereque Lysson, seinem Manager, getroffen. Es war hier in diesem Zimmer. Die beiden hatten etwas ziemlich Wichtiges zu besprechen, und mein Mann war sehr erregt.«
Ich fragte: »Haben Sie etwas davon mitbekommen, worum es ging?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Leider nein.«
»Dereque Lysson war früher für Louis Janton tätig, oder?«
»Das weiß ich nicht. Schon möglich. Wie gesagt, Monsieur Marquanteur, mein Mann war der Ansicht, dass Frauen sich nicht ins Geschäft einzumischen hätten.« Sie atmete tief durch und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich frage mich allerdings, was das alles mit dem Tod meines Mannes zu tun haben soll.« Sie musterte mich. Ihre Augenbrauen bildeten dabei eine Schlangenlinie. »Sehen Sie lieber zu, dass Sie diesen Verrückten kriegen, der Mario einfach so abgeknallt hat! Wie einen Hund!« Sie schluchzte auf.
»Das versuchen wir, Madame Amato«, sagte ich vorsichtig. »Und ich verspreche Ihnen, dass wir alles tun werden, um den Mörder Ihres Mannes zu finden.«
»Und was soll dann diese ganze Fragerei nach Louis Janton? Glauben Sie denn, dass er etwas damit zu tun hat?«
»Wir können nicht ausschließen, dass es sich um einen Auftragsmord handelt, Madame Amato«, sagte ich.
Sie erriet meine Gedanken.
»Und Sie glauben, dass Louis Janton der Auftraggeber des Killers war?«
Ich sah sie an.
»Bis jetzt ist noch alles offen«, sagte ich. »Aber wir müssen jede Möglichkeit in Betracht ziehen.«
»Da haben Sie natürlich recht.«
»Können wir uns etwas im Haus umsehen? Uns interessieren vor allem Monsieur Amatos persönliche Dinge.«
Sie blickte auf. Ihr Gesicht wurde jetzt von einer leichten Röte überzogen.
»Sie wollen sicher wissen, wer sein Vermögen erbt und ob es eine Lebensversicherung gibt«, erklärte sie dann mit galligem Unterton. Sie erhob sich. Dabei sah sie mir direkt in die Augen.
François und ich standen ebenfalls auf.
»Es wäre schon wichtig für uns, seine finanziellen Verhältnisse zu kennen.«
»Ich nehme an, dass ich mich gegen Ihre Wünsche wohl kaum wehren kann.«
»Sie haben Ihren Mann geliebt«, sagte ich. Nicht als Frage, sondern als Feststellung.
Sie schluckte. »Ja«, flüsterte sie sichtlich bewegt.
»Das einzige, was Sie jetzt noch für ihn tun können, ist, uns zu unterstützen, Madame Amato. Damit wir den Mörder finden, der Mario Amato auf dem Gewissen hat. Auch wenn es für Sie vielleicht schmerzlich ist.«
Sie nickte.
»Gut«, sagte sie. »Sie haben freie Hand. Tun Sie, was immer Sie für notwendig halten! Und damit Sie es sich nicht mühsam aus Marios Unterlagen heraussuchen müssen, sage ich gleich auch noch Folgendes: Ja, es gibt eine Lebensversicherung zu meinen Gunsten. Mario meinte, dass das notwendig sei. Catchen ist ein brutaler Sport – obwohl es nicht halb so viele Verletzungen wie beim Boxen gibt. Aber ein Risiko ist natürlich immer dabei. Mario war sicher vermögender als ein Beamter der FoPoCri. Aber er war nicht so reich, wie viele vermuten. Er befand sich am Anfang einer großen Karriere. Trotz des Erbes und der Lebensversicherung werde ich dieses Haus zum Beispiel nicht halten können.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit«, sagte ich. »Hatten Sie einen Ehevertrag?«
»Ja. Im Fall einer Scheidung wäre ich leer ausgegangen. Sie können mich also ruhig auf die Liste der Verdächtigen setzen. Aber ich habe Mario geliebt. Unsere Ehe war glücklich.«
»So war es nicht gemeint«, sagte ich.
»Doch, Monsieur Marquanteur, das war es. Auch wenn Sie etwas mehr Charme haben als Ihre Kollegen von der Mordkommission.«
4
Wir durchsuchten Amatos Sachen sehr gründlich. Jeden Beleg, den wir in seinem Schreibtisch fanden, seinen Terminkalender und das Adressregister. Isabella Amato beobachtete uns dabei. Schließlich hörten wir den Anrufbeantworter ab.
»Ich bin seit Marios Tod noch nicht dazu gekommen«, sagte sie. »Außerdem wollte ich niemanden sprechen. Den ganzen Tag über klingelte es. Ein Presse-Kollege nach der anderen. Ich hatte einfach nicht den Nerv, um mit irgendjemandem von den Medien zu reden …«
»Das verstehe ich gut«, erklärte ich.
Wir gingen die Anrufe einzeln durch. Das meiste war tatsächlich aus dem Presse- und Medienbereich. Jeder dieser News-Geier wollte der erste sein, der mit der Witwe sprach.
Isabella Amato hätte eine Menge Geld verdienen können, wenn sie abgehoben und irgendeines dieser Angebote angenommen hätte.
»Isabella, hier ist Louis Janton«, meldete sich dann irgendwann eine Stimme. »Isabella, ich weiß, dass du zu Hause bist, also nimm ab. Es ist wichtig. Wir müssen miteinander reden, bevor …« Er brach ab. »Du weißt schon. Ich versuche es später noch mal.«
Tatsächlich hatte es Louis Janton insgesamt dreimal versucht.
»Was kann er von Ihnen gewollt haben, Madame Amato?«, erkundigte sich François.
»Ich weiß es nicht.«
»Es klang sehr dringend.«
»Ja, ich habe wirklich keine Ahnung, worum es ihm gegangen sein könnte. Vielleicht ruft er ja noch mal an, dann kann ich Ihnen Näheres sagen. Oder Sie fragen ihn selbst.«
»Das werden wir bestimmt noch tun«, kündigte ich an.
Wir untersuchten auch Mario Amatos Garderobe. Seit er reich geworden war, schien er ein Faible für Maßanzüge entwickelt zu haben. Allerdings waren das bei seiner muskulösen Bodybuilder-Figur vermutlich auch die einzigen, die er tragen konnte. Er hatte mehrere Dutzend davon. Manche waren vom Schnitt und von der Farbgebung her ziemlich extravagant und schrill. Aber die Stoffe waren immer erste Wahl, die Verarbeitung exzellent.
In einer der Jacketts fand François einen Brief in der Innentasche. Adressiert war er mit einer Schreibmaschine, deren Typen schon seit Jahrzehnten nicht gereinigt zu sein schienen. Die beiden kleinen a in Mario Amato waren nur noch kleine, schwarze Schmierpunkte. Ein Absender war nicht vorhanden. Der Umschlag war an der Oberseite aufgerissen.
François holte eine weiße Pappkarte heraus, die in der Mitte gefaltet war. Außen trug sie keinerlei Beschriftung. Einfach ein Stück dünner Karton mit Glanzbeschichtung.
François öffnete die Karte.
Innen gab es auch keinerlei Beschriftung. Dafür etwas anderes höchst Merkwürdiges. Eine dicke Fliege war mitten auf dem weißen Karton aufgeklebt.
»Hast du so etwas schon mal gesehen?«, fragte François angewidert.
Ich schüttelte den Kopf.
»Sollen wir Wetten darüber abschließen, ob die Fliege echt ist?«
»Sie ist echt«, meinte François. »Ich hoffe nur, dass sie nicht noch gelebt hat, als dieser Spinner sie auf die Post gab.«
Ich sah mir den Umschlag an. Laut Stempel war er in Gardanne abgeschickt worden. Ich fragte Isabella, warum ihr Mann diese Karte bei sich gehabt hatte.
»Sie muss eine besondere Bedeutung für ihn gehabt haben«, war ich überzeugt.
Aber Isabella war da anderer Auffassung.
»Er hatte die Angewohnheit, solche Sachen einfach einzustecken und dann zu vergessen. Was glauben Sie, was ich alles aus seinen Taschen schon herausgeholt habe, bevor ich sie in die Reinigung geben konnte.«
»Wissen Sie, was es mit diesem Brief auf sich hat?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, keine Ahnung. Aber wissen Sie, Fans sind manchmal seltsam. Besonders Wrestling-Fans. Mario hat des Öfteren Geschenke bekommen, über die normale Menschen nur den Kopf schütteln können.«
5
Ein scharfer Schweißgeruch kam uns entgegen, als wir die Räume von Malverts Wrestling Schule auf Pointe-Rouge betraten. Matthieu Malvert war Amatos Trainer gewesen. Und hier, in Malverts Schule war L'ÈTALON groß geworden.
Das Maß aller Dinge - das bedeutete Amatos Künstlername.
Und so hatte er sich gesehen.
Angefangen hatte er hier, ganz klein.
Malvert war nicht nur ein wichtiger Zeuge, von dem wir uns weitere Informationen zu Amatos Lebensumständen erhofften. Er war auch bei dem Attentat dabei gewesen. Auf dem Videoband der Live-Übertragung war er deutlich zu sehen. Er hatte seinen Schützling während des Kampfes betreut.
Dumpfe Schlaggeräusche waren zu hören. Riesige Kerle in durchschwitzten T-Shirts droschen bis zur Besinnungslosigkeit auf Sandsäcke ein. In einem der Sparrings lief gerade ein Trainingskampf zwischen einem gewaltigen Schwarzen und einem Weißen mit Gorilla-Gesicht und einer blonden Lockenmähne, die wie eine Parodie auf einen Rauschgoldengel wirkte.
Ein kleiner, hagerer Mann, der in seiner hektischen Art etwas von einem Wiesel hatte, trat uns entgegen. Er sah uns aus tiefen Augenhöhlen an.
»Heh, was wollen Sie hier? Hier hat nicht einfach jeder Zutritt und kann glotzen!«
Ich holte den Ausweis heraus.
Als der Hagere den Ausweis sah, verlor sein Gesicht den letzten Rest von Farbe. Er schluckte.
»Ich bin Commissaire Pierre Marquanteur, und dies ist mein Kollege Leroc«, stellte ich uns vor. »Ist Monsieur Malvert zu sprechen?«
»Monsieur Malvert ist nicht da«, sagte der Hagere. »Tut mir leid für Sie.«
»Haben Sie Ahnung, wo er sein könnte?«, fragte ich.
»Zu Hause, nehme ich an.«
»Da meldet sich niemand. Wir haben mehrfach versucht, ihn anzurufen.«
Inzwischen war es sehr still im Raum geworden. Niemand kümmerte sich noch um einen Sandsack, und auch im Sparring wurde eine Pause eingelegt. Mit vor der Brust verschränkten Armen standen die Catcher da und beobachteten uns.
»Gibt es Probleme, Speedy?«, fragte der Blonde. Er stieg aus dem Ring heraus. Sein schwarzer Trainingskontrahent folgte diesem Beispiel. Die beiden bauten sich rechts und links von dem Hageren auf und wirkten jetzt fast wie eine Begleiteskorte.
»Was wollen Sie?«, knurrte der Blonde in meine Richtung.
»Wir ermitteln im Mordfall Mario Amato«, sagte ich ruhig.
»Die Mordkommission war schon hier und hat uns alle befragt. Warum interessiert sich die FoPoCri für den Fall?«
»Irgendetwas dagegen einzuwenden, wenn sich ein paar Leute mehr darum kümmern, einen Attentäter zu fassen?«, fragte ich.
Der Blonde funkelte mich mit seinen blassblauen Augen an. Und dann machte er noch einen Schritt nach vorne und baute sich vor mir auf. Er war einen halben Kopf größer als ich. Es war unverkennbar, dass er mich durch seine physische Erscheinung einschüchtern wollte. Er entblößte zwei Reihen völlig gleichmäßig wirkender Zähne, bei denen ich mich fragte, wie sie bei einem wie ihm noch echt sein konnten. Den Zeigefinger drückte er mir wie den Lauf einer Waffe auf das Jackett-Revers.
»Hör zu, Flic! Ich mag es nicht, wenn man mich für dumm verkauft!«
»Ich auch nicht«, erwiderte ich kühl.
»Wenn die FoPoCri sich mit so einem Fall befasst, dann muss es dafür besondere Gründe geben.«
»Schon mal was von organisiertem Wettbetrug und frisierten Kämpfen gehört?«, fragte ich.
Die Muskeln des blonden Riesen spannten sich. Er atmete tief durch. Es schien ihn einige Mühe zu kosten, sich zu beherrschen.
Speedy, der Hagere, versuchte ihn zu besänftigen.
»Ganz ruhig, Ricky! Hör dir erst mal an, was der Kollege zu sagen hat, ja?«
Der Blonde drehte sich herum und wischte sich mit der Hand durch das verschwitzte Lockenhaar. Dann gab er einem der Sandsäcke einen Tritt und ließ ihn wie ein Pendel durch die Gegend schwingen.
»Die Sache geht Ricky ziemlich nahe«, meinte Speedy. »Er ist an demselben Abend in einem der Vorkämpfe aufgetreten. Der Schuss hätte auch ihn treffen können …«
»Wir glauben eher, dass Amato ganz gezielt als Opfer vorgesehen war«, sagte François.
»Trotzdem«, meinte Speedy. »Stehen Sie mal vor zehntausend oder zwanzigtausend Leuten im Ring …«
Ricky drehte sich jetzt wieder um. Er kam erneut auf mich zu, schob seine Haare zurück, so dass die Ohren sichtbar wurden. »Sehen Sie sich diese Ohren an, Mann! Ich weiß, dass das Catchen einen schlechten Ruf hat und alle Welt glaubt, dass das, was im Ring passiert, nichts als eine Art Stunt-Show ist. Sehen Sie sich die verkrüppelten Ohren an, Mann! Ist das Show? Meine Nase ist fünfmal gebrochen gewesen. Sehen Sie in mein Gesicht, und dann wiederholen Sie noch mal den Quatsch, den Sie gerade abgelassen haben!«
»Halt die Klappe, Ricky!«, fuhr Speedy dazwischen.
Ich fragte ruhig: »Kannte jemand von Ihnen Mario Amato wirklich gut?«
Ein Gemurmel entstand.
Der Schwarze sagte schließlich: »Wir kannten ihn alle ziemlich gut. Wir waren wie eine Familie.«
»Amato hatte offenbar eine ziemlich intensive Verbindung zu einem Mann namens Louis Janton«, fuhr ich fort.
Eisiges Schweigen schlug uns entgegen. Ich studierte ein Gesicht nach dem anderen. Manche wandten den Blick. Sie wichen mir aus. Von Janton wollte hier niemand etwas wissen.
»Wir waren nicht Marios Kindermädchen«, sagte schließlich Speedy.
»Amato soll sich mit Janton vor Kurzem zerstritten haben. Weiß jemand etwas darüber?«
»Keine Ahnung, wovon Sie sprechen!«, presste der Schwarze zwischen den Lippen hindurch.
Hier würde uns fürs Erste niemand weiterhelfen.
»Kommen Sie, ich bringe Sie raus!«, sagte Speedy.
Die Catcher sahen uns nach. Manche von ihnen wandten sich wieder ihren Sportgeräten zu. Speedy brachte uns vor die Tür. Er wollte offenbar noch einen Augenblick mit uns allein sprechen.
»Sie müssen das den Jungs nicht übelnehmen«, meinte Speedy, als wir draußen waren. »Aber wenn jemand ihren Sport in ein zweifelhaftes Licht rückt, reagieren sie etwas allergisch.«
»Dann kennt hier also niemand Louis Janton«, sagte ich ironisch.
»Jeder kennt ihn. Er hat diese Wrestling-Schule mitfinanziert.«
»Ich kann mir vorstellen, dass Malvert nicht gerade begeistert darüber war, als sich Amato mit Louis Janton verkrachte.«
»Natürlich nicht!«
Ich fragte: »Haben Sie mitgekriegt, worum es bei dem Streit ging?«
»Nein. Fragen Sie Malvert mal. Der war Amatos engster Vertrauter in diesen Dingen. Und natürlich sein Manager, Dereque Lysson.«
»Wenn ich wüsste, wo Malvert jetzt steckt …«
»Er hat seit drei Tagen eine neue Wohnung. In seiner alten können Sie so viel klingeln, wie Sie wollen, da ist niemand mehr. Warten Sie, ich schreibe Ihnen die Adresse auf …« Er holte einen schmierigen Notizblock aus der Jackentasche und kritzelte mit einem Kugelschreiber darauf herum. Dann riss er den Zettel ab und gab ihn mir.
»Hatte dieser Wohnungswechsel irgendeinen bestimmten Grund?«, fragte ich.
»Hören Sie, ich bin hier nur Hausmeister und Mädchen für alles. Genauer gesagt kümmere ich mich um alles, worum sich sonst niemand kümmert. Aber ich bin keiner, der seinen Boss ausfragt!«
6
Matthieu Malvert wirbelte herum, als er den ohrenbetäubenden Krach hörte. Jemand hatte brutal die Tür seiner Wohnung in Marseille Belle de Mai aufgetreten.
Ein maskierter Mann stürmte herein. Er trug eine Micky-Maus-Maske aus Gummi, die sein gesamtes Gesicht verdeckte. Mit beiden Händen umklammerte der Eindringling den Griff einer Beretta, deren Lauf direkt auf Malverts Kopf zielte.
Ein zweiter und ein dritter Mann kamen herein. Jedenfalls nahm Malvert auf Grund ihrer Körperformen an, dass es sich um Männer handelte. Von den Gesichtern konnte er auch bei ihnen nichts sehen.
Einer trug eine Goofy-Maske, der dritte eine Maske mit dem Gorilla-Gesicht von King Kong.
Malvert erhob sich aus seinem Sessel. Er stellte die Bierdose auf den niedrigen Tisch. Malvert war selbst nicht gerade klein. Früher war er aktiver Wrestler gewesen.
Seine verkrüppelten Ohren, der unübersehbare Knick in seiner Nase, und die Tatsache, dass in seinem Mund die Farbe Gold vorherrschend war, belegten das eindrucksvoll. Malverts aktive Zeit war natürlich längst vorbei. Aber für einen Fünfzigjährigen war er immer noch gut im Training. So leicht konnte es keiner mit ihm aufnehmen.
Gegen drei Gegner hatte er bei Schauveranstaltungen schon gekämpft.
Aber gegen drei Bewaffnete, das war etwas anderes.
Und sie trugen alle drei Berettas.
Der Mann mit der King Kong-Maske war damit beschäftigt, die Tür notdürftig wieder zu schließen. Musste ja nicht jeder, der durch den Flur ging, hineinschauen.
»Hier hast du dich also verkrochen, du Ratte!«, zischte Micky Maus dumpf unter der Maske hervor. »Hast wohl gedacht, wir finden dich nicht, was?«
»Hört mal, ihr …«
»War ‘ne Kleinigkeit für uns!«
»Wer seid ihr?«, fragte Malvert.
»Spielt doch keine Rolle, oder?«
»Schickt Louis Janton euch?«
»Der, der uns schickt, macht sich Sorgen um dich«, sagte jetzt King Kong, der seine Arbeit an der Tür beendet hatte.
Malvert versuchte, seine Chance abzuschätzen. Er wusste, dass sie denkbar schlecht standen.
Die drei verteilten sich im Raum. Von jeder Seite der Lauf einer Beretta.
Eine falsche Bewegung und ich bin ein Sieb, dachte Malvert.
»Was wollt ihr?«
»Dir ein bisschen den Ernst der Lage klarmachen, Malvert!«, grunzte King Kong unter seiner Maske hervor.
Der Goofy-Mann lachte dazu dumpf.
Micky Maus machte einen Schritt nach vorn.
»Schön stehenbleiben!«, zischt er, an Malvert gewandt. Er drückte ihm den Lauf der Beretta an die Schläfe. Der Ex-Catcher geriet ins Schwitzen. »Rühr dich auch nur ein einziges Mal und du hast keinen Kopf mehr«, zischte es unter der Micky Maus-Maske hervor.
Malvert schluckte.
»Hört mal, man kann über alles reden …«
King Kong trat auf Malvert zu. Er warf Goofy seine Beretta zu. Der fing sie auf. Dann schnellten King Kongs Fäuste vor. Eine bohrte sich in Malverts Magengrube. Er krümmte sich, wurde aber sogleich wieder hochgerissen, als der nächste Schlag sein Kinn traf. Malvert flog nach hinten und drückte mit seinem Körpergewicht den niedrigen Wohnzimmertisch platt. Ehe er sich auch nur einmal rühren konnte, bekam er von dem Mann mit der Goofy-Maske einen Tritt in die Nieren.
Malvert stöhnte auf.
King Kong ließ sich die Beretta zurückgeben und lachte, bevor er von der anderen Seite zutrat.
Malvert zuckte.
»Wir machen dich so fertig, dass du nie wieder auf dumme Gedanken kommst, Malvert!«, kündigte Micky Maus kalt an.
7
Die Adresse, die Speedy uns gegeben hatte, gehörte zu einem schon etwas in die Jahre gekommenen Mietshaus in Marseille Belle de Mai. Vorwiegend wurden hier kleine Appartements für Singles vermietet, denen die Innenstadt zu teuer war, die aber wegen ihrer Jobs darauf angewiesen waren, im Zentrum zu wohnen.
Schon als wir den Eingang betraten, hatte ich das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte.
Im Empfangsbereich stand eine Art Glaskasten, in dem normalerweise rund um die Uhr jemand darauf achtete, dass die Videoüberwachungsanlage funktionierte, sich nichts Ungewöhnliches ereignete und niemand ins Haus gelangte, der hier nicht hingehörte. Aber in dem Glashaus schien niemand zu sein.
Auf den ersten Blick zumindest.
Papiere, Bewohnerliste und die Zeitung, die der Sicherheitsposten benutzt hatte, lagen überall verstreut.
Wir traten näher.
Ich sah ein paar Füße.
Reflexartig ging meine Hand zum Gürtel. Bei François war es dasselbe. Einen Sekundenbruchteil später hatten wir beide unsere Dienstpistolen vom Typ Sig Sauer P226 in den Fäusten.
François umrundete den Glaskasten mit schnellen, entschlossenen Schritten. Ich blickte mich derweil in Richtung des Treppenhauses und der Aufzüge um.
François hatte inzwischen das Büro des Sicherheitspostens betreten. Er beugte sich nieder.
»Bewusstlos!«, rief er mir zu. »Bekam einen Schlag von hinten mit einem harten Gegenstand. Er blutet etwas …«
Ich machte eine Schritt nach vorn, so dass ich besser sehen konnte. Der Sécurité-Mann hatte offenbar seine Waffe zu ziehen versucht. Jedenfalls lag sie auf dem Fußboden. Sein Büro war ein einziges Chaos. Die Telefonleitungen hatte jemand durchtrennt.
Ich zog mein Handy hervor und meldete den Vorfall an die Zentrale, um Verstärkung zu rufen. Die Zentrale würde auch die Kollegen der Polizei informieren. Einen Notarztwagen bestellte ich ebenfalls zu dieser Adresse. Wir konnten nicht abschätzen, wie schwer es den Sécurité-Mann erwischt hatte.
François stand vor den Bildschirmen der Video-Überwachungsanlage, die von einem Besucher, der außerhalb des Glaskastens stand, nicht eingesehen werden konnte.
»Die Videoanlage funktioniert«, meinte François.
Wer immer hier auch eingedrungen war, er kannte sich aus.
Bei manchen Mietshäusern ist diese Überwachungsanlage nämlich mit einem automatischen Alarmsystem verbunden. Der Alarm wird ausgelöst, sobald die Anlage nicht mehr läuft. Aber genau das hatten der oder die Täter offenbar unter allen Umständen vermeiden wollen.
Und auch der Zeitpunkt, den sie sich ausgesucht hatten, war denkbar günstig. Neunundneunzig Prozent der Bewohner waren zu dieser Tageszeit in der City und gingen ihren Geschäften nach.
»Da kommen drei Typen«, sagte François. »Sie steigen gerade in den Lift ein.«
»Du meinst, das sind sie?«
»Sie tragen Masken!«
»Na, dann werden wir sie mal gebührend empfangen!«
8
Wir verschanzten uns in der Nähe der Aufzüge. An der Leuchtanzeige über der mittleren der drei Lifte konnten wir sehen, wo sich die Kabine jetzt befand. Sie kam unaufhaltsam näher. Die Metalltür öffnete sich.
Wir sahen die drei Männer mit den Masken von Goofy, Micky Maus und King Kong.
Und wir sahen auch die Berettas in ihren Händen.
François und ich hatten uns jeder auf einer Seite postiert.
François hatte Deckung hinter einer scharfen Biegung, die der Flur machte.
Ich befand mich in einer Türnische. Die Tür selbst war abgeschlossen. Der Aufschrift nach war das ein Abstellraum.
»FoPoCri! Waffen fallenlassen!«, rief ich.
Die Antwort kam sofort in Form eines Bleihagels. Sie schossen wie verrückt in unsere Richtung. Die Lifttür schloss sich wieder. Aber bevor das geschehen war, warf einer der Kerle noch etwas zu uns hinaus.
Etwas, das ungefähr die Größe eine Straußeneis hatte, flog uns entgegen.
Eine Reizgasgranate!
Die graugelbe Substanz, die ihr mit Hochdruck entströmte, hatte einen stechenden Geruch und ließ die Augen tränen.
Ich zögerte keine Sekunde und stürzte zur Treppe. Die anderen Aufzüge herbeizuholen, wäre zu zeitaufwendig gewesen. Außerdem hätte ich dann mitten durch die Reizgaswolke hindurchlaufen müssen. Und das war alles andere, als empfehlenswert. Schließlich hatte es keinen Sinn, wenn ich mich halbblind auf die Fersen der drei Masken-Gangster begab.
Sie wollten in den Keller.
So viel war an der Leuchtanzeige des Lifts ablesbar gewesen. Ich hetzte die Stufen hinunter, nahm immer mehrere mit einem Schritt und versuchte, ein aussichtsloses Wettrennen aufzunehmen.
Ich konnte nicht gewinnen.
Das einzige, was im Bereich des Möglichen lag, war, die Gangster nicht ganz zu verlieren.
François war mir dicht auf den Fersen. Wir kamen kurz nacheinander unten an.
Mein Blick glitt zur Tür des mittleren Fahrstuhls. Sie schloss sich bereits wieder.
Ich sah den langen, kahlen Kellergang entlang. Er war kaum beleuchtet. Aus dem Halbdunkel heraus blitzte das Mündungsfeuer einer Pistole auf. Ich warf mich seitwärts.
Während ich fiel, feuerte ich mit meiner P226 zurück. Erneut blitzte es auf der anderen Seite auf. Hektische, ungezielte Schüsse, die als tückische Querschläger weitergegeben wurden, nachdem sie den Putz geritzt hatten.
Wir arbeiteten uns von Türnische zu Türnische vor und gaben uns dabei gegenseitig Feuerschutz.
Ich erwischte einen Lichtschalter.
Plötzlich stand einer der Kerle in voller Beleuchtung da.
Es war der Micky Maus-Mann. Die Beretta hielt er in der Linken. Von seinen Komplizen war nichts zu sehen. Der Kellergang machte eine scharfe Biegung, hinter der die beiden andere wohl schon verschwunden waren.
Er drückte sofort ab. Aber es machte nur klick.
»Waffe fallenlassen!«, brüllte ich.
Er stand wie angewurzelt da, während ich aus der Deckung hervorkam. Sein Kopf wandte sich zur Seite.
Ich konnte förmlich seine Gedanken lesen. Er wollte einfach davonrennen, seinen Komplizen hinterher. Dorthin, wo er außerhalb des Schussfeldes meiner P226 war. Seine Muskeln spannten sich. Aber ehe er den Versuch wirklich startete, brannte ich eine Kugel etwa einen Meter neben ihn in den Boden. Sie kratzte den Beton auf. Micky Maus schreckte zurück und hob die Hände. Die Beretta fiel zu Boden.
»Umdrehen, die Beine auseinander und an die Wand!«, sagte ich knapp.
»Das ist Polizeigewalt!«
»Erstmal Bonjour. Soviel Zeit muss sein. Und abgesehen davon, erklär ich Ihnen die vorläufige Festnahme!«
Er gehorchte und ließ sich durchsuchen.
Ich tastete ihn kurz ab und holte noch ein Springmesser, eine zweite Reizgasgranate und einen Kleinkaliber-Revolver aus seinen Sachen heraus. Ich griff hinten an meinen Gürtel und holte meine Handschellen hervor. Es machte klick, als ich den Kerl an einem offenen Wasserrohr festmachte.
François tastete sich bis zu Biegung vor und blickte den Gang entlang.
»Alles okay. Da ist niemand«, meinte er.
Wir sahen uns kurz an.
François nickte und stürmte los. Ich folgte ihm im Abstand von mehreren Metern, um ihn zu sichern.
Er rannte den Gang entlang. Zwei Türen waren vorhanden.
Eine war abgeschlossen. Es war eine feuersichere Stahltür, die offensichtlich zu den Heizungskesseln führte. Die zweite Tür ließ sich öffnen. François ließ sie mit einem Tritt zur Seite fliegen. Der Lichtschalter war außen, François drückte ihn.
Er blickte in meine Richtung und schüttelte den Kopf.
Dort schien niemand mehr zu sein.
Dann trat François ein. Ich folgte ihm. Wir durchquerten einen Raum, in dem sich einige Stapel mit Getränkekisten befanden. Eine Tür führte in einen weiteren Raum. Die Tür stand halb offen. Ein Luftzug wehte zu uns hinüber.
Augenblicke später sahen wir, was es damit auf sich hatte.
Ein Kellerfenster stand offen. Die beiden Flüchtigen waren vermutlich ins Freie entkommen.
Sirenen waren jetzt zu hören. Es schien, als würde unsere Verstärkung gerade ankommen.
Kurz entschlossen kletterte ich aus dem Fenster. Ich wollte mich noch nicht damit abfinden, dass die beiden einfach auf und davon waren.
Ich tauchte in einem etwas vernachlässigten Hinterhof auf. Ein Pkw waren hier abgestellt worden. Und überquellende Müllcontainer. Der Hof war ziemlich eng und die umgebenden Gebäude allesamt mehr als zehn Stockwerke hoch. Der Himmelsausschnitt, den man zu Gesicht bekam, war dementsprechend klein. Ich ließ den Blick schweifen.
Indessen hörte ich mit halbem Ohr, wie François über Handy unsere Verstärkung dirigierte, bevor auch er aus dem Kellerfenster herauskroch.
Aus dem Hinterhof heraus führte eine breite Einfahrt, aber die war mit einem mindestens zweieinhalb Meter hohen Gitter versperrt, das an der Oberseite außerdem noch mit scharfen Spitzen bewehrt war. Man musste schon Zirkusakrobat oder wahnsinnig sein, wenn man dort hinüberklettern wollte.
»Kann sein, dass die noch hier sind«, zischte ich François zu.
»Oder sie sind in eines der Häuser eingedrungen …«
»Das wäre die übelste Möglichkeit!«
Wir gingen hinter einem der Pkws in Deckung.
Der Innenbereich des Hofs glich durch die Müllcontainer und die parkenden Wagen einem Labyrinth. François und ich arbeiteten uns in verschiedenen Richtungen systematisch vor. Wir mussten auf der Hut sein. Wenn hinter einem der Müllcontainer noch jemand mit einer Beretta in der Hand lauerte, war das unter Umständen tödlich.
Den ersten Container hatte ich erreicht.
Mit der Pistole in beiden Händen umrundete ich ihn.
Dahinter war alles ruhig. Nirgends eine Spur von den Comic-Gestalten. Ganz in der Nähe befand sich eine Tür, die in eines der Gebäude führte. Ich bewegte mich vorsichtig darauf zu. Einige Augenblicke später erreichte ich sie.
Behutsam testete ich, ob die Tür verschlossen war. Sie war es. Und zwar mit einem dicken Sicherheitsschloss. Selbst Spezialisten brauchten etwas länger, um so etwas zu knacken. In den wenigen Augenblicken, die uns King Kong und Goofy voraushatten, war das nicht anzunehmen. Wenn die anderen Türen auch verschlossen waren, dann saßen die beiden buchstäblich in der Falle.
Die Fenster befanden sich erst in einer Höhe von ungefähr ein Meter achtzig, da die Gebäude auf Betonsockel aufgesetzt waren. Auch dort konnten die beiden nicht einfach so ohne weiteres eindringen.
Den nächsten Container brachte ich hinter mich.
Wieder nichts.
Ein schabendes Geräusch ließ mich zusammenzucken.
Dann ein Klirren.
Ich blickte nach links. Mit zwei, drei weiten Schritten war ich über einem Rost. Darunter befand sich ein Schacht zu einem Kellerfenster. Darin fand ich eine zusammengekauert dasitzende Gestalt. Es war der Goofy-Mann. Er war gerade damit beschäftigt, das Kellerfenster gewaltsam zu öffnen, ohne dabei allzu viel Krach zu machen.
Ich richtete die P226 auf ihn.
»Keinen Laut«, murmelte ich.
Goofy erstarrte mitten in der Bewegung.
Ich hob mit der Linken den Rost und legte es zur Seite.
Die ausdruckslose Goofy-Maske sah mich an.
Goofy ließ ich dabei keine Sekunde aus den Augen. Der Lauf meiner Pistole war die ganze Zeit auf ihn gerichtet. Ich streckte die Linke aus.
»Deine Pistole!«, forderte ich.
Goofy zögerte.
»Na, los!«
Er gab sie mir, mit dem Griff nach vorne. Ich steckte sie in die Jackentasche.
»Wo ist dein Komplize?«, fragte ich.
Goofy sagte keinen Ton.
Die Antwort auf meine Frage bekam ich früher als mir lieb war. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich eine Bewegung.
Blitzschnell tauchte ein Schatten hinter einem der Container auf. Ich wirbelte herum und ließ mich gleichzeitig seitwärts fallen. Das King Kong-Gesicht fletschte mich mit seinem Gummi-Gebiss an. Die Beretta blitzte auf. Der Knall hallte in dem Innenhof mehrfach wider. Es klang, als ob er mindestens dreimal abgedrückt hätte.
Der Schuss ging dicht an meiner Schulter vorbei. Ich kam hart auf dem Boden auf und feuerte zurück, noch ehe King Kong den zweiten Schuss abgeben konnte. King Kong schrie auf. Ich hatte ihn am Arm erwischt. Er taumelte zur Seite gegen den Container und fluchte dabei.
François stürmte indessen um die Ecke. Er riss die Pistole herum.
»Waffe weg!«, rief er. King Kong gehorchte. Die Pistole fiel auf den Boden. Der Ärmel seiner Jacke hatte sich bereits rot verfärbt.
9
Eine Viertelstunde später waren wir in Malverts Wohnung und konnten mit ihm reden. Er war ziemlich übel zugerichtet worden. Der Notarzt hatte sich um ihn gekümmert.
Malvert hatte Prellungen am ganzen Körper, außerdem eine gebrochene Rippe. Ein Krankenwagen, der ihn in die Klinik bringen würde, war schon unterwegs.
»Monsieur Malvert, was wollten diese drei Kerle von Ihnen?«, fragte ich.
»Welche drei Kerle?«, fragte er und sah mich mit seinen blauen Augen an. Er stöhnte.
»Sie wollen uns doch wohl nicht weismachen, dass Sie sich selbst das angetan haben«, meinte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fauchte er.
»Wir ermitteln im Mordfall Amato.«
»Und was hat der mit diesen Straßenräubern zu tun, die am helllichten Tag in ein Mietshaus eindringen?«
»Monsieur Malvert, ich glaube nicht an Zufälle«, sagte ich gelassen. »Hatten Sie auch Meinungsverschiedenheiten mit Louis Janton? Hat der Ihnen diese Kerle auf den Hals geschickt?«
»Ich sage nichts mehr«, meinte Malvert.
»Warum haben Amato und Janton sich entzweit?«
»Vergessen Sie es! Ich werde keinen Ton sagen!«
Wir wechselten einen Blick. Dieser Mann war ein wahrer Bär von einem Kerl – auch wenn er vielleicht nicht mehr so gut in Form war wie zu seinen besten Zeiten. Aber er hatte Angst, das war unverkennbar. So große Angst, dass er es nicht einmal jetzt wagte, seinen Mund aufzumachen.
»Lass ihn!«, raunte François mir zu. »Es hat keinen Sinn …«
Ich legte Malvert eine der Visitenkarten auf den Tisch, die die FoPoCri für seine Commissaire im Außendienst drucken lässt.
»Hier, falls Ihnen noch etwas einfällt …«
Er sah nicht hin. Die Karte schien ihn nicht zu interessieren.
Bevor wir hinausgingen, drehte ich mich noch einmal um.
»Ich hoffe, Sie überlegen sich das noch«, meinte ich. »Ich habe gehört, dass Sie und Amato sich ziemlich nahestanden.«
»Das stimmt«, erwiderte er düster. »Ich war schließlich sein Trainer.« Seine Hände ballten sich dabei zu Fäusten.
»Dann kann ich mir nicht vorstellen, dass es Ihnen gleichgültig ist, wer den ÈTALON auf dem Gewissen hat, Monsieur Malvert.«
10
Die drei Maskenträger waren längst von unseren Kollegen abgeführt worden. Ein Beamter der Polizei befragte gerade den Sécurité-Posten am Ausgang, der inzwischen wieder zu sich gekommen war.
»Malvert hat eine Riesenangst«, stellte ich fest, während wir zum Sportwagen gingen und einstiegen.
»Fragt sich nur, vor wem oder was?«, meinte François.
»Louis Janton ist für mich der erste Kandidat.«
»Und warum schweigt Malvert? Ich hatte gedacht, er war selbst ein Kämpfer!«
»Vermutlich will er nicht so enden wie Amato!«
»Das, was die drei Comic-Figuren ihm verpasst haben, war eine Warnung.«
»Und zwar eine ziemlich deutliche …«
Ich drehte den Zündschlüssel herum, startete den Motor des Sportwagen und fädelte mich in den Verkehr ein.
»Stell dir mal Folgendes vor, François …«
»Nur zu, ich höre!«
»Amato wurde von Malvert aufgebaut. In einer Wrestling-Schule, die sich im Wesentlichen wohl mit Louis Jantons Geld finanziert. Er wird sogar Champion in dieser Sportart – wenn man das Theater tatsächlich so bezeichnen will. Er hat die Rolle des Guten, er soll gewinnen.«
»Jedenfalls sehen das die Leute so, die schreiend im Le Dôme von ihren Sitzen aufspringen!«
»Was, wenn Louis Janton Amato die Order gab, in diesem Kampf zu verlieren? Aus welchen Gründen auch immer. Um sich mit einem Wettbetrug eine goldene Nase zu verdienen, oder weil er den Gegner auch unter Vertrag hatte und ihn durch einen Sieg über den Champion groß machen wollte.«
François nickte. »Und Amato hat sich geweigert …«
»Wäre das kein Mordmotiv?«
»An sich schon, Pierre. Aber dass Louis Janton so ein Spektakel organisiert, einen Schützen in Le Dôme bestellt und dort vor den Augen des Publikums seinen Star umbringen lässt …« François schüttelte den Kopf. »Das passt irgendwie nicht dazu. Warum hat er nicht einfach seine Knochenbrecher vorbeigeschickt, um Amato einzuheizen?«
11
Die drei Festgenommenen verweigerten die Aussage. Der Anwalt, den sie anriefen, war in anderen Verfahren auch schon für Louis Janton tätig gewesen. Ein Umstand, der niemanden von uns verwundern konnte.
Für den Abend verabredeten wir uns mit Dereque Lysson in Lords Bar auf Pointe-Rouge. Lysson kam mit der Maschine aus Paris, wo er seine begehrte Unterschrift unter einen Fernsehvertrag gesetzt hatte.
»Das Leben geht weiter«, meinte er, während er seinen Whisky on the Rocks zum Mund führte. Er grinste dabei. »Das mit dem ÈTALON ist natürlich tragisch, aber wir Lebenden müssen sehen, dass wir auch weiterhin unsere Brötchen verdienen.«
Er trank das Glas in einem Zug leer.
»Mario Amato soll sich kurz vor seinem Tod mit Louis Janton überworfen haben.«
»Wer sagt das?«
»Es hat so die Runde gemacht, Monsieur Lysson.«
»Ich dachte, Sie sind von der FoPoCri – und nicht von irgendeinem Klatschblatt, das alles druckt, was interessant klingt. Aber ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt.«
Jetzt mischte sich François ein.
»Und wir dachten, Sie wären jemand, dem auch daran liegt, dass der Mord an Amato aufgeklärt wird.«
»Und Sie denken, dass Louis Janton etwas damit zu tun hat?«
»Wir stellen einfach nur klare Fragen«, sagte ich. »Und wir erwarten Antworten. Die Schlüsse daraus ziehen wir schon selbst, Monsieur Lysson.«
»Wissen Sie eigentlich, was Monsieur Janton alles für den Wrestling-Sport getan hat? Er spendet jährlich einige hunderttausend Euro an den Verband, er tritt als Sponsor von Wrestling-Veranstaltungen auf, und er hat schon einige ganz groß herausgebracht.«
»Sie wollen ihn nicht belasten«, stellte ich fest.
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich muss weiter mit ihm auskommen.«
»Wir können Sie auch offiziell vorladen, Monsieur Lysson«, kündigte ich an. »Und es könnte doch sein, dass Monsieur Janton davon erfährt …«
»So etwas würden Sie tun?«
»Und Sie würden Amatos Mörder decken. Vor Gericht könnte Ihnen das sehr übel ausgelegt werden.«
»Das ist Erpressung!«
Unsere Blicke begegneten sich. Seine Augen wurden sehr schmal. Auf seiner linken Wange zuckte ein Muskel.
»Jetzt hören Sie mir gut zu, Monsieur Lysson«, sagte ich dann. »Wir sind ausschließlich an Amatos Mörder und seinem Auftraggeber interessiert. Es geht uns nicht um irgendwelche kleinen Betrügereien, um abgesprochene Kämpfe und so etwas. Und wir kommen auch nicht vom Finanzamt. Sie wissen, warum Amato sich mit Louis Janton überworfen hat. Also packen Sie aus!«
»Louis wird es nicht erfahren?«
»Nein. Jedenfalls nicht, wenn wir es vermeiden können.«
»Vor Gericht werde ich abstreiten, je mit Ihnen gesprochen zu haben!«
»Tun Sie das! Aber falls es soweit kommt, sprechen Sie besser erst mit Ihrem Anwalt darüber!«
Er atmete tief durch, ließ sich vom Barkeeper noch einen Drink geben und sagte dann: »Es gab einen Vertrag zwischen Louis Janton und Amato. Keinen seriösen Vertrag. Amato hatte ihn abgeschlossen, bevor er sich unter meine Fittiche begab und sich endlich professionellen Rat holte.«
»Wie sah der Vertrag aus?«
»Vierzig Prozent von Amatos Einnahmen für Louis Janton. Na ja, Janton hatte natürlich auch erhebliche Investitionen getätigt, um Amato groß rauszubringen. Es ist nicht so einfach, einen Wrestler in einem großen Kampf unterzubringen. In dem Punkt stimmt der schlechte Ruf dieser Branche. Sie müssen schon ein gut gefülltes Portemonnaie mit Bestechungsgeldern haben, sonst kommt nichts dabei heraus. Außerdem hatte Janton natürlich die ganze Ausbildung von Amato bezahlt, ihn jahrelang quasi ausgehalten, bis er soweit war. Jetzt begann sich alles auszuzahlen. L'ÈTALON lächelt einen aus Illustrierten an und hält ein Glas Milch in die Kamera oder testet in einem Fernsehspot, wie große Blasen man mit einem bestimmten Kaugummi machen kann. Amato hatte es geschafft – und Louis Janton dachte, dass er jetzt absahnen könnte.«
»Wo war der Haken?«, fragte ich.
»Amato wollte aussteigen.«
»Ich bin kein Jurist«, sagte ich. »Aber ist Vertrag nicht Vertrag?«
»Genau das hat Louis Janton auch gesagt. Wenn einer wie der nämlich einem einzigen seiner Schützlinge erlaubt, aus der Reihe zu tanzen, kann er morgen sein kleines Schmuddel-Imperium dichtmachen. Louis ist bekannt dafür, sehr auf Disziplin zu achten.«
Das hatten wir an Malvert gesehen.
Lysson drehte sich zweimal um, trank sich dann noch einmal kräftig Mut an und rutschte etwas näher zu mir. Es sollte wirklich keiner mithören. »Amato hat Louis Janton mit irgendetwas in der Hand gehabt.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Weil Louis schließlich bereit war, Amato aus dem Vertrag herauszulassen. Nur den Zeitpunkt, den hat er immer wieder hinausgezögert, und deswegen war Amato schließlich auch sehr ungehalten. Kurz vor dem Kampf – an dem Tag, als er ermordet wurde – war Louis bei ihm in der Umkleide. Die beiden haben sich furchtbar angeschrien. Ich lass dich hochgehen, du verdammter Blutsauger!, habe ich Amato immer noch im Ohr. Wir hatten schon Angst, dass L'ÈTALON Janton an den Kragen geht und ihn zu Mus haut – so, wie er es mit seinen Gegnern macht. Malvert und ich sind dann reingegangen, um das Schlimmste zu verhindern. Louis war völlig außer sich.«
»Malvert ist heute von Unbekannten krankenhausreif geschlagen worden«, berichtete ich. »Haben Sie keine Angst, dass Ihnen dasselbe passiert?«
»Natürlich. Was glauben Sie, warum ich mich hier mit Ihnen treffe und nicht in meinem Büro?«
»Sie haben früher für Janton gearbeitet …«
»Ja, und manchmal denkt er immer noch, dass er mich am Gängelband führen kann. Wir haben eine Menge an gemeinsamen Interessen, aber ab und zu gehen sie auch auseinander.«
»Zum Beispiel, was Amato betraf.«
»So ist es. Janton meinte immer, dass ich Amato gegen ihn aufhetzen würde.«
»Und haben Sie das?«
»Ich habe ihn auf seine Rechte aufmerksam gemacht und dafür gutes Geld kassiert. Natürlich hat Janton das nicht gerne gesehen. Allerdings wird er sich zweimal überlegen, ob er etwas gegen mich unternimmt.«
»Wieso?«, fragte François.
»Ich habe einflussreiche Kontakte im Wrestling-Verband. Wenn ich wollte, könnte ich dafür sorgen, dass nie wieder einer seiner Leute bei irgendeinem dieser Spektakel seinen Auftritt bekommt.«
»Malvert scheint weniger wichtig gewesen zu sein«, stellte ich fest.
Er hob die Augenbrauen.
»Sind Sie denn sicher, dass es Louis Jantons Leute waren, die ihn vermöbelten?«
»Wäre der Gedanke denn so abwegig?«
Lysson schüttelte den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht.«
Ich hob die Augenbrauen. »Das müssen Sie uns erklären!«
»Malvert hat die Wrestling-Schule gegründet. Eines Tages tauchte dann Louis Janton auf und hat ihm eine Beteiligung aufgezwungen. Jantons Angebote können manchmal recht handfest sein …«
»Ich verstehe.«
»Der Laden expandierte natürlich, nachdem Janton sein Geld hineinpumpte. Aber Malvert wäre den guten Louis lieber früher als später wieder losgeworden. Ich bin mir sicher, dass er wusste, was Amato gegen Louis in der Hand hatte.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Die beiden waren sehr vertraut miteinander. Malvert war wie ein Vater zu Amato.« Er zuckte die Achseln. »Na ja, nur ‘ne Vermutung von mir. Ich muss mir keine grauen Haare wachsen lassen wegen der Sache …« Er grinste schief. »Das ist Ihr Job!«
»Noch eins: Besitzen Sie Kopien des Vertrags zwischen Amato und Janton?«
»Nein, tut mir leid. Suchen Sie in Amatos Sachen nach.«
»Das haben wir.«
»Meines Wissens hatte er ein Schließfach für solche Sachen.«
»Sie wissen nicht zufällig, wo.«
»Nein.«
12
Nach diesem Gespräch hätten wir liebend gern noch einmal mit Malvert geredet. Aber als wir in der Klinik anriefen, in die man ihn eingeliefert hatte, bekamen wir den Bescheid, dass er nicht vernehmungsfähig sei. Vermutlich auch nicht vernehmungswillig. Wenn sich an seiner Haltung nichts änderte, saßen wir ziemlich auf dem Trockenen.
Am nächsten Morgen saßen wir in Monsieur Marteaus Büro, um mit unserem Vorgesetzten das weitere Vorgehen abzusprechen.
Die Kollegen Boubou Ndonga und Stéphane Caron waren ebenso anwesend wie unser Ballistik-Experte Davide Cherdin.
»Es steht nunmehr zweifelsfrei fest, dass die Waffe, die bei dem Attentat verwendet wurde, zuvor noch nie bei einem Verbrechen innerhalb von Deutschland benutzt wurde«, erklärte Cherdin. »Zumindest nicht bei einem, das aktenkundig geworden ist.«
»Profis wechseln des Öfteren mal die Waffe, wenn sie nicht gerade das Spiel mit dem Risiko lieben«, war Stéphane Carons Kommentar dazu.
»Jedenfalls hat der Schütze sehr präzise getroffen. Von dem Standpunkt aus, an dem er sich beim Abgeben der tödlichen Schüsse laut den vorliegenden Berichten befunden haben muss, war das eine Leistung. Der Winkel war sehr schräg.«
»Ihre Schlussfolgerung?«, fragte Monsieur Marteau.
»Ein Schütze, der regelmäßig im Training ist, das steht fest. Zumal wenn man bedenkt, dass er kaum Zeit gehabt haben dürfte, um anzulegen und zu zielen, weil das mit Sicherheit den Leuten in der Umgebung aufgefallen wäre.«
Dann berichteten Stéphane Caron und Ndonga von ihren Ermittlungen im Le Dôme.
Stéphane legte etwas auf den Tisch. Es war ein Umschlag.
»Dies bekam der Veranstalter gestern mit der Post«, erläuterte er. »Der Erkennungsdienst hat sich bereits damit beschäftigt. Ich kann also nichts verderben.« Stéphane öffnete das Kuvert. Innen befand sich eine Karte aus weißem Karton, der in der Mitte gefaltet war. Auf der rechten Seite befand sich eine Fliege – vermutlich eine echte! – die der Täter dort aufgeklebt hatte. Auf der anderen Seite war mit einem Klebestreifen etwas Metallisches festgemacht worden.
Eine Patrone!
Stéphane fuhr fort: »Diese Patrone ist vom selben Typ wie die, mit denen Amato umgebracht wurde. Das ist überprüft worden. Was dieser Scherz mit der Fliege soll, weiß kein Mensch.«
»Ich habe so etwas noch nie gesehen«, meinte Davide Cherdin.
»Ich schon«, sagte ich. Im nächsten Moment fühlte ich sämtliche Blicke auf mir ruhen. »Bei Amato. Er hatte so eine Karte in einem seiner Jacketts stecken. Allerdings ohne Patrone.«
Boubou sagte: »Wie auch immer. Monsieur Steinert von der Veranstaltungsagentur, die diesen Wrestling-Wettbewerb organisiert hat, kam es jedenfalls merkwürdig vor, dass einen Tag nach Amatos Tod eine Patrone mit demselben Kaliber verschickt wurde.«
»Wirkt fast wie eine Art Bekenntnis zur Tat«, meinte Monsieur Marteau kopfschüttelnd.
»Oder es will uns jemand an der Nase herumführen«, sagte François.
Ich fragte: »War das Kaliber der Waffe denn allgemein bekannt?«
»Leider ja«, antwortete Boubou. »Die Kollegen der Polizei, die die ersten Ermittlungen durchgeführt haben, gaben diese Information an die Presse. Andernfalls wüssten wir jetzt, ob wir es mit jemandem zu tun haben, der etwas mit der Tat zu tun haben muss.«
Wichtigtuer und Psychopathen, die sich zu jedem Verbrechen bekannten, das in den Medien erwähnt wurde, gab es leider allzu zahlreich.
Monsieur Marteau wandte sich mit ernstem Gesichtsausdruck an Boubou und Stéphane.
»Versuchen Sie etwas darüber herauszufinden!«, meinte er. »Vielleicht gab es ja irgendwelche Fälle mit Parallelen.« Dann drehte er den Kopf in meine Richtung.
»Was gibt es in Amatos Umfeld für Spuren?«
»Ein paar Indizien«, sagte ich. »Und die deuten alle in Richtung von Louis Janton.«
»Dann fühlen Sie ihm auf den Zahn, Pierre!«
»Er steht heute auf unserer Besuchsliste«, meinte François.
Und ich erklärte: »Amato wollte sich geschäftlich von Louis Janton trennen. Amatos Manager meint, dass der Catcher seinen Gönner mit irgendetwas erpresst hat. Leider haben wir noch nicht die leiseste Ahnung, worum es sich dabei handeln könnte.«
13
Louis Janton residierte auf dem Dach eines mehrstöckigen Wohn-Towers. Ein Penthouse mit hervorragender Aussicht bis hinüber zum Meer. Am Eingang begrüßte uns ein Mann mit schwarzer Lederweste über einem roten Hemd. Ein Schrank von einem Kerl. Die Waffe trug er offen am Gürtel. Es war ein riesiger 45er Magnum-Revolver. In keinem Fall die Waffe, mit der Amato umgebracht worden war, ging es mir durch den Kopf.
Der Mann in der schwarzen Weste knurrte uns etwas Unverständliches entgegen, als wir ihm die Ausweise entgegenhielten. Als er den Kopf etwas drehte, sah ich den Totenkopf, den er sich auf das linke Ohrläppchen hatte tätowieren lassen.
»Wir sind Beamte der FoPoCri und möchten mit Monsieur Janton sprechen«, sagte ich.
Der Tätowierte, der hier wohl die Rolle eines Bodyguards spielte, entblößte seine Zähne zu einem Raubtiergrinsen.
»Einen Moment«, sagte er und schlug uns die Tür wieder vor der Nase zu.