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ALLES FÜR DIE TIERE, IMMER: Grenzenloser Tierschutz für die vergessenen Seelen dieser Welt Malte Zierdens Reise für die verlassenen und hilfsbedürftigen Tiere beginnt mit Stadttaube Oßkar, die sich in sein Badezimmerfenster verirrt und ihn dazu bewegt, sein Leben zu verändern: Schon bald baut Malte nicht nur Miniatur-Taubenwohnzimmer auf der Fensterbank, sondern auch Tierheime im Ausland mit auf. Seinen unermüdlichen Einsatz für Tiere zeigt er ungeschönt und ehrlich in den sozialen Netzwerken. Um Tiere zu retten, reist Malte als Mitglied der Notpfote auch dorthin, wo sich kaum jemand hintraut: in Kriegs- und Krisengebiete. Er hat das Gefühl, im Tierschutz endlich seine Aufgabe gefunden zu haben. Doch zu welchem Preis? Was passiert, wenn man merkt, dass die tiefste Erfüllung einen gleichzeitig an den Rand der eigenen Belastbarkeit bringt? - Ehrliche Einblicke in Malte Zierdens Gedanken, Gefühle, Zweifel, Hoffnungen und seine ganz persönliche Geschichte, wie er mit seinem sozialen Engagement zum Tierschützer wurde - Aufklärung: Das Buch schärft das Bewusstsein für Missstände im Bereich des Tierschutzes und sensibilisiert für die Bedürfnisse und Rechte der Tiere - Animal Rescue hautnah: Inspirierend für Tierliebhaber*innen und alle, die selbst Tierschützer*innen werden wollenEinfühlsam und ehrlich nimmt uns Malte in seinem Buch mit auf seine Einsätze und zu den vielen Tierseelen, die ihm dabei begegnen. Als Tierschutzaktivist widmet er sich den hilflosen und vergessenen Tieren dieser Welt, um denen eine Stimme zu geben, die keine haben. Seine Geschichte zeigt: Tierschutz fängt vor der eigenen Haustür an. Und Maltes Engagement geht weiter, getreu seinem Motto: Alles für die Tiere, immer.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Malte Zierden
Der traurigste Himmel auf Erden
Mein Name ist Malte Zierden und dies ist die Geschichte, wie ich mein Herz an den Tierschutz verloren habe. So eigenartig es auch klingen mag, es begann alles mit einer Stadttaube, die sich in mein Badezimmerfenster verirrte. Ich hätte ja nicht ahnen können, dass sie mein Leben verändern wird. Sie hat mich dazu bewegt, mein Leben zu überdenken. Seither reise ich mit den tollsten Menschen der Welt dorthin, wo sich kaum jemand hintraut: in Kriegs- und Krisengebiete, um Tiere zu retten. Ich möchte mein Leben den hilflosen Seelen da draußen widmen, um denen eine Stimme zu geben, die keine haben.
Malte Zierden mit Lisa Bitzer
Alles für die Tiere, immer!
Triggerwarnung:
Dieses Buch enthält explizite Darstellungen von Tierleid. Da solche Inhalte potenziell belastend sein oder triggernd wirken können, achte bitte beim Lesen auf dich.
1. Auflage 2024
© 2024 WeCreate Books – Ein Verlag der WeCreate Germany GmbH
Sternstraße 117
20357 Hamburg
ISBN: 978-3-911034-07-4
eISBN: 978-3-911034-08-1
Texte: Malte Zierden und Lisa Bitzer
Lektorat: Alexandra Eckl
Umschlaggestaltung: Sandra Lehmann
Coverabbildung: Falk Lehmann
Satz, Korrektorat und Bildbearbeitung: Eberl & Koesel Studio, Kempten
Fotos: Finn Waldherr, Broder Böll und Malte Zierden
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
WeCreate Books – Ein Verlag der WeCreate Germany GmbH
www.wecreate-books.com
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Der Inhalt dieses Buches wurde mit größter Sorgfalt von dem Autor und dem Verlag erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann jedoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
Vorwort
Teßßi
Oßkar
Babette
Snow
Lotti
Amor
Phoenix
Schattenhund
Alles für die Tiere, immer.
Matilda
Ma
Nachwort
Danke.
Aus der Ferne betrachtet könnte mein Leben leicht mit einem viel zu hektischen Videospiel verwechselt werden, bei dem der Spieler von einem gefährlichen Moment in den nächsten geworfen wird. Es wirkt wie eines dieser gnadenlos schweren Spiele, die dir keine Fehler verzeihen. Doch wenn man etwas genauer hinschaut, dann sieht man einen jungen, leicht zotteligen Kerl, der einzig und allein mit seiner Naivität bewaffnet in der realen Welt seine Konflikte ausfechtet. Eine Welt, in der man keine Pause-Taste drücken kann, um für einen kurzen Augenblick innezuhalten.
Ich stehe am Fuße eines brennenden Berges. Wie in einem Film oder genau wie in einem dieser Videospiele. Die Luft ist erfüllt vom Knistern und Knacken des Holzes, durch das sich riesige Flammen fressen. Der Himmel über meinem Kopf ist schwarz vor Rauch. Die Atmosphäre flackert. Jeder Atemzug schmeckt verkohlt, ich fühle mich wie früher, wenn ich als Kind einen Schritt zu nah ans Osterfeuer machte. Den kühlenden Wind würde ich bei dieser Hitze eigentlich begrüßen, wenn er die lodernden Stämme vor mir nicht zusätzlich anfachen würde. Mein Gesicht brennt. Ich hätte niemals gedacht, dass Luft so verdammt heiß werden kann.
Amir kommt auf mich zu. »Wir müssen da jetzt rauf! Es wird Zeit.«
Ich mustere diesen wahnsinnigen Mann, hinter ihm der brennende Berg. Ihm zu folgen ist eine ausgesprochen dumme Idee.
Bevor ich antworten kann, dreht Amir sich um und läuft los. Storno! Ich will da nicht hoch. Das ist doch völlig wahnsinnig. Aber ich bin nicht nach Hatay gekommen, um jetzt aufzugeben. Ich will Tiere retten, und dafür muss ich meine Angst überwinden. Oder? Ich weiß ja nicht. Jedenfalls habe ich eine scheiß Angst. Angst, etwas falsch zu machen – Angst, dabei draufzugehen.
Amir marschiert wie ein verdammter Superheld auf den Wald zu, verschwindet langsam im Rauchnebel, und ich bin verrückt genug, ihm hinterherzulaufen, hinein in den Wald, der weit am Horizont bereits zu großen Teilen in Flammen steht. Auf einem schmalen, kurvenreichen Pfad geht Amir vor mir her und ignoriert die Bäume um uns herum, die bereits Feuer gefangen haben. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie einige Meter von uns entfernt ein Stamm umkippt. Die Funken sprühen und es kracht, als das schwarze Holz in der Mitte durchbricht, als wäre es ein Zahnstocher.
Das ist nicht nur eine dumme Idee, das ist lebensmüde.
Babette sagt immer, dass wir uns bei unseren Einsätzen niemals trennen sollen. Hervorragende Leistung – ich habe mich gerade von der Gruppe getrennt und latsche allein mit einem Typen, den ich seit zweieinhalb Tagen kenne, einen brennenden Berg hinauf. Wenn mich die Flammen nicht töten, tut es Phia, sobald sie von meiner geistreichen Aktion erfährt.
Bergauflaufen ist anstrengend, auch ohne glühendes Inferno herum. Das Atmen fällt mir schwer. Jeder Schritt fühlt sich an, als würde ich durch tiefen Sand laufen. Ich schwitze so sehr. Mein Shirt ist komplett nass, und spätestens jetzt sollte ich mir eingestehen, dass die Baumwoll-Jogginghose nicht die beste Wahl für einen Waldbrand war. Genau wie meine Chucks. Die Sohle wirkt schlabbrig, als ob das Gummi geschmolzen wäre. Kann man einem Mensch noch mehr ansehen, dass er hier nichts zu suchen hat?
Egal, sage ich mir und treibe mich an. Alles für die Tiere, immer! Ich habe diesen Satz selten mit so wenig Überzeugung gedacht. Trotzdem laufe ich weiter, Schritt für Schritt, mit meiner Angst im Gepäck, dem lodernden Untergang entgegen.
Der Rauch wird dichter, die Luft dünner und die Chucks weicher. Ich bekomme kaum noch Luft. Ich könnte die FFP2-Maske aufziehen, die mir vorhin jemand in die Hand gedrückt hat. Aber was soll die bitte bringen?
Der Weg verläuft schlangenförmig immer weiter nach oben. Die Flammen greifen nach uns. »Achtung!«, ruft Amir, als fünf Meter vor uns plötzlich ein Ast vom Himmel fällt und ein Stück auf uns zurollt. Wir weichen aus, rennen weiter.
Dann lichtet sich endlich der Rauch, ich stolpere auf eine Lichtung. Was ist das? Dort, im leichten Nebel, steht eine Gestalt. Eine alte Frau, mitten auf dem Weg in diesem brennenden Wald, dessen angesengte Baumstämme wie gigantische Grillspieße in den dunklen Himmel ragen. Es ist unglaublich heiß hier, die Erde glüht.
Wir bleiben vor der Frau stehen, und mein Blick fällt auf den Korb neben ihr. Amir und sie sprechen auf Türkisch miteinander. Ich verstehe zwar kein Wort, aber die Frau strahlt eine besondere Ruhe aus. Irgendwie vertraue ich ihr. Zumindest mehr als Amir.
Plötzlich drückt sie mir einen Becher in die Hand. »Içmek!«
Ich habe keine Ahnung, was sie mir sagen will. Meine Augen wandern von ihrem auffordernden Blick zu dem weißen Becher in meiner Hand. Dann lese ich laut, was in roter Schrift auf ihm geschrieben steht. »Ayran?«
Die alte Frau nickt und blickt mir tief in die Augen.
Hilfesuchend schaue ich Amir an.
»Trink!«, ermahnt er mich ebenfalls.
Eine Erinnerung ploppt in meinem Gedächtnis auf. Unnützes Wissen, das ich mir besser merke als wichtige Termine beim Finanzamt oder Geburtstage von mir lieben Menschen: Das Trinken von Milchprodukten soll Giftstoffe aus dem Körper transportieren. Der Ayran ist angeblich so was wie ein Schutzschild gegen die Kohlendioxide in der Luft. Aber hatte ich nicht auch gelesen, dass das ein Irrglaube sei? Dass es zwar viele Menschen gibt, die an die heilende Macht von Milchprodukten wie Ayran glauben, die Wissenschaft das jedoch längst widerlegt hat?
Was soll ich tun? Ich bin umringt von brennenden Bäumen und starrenden Menschen, die an die wundersame Kraft von Ayran glauben und von mir wollen, dass ich ihn trinke – und ich bin verunsichert, ob es überhaupt wirkt.
Das andere, für mich viel größere Problem: Ich lebe verdammt noch mal vegan.
»Trink!«, wiederholt Amir laut. Seine Stimme bekommt einen wütenden Unterton. Er greift sich einen der Becher und leert ihn auf ex. »Jetzt, Malte!«
Amir und die Frau starren mich erwartungsvoll an. Ich bin maßlos überfordert. Soll ich diesen Ayran wirklich trinken, obwohl ich keine tierischen Produkte zu mir nehmen möchte, einfach um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen? Ich bin ein People Pleaser wie er im Buche steht, ich würde so was tun, keine Frage. Das Feuer breitet sich immer weiter aus. Der Blick der alten Frau durchbohrt mich, Amir wirkt ungehalten. Sie halten mir einen Zaubertrank hin, der mich vor den Gefahren beschützen soll, und ich zögere.
Verdammt. Ich trink das jetzt. Runter mit dem Ayran, er kann mein schlechtes Gewissen gleich mit nach unten spülen. Ich hebe den Becher an die Lippen, lasse meinen Kopf nach hinten fallen, öffne den Mund und fange an zu trinken …
Spieler: Malte
Klasse: Abenteurer/Tierschützer
Level: 7
Inventarliste: Hundeschlinge, FFP2-Maske,
Tim&Struppi-Glücksbringer, Tiertransportbox
Drücke die Leertaste, um den Trank zu aktivieren.
Kaum dass ich den Becher leer getrunken habe, schnellt der Energiebalken oben rechts in meinem Sichtfeld hoch auf 90 Prozent. Mein Körper scheint zu leuchten, als ob er von einer fluoreszierenden Aura umgeben wäre. Der Rauch lichtet sich, der Weg wirkt mit einem Mal breiter.
»Let’s go!«, ruft Amir.
Wir rennen den Berg weiter hinauf. Es geht seit dem Trank besser als vorher, meine Energie hält, und die Flammenarme zu unseren Seiten weichen vor uns zurück. Wir überqueren einen ausgetrockneten Bach, der von steilen, qualmenden Felswänden eingerahmt wird, und landen schließlich auf einer breiten Straße. Ein Militärfahrzeug biegt mit lautem Motorgeräusch um die Ecke und bremst so hart vor uns, dass die Kiesel in alle Richtungen fliegen.
Option 1: Steig auf die Ladefläche.
Option 2: Kämpfe dich zu Fuß nach oben.
Option 3: Kehre ins Dorf zurück.
Spieler wählt Option 1
Der Wagen gibt Gas, gerade als wir auf die Ladefläche geklettert sind, und rast über die Straße den Berg nach oben. Wir kommen an Einsatzfahrzeugen vorbei, die riesige Brände löschen, und gelangen in einen Bereich, in dem das Feuer noch nicht wie verrückt wütet. Der Wagen hält auf dem Bergplateau vor einer kleinen hügeligen Siedlung. In der Ferne kann ich die Flammen sehen, sie drohen die Häuser langsam einzukreisen. Am Horizont erscheint ein riesiger Schriftzug: LEVEL 2 - GROUND ZERO, der gleich wieder im Rauch verschwindet. Wir befinden uns an dem Ort, an dem sich die Einsatzkräfte sammeln, um die letzten Lebewesen zu retten und das Meer der Flammen zu bekämpfen. Niemand hier weiß, ob das Feuer uns einkesseln und nicht mehr gehen lassen wird, oder ob wir es rechtzeitig rausschaffen.
Amir und ich springen von der Ladefläche, ich renne auf eines der Gebäude zu und stoße die Tür auf, genau in dem Moment, als sich meine Aura langsam auflöst. Der Schutztrank scheint schon aufgebraucht zu sein. Ich stolpere durch den Flur des Hauses, biege in das erste Zimmer links ab. Es sieht chaotisch aus. Ich hebe Sofakissen an und öffne Schubladen, kann jedoch nichts finden.
Weiter hinten an der Wand entdecke ich eine Tür. Ich öffne sie – und weiche zurück. Das Zimmer ist vernebelt vom Rauch, ich kann kaum etwas erkennen, nur dass rechts oben in meinem Sichtfeld ein Alarmsignal blinkt: WARNING! OXYGEN LOW!
Es wird Zeit für die FFP2-Maske. Ich checke mein Inventar, aktiviere die Maske und ziehe sie auf. Das WARNING-Symbol verschwindet wieder. Yes! Dann betrete ich den Raum. Die Sicht bleibt schlecht, ich kann höchstens zwei Meter weit sehen. Hätte ich nur so etwas wie einen Miniventilator im Inventar, um mir den Blick freizupusten. Egal.
Ich befinde mich in einem Schlafzimmer, taste mich langsam voran. Am Kleiderschrank angekommen, öffne ich die Tür. Etwas springt mir entgegen, ich schlage um mich, werde getroffen. Kritischer Treffer, meine Energieleiste sinkt auf 40 Prozent. Zu viel, um aufzugeben, zu wenig, um mich sicher zu fühlen. Wieder fällt mich etwas von der Seite an, ich mache einen gewaltigen Sprung, strecke die Arme aus und – ERWISCHT! Ich halte eine Katze in den Händen und verfrachte sie in die Transportbox. Unten links in meinem Sichtfeld erscheint das Symbol einer Katze, daneben steht: 1/8. Ich soll also acht Katzen einsammeln, um die Mission zu erfüllen.
Während ich unter der Bettdecke eine weitere Katze finde, die mit ihren scharfen Krallen nach mir schlägt, rauscht mein Energie-Level weiter in den Keller. Das muss schneller gehen!
Dann fällt es mir ein. Ich reiße eine Gardine von der Wand und nutze sie als Schutz vor den Katzenkrallen. Durch das Fenster nehme ich einen orangeroten Schein wahr. Ich darf das Feuer nicht vergessen. Ich muss mich beeilen.
Eine weitere Katze sitzt vor mir und starrt mich an, unternimmt aber keinen Versuch, mich anzugreifen. Sie scheint wohl für Anfänger zu sein. Ich pflücke die Katze vom Boden und schiebe sie in die Transportbox. 2/8. Dann fasse ich das Bett am Fußteil, hebe es an und stelle es hochkant gegen die Wand. Darunter kauern zwei weitere Tiere, vor Angst gelähmt. Ich greife zu, stopfe sie in die Box. 4/8. Danach 5/8, 6/8, 7/8. Mir fehlt nur noch eine Katze! Wo ist sie?
Ich blicke zum Fenster. Die Flammen sind jetzt ganz nah, und meine Energie liegt bei 17 Prozent. Mein Sichtfeld fängt an zu blinken.
Etwas zischt an mir vorbei. Die letzte Katze. Sie sitzt auf dem Kleiderschrank und faucht mich an. Ich antworte mit einem Schrei: »Ich will dich doch retten, Mann!«
Ich springe nach vorn, versuche, sie zu fassen, greife nach ihrem Schwanz, aber sie schlägt mit ihren Krallen nach mir.
»Aua!«
11 Prozent. Es wird immer stickiger hier drin.
Ein letzter Versuch. Ich baue eine Falle. Dränge die Katze in die Ecke, sodass sie nur noch in meine Richtung fliehen kann. Fest entschlossen, mit der geöffneten Katzenbox in der Hand, gehe ich auf sie zu. Sie faucht und macht einen Buckel, ich kann ihre Krallen funkeln sehen. Wir starren uns an. Eines ihrer Augen ist strahlend blau, das andere knallgrün. Eine ganz besondere Zucht. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass Amir den Raum betreten hat. Hoffentlich kapiert er, was ich vorhabe.
Ich hole tief Luft und rufe: »Jetzt!«
Amir wirft eine Decke über den Kopf der Katze. Sie springt nach vorn, verhüllt vom Stoff, direkt in meine Box. 8/8!
Dann läuft plötzlich alles in Slow Motion ab. Der Rauch ist verflogen, die Welt wird wieder klar, ich bekomme einen Energieschub, und über meiner Figur erscheint: LEVELUP. Ich habe es geschafft!
Du hast die Mission erfüllt. Drücke die Enter-Taste für das nächste Level.
Eine halbe Stunde später sitze ich erneut auf der Transportfläche des Militärfahrzeugs, umgeben von mehreren Tierboxen, in denen die Katzen maunzen. Wir verlassen den Ground Zero und fahren nach unten, zu unserem Treffpunkt. Der Einsatz fühlte sich zwar an wie eines dieser Videospiele, die ich in meiner Kindheit und Jugend ohne Ende gesuchtet habe, aber der brennende Berg war echt. Ich war wirklich dort oben. Als ich das begreife, nimmt mich meine Angst wieder ein, wie die Flammen den Berg in der südtürkischen Erdbebenprovinz von Hatay an diesem 16. Juli 2023. Ich schnappe nach Luft, kralle mich an der Karosserie des Wagens fest, spüre, wie sich mein Magen umdreht.
Atmen, Malte. Locker bleiben, rede ich mir gut zu, wohlwissend, dass ich mir gerade selbst etwas vormache. Ich schließe die Augen, während das Militärfahrzeug den kurvenreichen Weg nach unten brettert.
Nach einer Viertelstunde sind wir endlich bei den anderen angekommen, die am Fuße des Berges ein kleines Notfalllager für die gefundenen Tiere aufgeschlagen haben. Mit weichen Knien und zitternden Fingern reiche ich Babette die Boxen von der Ladefläche, dann klettere ich selbst vom Wagen.
»Alles gut?«, will sie wissen, während sie in der Hosentasche nach einem Feuerzeug kramt, um sich eine Kippe anzuzünden.
»Alles super«, lüge ich und versuche mich an einem gequälten Lächeln.
Es gibt zwar Leute, die mir vorwerfen, dass ich den Tieren helfe, nicht den Menschen. Andere meinen, ich sei ein Held. Gerade fühle ich mich aber überhaupt nicht heldenhaft. Im Gegenteil. Was bitte mache ich hier? Bin ich völlig wahnsinnig geworden? Meine Gedanken rotieren, mir wird schwindelig. Dann fange ich heftig zu husten an.
Babette hat das, was ich hier tue, das härteste Praktikum der Welt genannt. Langsam glaube ich, sie könnte recht haben.
Wenn mir jemand vor etwas mehr als vier Jahren erzählt hätte, dass mich meine Zahnlücke zu einer Person des öffentlichen Lebens machen würde – ich hätte laut gelacht. Es ist Teil meiner Persönlichkeit, dass ich das Maul immer wieder weit aufreiße, doch zu dieser Zeit tat ich es besonders häufig in zahnmedizinischen Einrichtungen.
Tatsächlich hat sich das Universum bei meinem Kiefer nämlich einen kleinen Spaß erlaubt und so ziemlich alle unnötigen Extras eingebaut, die es im Angebot hat. Es scheint, als hätte die Schöpfung einen Kater gehabt, als sie mich stümperhaft zusammensetzte, weshalb ich auch überproportional oft Krankenhäusern und Notaufnahmen einen Besuch abstatte und bei meiner Krankenkasse bestimmt schon auf der Schwarzen Liste stehe. Fakt ist: Ich bin der feuchte Traum eines jeden Kieferchirurgen. Mein Oberkiefer ist seit der Geburt zu schmal, ich habe einen Kreuz- und Überbiss, weshalb mir die Backenzähne zerbröseln und ich bis heute nicht weiß, wie es sich anfühlt, vernünftig abzubeißen. Ich habe in meinem Leben noch nie etwas so gebissen wie andere Menschen. Vielmehr muss ich jede halbfeste Mahlzeit reißen. Das kam mir vor der Diagnose ehrlicherweise nicht merkwürdig vor. Warum auch? Ich kannte es ja nicht anders. Erst als ich zum Kieferorthopäden rannte, weil mir nach und nach Zähne ausfielen, wurde mir klar, dass mit meinem Gebiss einiges nicht stimmt. Einen gefühlten Wimpernschlag später fand ich mich mit einem OP-Termin in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie wieder. Dabei hatte ich mir doch nicht mehr als ein perfektes 08/15-Zahnpastalächeln gewünscht.
Mein Problem ist, dass ich ein recht sorgloser Mensch bin, auch beim Thema Zähne. Selbstverständlich wirkte die Vorstellung einer »Gaumennahterweiterung« nicht gerade vertrauenerweckend auf mich, aber ich dachte mir auch nicht viel dabei, als ich an diesem Tag vor vier Jahren im Krankenhaus saß und binnen weniger Stunden mehr Weißkittel kennenlernte als in meinem restlichen Leben zuvor. Informiert hatte ich mich auch nicht. Bisher rutschte ich in meinem Leben privilegiert und unbedacht von einem Abschnitt in den nächsten. Nützt ja nichts, das war damals mein Lebensmotto.
Weil ich als Kind und Jugendlicher die meiste Zeit zockend vor Bildschirmen verbracht hatte und bis heute latent bildschirmsüchtig bin, vertrieb ich mir die Zeit des Wartens natürlich im Internet. Ich meine, was soll man auch anderes im Krankenhaus tun? Wie unverschämt eintönig können diese Orte bitte sein? Irgendwie sind die meisten in den Achtzigern hängen geblieben. Jeder Besuch in einem Krankenhaus (deren Anzahl sich mittlerweile im niedrigen dreistelligen Bereich bewegen müsste) fühlt sich wie eine kleine Zeitreise an. Allerdings keine von der lohnenswerten Sorte.
Eben so eine Reise dokumentierte ich jedoch, indem ich die monotone Krankenhaus-Romantik filmte. Mein Tag im Krankenbett. Mein Tag mit Krankenhausessen. Mein Tag mit endlos viel Tilidin gegen die Schmerzen. Shit, war ich davon breit. So breit, dass es mir egal war, wie die Menschen im Internet mich wahrnahmen. Ich zeigte mich schonungslos ehrlich und zugegebenermaßen ein wenig zu blutig. Wen sollte es auch interessieren? Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ohnehin kaum Follower.
Das sollte sich jedoch innerhalb einer Nacht ändern. Merkwürdigerweise ging mein Schwellkörpergesicht nämlich binnen weniger Stunden durch die digitale Decke, und ich wurde unfreiwillig zu einem Internetphänomen. Ausgerechnet im Jahr 2019, in dem es eigentlich eine Menge interessanterer Meldungen gegeben hätte: der Terroranschlag auf zwei Moscheen in Neuseeland, die Bombenanschläge auf Kirchen und Hotels in Sri Lanka oder die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke durch einen Neonazi. War ja nicht so, dass nichts los war in der Welt … Aber die Menschen fühlten sich offenbar medial so unterversorgt, dass sie einem Typen aus Ostfriesland, der neben dem Studium in einer Bar jobbte und ansonsten nicht viel zu melden hatte, beim Aufsägen des Gaumens zugucken wollten.
Das ist übrigens genauso unappetitlich, wie es sich anhört, und wenn ich gewusst hätte, was in der Zeit danach mit meinem Gesicht passiert, hätte ich mir das mit den Videos vielleicht nochmal überlegt oder wäre auf Podcasts umgestiegen. Auf jeden Fall etwas ohne Bilder. Davon ahnte ich jedoch nichts, und Besseres hatte ich auch nicht zu tun. Also filmte ich weiter und amüsierte die Leute mit dem absurden Alltag eines im Krankenhaus festgehaltenen Schwellkörpers.
Allerdings einem, dem auf einmal 100000 Menschen beim Auf- und anschließenden Abquellen zuguckten. An alle schaulustigen Zuschauer da draußen: Was stimmt mit euch nicht? Ihr habt mir und meinem violett-blau verfärbten Gesicht dabei zugesehen, wie wir pürierte Nahrung durch eine fast zwei Zentimeter breite Zahnlücke schlürften. Eine künstlich angelegte Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen, die ich mit einer kleinen Kurbel selbst jeden Tag um vier Millimeter vergrößern durfte. Jedes Mal, wenn ich den Kiefer weiter aufkurbelte, knackte er laut. Mein Kopf fühlte sich dann an, als würde er zerreißen, wie ein zu prall aufgeblasener Ballon, der jeden Moment platzen könnte.
Ein bisschen verstehe ich ja, warum Menschen das interessant fanden. Zum einen ist Voyeurismus einer der Hauptantriebe für Unterhaltungsmedien aller Art. Zum anderen war meine Kieferberichterstattung nicht selbstmitleidig, sondern ironisch, was ich unter anderem einer Lebensweisheit meiner Mutter zu verdanken habe: »Egal, was passiert, verliere niemals dein Lachen. Das kann dir keiner nehmen.« Ich glaube, hätte meine Mutter geahnt, wie mein Lachen eines Tages aussehen würde, wie viele Bänder, Schrauben und Haken meinen Kiefer und meine Zähne an Ort und Stelle halten würden, sie hätte mir eine andere Lebensweisheit mit auf den Weg gegeben. Aber von ihr habe ich gelernt, über mich selbst zu lachen, vor allem dann, wenn es nicht zum Weinen reicht.
Zum Heulen war in dieser Zeit so einiges, denn sechs Wochen lang durfte ich keine feste Nahrung zu mir nehmen. Das war beinahe so hart wie die Aussicht auf zwei weitere operative Eingriffe, die mir in den nächsten Jahren noch bevorstehen würden. Leider sollte diese Gaumennahterweiterung nämlich nur der Anfang meiner grotesken Kiefermisere sein. Nach der Gaumennahterweiterung würde eine Bimaxilläre Umstellungsosteotomie folgen. Anders ausgedrückt: Man trennt Ober- und Unterkiefer vom Schädel und schraubt sie gerade ausgerichtet wieder drauf. Das wiederum würde ein noch geschwolleneres Gesicht und drei weitere Monate Flüssignahrung bedeuten. Aber wie sagte der behandelnde Arzt damals so liebevoll? »Herr Zierden, das wird nicht schön, das wird verdammt schmerzhaft.« Das beruhigte mich wirklich ungemein. Gut, dass der Mann Arzt und nicht Lifecoach geworden ist.
Vermutlich wäre es leichter gewesen, sich den Kiefer in einer guten alten Schlägerei brechen zu lassen. Zu meinem Bedauern bin ich Pazifist und lehne Gewalt in den meisten Fällen ab. Dann also doch die Bimax. Nützt ja nichts.
Ich gewann sogar recht eigenartige und prominente Unterstützer. Til Schweiger zum Beispiel, der mir Moderationsjobs im Fernsehen vermitteln wollte. Stell dir das bitte mal vor, du hängst im Bett ab, erholst dich von deiner OP, und plötzlich kommt da diese Nachricht rein. Wie reagiert man da? Ich für meinen Teil war jedenfalls recht überfordert, zudem war mir die ganze Sache irgendwie unangenehm. Mir schrieben fremde Leute, die ich aus Kinofilmen kannte! Und das nur, weil ich mich in den größten Schwellkörper der Welt verwandelt hatte. Immerhin einen mit Fans. Das kann nicht jeder Schwellkörper von sich behaupten.
Also zog ich durch und hielt meine immer größer werdende Zahnlücke in die Handykamera. Mittlerweile hatte ich ein respektables Lißpeln etabliert und den wenig eleganten Namen »Malte mit der Spalte« verliehen bekommen. Ich dachte bis zu diesem Zeitpunkt, dass ich einer der Menschen bin, denen alles egal ist. Einer von denen, die einfach ihr Ding machen, wann und wie sie wollen. Damit belog ich mich wohl selbst. Wenn dir auf einen Schlag 100 000 Leute bei deiner Reise zuschauen, bekommst du recht schnell das Gefühl, mehr für die Unterhaltung dieser Personen als für dich und deine Liebsten da zu sein.
Dabei bin ich im Grunde ein zutiefst unsicherer Mensch, der das Rampenlicht scheut. Und nun war ich ungeplant so bekannt geworden, dass bei meinem Job in der Bar immer häufiger Leute reinkamen und mich bedrängten. Ich stand hinter der Theke, mixte Drinks und durfte mir von Wildfremden anhören: »Ey, Malte, zeig mal Spalte!« Es wurde langsam aber sicher unangenehm. Trotzdem machte ich weiter, bespaßte die Leute in den sozialen Medien. Ich konnte einfach nicht damit aufhören.