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SPIEGEL-Bestseller Alle Geschichten und Schriften J.R.R. Tolkiens zum Zweiten Zeitalter von Mittelerde erstmals in einem Band! Eine Geschichte über Elben und Menschen und eine Macht, die böser ist als alles andere. Die große Verführung durch Ringe, die im Geheimen geschmiedet wurden. Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit, die in den Untergang führt. Eine Insel aus längst vergangenen Tagen, die zwischen Mittelerde und dem Reich der göttlichen Valar liegt. »Der Untergang von Númenor« versammelt alle wichtigen Originaltexte Tolkiens, die sich mit dem Zweiten Zeitalter beschäftigen und damit die Vorgeschichte des »Herr der Ringe« erzählen. Die Geschichten rund um Elben, Menschen und die Ringe der Macht bilden den Handlungsrahmen, in dem die gigantische Serienverfilmung angesiedelt ist. Mit zahlreichen Bildern und Zeichnungen von Alan Lee Der Herausgeber Brian Sibley: »Seit der Erstveröffentlichung von ›Das Silmarillion‹ vor fünfundvierzig Jahren habe ich Christopher Tolkiens akribische wissenschaftliche Aufarbeitung der Schriften seines Vaters über Mittelerde mit Bewunderung verfolgt. Es ist mir eine Ehre, dieses grundlegende Werk mit›Der Untergang von Númenor‹ zu ergänzen. Ich hoffe, dass die Leserinnen und Leser durch die Zusammenführung vieler Fäden aus den Erzählungen des Zweiten Zeitalters in einem einzigen Werk das reiche Tableau von Charakteren und Ereignissen entdecken – oder wiederentdecken –, das den Auftakt zum Drama des großen Ringkriegs bildet, wie es in›Der Herr der Ringe‹ erzählt wird.« Der Illustrator Alan Lee: »Es ist eine große Freude, das Zweite Zeitalter genauer erkunden zu können und mehr über die schattenhaften und uralten Ereignisse, Bündnisse und Katastrophen zu erfahren, die schließlich in die besser bekannten Geschichten des Dritten Zeitalters münden. Wo immer ich bei der Arbeit an›Der Herr der Ringe‹ und›Der Hobbit‹ die Gelegenheit hatte, habe ich versucht, in den Bildern und Entwürfen jene historische Tiefe auszuloten, in deren Schichten sich Anklänge an diese älteren Geschehnisse finden. ›Der Untergang von Númenor‹ hat sich als perfekte Gelegenheit erwiesen, ein wenig tiefer in die reiche Geschichte von Mittelerde einzutauchen.«
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Seitenzahl: 484
Alle hörten nun zu, als Elrond mit seiner klaren Stimme von Sauron sprach, von den Ringen der Macht und davon, wie sie im längst vergangenen Zweiten Zeitalter der Welt geschmiedet worden waren. Manches war dem einen oder andern von ihnen bekannt, niemandem aber die ganze Geschichte, und viele Augen blickten in Schrecken und Staunen auf Elrond, als er von den Elbenschmieden von Eregion und ihrer Freundschaft mit den Zwergen in Moria berichtete und von ihrer Wissbegier, in der Sauron sie umgarnte. Denn zu jener Zeit war seine Bösartigkeit noch nicht zu erkennen, und mit seiner Hilfe wurden sie Meister in vielen Künsten, während er alle ihre Geheimnisse ausforschte, sie täuschte und im Flammenden Berg heimlich den Einen Ring schmiedete, um sie alle zu beherrschen. Doch Celebrimbor bemerkte, was Sauron tat, und brachte die Drei Ringe in Sicherheit, die er selbst geschaffen hatte; und es gab Krieg, das Land wurde verheert, und das Tor von Moria wurde geschlossen … Von Númenor sprach er, seiner Glanzzeit und seinem Untergang und von der Rückkehr der Menschenkönige aus den Weiten des Meeres, getragen von den Flügeln des Sturms.
Der Herr der Ringe: Die Gefährten
Buch II, Kap. 2 »Elronds Rat«
J.R.R. Tolkien
Der Untergang von Númenor
und andere Geschichten aus dem Zweiten Zeitalter von Mittelerde
Herausgegeben von Brian Sibley und zusammengestellt aus Das Silmarillion, Nachrichten aus Mittelerde, Der Herr der Ringe, Bänden der History of Middle-earth von Christopher Tolkien sowie anderen Quellen
Illustrationen von Alan Lee
Aus dem Englischen von Helmut W. Pesch
KLETT-COTTA
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Hobbit Presse
www.hobbitpresse.de
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Fall of Númenor« im Verlag HarperCollins Publishers Ltd., London und Dublin, 2022
The Lord of the Rings Copyright © The Tolkien Estate Limited 1954, 1955, 1966; The Silmarillion Copyright © The Tolkien Estate Limited and C. R. Tolkien 1977, 1999; Unfinished Tales of Númenor and Middle-earth Copyright © The Tolkien Estate Limited and C. R. Tolkien 1980; The Lost Road and Other Writings Copyright © The Tolkien Estate Limited and C. R. Tolkien 1987; Sauron Defeated Copyright © The Tolkien Estate Limited and C. R. Tolkien 1992; Morgoth’s Ring Copyright © The Tolkien Estate Limited and C. R. Tolkien 1993; The Peoples of Middle-earth Copyright © The Tolkien Estate Limited and C. R. Tolkien 1996; The Nature of Middle-earth Copyright © The Tolkien Estate Limited and The Tolkien Trust 1980, 1993, 1998, 2000, 2001, 2005, 2007, 2009, 2011, 2014, 2021.
Einleitung, Kommentare und Anmerkungen Copyright © Brian Sibley 2022
Illustrationen Copyright © Alan Lee 2022
»Der Westen von Mittelerde am Ende des Dritten Zeitalters« und die Karte von »Númenórë« gezeichnet von C. R. Tolkien für Unfinished Tales 1980
The Tolkien Estate Limited and the estate of C. R. Tolkien have asserted their respective moral rights in this work.
Alan Lee asserts the moral right to be acknowledged as the illustrator of this work.
®, ® and ›Tolkien‹® sind eingetragene Markenzeichen der Tolkien Estate Limited
Für die deutsche Ausgabe
© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Cover: Birgit Gitschier, Augsburg unter Verwendung der Daten des Originalverlags
Cover-Illustration: © Alan Lee; Layout: © HarperCollins Publishers Ltd. 2022
Gesetzt von Dörlemann Satz, Lemförde
Gedruckt und gebunden von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-608-98700-3
E-Book ISBN 978-3-608-11985-5
Vorwort
Einleitung
Vor dem Zweiten Zeitalter
DIE JAHRE DER WESTLANDE
Zweites Zeitalter
Jahr
1
– Gründung der Grauen Anfurten und von Lindon
32
– Die Edain erreichen Númenor
Die Geografie von Númenor
Die Natur von Númenor
Das Leben der Númenórer
ca. 40
– Viele Zwerge ziehen aus ihren alten Städten in den Ered Luin nach Moria, dessen Bevölkerung dadurch wächst
442
– Elros Tar-Minyatur stirbt
ca. 500
– Sauron beginnt sich in Mittelerde wieder zu regen
521
– Silmarien in Númenor geboren
600
– Die ersten Schiffe der Númenórer erscheinen vor den Küsten von Mittelerde
Die Seefahrten Aldarions
750
– Die Noldor gründen ihr Reich in Eregion
Aldarion und Erendis
Die Heirat von Aldarion und Erendis
Die Herrschaft Tar-Aldarions
ca. 1000
– Sauron, durch die zunehmende Macht der Númenórer beunruhigt, erwählt sich Mordor als Bollwerk. Er beginnt den Bau von Barad-dûr
1075
– Tar-Ancalime wird erste Regierende Königin von Númenor
1200
– Sauron bemüht sich, die Eldar für sich einzunehmen. Gil-galad weist ihn ab, doch die Schmiede von Eregion lassen sich mit ihm ein. Die Númenórer beginnen feste Häfen anzulegen
ca. 1500
– Angeleitet von Sauron erreichen die elbischen Schmiede den Gipfel ihres Könnens. Sie beginnen die Ringe der Macht zu schmieden
ca. 1590
– In Eregion werden die Drei Ringe geschmiedet
ca. 1600
– Sauron schmiedet im Orodruin den Einen Ring. Barad-dûr wird fertiggestellt. Celebrimbor erkennt Saurons Absichten
1693
– Beginn des Krieges der Elben gegen Sauron. Die Drei Ringe werden verborgen
1695
– Saurons Heere dringen in Eriador ein. Gil-galad schickt Elrond nach Eregion
1697
– Eregion verwüstet. Tod Celebrimbors. Die Tore von Moria werden geschlossen. Elrond zieht sich mit den Resten der Noldor zurück und befestigt Imladris als Zuflucht
1699
– Saurons Heere überrennen Eriador
1700
– Tar-Minastir schickt eine starke Flotte von Númenor nach Lindon. Sauron wird besiegt
1701
– Sauron wird aus Eriador vertrieben. Die Westlande haben lange Zeit Frieden
ca. 1800
– Die Númenórer beginnen Herrschaftsgebiete an den Küsten zu gründen. Sauron weitet seinen Machtbereich nach Osten aus. Der Schatten fällt auf Númenor
2251
– Tod von Tar-Atanamir.Tar-Ancalimon nimmt das Zepter. Aufruhr und Streit unter den Númenórern beginnen. Etwa zu dieser Zeit erstes Auftreten der Nazgûl oder Ringgeister, Sklaven der Neun Ringe
2280
– Umbar wird eine große númenórische Festung
2350
– Pelargir wird erbaut. Es wird zum Haupthafen der Getreuen Númenórer
2899
– Ar-Adûnakhôr nimmt das Zepter
3175
– Tar-Palantir bereut. Bürgerkrieg in Númenor
3255
– Ar-Pharazôn der Goldene reißt das Zepter an sich
3261
– Ar-Pharazôn segelt von Númenor los und landet in Umbar
3262
– Sauron wird als Gefangener nach Númenor gebracht; 3262–3310 – Sauron betört den König und korrumpiert die Númenórer
3310
– Ar-Pharazôn beginnt mit dem Bau der Großen Kriegsflotte
3319
– Ar-Pharazôns Angriff auf Valinor. Númenors Untergang. Elendil und seine Söhne entkommen
3320
– Gründung der Exilreiche von Arnor und Gondor. Die Steine werden aufgeteilt. Sauron kehrt nach Mordor zurück
3429
– Sauron greift Gondor an, erobert Minas Ithil und verbrennt den Weißen Baum. Isildur entkommt stromabwärts auf dem Anduin und fährt nach Norden zu Elendil. Anárion verteidigt Minas Anor und Osgiliath
3430
– Das Letzte Bündnis zwischen Elben und Menschen wird geschlossen
3431
– Gil-galad und Elendil marschieren ostwärts nach Imladris
3434
– Das Heer der Verbündeten überschreitet die Nebelberge. Schlacht von Dagorlad und Niederlage Saurons. Beginn der Belagerung von Barad-dûr
3440
– Anárion fällt
3441
– Sauron wird von Elendil und Gil-galad niedergeworfen, die dabei umkommen. Isildur nimmt den Einen Ring. Sauron verschwindet, und die Ringgeister treten in den Schatten. Ende des Zweiten Zeitalters
Epilog
ANHÄNGE
Anhang A
Eine kurze Chronik des Dritten Zeitalters von Mittelerde
Anhang B
Die númenórischen Kapitel von
The Lost Road
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Danksagung
Farbtafeln
Das Heer der Valar steigt in Angband hinab
Blick nach Westen von Andúnië
Aldarions Ausfahrt von Númenor
Der Bau von Barad-dûr
Das Schmieden der Ringe
Galadriel führt die Elben durch Moria
Der Tempel Saurons
Ar-Pharazôn greift Valinor an
Gil-galad überquert das Nebelgebirge
Das Letzte Bündnis von Elben und Menschen
Eine Karte von Númenor
Karte des Westens von Mittelerde am Ende des Dritten Zeitalters
Falzkarte
Zum Gedenken anPriscilla Reuel Tolkien(1929–2022)allzeit eine gute Freundinder Freunde von Mittelerde
Der Untergang von Númenor stellt eine umfassende Auswahl aus J. R. R. Tolkiens Schriften über das Zweite Zeitalter von Mittelerde dar. Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne die außergewöhnliche Leistung von Christopher Tolkien, der den Leserinnen und Lesern von Der Hobbit und Der Herr der Ringe das reiche Erbe an Mythen, Sagen und Geschichten sowohl aus den Ältesten Tagen als auch aus dem Zweiten Zeitalter erschloss. Dies erreichte er durch seine jahrelange engagierte Arbeit als Nachlassverwalter, indem er die vielen Manuskripte und Entwürfe seines Vaters sichtete, zusammenstellte, übertrug und mit unschätzbaren Kommentaren versah. Auf den Seiten von Das Silmarillion, Nachrichten aus Mittelerde, den Bänden der History of Middle-earth und anderen Werken, die von Christopher Tolkien herausgegeben und für die Veröffentlichung aufbereitet wurden, wurde erstmals die Geschichte vom Untergang von Númenor, dem Aufstieg Saurons, dem Schmieden der Ringe der Macht und dem Letzten Bündnis von Elben und Menschen gegen den Dunklen Herrscher von Mordor offenbar.
Die hier ausgewählten Passagen und Auszüge sollen die genannten Werke keineswegs ersetzen, da diese bereits als endgültige Darstellung von J. R. R. Tolkiens Schriften gelten, versehen mit aufschlussreichen Anmerkungen und Analysen von Christopher Tolkien. Absicht des Herausgebers ist es vielmehr, mit so wenig redaktionellen Eingriffen wie möglich in J. R. R. Tolkiens eigenen Worten die vielfältigen und wechselvollen Ereignisse des Zweiten Zeitalters zu veranschaulichen, wie sie in der Zeittafel »Die Jahre der Westlande« im Anhang B von Der Herr der Ringe zusammengefasst wurden. Wer sich näher mit den Quellen und Hintergründen befassen möchte, der sei auf die Anmerkungen am Ende des Buches verwiesen, von denen viele auf Christopher Tolkiens unschätzbarem Fachwissen als Herausgeber beruhen, indem sie seine eigenen Notizen zu den veröffentlichten Originalquellen wiedergeben oder daraus zitieren. Sie sollen all jenen als Hilfe dienen, die noch tiefer in die Welt des Zweiten Zeitalters und deren Hintergründe eintauchen wollen.
Die Zusammenstellung folgt der chronologischen Aufzählung der Jahre, die am Anfang dieses Bandes wiedergegeben ist. Die Gliederung in Kapitel entspricht den Einträgen dieser Zeittafel. Ergänzend werden dabei zwei weitere Auflistungen hinzugezogen: die Namen und Daten der númenórischen Könige in »Anhang A, Annalen der Könige und Herrscher« – ebenfalls in Der Herr der Ringe – und »Die Linie von Elros: Könige von Númenor« in Nachrichten aus Mittelerde, Teil 2, Das Zweite Zeitalter.
Die Ereignisse des Zweiten Zeitalters, die sich auf der Insel Númenor und in Mittelerde abspielen, werden anhand der folgenden Quellen nachgezeichnet:
Für die Geschichte Númenors sind dies der Text der »Akallabêth« (in Das Silmarillion); die Novelle »Aldarion und Erendis« und die Stammtafel »Die früheren Generationen der Linie von Elros« (in Nachrichten aus Mittelerde). Weiter berücksichtigt wird dabei auch Material, das in »The History of the Akallabêth« (in The Peoples of Middle-earth), »The Early History of the Legend« und »The Fall of Númenor« (beide in The Lost Road and other Writings) und »The Drowning of Anadûnê« (in Sauron Defeated) zu finden ist.
Wie Christopher Tolkien es sich gewünscht hätte, werden die Forschungen über die Schriften seines Vaters fortgesetzt, und ich habe zusätzlich einen weiteren Band mit nachgelassenen Texten Tolkiens herangezogen, Natur und Wesen von Mittelerde (2021), herausgegeben von Carl F. Hostetter. Diese Quellen sind so aufbereitet, dass sie die Geschichte der Gründung von Númenor, seine Geografie und Tierwelt und das Leben der Númenórer erzählen, wobei sowohl auf »Eine Beschreibung der Insel Númenor« (in Nachrichten aus Mittelerde) als auch auf »Das Land und die Tiere von Númenor«, »Das Leben der Númenórer« und »Das Altern der Númenórer« (in Natur und Wesen von Mittelerde) zurückgegriffen wird. Die verwendeten Passagen erscheinen nicht notwendigerweise so, wie sie ursprünglich dort wiedergegeben wurden, sondern in einer Reihenfolge, die der chronologischen Darstellung am ehesten gerecht wird.
Die Darstellungen der Ereignisse, die sich in Mittelerde zeitgleich mit denen auf Númenor abspielen, wurden den Texten »Von den Ringen der Macht und dem Dritten Zeitalter« (in Das Silmarillion), »Die Geschichte von Galadriel und Celeborn« und »Das Verhängnis auf den Schwertelfeldern« (in Nachrichten aus Mittelerde) sowie »Galadriel und Celeborn« (in Natur und Wesen von Mittelerde) entnommen.
Dieser Band hält sich an den von Christopher Tolkien aufgestellten Grundsatz, dass die zu Lebzeiten seines Vaters veröffentlichten Texte als die endgültige Fassung betrachtet und dass abweichende Namen, Daten und Schreibweisen aus früheren Entwürfen daran angepasst werden.
Überleitungen und Erklärungen des Herausgebers sind mit eingerücktem Text und in kleinerer Schrift wiedergegeben; erläuternde Ergänzungen zur Einleitung von Passagen oder innerhalb eines Textes stehen in eckigen Klammern. Anfänge von Zitaten, die im Original kleingeschrieben sind, wurden zur besseren Lesbarkeit mit einem Großbuchstaben versehen. Auslassungen innerhalb eines Textes sind durch Auslassungspunkte gekennzeichnet.
Enthalten in diesem Buch sind auch Auszüge aus Briefe von J. R. R. Tolkien (1981, dt. 1991), herausgegeben von Humphrey Carpenter unter Mitwirkung von Christopher Tolkien, und einzelne Passagen aus Der Herr der Ringe, die sich auf das Zweite Zeitalter beziehen und wesentliche Informationen enthalten. In einigen dieser Fälle wurde der Text gekürzt oder stillschweigend umgestellt.
Falls nicht anders vermerkt, verweisen die im Anhang zusammengefassten Anmerkungen auf die jeweiligen Quellen.
Die deutschen Übersetzungen der genannten Texte wurden zu verschiedenen Zeiten und mit unterschiedlichem Kenntnisstand über die Gesamtzusammenhänge von Tolkiens Werk erstellt. Deshalb wurden stillschweigend inhaltliche und stilistische Anpassungen vorgenommen, um einen widerspruchsfreien und flüssig lesbaren Gesamttext zu erhalten. Die verwendeten Ausgaben sind im Literaturverzeichnis am Ende des Buches aufgelistet.
Es ist ein wahrhaft unvergesslicher Moment in der modernen Literatur: Der Eine Ring – der Meisterring der Macht des Dunklen Herrschers Sauron, dessen Zerstörung das Ziel einer epischen Heldenreise war – fällt in das feuerlodernde Herz des Schicksalsberges. Damit kehrt der Ring in das Inferno zurück, in dem er geschmiedet wurde, und ist endlich vernichtet.
Natürlich gibt es noch vieles, mit dem sich der Autor befassen muss: Rettung, Heilung und Krönung, gefolgt von endgültigen Abrechnungen und Versöhnungen, Abschieden und Aufbrüchen. Aber die Zerstörung des Herrscherrings und damit der Sturz Saurons und seines dunklen Turms und das Ende seines jahrtausendelangen Krieges gegen die Freien Völker Mittelerdes ist tatsächlich der Höhepunkt in J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe.
Für den Autor war das Werk jedoch lediglich ein umfangreicher Zusatz zu einer viel älteren Geschichte – oder einer Reihe von Geschichten –, mit der er sich schon seit vielen Jahren beschäftigt und auf die seine Phantasie noch länger hingewirkt hatte. So schrieb er einige Jahre vor dem Erscheinen des Herr der Ringe: »Ich kann mich an keine Zeit erinnern, wo ich nicht mit ihr beschäftigt gewesen wäre.«[1]
Dank der rastlosen Mühlen der Populärkultur stellt Der Herr der Ringe heute ein universelles Symbol für die Kunst der Mythenbildung dar und gehört zum jahrhundertealten Fundus an Sagen, Märchen und Legenden der Welt. Doch für Tolkien waren die Taten von Bilbo Beutlin und das große Abenteuer seines Neffen Frodo nur Teil einer weitaus größeren Geschichte, die bis in eine ferne Vergangenheit zurückreichte.
In einem Brief an seinen Sohn Christopher vom November 1944 machte J. R. R. Tolkien deutlich, wie sehr der »große Roman«[2], mit dem er sich beschäftigte, eine ständig wachsende, sich verändernde und im Werden begriffene Geschichte war. Als er Christopher die letzten abgeschlossenen Kapitel zusammen mit einem Ausblick auf den Rest der Erzählung schickte, meinte er: »Wahrscheinlich geht alles, wenn es wirklich geschrieben wird, ganz anders aus als nach diesem Plan, denn die Sache scheint sich von selber zu schreiben, sobald ich einmal in Fahrt bin – so als ob dann die Wahrheit herauskäme, die im Vorentwurf noch nicht richtig zu sehen war …«[3]
Diese Herangehensweise an das kreative Schreiben rührte daher, dass Tolkien einerseits ein angesehener Fachgelehrter war und andererseits, wie er selbst zugab, das Handwerk des Romanciers als Amateur ausübte. Obwohl er beruflich und mit großer Leidenschaft in der Forschung verwurzelt und im Verstehen und Verwenden von Wörtern geschult war, wurde er ständig – und zu seiner echten Überraschung und Freude – von der unbändigen, befreienden schöpferischen Inspiration getrieben und auf neue Wege geleitet. Das Ergebnis war Der Herr der Ringe: ein einzigartig konzipiertes und ausgeführtes Meisterwerk der phantastischen Literatur, die ehrgeizige »Fortsetzung« seiner früheren und bescheideneren Erzählung Der Hobbit.
Anfangs kannten Tolkiens Leser nur das Buch selbst, nicht aber dessen sorgfältig, ja geradezu obsessiv erarbeiteten Hintergründe, die das disziplinierte Werk eines akademischen Geistes waren. Erst später und allmählich wurde die Öffentlichkeit sich der riesigen labyrinthischen Struktur von Sprachen, Zeittafeln, Stammbäumen und historischen Abläufen bewusst, die der epischen (und gleichzeitig sehr persönlichen und eigenen) Erzählung vom Ringkrieg zugrunde liegt. Ein Teil dieser Grundlage war das in Arbeit befindliche Werk, das als das Silmarillion bekannt ist, ein komplexes Mosaik aus ideenreichen und höchst originellen Schriften, welche die Vorgeschichte des Herr der Ringe und die Basis des Mittelerde-Legendariums bilden.
1951 suchte Tolkien einen Verlag, der nicht nur bereit war, den neuen Herr der Ringe zu veröffentlichen, sondern auch das Silmarillion – ein Projekt, an dem er zu diesem Zeitpunkt mit Unterbrechungen bereits seit siebenunddreißig Jahren arbeitete.
Um für seine Sache zu werben, schrieb Tolkien einen »kurzen Überblick«, wie er es nannte (obwohl dieser mehr als 7500 Wörter umfasste), der als Zusammenfassung sowohl des Silmarillion als auch des Herr der Ringe dienen sollte, wobei der Autor großen Wert darauf legte, die wechselseitige Abhängigkeit der beiden Werke zu verdeutlichen.
Zunächst schildert er die Entstehung Mittelerdes – ein Schöpfungsmythos von großer literarischer Kraft und Schönheit –, gefolgt von opulent gestalteten Geschichten über die verschiedenen Völker und die mächtigen Taten, die sie vollbrachten, sowie die großen Tragödien, die sie im Laufe der Generationen erlebten, welche das sogenannte Erste Zeitalter ausmachten. Dann wandte sich Tolkien den Ereignissen des darauf folgenden Zeitalters zu und schrieb: »Der nächste Zyklus handelt (oder würde handeln) vom Zweiten Zeitalter. Aber dies ist auf Erden ein dunkles Zeitalter, und über seine Geschichte wird nicht viel gesagt (oder ist nicht viel zu sagen).«[4]
Das war eine merkwürdige Aussage, denn Tolkien hatte in vielen detaillierten Entwürfen von beträchtlicher Länge bereits einen Großteil dieser Geschichte niedergeschrieben, einschließlich des Ursprungs und des Aufstiegs von Sauron, der titelgebenden Figur von Der Herr der Ringe, und der Entstehung der Ringe der Macht und des Einen Rings, der sie alle beherrschen sollte.
Im Rahmen des Zeitraums von mehr als 3400 Jahren, den das Zweite Zeitalter umfasste, hatte er zudem die vorausgegangene Gründung der Insel Númenor mit ihrer Geografie und Natur, das Leben ihrer Bewohner und deren politische, soziale und kulturelle Geschichte und schließlich die Ereignisse aufgezeichnet, die zu ihrem Unheil, Niedergang und katastrophalen Ende führten.
Tolkiens ehrgeiziger Plan, den Leserinnen und Lesern die gesamte Bandbreite der Mythologie, Sage und Historie seiner erschaffenen Welt als Auftakt zum Drama des Herr der Ringe darzubieten, schlug fehl – die Verlage waren verständlicherweise misstrauisch gegenüber einer solch kostspieligen und unsicheren Investition –, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass die Geschichte von Frodo Beutlin und den Ringgefährten für sich allein würde stehen müssen.
Nichtsdestotrotz waren die Entstehung und der spätere Untergang von Númenor und die Schaffung der Ringe der Macht zentrale Ereignisse in der Geschichte von Mittelerde. Und als im Juli und November 1954 die ersten beiden Bände von Der Herr der Ringe – Die Gefährten und Die zwei Türme – bei George Allen & Unwin erschienen (dt. 1969), bekamen die Leser erste flüchtige Einblicke in diese Vergangenheit, die einen reich durchwirkten Hintergrundteppich für den Kampf der Freien Völker Mittelerdes gegen Sauron und die Mächte von Mordor bildete. Obwohl diese Elemente nur am Rande mit der Haupthandlung zu tun haben, waren und sind sie doch ein wesentlicher Teil des Reizes, den das Buch ausübt.
Als 1955 Die Rückkehr des Königs als dritter und letzter Band von Der Herr der Ringe veröffentlicht wurde (dt. 1970), fügte Tolkien über hundert Seiten Anhänge hinzu, die viele Details über Mittelerde enthielten: ihre Sprachen, die Stammlinien ihrer Könige und Herrscher sowie Zeittafeln mit den Ereignissen des Zweiten und Dritten Zeitalters. Viele Jahre lang waren diese Anhänge, wie sie 1966 für die zweite Ausgabe von Der Herr der Ringe aktualisiert wurden, die einzigen Informationen, die dem normalen Leser zur Verfügung standen, der Hintergrundwissen zu den veröffentlichten Abenteuern von Herrn Bilbo Beutlin und der späteren Reise seines Neffen Frodo haben wollte.
Wie Tolkien 1965 in seinem Vorwort zur zweiten Ausgabe von Der Herr der Ringe schrieb: »Diese Geschichte wuchs sich, während ich sie schrieb, zu einer Chronik des Großen Ringkrieges aus, mitsamt vielerlei Ausblicken auf Ereignisse in noch älteren Zeiten.« Nach dem Tod des Autors am 2. September 1973 hätte man meinen können, dass es keine weiteren Einblicke in die »noch älteren Zeiten« von Mittelerde geben würde. Aber im Mai 1977 veröffentlichte Humphrey Carpenter J. R. R. Tolkien: Eine Biographie (dt. 1979), worin nicht nur der gewaltige Umfang des Werks, das Tolkien geschaffen hatte, deutlicher als bisher zutage trat, sondern auch neue, vielversprechende Details zu verschiedenen Vers- und Prosaerzählungen wie »The Voyage of Earendel the Evening Star« (»Die Fahrt von Earendel, dem Abendstern«) und »The Fall of Gondolin« (»Der Fall von Gondolin«) enthalten waren: verlockende Informationen, die auf das Erscheinen von Das Silmarillion im September desselben Jahres (dt. 1978) vorauswiesen, das von Christopher Tolkien für die Veröffentlichung aufbereitet worden war – ein Projekt, dem er sich in den vorangegangenen vier Jahren unermüdlich gewidmet hatte, um den Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu geben, an der großen Vision seines Vaters vom Ersten Zeitalter von Mittelerde teilzuhaben.
Obwohl sich Das Silmarillion hauptsächlich mit der Mythologie und Geschichte der »Ältesten Tage« von Mittelerde befasste, enthielt es auch zwei Schlüsselwerke, die sich auf das Zweite Zeitalter bezogen: die Abhandlung mit dem selbsterklärenden Titel »Von den Ringen der Macht und dem Dritten Zeitalter« und die »Akallabêth«. Der letztgenannte Text ist ein Bericht über das Inselreich Númenor, das den Menschen von Mittelerde geschenkt wurde, die am Ende des Ersten Zeitalters im Krieg des Zorns an der Seite der Elben gekämpft hatten, und beschreibt, wie es durch Saurons Machenschaften zerstört wurde. Tolkiens ursprünglicher Titel für diese Erzählung war »Der Fall von Númenor«, später geändert in »Der Untergang von Númenor«. In Das Silmarillion verwendete Christopher Tolkien den Titel »Akallabêth«, was in der Sprache der Númenórer »Sie, die gefallen ist« oder »Die Versunkene« bedeutet, wobei er anmerkte, dass keine Fassung des Werks diesen Titel trug, dies aber die Bezeichnung war, die sein Vater verwendete.[5]
Weitere Details über Númenor – historische, geografische und genealogische – kamen ans Licht, als Christopher Tolkien 1980 Nachrichten aus Mittelerde (dt. 1983) herausbrachte, eine weitere Auswahl aus den Schriften seines Vaters mit größtenteils unvollständigen Erzählungen, die von verschiedenen dramatischen Momenten in den drei Zeitaltern von Mittelerde berichten.
Wie Das Silmarillion war auch Nachrichten aus Mittelerde das Ergebnis von Christophers intensiver Beschäftigung mit dem Nachlass seines Vaters. Dass das Buch trotz seines fragmentarischen Charakters ein solcher Erfolg wurde, bildete den Startschuss für ein einzigartiges Projekt auf dem Gebiet der Literaturforschung, das über einen Zeitraum von dreizehn Jahren zu einer gewaltigen zwölfbändigen Buchreihe mit kommentierten Manuskriptausgaben, The History of Middle-earth, führen sollte.
An dieser Stelle seien zwei weitere bemerkenswerte Texte J. R. R. Tolkiens erwähnt, die sich auf Númenor beziehen. Seine Faszination für die Insel und ihr Schicksal geht zum Teil auf einen wiederkehrenden Albtraum zurück, der in seiner frühen Kindheit erstmals auftrat und sich bis ins Erwachsenenalter immer neu wiederholte. In einem Brief aus dem Jahr 1964 beschrieb er diese Erfahrung: »Diese Sage, Mythe oder blasse Erinnerung an eine antike Geschichte hat mich immer verfolgt. Im Schlaf hatte ich den entsetzlichen Traum von der unausweichlichen Woge, die entweder aus dem ruhigen Meer aufsteigt oder turmhoch über das grüne Binnenland hereinbricht. Gelegentlich kommt der Traum immer noch, obwohl er inzwischen durch das Schreiben über ihn ausgetrieben ist.«[6]
Der Anstoß für Tolkien, einen solchen Exorzismus zu versuchen, kam, wie es scheint, 1936 durch einen Austausch mit C. S. Lewis, seinem Freund und gleichfalls Mitglied der literarischen Gruppe der »Inklings«. Tolkien erinnerte sich später: »Lewis sagte eines Tages zu mir: ›Tollers, Geschichten, wie wir sie wirklich mögen, gibt es zu wenige. Ich fürchte, wir müssen selbst versuchen, ein paar zu schreiben.‹ Wir einigten uns, dass er es mit ›Weltraumreisen‹ versuchen sollte und ich mit ›Zeitreisen‹.«[7]
Lewis schrieb Jenseits des Schweigenden Sterns[8], den ersten Teil einer Trilogie, in der Science-Fiction als Allegorie für moralische und theologische Themen genutzt wurde. Tolkiens Versuch war weniger erfolgreich. Er fing, wie er schrieb, »ein totgeborenes Buch über Zeitreisen an, das damit enden sollte, dass der Held den Untergang von Atlantis miterlebt. Das sollte Númenor genannt werden, das Land im Westen.«[9] Die Geschichte sollte sich über viele Generationen einer Familie erstrecken, beginnend mit einem Vater und einem Sohn, Edwin und Elwin, und ihre Abstammung durch die Zeit bis zu den Schlüsselfiguren in der Epoche des Untergangs von Númenor zurückverfolgen. »Mein Versuch«, so resümierte Tolkien später, »verlief nach ein paar vielversprechenden Kapiteln im Sande: Es war ein zu langer Umweg zu dem, was ich wirklich schreiben wollte, eine neue Version der Atlantis-Sage.«[10]
Auch wenn Tolkien von seinem »Atlantis-Komplex« oder »Atlantis-Spuk« schrieb und damit offensichtlich eine Verbindung zu jener sagenhaften Insel herstellte, die in Platons Dialogen beschrieben wird, fühlte er sich eher von der Romantik einer Zivilisation angezogen, die von einer Tragödie überrollt wurde, welche die menschliche Vorstellungskraft über viele Jahrhunderte in der Volkskultur geprägt hat.[11]
Nach Tolkiens Deutung folgt auf den kataklysmischen Untergang Númenors in den Fluten die Umwandlung der Welt von einer flachen in eine runde – oder »krumme« –, und die Länder des Westens werden »für immer aus den Kreisen der Welt entfernt«. Ein wesentliches Element dieses Mythos war das Fortbestehen eines geraden Weges in den Alten Westen, der nun zwar verborgen war, aber von jedem, der ihn zu finden vermochte, befahren werden konnte: ein Konzept, das im geplanten Titel des Buches, The Lost Road (»Der verschwundene Weg«), zum Ausdruck kommt.
Der buchstäbliche Aufstieg und Fall von Tolkiens Insel (die ursprünglich als Geschenk an die Menschen aus dem Meer emporgehoben worden war) wurde nicht nur von Platons philosophischer Allegorie über die Politik des Staates beeinflusst, sondern auch von der jüdisch-christlichen Erzählung über die Schwachheit und Fehlbarkeit des Menschen, wie sie im biblischen Buch Genesis überliefert ist. Das zeigt sich in seiner Beschreibung des Untergangs von Númenor als »der zweite Sündenfall der Menschheit (oder des begnadigten, aber immer noch sterblichen Menschen)«.[12]
Aus Christopher Tolkiens eingehender Beschäftigung mit den Unterlagen seines Vaters geht eindeutig hervor, dass die Geschichte der Númenórer und ihres Schicksals in völligem Einklang mit dem Silmarillion und der sich ständig weiterentwickelnden Geschichte von Mittelerde und der natürlichen und übernatürlichen Gesetze, denen sie unterworfen war, konzipiert wurde. Der anfängliche »Wettstreit« mit Lewis um das, was Tolkien als »einen Reise-›Thriller‹« bezeichnete, der »zur Entdeckung eines Mythos führen« sollte[13], gewann schnell eine weitaus größere Bedeutung als Bestandteil seines Legendariums – ja, Númenor wurde zu einem Grundpfeiler in Tolkiens sich entwickelnder Struktur der Geschichte des Zweiten Zeitalters.
1937 reichte Tolkien seinem Verleger den Entwurf der ersten Kapitel von The Lost Road ein, erhielt jedoch die entmutigende Antwort, dass das Buch, selbst wenn es fertiggestellt würde, wohl kaum kommerziell erfolgreich sein dürfte.
1945 kehrte Tolkien zu der Idee zurück, ein eigenes Atlantis-Zeitreise-Konzept zu entwickeln (das immer noch mit Mittelerde verbunden war), als er mit dem Schreiben von The Notion Club Papers (»Die Akten des Notion Club«) begann. Der geplante Roman sollte die ausgefallene Form einer Entdeckung diverser Aufzeichnungen im fernen Jahr 2012 haben – Protokolle der Treffen eines Oxforder Literaturzirkels und der Versuche zweier seiner Mitglieder, mit Zeitreisen zu experimentieren. Der »Notion Club« ist eine Anspielung auf die Inklings, jenen bereits erwähnten, im realen Oxford ansässigen Club von bekennenden »Amateur«-Literaten, zu dessen wichtigsten Mitgliedern Tolkien und Lewis gehörten. Der Name »Inklings« war geschickt gewählt, um sowohl auf Leute verweisen, die eine »Idee« (inkling) von den Dingen hatten, als auch auf solche, die gerne als Schreiber mit Tinte (ink) hantieren, und das von Tolkien gewählte Wort notion war ein offensichtliches Synonym für »Idee«. Außerdem spielte Tolkien mit der Idee, dass einige der Figuren, die als Mitglieder des »Notion Club« aufgelistet wurden, verkappte Porträts von ihm und seinen Mit-Inklings sein mochten.
Zum Zeitpunkt der Abfassung des Romans hatte Tolkien den Herr der Ringe noch nicht fertiggestellt, und die Notion Club Papers wurden ebenso wie The Lost Road schließlich aufgegeben, allerdings erst, nachdem ein beträchtlicher Teil davon fertiggestellt war. Des Weiteren hatte er viel Zeit in die Erschaffung einer númenórischen Sprache investiert, Adûnayân – oder in eingedeutschter Form Adûnaïsch (»Sprache des Westens«). Nachdem Tolkien zum Herr der Ringe zurückgekehrt war und die Geschichte zu Ende gebracht hatte, nahm er die Arbeit an den Notion Club Papers nicht wieder auf, was zweifellos daran lag, dass er sich zunehmend auf die Ältesten Tage von Mittelerde konzentrierte.
Obwohl der Inhalt von The Lost Road und The Notion Club Papers in der geplanten und teilweise vollendeten Form eine wichtige thematische Verbindung zu den Númenor-Texten aufweist, wie sie in der »Akallabêth« im Silmarillion und anderen nach Tolkiens Tod veröffentlichten Erzählungen über das Zweite Zeitalter zu finden sind, sind sie in ihrem Stil und Tonfall radikal eigenständig – vor allem in ihren Zeitreise-Konzepten, die teilweise in der »wirklichen« Welt (und der Zukunft, wenn auch inzwischen der von gestern) spielen.
Leserinnen und Leser, die sich eingehender mit diesen einzelnen Experimenten zur Darstellung des Konzepts von Númenor beschäftigen möchten und des Englischen mächtig sind, seien auf die beiden entsprechenden Bände von Christopher Tolkiens History of Middle-earth, The Lost Road and other Writings (1987) und Sauron Defeated (1992), verwiesen. Ein umfangreicher und besonders bedeutsamer Teil der Erzählung vom verschwundenen Weg, die sogenannten númenórischen Kapitel, ist in diesem Band als Anhang enthalten.
Christopher Tolkien starb 2020 im Alter von 95 Jahren, nachdem er sich ein Leben lang intensiv mit den Chroniken von Mittelerde beschäftigt und das Erbe seines Vaters fast fünfzig Jahre lang akribisch gepflegt hatte. Das unvergleichliche wissenschaftliche Vermächtnis, das er zurücklässt, hat das Verständnis und die Wertschätzung der Leserinnen und Leser für das Buch, das 1997 zum beliebtesten Roman des 20. Jahrhunderts gewählt wurde und das heute – über eine Vielzahl von Medien – einen unbestrittenen Platz in der weltweiten populären Kultur einnimmt, unermesslich bereichert.
Ohne Christophers unermüdlichen Einsatz, seine Hingabe und sein Können wäre die Geschichte des Zweiten Zeitalters von Mittelerde niemals erzählt worden.
J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe hatte seine Grundlage in dem Buch, das wir heute als Das Silmarillion kennen und das 1977 in der akribischen und einfühlsamen Zusammenstellung durch seinen Sohn Christopher der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Der Band fasste die gesamte Schöpfung Mittelerdes und seinen Übergang von einem Zeitalter der Mythen zu einer Zeit zusammen, in der Geschichten zu Geschichte werden – inspiriert, wie der Autor sagen würde, von seiner »grundsätzlichen Leidenschaft … für Mythen (nicht Allegorien!) und Märchen, vor allem, auf dem schmalen Grat zwischen Mär und Historie, für Heldensagen, von denen es auf der Welt für meinen Appetit viel zu wenig (mir Zugängliches) gibt«.
Im Jahre 1951, lange vor der Veröffentlichung des Silmarillion mit seinen Erzählungen aus dem Ersten Zeitalter von Mittelerde – und sogar noch bevor Der Herr der Ringe in die Hände eines Lesepublikums gelangte – schrieb Tolkien an Milton Waldman, einen ihm wohlgesinnten Lektor, über das Ausmaß seiner Ambitionen als Geschichtenerzähler:[1]
Lachen Sie nicht! Es gab aber eine Zeit (seither bin ich längst kleinlauter geworden), da hatte ich vor, eine Sammlung von mehr oder weniger zusammenhängenden Sagen zu schaffen, die von den großen, kosmogonischen bis hin zum romantischen Märchen reichen sollten – die größeren auf den kleineren aufruhend, den Boden berührend, die kleineren um den Glanz des weiten Hintergrundes bereichert –, ein Werk, das ich einfach meinem Lande, England, widmen könnte. Es sollte im Ton und Charakter so sein, wie ich es mir wünschte, ein wenig kühl und klar, mit einem heimischen »Anhauch« (vom Himmel und der Erde des Nordwestens, das heißt Englands und der hiesigen Teile Europas, nicht Italiens oder der Ägäis und schon gar nicht des Ostens); und zwar sollte es (wenn mir dies gelänge) die helle, ungreifbare Schönheit besitzen, die manchmal »keltisch« genannt wird, obwohl sie sich in echten altkeltischen Dingen nur selten findet, aber doch »erhaben« sein, vom Niedrigen gereinigt und dem erwachseneren Geiste eines lange in Poesie gewiegten Landes gemäß. Ich wollte manche der großen Erzählungen ganz ausführen, für viele andere aber nur ihren Platz im Zusammenhang bestimmen und es bei Skizzen belassen. Die Zyklen sollten zu einem majestätischen Ganzen verbunden sein und doch für andere Geister und Hände Raum lassen, die Farbe, Musik und Bewegung hinzutun könnten. Absurd!
Ambitioniert, gewiss, aber – zum Glück für uns –, nicht so absurd, wie Tolkien es sich in seinen frustrierten und zweifelnden Momenten vorstellte, und es war ein Konzept, zu dem er immer wieder zurückkehrte und das er zielstrebig verfolgte, auch wenn sein Vorgehen dem eines Wanderers auf der Reise entsprach: Er eignete sich Sprachen an, fertigte Karten und war immer bereit, den Hauptpfad seiner Erzählung zu verlassen, um malerische oder gefährliche Nebenwege zu erkunden, bevor er wieder auf die große Straße zurückkehrte – was zweifellos erklärt, warum sich das Bild der »Straße« mit all ihren zahlreichen Windungen und Kehren durch sein gesamtes Werk zieht.
Tolkien gab bereitwillig zu, dass er sein »absurdes« Projekt nicht »mit einem Male« erdacht und entwickelt hatte, sondern dass es sich auf eine Art und Weise zusammengefügt hatte, die einen der Gründe für die ganz besondere Wirkung aufzeigt, welche sein Werk auf eine Leserschaft über Kontinente und Kulturen hinweg haben sollte – und immer noch hat. »Die Hauptsache«, schrieb er, »waren die Geschichten selbst. Sie kamen mir in den Sinn wie vorgegebene Stoffe, und so wie sie kamen, jede für sich, wuchsen auch die Verknüpfungen. Eine Arbeit, in der man ganz aufgehen konnte, obwohl sie immer wieder unterbrochen wurde (besonders deshalb, weil, von den Notwendigkeiten des Lebens ganz abgesehen, der Verstand immer wieder zum andern Pol hinflatterte und sich am Sprachlichen verausgabte); und doch behielt ich immer das Gefühl, etwas aufzuzeichnen, das irgendwo schon ›da‹ war – nicht zu ›erfinden‹.«
Vielleicht liegt die Kraft jeder großen Literatur in diesem kühnen Moment aufgeschobener Ungläubigkeit. Tolkiens Verweis auf das »Sprachliche« ist der Schlüssel zu diesem schöpferischen Prozess, denn seine Liebe zu und sein großes Wissen über Sprachen verleihen den fiktionalen Werken eine historische Dimension. Er schrieb:
Viele Kinder denken sich, zumindest in Ansätzen, eine imaginäre Sprache aus. Ich habe mich damit abgegeben, seit ich schreiben konnte. Aber ich habe nie wieder aufgehört, und natürlich, als Fachphilologe (mit besonderen Interessen an sprachlicher Ästhetik) habe ich dann einen anderen Geschmack entwickelt, mich im Theoretischen und vermutlich auch im Handwerklichen verbessert. Hinter meinen Geschichten steht heute ein Nexus von Sprachen (die meisten davon nur in den Grundzügen umrissen). Aber denjenigen Geschöpfen, die ich auf Englisch irreführenderweise Elves nenne, sind zwei verwandte Sprachen zugeordnet, die vollständiger durchgebildet sind, deren Geschichte geschrieben wird und deren (zwei verschiedene Seiten meines eigenen Sprachgeschmacks verkörpernde) Formen wissenschaftlich von einem gemeinsamen Ursprung hergeleitet werden. Aus diesen Sprachen sind fast alle in meinen Legenden auftretenden Namen gebildet. Dies gibt der Nomenklatur, oder wenigstens glaube ich’s, einen gewissen Charakter (Zusammenhalt, Stimmigkeit des Sprachstils, eine Illusion von Historizität), etwas, woran es anderen, vergleichbaren Sachen merklich fehlt.
Die vorausgehenden Bemerkungen waren die Vorrede zu seinem Versuch, einen Überblick über die Ereignisse zu geben, die in seinem komplexen Legendarium aufgezeichnet sind und die sich in dem langen Zeitalter abspielen, das jenem vorausgeht, welches im vorliegenden Band dargestellt wird.
Die Zyklen beginnen mit einem kosmogonischen Mythos: der Musik der Ainur. Gott und die Valar … treten auf. Die Letzteren sind, wie wir sagen würden, engelhafte Mächte, mit der Aufgabe, in ihrer jeweiligen Sphäre eine delegierte Autorität auszuüben … Sie sind »göttlich«, das heißt, sie befanden sich ursprünglich »außerhalb« der Welt und existierten schon, »bevor« sie erschaffen wurde.
Diese Schöpfungsgeschichte mündet dann in die Haupthandlung, wie Tolkien dies in seinem Brief beschrieben hat:
Es geht dann schnell weiter mit der Geschichte der Elben oder dem eigentlichen Silmarillion. Damit kommen wir in die Welt, so wie wir sie sehen, aber natürlich transfiguriert in einem noch immer halb mythischen Modus: Das heißt, die Geschichte handelt von leibhaftigen und vernünftigen Wesen, an Gestalt mehr oder weniger vergleichbar mit uns selbst … Sie sind die Erstgeborenen, die Elben, und die Nachkömmlinge, die Menschen. Den Elben ist es beschieden, unsterblich zu sein, die Schönheit der Welt zu lieben, sie mit ihren Gaben des Verfeinerns und Vervollkommnens zur höchsten Blüte zu bringen, zu dauern, solange sie dauert, und sie niemals zu verlassen, nicht einmal, wenn sie »erschlagen« werden, sondern wiederzukehren – und dennoch, wenn die Nachkömmlinge erscheinen, diese zu belehren und ihnen Platz zu machen, zu »schwinden«, während die Nachkömmlinge anwachsen und das Leben an sich reißen, aus dem beide Arten [Elben und Menschen] hervorgehen. Das Schicksal (oder die Gabe) der Menschen ist die Sterblichkeit, die Freiheit von den Kreisen der Welt …
Ihre Eigenart und Besonderheit gegenüber allem Ähnlichen, das ich kenne, haben die Legenden des Silmarillion darin, dass im Zentrum des Blickfeldes und des Interesses nicht die Menschen, sondern die »Elben« stehen. Menschen kommen unvermeidlich auch vor: Schließlich ist ja der Verfasser ein Mensch, und sein Publikum, wenn er eines hat, werden Menschen sein. Menschen müssen also in unsere Erzählungen mit hinein, und zwar als solche, nicht nur transfiguriert oder partiell dargestellt als Elben, Zwerge, Hobbits usw. Aber sie bleiben peripher – die verspäteten Nachkömmlinge, und so sehr sie auch an Bedeutung gewinnen, werden sie doch nicht zu Hauptfiguren.
Der Hauptteil der Erzählung, das eigentliche Silmarillion, handelt vom Sündenfall des begabtesten unter den Elbenvölkern, seinem Auszug aus Valinor (eine Art Paradies, die Heimstatt der Götter) im fernsten Westen, von der Rückkehr nach Mittelerde, dem Geburtsland der Elben, das lange vom Feind beherrscht wurde, und von ihrem Hader mit ihm, der damals noch sichtbaren Inkarnation des Bösen. Seinen Namen hat das Buch von den Silmarilli (»Strahlen des reinen Lichts«) oder Urjuwelen …, aber die Silmarilli waren nicht bloß schöne Dinge als solche. Sie waren das Licht. Das Licht von Valinor wurde sichtbar gemacht in den Zwei Bäumen, einem silbernen und einem goldenen.[2] Diese wurden vom Feind aus Bosheit getötet, und in Valinor wurde es dunkel, doch ehe sie ganz abgestorben waren, wurde von ihnen das Licht für die Sonne und den Mond entnommen. (Ein deutlicher Unterschied zwischen diesen Legenden und den meisten anderen ist hier, dass die Sonne kein göttliches Symbol ist, sondern nur etwas Zweitbestes, und das »Sonnenlicht« (die Welt unter der Sonne) wird zum Ausdruck für eine gefallene Welt und eine gestörte, unvollkommene Sichtweise.[3]
Aber der größte Künstler unter den Elben (Feanor) hatte das Licht von Valinor in den drei edelsten Steinen, den Silmarilli, eingefangen, bevor noch die Bäume besudelt oder getötet wurden. Dieses Licht lebt also hernach nur noch in diesen Juwelen. Sie fallen dem Feind in die Hände, werden in seine Eisenkrone gefasst und in seiner uneinnehmbaren Festung bewacht. Feanors Söhne schwören einen furchtbaren und blasphemischen Eid auf Feindschaft und Rache gegen alle und jeden, sogar die Götter, wenn sie es wagen, irgendeinen Anspruch auf die Silmarilli zu erheben. Sie verführen den größten Teil ihres Volkes, der sich gegen die Götter auflehnt und aus dem Paradies auszieht in einen hoffnungslosen Krieg gegen den Feind. Die erste Frucht ihres Falles ist ein Krieg im Paradies, wo Elben von Elben erschlagen werden. Dies und ihr böser Eid verfolgt sie bei all ihren späteren Heldentaten, ruft Verrat hervor und macht alle Siege zunichte. Das Silmarillion ist die Geschichte des Krieges, den die aus dem Paradies verbannten Elben gegen den Feind führen; alles spielt sich im Nordwesten der Welt ab (in Mittelerde). Mehrere Erzählungen von Siegen und Tragödien sind darin eingebunden, aber alles endet mit einer Katastrophe und mit dem Hinscheiden der Alten Welt, der Welt des langen Ersten Zeitalters. Die Edelsteine werden am Ende (durch Eingreifen der Götter) zurückgewonnen, aber nur um den Elben für immer verloren zu gehen, der eine im Meer, der zweite in den Tiefen der Erde und der dritte als ein Stern am Himmel. Dieses Legendarium endet mit einem Gesicht vom Untergang der Welt, wobei sie zertrümmert und umgestaltet wird, und mit dem Rückgewinn der Silmarilli und des »Lichts vor der Sonne« …
Wenn die Erzählungen weniger mythisch werden und mehr den Charakter von Romanen und Abenteuergeschichten gewinnen, treten auch Menschen auf. Zum größten Teil sind dies »gute Menschen«: Familien mit ihren Oberhäuptern, die gerüchtweise von den Göttern im Westen und den Hochelben gehört haben und dem Bösen den Dienst verweigern; sie fliehen westwärts und kommen mit den verbannten Elben in Berührung, die sich mitten in ihrem Kriege befinden. Die Menschen, die auftreten, gehören zumeist den Drei Häusern der Menschenväter an, deren Oberhäupter sich mit den Elbenfürsten verbinden. Die Bekanntschaft zwischen Menschen und Elben deutet schon auf die Geschichte der späteren Zeitalter voraus, und ein wiederkehrendes Thema ist der Gedanke, dass in den Menschen (so wie sie heute sind) ein Tropfen jenes »Blutes« steckt, das von den Elben ererbt ist, dass Kunst und Poesie der Menschen weitgehend von diesem Erbe zehren oder davon abhängig sind.[4] Es werden daher zwei Ehen zwischen Elben und Sterblichen geschlossen, deren Linien später in den Nachkommen Earendils zusammengeführt werden, repräsentiert durch Elrond, den Halb-Elben, der in allen Geschichten auftritt, sogar im Hobbit.
Die wichtigste Geschichte im Silmarillion und die am ausführlichsten behandelte ist die Geschichte von Beren und Lúthien, dem Elbenfräulein. Hier begegnet uns unter anderem das erste Beispiel für das (mit den Hobbits dann beherrschend werdende) Motiv, dass bei den großen Entscheidungen der Weltgeschichte, »im Räderwerk der Welt«, oft nicht die Großen und Mächtigen, nicht einmal die Götter den Ausschlag geben, sondern die scheinbar Schwachen und Namenlosen – aufgrund des geheimen Lebens in der Schöpfung und desjenigen Teils in ihr, das allem Wissen außer dem des Einen unzugänglich bleibt und durch das auch schon der Eintritt der Kinder Gottes in das Drama bewirkt wurde. Gerade Beren, ein geächteter Sterblicher, erreicht (mit Hilfe Lúthiens, die bloß ein Mädchen ist, wenn auch eine Elbin von königlicher Abstammung), was all den Heeren und Kriegern misslungen ist: Er dringt ein in die Burg des Feindes und raubt ihm einen der Silmaril aus der Eisenkrone. Damit gewinnt er Lúthiens Hand, und erstmals wird Sterbliches mit Unsterblichem vermählt.
Als solche ist die Geschichte eine (wie ich finde, starke und schöne) heroisch-märchenhafte Abenteuergeschichte, für sich allein verständlich, bei nur ganz allgemeiner und vager Kenntnis des Hintergrundes. Aber zugleich ist sie ein Bindeglied, tief eingelassen in den Zyklus, in dem sie erst ihre volle Bedeutung erhält. Denn der Raub des Silmaril, ein strahlender Sieg, führt zur Katastrophe. Der Eid, den die Söhne Feanors geschworen haben, tritt wieder in Kraft, und die Gier nach dem Silmaril stürzt alle Elbenkönigreiche ins Verderben.
Aus der Vermählung von Beren und Lúthien Tinúviel ging die Linie der Halb-Elben hervor, zu der später nicht nur Elrond, der Herr von Bruchtal, sondern auch sein Zwillingsbruder Elros gehörte, der erste König von Númenor. Die Idee einer Verbindung zwischen einem Menschen und einer Frau aus dem Elbenvolk spiegelt sich in einer späteren Generation bei Aragorn und Arwen wider. Tolkien fährt fort:
Es gibt noch andere, ebenso ausführlich erzählte Geschichten, die ebenso selbstständig und doch mit der Gesamthandlung verbunden sind. Eine ist Die Kinder Húrins, die tragische Erzählung von Túrin Turambar und seiner Schwester Níniel, deren Held Túrin ist … Eine andere ist Der Fall von Gondolin, der wichtigsten Elbenfestung.[5] Ferner die Erzählung oder die Erzählungen von Earendil dem Wanderer. Er ist wichtig als derjenige, der das Silmarillion zum Ende bringt und der durch seine Nachkommen die Hauptverbindungen zu den Erzählungen der späteren Zeitalter und den Personen in ihnen herstellt. Als Vertreter und Abgesandter beider Geschlechter, der Elben wie der Menschen, hat er die Aufgabe, einen Seeweg zurück ins Land der Götter zu suchen und diese zu erneutem Nachdenken über das Schicksal der Verbannten zu bewegen, sie um Erbarmen und um Rettung vor dem Feinde zu bitten. Seine Gemahlin Elwing stammt von Lúthien ab und besitzt noch immer den Silmaril. Aber der Fluch wirkt fort, und Earendils Haus wird von Feanors Söhnen vernichtet. Daraus aber erwächst die Lösung: Elwing, die sich ins Meer stürzt, um den Edelstein zu retten, kommt zu Earendil, und mit der Kraft des großen Steines gelangen sie schließlich nach Valinor und erfüllen ihren Auftrag – um den Preis, dass sie nie wieder zurückkehren und nie mehr unter Elben oder Menschen wohnen dürfen. Nun greifen die Götter wieder ein, eine große Heeresmacht zieht aus Westen heran, und die Burg des Feindes wird zerstört, er selbst aus der Welt in die Leere verstoßen, von wo er nie wieder in leibhaftiger Gestalt zurückkehren darf. Die beiden verbleibenden Silmaril werden aus der Eisenkrone genommen – nur um gleich wieder verloren zu gehen. Die beiden letzten Söhne Feanors, ihrem Eid gehorchend, stehlen sie und werden von ihnen vernichtet: Einer stürzt sich mit dem seinen ins Meer, der andere in die Tiefen der Erde. Der letzte Silmaril schmückt Earendils Schiff und wird mit diesem als hellster Stern an den Himmel gesetzt. So enden Das Silmarillion und die Erzählungen aus dem Ersten Zeitalter.
In den Anhängen zum Herr der Ringe von 1955 schrieb J. R. R. Tolkien über das Zweite Zeitalter: »Für die Menschen von Mittelerde waren dies die dunklen Jahre, für Númenor aber die Blütezeit.«[1] In dem Text, den Christopher Tolkien als den ersten Versuch seines Vaters bezeichnete, ein »Zeitschema« aufzustellen (woraus später die Zeittafel »Die Jahre der Westlande« wurde), beschrieb Tolkien das Zweite Zeitalter als »die ›Schwarzen Jahre‹ oder das Zeitalter zwischen der Großen Schlacht und der Niederwerfung Morgoths und dem Untergang von Númenor und dem Sturz Saurons«.[2]
Diese dramatischen Zeiten und insbesondere die monumentale Tragödie von Númenor – Aufstieg zu Größe, mündend in Fall und Zerstörung – sollten einen wesentlichen Bestandteil der Geschichte von Mittelerde bilden und führten zudem zur physischen Neugestaltung der gesamten Welt: eine dramatische Geschichte, die ein mächtiges und weitreichendes Vorspiel zum großen Drama des Ringkriegs darstellt.
Die Geschichte beginnt in den letzten Tagen des Jahres 587 des Ersten Zeitalters:
In der Großen Schlacht und nach dem Einsturz Thangorodrims wurde die Erde von gewaltigen Unruhen heimgesucht, und Beleriand zerbrach und wurde verwüstet. Im Norden und Westen versanken viele Länder in den Wassern des Großen Meeres. Im Osten, in Ossiriand, brachen die Wälle der Ered Luin, und nach Süden zu entstand eine große Lücke, und ein Golf des Meeres strömte hinein. In diesen Golf ergoss sich in einem neuen Lauf der Fluss Lhûn, und daher wurde er der Golf von Lhûn genannt. Dieses Land hatten die Noldor [vom zweiten Geschlecht der Elben] einst Lindon genannt, und diesen Namen behielt es.[3]
Am Ende des Ersten Zeitalters hielten die Valar Rat, und die Eldar in Mittelerde bekamen »nicht geradezu den Befehl, aber doch die dringende Aufforderung …, in den Westen zurückzukehren und dort in Frieden zu leben«.[4]
Jene, die dem Ruf folgten, wohnten auf der Insel Eressea[5]; und dort ist ein Hafen, Avallóne[6] genannt, denn von allen Städten ist dieser Valinor am nächsten, und der Turm von Avallóne ist das Erste, was der Seemann erblickt, wenn er sich übers weite Meer endlich den Landen der Unsterblichen nähert.[7]
Nicht alle Elben folgten dem Ruf der Valar; einige verweilten noch in Mittelerde und »zögerten, Beleriand zu verlassen, wo sie so lange gekämpft und gewirkt hatten. Gil-galad, Fingons Sohn, war ihr König, und bei ihm war Elrond der Halb-Elb, Sohn Earendils des Seefahrers und Bruder von Elros, dem ersten König von Númenor.«[8]
Hierzu schrieb Tolkien in seinem Brief an Milton Waldman von 1951: »[Hier] erleben wir eine Art zweiten Sündenfall oder zumindest einen ›Fehler‹ der Elben. Es war zwar nicht unentschuldbar, dass sie sich, entgegen der an sie ergangenen Aufforderung, noch wehmütig ob …1, von den sterblichen Landen ihrer alten Heldentaten nicht trennen konnten. Aber sie wollten den Spatz in der Hand und die Taube auf dem Dach zugleich. Sie wollten den Frieden, die Glückseligkeit und die ungetrübte Erinnerung an ›den Westen‹, zugleich aber auf ihrem gewohnten Boden bleiben, wo sie als die Edelsten über den wilden Elben, den Zwergen und den Menschen ein höheres Ansehen genossen als auf der untersten Stufe der Hierarchie von Valinor. Daher lässt sie die Sorge um das ›Schwinden‹ nicht mehr los, als das sie die Wandlungen der Zeit auffassen (das Gesetz dieser Welt unter der Sonne). Sie werden ein wehmütiges Volk, ihre Kunst (könnten wir sagen) wird antiquarisch, und all ihr Trachten geht nun im Grunde auf eine Art Einbalsamierung – wobei sie aber auch das alte Motiv ihrer Art bewahren, nämlich die Erde zu schmücken und ihre Wunden zu heilen. Wir hören von einem Königreich der Säumigen unter Gil-galad, im mehr oder weniger äußersten Nordwesten dessen, was von den alten Landen des Silmarillion noch übrig bleibt.«[9]
Zu Beginn dieses Zeitalters waren noch viele Hochelben in Mittelerde. Von diesen lebten die meisten in Lindon, westlich der Ered Luin; doch von den Sindar zogen viele nach Osten, bevor Barad-dûr erbaut wurde; und manche gründeten Reiche in den entlegenen Wäldern, unter einem Volk, das hauptsächlich aus Waldelben bestand. König Thranduil im Norden des Großen Grünwalds war einer von diesen. In Lindon nördlich des Lhûn wohnte Gil-galad, der letzte Erbe der Noldorkönige im Exil. Er wurde als Hoher König der Elben des Westens anerkannt. In Lindon südlich des Lhûn wohnte eine Zeitlang Celeborn, ein Verwandter Thingols; seine Gattin war Galadriel, die größte aller Elbinnen. Sie war die Schwester Finrod Felagunds, einst König von Nargothrond, der ein Freund der Menschen war und sein Leben geopfert hatte, um Beren, Barahirs Sohn, zu retten.
Manche Noldor zogen später nach Eregion, an der Westseite des Nebelgebirges und nah am Westtor von Moria, weil sie erfahren hatten, dass in Moria Mithril gefunden worden war. Die Noldor waren große Handwerker und mit den Zwergen nicht so zerstritten wie die Sindar; doch die Freundschaft, die dort zwischen Durins Volk und den elbischen Schmieden von Eregion entstand, war die engste, die es zwischen den beiden Rassen je gab. Herr von Eregion und sein größter Schmied war Celebrimbor, der von Feanor abstammte.[10]
[Galadriel ging] nach Melkors [Morgoths] Fall nicht in den Westen, sondern überquerte mit Celeborn die Ered Lindon und kam nach Eriador. Als sie diese Gegend betraten, befanden sich zusammen mit Grau-Elben und Grün-Elben viele Noldor in ihrem Gefolge; und eine Zeit lang wohnten sie in dem Land um den See Nenuial (Evendim im Norden des Auenlands). Celeborn und Galadriel wurden schließlich als Herr und Herrin der Eldar in Eriador angesehen, eingeschlossen die umherziehenden Gruppen nandorischen Ursprungs, die nie nach Westen über die Ered Lindon gezogen und nach Ossiriand gekommen waren.[11]
[Von Galadriel heißt es,] sie besaß Stärke des Körpers, des Geistes und des Willens und kam in den Tagen ihrer Jugend den Gelehrten und Athleten der Eldar gleich. Sogar unter den Eldar galt sie als schön, und ihr [goldenes] Haar hielt man für ein unvergleichliches Wunder … Die Eldar sagten, dass das Licht der zwei Bäume, Laurelin und Telperion, in den Flechten ihres Haares eingefangen worden sei … Seit ihrer Jugend besaß sie die wundersame Gabe, in den Herzen anderer zu lesen, doch sie beurteilte sie mit Erbarmen und Verständnis.[12]
Im Bericht über den Aufenthalt der Ringgefährten in Caras Galadhon im Februar des Jahres 3019 des Dritten Zeitalters finden wir folgende Beschreibung Celeborns und Galadriels:
Den Raum erfüllte ein sanftes Licht; die Wände waren grün und silbern, die Decke golden. Viele Elben saßen hier. Vor dem Baumstamm auf zwei Thronsesseln, mit einem lebenden Zweig als Baldachin darüber, saßen Celeborn und Galadriel Seite an Seite. Sie standen auf, um ihre Gäste zu begrüßen, wie es sich nach elbischer Sitte auch für jene schickte, die als mächtige Könige galten. Sehr groß waren sie beide, Frau Galadriel nicht minder als Herr Celeborn, sehr schön und würdevoll. Gekleidet waren sie ganz in Weiß; das Haar der hohen Frau war wie dunkles Gold, das des Herrn Celeborn lang und silbrig hell. Kein Zeichen ihres Alters war zu erkennen, es sei denn in der Tiefe ihrer Augen, die scharf blickten wie Lanzen im Sternenschein und doch unergründlich waren, Brunnen uralter Erinnerung.[13]
In Nachrichten aus Mittelerde meinte Christopher Tolkien: »Kein Abschnitt in der Geschichte Mittelerdes ist reicher an Problemen als die Geschichte von Galadriel und Celeborn«, und Leser, die diese Geschichte besser verstehen wollen, sollten »Die Geschichte von Galadriel und Celeborn« lesen, Christophers umfangreiche Abhandlung zu diesem Thema, die im Teil 2 jenes Buches enthalten ist.[14]
An den Ufern des Golfs von Lhûn erbauten die Elben ihre Häfen und nannten sie Mithlond, die Grauen Anfurten, und dort lagen viele Schiffe, denn der Ankerplatz war sicher. Von den Grauen Anfurten aus setzten von Zeit zu Zeit manche der Eldar Segel, um die dunklen Zeiten der Erde zu fliehen. Denn den Erstgeborenen hatten die Valar die Gunst gewährt, dass sie noch immer den Geraden Weg nehmen und, wenn sie wollten, zu ihrem Volk in Eressea und Valinor heimkehren könnten, jenseits der umzingelnden Meere.[15]
Am Ende des Ersten Zeitalters, als die Eldar aufgefordert wurden, übers Meer in den Westen zu fahren, wurde Elros und Elrond, den Söhnen Earendils, ein anderes Schicksal zuteil: Sie stammten aus einer Verbindung zwischen dem Elben- und dem Menschengeschlecht und waren als Peredhil oder Halb-Elben bekannt. Die Valar stellten sie vor »eine unwiderrufliche Entscheidung, welchem der beiden Geschlechter sie angehören wollten«.[16]
Elrond entschied sich für die Elben und wurde ein Weiser. Ihm wurde daher dieselbe Gunst gewährt wie denjenigen Hochelben, die noch immer in Mittelerde verweilten: dass er, wenn er schließlich der Sterblichen Lande müde würde, bei den Grauen Anfurten zu Schiff gehen und in den Äußersten Westen fahren könne; und dies galt auch nach der Wandlung der Welt. Elronds Kinder wurden ebenfalls vor die Wahl gestellt: entweder mit ihm aus den Kreisen der Welt zu scheiden oder aber, wenn sie blieben, sterblich zu werden und in Mittelerde den Tod zu erwarten. Für Elrond war daher jeder mögliche Ausgang des Ringkriegs schmerzlich.
Elros entschied sich für das Menschengeschlecht und blieb unter den Edain; doch wurde ihm ein langes Leben gewährt, viele Male länger als das gewöhnlicher Menschen.[17]
Die Valar, die »Hüter der Welt«, die von Eru Ilúvatar, dem allmächtigen transzendenten Schöpfer, beauftragt worden waren, die Welt zu formen und zu regieren, sorgten sich auch um das Schicksal der Menschen, der Edain, wie sie in der Sindarin-Sprache der Elben genannt wurden. Die Stämme der Menschen, die zu Freunden und edlen Verbündeten der Elben geworden waren und ihnen im Kampf gegen Mordor zur Seite standen, gehörten drei Häusern an: dem Haus Beor, bekannt als das erste Haus der Edain; dem Haus Haleth, dem zweiten Haus, auch bekannt als das Volk Haleths, die Haladin; und dem dritten Haus, dem Volk Marachs, das später allgemein als das Haus Hador bezeichnet wurde. Die Geschichte ihres Lebens und ihrer Taten während des Ersten Zeitalters wird im Silmarillion erzählt.[2]
Die Valar hielten Rat und beschlossen, den Edain eine Möglichkeit zu bieten, »allen Gefahren Mittelerdes« zu entkommen.[3] Mit Hilfe der Maiar, urzeitlichen Geistwesen »von gleicher Art wie die Valar, doch minderen Ranges, … ihre Diener und Gehilfen«[4], ließen die Valar die Insel Númenor entstehen.
Auch den Vätern der Menschen aus den drei getreuen Häusern wurde reicher Lohn zuteil. Eonwe[5] kam zu ihnen und lehrte sie, und sie empfingen Weisheit und Macht und ein längeres Leben, als es je andere von sterblicher Art genossen. Ein Land wurde geschaffen, wo die Edain wohnen sollten und das weder zu Mittelerde noch zu Valinor gehörte, denn von beiden war es durch ein weites Meer geschieden; doch näher lag es bei Valinor. Es wurde von Osse[6] aus den Tiefen des Großen Wassers emporgehoben, von Aule[7] verankert und von Yavanna[8] geschmückt, und die Eldar brachten aus Tol Eressea Blumen und Brunnen herbei. Dies Land nannten die Valar Andor, das Land des Geschenks[9]; und hell leuchtete Earendils Stern im Westen, zum Zeichen, dass alles bereit sei, und als Wegweiser über die See; und die Menschen bestaunten die silberne Flamme auf der Fährte der Sonne.[10]
Da segelten die Edain auf die tiefen Wasser hinaus, dem Stern nach;[11] und die Valar geboten der See Frieden, viele Tage lang, und schickten Sonnenschein und guten Fahrtwind, dass die Wasser den Edain vor den Augen glitzerten wie flüssiges Glas, und die Gischt flog wie Schnee um den Bug ihrer Schiffe. So hell aber war Rothinzil[12], dass die Menschen ihn selbst morgens im Westen leuchten sahen, und in der wolkenlosen Nacht schien er ganz allein, denn kein anderer Stern konnte neben ihm bestehen. Nach ihm bestimmten die Edain ihren Kurs über das weite Meer, und endlich sahen sie im Westen das Land, das ihnen bereitet war, Andor, das Land des Geschenks, wie es in goldenem Dunste schimmerte. Sie legten an und fanden ein mildes, fruchtbares Land und waren froh. Und sie nannten das Land Elenna, was »Sternwärts« bedeutet, aber auch Anadûnê, das heißt »Westernis«, Númenóre in der Sprache der Hoch-Elben.
Dies war der Ursprung jenes Volkes, das im Grauelbischen die Dúnedain heißt: das Volk der Númenórer, der Könige unter den Menschen. Dem Schicksal des Todes aber, das Ilúvatar über das ganze Menschengeschlecht verhängt hatte, entgingen sie nicht, obgleich sie lange lebten und keine Krankheit kannten, ehe der Schatten auf sie fiel. So erlangten sie Weisheit und Ruhm und waren in allen Dingen den Erstgeborenen ähnlicher als den andren Menschenvölkern; sie waren von hohem Wuchs, größer als die größten unter den Söhnen von Mittelerde, und ihre Augen schimmerten hell wie die Sterne. Doch ihre Anzahl vermehrte sich im Lande nur langsam, denn zwar wurden ihnen Töchter und Söhne geboren, die noch schöner waren als ihre Eltern, aber es blieben wenige.[13]
Eine ausführlichere Darstellung der Ankunft der Menschen von Mittelerde in dem für sie bestimmten Land und der Zeitspanne, die für die Wanderung benötigt wurde, lautet wie folgt: