Nachrichten aus Mittelerde - J.R.R. Tolkien - E-Book

Nachrichten aus Mittelerde E-Book

J.R.R. Tolkien

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Beschreibung

Verstreute Nachrichten, vergessen geglaubte Geschichten aus Mittelerde und von der Insel Numénor - eine Fundgrube für Tolkien-Leser. J.R.R. Tolkien hat die verstreuten Nachrichten aus Mittelerde und der Insel Númenor gesammelt, und sein Sohn Christopher hat sie chronologisch geordnet, mit Kommentaren versehen, Verweise und eventuelle Widersprüche zum »Herrn der Ringe« und dem »Silmarillion« notiert und so ein umfangreiches Geschichtenbuch zusammengestellt, eine Fundgrube für jeden Kenner Mittelerdes. »Die meisten 'Nachrichten' sind in sich geschlossene Geschichten, bestechend durch ihre kaum gezügelte Phantasie, durch den Sprachduktus, der an den Singsang alter Beschwörungsformeln erinnert. Daß dieser in der Übersetzung erhalten geblieben ist, kann man gar nicht genug bewundern. Und noch etwas vermitteln die »Nachrichten aus Mittelerde«: Tolkiens Traum vom Sieg der Vernunft, vom Glück in einer wiedergefundenen kosmischen Harmonie. Ein Materialienbuch, das keines ist; eine Erzählsammlung mit Lücken und Brüchen; Fragmente, die zu Geschichten werden - eben ein Tolkien, der um den Leser magische Kreise zieht.« Gudrun Ziegler

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Seitenzahl: 1097

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J. R. R. Tolkien

herausgegeben von Christopher Tolkien

NACHRICHTEN AUS MITTELERDE

Mit Einleitung, Kommentar, Register und Karten

Aus dem Englischen übersetzt von Hans J. Schütz

hobbit-presse

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.klett-cotta.de/​hobbitpresse

Hobbit PresseDie Originalausgabe erschien unter dem Titel »Unfinished Tales of Númenor andMiddle-earth« im Verlag George Allen & Unwin Ltd., London© 1980 by Allen & Unwin Ltd.Published by arrangement with Harper Collins Ltd., LondonCopyright © The J.R.R. Tolkien Trust 1980and Christopher Tolkien® und Tolkien® sind eingetragene Markenzeichen derThe J.R.R. Tolkien Estate LimitedFür die deutsche Ausgabe© 1983/2012 by J. G. Cotta’sche BuchhandlungNachfolger GmbH, gegr. 1659, StuttgartAlle deutschsprachigen Rechte vorbehaltenCover: Stefan Hilden, www.hildendesign.deIDatenkonvertierung: Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung StuttgartE-Book: ISBN 978-3-60-810303-8E-Book basiert auf der 11. Auflage 2012 der Printausgabe mit der ISBN 978-3-608-93975-0

EINLEITUNG

Die Probleme, denen sich jemand gegenübersieht, dem die Verantwortung für den Nachlass eines Autors übertragen ist, sind schwer zu lösen. In dieser Situation mag sich mancher dafür entscheiden, überhaupt keine Texte zur Veröffentlichung freizugeben, ausgenommen vielleicht solche, die zum Zeitpunkt des Todes des Autors tatsächlich abgeschlossen waren.

Im Falle der unveröffentlichten Werke J. R. R. Tolkiens könnte dieses Verfahren auf den ersten Blick angemessen erscheinen, zumal Tolkien selbst, als besonders strenger Kritiker des eigenen Werkes, nicht im Traum daran gedacht hätte, der Veröffentlichung selbst nahezu abgeschlossener Erzählungen ohne weitere Überarbeitung zuzustimmen.

Auf der anderen Seite will es mir scheinen, als verliehen die Eigenart und der geistige Horizont seiner Erfindungskraft sogar seinen verworfenen Geschichten eine Sonderstellung. So stand für mich außer Frage, dass Das Silmarillion nicht unveröffentlicht bleiben durfte, ungeachtet seines ungeordneten Zustandes und trotz der bekannten, wenn auch nicht ausgeführten Pläne meines Vaters zu seiner Umarbeitung. In diesem Falle wagte ich es nach langem Zögern, das Werk nicht in Form einer historischen Studie, als Komplex voneinander abweichender, durch Kommentare verbundener Texte herauszubringen, sondern als ein vervollständigtes, zusammenhängendes Gebilde. Die Erzählungen dieses Bandes stehen freilich insgesamt in einem anderen Verhältnis zueinander: zusammengenommen ergeben sie kein Ganzes. Dieses Buch ist nichts anderes als eine Sammlung von Texten, unterschiedlich in Form, Intention, Ausführung und Entstehungszeit (und auch in der Bearbeitung durch mich), die Númenor und Mittelerde zum Gegenstand haben. Doch der Grund zu ihrer Veröffentlichung ist für mich im Prinzip der gleiche, der auch die Publikation des Silmarillion rechtfertigte, wenn er auch weniger gewichtig ist. Ich denke an jene, die nicht darauf verzichten möchten, die Gestalten Melkors und Ungolianths zu sehen, wie sie vom Gipfel Hyarmentirs hinabblicken auf Yavannas »Wiesen und Felder, Gold unter dem hohen Weizen der Götter«; auf die Schatten, die Fingolfins Heer beim ersten Mondaufgang im Westen wirft; auf Beren, der in Wolfsgestalt unter Morgoths Thron lauert; oder auf das Licht des Silmaril, das plötzlich in der Finsternis des Waldes von Neldoreth aufleuchtet – sie werden, glaube ich, feststellen, dass formale Mängel dieser Geschichten bei weitem aufgewogen werden durch die Stimme Gandalfs (die man hier zum letzten Mal hört), als er beim Treffen des Weißen Rates im Jahre 2851 den hochmütigen Saruman hänselt, oder wie er, nach dem Ende des Krieges um den Ring, in Minas Tirith erzählt, dass er die Zwerge zum berühmten Treffen nach Beutelsend sandte; durch das Auftauchen Ulmos, des Herrn der Wasser, aus dem Meer bei Vinyamar; durch Mablung aus Doriath, der sich »wie eine Wühlmaus« unter den Trümmern der Brücke bei Nargothrond verbarg; oder durch den Tod Isildurs, als er sich mühsam aus dem Schlamm des Anduin befreite.

Viele Texte dieser Sammlung sind Ausarbeitungen von Themen, die anderswo kürzer behandelt oder zumindest angedeutet wurden. Es muss zugleich gesagt werden, dass einiges in diesem Buch von Lesern des Herrn der Ringe als vielleicht kaum lesenswert empfunden werden wird. Sie begreifen die geschichtliche Struktur Mittelerdes nur als Hilfsmittel, nicht als Endzweck und verlieren über der Erzählung die ihr zugrunde liegende Absicht aus dem Auge. Sie spüren wenig Verlangen nach weiteren Untersuchungen um ihrer selbst willen. Sie wollen nicht wissen, wie die Reiter der Mark von Rohan organisiert waren, und belassen die Wilden Menschen aus dem Druadan-Wald ruhig dort, wo sie sie gefunden haben. Sicherlich hätte mein Vater nicht behauptet, diese hätten unrecht. In einem Brief vom März 1955, vor der Veröffentlichung des dritten Teils des Herrn der Ringe, schrieb er:

Ich wünsche mir jetzt, es wären keine Anhänge versprochen worden! Ich meine nämlich, dass ihr Erscheinen in gekürzter und gedrängter Form niemanden zufriedenstellen wird, mich selbst gewiss nicht; mit Sicherheit nicht jene – und das zeigt die wachsende Zahl von Briefen, die ich erhalte –, die einen solchen Apparat schätzen, und das sind erstaunlich viele. Jene wiederum, die das Buch nur als eine ›heroisch-phantastische Geschichte‹ genießen und meinen, ›unerklärte Perspektiven‹ seien ein Teil der literarischen Wirkung, werden die Anhänge völlig ignorieren.

Zurzeit bin ich mir überhaupt nicht sicher, ob die Neigung, das Ganze als eine Art ausgedehnten Spiels zu betrachten, wirklich zu begrüßen ist; gewiss nicht von mir, denn ich finde, dass diese Ansicht eine allzu gefährliche Verlockung ist. Es ist, nehme ich an, ein Tribut an die merkwürdige Wirkung einer Geschichte, die auf ausgiebigen und detaillierten Vorarbeiten zur Geographie, Chronologie und Sprache beruht, dass so viele nach reiner ›Information‹ oder ›überliefertem Wissen‹ verlangen.

In einem Brief aus dem folgenden Jahr schrieb er:

… während viele wie Sie Landkarten verlangen, geht es anderen weniger um Orte als um geologische Angaben. Viele wünschen sich Elbische Grammatiken, Lautlehren und Sprachproben, andere Vers- und Silbenlehren … Musiker wünschen sich Melodien und Notenschrift, Archäologen sind an Keramik und Hüttenkunde interessiert, Botaniker verlangen nach einer sorgfältigeren Beschreibung von mallorn, elanor, niphredil, alfirin, mallos und symbelmyne. Historiker wünschen mehr Einzelheiten über die soziale und politische Struktur Gondors; allgemein interessierte Frager wünschen Informationen über die Wagenfahrer, die Haradrim, die Herkunft der Zwerge, die Toten Menschen, die Beorninger und die fehlenden zwei Zauberer (von fünf).

Doch welchen Standpunkt man in dieser Frage immer einnehmen mag, für manche, zu denen ich mich auch zähle, liegt ein höherer Sinn als in der bloßen Enthüllung merkwürdiger Details darin, zu erfahren, dass Veantur aus Númenor sein Schiff Entulesse, die ›Wiederkehr‹, im sechshundertsten Jahr des Zweiten Zeitalters mit den Frühlingswinden zu den Grauen Anfurten brachte, dass das Grabmal Elendil des Langen von seinem Sohn Isildur auf dem höchsten Punkt des Heiligen Berges Halifirien errichtet wurde; dass der Schwarze Reiter, den die Hobbits in der nebligen Dunkelheit an der Bockenburg-Fähre sahen, Khamûl war, der Herr der Ringsklaven von Dol Guldur – oder gar, dass die Kinderlosigkeit Tarannons, des zwölften Königs von Gondor (eine Tatsache, die im Anhang zum Herrn der Ringe verzeichnet ist), mit den bis dahin völlig geheimnisvollen Katzen der Königin Berúthiel zusammenhängt.

Die Zusammenstellung des Buches ist sehr schwierig gewesen und hat zu einem ziemlich vielschichtigen Ergebnis geführt. Zwar sind die Erzählungen alle in gewissem Sinne ›unvollendet‹, jedoch in unterschiedlichem Maße und in verschiedener Bedeutung des Wortes, und sie haben eine unterschiedliche Behandlung erforderlich gemacht. Weiter unten werde ich der Reihe nach zu jeder von ihnen etwas sagen. An dieser Stelle möchte ich die Aufmerksamkeit lediglich auf ein paar allgemeine Grundzüge lenken.

Die wichtigste Frage ist die des ›inneren Zusammenhangs‹, die sich am besten anhand des »Die Geschichte von Galadriel und Celeborn« überschriebenen Textes illustrieren lässt. Dieses ist eine ›unvollendete Geschichte‹ im weiteren Sinne: keine Erzählung, die plötzlich abbricht wie »Von Tuor und seiner Ankunft in Gondolin«, keine Reihung fragmentarischer Stücke wie »Cirion und Eorl«, und dennoch bildet sie einen elementaren Erzählstrang in der Geschichte Mittelerdes, der nie eine fest umrissene Gestalt erhalten hat und in der letzten Fassung liegen blieb. Die Einbeziehung der unveröffentlichten Erzählungen und Skizzen zu diesem Thema hat deshalb zugleich zur Folge, dass die Geschichte nicht als eine festgelegte, unabhängig existierende Wirklichkeit betrachtet werden darf, über die der Autor (in seiner Rolle als Übersetzer und Herausgeber) ›berichtet‹, sondern als ein in seinem Kopf wachsender und sich verändernder Entwurf. Als der Autor seine Werke nicht mehr selbst herausgab, nachdem er sie seiner eigenen detaillierten Kritik und Vergleichung unterzogen hatte, werden die weiteren Erkenntnisse über Mittelerde, die sich in seinen unveröffentlichten Schriften finden, des Öfteren in Gegensatz zu Tatsachen geraten, die bereits ›bekannt‹ sind. In solchen Fällen werden die neuen Elemente, die man in das bereits bestehende Gebäude einfügt, weniger zur Geschichte der erfundenen Welt selbst beitragen als zur Geschichte ihrer Erfindung. In diesem Buch habe ich diese Tatsache von Anfang an akzeptiert. Außer bei geringfügigen Details wie bei unterschiedlicher Nomenklatur (wo eine Beibehaltung der handschriftlichen Form zu unangemessener Verwirrung geführt oder umfangreiche Erläuterungen notwendig gemacht hätte), habe ich im Interesse der Übereinstimmung mit bereits publizierten Werken keine Veränderungen vorgenommen, sondern mein Augenmerk vielmehr auf Widersprüche und Unterschiede gerichtet. In dieser Hinsicht sind die unvollendeten Erzählungen in Nachrichten aus Mittelerde folglich vom Silmarillion grundsätzlich verschieden. Dort war es die übergeordnete, wenn auch nicht ausschließliche Aufgabe des Herausgebers, einen Zusammenhang zwischen der inneren und äußeren Form herzustellen.

Von einigen besonderen Fällen abgesehen habe ich die publizierte Form des Silmarillion in der Tat wie einen festen Bezugspunkt behandelt und ihr den gleichen Stellenwert zugesprochen wie jenen Werken, die mein Vater selbst ediert hat. Die ungezählten ›unautorisierten‹ Entscheidungen zwischen Varianten und konkurrierenden Versionen, die den Schaffensprozess begleiteten, habe ich dabei nicht berücksichtigt.

Inhaltlich hat das Buch ausschließlich erzählenden (oder beschreibenden) Charakter: Alle Texte über Mittelerde und Aman, die in erster Linie philosophischer oder spekulativer Natur sind, habe ich ausgeschlossen, und wo solche Gegenstände von Zeit zu Zeit auftauchten, habe ich sie nicht weiterverfolgt. Bei der Einteilung der Texte habe ich ein einfaches und angemessenes Verfahren angewendet, indem ich sie in Abteilungen gliederte, die den ersten drei Zeitaltern der Welt zugeordnet sind, wobei einige Überschneidungen unvermeidlich waren, wie bei der Sage von Amroth und ihrer Entfaltung in der »Geschichte von Galadriel und Celeborn«. Der vierte Teil ist eine Zugabe, denn die darin enthaltenen Texte sind allgemein gehaltene Diskurse, die keine oder nur schwache Elemente einer Geschichte aufweisen. Der Abschnitt über die Drúedain verdient in der Tat eine eigenständige Aufnahme in die Geschichte vom »Getreuen Stein«, die einen kleinen Teil davon bildet. Dieser Abschnitt veranlasste mich, auch Texte über die Istari und die Palantíri aufzunehmen, weil gerade diese Texte (besonders die frühen) bei vielen Neugier geweckt haben. Dieses Buch schien mir der geeignete Rahmen, um entsprechende Erläuterungen zu geben.

Die Anmerkungen scheinen an manchen Stellen recht umfangreich zu sein, doch man wird feststellen, dass sie dort, wo sie sich besonders häufen (wie in »Das Verhängnis auf den Schwertelfeldern«), weniger dem Herausgeber als dem Autor zuzuschreiben sind. Dieser neigte in seinen späten Werken dazu, verschiedene Handlungsstränge durch eingeschobene Anmerkungen miteinander zu verbinden. Ich habe durchgehend versucht zu verdeutlichen, welche Anmerkungen vom Herausgeber stammen und welche nicht. Wegen der Fülle des in den Anmerkungen und Anhängen erfassten Materials habe ich es für das Beste gehalten, die Seitenverweise im Index nicht auf die Texte selbst zu beschränken, sondern alle Teile des Buches einzubeziehen, diese Einleitung ausgenommen.

Beim Leser habe ich durchaus eine leidliche Kenntnis der veröffentlichten Werke meines Vaters vorausgesetzt (vor allem des Herrn der Ringe), denn eine andere Verfahrensweise hätte den editorischen Apparat stark vergrößert, der ohnehin schon manchem recht umfangreich vorkommen mag. Gleichwohl habe ich fast allen wichtigen Stichworten des Index kurze erklärende Angaben hinzugefügt, in der Hoffnung, den Leser vor dauerndem Nachschlagen an anderen Orten zu bewahren.

Verweise auf Das Silmarillion beziehen sich auf die illustrierte Ausgabe von 2011, beim Herrn der Ringe werden die Bandnummer, die entsprechenden Bücher und Kapitel angegeben.1*

Es folgen nun einführende bibliografische Anmerkungen zu den einzelnen Texten.

TEIL EINS

I Von Tuor und seiner Ankunft in Gondolin

Mehr als einmal hat mein Vater gesagt, der »Fall von Gondolin« sei als erste Geschichte des Ersten Zeitalters verfasst worden, und es gibt keinen Grund, an seiner Erinnerung zu zweifeln. In einem Brief aus dem Jahr 1964 erklärte er, dass er sie »aus dem Kopf« geschrieben habe, »während eines Genesungsurlaubs von der Armee im Jahre 1917«; bei anderen Gelegenheiten gab er die Entstehungszeit mit 1916 oder 1916–1917 an. In einem an mich gerichteten Brief aus dem Jahre 1944 schrieb er: »Mit dem Schreiben [des Silmarillions] begann ich erstmals in überfüllten Armee-Baracken, inmitten von Grammophonlärm.« In der Tat sind einige Verszeilen, in denen die sieben Namen Gondolins auftauchen, auf die Rückseite eines Stückes Papier gekritzelt, auf dem die »Bedeutung der Verantwortung in einem Bataillon« dargelegt war. Das früheste Manuskript existiert noch und umfasst zwei kleine Schulhefte. Es ist schnell mit Bleistift geschrieben, zu einem großen Teil durch Zusätze in Tintenschrift ergänzt und mit zahlreichen Korrekturen versehen. Auf der Grundlage dieses Textes hat meine Mutter offenbar 1917 eine saubere Abschrift angefertigt. Doch in der Folge wurde dieses Manuskript weiterhin von Grund auf überarbeitet. Die Zeit, in der dies geschah, kann ich nicht genau bestimmen, doch war es vermutlich zwischen 1919 und 1920, als mein Vater in Oxford zum Mitarbeiterstab des damals noch unvollendeten Wörterbuches gehörte. Im Frühjahr 1920 wurde er vom Essay-Club seines Colleges (Exeter) zu einer Lesung eingeladen, und er las dort den »Fall von Gondolin«. Was er als Einleitung zu seinem »Essay« zu sagen beabsichtigte, geht aus seinen Notizen hervor, die noch erhalten sind. Darin entschuldigt er sich, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, einen kritischen Text zu verfassen, und er fährt fort: »Folglich musste ich etwas bereits Geschriebenes lesen und verfiel in meiner Not auf diese Erzählung, die natürlich bis heute das Licht der Welt noch nicht erblickt hat … Vor geraumer Zeit erwuchs in meiner Vorstellung (besser gesagt: wurde entworfen) ein abgeschlossener Zyklus von Ereignissen in einer erfundenen Elbenwelt. Einige dieser Episoden sind flüchtig skizziert worden … Die vorliegende Geschichte gehört nicht zu den besten, doch ist sie die einzige, die überhaupt so weit überarbeitet ist, dass ich, so wenig zufriedenstellend die Revision auch war, es wagen kann, sie vorzulesen.«

Die Geschichte von Tuor und dem Auszug aus Gondolin (wie der »Fall von Gondolin« im frühen Manuskript überschrieben ist) blieb viele Jahre liegen, obgleich mein Vater in einem gewissen Stadium, vermutlich zwischen 1926 und 1930, eine kurze, gedrängte Version verfasste, die einen Teil des Silmarillion bilden sollte. (Dieser Titel taucht übrigens erstmals in einem Brief meines Vaters an den Observer vom 20. Februar 1938 auf.) Diese Fassung wurde nachträglich weiter überarbeitet, um sie mit veränderten Konzeptionen in anderen Teilen des Buches in Einklang zu bringen. Viel später begann er mit der Arbeit an einer völlig umgestalteten Erzählung mit dem Titel »Von Tuor und dem Fall von Gondolin«. Sie ist sehr wahrscheinlich 1951 verfasst worden, als der Herr der Ringe abgeschlossen, seine Veröffentlichung aber noch zweifelhaft war. Stilistisch und inhaltlich von Grund auf verändert, doch unter Beibehaltung vieler wesentlicher Züge der Jugendfassung, entfaltet sich in der Geschichte »Von Tuor und dem Fall von Gondolin« detailliert ausgearbeitet die gesamte Sage, die dem kurzen XXIII. Kapitel des veröffentlichten Silmarillion zugrunde liegt. Es ist jedoch schmerzlich, dass er nur bis zu jenem Punkt gelangte, an welchem Tuor, über die Ebenen Tumladens blickend, Gondolins ansichtig wurde. Es gibt keine Anhaltspunkte, warum er die Geschichte an dieser Stelle abbrach.

Dieser Text wird hier abgedruckt. Um Verwirrung zu vermeiden, habe ich ihn »Von Tuor und seiner Ankunft in Gondolin« betitelt, da über den Fall der Stadt nichts berichtet wird. Wie immer bei den Werken meines Vaters, existieren verschiedene Lesarten und von einem kurzen Abschnitt (in dem sich Tuor und Voronwe dem Sirion nähern und ihn überqueren) mehrere konkurrierende Fassungen, wodurch eine geringfügige editorische Bearbeitung notwendig wurde.

Es bleibt somit die bemerkenswerte Tatsache, dass die einzige vollständige erzählerische Ausformung der Tuor-Geschichte (sein Aufenthalt in Gondolin, seine Ehe mit Idril Celebrindal, die Geburt Earendils, der Verrat Maeglins, die Plünderung der Stadt und das Entkommen der Flüchtlinge), die in seiner Vorstellung vom Ersten Zeitalter einen zentralen Platz einnimmt, bereits in jener Jugenderzählung geleistet wurde. Gleichwohl steht außer Frage, dass diese (höchst bemerkenswerte) frühe Erzählung zur Aufnahme in das vorliegende Buch ungeeignet ist. Sie ist in jenem extrem archaisierenden Stil verfasst, den mein Vater damals schrieb, und drückt unvermeidlich Tendenzen aus, die mit der Welt des Herrn der Ringe und des Silmarillion in der vorliegenden Form nicht im Einklang stehen. Sie ist zusammen mit den Texten aus der mythologischen Frühphase einem Buch von Lost Stories (»Verlorene Geschichten«) zugehörig; dieses ist selbst ein sehr inhaltsreiches Buch und für jeden, der sich mit der Entstehungsgeschichte Mittelerdes befasst, von größtem Interesse. Es könnte jedoch nur im Rahmen einer größeren, komplexen Studie veröffentlicht werden.

II Die Geschichte von den Kindern Húrins

Die Entstehungsgeschichte der Sage von Túrin Turambar ist in mancher Hinsicht die verwickeltste und komplizierteste von allen erzählenden Elementen der Geschichte des Ersten Zeitalters. Wie die Geschichte »Von Tuor und dem Fall Gondolins« reicht sie in die ersten Anfänge zurück und ist in einer frühen Prosaerzählung (einer der »Verlorenen Geschichten«) und in einem langen, unvollendeten Gedicht in Stabreimen erhalten. Doch während die spätere ›Langfassung‹ der Tuor-Geschichte niemals sehr weit gedieh, vollendete mein Vater die entsprechende Fassung der Túrin-Geschichte fast ganz. Sie hat den Titel Narn i Hîn Húrin, und diese Erzählung ist in die vorliegende Ausgabe aufgenommen worden.

Der Ablauf der langen Narn weist freilich große Unterschiede auf, und zwar in dem Maße, in welchem sich der Text einer vollkommenen oder endgültigen Gestalt näherte. Der Schlussabschnitt (von der Rückkehr Túrins nach Dor-lómin bis zu seinem Tod) hat kaum editorische Bearbeitung erfahren. Der erste Abschnitt hingegen (bis zum Weggang Túrins aus Doriath) machte ein gerüttelt Maß an Korrekturen, Aussonderungen und an einigen Stellen eine leichte Straffung notwendig, da die Originaltexte bruchstückhaft und unzusammenhängend waren. Der Mittelabschnitt der Erzählung (Túrin unter den Geächteten, Mîm, der Kleinzwerg, das Land Dor-Cúarthol, der Tod Belegs von Túrins Hand und Túrins Leben in Nargothrond) stellte ein weit schwierigeres editorisches Problem dar. Die Erzählung ist hier nur zu einem geringen Teil vollendet und stellenweise auf Entwürfe für ihre mögliche Weiterführung reduziert. Mein Vater war noch mit der Ausarbeitung dieses Teils beschäftigt, als er die Arbeit abbrach. Die kürzere Version für Das Silmarillion musste bis zum endgültigen Abschluss der Narn liegen bleiben. Bei der Vorbereitung zur Publikation des Silmarillion entnahm ich notgedrungen einen großen Teil der entsprechenden Passagen der Túrin-Geschichte diesen Materialien, die sich in ihrer Vielfalt und in ihren Bezügen untereinander außerordentlich vielschichtig darstellen.

Für den ersten Teil dieses zentralen Abschnitts (bis zum Beginn von Túrins Aufenthalt in Mîms Wohnung auf dem Amon Rûdh) habe ich aus dem vorliegenden Material eine zusammenhängende Erzählung kompiliert, die im Umfang mit anderen Teilen der Narn vergleichbar ist und die an einer Stelle (Seite 164f.) eine Lücke aufweist. Jedoch von dort an (Seite 178) bis zu Túrins Ankunft am Ivrin nach dem Fall Nargothronds gab ich diese Methode als unergiebig auf. Die Lücken in der Narn waren hier allzu groß und konnten nur durch den entsprechenden, bereits publizierten Text des Silmarillion ausgefüllt werden. Dennoch habe ich in einem Anhang (Seite 252f.) vereinzelte Fragmente aus dem entsprechenden Teil der geplanten längeren Erzählung angeführt.

Im dritten Abschnitt der Narn (beginnend mit der Rückkehr Túrins nach Dor-lómin) wird ein Vergleich mit dem Silmarillion (ab Seite 372) zahlreiche (zum Teil sogar wörtliche) Übereinstimmungen zeigen. Dagegen habe ich im ersten Abschnitt des vorliegenden Textes zwei längere Passagen weggelassen (vgl. Seite 101 und Anmerkung 1 sowie Seite 114 und Anmerkung 2), weil es sich um unerhebliche Varianten von Passagen handelt, die in Das Silmarillion aufgenommen sind. Diese Überschneidungen und wechselseitigen Beziehungen zwischen einem Werk und einem anderen können unterschiedlich interpretiert und von verschiedenen Standpunkten beurteilt werden. Meinem Vater machte es Freude, den gleichen Stoff in einem anderen Zusammenhang neu zu erzählen; doch einige Teile verlangten nicht nach einer ausführlicheren Behandlung in einer längeren Fassung, und es gab keinen Anlass, sie um ihrer selbst willen neu zu formulieren. Wenn andererseits alles noch im Fluss war und die endgültige Anordnung der verschiedenen Erzählstränge in weiter Ferne lag, konnte dieselbe Passage probeweise an verschiedenen Stellen eingefügt werden. Doch auch auf einer anderen Ebene lässt sich eine Erklärung finden: Geschichten wie der von Túrin Turambar war bereits vor langer Zeit eine besondere dichterische Form verliehen worden (in diesem Fall war es die Narn i Hîn Húrin des Dichters Dírhavel); Redewendungen oder sogar ganze Passagen (besonders Szenen von großer rhetorischer Eindringlichkeit wie Túrins Ansprache an sein Schwert vor seinem Tod) dieser Fassungen konnten als Ganzes von jenen beibehalten werden, die später Zusammenfassungen der Geschichte der Altvorderenzeit erstellten (als solche ist Das Silmarillion gedacht).

TEIL ZWEI

I Eine Beschreibung der Insel Númenor

Obwohl sie mehr beschreibenden als erzählenden Charakters sind, habe ich Abschnitte aus dem Bericht meines Vaters über Númenor aufgenommen, besonders solche, die die physikalische Beschaffenheit der Insel betreffen, weil diese die Geschichte von Aldarion und Erendis erhellen und selbstverständlich mit ihr verbunden sind. Dieser Bericht hat schon um 1965 existiert und ist vermutlich lange vor dieser Zeit geschrieben worden. Die Karte habe ich nach einer kleinen flüchtigen Skizze neu gezeichnet, der einzigen, wie es scheint, die mein Vater von Númenor angefertigt hat. In die neue Karte haben nur Bezeichnungen und Merkmale Eingang gefunden, die auch im Original zu finden sind. Außerdem zeigt das Original einen weiteren Hafen an der Bucht von Andúnië, der nicht weit westlich von der Stadt Andúnië liegt. Der Name ist schwer zu entziffern, lautet aber mit ziemlicher Sicherheit Almaida. Soweit ich sehe, taucht er nirgendwo anders auf.

II Aldarion und Erendis

Von allen Stücken dieser Sammlung war die Bearbeitung dieser Geschichte am wenigsten fortgeschritten und erforderte stellenweise eine derartig umfangreiche editorische Behandlung, dass ich zweifelte, ob ihre Aufnahme zu rechtfertigen sei. Dennoch verdient sie besonderes Interesse als die einzige Geschichte überhaupt (im Gegensatz zu Registern und Annalen), die aus den langen Zeitaltern Númenors überlebt hat, die Geschichte von seinem Ende, die »Akallabêth«, ausgenommen; da sie überdies unter den Geschichten meines Vaters in ihrer inhaltlichen Geschlossenheit einzigartig ist, kam ich zu der Überzeugung, dass es falsch wäre, sie aus dieser Sammlung auszuschließen.

Um die Notwendigkeit einer so ausgedehnten editorischen Behandlung verständlich zu machen, muss ich erklären, dass mein Vater bei der Abfassung seiner Geschichten ›Handlungsabrisse‹ benutzte und bei der Datierung der Ereignisse mit peinlicher Genauigkeit verfuhr, so dass diese Abrisse geradezu wie annalenähnliche Artikel in einer Chronik erscheinen. Im vorliegenden Fall existieren nicht weniger als fünf solcher Schemata, deren relative Ausführlichkeit an verschiedenen Stellen variiert und die nicht selten weder im Entwurf noch im Detail übereinstimmen. Doch haben diese Schemata immer die Tendenz, in reine Erzählung überzugehen, besonders dort, wo kurze Passagen durch direkte Rede eingeleitet werden. Im fünften und zeitlich spätesten Schema für die Geschichte von Aldarion und Erendis ist das erzählerische Element derart stark ausgeprägt, dass der Text einen Umfang von etwa 60 Manuskript-Seiten erreicht hat.

Der Schritt vom stakkatohaften Annalenstil zum voll entfalteten Erzählen vollzog sich gleichwohl stufenweise, in dem Maße, in dem die Abfassung des Schemas fortschritt. Im älteren Teil der Geschichte habe ich große Teile des Textes umgeschrieben und einen gewissen Grad stilistischer Homogenität im Hinblick auf den gesamten Ablauf der Erzählung zu erreichen gesucht. Die Bearbeitung bezieht sich ausschließlich auf die sprachliche Form; es wurde weder die Bedeutung geändert, noch wurden Elemente eingeführt, die nicht authentisch sind.

Das letzte Schema, auf dem der Text im Wesentlichen beruht, trägt den Titel: Der Schatten des Schatten: Die Geschichte vom Weib des Seefahrers; und die Geschichte der Prinzessin Schäferin. Das Manuskript endet abrupt, und ich kann keine gesicherte Erklärung dafür geben, warum mein Vater die Arbeit abbrach. Eine maschinenschriftliche Fassung, die bis zu diesem Punkt reicht, wurde im Januar 1965 abgeschlossen. Außerdem existieren zwei Seiten in Maschinenschrift, bei denen es sich nach meinem Urteil um das zuletzt verfasste Material handelt. Es ist offensichtlich der Anfang einer Fassung, die als abschließende Version der gesamten Geschichte geplant war, und sie liegt dem Text auf den Seiten 283–285 zugrunde (wo die Handlungsabrisse am dürftigsten sind). Dieser Text trägt den Titel Indis i.Kiryamo »Das Weib des Seefahrers«: Eine Geschichte aus dem alten Númenórë, die von den ersten Gerüchten über den Schatten berichtet.

An das Ende der Erzählung habe ich jene kargen Hinweise gesetzt, die Aufschluss über ihren Verlauf geben können.

III Die Linie von Elros: Könige von Númenor

Obgleich es sich der Form nach um eine reine dynastische Auflistung handelt, habe ich diesen Text aufgenommen, weil es sich um ein wichtiges Dokument zur Geschichte des Zweiten Zeitalters handelt und ein großer Teil des vorhandenen Materials zu diesem Zeitalter in den Texten und Kommentaren dieses Buches Platz gefunden hat. Es liegt ein durchgearbeitetes Manuskript vor, in dem die Lebens- und Regierungszeiten der Könige und Königinnen von Númenor vollständig erfasst und auf manchmal unklare Weise korrigiert sind; ich habe mich bemüht, die jeweils letzte Formulierung anzugeben. Der Text stellt einige unwesentliche chronologische Rätsel, erlaubt aber auch die Klärung einiger offensichtlicher Irrtümer in den Anhängen zum Herrn der Ringe.

Die genealogische Tabelle der früheren Generationen der Linie von Elros basiert auf verschiedenen, eng zusammenhängenden Tabellen, die aus derselben Periode stammen, in der in Númenor die Diskussion um die Regelung der Nachfolge stattfand (vgl. Seite 339.). Es gibt einige kleinere Varianten bei unbedeutenden Namen: So erscheint Vardilme auch als Vardilyë und Yávien als Yávië. Die in meiner Tabelle angegebene Form halte ich für die spätere.

IV Die Geschichte von Galadriel und Celeborn

Dieser Abschnitt des Buches unterscheidet sich von den anderen (ausgenommen jenen in Teil vier) dadurch, dass es sich hier nicht um einen einzelnen Text, sondern eher um einen Essay handelt, der Zitate einschließt. Dieses Verfahren wurde durch die Beschaffenheit der Texte erforderlich; im Verlaufe des Essays dürfte deutlich werden, dass eine Geschichte Galadriels nur eine Geschichte der sich wandelnden Konzeptionen meines Vaters sein kann. Der unvollendete Charakter dieser Geschichte kommt in diesem Fall keinem außergewöhnlichen Prosastück zu: Ich habe mich auf die Darbietung seiner unveröffentlichten Texte zu diesem Thema beschränkt und auf jede Auseinandersetzung mit den übergreifenden Fragen verzichtet, die der Entwicklungsgeschichte des Textes zugrunde liegen. Dann nämlich müsste man die Betrachtung des gesamten Verhältnisses zwischen den Valar und den Elben in die Diskussion einbeziehen, und zwar beginnend mit der allerersten Entscheidung, die Eldar nach Valinor zu rufen (beschrieben im Silmarillion), und vieler anderer damit zusammenhängender Fragen. Darüber hat mein Vater vieles geschrieben, was nicht in den Rahmen dieses Buches gehört.

Die Geschichte Galadriels und Celeborns ist derart mit anderen Sagen und Historien verwoben (Lothlórien und die Wald-Elben, Amroth und Nimrodel, Celebrimbor, der die drei Elbenringe schmiedete, der Krieg gegen Sauron und das Eingreifen der Númenórer), dass sie nicht losgelöst davon behandelt werden kann. Also fasst dieser Abschnitt des Buches, die fünf Anhänge eingeschlossen, im Grunde genommen das gesamte unveröffentlichte Material zur Geschichte des Zweiten Zeitalters in Mittelerde zusammen (und stellenweise reicht die Erörterung unvermeidlich in das Dritte Zeitalter hinüber). In der »Aufzählung der Jahre«, wie sie sich in Anhang B zum Herrn der Ringe findet, heißt es: »Das waren die dunklen Jahre für die Menschen von Mittelerde, aber die Jahre der Glanzzeit von Númenor. Über die Geschehnisse in Mittelerde gibt es nur wenige und kurze Aufzeichnungen, und ihre Daten sind oft unzuverlässig.« Doch sogar jenes kleine Überbleibsel aus den »dunklen Jahren« verändert sich in dem Maße, wie das Nachsinnen meines Vaters darüber sich vertiefte und wandelte. Ich habe nicht versucht, Widersprüche auszugleichen, sondern sie eher aufgedeckt und die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt.

Voneinander abweichende Versionen brauchen nicht in jedem Fall unter dem Gesichtspunkt betrachtet zu werden, die Frage der Priorität zu klären; mein Vater als ›Autor‹ oder ›Erfinder‹ kann in solchen Fällen nicht immer vom ›Aufzeichner‹ alter Traditionen unterschieden werden, die in mannigfachen Formen über unterschiedliche Personen und durch lange Zeitalter weitergereicht wurden (als Frodo in Lórien Galadriel traf, waren mehr als sechzig Jahrhunderte vergangen, seit sie nach dem Untergang Beleriands nach Osten über die Blauen Berge ging). »Hierüber gibt es zwei Meinungen, und welche die richtige ist, wissen nur jene Weisen, die jetzt verschwunden sind.«

In seinen letzten Lebensjahren schrieb mein Vater vieles über die Etymologie der Namen in der Elbensprache, und in diese weit gespannten Diskurse ist auch ein großer Anteil an Geschichte und Sage eingebettet. Doch da diese Einschübe der primär philologischen Absicht untergeordnet und beiläufig eingestreut sind, war es notwendig, sie herauszulösen. Deshalb besteht dieser Teil des Buches weitgehend aus kurzen Zitaten, und weiteres Material gleicher Provenienz hat seinen Platz in den Anhängen gefunden.

TEIL DREI

I Das Verhängnis auf den Schwertelfeldern

Dies ist eine ›späte‹ Erzählung, für die es keinen Hinweis auf eine präzise Datierung gibt. Ich neige dazu, sie eher der Endphase der Schriften über Mittelerde zuzuordnen (zusammen mit »Cirion und Eorl«, der »Schlacht an den Furten des Isen«, den Drúedain und den philologischen Aufsätzen in der »Geschichte von Galadriel und Celeborn«) als der Zeit, in der der Herr der Ringe veröffentlicht wurde, oder den Jahren danach. Es existieren zwei Fassungen: ein unbearbeitetes Typoskript der ganzen Erzählung (erkennbar das erste Stadium des Entwurfs) und ein zweites, sauberes Typoskript mit vielen Veränderungen, das an dem Punkt abbricht, wo Elendur Isildur zur Flucht überredet (Seite 434). Für den Herausgeber blieb wenig zu tun.

II Cirion und Eorl und die Freundschaft

zwischen Gondor und Rohan

Nach meinem Urteil gehören diese Bruchstücke der gleichen Periode an wie »Das Verhängnis auf den Schwertelfeldern«, in der mein Vater überaus an der frühen Geschichte Gondors und Rohans interessiert war. Ohne Zweifel waren sie dazu bestimmt, Bausteine zu einer ausführlicheren Geschichte zu werden, die jene summarischen Berichte in Anhang A zum Herrn der Ringe detailliert entwickeln sollte. Das Material ist im ersten Stadium des Entwurfs, sehr ungeordnet, mit vielen Varianten, und bricht mit schnell hingeworfenen, zum Teil unleserlichen Notizen ab.

III Die Fahrt zum Erebor

In einem Brief aus dem Jahr 1964 schrieb mein Vater:

Ohne Zweifel gibt es zahlreiche Verbindungen zwischen dem Hobbit und dem Herrn der Ringe, die nicht deutlich herausgearbeitet sind. Sie waren zum größten Teil niedergeschrieben oder skizziert, wurden jedoch weggelassen, um den Text nicht zu sehr zu beschweren: Genannt seien Gandalfs Entdeckungsreisen, seine Beziehungen zu Aragorn und Gondor, die Unternehmungen Gollums, bis er in Moria Zuflucht suchte, etc. Ich habe sogar eine vollständige Schilderung dessen verfasst, was vor Gandalfs Besuch bei Bilbo wirklich geschah, sowie über das folgende »Unerwartete Treffen« aus der Sicht Gandalfs. Sie sollte in eine rückblickende Unterhaltung in Minas Tirith eingebaut werden, doch ich musste darauf verzichten, und sie erscheint in kurzer Form lediglich in Anhang A, wobei die Auseinandersetzungen zwischen Gandalf und Thorin weggelassen sind.

Gandalfs Schilderung ist hier wiedergegeben. Die schwierige Textsituation ist im Anhang zu der Erzählung erläutert, in den ich wichtige Auszüge aus einer früheren Version aufgenommen habe.

IV Die Jagd nach dem Ring

Es gibt viele Texte, die sich mit den Ereignissen des Jahres 3018 des Dritten Zeitalters befassen und die ansonsten aus der Geschichte »Die Großen Jahre« und den Berichten, die Gandalf und andere dem Rat von Elrond erstatteten, bekannt sind. Es handelt sich ohne Zweifel um jene »Skizzen«, die im obigen Brief erwähnt werden. Ich habe ihnen den Titel »Die Jagd nach dem Ring« gegeben. Die Manuskripte selbst, in erheblicher, wenn auch nicht ungewöhnlicher Unordnung, habe ich auf Seite 535f. ausführlich beschrieben. Jedoch mag die Frage ihrer Datierung hier erörtert werden (denn ich glaube, dass sie alle, eingeschlossen »Betreffend Gandalf, Saruman und das Auenland« im dritten Teil dieses Abschnitts, aus der gleichen Zeit stammen). Sie wurden nach der Veröffentlichung des Herrn der Ringe geschrieben, denn es finden sich Verweise auf die Seiten der Buchausgabe. Sie unterscheiden sich jedoch in der Datierung bestimmter Ereignisse von den Daten, die in der »Aufzählung der Jahre« (Anhang B) genannt werden. Die Erklärung ist einfach: Diese Texte wurden nach der Veröffentlichung des ersten Bandes, jedoch vor der des dritten geschrieben, der die Anhänge enthält.

V Die Schlacht an den Furten des Isen

Dieser Text, zusammen mit der Beschreibung der militärischen Organisation der Rohirrim und der Geschichte Isengarts, die in einem Anhang zum Text erscheinen, gehört mit anderen späten Stücken in eine Gruppe exakter historischer Analysen. Er bietet verhältnismäßig wenig editorische Schwierigkeiten, sondern ist lediglich im wahrsten Sinne des Wortes unvollendet.

TEIL VIER

I Die Drúedain

Gegen Ende seines Lebens gab mein Vater erheblich mehr Einzelheiten über die Wilden Männer des Druadan-Waldes in Anórien und über die Statuen der Puckelmänner an der Straße nach Dunharg preis. Der hier abgedruckte Text, der von den Drúedain in Beleriand des Ersten Zeitalters berichtet und die Geschichte »Der Getreue Stein« enthält, ist einem langen beschreibenden und unvollendeten Aufsatz entnommen, der sich hauptsächlich mit den Wechselbeziehungen zwischen den Sprachen Mittelerdes befasst. Wie man sehen wird, werden die Drúedain bis in die Geschichte der früheren Zeitalter zurückverfolgt, doch hiervon findet sich notwendigerweise im veröffentlichten Silmarillion keine Spur.

II Die Istari

Bald nachdem der Herr der Ringe zur Veröffentlichung angenommen worden war, entstand der Plan, einen Index an den Schluss des dritten Bandes zu setzen. Es scheint, dass mein Vater im Sommer 1954, als die beiden ersten Bände in Druck gegangen waren, mit dieser Arbeit begann. 1956 schrieb er darüber in einem Brief:

Es musste ein Namenregister erstellt werden, das auf etymologischer Grundlage einen umfangreichen elbischen Wortschatz erschloss. Monatelang habe ich am Register für die beiden ersten Bände gearbeitet (dies war der Hauptgrund für das Ausbleiben von Band 3), bis schließlich klar wurde, dass Umfang und Kosten jedes vertretbare Maß überschreiten würden.

So gab es schließlich bis zur zweiten (englischen) Ausgabe 1966 kein Register zum Herrn der Ringe, doch der ursprüngliche Rohentwurf meines Vaters hat sich erhalten. Auf diesem beruht mein Register zum Silmarillion mit Übersetzungen von Namen und kurzen erläuternden Angaben. Er bringt auch, wie der Index zu diesem Buch, einige der Übersetzungen und einige ›Definitionen‹ im Wortlaut. Aus dem ersten Entwurf stammt auch »Über die Istari«, das diesen Abschnitt des Buches eröffnet, ein Auftakt, der durch seinen Umfang ganz uncharakteristisch für den ursprünglichen Index ist, jedoch bezeichnend für die Arbeitsweise, die mein Vater oft bevorzugte. Für die anderen hier zitierten Textstellen habe ich im Text selbst alle erreichbaren Hinweise auf ihre Datierung hinzugefügt.

III Die Palantíri

Für die zweite Auflage des Herrn der Ringe (1966) nahm mein Vater in einer Passage von »Die zwei Türme« (3, Kapitel 11: »Der Palantír«) wesentliche Änderungen vor und im selben Zusammenhang ebenfalls in »Die Rückkehr des Königs« (5, Kapitel 7: »Denethors Scheiterhaufen«). Jedoch erst die zweite Auflage der überarbeiteten Ausgabe (1967) enthielt diese Verbesserungen. Der entsprechende Abschnitt hier basiert auf Schriften über die Palantíri, die im Zusammenhang mit der derzeitigen Textrevision stehen. Ich habe sie lediglich zu einem fortlaufenden Text zusammengefasst.

Die Karte von Mittelerde

Zuerst hatte ich die Absicht, diesem Buch die Karte beizugeben, die dem Herrn der Ringe beiliegt, und später auftauchende Namen einzufügen. Doch bei genauem Überlegen schien es mir besser, meine ursprüngliche Karte wiederzuverwenden und die Gelegenheit zu nutzen, einige ihrer kleineren Mängel zu beseitigen (die Beseitigung der größeren Mängel liegt nicht in meiner Macht). Ich habe die Karte deshalb ziemlich genau in einem um die Hälfte verkleinerten Maßstab neu gezeichnet (das heißt, meine Karte ist halb so groß wie die alte gedruckte Karte). Der abgebildete Ausschnitt ist kleiner, doch die einzigen fehlenden Orte sind die Anfurten von Umbar und das Kap Forochel.2* Dieses erlaubte eine differenziertere und großzügigere Art der Beschriftung und führte zu mehr Klarheit.

Alle wichtigeren Ortsnamen, die in diesem Buch erscheinen, jedoch nicht im Herrn der Ringe, sind berücksichtigt: Lond Daer, Drúwaith Jaur, Edhellond, die Biegungen, Grauquell; dazu einige wenige andere, die in der ursprünglichen Karte hätten auftauchen können oder müssen: die Flüsse Harnen und Carnen, Annúminas, Ostfold, Westfold, die Berge von Angmar. Der Fehler, dass nur Rhudaur bezeichnet wurde, wurde durch Hinzufügung von Cardolan und Arthedain korrigiert. Die kleine Insel Himling, weit vor der nordwestlichen Küste gelegen, die auf einer der Kartenskizzen meines Vaters und in meinem eigenen Entwurf erscheint, habe ich aufgenommen. Himling war die frühere Form von Himring (der große Hügel, auf dem Maedhros, Sohn Feanors, im Silmarillion seine Burg hatte). Obgleich auf diese Tatsache nirgendwo Bezug genommen wird, ist klar, dass Himrings Berggipfel aus den Fluten ragt, die das versunkene Beleriand bedecken. Ein wenig westlich davon befindet sich eine größere Insel mit Namen Tol Fuin, die der höchstgelegene Teil von Taur-nu-Fuin gewesen sein muss. Im Allgemeinen, wenn auch nicht in allen Fällen, habe ich die Sindarin-Form der Namen (falls bekannt) vorgezogen, doch gewöhnlich auch die Übersetzung hinzugefügt, wenn sie oft verwendet wurde. Es mag angemerkt werden, dass das auf meiner ursprünglichen Karte als »Die Nördliche Öde« ausgewiesene Gebiet sicherlich als Gegenstück zu Forodwaith3*geplant zu sein schien.

Ich hielt es für wünschenswert, den Verlauf der Großen Straße, die Arnor und Gondor verbindet, in voller Länge einzuzeichnen, obgleich ihr Verlauf zwischen Edoras und den Furten des Isen nur vermutet werden kann (ebenso wie die genaue Lokalisierung von Lond Daer und Edhellond).

Zum Schluss möchte ich betonen, dass die genaue Beibehaltung der gesamten Ausführung wie der Details (anders als bei der Nomenklatur und der Beschriftung) jener alten Karte, die ich in Eile vor 25 Jahren anfertigte, nicht bedeutet, dass die neue Karte hinsichtlich ihrer Konzeption und ihrer Ausführung für vollkommen zu halten sei. Ich habe lange Zeit bedauert, dass mein Vater sie nicht durch eine von ihm selbst angefertigte ersetzt hat. Jedenfalls wurde sie im Laufe der Zeit, trotz ihrer Fehler und Ungereimtheiten, ›die Karte‹ schlechthin. Mein Vater benutzte sie später ständig als Grundlage für seine Arbeit (wobei er häufig auf ihre Unzulänglichkeiten hinwies). Die verschiedenen Kartenskizzen, die er anfertigte und auf denen meine Karte beruht, sind Bestandteil der Entstehungsgeschichte des Herrn der Ringe. Deshalb habe ich es für das Beste erachtet, soweit es meinen eigenen Beitrag zu diesem Komplex betrifft, meinen ursprünglichen Entwurf beizubehalten, denn er verdeutlicht zumindest mit ziemlicher Treue die Hauptlinien der Konzeptionen meines Vaters.

TEIL EINS

DAS ERSTE ZEITALTER

I VON TUOR UND SEINER ANKUNFT IN GONDOLIN

Rían, die Gemahlin Huors, wohnte beim Volk des Hauses Hador. Als jedoch Gerüchte von der Nirnaeth Arnoediad nach Dor-lómin drangen und sie gleichwohl keine Nachricht von ihrem Gatten empfing, wurde sie unruhig und machte sich allein auf den Weg in die Wildnis. Dort wäre sie elend zugrunde gegangen, waren ihr nicht die Grau-Elben zur Hilfe gekommen, die in den Bergen westlich des Sees Mithrim wohnten. Dorthin brachten sie Rían, und bevor das Jahr des Jammers vorüber war, wurde sie dort von einem Sohn entbunden.

Und Rían sagte zu den Elben: »Wir wollen ihn Tuor nennen, denn diesen Namen hat sein Vater ausgewählt, bevor der Krieg uns trennte. Ich bitte euch, das Kind aufzuziehen und es sorgsam zu hüten, denn ich sehe voraus, dass es Elben und Menschen viel Gutes bringen wird. Ich aber muss mich auf die Suche nach Huor, meinem Gemahl, begeben.«

Darauf bemitleideten sie die Elben, aber Annael, der von allen, die in den Krieg gezogen waren, als Einziger aus der Schlacht zurückgekehrt war, sprach zu ihr: »Hört, Herrin, es ist jetzt bekannt, dass Huor an der Seite seines Bruders Húrin gefallen ist. Sein Leichnam ruht, wie ich glaube, in dem großen Hügel der Gefallenen, den die Orks auf dem Schlachtfeld errichtet haben.«

Deshalb erhob sich Rían, verließ die Behausungen der Elben, durchquerte das Land Mithrim und gelangte schließlich zum Haudh-en-Ndengin in der Öde von Anfauglith. Dort legte sie sich nieder und starb. Die Elben jedoch sorgten für den kleinen Sohn Huors, und er wuchs unter ihnen auf. Wie alle aus seines Vaters Sippe war er schön von Angesicht und goldhaarig, wurde groß, stark und tapfer, und da er von den Elben aufgezogen wurde, gewann er nicht weniger Wissen und Kunstfertigkeit als die Prinzen der Edain, ehe das Verderben über den Norden hereinbrach.

Aber während die Jahre dahingingen, wurde das Leben der ehemaligen Bewohner Hithlums, der übriggebliebenen Elben und Menschen, zunehmend härter und gefährlicher. Denn, wie anderswo erzählt wird, brach Morgoth sein Versprechen gegenüber den Ostlingen, die ihm gedient hatten, und verweigerte ihnen die fruchtbaren Landstriche Beleriands, nach denen es sie gelüstete. Er vertrieb dieses bösartige Volk und bestimmte ihm Hithlum zum Wohnsitz. Obwohl die Ostlinge Morgoth hassten, dienten sie ihm aus Furcht weiterhin, und Hass gegen alle Elbenvölker erfüllte sie. Sie verachteten die Letzten des Hauses Hador (zum größten Teil Alte, Frauen und Kinder), unterdrückten das Volk, zwangen die Frauen zur Heirat, eigneten sich Land und Besitz an und versklavten die Kinder. Orks tauchten auf, durchstreiften nach Belieben das Land, verfolgten die heimatlosen Elben bis in ihre Schlupfwinkel in den Bergen und schleppten viele Gefangene in die Bergwerke von Angband, wo sie als Knechte Morgoths Sklavenarbeit leisten mussten.

Deshalb führte Annael sein kleines Volk in die Höhlen von Androth, wo es, stets auf der Hut, ein mühseliges Leben führte, bis Tuor sechzehn Jahre alt und kräftig genug geworden war, um die Axt und den Bogen der Grau-Elben zu führen. Die Berichte von den Leiden seines Volkes entfachten die Glut seines Herzens, und er wollte hinausziehen und an den Orks und Ostlingen Rache nehmen, doch Annael verbot es ihm.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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