22,99 €
Der Wald kann mit Veränderungen umgehen - wir nicht. Durch den gegenwärtigen Klimawandel geraten Ökosysteme immer mehr unter Stress. Was geschieht mit unseren Wäldern? Jürgen-Thomas Ernst, seit über 25 Jahren Förster und Waldpädagoge, gibt fundierte Antworten. Steigt zum Beispiel der Anteil des Kohlendioxids in der Luft, steigern Bäume und Pflanzen ihr Wachstum. Bäume sind sogar in der Lage, auf Witterungsextreme zu reagieren. In langen sommerlichen Trockenphasen können Laubbäume die Blätter fallen lassen und stellen ihr Wachstum für die gegenwärtige Vegetationsperiode ein. Wälder werden auch in Zukunft nicht untergehen. Verändern wird sich ihre Zusammensetzung. An zahlreichen Beispielen erklärt der Autor die Folgen des Klimawandels für unsere Wälder und gibt konkrete Ratschläge, was wir mit einfachen Mitteln für die Umwelt und unsere Wälder tun können, um eine möglicherweise dramatische Klimaentwicklung zu verhindern.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 406
Jürgen-Thomas Ernst
Die verblüffende Antwort der Bäume
Weshalb meine Schwester sich als Kind vor dem Regen fürchtete
Teil I Der Wald, die Bäume, die Hoffnung – und eine lange Wanderung
Die Geschichte des Waldes
Die Geschichte des Waldes seit der letzten Eiszeit
Die europäische Waldfläche vor 10.000 Jahren
Das vorläufige Ende des Waldraubbaus in Europa
Wald, Rodungen und Klimaerwärmung
Waldrodungen, Kohlendioxid und die Temperatur der letzten 10.000 Jahre
Die Erderwärmung und Erdabkühlung seit 1850
Was ein Wald für uns leistet
Der Holzzuwachs und das Kohlendioxid in der Luft
Der jährliche Holzzuwachs auf der Welt ist nicht überall gleich
Wie viel Holzvorrat auf einem Hektar Wald entstehen kann
Das Risiko mit der forstwirtschaftlichen Planung
Was der Transport von Waren mit den biologischen Ursprungsgebieten auf dieser Welt zu tun hat
Das Stengelbecherchen und die Esche
Die lange Reise des Stengelbecherchens und die tragischen Folgen für die europäischen Eschen
Das große Sterben der europäischen Ulmen
Die Verwüstung der Edelkastanienbestände in Amerika
Am Horizont der Zukunft – die Rußrindenkrankheit der Ahornbäume
Bewusst importierte Baumpflanzen
Wald und Grundwasserspeicherung
Wald und Schutz
Produkte des Waldes
Der Wald als Heimat für zahlreiche Lebewesen
Die physiologischen Grenzen der Bäume
Höhe
Das Alter der Bäume
Temperatur und Wasser
Was die Vegetationszeit mit der Baumgrenze zu tun hat
Vegetationszeiten und die Klimaerwärmung
Höhere globale Durchschnittstemperaturen und die Waldgrenze
Auswirkungen einer höheren Waldgrenze
Der Kampf um das Licht und die Folgen für den Baum
Samen und Keimfähigkeit
Die Welt in der Welt – oder die Welt der unscheinbaren Baumsamen
Natürliche Mastjahre
Bäume wirken – auf die Umwelt und den Menschen
Bäume in der Stadt
Bäume selbst pflanzen – worauf achten?
Ein eigener, kleiner Forstgarten
Der Baum in der PET-Flasche
Bäume aus der Baumschule
Baumschulen und Bäume ohne Auslese
Samen und kleine Bäume aus der Wildnis – Wildlinge
Waldbäume in Zeiten der Klimaerwärmung
Buche (Fagus sylvatica) – oder das ursprüngliche Aussehen mitteleuropäischer Wälder
Die Buche als Mutter des Waldes
Die Weißtanne (Abies alba)
Das Tannensterben der 1980er-Jahre war kein Erstfall
Welche Weißtannen vor allem vom Tannensterben betroffen sind
Lippenbekenntnisse zum Wohle der Weißtanne
Den Weißtannen geht es wieder gut … wenn es sie noch gibt
Die Weißtanne im Klimawandel
Weißtannen als Lebensraum für Tiere
Fichte (Picea abies) – die Fichte in den Zeiten der Klimaerwärmung
Die idealen Einzelbäume in Zeiten der Klimaerwärmung
Der Maronenbaum/Esskastanie (Castanea sativa)
Die Walnuss (Juglans regia)
Der Pekannussbaum (Carya illinoinensis) – ein überaus interessanter Exot
Elsbeere (Sorbus torminalis)
Große Bäume und kleine Bäume
Sauerkirsche/Weichsel (Prunus cerasus)
Weißer Maulbeerbaum (Morus alba) und Schwarzer Maulbeerbaum (Morus nigra)
Der Feigenbaum (Ficus carica)
Mehlbeere (Sorbus aria)
Die Eberesche/Vogelbeere (Sorbus aucuparia)
Felsenbirne (Amelanchier rotundifolia)
Baum-Hasel (Corylus colurna)
Und wenn der verfügbare Platz selbst für einen kleinen Baum nicht ausreicht – Sträucher
Haselnuss (Corylus avellana)
Kornelkirsche/Dirndlstrauch (Cornus mas)
Sträucher mit Dornen – ein Paradies für unsere heimischen Vögel
Schlehdorn (Prunus spinosa)
Sanddorn (Hippophae rhamnoides)
Berberitze/Sauerdorn (Berberis vulgaris)
Gewöhnlicher Wacholder (Juniperus communis)
Eine lange Reise und das Prinzip Hoffnung
Teil II Der große Blick auf die Wälder, ihre Geschichte, ihr Wert – und der Umgang der Menschen mit ihnen
Was mit unseren Wäldern momentan weltweit passiert und was wir ihnen antun
Das illegale – und legale – Ende der Wälder
Weshalb die Wälder auf dieser Welt verschwinden
Die Ursache eines Teufelskreises
Regenwälder sind keine typischen Sehnsuchtsorte für Menschen, aber …
Regenwälder als Goldgruben
Raubzüge, getarnt als „Infrastrukturverbesserungsmaßnahmen“
Regenwälder – Visionen und die Wirklichkeit
Der Weg der Menschheit am Beispiel Afrikas
Die Bewaldung Afrikas Anfang des 20. Jahrhunderts und heute
Für wen ist all das Soja, der Kaffee und das Rindfleisch?
Söldnerschutz statt Opferschutz
Wie das so ist mit dem Biodiesel und Bioethanol
Wie viel Bio in Biodiesel und Bioethanol steckt
Agrartreibstoffe – leider kommt es noch ein bisschen schlimmer
Aber ab 2030 ist Schluss mit Palmöl in Europa
Die Einsparung durch Biodiesel und der entscheidende Haken
Die Krux mit der indirekten Landnutzungsänderung
Agrartreibstoffe – es geht noch schlimmer
Es sind nicht nur die Biotreibstoffe, es ist auch der Hunger nach Konsum, der die Regenwälder verschwinden lässt
Der Ast, auf dem wir sitzen – die Folgen schrumpfender Regenwälder
Wenn man Regenwälder zerstört, zerstört man nicht nur Regenwälder
Die fliegenden Flüsse
Die großen fliegenden Flüsse auf dieser Welt
Die manchmal sehr weit entfernten Gefahren, die auf fliegende Flüsse lauern
Austrocknende Regenwälder
Die Wetterwalzen am Äquator und ihr Zusammenspiel mit den Regenwäldern
Die Kurzsichtigkeit der Menschen und ein Unglück des 19. Jahrhunderts im Vergleich
Die veränderten Niederschlagsmuster in verschiedenen Staaten der Welt – als Beispiel: Afghanistan, Kenia, Brasilien und Mexiko
Klima, politische Krisen und Völkerwanderungen
Aufforstungen der Regenwälder und die Verantwortung Afrikas
Aufforstungsmaßnahmen in China
Einflussfaktoren auf das Klima – der Mensch
Die Anzahl der Menschen, Angebot und Nachfrage
Die Weltbevölkerung
Die Verwendung der Landschaft
Ruß und der Flugverkehr
Wolken aufgrund des Flugverkehrs
Bildteil
Brennende Wälder, eine ganz besondere Geschichte
Die Zunahme der Waldbrände in Europa seit 1960 und die Ursache
Natürliche Auslöser von Waldbränden
Die Auslöser von Waldbränden
Die menschengemachten Rahmenbedingungen, die Waldbrände erleichtern
Waldbrandgefahr durch großräumige Rodungen in der Umgebung von Wäldern
Entzug von Wasser für die Landwirtschaft
Gute Gletscher, schlechte Gletscher – eine verblüffende Geschichte über das „Ewige Eis“, das Wetter und die Witterung
Wie das so ist, wenn es so richtig kalt wird
Als noch Gott die Gletscher verschob
Gletscher, Glaube, Irrglaube und tragische menschliche Schicksale
Wetter, Wetteranomalien und Hexen
Kühles Klima, Konflikte und Kriege
Bildung und Wissenschaft lösen den gottgegebenen Gletscher ab
Menschen übernehmen die Kontrolle von Gott
Die Natur ins Heute interpretiert
Der Mensch als Verursacher heutiger Naturgefahren und -katastrophen
Die Natur ist frei von Emotionen
Heutiges Vertrauen auf den göttlichen Beistand
Gletscher gestern, Gletscher heute und die Position der Geistlichkeit
Heutiger Alarmismus und die Klimavergangenheit – Wetteranomalien
Gletscher, Eis und Schnee in den Schweizer Alpen – eine Prognose für das Jahr 2100
Wie Schnee und Eis im Gebirge eine der größten Naturkatastrophen der letzten Jahrhunderte auslöste
Der Einfluss des Klimas auf den Menschen
Ideale klimatische Bedingungen
Der Wunsch, dass alles so bleibt, wie es ist, und Bilder der Veränderung
Radikale Veränderungen – Naturkatastrophen und massiver Schädlingsbefall
Die Wahrnehmung des Klimawandels und das Handeln vieler Menschen
Die verblüffende gefühlte Wahrheit der Menschen in Sachen Klima und die – manchmal verblüffenden – Maßnahmen
Gefühltes Engagement gegen die Klimaerwärmung – Energiesparlampen, Mülltrennung …
Klima, Klimaerwärmung – und die Interessen und Maßnahmen jener, die von einer Veränderung des Status quo einen Nachteil hätten
Die PR-Industrie und die Verharmlosung der Klimaerwärmung
Der etwas größere Blick auf das Klima
Das große Ganze, das Fragment und die Kontextualisierung
Die Natur und wärmere Temperaturen
Die Klimaerwärmung in unseren Zeiten und Warmphasen seit der letzten Eiszeit
Was das Klima antreibt
Die Sonne
Sonnenflecken – Schwabe-Zyklen und das Maunder-Minimum
Regen und Wolken
Ein weiteres Zahnrad im Wetter- und Klimagefüge – die Jetstreams
Die Dansgaard-Oeschger-Ereignisse
Heinrich-Ereignisse
Die Sonne, die Winde und die Ozeanzyklen
El Niño Southern Oszillation (ENSO) und La Niña-Ereignisse
Nordatlantische Oszillation (NAO)
Atlantische Multidekaden-Oszillation (AMO)
Pazifische Dekaden-Oszillation (PDO)
Indischer-Ozean-Dipol (IOD)
Meeresoszillationen als Verstärker des Klimasystems
Extraterrestrische Einflüsse
Das Temperaturmaximum vor der letzten Eiszeit
Spuren des immer wiederkehrenden Klimawandels – Grönland, Bäume, Wälder und seine Besiedelung
Die Besiedlung Grönlands
Die grönländischen Siedler und ihre Viehwirtschaft
Überschussleistungen in Grönland
Holz als Mangelware
Die Entdeckung Amerikas durch die Europäer
Von Amerika zurück nach Grönland
Das nebulose Ende der grönländischen Siedler
Bäume und Wälder auf Grönland
Funde, die belegen, dass es seit über 7.000 Jahren nicht so warm war wie heute
Das gute Kohlendioxid und das schlechte Kohlendioxid
Wie lange das ausgestoßene CO2 in der Atmosphäre verbleibt
Uneinigkeit über die Speicherung und Verweildauer der Spurengase CO2, Methan und Lachgas in Wissenschaft und Medien
Trotz unterschiedlicher Rechenmodelle – Fakt ist, das Klima auf der Erde erwärmt sich und die Menschen tragen dazu bei
CO2 und der menschliche Körper – klimaneutral oder nicht?
Das gute CO2
Die durchschnittlichen Ernteerträge der letzten Jahrzehnte
Das Risiko einer zu hohen CO2-Konzentration in der Luft
CO2-Gehalt aus historischer Sicht
Kohlendioxiddiagramme und abrupte historische CO2-Ereignisse
Vulkanausbrüche
CO2-Warmzeiten und Kaltzeiten der letzten 10.000 Jahre
Abschließende Gedanken zum Kohlendioxid
Zum Schluss: Weshalb ich dieses Buch unbedingt schreiben wollte
Impressum/Bildnachweis
Meine Schwester Beatrix hat mir vor Kurzem eine Geschichte aus ihrer Kindheit erzählt. Als kleines Kind liebte sie es noch, im Regen zu spielen. Nass zu werden, machte ihr nichts aus. Anfang der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts, als sie zehn oder elf Jahre alt war, kam allerdings die Angst. Große Angst. Und zwar vor dunklen Wolken und dem Regen, der aus ihnen fiel. Ja, vor dem Regen selbst. Deshalb vermied sie es, so gut es ihr es eben möglich war, bei Regen außer Haus zu gehen. Und wenn es sich wirklich nicht vermeiden ließ, tat sie es niemals ohne Regenmantel oder Schirm.
In den Zeitungen standen nämlich bedrohliche Meldungen über den Regen, in Radio und Fernsehen liefen sorgenvolle Berichte, untermalt mit düsteren Bildern von kahlen Bäumen und abgestorbenen Wäldern. Saurer Regen. Der saure Regen zerstöre die sensiblen Tannen und ruiniere die Wälder, hieß es. Meine kleine Schwester hatte diese negativen Meldungen nach einiger Zeit so sehr verinnerlicht, dass sie tatsächlich befürchtete, dass der saure Regen sie verätzen würde. In ihrer schlimmsten Fantasie fraßen säuredurchtränkte Regentropfen blutige Krater in ihre Haut.
Das haben solche Nachrichten damals im kindlichen Denken meiner elfjährigen Schwester angerichtet. Und das, was man damals Kindern angetan hat, mit diesen apokalyptischen Horrorszenarien, wird den heutigen Kindern abermals angetan. Ich finde es traurig, wenn ein Klimaforscher wie Hans Joachim Schellnhuber mit großem Ernst Sätze von sich gibt wie: „Ich sage Ihnen, dass wir unsere Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98%iger Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt.“
Ich frage mich dann, was solche Aussagen in einem jungen Menschen auslösen. In Kindern, die mit solchen Sätzen allein gelassen werden. Ja, und ich finde solche Aussagen sehr traurig und auch verantwortungslos.
Eines darf ich an dieser Stelle deshalb schon vorwegnehmen: Sie werden in diesem Buch keine Geschichten über klimatische Horrorszenarien zu lesen bekommen. Auch werden Sie keine apokalyptischen Bibelvergleiche finden, keine Nennungen der Hölle oder Hinweise auf göttliche Strafen, die auf menschliches Fehlverhalten folgen. Ich werde Ihnen auch von keinem Weltuntergang oder dergleichen berichten. Dieser Alarmismus wird schon in den Medien im Überfluss bemüht. So inflationär, dass wenig mehr als Worthülsen bleiben, die niemanden mehr zu einem achtsameren Verhalten gegenüber der Natur bewegen, sondern einen eher aufregen.
Ich möchte Ihnen in diesem Buch von der klimatischen Wirklichkeit berichten und wie Bäume beziehungsweise Wälder mit dieser Wirklichkeit umgehen. Ich werde Ihnen erzählen, wie es sich mit dem Klima verhält. Wie es sich in der Vergangenheit verhalten hat, wie es sich gegenwärtig verhält und wie es sich zukünftig vermutlich verhalten wird. Ich werde nichts beschönigen, nichts verharmlosen – aber auch nichts dramatisieren oder übertreiben. Ich werde die Dinge so benennen, wie sie wirklich sind, und Sie, verehrte Lesende, nicht auf tendenziöse Irrwege leiten. Ebenso wenig möchte ich die Leugner der gegenwärtigen Klimaerwärmung unterstützen oder gar bestätigen. Ich möchte den Blick für das große Ganze schärfen. Mit allen Vor- und Nachteilen und allen Gefahren, die die gegenwärtige klimatische Entwicklung für uns bereithält. Und ich möchte auf die Ursachen eingehen, die all diese Entwicklungen auslösen und vorantreiben.
Ich führe schon seit Jahrzehnten als Förster und Waldpädagoge Jahr für Jahr Tausende Menschen durch unsere Wälder. Die meisten dieser Menschen sind Kinder. In diesen Kindern möchte ich keine Panik auslösen und keine Angst vor der Zukunft verbreiten. Beides lähmt, macht sie vielleicht tatenlos und lässt sie womöglich vor der Zukunft resignieren. Die gegenwärtige klimatische Situation ist ernst, daran sollte kein Zweifel bestehen – aber Resignation ist nicht die richtige Antwort, ebenso wenig wie Hoffnungslosigkeit. Im Gegenteil: Ich will Hoffnung schenken. Die Dinge sachlich und ohne Beschönigungen benennen und erklären.
Bevor wir verstehen lernen, wie Wälder auf das Klima reagieren und sich daran anpassen, möchte ich die Geschichte des Waldes erzählen. Denn diese Geschichte ist wirklich verblüffend. Es ist die Geschichte einer langen Reise. Einer Reise mit Hindernissen, Erfolgen, Misserfolgen, eine Geschichte über das Kommen und Gehen und das Wiederkehren, das abrupte Verschwinden und langsame Zurückwandern.
Um die dynamischen Prozesse auf dieser Welt zu verstehen, ist es hilfreich, in die Vergangenheit unserer Erde zurückzureisen. Den Planeten Erde gibt es vermutlich schon seit über 4,6 Milliarden Jahren. Der ständige Wandel des Klimas ist seit Anbeginn der Welt ein Teil des Ganzen. Allein die letzten 500 Millionen Jahre zeigen uns manchmal dramatische Temperatursprünge und Temperaturstürze. Während der letzten 541 Millionen Jahre variierten die durchschnittlichen Temperaturen auf der Erde zwischen 13 und 32 Grad Celsius. Diese „durchschnittliche Temperatur“ meint übrigens die gemittelte Temperatur auf dem gesamten Planeten für einen längeren Zeitraum. Dieser Zeitraum umfasst Tausende, manchmal sogar Hundertausende von Jahren. Momentan herrscht auf der Erde eine durchschnittliche Temperatur von ungefähr 15 Grad Celsius.
In den letzten Jahrmillionen starben ganze Arten manchmal sehr abrupt und überraschend aus. Die Spuren dieser Lebewesen kann man heute noch in Versteinerungen entdecken und zeitlich zuordnen. In den letzten 500 Millionen Jahren fanden fünf große Ereignisse statt, die Massenaussterben zur Folge hatten. Vor circa 440 Millionen Jahren fanden 85 Prozent aller damaligen Lebewesen ihr Ende. Vor 370 Millionen Jahren waren es abermals etwa 75 Prozent. Das dritte und größte Massenaussterben fand vor ungefähr 252 Millionen Jahren statt, an der Grenze zweier Erdepochen, der Perm-Trias-Grenze. Zeitepochen werden übrigens grundsätzlich nach Fundorten benannt, an denen markante Spuren für ein bestimmtes Erdzeitalter gefunden wurden. Bei der Bezeichnung „Perm“ handelt es sich um ein russisches Gouvernement, das sich am Fuße des Uralgebirges befindet. Beim „Trias“ handelt es sich um drei spezifische Gesteinsschichten, die einer Epoche der Erdgeschichte zugeordnet werden. Allein während dieser Übergangszeit, der Perm-Trias-Grenze, verschwanden 96 Prozent aller marinen und 70 Prozent aller terrestrischen Arten auf unserer Erde. Man spricht bei diesem Ereignis auch vom sogenannten „Great Dying“ oder vom „Großen Sterben“. Die Evolution startete danach quasi wieder beinahe bei Null. Vor 201 Millionen Jahren folgte ein weiteres Massenaussterben; und das letzte bekannte, und für uns nach wie vor sehr präsente Aussterben fand vor ungefähr 66 Millionen Jahren statt. Diesem Aussterben fielen unter anderem auch die Dinosaurier zum Opfer. Auffallend bei diesem Aussterbe-Ereignis ist, dass in Gesteinsschichten aus dieser Zeit ein hoher Anteil des Metalls Iridium gefunden wurde. Da dieses Metall auf der Erde nicht in dieser hohen Konzentration vorkommt, geht man davon aus, dass es von einem Asteroiden stammt, der auf unserem Planeten eingeschlagen hat. Dieser Einschlag hat vermutlich auch großflächige Vulkanausbrüche ausgelöst, die noch zusätzlich zu einer Verschärfung der Lebensbedingungen führten. Gesteinsschichten sind wie Seiten aus einem Erinnerungsbuch, wie unter anderem etwa auch die jährlichen Ablagerungen in Mooren oder Seen.
Auffällig ist, dass solche Massenaussterben oft gemeinsam mit Eiszeiten auftreten. Ein wichtiger Grund für ein Massenaussterben waren aber gigantische Vulkanausbrüche, viel größer, als wir sie heute kennen. Denn in diesen frühen Zeitepochen eruptierten nicht nur einzelne Vulkane, sondern ganze Vulkanfelder, die weite Teile von Kontinenten beeinflussten. Solche vulkanischen Ereignisse waren manchmal so gewaltig, dass sie sogar Auslöser für die Bildung neuer Kontinente waren.
Bäume wachsen nun schon seit über 300 Millionen Jahren auf unserer Welt. In dieser Zeit haben sie sich an viele Veränderungen anpassen müssen. Die Bäume, die wir heute sehen, sind das Ergebnis ständiger Anpassungsprozesse. Die cleversten, anpassungsfähigsten und ausdauerndsten haben überlebt und werden auch in Zukunft überleben. Spuren von Bäumen finden wir an vielen Orten dieser Welt. Manchmal sind sie so alt, dass die Bäume zu Stein geworden sind. Man kann solche Bäume an etlichen Stellen auf dieser Welt bestaunen. Wie zum Beispiel die versteinerten Bäume von Chemnitz, im österreichischen Laas bei Kötschach-Mauthen, auf der Insel Lesbos in Griechenland und an vielen anderen Teilen der Welt. Manchmal findet man sie, wenn die Erde tief aufgegraben wird. Und man staunt. Denn man muss sich ja fragen, was so überraschend und plötzlich auf die Bäume oder ganze Wälder eingewirkt hat, dass sie damals quasi von Jetzt auf Jetzt vom Leben in den Tod bugsiert wurden und im Laufe der Zeit versteinerten. Denn unter normalen Bedingungen, also an der Luft und mit ausreichend Sauerstoff, verrotten Bäume, und in der Regel bleibt von einem abgestorbenen Baum nach 20 bis 30 Jahren nur noch Erde übrig. Versteinern können Bäume nur dann, wenn dieser Sauerstoff sehr rasch und spontan entzogen wird.
Spuren von Wäldern finden sich auch in sehr alten Ablagerungen. Zum Beispiel in Steinkohlewäldern. Diese Wälder waren ursprünglich Tropenwälder. Manchmal findet man tief in europäischen Böden sogar versteinerte Palmen. Solche Bäume können jedoch nur gedeihen, wenn das Klima feucht und warm ist. Die durchschnittlichen Temperaturen waren damals deutlich höher als heute. In den letzten 500 Millionen Jahren gab es Phasen mit Durchschnittstemperaturen von über 32 Grad Celsius. Und deshalb war es auch möglich, dass in Europa Palmen wuchsen.
Ein beeindruckendes Beispiel für den langen Atem der Welt und die pflanzenhistorischen Abläufe ist das amerikanische Bighorn Basin. Das Interessante an diesem Landschaftsbecken im Norden des US-Bundesstaates Wyoming, das einen Durchmesser von 160 Kilometer aufweist, ist die Geschichte, die in diesem Becken gespeichert ist. Es ist ein Zeitzeuge von Millionen von Jahren. Und auch hier erkennt man das große Ganze dieser Welt, ihr Auf und Ab. Ganze 56 Millionen Jahre sind in den Sedimenten gespeichert, die in diesem riesigen Geländekessel abgelagert sind. Es ist wie eine große, umfassende Enzyklopädie. Ein Stück Lebenswerk der Welt. 56 Millionen Jahre an gravierenden Veränderungen sind in den einzelnen Schichten dokumentiert. Direkte Auslöser dieser Veränderungen waren etwa die durchschnittlichen Jahrestemperaturen. Sie lagen manchmal um bis zu 15 Grad höher als heute. Sehr interessant ist die Geschichte der Pflanzen, die ursprünglich in diesem Becken vorhanden waren, im Laufe der Zeit verschwanden und später wieder zurückkehrten.
Vor dem gravierenden Anstieg der damaligen Temperatur – die Temperatur von damals lag um ganze sechs Grad höher als heute – wuchsen in einer Flusslandschaft des Bighorn Basins unter anderem Birken, Ulmen, Walnussbäume, Lorbeer und Zypressen. Aber dann änderte etwas die Temperatur auf dieser Welt. Sie stieg und stieg. Das sogenannte Paläozän-Eozän-Temperaturmaximum, kurz „PETM“ genannt, setzte ein. Dabei handelt es sich um eine Zeitphase vor circa 55,8 Millionen Jahren, die zwar lediglich zwischen 170.000 und 200.000 Jahren dauerte, jedoch von einem markanten Temperaturanstieg geprägt war. Die durchschnittlichen Temperaturen stiegen dabei von ursprünglich 18 Grad Celsius auf mindestens 24 Grad Celsius. Und von den 27 vorhandenen Pflanzenarten waren nur zwei anpassungsfähig genug, mit den dramatisch veränderten Rahmenbedingungen umzugehen. Die verschwundenen Arten wurden danach von 46 anderen Arten ersetzt, die sonst vor allem in den Tropen und Subtropen vorkommen. Diese Arten überdauerten dann mehrere Jahrtausende. Nach dieser kurzen Warmphase sank die Temperatur aber wieder, und von den 27 ursprünglichen Pflanzenarten, die Jahrtausende zuvor aufgrund des Klimaanstiegs verschwunden waren, wanderten 17 wieder ein. Sie kehrten also quasi zurück in ihre ursprüngliche Heimat. Nur fünf neue Arten besiedelten das Areal zusätzlich. Und die Landschaft glich wieder beinahe jener, die man viele Jahrtausende zuvor vorgefunden hatte.
Wenn wir uns weiter der Gegenwart annähern und Jahrmillionen von der Paläozän-Eozän-Warmzeit weiterwandern, landen wir im Jahr 127.000 vor unserer Zeitrechnung am Ende der vorletzten großen Eiszeit. Man nennt diesen Zeitraum, der von 127.000 bis 11.700 Jahre vor unserer Gegenwart dauerte, das Jungpleistozän. Vor 127.000 Jahren geschah beinahe das Gleiche, was auch vor 11.700 Jahren (nach der letzten Eiszeit) wieder geschah: Es wurde wärmer. Das Jungpleistozän hat auch entsprechende Spuren hinterlassen. Unter anderem in Seebecken. Allein im nördlichen Mitteleuropa gibt es über einhundert davon, in denen die Geschichte dieser Zeit sehr genau aufgezeichnet und festgehalten ist. Eine historische Datenbank der Natur also. Ein weiteres Tagebuch der Zeit.
Die Daten bestehen vor allem aus Pollen, die Jahr für Jahr an einem Ort niedergehen. An ihrem Vorkommen und Schwankungen dieses Vorkommens kann man indirekt ablesen, wie warm oder kalt es gewesen sein muss. Man kann ablesen, welche Pflanzen eingewandert und welche verschwunden sind. Bestimmte Pflanzen benötigen bestimmte Temperaturen, um zu wachsen und groß werden zu können. Sind diese Rahmenbedingungen nicht gegeben, werden sie in bestimmten Arealen dieser Welt nicht vorkommen oder nicht vorkommen können. Vor circa 127.000 Jahren schmolz an vielen Orten der Nord- und Südhalbkugel das Eis. Es wurde rasant wärmer, auch in Mitteleuropa. Hier wanderten zuerst Birken und Kiefern ein. Danach folgen Ulmen und Eichen, die aus dem wärmeliebenden Südeuropa kamen und bei den gestiegenen Temperaturen auch hier gut gedeihen konnten. Die Temperaturen lagen damals im Optimum, also in der Phase der höchsten Erwärmung, sogar um zwei bis drei Grad höher als heute.
Die Baumartenzusammensetzung änderte sich auch in den folgenden Jahrtausenden immer wieder, was nur bedeuten kann, dass es auch immer wieder zu Temperaturschwankungen gekommen sein muss. Die Wälder breiteten sich zudem weiter in Richtung Norden aus und der Meeresspiegel stieg. Spuren des Meeresspiegelanstiegs lassen sich anhand von Ablagerungen heute noch in Skandinavien und an der Ostsee feststellen. Skandinavien war damals vermutlich eine Insel.
Auf die vorherrschenden Ulmen und Eichen folgten Eschen und Hasel, die sich mancherorts massenhaft ausbreiteten. Später kamen noch Erlen-, Eiben- und Lindenwälder sowie Hainbuchenwälder und Fichtenwälder dazu. Wie auch nach der letzten Eiszeit vor 11.700 Jahren kehrte die Weißtanne sehr spät in die Gebiete nördlich der Alpen zurück.
Als die Temperaturen am Ende dieser Warmzeit wieder sanken, breiteten sich in den Wäldern abermals Birken und Kiefern aus. Der Kreis schloss sich am Ende, und eine weitere Eiszeit begann, die die nächsten 100.000 Jahre andauern und vor 11.700 Jahren zu Ende gehen sollte …
Und das finde ich das Beeindruckende an diesen paläobiologischen Erkenntnissen. Der Beweis eines ständigen klimatischen Auf und Ab. Aber mit diesen nüchternen Informationen haben einige von uns Menschen vielleicht ein Problem. Denn diese Erkenntnisse erklären uns eindrücklich, dass sich das Klima auf unserem Planeten niemals statisch verhalten hat, dass es sich immer in gewissen Temperaturbereichen bewegt hat – und die Natur mit einer sehr großen Geduld und Anpassungsfähigkeit antwortet, wenn die Temperaturen steigen oder sinken. Eines beweisen die paläobiologischen Fakten ebenfalls: Und zwar, dass das, was man womöglich für immer verschwunden glaubt, wiederkehren kann, und in bestimmten Kontexten vermutlich auch wiederkehren wird. Stellen wir uns ein Lebewesen aus der tiefsten Vergangenheit vor, das Millionen von Jahren alt werden kann und all die Zeiten überdauert. Ein Lebewesen, das miterlebt hat, wie Palmen im Bighorn Basin gewachsen sind. Eine tropische Flora und Fauna. Und dann verschwanden diese Tiere und Pflanzen allmählich, und eine große Trauer befällt unser erfundenes Wesen, das Millionen von Jahren alt ist. Und dann kehrt die Wärme wieder zurück, die Feuchtigkeit, die Tropen und die Palmen – und das Herz unseres erfundenen Wesens beginnt vor Freude wieder laut zu schlagen, weil das Landschaftsbild, das lange verschollen war, plötzlich abermals zum Leben erwacht.
Alles liegt immer im Auge des Betrachters. Und wir Menschen können mit Veränderung manchmal nicht gut umgehen. Oft fehlt uns der Blick in die Ferne. Und zwar in beide Richtungen: in die Zukunft und in die Vergangenheit. Fehlte er uns nicht, würden wir einige Dinge vielleicht ein bisschen gelassener sehen. Dann würden wir den Herausforderungen, vor die uns die Natur stellt, vielleicht weniger angstbesetzt, sondern etwas sachlicher und nüchterner begegnen.
Um das Große und Ganze des Weltklimas sachlich zu betrachten, sind solche Feststellungen über frühere klimatische Verhältnisse sehr interessant. Für uns Menschen der Gegenwart ist jedoch vor allem das Klima seit der letzten Eiszeit von Bedeutung. Denn es stellt eine wesentliche Voraussetzung dafür dar, dass wir uns auf diesem Planeten so entwickeln konnten. Für die letzten 11.700 Jahre ist die Datenlage sehr gut, einzelne Funde kann man sogar auf das Jahr genau datieren.
Der Höhepunkt der letzten Eiszeit lag vor 21.000 Jahren. Danach stiegen die Temperaturen bis ungefähr vor 11.700 Jahren plötzlich an. Es wurde innerhalb kürzester Zeit markant wärmer. In weniger als 500 Jahren stieg der Meeresspiegel um 14 bis 18 Meter. Manchmal stieg das Meer in einem einzigen Jahr um bis zu fünf Zentimeter. Mit der zunehmenden Wärme kamen auch die Pflanzen zurück, die sich seit dem Höhepunkt der letzten Eiszeit immer weiter in Richtung Äquator zurückgezogen hatten.
Aber nicht überall auf der Welt war der Verlust der Baumartenvielfalt während der letzten Eiszeit gleich. Hohe Gebirgszüge in Ost-West-Richtung, wie zum Beispiel die Alpen in Europa, konnten für manche Baumarten zu einer Barriere werden. Denn Bäumen mit schweren oder flugunfähigen Samen war es dann nicht möglich, sich in südlichere, also wärmere Regionen zurückzuziehen, die nicht so sehr von der Eiszeit betroffen waren. Und so starben vor allem nördlich der Alpen viel mehr Baumarten aus als anderswo. Die Wälder von Südosteuropa, die Wälder der Südküste des Schwarzen Meeres, Nordamerikas, Chinas oder Japans haben auch heute noch artenreichere Wälder, da es dort keine höheren Gebirgsketten gibt, die das Zurückweichen vor dem Eis verhindert hätten. Ganz anders war das zum Beispiel in Deutschland, der Schweiz oder in Österreich.
Auch die Rückkehr vieler Bäume wurde durch die Alpen, die sich in Europa von Westen nach Osten erstrecken, verhindert – oder wenigstens verzögert. Das galt nach der letzten Eiszeit ebenfalls für Baumsamen, die kaum oder gar nicht flugfähig sind. Bei dieser verzögerten Rückkehr gab es eine grundsätzliche Faustregel: Je größer der Baumsamen, desto länger dauerte die Rückkehr in die ursprüngliche Heimat. Schneller geht und ging so etwas mit externen Transporthilfen, Vögeln oder anderen Tieren, wie Eichhörnchen, die flugunfähige Samen auch über das Hindernis der Alpen wieder zurück in Richtung Norden gebracht haben. Aber sogar in solchen Fällen hält sich die jährliche Verbreitungsdistanz in Grenzen, da sich die Verbreitung der Samen immer nur bis an die Grenze der Lebensräume dieser Tiere erstreckt. Eichhörnchen oder auch Raben verstecken Früchte von Bäumen oder Sträuchern lediglich im Umkreis ihrer Lebensmittelpunkte.
Doch allmählich wanderten die Bäume wieder zurück, aus dem Südosten und später auch aus dem Süden. So hatte sich die Weißtanne, die heute in Österreich, der Schweiz und in Deutschland wächst, während der letzten großen Eiszeit in den Süden Italiens hinab zurückgezogen, wo die Temperaturen noch einigermaßen erträglich waren, als ausgedehnte Eispanzer große Teile Europas bedeckten. Anhand genetischer Übereinstimmungen zwischen Weißtannen aus dem Süden Italiens und jenen Weißtannen, die in Österreich wachsen, weiß man, dass die gegenwärtigen österreichischen Weißtannen genetisch eindeutig mit jenen aus Kalabrien verwandt sind und ursprünglich von dort stammen.
Nach der letzten Eiszeit kamen zuerst jene Baumarten nach Mitteleuropa zurück, die eine Sache ganz besonders gut konnten: Fliegen. Um gut fliegen zu können, benötigt der Samen in der Regel Flügel oder eine propellerähnliche Vorrichtung, die den Samen durch die Luft kreiseln lässt, wie zum Beispiel bei Fichten-, Kiefern- oder Ahornsamen. Eine Alternative sind sehr leichte Flugobjekte, die ihre Samen in federleichte und ungemein flug- und gleitfähige Verpackungen aus Watte einschließen, so wie es zum Beispiel bei Pappel- oder Weidensamen der Fall ist. Je leichter das Flugobjekt, also je niedriger das Gewicht eines Baumsamens samt dazugehörendem Flugkörper, desto einfacher kann es eis- und waldfreie Gebiete anfliegen und besiedeln. Zu den ersten Besiedlern von unbewaldeten, aber waldfähigen Arealen zählen Birken, Erlen, Weiden, Pappeln und Kiefern. Diese Baumarten werden in der forstlichen Fachsprache auch „Pioniere“ genannt. Allen diesen Samen ist neben ihrer ausgezeichneten Flugfähigkeit gemein, dass sie viel Licht für ihr Gedeihen benötigen. Man nennt diese Baumarten deshalb auch „Lichtbaumarten“.
Man schätzt, dass nach der letzten Eiszeit anfangs ungefähr 95 Prozent der Fläche Mitteleuropas mit Wald oder Sträuchern bedeckt waren. Stellen Sie sich das einmal vor; dort, wo Sie heute wohnen, wuchs früher einmal ein Baum neben dem anderen. Fast überall gab es Bäume und Sträucher, unterbrochen nur von wenigen Gras- oder Sumpfflächen, Seen und Flüssen und durchzogen von den Pfaden der Tiere.
Die Kiefern und Birken, die zu Beginn der eisfreien Zeit das nördliche Europa besiedelten, wurden allmählich von der Fichte und der Hasel zurückgedrängt. Wie vor 127.000 Jahren gab es auch vor 11.700 Jahren eine plötzliche und massive Ausbreitung der Haselnuss. Manche Historiker sind der Meinung, dass der enorme Zuwachs an Haselnusssträuchern auch damit zu tun gehabt haben könnte, dass Menschen diese Sträucher bewusst als Nahrungsquelle angebaut hätten. (Haselnüsse sind sehr energiereich und schon 300 bis 400 Gramm dieser Früchte decken den täglichen Energiebedarf eines erwachsenen Menschen.) Bedenkt man jedoch, dass diese üppige Zunahme an Haselnusssträuchern auch nach dem Ende der vorletzten Eiszeit erfolgte, als die menschliche Erdbevölkerung noch überschaubar war – man schätzt, dass es deutlich unter 100.000 Menschen waren –, muss man jedoch davon ausgehen, dass es sich hierbei um eine ganz natürliche Entwicklung handelte.
In weiterer Folge wanderte nach der letzten Eiszeit die Buche ein und eroberte das Territorium. Vor einigen Tausend Jahren waren 90 Prozent der europäischen Wälder Buchenwälder beziehungsweise Laubwälder, die vor allem von Tannen und Fichten durchsetzt waren. Ausnahmen bildeten lediglich feuchte, ebene Gebiete in der Nähe von Flüssen. Dort dominierten die Pioniere – Birken, Weiden und Pappeln – nach wie vor. Doch diese natürliche Baumartenzusammensetzung endete vor 9.000 Jahren.
Die Flora Europas hat sich in den Jahrhunderten nach der letzten Eiszeit also sehr verändert. Dort, wo nach der letzten Eiszeit keimfähiger Boden vorhanden war, siedelten die ersten Pionierbäume wie Birken, Pappeln, Weiden oder Wacholder. Wir können diesen Prozess der Wiederbesiedlung nach Eiszeiten sehr gut in Grönland feststellen. Dort findet in einigen Gebieten der Insel gegenwärtig genau das statt, was weiter südlich vor circa 12.000 Jahren begann. Die Sand- und Schotterflächen, die vom Eis befreit sind, werden zu einem Bett für Keimlinge. Flächen, die das Jahr über mehr als 150 Tage lang mit einer durchschnittlichen Temperatur von mehr als 6,5 Grad aufwarten können, werden von Sträuchern und Bäumen besiedelt. Ebenso, wie weite Teile Europas nach der letzten Eiszeit von langlebigen Pflanzen besiedelt wurden.
Auf immer größeren Flächen der nördlichen Hemisphäre keimten nach der letzten Eiszeit Sträucher und Bäume, die sich allmählich zu Wäldern entwickelten. Das ist ein natürlicher Prozess. Der Wald verleibt sich die Flächen ein. Man kann dieses Phänomen auch heute immer wieder sehen, wo landwirtschaftliche Flächen nicht mehr betreut oder aufgelassen werden oder auf Flächen mitten in einer Stadt, auf denen vormals ein Bauwerk stand und für einige Zeit nur der offene Boden zurückbleibt. (s. S. 193, Bild 1: Die Natur holt sich ihr Territorium zurück – verwilderte Fläche, auf der vormals ein Haus stand.) Binnen kürzester Zeit werden sich auf diesen Flächen Gräser, Sträucher und Bäume ansamen. Werden diese Pflanzen nicht entfernt, entsteht innerhalb weniger Jahre wieder ein Wald.
Nach der letzten Eiszeit konnte sich der Wald lange Zeit ungehindert ausbreiten. Große Teile Europas verwaldeten. Nach den Pionierbaumarten Birke, Weide und Pappel folgten vor allem Buchen, Eichen, Fichten, Kiefern und später die Tannen. Erst in der Jungsteinzeit (dem sogenannten „Neolithikum“) vor ungefähr 10.000 Jahren erfolgten die ersten menschlichen Eingriffe in dieses weitläufige Urwaldsystem. Die Anzahl der Menschen war jedoch noch gering und die Spuren, die sie in der Landschaft hinterließen, verloren sich rasch wieder, sobald die Menschen weitergezogen waren, um andernorts Wälder zu roden und urbar zu machen.
Doch die Menschen wurden mehr. Ein kleines Dorf, das im Durchschnitt aus 100 bis 150 Personen bestand, benötigte bereits eine Fläche von ungefähr 35 Hektar gerodetem Land, um zu überleben. Mit der Zunahme der Bevölkerung in Europa wurde die Waldlandschaft allmählich in eine Kulturlandschaft umgewandelt. Aus den Dörfern wurden Städte – und die Wälder wurden mehr und mehr zurückgedrängt.
Vor 9.000 Jahren begann nämlich der Mensch, die ersten Wälder durch Brandrodungen oder Baumhiebe zu entfernen, um den Boden landwirtschaftlich nutzbar zu machen. Zuerst wurden vor allem die mächtigen Buchen mit ihren ausladenden Kronen gefällt, denn das war am effektivsten. Zum Vergleich: Eine Buche beansprucht vier- bis fünfmal so viel Platz wie eine Tanne oder eine Fichte. Aus diesem Grund ging das Roden eines Buchenwaldes wesentlich schneller als das Entfernen eines Nadelwaldes. Gerodet wurden zuerst vor allem ebene Flächen. Nachdem ein Wald entfernt war, baute man dort Getreide an oder ließ auf den entstandenen Wiesen das domestizierte, also gezähmte Vieh weiden. Sank der Ertrag der gerodeten Flächen, zog man weiter, rodete eine neue Fläche, und die landwirtschaftliche Nutzung begann von Neuem. Die zurückgelassenen Flächen überließ man sich selbst, und in kürzester Zeit eroberten die Bäume das Land zurück, das man der Natur zuvor abgerungen hatte; schon nach einigen Jahrzehnten waren die Flächen wieder vollkommen bewaldet. (s. S. 194/195, Bild 2 u. 3: Beachvolleyballplatz mit den Ahornkeimlingen – und was davon übrig bleibt. s. S. 194/195, Bild 4: Unscheinbar und trotzdem da – Ahornkeimlinge in einer Frühlingswiese)
Wenn wir heute von Urwäldern sprechen, müssen wir demzufolge einräumen, dass es sie streng genommen höchstens noch in steilen, unwegsamen und unzugänglichen Flächen geben kann. Die anderen Wälder wurden im Laufe der letzten Jahrtausende mehrfach überprägt und sind später unter Umständen auch von anderen als nur den dort ursprünglichen Baumarten besiedelt worden.
Die Geschichte der Pflanzen, die nach dem Ende der letzten Eiszeit in den verschiedenen Regionen dieser Welt gewachsen sind, ist anhand von Pollenanalysen in Mooren sehr gut dokumentiert. Pflanzen kamen, breiteten sich aus, Pflanzen verschwanden. In Mooren lassen sich auch Kohlepartikel nachweisen. Diese können auf Waldbrände hinweisen, meistens handelte es sich jedoch um Brandrodungen. Nehmen in einem Moor kurz nach einer Schicht aus Kohlepartikeln Getreidepollen sprunghaft zu, ist das ein eindeutiger Beleg für die landwirtschaftlichen Aktivitäten des Menschen nach einer Brandrodung.
In den Mooren kann man auch das Kommen und Gehen sowie die Ausbreitung und den Rückgang von Bäumen sehr gut nachlesen. Vor 5.000 Jahren sank zum Beispiel die Anzahl der Ulmenpollen plötzlich beinahe gegen null. Die Ulme starb in dieser Zeit in Europa fast gänzlich aus. Keiner weiß weshalb. Vielleicht lag die Ursache in der massenhaften Vermehrung des Ulmensplintkäfers, der Europa vor einigen Jahren abermals heimsuchte und beinahe sämtliche Ulmen zum Absterben brachte.
Ein ideales Gebiet für die Landwirtschaft war etwa die italienische Poebene, die damals vor allem mit wärmeliebenden Eichen bewachsen war. Die Poebene erstreckt sich am Rand der Südalpen nach Osten bis hinab zur Adria. Und sie ist beinahe vollkommen eben. Im Laufe der Jahrhunderte nach der letzten Eiszeit verschwanden dort die Wälder aufgrund der ebenen Lage dieses Gebietes und der Bevölkerungszunahme in dieser Region. In der Poebene gibt es nach wie vor kaum eine ebene Fläche, die noch bewaldet ist. Es sei denn, man zählt die in Reih und Glied angelegten Pappelplantagen dazu, die vor allem zur Papier- und Palettenproduktion herangezogen werden. Aber vielleicht sollte man in einem solchen Fall nicht von einem Wald, sondern eher von einem Baumacker sprechen. (s. S. 196, Bild 5: Pappelplantage.)“
Die Bewaldung Europas sank vor 6.000 Jahren auf 80 Prozent. Und sie sank und sank. Trotz der menschlichen Rodungstätigkeit muss der Anteil der Buchen in Europa noch vor 2.000 Jahren relativ hoch gewesen sein. Denn kein Geringerer als der römische Historiker Tacitus schreibt in seiner Germania – einer Abhandlung und Beschreibung über ein Teilgebiet des jetzigen Deutschlands von etwa 100 n. Chr. –, dass nördlich des römischen Reiches ausgedehnte Buchenwälder vorherrschten.
Die Gier nach landwirtschaftlichen Flächen und nach Viehzuchtgebieten nahm in Europa im Laufe der Zeit immer mehr zu. Karl der Große erhob das Zurückdrängen des Waldes zu einem seiner obersten Prinzipien, um die landwirtschaftliche Produktion in seinem Reich zu sichern, und erklärte im Jahr 795, dass nicht ein Acker verloren gehen dürfe.
Der Holzbedarf in Europa erreichte im Mittelalter schließlich noch nie gekannte Ausmaße. Holz wurde für viele Lebenszwecke gebraucht. Man benötigte Holz zum Heizen, zum Kochen und zum Bauen. Die Tischler benötigten Holz, die Wagner, Küfer und Schiffsbauer. Die Metzger und die Fischer benötigten es zum Räuchern. Bäckereien, Brauereien, Töpfer und Schmiede kamen ohne Holz nicht aus. Der Gerber brauchte vor allem die Rinde von Eichen oder Fichten, in denen sich die für die Lederproduktion erforderlichen Gerbstoffe befanden. Man benötigte Holz für die Glasgewinnung. Die Herstellung von Glas erfordert Temperaturen von 1.700 Grad, um Quarz und Pottasche zu schmelzen. Um diese hohen Temperaturen überhaupt erreichen zu können, musste erst noch Holzkohle hergestellt werden, indem man Meiler errichtete und das Holz dort verkohlte. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb sich viele Glasbläsereien oft abseits der großen Städte mitten in ausgedehnten Wäldern befanden: Dort konnte man die Holzkohle gleich vor Ort herstellen und verkürzte so die Transportwege für die fertige Kohle. Zudem benötigte man Pottasche, die beim Erzeugen von Glas als Katalysator fungiert und den Schmelzpunkt des Glases senkt. Und um Pottasche zu gewinnen, brauchte man Buchenholz.
Obwohl diese Bereiche des täglichen Lebens schon sehr viel Holz erforderten, verblassten ihre Holzverbräuche gegenüber der Salzgewinnung und der Verhüttung von Erzen. Für die Herstellung einer Tonne Salz waren acht Tonnen Holz erforderlich! Das oft flüssige Salz musste auf riesigen Salzpfannen so lange erhitzt werden, bis die gesamte Flüssigkeit verdunstet war und nur noch das trockene Salz übrig blieb. Um sich den Holzbedarf einzelner Salzgewinnungsstätten ungefähr vorstellen zu können, sei nur das Beispiel der bayerischen Saline Reichenhall angeführt. Dort benötigte man allein im Jahr 1750 250.000 Festmeter (Kubikmeter) Holz für die Gewinnung von Salz. Das ist in etwa jene Menge Holz, die auf einer Fläche von 25.000 Hektar beziehungsweise 250 Quadratkilometern Wald pro Jahr nachwächst. Eine enorme Menge für eine einzige Saline.
Die Verhüttungsindustrie übertraf diesbezüglich aber selbst noch die Gewinnung von kristallinem Salz: Man verhüttete Erze, in denen Eisen, Kupfer, Silber oder Blei enthalten war, und benötigte dafür Unmengen an Holz und Wasser. Das Holz war bereits bei der Gewinnung des Roherzes erforderlich. Man verwendete dafür das sogenannte „Grubenholz“. Dabei stapelte man Holzstöße vor Erzadern und zündete sie an. Die entstehende Hitze machte das Gestein spröde und erleichterte so den Abbau. (Erst im 19. Jahrhundert wurde das Sprengpulver erfunden, das diese Arbeitsweise beendete.) Um Erz zu gewinnen, benötigte man zudem auch Balken und Steher, um die Schächte und Stollen zu stabilisieren. Der Holzbedarf für die Erzgewinnung erreichte in Teilen Europas unglaubliche Dimensionen. In den Eisenhütten im heutigen Rheinland-Pfalz wurden allein im Jahr 1822 80.000 Tonnen Roheisen hergestellt. Um diese 80.000 Tonnen Roheisen gewinnen zu können, brauchte es vier Millionen Festmeter Holz. Nur ein kleiner Vergleich: Im Jahr 2016 wurden im selben Gebiet maschinell circa 3,2 Millionen Festmeter Holz geerntet. Damals mussten sämtliche Bäume jedoch noch von Hand gefällt, zersägt und gespalten werden. Eine immense menschliche Arbeitsleistung.
Der Hunger nach Holz war also immer größer geworden, und seine Verfügbarkeit im gleichen Verhältnis immer geringer. Einer der Auslöser für die Bauernkriege war unter anderem auch der Mangel – und gleichzeitig dringende Bedarf – an Holz. Und auch im Dreißigjährigen Krieg wurde unter anderem um Holz gekämpft. Wälder wurden geplündert, um Kriegsschulden zu begleichen. Genauso, wie man es auch viel später nach den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts wieder machen sollte. Die Fundamente, auf denen zum Beispiel die Häuser Kopenhagens oder Stockholms ruhen, stammen teilweise aus Deutschland. Denn mit dem Einfall in Pommern wurde auch Holz geplündert und nach Dänemark und Schweden verfrachtet. Der Raubbau in den Wäldern Europas hatte dramatische Folgen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in den ebenen Gebieten Frankreichs und Englands beinahe keine bewaldeten Flächen mehr. In Deutschland war der Waldbestand auf ein Drittel der ursprünglichen Waldfläche zurückgegangen. Auch in Amerika erfolgten seit dem 18. Jahrhundert sehr massive Eingriffe in Waldökosysteme. Große Teile Amerikas wurden seither gerodet und in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt.
Mit dem Verschwinden der Wälder ergaben sich oft noch weitere negative Folgen, die das Landschaftsbild manchmal gravierend veränderten. Hatten sich die gerodeten Wälder auf geneigtem Gelände befunden, begann der Abtrag von Humus und Erde, die sich darauf befanden. In manchen Gegenden verkarsteten die Böden. Heideland entstand. Und in den Gebirgen entwickelten sich weitflächige Teppiche aus Alpenrosen. Zuvor waren auf diesen Teppichen meist Wälder aus Zirben und Lärchen gestanden. Mit dem Verlust des Rohbodens sank auch der Grundwasserspiegel.
Die Abholzung der Wälder hatte auch für die Menschen direkte Konsequenzen. Der Rohstoff Holz wurde immer mehr zur Mangelware. In manchen Regionen fehlte er bald gänzlich. Holz wurde teuer. Einer, der früh erkannte, dass der Mangel an Holz die Metallgewinnung irgendwann verunmöglichen würde, war Hannß Carl von Carlowitz (1645–1714). Er war studierter Rechtswissenschaftler, später aber auch Oberberghauptmann des sächsischen Erzgebirges. Hannß Carl von Carlowitz wird von vielen Forstleuten gerne als Sinnbild und Urvater der forstwirtschaftlichen Nachhaltigkeit genannt. Als einer, dem der Wald wichtig war, und der sich vehement dafür einsetzte, dass in einem Wald nicht mehr Bäume entnommen werden durften als auch nachwuchsen. Carlowitz’ Gedanken waren dabei aber nicht von einer Liebe zur Natur und zum Wald geleitet. Als er seine Nachhaltigkeitsthese aufstellte, hatte das für ihn ausschließlich pragmatische und wirtschaftliche Ursachen. Denn er benötigte den Rohstoff Holz zur Verhüttung von Erzen. Und für diesen Zweck sollte Holz auch stets verfügbar bleiben. Seine Position entstammte also einer rein ökonomischen Sichtweise. Ein Plünderer der Wälder, der sich Sorgen um den Nachschub für seine Erzgewinnungsanlagen machte, wurde so posthum zum Vater des ökologischen Gleichgewichts in den Wäldern. Das wirkt fast etwas zynisch. Einigen Forstleuten sind die Gedanken von Carlowitz, der 1713 dann auch ein Buch über den Wald verfasste, heute noch beinahe heilig.
Eine positive Folge seines Schaffens war immerhin, dass man Flächen, die man zuvor großräumig kahl geschlagen und danach sich selbst überlassen hatte, nunmehr wieder aufforstete. Und bald erkannte man, dass sich für solche Wiederaufforstungen eine ganz bestimmte Baumart ganz besonders gut eignete. Die Fichte. Deshalb wurde ab dem 18. Jahrhundert Hektar für Hektar, Quadratkilometer für Quadratkilometer mit Fichten aufgeforstet – und damit gleichzeitig die Philosophie der Fichtenmonokultur begründet. Eine Philosophie, die uns bis heute begleitet und manchmal auch negativ verfolgt. Man denke an die gegenwärtige Borkenkäferproblematik in den Fichtenwäldern. (s. S. 197, Bild 6: Fichtenmonokultur.) Die Ursache für diese Problematik und für die aus heutiger Sicht waldbauliche Fehlleistung liegt also viele Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrhunderte, zurück. Entschuldigend könnte man anführen, dass man im 19. und bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts noch nicht ahnen konnte, welche klimatischen Entwicklungen Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts einsetzen würden. Denn im relativ kühlen 19. Jahrhundert waren die Fichten in tieferen Lagen noch nicht so trockenen und heißen Sommern ausgesetzt wie heute. Und gegenwärtig gibt es nach wie vor Bereiche, in denen Fichten in natürlicher Form beinahe monoton vorkommen. Etwa in einigen Hochlagen ab 1.500 Metern Seehöhe bis hinauf zur Waldgrenze.
Die Forstwissenschaft entwickelte sich letztlich aus der Holznot heraus, um den Anbau von ökonomisch interessanten Baumarten sowie die optimale Baumartenwahl zu erforschen. Im 18. Jahrhundert entstanden deshalb die ersten Forstschulen. In Wernigerode wurde 1763 die erste forstliche Meisterschule begründet und im Jahr 1770 in Berlin die erste Forstakademie.
Im Anfangsstadium dieser Wissenschaft wurden manchmal jedoch weitreichende und nachhaltige Fehler gemacht. Ich erinnere mich an einen Wald im Lehrforst der Försterschule in Bruck an der Mur, die im Jahr 1900 gegründet und noch von Kaiser Franz Josef I. eröffnet wurde. In einem Teil des Lehrforstes wuchsen Kiefern, die in den Anfangsjahren der Försterschule aus dem damaligen Kronland Böhmen, das heute ein Teilgebiet Tschechiens ist, importiert wurden. In Böhmen gediehen diese Kiefern prächtig. Im Lehrforst Bruck an der Mur auch. Aber nur anfangs. Waren die Stämme der ausgewachsenen Kiefern in Böhmen kerzengerade und versprachen deshalb gute Erlöse, so entwickelten jene in Bruck an der Mur im Alter leichte Schlangenlinien. Als Qualitätsholz waren die Stämme dieser Bäume nicht zu verkaufen. Man muss bedenken, dass im Anfangsstadium der Wiederaufforstungen von Kahlflächen bei importierten Setzlingen – also kleinen Bäumchen – manchmal keine allzu große Rücksicht auf die Herkunft genommen wurde. Wichtig erschien, dass es eine Fichte war oder eine Tanne oder eine Kiefer. Wuchs sie an einem Standort sehr gut, glaubte man, dass sie das auch woanders tun würde. Auch auf die ursprüngliche Höhenlage der Bäume, die die verwendeten Samen produziert hatten, nahm man manchmal keine Rücksicht. Manche dieser Bäume und Wälder gibt es noch, einige davon sind allerdings begrenzt, sehr schlecht oder gar nicht an den Standort angepasst, an dem sie nun wachsen. Und gepflanzt wurde vom 18. bis hinein ins 20. Jahrhundert ausgiebig. In der Schweiz wurden zum Beispiel bis in die 1960er-Jahre jährlich 20 bis 25 Millionen Bäume aufgeforstet. 2015 waren es immerhin noch 1,1 bis 1,4 Millionen.1
Im Nachhinein kann man nicht sicher sagen, ob die damals gepflanzten Bäume so resistent gegenüber Frost, Schnee, Hitze oder Trockenheit sind, wie es die an diesen Standorten natürlich vorkommenden Bäume eventuell gewesen wären. Diesen Aspekt sollte man unbedingt mitbedenken, wenn man das gegenwärtige Waldsterben diskutiert. Angepasst sind Samen von Bäumen, die in einer räumlichen Nähe zum Mutterbaum keimen und wachsen. Bäume aus anderen Regionen und Höhenlagen sind es unter Umständen nicht.
Die Gier nach Holz dauerte über Jahrtausende an. Aber dann ging die Ausbeutung allmählich zurück. Die Zeiten hatten sich geändert. Der Mensch hatte eine Wunderapparatur erfunden, die auf Jahrhunderte tiefgreifende Konsequenzen haben sollte. Die Dampfmaschine. Und zur gleichen Zeit wurden die Stein- und Braunkohle als Energieträger entdeckt. Später kamen Erdöl und Gas, Atom-, Solar- und Photovoltaikenergie hinzu. Ab den 1990er-Jahren vertraute man schließlich schon so sehr auf diese Energiequellen, vor allem auf das Gas, dass man an vielen Orten nicht einmal mehr Kamine errichtete, wenn man Häuser oder Wohnanlagen hochzog. Ich glaube, dass man Häuser ohne Kamin oder Holzfeuerstelle noch in den 1950er-Jahren für verrückt gehalten hätte. Aber die Zeiten änderten sich, auch was die Energiegewinnung betraf. Und zwar radikal.
Wie rückläufig die Verwendung von Holz und Holzmaterialien im Lauf der letzten Jahrzehnte ist, soll folgende Geschichte verdeutlichen, die beinahe exemplarisch für diese Veränderung stehen kann. Ich habe im Rahmen eines Oral-History-Projekts Menschen, vor allem ältere, über forstgeschichtlich relevante Dinge befragt. Ein Waldaufseher aus dem Großen Walsertal in Vorarlberg erzählte mir, dass er in den 1950er-Jahren für eine Frau eine Holznutzung organisiert habe. Nach einer weiteren Holznutzung, kurz vor seiner Pensionierung 40 Jahre später, rief die Frau ihn nach der Beendigung der Forstarbeiten an. Bei der Abrechnung sei offensichtlich etwas vergessen worden – das Nutzholz sei angeführt, die Brennholzstämme, aber die Brennholzäste finde sie nirgendwo aufgelistet. Der Waldaufseher habe der Frau erklärt, dass man heutzutage keine Brennholzäste mehr verkaufen würde. Schlicht, weil sie niemand mehr haben wolle. Die Äste blieben im Wald liegen und verrotteten dort. Die betagte Frau konnte und wollte nicht verstehen, dass man dieses kostbare Brennholz einfach im Wald liegen ließ und musste sich damals sogar vor Ort im Wald von diesem Umstand überzeugen lassen. Heute zählt diese Vorgangsweise in vielen Gebieten Europas beinahe zur Normalität. Ich habe während meiner Dienstzeit als Förster immer wieder in Gemeindeblättern vermelden lassen, dass Äste, die nach Holznutzungen noch auf den Waldflächen liegen bleiben, nach Entfernen der Feinäste und Nadeln, die wegen des Mineralstoffgehalts unbedingt im Wald bleiben sollten, gratis entnommen werden dürfen. Äste stellen wegen der engen Jahresringe ein hervorragendes Brennholz dar. Dennoch meldete sich auf diese Annoncen kaum jemand. Und eines lässt man noch gerne außer Acht. Und zwar, welche dramatischen Konsequenzen es unter Umständen haben kann, trockene Äste in Wäldern zu belassen. Dazu werde ich im Abschnitt über Waldbrände noch Genaueres berichten.
Es gibt vielleicht eine Ausnahme, die jedoch wieder ein anderes Extrem der gegenwärtigen Holznutzung aufzeigt: Die sogenannte „Ganzbaummethode“. Dabei werden mithilfe von Seilbahnen ganze Bäume, samt aller Äste, aus dem Wald befördert. Auf einem Manipulationsplatz an einer Forststraße werden die Bäume dann maschinell entastet und in vier oder fünf Meter lange Stämme zersägt. Da Holzhackschnitzelheizungen in manchen Regionen Europas sehr zugenommen haben, wird nun auch das Holz, das bei der Entastung anfällt, genutzt. Leider werden bei solchen Nutzungen mit einem hohen Nadelholzanteil auch die Nadeln, die sich ja noch immer an den Ästen befinden, gleich mitgehäckselt. Das hat zur Folge, dass wichtige Nähr- und Mineralstoffe, die sich in den Nadeln befinden, ebenfalls aus dem Wald entfernt werden. Zum Glück hat in letzter Zeit jedoch ein Umdenken stattgefunden, sodass vor allem die Nadeln der Äste wieder dort verbleiben, wo der gefällte Baum ursprünglich gewachsen ist.
Wenn man über die Wiederbewaldung der Wälder nachdenkt, darf man auch die Baumwollproduktion nicht außer Acht lassen, die seit der einsetzenden Globalisierung im 19. Jahrhundert ein immer wichtigerer Teil der Textilindustrie geworden ist. Seit Jahrtausenden hatte man in Europa die Kleider aus Leinen, Flachs und vor allem aus Schafwolle erzeugt. Und die Schafe wurden nicht nur auf Weiden, sondern auch in Wälder geführt, wo sie junge Bäume benagten, und damit die Entwicklung eines Waldes be- oder sogar verhinderten. Dadurch entstand vielerorts aus Wäldern Heideland. Durch die neuen Textilrohstoffe wurde der Bestand an Schafherden in Europa aber von Jahrzehnt zu Jahrzehnt geringer – und so konnten sich aus den Weiden wieder Wälder entwickeln. Die Wälder in Europa erholten sich auch in dieser Hinsicht. Als Beispiel sei Lüneburg angeführt. Im Jahr 1864 gab es dort 170.000 Hektar Wald. 1939 waren es schon wieder 352.000 Hektar.