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Der buddhistische Weg zu mehr Gelassenheit und Ruhe. Sich selbst bewusst wahrnehmen und das Leben aktiv gestalten: Achtsamkeit hilft sich auf den gegenwärtigen Moment - das Hier und Jetzt - wieder bewusster einzulassen. Die deutsche Achtsamkeitsexpertin Maren Schneider zeigt, wie Bewusstheit, Meditation und Körperarbeit dazu beitragen, Stress zu bewältigen und sich wieder mehr auf das Wesentliche zu besinnen. Eine fundierte und praxisorientierte Einführung mit vielen wertvollen Übungen für den Alltag. Aktualisierte Neuauflage des erfolgreichen Klassikers. Mit Gratis-Online-Meditations-Kurs
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Seitenzahl: 264
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Vorwort
Dank
Einführung
Die Grundlagen der Achtsamkeit
Die vier Grundlagen der Achtsamkeit
Achtsame Betrachtung des Körpers
Achtsame Betrachtung der Empfindungen
Achtsame Betrachtung des Geistes
Achtsame Betrachtung der Geistesobjekte
Die acht Punkte der Achtsamkeit
1. Wertneutralität
2. Geduld
3. Anfängergeist
4. Vertrauen
5. Nichtidentifikation
6. Akzeptanz
7. Loslassen
8. Liebe und Mitgefühl
Einführung in die Meditation
Der Atem
Die Meditation
Aufräumen mit Missverständnissen
Was ist Meditation?
Warum meditieren?
Wo meditieren?
Wann meditieren?
Wie lange meditieren?
Wie meditieren?
Was tun mit aufkommenden Gedanken?
Warum gerade der Atem?
Der Umgang mit Schwierigkeiten
Schläfrigkeit/Stumpfheit
Zweifel
Enttäuschung/Festhalten an Meditationserfahrungen
Angst
Langeweile
Unruhe/Ungeduld
Schmerzen/Körperempfindungen
Schwierige Emotionen
Hartnäckige, wiederkehrende Gedanken
Ehrgeiz/das Gefühl, sich festgefahren zu haben
Übungen
Körperübungen
Die Gehmeditation
Die Körpermeditation (Body-Scan)
Qi Gong
Yoga
Mini-Praxis – Achtsamkeit für Zwischendurch
Die 5-Minuten-Meditation
Der Atemraum
Tee-Meditation
Achtsam leben und arbeiten
Achtsamkeit braucht nicht mehr Zeit
Fegen
Glück
Gelassenheit
Vereinfachung
Humor
Kommunikation
Arbeit
Grenzen
Partnerschaft
Kinder
Alleinsein
Gewohnheit
Stille
Schwierige Lebenssituationen
Schmerz
Angst
Depression
Vergänglichkeit
Den Weg gehen
Helfer auf dem Weg
Retreat
Einmal achtsam, immer achtsam?
Freiheit
Die Letzte Belehrung Milarepas
Training, Training, Training
Anhang
Adressen
Literatur
Ein paar Worte zu mir
Dieses Buch ist mein erstes Buch gewesen, welches ich als Achtsamkeits-Lehrerin und Autorin geschrieben habe. Es ist 2009 im Knaur-Verlag erschienen. Seitdem ist viel passiert und mittlerweile sind viele weitere Bücher von mir dort und in anderen namhaften Verlagen erschienen. Dieses vorliegende Buch ist zu einem Klassiker und – wie ich aus vielen Leserbriefen erfahren habe –, zu einem immer wieder gern genutzten Nachschlagewerk für Praktizierende geworden. Das freut mich zutiefst. Nachdem es nun lange Zeit vergriffen und nur noch antiquarisch beziehbar war, gab mir der Verlag die Rechte zur freien Verfügung wieder zurück. Nun freue ich mich sehr, Ihnen diesen Klassiker neu gesetzt und leicht aktualisiert wieder über den Buchhandel zur Verfügung stellen zu können. In der ursprünglichen Fassung gehörte eine CD mit von mir gesprochenen Meditationen dazu. Doch die Zeit hat sich weiterentwickelt. So hat kaum noch jemand die Möglichkeit eine CD abzuspielen.
Stattdessen haben Sie nun die Möglichkeit sich unter https://www.maren-schneider.com/veroffentlichungen die Meditations-Tracks als MP3-Files herunter zu laden. Außerdem finden Sie in meinem Youtube-Kanal (Maren Schneider) jede Menge kostenfreie angeleitete Übungs-Tracks, wie die Atem-Meditation, den Body-Scan und eine Yoga-Übungsreihe, die Sie für Ihre Übungs-Praxis frei nutzen können.
Dieses Buch ist aus meiner eigenen Erfahrung entstanden und vermittelt die Grundzüge der Achtsamkeit im Alltag und die Übung der Meditation. Es erhebt nicht den Anspruch, ein gelehrtes Werk zu sein, ganz im Gegenteil, es ist bewusst einfach und alltagsbezogen geschrieben.
Auch wenn die Achtsamkeitspraxis aus dem südostasiatischen Buddhismus stammt, sie ist frei von jeglicher religiöser oder spiritueller Tradition und Ausrichtung praktizierbar und ermöglicht so vielen Menschen einen universellen Zugang zur Achtsamkeit.
Der Weg der Achtsamkeit ist ein Weg der Erfahrung. Er ist in den seltensten Fällen gerade und auch nicht immer leicht zu gehen. Doch wer ihn geht, wird mit der Zeit immer wieder mit ungeahnten Ausblicken, Erfahrungen und neuen Perspektiven belohnt werden. Möge Sie dieses Buch Sie auf Ihren Schritten auf dem Weg der Achtsamkeit begleiten.
Ich danke meinen Lehrerinnen und Lehrern von ganzem Herzen für ihre liebevollen und klaren Belehrungen, die meine Praxis und meine daraus erwachsene Erfahrung prägen. Welch ein unglaubliches Geschenk es ist, diese intensive und persönliche Begleitung erfahren zu haben, ist mir erst so richtig nach den vielen Jahren der Praxis bewusst geworden. Ich bin dankbar dies erlebt zu haben und mein gesamtes Leben und Lehren ist dadurch geprägt. Prägend sind und waren für mich insbesondere Lama Gendün Rinpoche, Lama Drime Öser, Lama Yeshe Sangmo, Lama Dordje Drölma, Lama Walli, Lama Sönam Lhündrup sowie Dr. Linda Myoki Lehrhaupt, Prof. Jon Kabat-Zinn und Prof. Mark Williams, denen gegenüber ich an dieser Stelle meinen tief empfundenen Dank und meine Wertschätzung zum Ausdruck bringen möchte.
Ich danke meinen Eltern aus ganzem Herzen für alles, was sie für mich getan haben und immer noch tun. Ihr seid so wunderbar und tief in meinem Herzen.
Außerdem danke ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Achtsamkeits- und Meditations-Gruppen für die Entwicklung, die wir gemeinsam machen und für die vielen Erkenntnisse, die durch sie entstanden sind.
Mögen wir alle noch ganz lange diesen wunderbaren Weg miteinander gehen und entdecken.
Es ist ein wunderschöner Abend. Ich sitze in eine Decke eingekuschelt auf meinem Balkon. Auch wenn es erst Mitte August ist, es ist schon so kühl, als wäre es Herbst. Ich möchte noch nicht hineingehen, denn wie inspirierend ist doch der Himmel, in den ich schaue, während sich meine Gedanken formen. Es ist, als würden die Gedanken freigelassen und aus den fest gefügten Mauern ausbrechen.
Der Himmel hat mich schon als Kind immens fasziniert. Wir schauen auf zum Himmel, doch wer sagt uns, dass wir nicht hinunter in den Himmel schauen und dabei kopfüber durch die Schwerkraft mit den Füßen an der Erde kleben? Alles eine Sache der Betrachtung. Die Erde ist umgeben vom Universum. Wo ist dort oben und unten? Wenn ich als kleines Kind mein Zimmer nicht mehr leiden konnte, legte ich mich einfach rücklings auf mein Bett und ließ meinen Kopf nach unten baumeln. Mein Zimmer stand Kopf, und auf einmal sah alles ganz anders aus. Ich erkannte die Symmetrie der Möbel, entdeckte Dinge, die ich von oben nicht sehen konnte, und plötzlich war ich mit meinem Zimmer wieder ganz zufrieden. Es gab eben mehr als nur eine Perspektive. Warum erzähle ich das? Nun, mit der Achtsamkeit verhält es sich ähnlich. Achtsamkeit beleuchtet die Dinge aus mehr als nur (m)einer Perspektive. Achtsamkeit lässt unser Leben reicher und bunter werden, lässt uns teilhaben an dem, was wirklich ist, ohne es zu werten oder ihm etwas hinzuzufügen. Sie lässt uns das Leben schmecken in allen Nuancen. Sie lässt uns intensiv fühlen, riechen und sehen. Sie lässt uns in einen sehr unmittelbaren Kontakt mit den Dingen treten, wie sie sind – mit den Menschen in unserer Umgebung, mit unserer Umwelt, aber auch mit uns selbst, mit dem, was uns in unserem Inneren wirklich bewegt, ohne dass wir uns wie gewöhnlich davor verschließen, uns betäuben oder gar davor weglaufen.
Achtsamkeit bedeutet, so aufmerksam und so bewusst wie möglich den gegenwärtigen Moment, das JETZT, wahrzunehmen und in ihm zu verweilen, mit einer wertneutralen, offenen und annehmende Haltung gegenüber allem, was von Moment zu Moment passiert. Es ist eine sehr friedfertige Herangehensweise. Bedenken wir, wie oft uns der gegenwärtige Augenblick nicht gefällt, wir rebellieren und die Dinge und uns selbst anders haben wollen, als sie gerade sind. Wie viel Stress und auch Streit dadurch entstehen! Achtsam zu sein bedeutet nicht, keine eigene Meinung mehr zu haben oder zu allem Ja und Amen zu sagen. Ganz im Gegenteil. Es bedeutet, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Achtsamkeit ist eine Methode, die vollkommen unmanipulativ gegenüber uns und unserer Umwelt ist, die sehr klar, liebevoll und fair ist. Achtsamkeit hilft, unser Leben heilsamer zu gestalten, Wege zu finden, achtsamer mit unseren Ressourcen umzugehen, authentischer zu kommunizieren, uns und andere besser zu verstehen und Lösungen zu finden, die uns alle wirklich weiterbringen und fördern.
Achtsamkeit ist als Methode sehr universell einsetzbar. Allerdings reicht es nicht, Bücher über Achtsamkeit zu lesen. Achtsamkeit lebt vom Selber-(Er-)leben, vom Praktizieren, Üben und Ausprobieren. Dennoch ist es sehr hilfreich, immer wieder auch einmal etwas über Achtsamkeit zu lesen, um mehr über diese spannende Lebensweise zu erfahren, auftauchende Fragen mit Gleichgesinnten, einem Lehrer, einer Lehrerin zu klären und sich immer wieder neue Inspiration zu holen. In diesem steten Wechsel von Literaturstudium, Übung im Alltag und Arbeit mit einem Lehrer wird sich die Achtsamkeitspraxis nach und nach vertiefen und alle Ihre Qualitäten freilegen. Ein faszinierender Weg, der das Leben grundlegend verändert.
Als Einführung und um Ihnen ein tieferes Verständnis der Achtsamkeit zu ermöglichen, werde ich mit der traditionellen Grundlage der Achtsamkeitspraxis, dem Satipatthana-Sutta, beginnen. Das Satipatthana-Sutta war die erste Lehrrede über die Achtsamkeit, die der Buddha vor zweitausendfünfhundert Jahren gehalten hat, und sie hat bis heute ihre Aktualität bewahren können. Ich möchte im Folgenden die vier Grundlagen der Achtsamkeit, die in diesem klassischen, poetischen Text beschrieben sind, näher erläutern, um einen ersten Einblick in die Übung der Achtsamkeit zu geben. Die einzelnen Aspekte der Achtsamkeit sind im Kapitel „Die acht Punkte der Achtsamkeit“ zusammengefasst und lehnen sich an die sieben empfohlenen Geisteshaltungen oder Einstellungen zur Meditation an, die auch Jon Kabat-Zinn in seinem Buch Gesund durch Meditation vorstellt und die ich noch um einen weiteren Punkt – Liebe und Mitgefühl – ergänzt habe, Qualitäten, die unerlässlich sind für den Weg der Achtsamkeit. Auf dieser Basis aufbauend gehe ich dann auf die Meditation und die Praxis im Alltag ein, so dass Sie aus einem großen Schatz von Anregungen und Übungen schöpfen können.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Übung der Achtsamkeit ist die Bereitschaft, eine achtsame Haltung uns selbst gegenüber und den Dingen um uns herum zu entwickeln, das heißt, den Willen und die Bereitschaft zu haben, das bewusste Sein zu schulen. Bewusst hinzuschauen, hinzuhören, zu riechen und zu schmecken, zu fühlen, eben ganz bewusst präsent im Hier und Jetzt zu leben, wie auch immer es sich darstellen mag.
Achtsamkeit lädt uns ein, uns selbst immer tiefer kennenzulernen und mit uns und dem Leben Frieden zu schließen, in Kontakt mit problematischen Situationen und Gefühlen zu bleiben, anstatt vor ihnen wegzulaufen oder die Sinne und Wahrnehmung zu betäuben. Wer der Einladung folgt, kann die Stärke entwickeln, auch die schwierigen Momente des Lebens, die sich unweigerlich immer wieder einstellen, zu meistern. Man kann die Berge nicht ohne die Täler haben, heißt es, und wo Licht ist, ist auch Schatten. Mit Hilfe der Achtsamkeit wird unsere Fähigkeit gestärkt, auch in den schwierigen Momenten des Lebens voll präsent, mutig und zuversichtlich zu bleiben und den wahren Reichtum des Augenblicks voll zu erfassen. Schmerzen und Probleme verschwinden deswegen nicht einfach, aber wir sind in der Lage, uns nicht mehr so sehr von ihnen vereinnahmen zu lassen. Auf diese Weise haben sie uns weniger im Griff, und wir sind wieder freier – im Geist und im Leben.
Praktizierende, der eine Weg, der zur Läuterung der Wesen führt, zum Überwinden von Kummer und Klagen, zum Verschwinden von Leid und Unzufriedenheit, zum Erlangen der wahren Methode und zum Verwirklichen von Nirwana – das ist der Weg des vierfachen Kultivierens von Achtsamkeit. Was sind die vier? Hier verweilen wir was den Körper angeht im Betrachten des Körpers – ausdauernd, wissensklar und achtsam, weltliche Verlangen und Sorgen aufgebend. Ebenso verweilen wir was Empfindungen angeht im Betrachten der Empfindungen, was den Geist angeht im Betrachten des Geistes und was Dharmas angeht im Betrachten der Dharmas – ausdauernd, wissensklar und achtsam, weltliche Verlangen und Sorgen aufgebend.
Buddha Shakyamuni 1
In diesen poetischen Worten ist der gesamte Weg der Achtsamkeit enthalten. Sie sind eine präzise Anleitung, wie die Achtsamkeit im alltäglichen Leben zu praktizieren ist, damit sie Früchte trägt. Um den ganzen Schatz dieser Worte zu erfassen, bedarf es einiger Erläuterungen. Lassen Sie uns also die einzelnen Bereiche eingehender betrachten, damit sich uns ihr Sinn erschließt.
Mit den einleitenden Worten „der eine Weg, der zur Läuterung der Wesen führt, zum Überwinden von Kummer und Klagen, zum Verschwinden von Leid und Unzufriedenheit, zum Erlangen der wahren Methode und zum Verwirklichen von Nirwana“, meint der Buddha, dass sein Weg ein Übungspfad ist, um täuschungsfrei wahrnehmen zu lernen und die Dinge so zu belassen, wie sie tatsächlich sind, ohne sie zu manipulieren oder anders haben zu wollen. Dies beinhaltet das Aufgeben unserer üblichen Reaktionen von Anhaftung und Ablehnung, Hoffnung und Furcht, die uns in unserem gewöhnlichen Leben normalerweise von einer Verstrickung in die nächste führen. Dann kann unser Leid ein Ende finden, und es entstehen Klarheit, Mitgefühl, Weisheit und das, was wir uns schon immer gewünscht haben, doch auf unseren gewohnten Wegen nie dauerhaft finden konnten: unzerstörbare und von äußeren Umständen unabhängige Zufriedenheit und Glück.
In unserem alltäglichen Leben verspüren wir manchmal einen Mangel. Vielleicht fühlen wir uns unzulänglich im Vergleich mit anderen, fühlen uns einer Situation nicht gewachsen oder Menschen in unserem Umfeld reagieren nicht so, wie wir es uns vorstellen. Manchmal haben wir aber auch gar keine konkrete Idee, wie etwas sein sollte, und trotzdem – es soll jetzt einfach anders sein! Wir lehnen ab, was da ist, und haften an einem imaginären Zustand, von dem wir meinen, er sei besser. Also beginnen wir, uns fortzubilden, besuchen vielleicht sogar Meditationskurse oder gehen joggen, in der Hoffnung, dass dann alles anders wird, wir vielleicht klüger werden, beliebter, entspannter, schöner – was auch immer. Meistens geht diese Rechnung aber nicht auf. Wir stellen fest, dass Joggen anstrengend ist, wir in der Meditation wütend werden und unser Sitzkissen unbequem ist. Auch das soll anders sein, das hatten wir so nicht gebucht. Also beginnen wir, uns mit Decken auszupolstern, Gefühle zu unterdrücken, uns Geschichten zu erzählen, um die Langeweile zu vertreiben und Bücher zu lesen, damit wir mehr über Meditation und Achtsamkeit erfahren, denn es kann ja sein, dass wir noch zu wenig wissen, um zu meditieren. Vielleicht erleben wir auch während der Meditation so etwas wie selige Ruhe, und wir sind sicher, dass wir genau richtig meditieren – also bewegen wir uns nicht und atmen schön gleichmäßig weiter, damit dieses Gefühl bloß lange erhalten bleibt. Plötzlich beginnen die Nachbarskinder im Treppenhaus laut zu toben. Unsere tolle Meditationsruhe zerplatzt wie eine Seifenblase. So hatten wir uns das nicht vorgestellt! Wütend reißen wir die Tür auf und beginnen mit der Mutter eine Grundsatzdiskussion übers Spielen im Treppenhaus. Die Mutter keift zurück und bald schon sind wir DAS Gesprächsthema an der Supermarktkasse. Dann suchen wir uns eben eine neue Wohnung! Ruhig gelegen sollte sie sein, damit wir endlich meditieren können. Mit einem Gefühl der Genugtuung ziehen wir um. Wir richten uns einen gemütlichen Meditationsplatz ein, stellen ein Kerzchen auf und lassen uns nieder, um wieder in diesen seligen Zustand abzutauchen, doch plötzlich schreckt uns Baulärm auf. Die Vermieterin hat mit Umbaumaßnahmen ihres Gartens begonnen und das Pflastern macht einen Heidenlärm, heiße Wut steigt in uns auf, Tränen der Verzweiflung treten uns in die Augen, ein Gefühl der Hilflosigkeit macht sich breit. Wir stopfen uns Oropax in die Ohren, doch die Erschütterungen des Presslufthammers dringen uns durch Mark und Bein. So hatten wir uns das nicht vorgestellt ... Was auch immer wir tun, irgendwie kommen wir immer wieder an diesen Punkt, den wir eigentlich vermeiden wollten. Es ist, als würden wir immer wieder an dieselbe Kreuzung kommen und langsam feststellen, dass wir im Kreis laufen.
Vielleicht fühlen wir uns aber auch großartig, haben einen tollen neuen Freund oder eine kluge, hübsche Freundin, eine interessante neue Stelle, erleben Erfolg – „... mein Haus, mein Boot, mein Pferd ...“ Sie kennen die Werbung? – Dies alles freut uns sehr, und wir sind sehr zufrieden mit unserem Leben, doch irgendwie merken wir mit der Zeit, dass es viel Engagement von uns erfordert, diesen Zustand zu halten oder noch zu verbessern. Wir versuchen für unseren neuen Partner attraktiv zu bleiben. Wir arbeiten viel, damit wir positiv auffallen, weiterhin Erfolg haben und das Geld aufbringen können, um uns das neue Auto leisten zu können, die Raten für das Haus abzubezahlen, dem Pferd Futter zu kaufen und die Stallmiete zu bezahlen, unseren Kindern eine gute Schulbildung und Sportmöglichkeiten zu bieten und so fort. Es nagt die Angst an uns, dies alles zu verlieren, wenn wir einen Fehler machen, das Joggen ausfallen lassen, dadurch vielleicht nicht mehr so fit und attraktiv für unseren Partner sind, ein Projekt in den Sand setzen, dadurch die tolle Stelle verlieren und uns die ganzen Annehmlichkeiten nicht mehr leisten können, schließlich unser Ansehen Schaden erleidet und wir dadurch unsere tollen neuen Freunde verlieren. Und auch wenn wir nachts meist noch ganz gut schlafen, da wir die auftauchenden sorgenvollen Gedanken wegdrücken können, wächst der Druck, und wir merken, dass wir die Dinge wohl nicht ewig so konservieren können. Da wir in der Regel alles daran setzen, Zustände von möglichst dauerhafter Ruhe, Glück und Zufriedenheit herzustellen, dabei die Vergänglichkeit der Dinge vollkommen außer acht lassen (passt nicht in unser Konzept), verstricken wir uns selbst immer mehr in Probleme und Unzufriedenheit, mit der Konsequenz von mehr oder weniger stark empfundenem Leid und Schmerz. Es gibt ein anschauliches Bild für unsere Jagd nach Glück und Zufriedenheit: Wir lecken am Honig, der an einer Rasierklinge klebt – verlockend süß, mit schmerzhaften Folgen.
Es gibt einen Weg, der aus diesem ganzen Schlamassel herausführt – der Weg der Achtsamkeit. Es ist ein Übungsweg, auf dem wir die Dinge unseres Erlebens täuschungsfrei wahrzunehmen lernen und uns von unseren unhaltbaren Konzepten und Manipulationsversuchen verabschieden. Erkennen wir unseren Irrtum und hören wir auf, Beständigkeit und Glück in von Natur aus unbeständigen Dingen und Situationen zu suchen, dann stellen sich Gelassenheit, Entspannung, Freude und Glück ganz natürlich ein, ohne dass wir ihnen hinterher jagen müssen. Sie sind dann einfach das „Nebenprodukt“ unserer Erkenntnis und Realisation.
Intellektuell durch Nachdenken oder das Lesen eines Buches kann dies allerdings nicht erreicht werden. Um diese Erkenntnisse für sich selbst zu erfahren, ist die Übung der Achtsamkeit und der Meditation unabdingbar. Durch die Meditation und die Kultivierung, das Selbst-(Er-)leben der Achtsamkeit im Alltag wird das intellektuell erworbene Wissen wirklich erfahrbar und umsetzbar und gelangt von unserem Intellekt in unser Herz und Erleben. Dazu brauchen wir Kontinuität, heilsame Disziplin und Aufmerksamkeit.
Wenn wir also den Pfad der Achtsamkeit beschreiten wollen, ist unsere innere Ausrichtung wichtig. Nur wenn wir uns wirklich einlassen und voller Bewusstheit und ohne jegliche Ablenkung üben, werden wir die Früchte unserer Bemühungen ernten. Das bedeutet, dass wir beginnen müssen, unserem üblichen Verlangen zu widerstehen, Dinge, Situationen oder Menschen zu manipulieren, uns ablenken zu lassen oder ins Grübeln und Sorgen zu verfallen. Nur dann werden wir neue Erfahrungen machen können, die wir nicht dauernd selbst durch Manipulation, Grübelattacken und Sorgenschleifen sabotieren.
Der Buddha gibt im Satipatthana Sutta eine präzise Anleitung, wie die Achtsamkeit durch die Betrachtung der sogenannten vier Grundlagen der Achtsamkeit kultiviert werden kann, nämlich durch die Betrachtung des Körpers, der Empfindungen, des Geistes und der Geistesobjekte, also den Dingen mit denen sich unser Erleben beschäftigt. Dabei bauen die jeweiligen Betrachtungen aufeinander auf und vertiefen nach und nach unsere Achtsamkeit und unsere Erkenntnisse.
Was jedoch bedeutet es, sich in dieser Weise achtsam mit dem Körper, den Empfindungen, dem Geist und seinen Objekten zu befassen? Lassen Sie uns das einmal genauer betrachten, damit es für uns greifbarer wird.
Unser Körper ist unser Anker im Hier und Jetzt und unser Tor zum Erleben. Bei der achtsamen Betrachtung des Körpers richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Körper. Gemeint ist hier eine Aufmerksamkeit von Moment zu Moment. Der Fokus liegt hier insbesondere auf dem Atem, auf den Empfindungen im Körper beim Sitzen, Gehen, Stehen, Liegen und dem Gewahrsein der vier Elemente, aus denen der Körper besteht, wie Erde, Wasser, Feuer und Luft.
Während wir einatmen, können wir den Strom des Einatems in unserem Körper als Empfindung spüren, sei es durch das Ausdehnen und Zusammenziehen unseres Brustkorbs, unseres Bauches oder als Empfindung eines vorbeiziehenden Lufthauchs an unseren Nasenflügeln oder im Rachen. Außerdem kann mit der Atemempfindung auch ein Gefühl von Enge oder Weite empfunden werden, von gepresstem oder frei fließendem, flachem oder tiefem Atem. Atmen Sie einmal ganz bewusst ein. Was können Sie spüren? Wie fließt Ihr Atem gerade und welche Qualität können Sie dabei wahrnehmen? Fühlt er sich gepresst oder frei fließend, flach oder tief an?
Sitzen, Gehen, Stehen und Liegen lösen unterschiedliche Empfindungen in unserem Körper aus. Es geht hier um eine grundsätzliche Achtsamkeit von innen heraus, welche die Empfindungen des Körpers in jedweder Bewegung jeden Moment präzise und wertneutral registriert. Wie fühlt es sich beispielsweise an, wenn Sie stehen? Welche körperlichen Empfindungen gehen damit einher? Wie verändert sich die Empfindung Ihres Körpers, wenn Sie sich hinsetzen oder legen? Beginnen Sie einmal, Ihren Körper ganz bewusst in diesen verschiedenen Positionen mit innerer Achtsamkeit zu erspüren.
Sich der vier Grundelemente (Erde, Feuer, Wasser, Luft) des Körpers bewusst zu werden bedeutet, mit seinem Körper in einen noch unmittelbareren Kontakt zu kommen und deutlicher die Körperempfindungen wahrzunehmen. So kann das Erd-Element als fest, substanziell, greifbar, hart oder weich, das Wasser-Element als fließend und verbindend, das Feuer-Element als heiß oder kalt und das Luft-Element als ätherisch, strömend, frei und flüchtig empfunden werden. Wie fühlt sich das Erd-Element in Ihnen an? Greifen Sie mit Ihrer Hand beispielsweise in Ihre Muskulatur, nehmen Sie so Kontakt zum Erd-Element auf, spüren Sie die Festigkeit oder die Weichheit. Dann wenden Sie sich dem Wasser-Element zu. Wie fühlt sich das Wasser-Element in Ihnen an? Nehmen Sie nun Ihre warmen Hände wahr – das ist das Feuer-Element – die Temperaturempfindungen von heiß oder kalt. Beim Atmen können Sie unmittelbaren Kontakt zum Luft-Element herstellen.
Diese einfache Wahrnehmungsübung hilft Ihnen, Ihre Achtsamkeit zu schulen und in direkten Kontakt mit Ihrem Körper zu kommen.
In einer Welt, in der wir uns vornehmlich mittels Autos oder öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen und sitzenden Tätigkeiten nachgehen, haben wir oftmals unsere natürliche Bewusstheit für unsern Körper verloren und schneiden uns so von einer großen Erfahrungswelt ab. Tänzer und andere „Körperarbeiter“ sind sich der Empfindungen ihres Körpers und seiner Präsenz im Raum im Gegensatz dazu sehr bewusst. Sie verfügen über ein großes Maß an Körperachtsamkeit, das für Außenstehende oft durch einen anmutigen Gang und eine besondere Präsenz im Raum ersichtlich wird. Die meisten Menschen nehmen ihren Körper in der Regel erst wahr, wenn er altert, seine Schönheit verliert, zu dick oder zu dünn wird, erkrankt oder schmerzt. Dabei ist unser Körper ein überaus hilfreiches Werkzeug, denn durch unseren Körper sind wir in Kontakt mit der Welt. Die Verbundenheit mit unserem Körper und die Bewusstheit für ihn erleichtern es uns, unsere Präsenz in alltäglichen Situationen aufrecht zu erhalten und auch leichter wieder zu erlangen, wenn wir merken, dass wir außer uns geraten sind.
Hierbei geht es um das Wahrnehmen unserer Empfindungen von angenehm, unangenehm oder neutral. Diese Empfindungen werden auch Gefühlstönungen genannt, weil Sie unser Erleben mit einer Empfindung tönen, wie eine farbige Brille.
Jeder dieser Empfindungen folgt eine unmittelbare Reaktion von Verlangen oder Ablehnung. Durch diese Reaktionen können Streit und Krieg, aber auch Frieden und Zuneigung entstehen, je nachdem welche Gefühlstönung jeweils vorherrschend ist. Richten wir unsere Achtsamkeit auf die Gefühlstönungen, entwickelt sich in uns die Fähigkeit, wahrzunehmen, wie wir auf Impulse reagieren, und wir lernen, uns aktiv für heilsames Handeln zu entscheiden, statt leidbringenden Impulsen nachzugeben. Darüber hinaus können wir bei achtsamem Betrachten unserer Gefühlstönungen auch erkennen, dass sie sehr vergänglich sind und wir weder Angenehmes noch Unangenehmes festhalten oder auf Dauer bewahren können.
Kontinuierlich reagieren wir mit Empfindungen von angenehm, unangenehm oder neutral auf alles, was uns widerfährt. Es ist ein subtiler Vorgang, der nicht immer bewusst wahrgenommen wird. Auch wenn Sie dieses Buch lesen, reagieren Sie unterschwellig permanent in diesen Klassifizierungen. Das eine Kapitel finden Sie vielleicht interessant, was in der Regel als angenehm empfunden wird, das andere ist für Sie vielleicht langweilig oder trocken. Das löst eine subtile unangenehme Empfindung aus. Manche Passagen sind für Sie im Augenblick nicht wichtig, sie sind weder langweilig noch interessant sondern neutral, und dies löst eine neutrale Empfindung aus. Durch die Achtsamkeit können wir ein Bewusstsein für diese Klassifizierungen erlangen, die normalerweise einfach automatisch in uns ablaufen, und werden mit der Zeit erkennen, dass alle Bereiche unseres Seins, wie beispielsweise Körper- und Sinneswahrnehmungen, Emotionen, Bewusstseinszustände und Gedanken, Empfindungen in uns auslösen, die sich in diesem Prozess gegenseitig beeinflussen. In diesem Prozess reagieren wir kontinuierlich mit Ablehnung oder Anhaftung. Haben wir beispielsweise etwas erreicht, was wir uns schon lange gewünscht haben und für das wir vielleicht auch viel Zeit und Mühe aufgewendet haben, werden wir uns darüber freuen und die Situation als angenehm empfinden. Dann tauchen jedoch vielleicht plötzlich Gedanken auf, die uns erzählen, dass wir das Erreichte wieder verlieren könnten, weil sich Situationen oder Bedingungen verändern, die wir nicht oder nur begrenzt beeinflussen können. Prompt empfinden wir das Erreichte gar nicht mehr als so angenehm, ganz im Gegenteil, es fühlt sich sehr unangenehm an; wir beginnen uns Sorgen zu machen, können vielleicht nicht mehr richtig schlafen, reagieren gestresst, und wir wünschen uns vielleicht die Zeit zurück, in der wir das Erreichte noch nicht hatten und uns so auch keine Sorgen darum machen mussten, es wieder zu verlieren. Auf die Empfindung unangenehm reagieren wir im Allgemeinen mit Ablehnung, also Nicht-Habenwollen, und auf die Empfindung angenehm, mit Anhaftung, also Haben-Wollen. Während wir etwas als angenehm empfinden, wollen wir nicht, dass diese angenehme Empfindung gestört wird und vergeht, und setzen alles daran, diesen Zustand zu zementieren. Erleben wir aber das genaue Gegenteil – wir fühlen uns mies –, dann wollen wir, dass dieser Zustand so schnell wie möglich vergeht. Also beginnen wir Situationen zu manipulieren, sei es durch Überredungskünste, Einladungen zum Essen, Meetings, Verbesserungsvorschläge, Familiensitzungen oder To-do-Listen für unsere Lieben. Selbst Streit dient manchmal dazu, dass es uns wieder besser gehen soll. Paradox nicht? Aber so etwas kennen wir alle. Wir haben uns geärgert. Damit dieses unangenehme Gefühl des Ärgerns aufhört und wir uns besser fühlen, schnauzen wir unser Gegenüber an. Doch der schnauzt zurück, und da stehen wir nun mit unserem unangenehmen Gefühl – es bleibt, steigert sich vielleicht noch, die Situation eskaliert und es kommt zum Streit. Ein ganz normaler Ablauf, doch das Ziel, das unangenehme Gefühl los zu sein, wurde so nicht erreicht, ganz im Gegenteil. Wir reagieren einfach und denken, das wäre normal so. Schließlich macht das ja jeder so, ein bisschen rumbrüllen oder seine Launen an anderen auslassen. Als Begründung haben wir Argumente wie: „Ich kann nicht anders, ich bin halt so!“ Dabei vergessen wir nur allzu häufig die Folgen unseres Verhaltens. Wir müssen aber nicht automatisch reagieren. Sind wir achtsam für unsere Empfindungen, schenkt uns das Autonomie, denn wir entwickeln die Fähigkeit wahrzunehmen, wie wir auf Impulse reagieren und welche Handlungen wir auf Grund dieser Gefühlstönungen (angenehm, unangenehm, neutral) ausführen möchten und was wir eigentlich erreichen wollen. Diese Beobachtung verschafft uns die Möglichkeit, aus dem blinden Reagieren auszusteigen, unser Leben aktiv zu gestalten und zielgerichtet angemessene Mittel zu wählen. Beispielsweise Bedürfnisse angemessen und verständlich zu kommunizieren, anstatt einfach nur rumzumeckern und anderen damit auf die Nerven zu gehen.
Hier geht es um die Betrachtung unserer geistigen Zustände, wie Wachheit oder Dumpfheit, Konzentration oder Fahrigkeit, aber auch von Gefühlen wie beispielsweise Ärger, Liebe und Mitgefühl, Hass oder Herzlosigkeit.
Mit Geist ist hier der permanente Strom unseres Erlebens gemeint. Achtsame Betrachtung des Geistes bedeutet, mit der gesamten Fülle unseres Erlebens in Kontakt zu sein, auf kognitiver, körperlicher, emotionaler und spiritueller Ebene. Wir erleben dauernd geistige Zustände: Wachheit und Präzision oder Dumpfheit, Müdigkeit, Konzentration oder Verwirrung. Auch unsere Emotionen sind geistige Zustände, denn sie haben Auswirkung auf unser Erleben. Die Achtsamkeit gehört übrigens ebenfalls zu diesen Geisteszuständen, und mit genau dieser Achtsamkeit können Sie wahrnehmen, ob Sie jetzt in diesem Moment gerade müde oder wach sind, konzentriert diesem Text folgen oder an etwas anderes denken.
Wozu soll das gut sein? Dank der Achtsamkeit können wir erleben, welche Auswirkungen diese einzelnen geistigen Zustände haben, was uns glücklich macht, wie wir uns selbst Probleme und leidhafte Situationen schaffen und was uns hilft, diese Situationen und das Leiden daran zu beenden.
Unsere Reaktionen, insbesondere unsere emotionalen, erscheinen uns meist sehr massiv und schwer zu kontrollieren. Oft fühlen wir uns ihnen hilflos ausgeliefert und würden am liebsten vor diesen bedrängenden Emotionen davonlaufen, vielleicht den Fernseher anschalten, im Internet surfen oder den Kühlschrank plündern.
Wenn wir beginnen diese Emotionen zu beobachten, wie sie kommen und auch wieder gehen, können wir erforschen, was sie oder andere Geisteszustände nährt – was sie anheizt und was ihnen ihre Nahrung entzieht – also was sie schrumpfen lässt. Alleine durch das schlichte Beobachten dieser Phänomene und das Erkennen ihrer Anwesenheit und Abwesenheit können wir erkennen, wie flüchtig und vergänglich sie sind. So erleben wir die Geisteszustände nicht mehr als so bedrängend, und das macht es für uns leichter, sie durchzustehen.
Nehmen wir als Beispiel die Wut. Taucht Wut auf, lassen wir uns in der Regel von ihr in unserem Erleben vollkommen vereinnahmen. Sie erscheint uns so massiv wie eine Dampfwalze. Und genauso reagieren wir – wie eine Dampfwalze, die aus dieser Wut heraus alles niederwalzt, was ihr in den Weg kommt. Durch die Achtsamkeit und das genaue Beobachten unseres Erlebens können wir erkennen, dass dieses Gefühl Wut durch unsere eigenen destruktiven Gedankenketten aufrecht erhalten und angefeuert wird, zum Beispiel durch Bewertungen oder durch unser Festhalten an bestimmten Vorstellungen. Was passiert nun, wenn wir uns bewusst einem anderen Objekt zuwenden, wenn wir die wilden Gedankenketten und Selbstgespräche unterbrechen oder der Wut konkret das Objekt, das uns wütend gemacht hat, entziehen? Sie schwächt sich ab oder zerplatzt wie eine Seifenblase. Diese Emotion verliert für uns ihre vermeintliche Festigkeit und wird zu etwas Fließendem, Vergänglichem. Wir erkennen, dass die Emotion Wut ein „Durchgangsphänomen“ ist, das in Abhängigkeit von Bedingungen entsteht und auch wieder vergeht. So kommen wir von der Betrachtung „ich bin wütend“ zu „Wut zieht durch mich hindurch“. Eigentlich brauchen wir nur abzuwarten, müssen die Wut nicht, wie wir bisher gedacht haben, ausagieren, damit sie weggeht, sondern wir können ihr die Nahrung entziehen und dann warten, bis sie sich von selbst auflöst. Eltern praktizieren das häufig mit ihrem Nachwuchs, lenken ihre wütenden, schreienden Kinder mit Rasseln oder Spielzeug ab und unterbrechen so den emotionalen Aufschaukelungsprozess. Und das wirkt auch bei Erwachsenen. In der Verhaltenstherapie nennt man dies Wahrnehmungslenkung. In der Achtsamkeitspraxis nutzen wir statt Rasseln beispielsweise den Atem, um wieder zum Wesentlichen zurückzukehren. Dazu mehr in den folgenden Kapiteln.
Starke Emotionen trüben unseren Geist. Der Volksmund sagt nicht umsonst „blind vor Wut“. Handlungen, die wir aus starken Emotionen heraus ausführen, ziehen nicht selten unangenehme Folgen nach sich, mit ebenfalls unangenehmen emotionalen Zuständen. Vielleicht bereuen wir im Nachhinein, was wir getan oder gesagt haben. Hätten wir doch abgewartet! Wir alle kennen die Empfehlung, erst einmal eine Nacht darüber zu schlafen. Über Nacht schwächt sich das Gefühl ab, und am Morgen sehen wir die Dinge klarer. Warum ist das so? Von einer biologischen Ebene aus betrachtet liegt der Wut zum Beispiel ein hormoneller Prozess zugrunde. Das Stresshormon Adrenalin sorgte in Urzeiten für die Entwicklung von Wutgefühlen, damit wir bestens auf einen Angriff reagieren und unseren Gegner zur Strecke bringen konnten. Zusätzlich ist Adrenalin ein Denkhemmer, denn wir sollten nicht groß überlegen, ob wir gegen irgendwelche Werte verstießen oder besser den Speer oder den Stein zur Verteidigung nutzen sollten. Entscheidungen, die unter dem Einfluss von Adrenalin getroffen werden, haben also nur Notfallcharakter und sind in den seltensten Fällen auch noch im Normalzustand empfehlenswert. Über Nacht baut sich das Hormon natürlicherweise wieder ab, und am Morgen sieht die Welt dann meist schon ganz anders aus.
Die Betrachtungsweise der Phänomene als vergänglich können wir auf alles, was sich in unserem Erleben zeigt, anwenden. Aus dieser Erkenntnis heraus brauchen wir uns nicht mehr so sehr von den Erscheinungen beeinträchtigen oder umtreiben zu lassen – mit entsprechend entspannenden Auswirkungen auf uns und unser Umfeld.
Wie entsteht unsere Wahrnehmung? Was hält uns im leidhaften Erleben gefangen, was befreit uns daraus? Die achtsame Betrachtung unserer Geistesobjekte gibt uns einen 3-D-Panorama-Blick über den gesamten Vorgang unseres Erlebens.