Der Weg der Welt - Hildegard von Bingen - E-Book

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Hildegard Von Bingen

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Vollständige Ausgabe des Klassikers der Weltliteratur.

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Seitenzahl: 249

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Der Weg der Welt

TitelseiteVisionen der Hildegard von BingenHildegard von Bingen zur Einführung1. Buch Die erste Vision: Von der geistlichen Einsicht.Die zweite Vision: Vom Fall der Engel und MenschenDritte Vision: Vom Weltall.Die vierte Vision: Von Seele und Leib.Die fünfte Vision: Von der Synagoge.Die sechste Vision: Von den Engelchören.2. Buch Die erste Vision: Vom Erlöser.Die zweite Vision: Von der Dreifaltigkeit.Die dritte Vision: Von der Taufe.Die vierte Vision: Von der Firmung.Die fünfte Vision: Von den drei Ständen.Die sechste Vision: Von der Eucharistie und Buße.Die siebte Vision: Vom besiegten Teufel.3. Buch Die erste Vision: Vom Engelsturz.Die zweite Vision: Von der Gottesstadt.Die dritte Vision: Vom Turm der Vorbereitungszeit.Die vierte Vision: Von der Säule des Gottesworts.Die fünfte Vision: Vom Zorn Gottes.Die sechste Vision: Vom alten Bund.Die siebte Vision: Von der Dreifaltigkeit.Die achte Vision: Die Säule des Erlösers.Die neunte Vision: Der Turm der Kirche.Die zehnte Vision: Die erste von der Zukunft der Kirche.Die elfte Vision: Die zweite von der Zukunft der Kirche.Die zwölfte Vision: Vom Jüngsten Gericht.Die dreizehnte Vision: Von den Chören der Seligen.Leseprobe: Auszug aus dem Debüt-Roman »Das Leben des Max Schmidt: Neuanfang« von Max, ISBN: 978-3746037738.Werke von C. Stern (teils unter Pseudonym)Impressum

Der Weg der Welt

Visionen der Hildegard von Bingen

Hildegard von Bingen zur Einführung

Deutschland hat eine dantegleiche Frau und kennt ihr Werk nicht, das Werk der größten Dichterin und Philosophin des deutschen Mittelalters, einer Prophetin und einer Heiligen, der alle Größen ihrer Zeit, Bernhard und Barbarossa, die Kirchenfürsten und weltlichen Fürsten in Ehrfurcht gehuldigt haben, und die so hoch über gemeinmenschliches Maß hinausragt, dass eben dies Übermenschliche bedrückt und scheu macht, an das Geheimnis dieser Persönlichkeit zu rühren und zu fragen, was ihr Werk zu bedeuten hat. Die Heiligengestalt ist bekannt und in ein paar guten und weniger guten Biographien gezeichnet, aber ihr Werk ist geschützt durch den Feuerkreis des symbolischen Geistes, und seine heroische Höhe ist nur zugänglich durch Geist, durch Denken in mittelalterlichem Geiste. Dabei ist es wiederum nicht die deutsche Mystik, jene Mystik des 14. Jahrhunderts, die dank den Romantikern und Germanisten leidlich erforscht, teilweise übersetzt und in ihren großen Namen wenigstens als Gemeingut der Gebildeten gelten kann und auch nicht die Scholastik des 13. Jahrhunderts, die langsam durch einen großen Kreis deutscher und ausländischer Gelehrter wieder zugänglich gemacht wird, sondern es ist die Weltanschauung des 12. Jahrhunderts, die am besten deutscher Symbolismus genannt werden kann und allein hinzuführen vermag zum Werk der prophetissa teutonica.

Dieser Geist des 12. Jahrhunderts ist uns so schwer zugänglich, weil unsere eigene Frömmigkeit allzusehr vom religiösen Einzelmenschen ausgeht, von Gebet und Andacht, Erbauung und Mystik oder Gotteserkenntnis, und weil sie die religiöse Welt kaum mehr als Gotteswerk, als absolut eigenständige Wirklichkeit, als Heilsvorgang und Heilsgeschichte, Christengemeinschaft und Gottesreich sieht. Gott und die Einzelseele, das ist unsere intime, private Religiosität, Gott und alle Geister vom Engelsturz bis zum Jüngsten Gericht, das ist die monumentale Frömmigkeit des kosmischen, weltweiten und ewigkeitstrunkenen 12. Jahrhunderts.

Es war insbesondere ein Kreis von deutschen Denkern, der im 12. Jahrhundert eine mächtige Geistesbewegung getragen hat, die ihrer äußeren literarischen Breite nach sicher die Mystik des 14. Jahrhunderts übertrifft, und die sich in den großen exegetischen Weltdichtungen eines Rupert von Deutz, Honorius, Hugo von St. Victor, Anselm von Havelberg, Otto von Freising, Gerhoh und Anselm von Reichersberg ausgesprochen hat. Nun, da langsam symbolisches und mythisches Denken auch von uns wieder innerlich errungen wird, ist es vielleicht an der Zeit, das Hauptwerk der Seherin und Dichterin dieses Kreises, der heiligen Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) zu ihrem 750jährigen Jubiläum zugänglich zu machen.

In unserem Weltbild steht alles für sich allein, und so ist alles nicht weiter bedeutungsvoll. Symbolismus aber heißt, dass schlechthin alles bedeutungsvoll ist, hinweisend auf anderes, weil alles in einer universalen Ordnung steht, alles gegenseitig aufeinander bezogen ist und in dieser Beziehung aller Sphären aufeinander einen ewigen, großen, buchstäblich welterschütternden Sinn besitzt. Alles ist Offenbarung einer unendlichen Willensmacht und Weisheit, die alle Zeiten in Ewigkeit bestimmt und ihr Werk und ihren Plan mit den Menschen in einem geschlossenen Weltepos der Entfaltung und Vollendung des Gottesreiches vollbringt. Der Kosmos einer unendlichen Zeitenordnung ist damit aufgetan, sie ist die wahre Weltordnung, alles Äußere ist nur Bild und Gleichnis, Symbol! Alles gute Endliche ist heilig, alles Sichtbare ist Zeichen, jede Form ist Gleichnis, weil im Symbolismus anders als bei der Mystik nichts in der gefühlten oder geahnten Unendlichkeit einer Einigung mit Gott versinken soll, sondern in aller Form die Hand des formenden Meisters und das Geheimnis der dreifaltigen Ordnung in Gott aufgespürt werden soll. Das Weltbild wird visionär, weil die Symbolschau durch alle Weltdinge und Weltereignisse hindurchblickt und von ihrer Bildform auf die makrokosmische und transkosmische Ordnung des Gotteswerkes schließt.

Was bisher vom Symbolismus ausgesagt wurde, ist den deutschen Symbolikern des 12. Jahrhunderts gemeinsam. Hildegard, die Frau, hat es für sich allein, dass ihre Symbolschau sich zu echten Visionen steigert. Das erhebt sie noch über Dante, der seine Visionen nur dichtet. Ihr Enthusiasmus ist in einem höchsten Sinne Poesie, Extase und Inspiratio, überwache Bilderschau und gleichsam von außen her gehörtes Wort, dessen Fülle sie stammelnd und übersprudelnd aus sich herauswirft.

Der poetische Geist ihres Werks ist zudem der eigentliche Sinn ihrer Spiritualität. Es entspricht ihrer betonten und selbstbewussten Fraulichkeit, dass sie gerade als Frau Besonderes zu sagen hat. Trotzdem gibt das individuell persönliche Gemütsleben Farbe und Klang für eine an sich durchaus objektive liturgische und kosmische Frömmigkeit ab: die Harmonie zwischen Gott und der Welt als Seelenharmonie, das ist die metaphysische Formel für ihr Werk.

Sie ist im herrlichsten Bild zu Anfang ihres HauptwerksScivias, »Wisse die Wege« oder objektiv: »Der Weg der Welt« gestaltet: die unerträglich leuchtende Majestät Gottes thront in Menschengestalt auf dem eisernen Berg der Ewigkeit und Kirche, aber der sanfte Schatten ihrer Flügel geht als die milde Erlösung von ihr aus. Vor ihm steht die Seele als Furcht Gottes und als Armut im Geiste und wird so gewaltig erleuchtet mit dem goldenen Lichtstrom der göttlichen Heilskraft und Erschließung der Siegel der Geheimnisse, dass ihr eigenes Antlitz verschwindet.

Das System der Visionen – man muss tatsächlich von einem solchen reden, so paradox es klingt, – ist dasselbe wie bei Rupert und Hugo, die Kirchengeschichte vom Engelsturz bis zum Jüngsten Gericht und zur Verklärung im Himmel. Das Weltbild ist wesenhaft in der geschichtlichen Abfolge gesehen. Aber bei Hildegard ist eine viel vehementere Dynamik wirksam als bei Hugo. Der Engelsturz ist eine kosmische Katastrophe der superbia. Ihm ist Adams und Evas Fall angeschlossen (II. Vis.). Das Weltbild selbst ist in der eigenartigsten aller mittelalterlichen Schauungen gegeben: das Bild des Ptolomäischen Weltsystems ist zunächst einmal in der Ebene eines bewegten Lichtbildes gesehen. Seine Einzelheiten sind dann sogleich, ohne dass die sichtbare Wirklichkeit der Symbole, die Goldflammen des Empyreums, die rotschwarze Schale der Blitze mit den grünen Oststürmen, die blaue Ätherwelt mit den goldenen und weißen Sternen, Sonne und Mond, die fünf Planeten, die Eis- und Regenschale und schließlich der Kreis der vier Erdelemente ausdrücklich bezeichnet würde, auf die Majestät des allmächtigen Gottes, auf Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, auf die mild leuchtende Kirche, auf die Taufe usf. gedeutet. Der symbolische Gehalt des Kosmos ist bedroht von der magischen und dämonischen Gewalt der Welt, die erst durch die Menschwerdung des Gottessohnes überwunden wurde (3. Vis.). Der Makrokosmos ist die äußere Wohnstatt der Seele, sie haust dann weiter im Mikrokosmos des Leibes, ihr leuchtender Kern ist herabgekommen vom leuchtenden Symbol des ewigen Wortes. Als Kämpferin muss die Seele erst den im mütterlichen Leibe empfangenen Turm ihrer Leiblichkeit auferbauen aus den verschiedenen Elementen und Temperamenten. Das Naturgesetz ist hier mit der Naturempfindlichkeit einer Frau in seiner ganzen Differenzierung aufgefasst und in die natürliche Dramatik der Seelenkräfte verlegt (4. Vis.). Das mosaische Gesetz ist als die starr erhabene weibliche Gestalt der Synagoge gesehen, die auf ihrer Brust Moses und in ihrem Schoß Aaron, die Patriarchen und Gerechten trägt (5. Vis.). Die neun konzentrischen Kreise der Engelchöre erklingen in himmlischer Sphärenharmonie (6. Vis.).

Das ist die himmlisch-irdische Vorgeschichte des eigentlichen, geheimnisvollen Lebens der Kirche, das in den weiteren Visionen gezeigt wird, und dem in den letzten drei Visionen das irdisch-himmlische Nachspiel des Gerichts und der Verklärung folgt. Das zweite Buch gibt zunächst die Christologie. Die Menschwerdung ist ein kosmisches Licht- und Gnadenwunder, die kosmische Wende der Wiederherstellung der Naturordnung durch die Rückverbindung des Seelenweltreichs in die Gottnatur (II, 1). Nun erst offenbart sich die Trinität in ihrem vollen Glänze als ein Menschenbild in drei Flammenkreisen der Klarheit, Kraft und Glut (II, 2). Es erscheint in den fünf weiteren Visionen des zweiten Buchs die goldstrahlende Frauengestalt der Kirche, Mutter des sakramentalen, zeitlich-ewigen Lebensdramas der Seele, groß wie eine Stadt, wunderbar getürmt, mit erhobenen Armen, von denen gleich Gottes Flügeln der Gnadenstrom vom Himmel auf die Erde träufelt. Durch das Gitter ihres Leibes gehen die Seelen zur Wiedergeburt der Taufe ein und aus (II, 3). Dann erscheint dieselbe Frauengestalt als der Turm der Firmung zur Stärkung und Salbung der Seele in ihrem Lebenskampf und dann als die leuchtend reine Jungfrau des Sakramentes der Jungfräulichkeit, der weiblichen Ordensweihe, die die Seherin hier zwischen die sieben Sakramente einfügt, und die sie mit dem priesterlichen ordo und dem Stand der Ehe zu drei gleichberechtigten Ständen der Kirche verbindet (II, 5). Die sechste Vision, die das Altarssakrament schildert, wächst zu einem mächtigen Traktat von der Eucharistie an und klingt in die Mahnung zur Buße aus. Das düstere Gegenbild dieses sakramentalen Lebens ist die siebte Vision: der im Abgrund auf 1000 Jahre gefesselte Drache in den Farben der weltlichen Traurigkeit, des Ungehorsams, der Ruhmsucht, des Neides und der Verstellung liegt neben dem Markt der irdischen Eitelkeiten. Die Dämonie der Welt ist gebunden und hell leuchtet über ihr ein hoher Berg mit vielen Flammen und Zungen, das ist der Glaube der freien Völker und die Erhabenheit ihres Ruhms.

Die ersten zehn Visionen des dritten Buches sind nochmals ein Drama im Drama, dieWeltgeschichte der Kircheals Gottesstadt auf dem Berge der Gotteswelt. Auf leuchtender Wolke thront der Christus-König über ihr, der an seiner Brust den armseligen Menschen birgt. Der zeitliche Ablauf ist durch den Zwang der Augenblicksvision zu dem bizarren Modell einer Stadt mit vier Mauern und vielen Türmen versteinert, die aufgestellt ist zwischen den vier Angelpunkten der Welt, Süd, Ost, Nord, West. In einer Vision ist zunächst die Schau der ganzen Reichsgottesstadt zusammengefasst, dann ist in einzelnen Visionen Stück für Stück geschaut, aber auch in den Einzelheiten bricht immer wieder der Sinn des Ganzen durch, so wie die Zelle im Organ und dies im Organismus steht.

Von Ost nach Nord führt die eisenfarbene Mauer derZeit von Abel bis Noe. Auf ihr erhebt sich der Turm des vorherbestimmenden Gotteswillens. Durch die Beschneidung und das Gesetz ist der Erlösungswille Gottes vorausverkündigt. Fünf Gestalten stehen auf ihm, die das Tugendleben dieser Zeit darstellen, im einzelnen zwar nur allegoriehaft gegeben sind, aber miteinander doch echtes Symbol zur Charakterisierung dieser Zeit sind (III, 3).

Eine hohe Säule an dieser Mauer zeigt dieVorläufer Christi, Abraham, Moses, Josue, die Patriarchen und Propheten, die die Menschwerdung voraussehen. Ihnen entsprechen die Apostel, Märtyrer, Bekenner und Jungfrauen an der zweiten Kante, an der dritten aber leuchtet der Glanz derspiritualis intelligentia, des geistlichen Verständnisses der Schrift (III, 4). Über der ersten Ecke erhebt sich gleich einem Mauerkopf das schreckhafte rotleuchtende Haupt des göttlichen Zorns (III, 5).

Von Norden nach Westen erstreckt sich die dreifache Steinmauer desWerkes der Kirche im israelitischen Volkvon Abraham und Moses bis zur Menschwerdung. Unter diesem nicht gerade glücklichen Bilde ist dieSoziallehreHildegards untergebracht, die Unterordnung aller Menschen und Völker unter das Königtum Christi, das alle frei macht. Die Führergestalten ragen hervor, und durch den Hinblick auf sie unterscheidet sich edel und unedel (III, 6). Die Säule der Dreifaltigkeit, die nochmals die Verbindung des symbolischen Geistes mit der Trinität darstellt, steht im Schnittpunkt der nördlichen und westlichen Mauer, mit der nun dieneue Kirchengeschichte bis zur Gegenwart Hildegardsbeginnt (III, 7). Die Säule der Menschwerdung als Lebensoffenbarung des Leibes Christi wird verdeutlicht durch die christlichen Haupttugenden, Glaube, Hoffnung, Liebe, Demut, Gottesfurcht, Gehorsam, Keuschheit, Unschuld und Gottesgnade (III, 8). Endlich gibt der Turm der Kirche in einem sehr eindrucksvollen Bilde das Kirchenleben selbst. Die Gläubigen gehen durch ihn hindurch und steigen in ihm auf der mystischen Leiter empor, wo oben die sieben Gaben des Heiligen Geistes stehen als die eigentlich spirituellen Lebenskräfte der Kirche. Noch gewaltiger aber entfaltet sich die eschatologische Furchtbarkeit, das tremendum der noch ausstehendenKirchengeschichte der Zukunft, die in drei analogen Bildern gegeben wird, in fünf apokalyptischen Tieren des Hundes, Löwen, Pferdes, Schweines und Wolfes als Symbolen der wildesten Lebenstriebe der zeitlichen Reiche, der Feurigkeit, Kriegswut, Leichtfertigkeit, Unreinheit und Raubgier. Die Gestalt des Christus-Königs wird nun auch von der Mitte nach unten hin bis zu den Füßen geoffenbart als der leidende Christus der fünf kommenden, antichristlichen Verfolgungszeiten, und endlich wird im furchtbarsten aller Bilder auch der untere Teil der Kirchengestalt selbst gezeigt, nackt und blutig mit zerschlagenen Beinen, in ihrem Schöße das teuflische Haupt des Antichrist, der nach fünf Zeitabschnitten am sechsten wie einst der Mensch nach den fünf Schöpfungstagen als der andere Menschensohn der Dämonie erscheinen wird, sich in der gewaltigen Endkatastrophe zur Himmelshöhe erheben, aber durch das Donnerwort Christi herabgestürzt werden wird (III, 11). Dann kommt das Weltgericht mit der Auferweckung der Toten und das Erscheinen des Richters, der Sturz der Verdammten in die Hölle und das Hervorbrechen von Feuer, Luft und Wasser im Reinigungssturm der Welt, auf dass nach dieser letzten Katastrophe die neue Erde und der neue Himmel erscheinen kann. Die Chöre der Engel und Seligen ordnen sich neu nach den Rangstufen der himmlischen Gemeinschaft, Maria, die Engel, Patriarchen, Propheten, der Vorläufer Johannes, Petrus, Paulus, die Apostel, Stephanus und die Märtyrer, die heiligen Könige und Päpste und die Jungfrauen. Das ist, nur nicht so streng durchgeführt, die Dantesche Ständeordnung des Himmels, Nachbild der idealen irdischen Ständeordnung.

Es ist ein erhabener Augenblick des Mittelalters, in dem diese Weltdichtung vollendet wurde. Mag sie uns auch in vielem herb, manchmal nur allegorisch und moralistisch erscheinen und schwerverständlich für uns sein, die wir so ganz des symbolischen Denkens entwöhnt sind, so ist sie dennoch größer und eindringlicher und echt visionär, anders als Dantes Divina Commedia. Gleichzeitig mit Bernhard, den auch Dante als den höchsten Genius des Mittelalters verehrt, und der wirklich persönlich den Sinn des Mittelalters verkörpert, stand diese deutsche Frau auf, um bildhaft und dichterisch, alles was der deutsche Symbolismus gedacht, zu erleben und zu fühlen und es in apokalyptischer Sprache auszusprechen. Was immer auch die Kunst des Mittelalters unbewusst oder in symbolischer Weisheit vom Sinn dieser Zeit zu sagen und zu gestalten wusste, hier ist in persönlicher Eigenart auf einmal das Ganze gesagt. Mag der Romane Dante formvollendeter am Schluss des italienischen Symbolismus wie Hildegard am Ende des deutschen nochmals ein noch mehr moralisch geschautes Weltbild gegeben haben, schon gesättigt mit der hellwachen Individualität der jungen Renaissance und darum uns leichter zugänglich, das tiefere mythische Bild der Zeit in ihrer furchtbaren und erhabenen Größe und herben Wahrhaftigkeit hat Hildegard gegeben.

Alois Dempf

1. Buch Die erste Vision: Von der geistlichen Einsicht.

Ich sah einen großen, eisenfarbenen Berg: auf ihm saß ein Menschenbild von solchem Glanze, dass seine Helligkeit mein Auge blendete. Von seinen beiden Seiten erhob sich ein sanfter Schatten, der sich wie ein wundersamer breiter und langer Flügel ausdehnte. Am Fuße dieses Berges stand vor dem Manne eine Gestalt, die überall voller Augen war; wegen der Menge der Augen konnte ich nicht unterscheiden, ob sie eine menschliche Gestalt war. Vor dieser stand eine andere Gestalt in knabenhaftem Alter mit mattfarbenem Gewand und weißen Schuhen. Über deren Haupt stieg von dem Manne, der auf jenem Berge saß, eine solche Helle hernieder, dass ich sein Antlitz nicht sehen konnte. Von demselben, der auf dem Berge saß, gingen viele lebendige Funken aus, welche beide Gestalten mit großer Anmut umflogen. In dem Berge selbst sah man zahlreiche Fenster, in denen bleiche und weiße Menschenköpfe erschienen. Der Mann auf dem Berge rief mit gewaltiger und durchdringender Stimme:

»O du gebrechlicher Mensch, Staub vom Erdenstaube, Asche von der Asche, rufe und verkünde vom Eintritt der makellosen Erlösung, damit jene unterwiesen werden, die das Mark der Schriften sehen, sie aber doch nicht verkündigen und predigen wollen, weil sie lau und stumpf sind im Kampf um Gottes Gerechtigkeit! Öffne ihnen das Siegel der Geheimnisse, das sie auf verborgenem Acker furchtsam und fruchtlos vergraben! Breite dich wie ein übervoller Quell aus und ströme so in mystischer Lehre aus, dass jene von deiner Ausgießung und Bewässerung erschüttert werden, welche dich wegen Evas Fall verächtlich halten wollen! Denn du nimmst die Erhabenheit dieser Lehre nicht von einem Menschen an, sondern vom höchsten und furchtgebietenden Richter aus der Höhe, wo in hellstem Lichte auch ein Licht unter den Leuchtenden stark erstrahlt. Erhebe dich also, rufe und verkünde, was dir in der allerstärksten Kraft göttlicher Hilfe geoffenbart wird! Denn der, welcher allen seinen Geschöpfen machtvoll und gütig gebietet, durchgießt die, die ihn fürchten und ihm in anmutiger Liebe im Geiste der Demut dienen, mit der Klarheit übernatürlicher Erleuchtung und führt die auf dem Wege der Gerechtigkeit Ausharrenden zu den Freuden der ewigen Schau.

2. Der große eisenfarbene Berg versinnbildlicht die Kraft und Stetigkeit des ewigen Gottesreiches, das durch keinen Ansturm der Veränderlichkeit ein Ende finden kann. Der Mann, der auf dem Berge sitzt, blendet dein Auge mit seinem Glanze und zeigt den im Reiche der Seligen, der im Glanze einer sich gleichbleibenden Heiterkeit dem ganzen Erdkreise mit seiner höchsten Gottheit gebietet und menschlichem Geiste unfassbar ist. Von seinen beiden Seiten breitet sich ein Flügel von wunderbarer Breite und Länge aus. Sie zeigen in Ermahnung und in Züchtigung milden und linden Schutz recht und fromm, die unaussprechliche Gerechtigkeit, Beharrlichkeit und Billigkeit.

3. Vor ihm steht am Fuße des Berges eine Gestalt, die allüberall voller Augen ist, weil sie vor Gott in Demut in das Gottesreich Einblick hat, und aus Furcht vor ihm mit Genauigkeit und gerechtem Eifer und Ausdauer auf die Menschen wirkt, so dass man vor Augen keine menschliche Gestalt unterscheiden kann. Sie vergisst nie die Gerechtigkeit Gottes, weil menschliches Forschen in seiner Schwäche ihre Wachsamkeit nicht erschüttert.

4. Vor dieser Gestalt zeigt sich eine andere, knabenhafte, bekleidet mit mattfarbenem Gewande und weißen Schuhen, weil unter Vorantritt der Furcht des Herrn die Armen im Geiste folgen. Die Furcht Gottes hält nämlich in hingebender Demut die Glückseligkeit der Armut im Geiste kraftvoll fest, welche weder nach Rühmen noch Selbstüberhebung gelüstet, sondern Einfalt und Nüchternheit liebt. Nicht sich, sondern Gott allein gibt sie die Ehre für ihre gerechten Werke und folgt den Spuren des Gottessohnes getreulich nach. Auf ihr Haupt steigt eine solche Klarheit von dem auf dem Berge hernieder, dass du auch ihr Angesicht nicht schauen kannst, denn die Heiterkeit der Heimsuchung dessen, welcher jedem Geschöpf preiswürdig gebietet, gießt ihr ein solches Maß von Macht und Stärke ein, dass ein schwacher Sterblicher sie nicht zu fassen vermag. Er, der allen himmlischen Reichtum in sich trägt, unterwirft sich in Demut der Armut.

5. Von dem Manne auf jenem Berge gehen viele lebendige Funken aus, welche diese Gestalten mit großer Anmut umfliegen, weil von dem allmächtigen Gotte verschiedene und unermesslich große Tugenden, in göttlichem Glänze erstrahlend, kommen und die Gott wahrhaft Fürchtenden und die getreuen Liebhaber der geistigen Armut mit ihrer Hilfe und ihrem Schutze überall umgeben.

6. Auch sind an jenem Berge zahllose Fenster sichtbar, in denen bleiche Menschenantlitze erscheinen, weil vor der höchsten Höhe der Erkenntnis Gottes die Menschenwerke weder verheimlicht noch verborgen werden können. Bald schlafen Menschen in Schande ermüdet in ihren Herzen und Taten, bald wachen sie in Ehren wieder auf. So spricht auch Salomon in meinem Sinn: »Die faule Hand ward arm, die der Starken aber schaffte sich Reichtum.«

7. Dies lässt erkennen, dass jener sich selbst arm und schwach machte, der die gerechten Werke zu tun verschmähte, das Ungerechte nicht zerstörte, die Schuld nicht nachließ und arm an den wunderbaren Werken der Seligkeit verblieb. Wer aber mit Kraft starke Heilswerke ausführt, den Weg der Wahrheit läuft, die Quelle der Herrlichkeit ergreift, bereitet sich überaus kostbare Schätze auf Erden und im Himmel. Wer also Weisheit im hl. Geiste und Flügel im Glauben hat, der möge meine Ermahnung nicht überhören, sondern nehme sie willig mit dem Geschmacke seiner Seele auf.

Die zweite Vision: Vom Fall der Engel und Menschen

1. Dann sah ich eine zahllose Menge lebendiger Leuchten von hellstem Feuerglanze; auch einen ausgedehnten und tiefen See, aus dem feuriger, scheußlich riechender Rauch aufstieg, der ekelhaften Nebel aushauchte. An einer helleren Stelle kam eine weiße Wolke näher, die, von schöner Menschengestalt, sehr viele Sterne enthielt und diese und jene menschliche Figur von sich abwarf. Darauf umgab lichtester Glanz diese ganze Gegend und alle Dinge der Welt, welche vorher in Ruhe verharrten, wurden unruhig und zeigten Schrecken. Wiederum hörte ich jenen, der schon vorher zu mir gesprochen, sagen: »Die getreu Gott anhangen und in lobwürdiger Liebe brennen, werden weder durch irgendeinen Ansturm der Ungerechtigkeit erschreckt, noch getrennt von der Herrlichkeit übernatürlicher Freude; es werden aber nach gerechter Prüfung verworfen alle diejenigen, welche Gott nur heuchlerisch dienen und auf dem Wege nicht hinansteigen können, ihnen wird auch noch genommen werden von dem, was sie zu besitzen vermeinen.

2. Die überaus große Menge der lebendigen Lichter bedeutet dies: Die unzählbaren Scharen der himmlischen Geister erglühen in seligem Leben und erscheinen in großer Pracht, weil sie, von Gott erschaffen, sich nicht stolz erhoben, sondern in der göttlichen Liebe standhaft verblieben. Sie empfingen feurigen Glanz und heiterste Helle. Da aber Luzifer und sein Gefolge versuchte, sich gegen den höchsten Schöpfer zu empören, umkleideten sie sich mit der Wachsamkeit der göttlichen Liebe, jene aber wurden mit blinder Unwissenheit geschlagen. Durch den Fall des Teufels wurde jenen englischen Geistern, die vor Gott in Gradheit ausharrten, höchstes Lob zuteil, da sie in Erleuchtung klar erkannten, dass Gott immer unveränderlich in seiner Macht verbleibt und von keinem siegreich bekämpft werden kann.

3. Luzifer aber ging ob seines Stolzes der himmlischen Herrlichkeit verlustig, er, der am Anfang der Schöpfung keinen Mangel an Schönheit und Kraft verspürte. Da er aber seine Schönheit erkannte und die Kraft seiner Stärke in sich betrachtete, kam der Hochmut über ihn, der ihm versprach, zu beginnen, was ihm in den Sinn kam, da er ja vollenden könnte, was er begonnen. Da schleuderte ihn der Zorn Gottes in feuriges Dunkel mit seiner ganzen Schar hinab, so dass sie dunkel statt der Helle, verwirrt statt der Heiterkeit wurden.

4. Der große und tiefe See, welchen du siehst, ist die Hölle und enthält in sich die ganze Fülle der Laster und die Abgrundtiefe der Verderbtheiten. Er gleicht einer Zisternenöffnung und schleudert feuerflammenden Rauch mit großem Gestank heraus. In diesen taucht er die Seelen unter und erfüllt sie täuschend mit großer Freude, während er sie zu den Qualen führt, dorthin, wo das Feuer mit scheußlichem Rauch qualmt und mörderischer Gestank aufwallt. Diese grausigen Qualen sind dem Teufel und seiner Gefolgschaft bereitet.

5. Bei dem Fall des Teufels ward diese äußerste Finsternis, welche jegliche Art von Strafe in sich birgt. Die boshaften Geister tauschten hier das Elend vielerlei Strafen gegen die ihnen bestimmte Herrlichkeit ein und wurden, anstatt der Klarheit, die sie besaßen, in dichteste Finsternis gehüllt. Da der stolze Engel sich wie eine Schlange erhob, erhielt er ewige Gefangenschaft, weil er die göttliche Bevorzugung nicht ertragen konnte. Wie aber in einer Brust nicht zwei Herzen schlagen können, so kann es auch im Himmel nur einen Gott geben.

6. Der See strömt hässlichen Nebel aus, so weit man sehen kann. Der teuflische Betrug bringt die giftige Schlange hervor, welche das Gift trügerischer Absicht in sich trägt und den Menschen heimlich befällt. Als nämlich der Teufel den Menschen im Paradiese sah, rief er mit großer Entrüstung aus: »Der soll mir in der wahren Glückseligkeit folgen!« Er wandte sich listig an Adam und Eva, die er in kindlicher Unschuld im Wonnegarten gesehen hatte, um sie durch die Schlange zu täuschen. Weshalb? Er hielt die Schlange für ihm ähnlicher als irgendein anderes Lebewesen, und wollte er mit List im geheimen erreichen, was ihm offen nicht gelang.

7. Als er daher Adam und Eva mit Leib und Seele sich vom verbotenen Baume abwenden sah, dachte er bei sich, dass es ein göttliches Verbot für sie sei, und er sie am leichtesten vertreiben könnte, wenn sie die erste Tat begingen. Er wusste nämlich nicht, dass jener Baum verboten sei, wenn er es nicht durch seine trugvolle Frage und ihre Antwort erfahren hätte. Deshalb blies er in dieser klaren Gegend (welche aus einer schönen Menschengestalt, die sehr viele Sterne in sich barg, hervorgegangen war) eine weißschimmernde Wolke durch scheußlichen Nebel heran, weil an diesem lieblichen Ort der Teufel in Eva, die eine unschuldige Seele hatte, durch Verführung der Schlange zur Vertreibung dieser eindrang. (Eva hatte vom unschuldigen Adam die ganze Menge des menschlichen Geschlechts, die in Gottes Vorherbestimmung leuchtete, an ihrem Körper getragen.) Weshalb? Weil er wusste, dass weibliche Weichheit leichter zu besiegen sei als männlicher Starkmut, und er auch sah, dass Adam zu Eva so sehr in Liebe brannte, dass, hätte er nur Eva besiegt, Adam das ausführen würde, was Eva ihm sagte. Deshalb vertrieb auch der Teufel jene und die Menschengestalt aus jener Gegend. Der alte Verführer verbannte durch Täuschung Eva und Adam von ihrem seligen Wohnsitz und stieß sie hinab in die Finsternis. Zuerst verführte er Eva, damit sie Adam schmeichelte, ihr beizupflichten. Sie konnte schneller als irgendein anderes Geschöpf Adam zum Ungehorsam verleiten, da sie selbst aus seiner Rippe gebildet worden war. Deshalb stößt das Weib den Mann schneller hinab, weil sie ihn nicht abschreckt, sondern er ihre Worte willig aufnimmt.

Dritte Vision: Vom Weltall.

1. Darauf sah ich ein sehr großes, rundes, dunkles Gebilde, das einem Ei ähnelte, oben eingeschnürt, in der Mitte breit und nach unten zu eingeschnürt; an seiner Außenseite war ringsum ein helles Feuer, darunter eine schattige Haut. In jenem Feuer war eine rotglühende Feuerkugel von solcher Größe, dass das Ganze von ihr erhellt wurde. Darüber lagen 3 Fackeln, welche die Kugel mit ihrem Licht zusammenhielten, damit sie nicht abstürzte. Die Kugel erhob sich eine Zeitlang, und sehr viel Licht strahlte ihr entgegen, so dass sie davon ihre Flammen länger werden ließ und sich dann nach unten bog. Dann kam ihr eine große Kälte entgegen, weswegen sie ihre Flammen schnell zurückzog. Aber von jenem das Gebilde umgebenden Feuer ging ein Hauch mit Wirbeln aus. Von der unter ihm liegenden Haut wallte ein anderer Hauch mit seinen Wirbeln, der sich hier und dort ausbreitete. In der Haut war auch ein dunkles, so schreckliches Feuer, dass ich es nicht zu betrachten vermochte. Es schlug auf die Haut mit großer Kraft und Lärm, Sturm und spitzen kleineren und größeren Steinen. Während der Lärm sich erhob, wurde das hell leuchtende Feuer, die Winde und Luft bewegt, so dass Blitze dem Lärm vorauseilten, denn das Feuer fühlte die erste Bewegung des Lärmes in sich. Unter dieser Haut befand sich reinster Äther, der keine Haut unter sich hatte, in dem ich auch eine weißleuchtende Kugel von beträchtlicher Größe sah. Über ihr waren zwei Fackeln deutlich erkennbar, die einen Kreis bildeten, damit die Kugel nicht das Maß ihres Laufes überschritte. Im Äther waren viele klare Lichtkreise überall gelagert, in welche die Kugel bisweilen sich ein wenig entleerend ihre Helligkeit entsandte, dann ihre Fülle wiederherstellte und wieder in sie entsandte. Aber von dem Äther selbst brach ein Hauch mit seinen Wirbeln hervor, welcher sich überall ausbreitete. Unter dem Äther sah ich wasserhaltige Luft, die eine Haut unter sich hatte, und sich hier und dort verbreitend dem ganzen Gebilde Feuchtigkeit mitteilte. Bisweilen sammelte sie sich plötzlich und schickte Regen aus. Daraus ging wieder ein Hauch mit seinen Wirbeln hervor und breitete sich überall aus. In der Mitte dieser Elemente war eine Sandkugel, die sehr groß war und welche die Elemente so umgaben, dass sie weder hierhin noch dorthin entgleiten konnte. Wenn sich aber bisweilen die Elemente mit den erwähnten Hauchen rieben, so brachten sie durch ihre Kraft die Kugel ein wenig in Bewegung. Zwischen Norden und Osten sah ich einen hohen Berg, der nach Norden viel Dunkel und nach Osten viel Licht hatte, so dass weder das Licht zur Finsternis noch diese zum Licht gelangen konnte. Ich hörte wiederum eine Stimme vom Himmel sagen: »Gott, der alles in seinem Willen gegründet hat, hat es zur Kenntnis der Ehre seines Namens geschaffen und zeigt darin nicht nur, was sichtbar und zeitlich ist, sondern offenbart in ihm auch, was unsichtbar und ewig ist.«

2. Das überaus große Gebilde, rund und dunkel, einem Ei ähnelnd, oben und unten zusammengeschnürt, in der Mitte breit, bedeutet trefflich den allmächtigen Gott, der unbegreiflich ist, in seiner Majestät und unschätzbar in seinen Geheimnissen.

3. Auf der äußeren Seite ringsum ein helles Licht, das eine dunkle Haut unter sich hat. Es bezeichnet, dass Gott jene, die außerhalb des wahren Glaubens stehen, überall durch das Feuer seiner Vergeltung brennt. Die aber im katholischen Glauben bleiben, reinigt er überall mit dem Feuer seiner Tröstung.

4. In jenem Feuer ist eine große rötlich leuchtende Feuerkugel, die Sonne, auf dass das ganze Gebilde von ihr erleuchtet wird. Ihr heller Glanz bedeutet, dass in Gott Vater sein unaussprechlicher Eingeborener ist, die Sonne der Gerechtigkeit, welche den Blitz glühender Liebe in sich trägt und von solcher Herrlichkeit ist, dass jedes Geschöpf von der Klarheit seines Lichtes erleuchtet wird. Darüber sind 3 Fackeln, 3 Planeten, welche die Kugel zusammenhalten, damit sie nicht wankt. Das bedeutet, dass die Dreifaltigkeit in ihrer Anordnung alles zusammenhält, und der Sohn Gottes, vom Himmel zur Erde hernieder gestiegen, und die Engel, die im Himmel sind, verließ, und den Menschen himmlische Dinge offenbarte. Diese verherrlichen ihn wegen der Wohltat seiner Helligkeit, werfen allen schädlichen Irrtum von sich, da er als wahrer Sohn Gottes, der aus der wahren Jungfrau Fleisch angenommen hat, verherrlicht ist, nachdem ihn der Engel vorausgekündigt hat, und da ihn der Mensch, der aus Leib und Seele besteht, in gläubiger Freude aufgenommen hat.

5. Daher erhebt sich die Kugel zuweilen, und hellstes Feuer strahlt ihr entgegen, so dass sie davon ihre Flammen länger aussendet. Das bedeutet, dass, als jene Zeit kam, in der der Eingeborene Gottes zur Erlösung und Erhebung des menschlichen Geschlechts nach dem Willen des Vaters Mensch werden musste, der heilige Geist in der Kraft des Vaters die höchsten Geheimnisse in der seligen Jungfrau wunderbar gewirkt hat, so dass die Jungfräulichkeit herrlich wurde, da sie dem Sohne Gottes in jungfräulicher Schamhaftigkeit durch fruchtbare Jungfrauschaft wunderbaren Glanz verlieh. Denn in der edelsten Jungfrau ist die ersehnteste Menschwerdung gezeigt.

6. Sich etwas abwärts biegend, kommt ihr große Kühle entgegen, weshalb sie ihre Flammen schnell einzieht. Das bedeutet, dass der Eingeborene Gottes aus der Jungfrau geboren, sich so zur Armut des Menschen barmherzig neigte, in vielen Mühsalen, die ihm begegneten, viel körperliche Bedrängung ausstand, als er sich im Körper der Welt gezeigt hatte, über die Welt ging und zum Vater zurückkehrte, und im Beisein seiner Jünger, wie geschrieben steht: »sahen sie ihn erhoben, und eine Wolke verbarg ihn wieder ihren Augen.«

7. Das bedeutet: den Söhnen der Kirche, die mit innerer Kenntnis ihres Herzens den Sohn Gottes sehen, ist die Heiligkeit seines Körpers in der Macht seiner Gottheit emporgehoben worden.

8. Der Hauch mit seinem Winde, der aus jenem Feuer, das das ganze Gebilde umgibt, ausgeht, bedeutet, dass aus dem allmächtigen Gott, der die ganze Welt mit seiner Macht erfüllt, die wahre Aussaat gerechter Rede ausgeht, als der lebendige und wahre Gott dem Menschen in der Wahrheit gezeigt wurde.

9. Und aus der Haut, welche darunter ist, wallt ein anderer Hauch mit seinen Wirbeln auf: weil auch aus der teuflischen Wut, welche sich nicht fürchtet, Gott nicht kennen zu wollen, übelste Rede mit ruchlosestem Geschwätz ausgeht.

10. In derselben Haut ist ein dunkles, so schreckliches Feuer, dass du es nicht anschauen kannst. Das bedeutet, dass in schlechtester und niedrigster Hinterhältigkeit des alten Verräters hässlichster Mord mit solcher Glut ausbricht, dass seine Raserei der menschliche Geist nicht zu unterscheiden vermag. Er erschüttert die ganze Haut mit seiner Kraft: denn der Mord umfängt alle teuflischen Bosheiten mit seinem Schrecken. Jenes Feuer war voller Lärm, Sturm und spitzer kleinerer und größerer Steine; weil der Mord voll Geiz und Trunkenheit und wildester Missetaten ist, welche ohne Barmherzigkeit rasen, in großen Mordtaten wie in kleineren Fehltritten. Das leuchtende Feuer erhebt seinen Lärm, Winde und Luft bewegen sich. Denn, während der Mord in der Begierde, Blut zu vergießen, schreit, erhebt sich das himmlische Gericht, schnelle Donner zum Verderben des Mörders als Rache des gerechten Ratschlusses.