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Der bekannte Gewerkschaftsboss Arch Mix ist spurlos verschwunden. Als Ermittlungen von FBI und CIA scheinbar erfolglos bleibe, wird der frühere Wahlkampfberater Harvey Longmire von einer neugegründeten Organisation, die sich der Aufdeckung von Verschwörungen verschrieben hat, hinzugezogen. Auf seinen Nachforschungen im Washington kurz nach der Watergate-Affäre gerät er in ein raffiniert gesponnenes Netz politischer Intrigen und Verschwörungen, das sich nicht nur auf Gewerkschaften, sondern auch auf die kommenden Wahlen auszuwirken droht. Doch wer steckt dahinter? Eine Reihe von Morden macht Harveys Ermittlungen nicht einfacher …
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Seitenzahl: 325
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Ross Thomas, Der Yellow-Dog-Kontrakt
Das Buch: Der bekannte Gewerkschaftsboss Arch Mix ist spurlos verschwunden. Als Ermittlungen von FBI und CIA scheinbar erfolglos bleiben, wird der frühere Wahlkampfberater Harvey Longmire von einer neugegründeten Organisation, die sich der Aufdeckung von Verschwörungen verschrieben hat, hinzugezogen. Auf seinen Nachforschungen im Washington kurz nach der Watergate-Affäre gerät er in ein raffiniert gesponnenes Netz politischer Intrigen und Verschwörungen, das sich nicht nur auf Gewerkschaften, sondern auch auf die kommenden Wahlen auszuwirken droht. Doch wer steckt dahinter? Eine Reihe von Morden macht Harveys Ermittlungen nicht einfacher...
»Ross Thomas macht mit der Hauptstadt, was Raymond Chandler in den Vierzigern mit Los Angeles machte: Er verwandelt Washington D.C. in ein glamouröses Symbol absoluter Verderbtheit.«
Chicago Tribune
Der Autor: Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, richtete in den fünf ziger Jahren das deutsche AFN-Büro in Bonn ein und arbeitete als Journalist, Gewerkschaftssprecher und Public Relations- und Wahlkampf - berater für Politiker in den USA. Seine vielfältigen Erfahrungen verarbeitete er in seinen Politthrillern, in denen er v. a. die Hintergründe des (amerikanischen) Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. Ihm wurden zweimal der Edgar Allan Poe Award und mehrmals der Deutsche Krimi Preis verliehen. Bis zu seinem Tod 1995 entstanden 25 Romane.
Ross Thomas
Der Yellow-Dog-Kontrakt
Aus dem Amerikanischen
von Stella Diedrich, Gisbert Haefs und
Edith Massmann
Alexander Verlag Berlin
Die Ross-Thomas-Edition im Alexander Verlag Berlin
Herausgegeben von Alexander Wewerka
Umweg zur Hölle. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall
Am Rand der Welt. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall
Voodoo, Ltd. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall
Kälter als der Kalte Krieg. Ein McCorkle-und-Padillo-Fall
Gottes vergessene Stadt
Teufels Küche
Die im Dunkeln
1. Auflage 2010
Erste deutsche vollständige Ausgabe
Die deutsche (stark gekürzte) Erstausgabe erschien 1978 unter dem Titel Geheim operation Gelber Hund im Ullstein Verlag, Frankfurt/M.; Berlin.
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1976 unter dem Titel Yellow Dog Contract.
© 1976 by Ross E. Thomas
Licensed with The Estate of Ross E. Thomas
© für diese Ausgabe und die bearbeitete und vollständige Übersetzung by Alexander Verlag Berlin 2010
Alexander Wewerka, Postfach 19 18 24, D-14008 Berlin [email protected]
http://www.alexander-verlag.com/
Umschlaggestaltung: Antje Wewerka
Alle Rechte vorbehalten
Druck und Bindung: Interpress, Budapest
ISBN 978-3-89581-232-3
Printed in Hungary (September) 2010
Ebook: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH
Der Schlingel zwang sie, langsamer zu fahren. Ich hörte ihren Wagen auf unseren Feldweg einbiegen. Er fuhr natürlich viel zu schnell, aber ich hatte gerade keine Zeit hinzusehen, weil ich im Baum saß und ein Ende des dicken Hanfseils für die Schaukel an einem Ast befestigte. Der Baum war die etwa fünf zehn Meter hohe alte Pappel auf der anderen Seite des Hauses neben dem Teich.
Am anderen Seilende hatte ich schon einen prall mit Lumpen und einer alten Armeedecke gefüllten Jutesack befestigt. Wenn alles fertig war, konnte man sich vom Verandageländer über den Teich hinterm Haus schwingen und sich mit einem kühnen Platsch ins Wasser fallen lassen.
Ich sah mich erst nach ihnen um, als sie den Schlingel, oder genauer seine Grabstätte, passiert hatten. Es schepperte und krachte, und dann quietschten die Bremsen. Fünf Meilen schneller und mindestens ein, wenn nicht zwei Stoßdämpfer wären hinüber gewesen, vielleicht noch die Vorderachse.
Aber genau dafür war das Grab des Schlingels gemacht – um zu verhindern, daß die Autos unsere fünf Hunde, acht Katzen, zwei Ziegen, sechs En ten und das garstigste Pfauenpaar in drei Staaten plus wahrscheinlich noch dem District of Columbia überfuhren.
Der Schlingel war ein neun Jahre alter gelber Kater gewesen, geboren und aufgewachsen in den Gassen irgendwo in dem Spinnerparadies, das damals östlich von Dupont Circle gelegen hatte. Ich hatte ihn gefunden, als ich nachts einmal auf der Massachusetts Avenue in der Nähe vom Sulgrave Club unterwegs gewesen war. Fast wäre ich auf ihn getreten, aber er fauchte wie ein Drache und zerkratzte mir den Knöchel. Das Mädchen, mit dem ich unterwegs war, eine Londonerin aus der Gegend um Maida Vale oder vielleicht auch Paddington, hatte gekichert und gesagt: »Na, das ist ja ein richtiger Schlingel, was?« Er mag damals so sechs, sieben Wochen alt gewesen sein.
Er wohnte dann fünf Jahre bei mir in der zur Wohnung umfunktionierten Remise in Washington und weitere vier Jahre auf der Farm in der Nähe von Harpers Ferry, ehe er auf dem Feldweg zwischen Straße und Haus vom Lieferwagen des Versandhauses Sears überfahren wurde. Dort habe ich nie wieder etwas gekauft.
Am Unfallort machte ich ihm aus Steinen, Erde und alten Eisen bahnschwellen ein Grab quer über den Weg, das wie eine harmlose Bodenwelle aussah; wenn man jedoch mit mehr als zehn Meilen pro Stunde darüber hinwegfuhr, waren Reparaturen fällig.
Etwas später baute ich, noch immer etwas besessen von der Sorge um unseren Tierbestand, weitere zwanzig solcher Bodenwellen in Abständen von jeweils fünfzehn Metern und stellte Warntafeln auf: »Fünf Meilen pro Stunde – das gilt auch für Sie!« und »Unbefugtes Betreten verboten – Keine Jagd!« und »Betreten verboten – Zuwiderhandlungen werden bestraft!« und »Vorsicht!! Bissiger Hund!«. Natürlich hat niemand diese Zeichen je beachtet, aber nachdem sie den Schlingel hinter sich hatten, krochen sie nur noch im Schneckentempo vorwärts.
Der Wagen, der aufs Haus zufuhr, war ein Mercedes 450 SEL, der gemietet oder geleast aussah. Irgendwie sieht man das einem Auto an, finde ich. Der Mann am Lenkrad nahm den Weg jetzt ernst. Wer es war, konnte ich nicht erkennen, weil die Sonne sich in der Windschutzscheibe spiegelte. Ich sah hinter dem Wagen her, bis er unter den Pinien vorm Haus verschwunden war.
Dann machte ich den letzten primitiven Knoten und nahm mir wieder mal vor, mir ein Buch zu besorgen und mir wenigstens einen oder zwei weitere Knoten beizubringen, als Ruth auf der Veranda erschien und zu mir hochsah.
»Du hast Besuch«, sagte sie.
»Ich oder wir?«
»Du. Ein Mr. Murfin und ein Mr. Quane wollen dich sprechen.«
»Ah«, sagte ich.
»Genau, ah«, sagte sie.
»Na, dann sagst du ihnen wohl besser, daß ich nicht da bin.« »Geht nicht. Ich habe ihnen schon gesagt, daß du hier bist.« Ich dachte kurz nach. »Okay. Bring sie auf die Veranda.« »Irgendwas zu trinken?«
Ich dachte noch mal kurz nach, um mich zu erinnern. »Bourbon. Sie trinken beide Bourbon.«
»Den teuren oder den anderen?«
»Den anderen.«
»Dachte ich mir.« Ruth kehrte ins Haus zurück.
Kurz darauf kamen Murfin und Quane auf die Veranda und sahen sich um – nach rechts, nach links, nach unten, nur nicht nach oben. Ich nahm sie in Ruhe etwa zehn Sekunden lang in Augenschein. Beide kamen mir älter und schwerer und grauer vor, schienen aber die dreifache Bürde alles in allem erstaunlich gelassen zu tragen; allerdings brauchte man sehr viel länger als zehn Sekunden, um Alles in Allem zu beurteilen.
»Hier oben«, sagte ich. Beide blickten überrascht hoch. »Harvey«, sagte Murfin. Und Quane sagte: »Verdammt, wie geht’s dir?«
»Okay. Und euch?«
»Nicht schlecht«, sagte Murfin, und Quane sagte, ihm gehe es auch ganz gut.
Wir taxierten einander noch ein bißchen. Ich sah zwei Männer Ende Dreißig, die ich schon seit zwölf Jahren kannte, aber seit drei, vielleicht sogar vier Jahren nicht mehr gesehen hatte. Also war Ward Murfin jetzt etwa achtunddreißig oder neununddreißig. Max Quane war jünger, vielleicht siebenunddreißig. Es war Mitte August und heiß, und keiner von beiden trug ein Jackett, wohl aber Hemden und Krawatten. Die Krawatten waren allerdings gelockert. Murfins Hemd war blaßgrün, Quanes weiß mit schwarzen Nadelstreifen und Tab - kragen. Mir fiel ein, daß er schon immer eine Vorliebe für Tab-kragen gehabt hatte, deren Ecken mit einer kleinen Goldnadel zusammengehalten wurden.
»’ne Art Schaukel, oder?« sagte Murfin.
»Ja«, sagte ich.
Er begriff sofort, wie sie funktionierte. »Gleich von der Veranda in den Teich. Ich hätte verdammt Lust, es mal zu probieren.«
»Was hindert dich?« sagte ich und begann den Abstieg. Den letzten Ast mußte ich Hand um Hand entlanghangeln, mich dann fast einen Meter tief aufs Geländer fallenlassen, mein Gleichgewicht ausbalancieren und dann auf den Boden springen. Ich machte das schnell und geschmeidig, wohl um anzugeben, und konnte sehen, daß sowohl Murfin als auch Quane mich genau beobachteten, wahrscheinlich hofften, daß ich auf dem Arsch landen würde und sich vielleicht sogar fragten, ob sie das mit ein bißchen Übung auch schaffen würden. Ich beschloß, ihnen nicht zu verraten, wie oft ich geübt hatte.
Wir gaben uns die Hände, und ihr Händedruck war immer noch schnell, kräftig und geübt, wie eben der Handschlag von Popen, Politikern und Gewerkschaftern so ist. Als das erledigt war, forderte ich sie auf, sich zu setzen. Sie entschieden sich für zwei Sessel aus Zelttuch, die in Hollywood Regiestuhl und in
Afrika Safaristuhl heißen. Wie man sie in Virginia nennt, weiß ich nicht genau.
Ich setzte mich auf unsere Schaukelbank, die altmodische Sorte, die mit dünnen Ketten an der Verandadecke befestigt war. Wir inspizierten einander noch ein bißchen, als suchten wir nach ersten Anzeichen von Senilität oder Altersschwäche, und keiner von uns wäre traurig gewesen, ein zitterndes Kinn hier oder ein leichtes Zucken da zu entdecken. Schließlich sagte Murfin: »Dein Schnurrbart gefällt mir.«
»Hab’ ich schon zwei Jahre«, sagte ich und strich auch schon ein paar Mal darüber, bevor ich mich bremsen konnte. »Ruth sagt, sie mag ihn.«
»Du siehst damit irgendwie aus wie dieser alte Schauspieler«, sagte Quane. »Mist, er ist längst tot, und ich kann mich nicht mehr an seinen Namen erinnern, aber der war in vielen Filmen mit, ähm, Myrna Loy.«
»William Powell«, sagte Ruth, als sie mit dem Tablett auf die Veranda kam und es auf der alten hölzernen Kabeltrommel absetze, die wir zum Verandatisch umfunktioniert hatten.
»Er sieht damit aus wie Mr. Powell in My Man Godfrey, aber ich glaube nicht, daß Miss Loy in diesem Film mitgespielt hat.«
So sprach meine Frau über beinahe jeden, mit einer Art ernsthaften sanften Förmlichkeit, die ich beruhigend und andere entwaffnend und sogar anheimelnd fanden. Sie war eine der wenigen Leute im Land, die, trotz ihrer tiefen persönlichen Abneigung, nie anders von ihm als von Mr. Nixon sprach. Man hatte mich schon gefragt, ob sie immer so sei, auch wenn wir allein wären, und ich hatte versicherte, daß dies der Fall sei. Ich hätte hinzufügen können, unterließ es aber, daß bei uns auch sehr viel gekichert wurde.
Ruths Ausrede dafür, daß sie ging, sobald sie das Tablett abgesetzt hatte, war die charmante Lüge, daß sie nach Harpers Ferry fahren müsse, weil sie dort etwas vergessen habe. Ich hätte ihr selbst geglaubt, wäre sie nicht einer jener Menschen, die fast nie etwas vergessen. Aber ihre Entschuldigung schmeichelte sowohl Murfin als auch Quane, weil es so klang, als ob sie leider auf etwas verzichten müsse, was der faszinierendste Nachmittag ihres Lebens zu werden versprach.
Auf dem Tablett, das sie auf den Tisch gestellt hatte, befanden sich drei Gläser, ein Kübel Eis, ein Wasserkrug, etwas frische Minze und eine Flasche Virginia Gentleman, ein Bourbon, der nicht weit von Herndon destilliert wird und so etwas wie eine lokale Anhängerschaft hat.
Weder Murfin noch Quane wollten Minze in den Drink, also mischte ich zwei ohne und einen mit. Wir nahmen alle einen großen Schluck, dann sah Murfin sich anerkennend um. »Ich hätte nie gedacht, daß du das mal so hinkriegst.« Er drehte sich zu Quane. »Ich war dabei, als er die Farm gekauft hat. Habe ich dir die Geschichte schon mal erzählt?«
»Schon sechsmal, oder sieben –«, sagte Quane.
»Wie lang ist es her?« fragte mich Murfin. »Elf Jahre?« »Zwölf«, sagte ich.
»Klar, 1964. Wir hatten gerade einen Schwenk durch den Süden gemacht, immer eine Nasenlänge vor Shorty Trope. Er hat uns dann schließlich in New Orleans eingeholt. Himmel, war der wütend! Er ist auf- und abgesprungen, mit seinen ganzen eins fünfzig, halb besoffen wie immer und hat rumgebrüllt, daß er uns fertigmachen würde.« Murfin schüttelte bedauernd den Kopf. »Shorty ist tot, hast du das gewußt?«
»Nein«, sagte ich.
»Ist vor ein paar Jahren in einem Altenheim in Savannah gestorben. Irgendwie hat er einen der Nigger dazu gebracht, ihm eine Flasche zu besorgen. Old Cabin Still, soviel ich gehört hab’. Hat den Nigger mit zwanzig Dollar bestochen, vielleicht fünfundzwanzig. Das weiß man nicht genau, denn der Nigger hat natürlich gelogen. Na ja, Shorty war schon ein paar Jahren wegen Herzproblemen trocken, aber er kriegt seine Pulle und trinkt die Flasche in ein paar Stunden aus. Dann wird er bewußtlos und stirbt betrunken und vermutlich glücklich.«
»Vermutlich«, sagte ich.
»Wie alt war er da?« sagte Quane. »Sechzig?«
»Dreiundsechzig«, sagte Murfin, der gern alle Einzelheiten parat hatte, bis hin zur tödlichen Bestechungssumme. Das war vermutlich der Grund dafür, daß er bei dem, was er machte, so gut war.
Er fuhr mit seiner Geschichte fort. Quane hörte ihm nur mit einem Ohr zu, denn nach seiner eigenen Rechnung war das nun das achte Mal, daß er sie zu hören bekam.
Murfin erzählte, wie wir nachts um zwei ziemlich angetrunken die Maschine in New Orleans bestiegen hatten und morgens um sechs keineswegs nüchtern in Dulles landeten und ich mir die Washington Post kaufte und die Anzeige fand und darauf bestand, herzufahren, um mir die Farm anzusehen, was an sich gar nicht schlimm war, weil man von Dulles nur eine gute halbe Stunde braucht. Von Washington braucht man etwa eine Stunde, manchmal auch länger.
»Hat damals nicht nach viel ausgesehen, Harvey, oder?« »Nein, wirklich nicht.«
»Und wir sind über die ganzen achtzig Morgen mit dem alten Kerl gelatscht, dem die Farm gehört hat. Wie hieß er noch? Irgendwas mit P.«
»Pasjk«, sagte ich. »Emil Pasjk.«
»Ja, genau. Pasjk. Der alte Pasjk sagt also, er will dreihundertfünfzig pro Morgen, und Harvey hier feilscht und feilscht, aber nichts läuft. Er geht also zum Wagen und holt eine Flasche Gin, Dixie Belle, weiß ich noch genau, und sie feilschen weiter, und so um zehn Uhr morgens ist die Flasche halb leer und der alte Pasjk halb voll und bei dreihundert pro Morgen. Also holt Longmire hier sein Scheckbuch heraus und stellt als Anzahlung einen Scheck über zweitausendvierhundert Dollar aus, der gar nicht gedeckt ist. Was hattest du damals auf dem Konto, Harvey?«
»Etwa das, was ich jetzt draufhabe«, sagte ich. »Dreihundert, können auch dreihundertfünfzig gewesen sein.«
»Jetzt muß das doch verdammt viel mehr wert sein, oder?« sagte Quane.
»Jetzt kriegst du garantiert zweitausendfünfhundert pro Morgen, Harvey«, sagte Murfin.
»Kann sein«, sagte ich.
Quane nahm einen weiteren Schluck Bourbon und ließ die Blicke schweifen. Er sah mich immer noch nicht an, als er sagte: »Wir haben da eine Sache, die dich interessieren könnte.«
»Aha«, sagte ich, wobei irgendwas in meiner Stimme die beiden argwöhnisch gemacht haben muß, denn Murfin wedelte meine unausgesprochenen Bedenken sogleich mit einer abwiegelnden Handbewegung beiseite.
»Ich schwöre dir, es ist nicht wie letztes Mal«, sagte er.
»Die letzte Sache«, sagte ich, vielleicht ein wenig verträumt, »an die erinnere ich mich noch. Ein Juwel von Idee. Vielleicht sogar unbezahlbar. Da bin ich mir heute noch nicht sicher. Ich weiß nur, daß ich rausgeputzt wie ein Pfau in den Jockey Club nach Washington mußte, um mir bei Lunch und vier Martinis euer Angebot auftischen zu lassen: Wahlkampfleiter für zwölf-hundertfünfzig Dollar die Woche plus Spesen. Das Ganze fand am 13. Januar 1972 statt. Das war eure letzte Idee: Wilbur Mills als Präsident. Himmel.«
Quane grinste. »Okay, eine Scheißidee. Bis auf die Mäuse.«
»Wie lange hat es gedauert?« sagte ich.
Quane sah Murfin an. »’n paar Monate, oder?«
»Ungefähr«, sagte Murfin. »Und dann haben alle gemerkt, daß es doch eine Scheißidee war. Es war sozusagen ein Wind - ei.«
»Aber jetzt habt ihr was anderes«, sagte ich zu Murfin. »Irgendwas, das euch zu einem Dienst-Mercedes verhilft und deinen Füßen, Quane, zu Hundert-Dollar-Slippern.«
Quane legte genüßlich einen Fuß auf die Kabeltrommel und ließ den Slipper bewundern, den rechten. »Irrer Schuh«, sagte er.
Murfin sagte: »Wir sind auf eine Goldmine gestoßen.« »Die wie heißt?«
Murfin grinste. Es war ein hartes, gemeines, zufriedenes Grinsen – fast schon boshaft. Ich hatte es zwar schon oft genug gesehen, aber es brachte mich doch immer wieder dazu, wegzusehen – als ob es mir einen kurzen, schnellen Blick auf eine furchtbare persönliche Mißbildung gestattete, die mich nun wirklich nichts anging. »Roger Vullo«, sagte er.
»Aha«, sagte ich.
»Vullo Pharmaceuticals«, sagte Murfin.
»Ich weiß. Wie alt ist er inzwischen?«
Murfin sah Quane an. »Neunundzwanzig?«
Quane nickte. »So etwa.«
»Was hat er denn diesmal vor?« sagte ich. »Das letztemal, als ich von ihm hörte, war er gerade dabei, sich ein Stück Kongreß zu kaufen.«
»Er hat es gekauft, Harvey. Vullo hat etwa eine Million oder so ausgegeben, und sechsundneunzig Prozent seiner Favoriten wurden gewählt. Sollte alles hieb- und stichfest sein, nur hat es nicht ganz so geklappt und Vullo ist jetzt etwas ernüchtert, was Politik angeht.«
»Na, das tut mir aber leid«, sagte ich. »Glaube ich wenigstens.«
»Vullo hat jetzt was anderes gefunden«, sagte Quane. Ich nickte. »Man muß sich ja beschäftigen.«
»Mit der Organisation sind wir betraut.«
Ich nickte wieder. »Gut gewählt.«
»Wir und ein paar Anwälte und Computerleute.«
»Hört sich riesig an«, sagte ich.
»Es ist riesig«, sagte Murfin.
»Und was organisiert ihr für ihn? Ihr und die Anwälte und die Com puterleute?«
»Eine Art Stiftung«, sagte Quane.
»Ah ja. Gute Werke und so«, sagte ich. »Weniger Steuern auch, oder? Gute Werke und Steuern gehen gern Hand in Hand. Wie heißt denn die Stiftung?«
»Arnold-Vullo-Foundation«, sagte Murfin.
»Rührend«, sagte ich. »Nach dem verstorbenen Papa.« »Und Großpapa auch«, sagte Quane. »Der Großvater hieß auch Arnold.«
»Wie der ältere Bruder auch«, sagte ich. »Rogers älterer Bruder, meine ich, Arnold Vullo III. Es waren alle drei, nicht wahr, und die Mutter. Ich meine, alle drei Arnold Vullos plus Mrs. Arnold Vullo die Zweite sind beim Absturz des Privatflugzeugs gestorben und haben den armen Roger als Alleinerben mit einundzwanzig Jahren und zweihundert Millionen Dollar einsam und allein auf dieser Welt zurückgelassen.«
»Könnte man sagen, ja«, sagte Quane.
»Wer ihnen die Bombe ins Flugzeug gelegt hat, ist nie geklärt worden, oder?« sagte ich.
»Nein, nie«, sagte Murfin.
»Ich erinnere mich, daß der arme kleine Roger völlig fertig war«, sagte ich. »Er hat laufend öffentliche Erklärungen über die schlampige Arbeitsweise der Polizei abgegeben. Ich glaube, er sagte immer schlampig.«
»Privat hat er ›beschissene Arbeitsweise der Polizei‹ gesagt«, erwiderte Murfin. »Schlampig nannte er es nur in seinen Pressemitteilungen. Darum geht’s auch bei der Stiftung.«
»Die beschissene Arbeitsweise der Polizei? Ein weites Feld. Sehr weit.«
»Er hat es schon begrenzt«, sagte Quane.
»Auf was?«
»Verschwörung.«
»Jesus, wer hat ihm denn das eingeredet?« sagte ich. »Ihr zwei viel leicht? Womit ich nicht sagen will, daß ihr nichts davon versteht. Ich meine, wenn ich eine Verschwörung planen würde – ihr wißt schon, so’n richtig großes Ding – dann würde ich mit Sicherheit zu euch kommen.«
»Komisch«, meinte Quane, »genau das haben Ward und ich auf der Fahrt hierher gesagt. Über dich, meine ich.«
Wir saßen eine Weile schweigend da und griffen wie auf Kommando zu unseren Gläsern. Quane zündete sich eine Zigarette an, eine Spottdrossel legte in unserer Nähe mit einer Reihe schriller Darbietungen los, einer der Hunde bellte kurz und träge, und Tuan der Auf rechte, unser Siamkater, stakste auf die Veranda, als ob er glaubte, mit der Spottdrossel ein ernstes Wort reden zu müssen. Abrupt änderte er seine Meinung und entschied, daß ihm mehr danach war, zu Boden zu plumpsen und zu gähnen, was er dann auch tat.
Ich lieh mir eine Zigarette von Quane, der noch immer Camel rauchte, wie ich feststellte, zündete sie an und sagte: »Die Kennedys. Er will das alles wieder aufwirbeln, oder?« Murfin nickte. »Hat er schon. Hast du es nicht gelesen?« »Doch«, sagte ich. »Und wer noch? King? Wallace?« Murfin nickte wieder.
»Das macht vier«, sagte ich, »und der ganze Scheiß, der danach passiert ist. Noch jemand?«
»Hoffa«, sagte Quane.
»Lieber Himmel«, sagte ich, »Jimmy ist doch nicht mal kalt.« »Wir dachten uns, er wäre am einfachsten«, sagte Murfin. »Ist doch irgendwie offensichtlich, oder?«
»Irgendwie«, sagte ich.
»Einen gibt’s noch«, sagte Quane. »Deinen.«
»Meinen.«
»Hmm-mh, deinen. Arch Mix.«
Die Spottdrossel hielt plötzlich den Schnabel. Einen Moment lang herrschte Stille, vollkommene Stille, dann sprang eine Forelle im Teich. Ich ließ das Eis im Glas kreisen und sagte: »Dann seid ihr umsonst hier.«
»Zehntausend«, sagte Murfin schnell, »zehntausend für zwei Monate Arbeit. Und noch mal zehntausend als Prämie, wenn du ihn findest.«
»Nein.«
»Du weißt, warum wir es dir anbieten, oder?« sagte Murfin. »Ich meine, du hast Mix besser gekannt als sonstwer. Himmel, du hast ihn sozusagen studiert. Wie lange? Fünf Monate?«
»Sechs«, sagte ich. »Ich bin darüber alt geworden. Als alles vorbei war, habe ich Pfeiffersches Drüsenfieber bekommen. Das ist albern, oder? Ein zweiunddreißigjähriger Mann mit Pfeiffer.«
»Harvey«, sagte Murfin, »red mit Vullo, okay? Das ist alles. Rede wenigstens mit ihm. Wir haben ihm schon gesagt, daß du wahrscheinlich nicht rauskriegst, wer es war, aber vielleicht, warum. Wenn wir das haben, das ›warum‹, dann können Quane und ich vielleicht ein paar von unseren Superschnüfflern auf das ›wer‹ ansetzen.«
»Ihr meint, es gibt einen ›wer‹, der dahintersteckt?« sagte ich.
»Na«, sagte Murfin, und Quane nickte weise. »Sieh mal«, fuhr Murfin fort, jetzt ganz der Verkäufer, »ein Mann hat einen tollen Job. Er ist gut verheiratet – na ja, jedenfalls nicht schlecht. Er ist gesund. Er ist fünfundvierzig. Seine Kinder sind nicht im Knast, was auch schon mal was ist. Und so ein Mann steht eines Morgens auf, frühstückt, liest die Zeitung, steigt in seinen Wagen und fährt ins Büro. Aber er kommt nicht an. Man findet ihn nicht. Man findet nicht mal seinen Wagen. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.«
»Das passiert doch dauernd«, sagte ich. »Jede Woche, vielleicht je den Tag. Man nennt es das ›Liebling, ich hol’ mir nur mal schnell ein paar Zigaretten‹-Syndrom.«
»Mix war Nichtraucher«, sagte Murfin, dieser gottverdammte Pedant.
»Stimmt. Hatte ich vergessen.«
»Harvey«, sagte Quane.
»Was?«
»Fünfhundert Mäuse. Bloß dafür, daß du mit Vullo redest.«
Ich stand auf und ging ans Geländer. Ich zog mir Hemd und Jeans aus, die ich über meiner Badehose trug, angelte mir den langen Bambusstecken mit dem zum Haken umgebogenen Kleiderbügel und holte das Seil ran. Ich kletterte aufs Geländer, packte den Jutesack und drehte mich um. Murfin und Quane sahen mich an. Tuan der Aufrechte auch.
»Tausend«, sagte ich, »für tausend rede ich mit ihm.«
Ich stieß mich vom Geländer ab und segelte durch die Luft über den Teich. Als ich mit einem schönen großen Platsch im Wasser landete, machte es genausoviel Spaß, wie ich gedacht hatte. Vielleicht sogar noch mehr.
In meiner Jugend, die ich im freundlichen Rückblick vergeudet nennen würde, war ich so etwas wie ein Überflieger, in eingeschränktem Sinne. Vielleicht war ich auch einfach in Eile, mir aber nicht sicher, wohin ich wollte. Mit zweiunddreißig hatte ich eine Karriere als Student, Polizeireporter, Abgeordneter, Auslandskorrespondent und Wahlkampfleiter hinter mir. Manche würden mir gern noch Geheimagent anhängen, aber das ist eine böswillige Unterstellung.
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