Detective Blair – Kampf mit dem Gesetz - Lynn Hightower - E-Book
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Detective Blair – Kampf mit dem Gesetz E-Book

Lynn Hightower

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Beschreibung

Das Monster hinter der Fassade: Der fesselnde Thriller »Detective Blair – Kampf mit dem Gesetz« von Lynn S. Hightower als eBook bei dotbooks. Julia Winchell weiß, dass sie in tödlicher Gefahr schwebt – wird es ihr noch rechtzeitig gelingen, das nächste Opfer ihres Verfolgers zu warnen? – Als ein Ehemann seine Frau vermisst meldet, befürchtet Detective Sonora Blair das Schlimmste, denn kurz zuvor hat die Polizei von Cincinnati am Rande einer Autobahn das abgetrennte Bein einer Leiche gefunden. Die Obduktion macht den Verdacht zur Gewissheit: Julia Winchell ist einem Killer zum Opfer gefallen, dessen Mordlust keine Grenzen zu kennen scheint. Aber könnte es sein, dass Julia ihn kannte? Sonora weiß, dass ihr nur wenig Zeit bleibt, um den Mörder zu stoppen – auch wenn sie sich damit selbst zur Zielscheibe macht … »Hohes Tempo, gutgezeichnete Charaktere und von Anfang bis Ende eine teuflisch faszinierende Handlung.« Publisher’s Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: der packende Thriller »Detective Blair – Kampf mit dem Gesetz« von Lynn S. Hightower ist der zweite Band ihrer Reihe um Cincinnatis tougheste Polizistin, Sonora Blair. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 478

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Über dieses Buch:

Julia Winchell weiß, dass sie in tödlicher Gefahr schwebt – wird es ihr noch rechtzeitig gelingen, das nächste Opfer ihres Verfolgers zu warnen? – Als ein Ehemann seine Frau vermisst meldet, befürchtet Detective Sonora Blair das Schlimmste, denn kurz zuvor hat die Polizei von Cincinnati am Rande einer Autobahn das abgetrennte Bein einer Leiche gefunden. Die Obduktion macht den Verdacht zur Gewissheit: Julia Winchell ist einem Killer zum Opfer gefallen, dessen Mordlust keine Grenzen zu kennen scheint. Aber könnte es sein, dass Julia ihn kannte? Sonora weiß, dass ihr nur wenig Zeit bleibt, um den Mörder zu stoppen – auch wenn sie sich damit selbst zur Zielscheibe macht …

»Hohes Tempo, gutgezeichnete Charaktere und von Anfang bis Ende eine teuflisch faszinierende Handlung.« Publisher’s Weekly

Über die Autorin:

Lynn S. Hightower wurde in Tennessee geboren und lebt heute in Kentucky. Sie studierte Journalismus sowie Kreatives Schreiben. Um ihren gefeierten Kriminalromanen ihren authentischen Charakter zu geben, beobachtet sie die Arbeit der lokalen Mordkommission aus nächster Nähe, begleitet Streifenbeamte und war Zeugin von Autopsien. Sie wurde mit dem renommierten Shamus Award ausgezeichnet.

Von Lynn S. Hightower erscheinen bei dotbooks:

»Detective Blair – Spiel mit dem Feuer«

»Detective Blair – Kampf mit dem Gesetz«

»Detective Blair – Wettlauf mit der Zeit«

»Detective Blair – Jagd nach der Schuld«

Die Website der Autorin: lynnhightower.com

***

eBook-Neuausgabe Januar 2022

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1996 unter dem Originaltitel »Eyeshot« bei HarperCollins Publishers, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Der blinde Fleck« bei Droemer Knaur.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1997 by Lynn S. Hightower

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Fluke_Napat

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-140-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Lynn S. Hightower

Detective BlairKampf mit dem Gesetz

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Manes H. Grünwald

dotbooks.

Für meinen Kumpel Jim Lyon.

Ich hätte keinen besseren Freund finden können.

Kapitel 1

Peter, dieser kleine Wicht,

hat ’ne Frau, doch weiß er nicht,

wo er mit ihr wohnen soll –

alle Häuschen sind schon voll!

Da höhlt er einen Kürbis aus

und hat jetzt das schönste Haus.

Kinderreim

Es war einer der Momente, in denen Sonora die Polizeiarbeit haßte.

Butch Winchell saß ihr im Vernehmungsraum gegenüber und breitete Familienfotos auf dem Tisch aus. Sie zeigten die braunäugige Tochter Terry, drei Jahre alt, deren Power-Rangers-Sweatshirt nur knapp ihr rundes Bäuchlein bedeckte. Und ihre kleine Schwester Chrissie, ein Baby mit zarten Flaumhärchen auf dem Kopf, das sich in Terrys Schoß rekelte und die Hand ihrer Schwester fest umklammert hielt.

Ihre Mommy wurde vermißt.

Sonora gefiel es, daß die Winchell-Kinder normale Namen hatten. Es waren keine dieser ausgefallenen Namen aus den Seifenopern im Fernsehen wie Jasmine, Ridge, Taylor oder Noelle. Sie strich mit dem Finger über die Tischkante. Draußen war es heiß, fast dreiunddreißig Grad, im Vernehmungsraum aber war es kühl. Alle Leute in der Stadt, die die Zeit dazu hatten, gingen zum Bootfahren, zum Schwimmen oder ins klimatisierte Kino.

Detectives der Mordkommission hatten nie Zeit für irgendwelchen Spaß …

Sonora sah hinüber zu Sam Delarosa, ihrem Partner. Wenn er gemerkt hätte, daß die Babyfotos sie beunruhigten, wäre er ernster gewesen. Weichherziger.

So aber lächelte er sie an und warf ihr seinen ›Na-komm-schon-Mädchen-Blick‹ zu. Er war groß, hatte breite Schultern, und sein dunkelbraunes Haar fiel ihm in die Augen. Er sah jünger aus als er war, jungenhaft – auch wenn Sonora, die ihn gut kannte, die Sorgenfalten um seinen Mund und die Krähenfüße in den Augenwinkeln nicht entgingen. Er hatte den Charme eines Südstaatlers vom Lande, der in Frauen stets den Wunsch weckt, sich ihm anzuvertrauen und Männer automatisch dazu brachte, ihn als Kumpel zu betrachten. Er war ohne Zweifel der Typ Mann, der Frauen die Tür aufhielt, sich Footballspiele ansah und nicht gerne einkaufen ging. Seine Normalität zählte zu den Eigenschaften, die Sonora anziehend an ihm fand. Sie arbeiteten seit fünf Jahren zusammen bei der Mordkommission.

Und es war bereits das zweite Mal in dieser Woche, daß Sonora ihm diesen Blick entlockt hatte. Dabei war sie sich sicher, daß sie diese Spielchen eigentlich längst hinter sich gelassen hatten. Er wollte sie wohl anscheinend nur wieder einmal verwirren.

Sie lächelte zurück, sah ihm ganz fest in die Augen, und er erwiderte ihren Blick, ehe er dann wieder Winchell anschaute.

»Ihr Name ist Julia, Detective Blair.« Winchell legte ein weiteres Foto neben die anderen. Er sah Sonora an.

Wie meine Kinder, dachte Sonora. Er bemerkt sofort jede Unaufmerksamkeit bei mir … Sie strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Zu lang, zu lockig. Sie fragte sich, ob sie ihr Haar schneiden lassen und damit zähmen sollte – oder ob es dann erst recht widerspenstig würde.

Sie nahm das Foto vom Tisch.

Es war ein hastiger Polaroid-Schnappschuß, der vom häufigen Anfassen speckig glänzte. Sie sah sich das Foto lange an und reichte es dann Sam hinüber.

Julia Winchell sah atemberaubend aus.

Ihr Haar war wunderschön – brünett, rötlich glänzend, lockig und kräftig, vom dreieckigen, in die hohe Stirn ragenden Ansatz zurückgekämmt, was ihr herzförmiges Gesicht gut zur Geltung brachte. Um die vollen Lippen lag ein Hauch von Härte. Über den dunkelbraunen Mandelaugen wölbten sich schön geschwungene Augenbrauen. Sie hatte schmale Schultern, lange zierliche Finger und zerbrechlich wirkende Porzellan-Handgelenke.

Sie war vom Typ her eine Frau, von der man erwartet, daß sie in Paris Urlaub macht oder den ländlichen Süden Italiens erkundet. Ihre Kleidung würde sie bei J. Peterman kaufen und zu Abercombie & Fitch zum Shopping gehen.

Kaum zu glauben, daß die Frau auf dem Foto mit diesem unscheinbaren Mann da auf dem Stuhl, der so verdrießlich, unsicher und ängstlich wirkte, verheiratet sein sollte.

Jung geheiratet, dachte Sonora.

Winchell hob den Plastikbecher mit Kaffee hoch, den Sam ihm gebracht hatte, führte ihn zum Mund, trank aber nicht. Mag er den Kaffee nicht? fragte sich Sonora. Oder ist er einfach nur nervös?

»Mr. Winchell, hätten sie lieber ein Mineralwasser oder sowas?« fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. Wenn männliche Attraktivität in T-Shirt-Größen gemessen würde, wäre ›M‹ bereits zu positiv gewesen. Schwarzes, von Gel glänzendes Haar, Brille mit dicker schwarzer Fassung, rundliches Gesicht. Hängende Schultern, Bäuchlein. Die paar Pfunde zuviel, die bei einem Mann kaum auffallen. Die paar Pfunde zuviel, die eine Frau kreischend zur Salatbar treiben.

Ein Bruder, ein Cousin, vielleicht auch ein Mörder von irgend jemandem …

Sonora hielt es für ziemlich wahrscheinlich, daß der Mann, der ihr da gegenüber saß, seine Frau umgebracht hatte – vorausgesetzt natürlich, daß sie überhaupt tot war. Vielleicht war sie auch nur von zu Hause weggelaufen. Als Sonora noch verheiratet war, wäre sie am liebsten auch von zu Hause weggelaufen.

Allerdings hätte sie jedoch niemals ihre Kinder, beide noch Babys, zurückgelassen.

Winchell lehnte sich mit angespannten Schultern vor. Er hatte dunkle Ränder unter den Augen, als ob er seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen hätte. »Es ist auf dem Foto nicht zu sehen, aber sie hat eine Tätowierung oberhalb des Fußknöchels.« Er rückte seine Brille zurecht. »Nur daß Sie’s wissen – das Ding ist keine billige Arbeit. Sie hat es bei der Feier am Abend ihres High School-Abschlusses machen lassen, und ihre Mama war entsetzt und hätte sie deswegen am liebsten umgebracht. Sie waren ja damals alle noch unreife Kids, die ein bißchen angeben wollten. Sie und ihre Freunde waren in einem China-Restaurant und beschlossen, daß sich jeder das chinesische Tierkreiszeichen seines Geburtsjahres irgendwo auf den Körper tätowieren läßt. Sie ist 1964, im Jahr des Drachen, geboren. Keiner der anderen hat die Sache dann aber mit durchgezogen. Ich kann’s ihnen nicht übelnehmen, wenn sie im Jahr der Ratte, des Affen, des Schweins oder so geboren wurden. Ihre Tätowierung sieht aber irgendwie echt gut aus; der Drache ist blau und grün und hat rote Augen und eine lange rote Zunge.«

Sonora lehnte sich vor – eine Erinnerung war wachgerüttelt worden und hatte ihren polizeilichen Instinkt geweckt. »Sagten Sie am linken Knöchel?«

Er hatte nichts darüber gesagt. Sam sah sie an.

»Ich glaube … ja, es war ihr linker Knöchel, doch, ganz bestimmt.«

Beide Männer sahen sie erwartungsvoll an.

Sonora wollte nichts weiter dazu sagen, vor allem nicht, solange Mr. Winchell und diese Babyfotos sie anstarrten. Es war keine Vermutung, die man voreilig äußern sollte, vor allem, wenn es um ein abgetrenntes Bein ging, das man am Interstate-Highway gefunden hatte. Es war sowieso nur eine ganz vage Vermutung. Das Bein war in einem benachbarten Bundesstaat gefunden worden. Julia Winchell war in Cincinnati, Ohio, verschwunden, nicht irgendwo in Kentucky. Die Art und Weise, wie das Bein abgetrennt worden war, hatte Sonora bei dieser Sache am meisten beunruhigt.

Es war schweißtreibende Arbeit, einen menschlichen Körper zu zerlegen. Die meisten Mörder machten es auf die harte Tour und sägten das Bein – mit der für sie typischen Mischung aus brutaler Gewalt und Teilnahmslosigkeit – in gerader Linie am Oberschenkel ab. Einfacher war es hingegen, das Bein am Hüftgelenk abzutrennen, da diese Prozedur wie das Ausbeinen eines Hähnchenschenkels ausgeführt werden konnte. In dem Fall, an den Sonora gerade dachte, war das Bein auf eben diese so praktische Weise am Hüftgelenk abgenommen worden. Der Fuß aber war ein gutes Stück oberhalb des Knöchels abgetrennt worden. Inkonsequent, hatte sie gedacht, als sie davon gehört hatte. Und es hatte sie irgendwie beunruhigt.

Eine Drachen-Tätowierung oberhalb des Knöchels konnte eine Erklärung für diese Inkonsequenz sein. Ein Mörder, der intelligent und kaltblütig genug war, sich Gedanken über eine möglichst praktische Art der Zerstückelung zu machen, würde bestimmt nicht den Fehler begehen, eine Tätowierung zurückzulassen, die eine leichte Identifizierung ermöglichte. Sonora lehnte sich zurück. »Ich bin ein wenig verwirrt, Mr.

Winchell. Leben Sie und Ihre Frau denn hier in Cincinnati?« Seinem Akzent entsprechend mußten die Winchells aus dem Süden stammen. Unzufrieden in Ohio, wie andere Zuwanderer aus dem Süden auch. Es wäre interessant zu wissen, ob sie aus Kentucky kamen, der Heimat des Bourbon, erfolgreicher Rennpferde, ihres Partners Sam – und möglicherweise auch diverser sonnengetrockneter Leichenteile.

»Wir haben ein kleines Restaurant in Clinton.«

»Und wo bitte liegt Clinton?« fragt Sonora.

Sam kratzte sich am Kopf. »In Tennessee, oder?«

»Ja, Sir, ganz in der Nähe von Knoxville. In Knoxville bin ich aufgewachsen. Ich … wir haben das Lokal vor vier Jahren gekauft. Es ist nur ein kleiner Betrieb in der Innenstadt von Clinton. Aber es ist ein Anfang, und für uns – für mich ist damit ein Traum Wirklichkeit geworden.«

Sonora fiel auf, daß Winchell seine Fäuste ballte. Sie schloß daraus, daß das Lokal ein Streitpunkt in ihrer Ehe war. Der Traum war in der Realität des Alltagstrotts verblaßt.

»Vor einiger Zeit beschloß Julia plötzlich, daß sie diese Tagung hier besuchen wollte. In Cincinnati.«

»Eine Gastronomie-Tagung?« fragte Sam.

Winchell sah hinunter auf seine Füße. »Nein. Bei dieser Tagung ging es darum, wie man ganz allgemein einen kleinen Betrieb führt. Beratung in Steuerfragen und solche Sachen, abgestimmt auf Leute, die kleine Betriebe haben.« Er hob die Schultern. »Eine ziemliche Zeitverschwendung, wenn Sie mich fragen.«

»Hat sie?« fragte Sonora.

»Hat sie was?«

»Mit Ihnen abgesprochen, daß sie zu der Tagung fährt.«

Er verzog das Gesicht. »Julie ist eine unabhängige Frau, und normalerweise bewundere ich das.«

Ein Lippenbekenntnis, dachte Sonora.

»Ich meinte, wir könnten uns das nicht leisten. Keinesfalls einen Flug. Julie sagte, daß sie mit dem Auto fahren und die Ausgaben so gering wie möglich halten würde, und wir könnten die ganze Sache ja schließlich von der Einkommenssteuer absetzen.«

Sonora nickte. »Diese Reise war also bereits ein Streitpunkt zwischen ihnen, noch ehe sie losfuhr, oder?«

Er hob beschwörend die Hände. »Es war alles geregelt und in Ordnung, bis das Getriebe des Mazdas streikte. Ich fand, daß sie das jetzt abblasen sollte. Wegen der anstehenden Reparaturkosten für das Auto …« Er atmete tief durch. »Sie ließ aber nicht locker und sagte, wir hätten den Veranstaltern der Tagung bereits eine Anzahlung geleistet, die wir nicht zurückbekämen. Für ein Flugticket konnten wir so kurzfristig nicht das Geld aufbringen. Also holte sie sich einen Mietwagen – für eine Woche. So ließ sie mich nicht ohne Auto zurück – auch wenn der Mazda erst noch repariert werden mußte – und hatte selbst eins, solange sie dort war … hier in Cincinnati war, meine ich.«

»Sie war also fest entschlossen, mal aus Clinton wegzukommen, nicht wahr?« fragte Sam sanft.

Winchells Hände hingen schlaff zwischen seinen Knien. »Sie sagte, sie bräuchte mal ein bißchen Zeit für sich selbst.«

»Wie weit ist es?« fragte Sonora. »Sie sagten, die Tagung sei hier in der Stadt. Wie weit ist es von Clinton bis Cincinnati?«

»Man fährt ungefähr vier Stunden mit dem Auto.«

»Okay«, sagte Sonora. »Was passierte dann?«

»Sie … ähm, sie kam nicht nach Hause zurück.«

Sonora nickte, blieb bei ihrem sanften Tonfall. »Das haben wir uns schon gedacht. Es wäre hilfreich, wenn Sie uns noch ein paar weitere Einzelheiten schildern könnten. Wann haben Sie das letzte Mal mit ihr gesprochen?«

»Nun, verstehen Sie, es war alles ziemlich seltsam. Ich sollte sie nach ihrer Rückkehr beim Autoverleih abholen. Sie wollte am späten Nachmittag, nach dem Schluß der Tagung, losfahren. Aber sie rief und rief nicht an. Und ich konnte sie im Hotel nicht erreichen. Wir hatten uns überlegt, daß sie ungefähr um sechs Uhr ankommen müßte, das heißt also, daß ich sie um sechs Uhr beim Autoverleih abholen sollte. Als ich nichts von ihr hörte, bin ich einfach hingefahren, um zu sehen, ob sie noch auftaucht. Aber sie ist nicht gekommen.«

»Wie lange haben Sie gewartet?« fragte Sam.

»Ungefähr fünfundvierzig Minuten. Ich hatte die Kinder bei mir. Sie waren ganz aufgeregt, weil Mommy nach Hause kam. Aber Mommy kam nicht nach Hause.« Seine Stimme brach, und er rieb sich hastig das Kinn. Die Stoppeln seines Nachmittags-Bartes machten ein schabendes Geräusch. »Niemand bei dem Verleih hatte etwas von ihr gehört. Wenn ich alleine da gewesen wäre, hätte ich noch länger gewartet, aber das Baby wurde müde und Terry war sehr unruhig. Also bin ich wieder nach Hause gefahren.« Er atmete tief ein. »Als ich gerade in die Garage fuhr, hörte ich das Telefon klingeln. Ich rannte also rein und ließ die Kinder angeschnallt in ihren Kindersitzen zurück. Aber wer es auch war, er hatte schon aufgelegt, als ich das Telefon erreichte. Fünfzehn Minuten später läutete es wieder, und sie war dran. Julie.«

Sam nickte. Winchell biß sich auf die Unterlippe.

»Sie war aufgeregt, das merkte ich sofort an ihrem ganzen Verhalten. Und ich war sicher, daß sie geweint hatte.« Er schloß die Augen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Sonora fragte sich, ob das Gel seine Hände klebrig machte. Es schien inzwischen eingetrocknet zu sein – wahrscheinlich also nicht.

Winchell öffnete die Augen. »Sie sagte mir, es wäre was passiert. Und sie sagte, sie könnte eine Weile nicht nach Hause kommen, sie müßte sich darum kümmern.«

»Und wobei ging es bei diesem darum}« fragte Sonora.

Sam warf ihr einen Blick zu. Er fand wohl, daß sie Winchell zu oft unterbrach.

»Ich weiß es nicht«, sagte Winchell.

Sonora runzelte die Stirn. »Wieso wissen Sie das nicht?« Winchell lehnte sich weit vor. »Sehen Sie, früher fragte sie immer zuerst nach den Kindern. Geht es ihnen gut? Diese Besorgte-Mommy-Tour, verstehen Sie?« Er schüttelte den Kopf. »Diesmal hat sie nicht mal gefragt. Und schon gar nicht als erstes.«

»Haben Sie gefragt, welches Problem sie hatte?« fragte Sonora.

Sam verdrehte die Augen.

Winchell schaute auf seine Hände. »Ich … dazu kam ich nicht.«

»Sie meinen, sie haben sich dann gestritten«, sagte Sonora. »Nein, es war kein Streit.«

»Was war es dann?«

»Ich habe nur … Da redet sie davon, daß sie nicht nach Hause kommen kann und fragt nicht mal, wie ich mit den Kindern, die ich die ganze Zeit ohne jede Hilfe am Hals hatte, zurechtgekommen bin.«

Sonora tauschte Blicke mit Sam. Schockierend – Eheleute streiten sich. Wie in der Oprah Winfrey Show … Sie fragte sich, wie oft Julia Winchell wohl ohne jede Hilfe mit den Kindern zurechtgekommen sein mußte. Da sie die Antwort kannte, fragte sie nicht weiter.

»Sie wurde wütend und hat aufgelegt«, sagte Winchell. »Und Sie haben seither nichts mehr von ihr gehört? Überhaupt nichts?« fragte Sam.

Winchell schüttelte den Kopf. »Nein, und es sieht Julie gar nicht ähnlich. Sie spielt nie lange die Beleidigte. Sie hätte mich bestimmt angerufen, wenn sie gekonnt hätte. Bei ihrer Schwester wäre das anders. Julie dagegen wird zwar schnell wütend, beruhigt sich dann aber auch schnell wieder. Und selbst wenn sie sauer auf mich war, sie hätte bestimmt zwischendrin dreimal angerufen, um sich nach den Kindern zu erkundigen und mit ihnen zu sprechen. Das einzige, was mich bisher aufrecht gehalten hat – ich weiß, daß sie noch lebt. Ich weiß nur nicht, wo sie ist und was da überhaupt vor sich geht.«

Sonora neigte den Kopf zur Seite. »Woher wollen Sie wissen, daß sie noch lebt?«

Butch Winchell lächelte Sonora an – das sanfte Lächeln eines Mannes, der die Sterbesakramente braucht. Sonora hatte schon viele Männer so lächeln sehen, und einige davon waren Mörder gewesen. Sie studierte seine traurigen Augen und die großen weißen Hände (vorzüglich geeignet, dich zu erwürgen, mein Schatz). Im Gegensatz zu dem massigen Körper waren seine Finger zierlich wie die eines Künstlers.

Er kratzte sich an der Wange. »Jemand benutzt unsere Kreditkarten. Sie sind alle am Kreditlimit.«

Kapitel 2

Winchell war nicht dumm. Er hätte bestimmt die endlosen Möglichkeiten – keine davon positiv zu bewerten – erwogen, die zum Erreichen des Limits der Kreditkarten führen konnten. Er war nur einfach nicht bereit dazu.

Sonora legte die Fotos aufeinander und lächelte Winchell unverbindlich an. Mitleid hätte ihn im Moment nur verängstigt. Es war für alle Beteiligten besser, wenn er jetzt klar dachte.

»Ich habe nur noch ein paar Fragen, Mr. Winchell. Zur Klärung von Einzelheiten. Sie sagten, daß Julia eine Schwester hatte … ehm, hat. Es wäre schön, wenn Sie mir ihre Telefonnummer geben könnten. Ich möchte sie gerne mal anrufen. Und dann – was ist mit Julias Hotel? Hat sie dort ausgecheckt? Sind Sie inzwischen mal dort gewesen?« Winchell preßte die Lippen zusammen. »Sie ist in diesen Orchard Suites unten am Fluß abgestiegen. Die Leute vom Hotel sagen, daß sie nicht ausgecheckt hat, aber sie würde keine Anrufe im Zimmer beantworten, und der Typ sagte mir, niemand hätte sie mehr gesehen. Er ließ mich aber nicht in ihr Zimmer. Sie benutzt eine Kreditkarte, die nur auf ihren Namen lautet, sonst hätten sie mich vielleicht reingelassen. Die Leute vom Hotel machen sich aber keine Gedanken darüber, da sie mich ja zum Bezahlen der Rechnung haben.«

»Wo wir gerade bei diesem Thema sind: Wir bräuchten die Nummern Ihrer Kreditkarte und die letzten Kontoauszüge.« Sonora räusperte sich. »Ferner würde mich interessieren, ob Ihre Frau in letzter Zeit mal im Krankenhaus war. Vielleicht helfen uns ihre neuesten Krankenakten weiter.«

Winchell schob die Brille höher. »Sie war mit den Kindern dort. Ich kann Ihnen die Unterlagen besorgen.«

Sonora lächelte wieder. »Je schneller, desto besser.« Sie schaute auf die Uhr und gab Sam ein Handzeichen. »Detective Delarosa kann das in die Wege leiten. Vielleicht könnten wir uns die wichtigsten Befunde zufaxen lassen.«

Sam nickte, warf ihr einen wachsamen Blick zu, lächelte dann Winchell höflich an. »Wir haben draußen ein Telefon, das wir dafür benutzen können.«

Guter alter Sam, dachte Sonora. Er ging mit Winchell nicht zu seinem Schreibtisch, der Sonoras direkt gegenüberstand. Er hatte jedenfalls die Wichtigkeit der Krankenberichte erkannt. Er haßte es jedoch, diese Frage zu stellen, da die Leute dann manchmal losheulten.

Sonora nahm die Fotos von Julia Winchell und ihren beiden Kindern und ging zu ihrem Schreibtisch.

Sie setzte sich auf den Bürostuhl und warf einen Blick auf die Uhr. Vierzehn Uhr. Noch zwei Stunden bis zum Schichtwechsel. Das besondere Freitagsgefühl – diese seltsame Mischung aus rastloser Energie und wohliger Trägheit – machte sich langsam in ihr breit. Sonnenlicht strömte wie Leuchtfeuer durch die Fenster.

Sonora wählte eine Telefonnummer, die sie mittlerweile auswendig kannte. Hörte, wie es am anderen Ende der Leitung anfing zu läuten. Ihre Gespräche mit Smallwood wurden immer häufiger.

Sie hatte ihn vor einigen Monaten kennengelernt, als er an einem seiner freien Tage aus Caleb County, Kentucky, zu ihr gekommen war, um mit ihr über einen Mordfall in seinem Zuständigkeitsbereich zu sprechen, der in enger Beziehung zu einem ihrer Fälle zu stehen schien. Sie hatte damals eine schwere Zeit durchgemacht, und seine Stimme am Telefon war ihr zu einer willkommenen Ablenkung geworden.

Er fütterte sie mit interessanten Details über die Bösen und Häßlichen, die ihm bei der täglichen Arbeit begegneten oder gerüchteweise zu Ohren kamen – eine Art Cop-zu-Cop-Erfahrungsaustausch.

»Sind Sie es, Smallwood?« Sonora sah ihn vor sich, wie er in seiner Deputy-Uniform dasaß und einen Fuß auf die Schreibtischplatte legte.

»Hallo, Mädchen.« Er hatte eine tiefe Stimme und den Akzent eines Südstaatlers vom Lande.

»Bitte beantworten Sie mir eine Frage.«

»Ja, ich nehme Ihre freundliche Einladung zum Dinner an. Oder nennt Ihn das im vornehmen Cincinnati-Englisch ›Supper‹?«

»Keine Witzchen, Smallwood … Erinnern Sie sich an das abgetrennte Bein, von dem Sie mir erzählt haben?«

»Bei Ihnen geht’s immer nur um den Job, wie? Ja, ich erinnere mich.«

»Wo genau hat man es gefunden?«

»Am Rand der Interstate 75 in Fahrtrichtung Süden, zwischen London und Corbin.« Seine Stimme wurde wachsamer, konzentrierter. »Haben Sie irgendeinen Hinweis?«

»Das kann ich noch nicht genau sagen, aber ich hoffe, daß nicht zutrifft, was ich annehme.« Sie breitete die Fotos von Julia Winchells kleinen Mädchen auf ihrem Schreibtisch aus. »Haben Sie inzwischen Informationen über das Opfer?«

»Nein, aber nicht, weil ich mich nicht dafür interessieren würde. Der Fundort liegt ja nicht in meinem Zuständigkeitsbereich. Ich kenne aber jemanden dort unten. Die Freundin meines Cousins.«

»Schön zu wissen, daß Sie den typischen Klischees eines Südstaatlers entsprechen.«

»Moment, ich lege Sie schnell mal auf die Warteschleife und versuche, Einzelheiten rauszufinden.«

»Meinen Sie mit schnell das, was wir hier in Cincinnati darunter verstehen oder die bekannt langen Südstaaten-Minuten?«

»Stricken Sie doch solange ein bißchen, okay?«

Es klickte in der Leitung. Sonora balancierte den Hörer auf der Schulter und drehte sich mit ihrem Bürosessel. Gruber am Schreibtisch hinter ihr machte gerade dasselbe. »Komisch, daß wir uns nur noch in solchen Situationen begegnen«, sagte Gruber.

Ich warte auf eine Auskunft und bin dabei, Ärger heraufzubeschwören, dachte Sonora … Gruber stammte aus New Jersey – dunkelhaarig, traurige braune Augen, herausforderndes Wesen, das Frauen offensichtlich interessant fanden. Er hatte in letzter Zeit ein paar Pfunde zugelegt, sah aber immer noch gut aus.

»Ist das noch diese Sekretärin? Könnte ich nicht endlich mal mit einem echten Cop sprechen?« Smallwood war wieder in der Leitung. »Sonora, sind Sie noch dran?«

»Wo sonst sollte ich wohl sein?«

»Ich könnte mir da ein paar hübsche Orte vorstellen. Na ja … Die Ergebnisse aus dem Labor der Staatspolizei liegen noch nicht vor, aber nach inoffiziellen Angaben ist das Opfer weiblich, zwischen fünfundzwanzig und achtunddreißig Jahre alt, Bein am Hüftgelenk abgetrennt, Fuß jedoch oberhalb des Knöchels abgeschnitten.«

»Blutgruppe?«

»A-positiv.«

»Irgendwelche Narben oder Tätowierungen?«

»Nicht daß ich wüßte.«

Sonora machte sich eine Notiz.

»Sagen Sie mir jetzt, welche Informationen Sie für mich haben?« fragte Smallwood.

»Vermißte Frau aus Clinton, Tennessee, hier in Cincinnati verschwunden, während sie irgendeine Tagung besucht hat.«

»Ich scheine da was nicht zu kapieren. Warum sollte ihr Bein in Kentucky auftauchen? Weil sie aus Clinton ist? Dieses Bein hat sich wohl selbständig auf den Heimweg gemacht oder was?«

»Passen Sie jetzt mal auf, Smallwood, und hören Sie sich an, wie ein echter und guter Cop darüber denkt. Diese Frau hat eine Tätowierung, einen Drachen, direkt oberhalb des linken Knöchels. Das kommt mir seltsam vor. Der Mörder nimmt das Bein am Hüftgelenk ab, was ja eindeutig Sinn macht, auch wenn solche Typen es normalerweise nicht tun. Dann trennt er den Fuß oberhalb des Knöchels ab, und das macht nun überhaupt keinen Sinn – es sei denn, das Opfer hat unterhalb der Schnittstelle eine Tätowierung, die die Polizei nicht finden soll.«

»Sie sagten, das Opfer wohne in Clinton?«

»Ja.«

»London liegt auf dem Weg dorthin.«

»So?« Als nächstes würde sie sich alles auf einer Landkarte ansehen müssen.

»Auf der 175 in Richtung Süden. Vielleicht ist Ihre Vermutung doch nicht so abwegig. Entwickeln Sie bei diesem Fall etwa eine echte Cop-Spürnase, Sonora?«

»Wir nennen das Instinkt, Smallwood.«

»Vielleicht sollten Sie dann mal herkommen.«

»Vielleicht.« Sonora sah, daß Sam und Winchell auf sie zukamen. »Ich melde mich wieder bei Ihnen, Smallwood, und vielen Dank für Ihre Hilfe.« Sonora legte auf. Mußte über Winchell lächeln, der hinter Sam wie ein Entlein hinter seiner Mutter herlief. Typisches Verhalten gegenüber Cops. Sie nahm ein Formular vom Schreibtisch, das sie für die High School ihres Sohnes ausfüllen mußte und fächerte sich damit Luft zu. »Nur für die Akten, Mr. Winchell. Können Sie mir sagen, welche Blutgruppe Ihre Frau hat?«

Sein Blick wurde leer. »A-positiv.«

Sonora drehte die Fotos auf ihrem Schreibtisch um, damit sie Julia Winchells Babys nicht länger anschauen mußte.

Kapitel 3

Das Orchard Suites Hotel lag am Ohio River in Covington, einem Ort direkt gegenüber von Cincinnati am anderen Flußufer. Sam fuhr mit dem Ford Taurus langsam auf dem Parkplatz hin und her.

»Auf dieser Seite ist nichts von dem Mietwagen zu sehen«, sagte er.

»Welche Farbe hat er nochmal?«

Sam sah sie an. »Willst du damit sagen, daß du die ganze Zeit deine Seite des Parkplatzes abgesucht hast, ohne … ?«

»Ein roter fünfundneunziger Ford Escort. Ich wollte dich nur auf die Probe stellen.«

»Erzähl mir noch mal alles von dem Bein. Winchell sagte, es wäre tätowiert, nicht wahr?«

»Nein, Sam, nicht das Bein. Nur der Knöchel. Der Fuß ist ein gutes Stück oberhalb des Knöchels abgetrennt worden …«

»Also am Schienbein.«

»Danke, Doc … Denk doch mal nach, Sam. Das Bein wurde am Hüftgelenk vom Rumpf abgetrennt, was ja auch am meisten Sinn macht, weil es am einfachsten ist.«

»Nur daß es nie einer so macht. Die meisten hacken oder sägen das Bein einfach ab.«

»Dieser Killer hat es aber so gemacht. Nur – wieso hat er dann den Fuß oberhalb des Knöchels abgetrennt?«

»Er hat erst mühsam das Schienbein durchgesägt und dabei gemerkt, wie schwer das war. Beim zweiten Schnitt war er dann klüger und hat das Bein am Hüftgelenk rausgeschält.« Sonora runzelte die Stirn. Manchmal gefiel es ihr nicht, wenn Sams Aussagen Hand und Fuß hatten. »Vielleicht. Aber vielleicht hat er den Fuß auch oberhalb einer Tätowierung abgetrennt. Das Opfer war eine Frau zwischen fünfundzwanzig und achtunddreißig, und sie hatte die gleiche Blutgruppe wie Julia Winchell.«

»Denk dran, Sonora, die meisten Opfer eines solchen Verbrechens sind junge Frauen. Außerdem hat halb Amerika die Blutgruppe A-positiv.« Sam steuerte den Wagen in die Hotelzufahrt vor der Lobby. »Ich frage mich, was Julia Winchell so aus der Fassung gebracht hat.«

»Wahrscheinlich, daß sie wieder nach Hause mußte.«

»Es war ihr verdammt wichtig, nach Cincinnati zu fahren. Meinst du, sie hat ihren Mann betrogen?«

»Du hast doch ihr Foto gesehen. Attraktive Frau.«

»Du scheinst Mitleid mit diesem Mr. Winchell zu haben.« Sonora schlug die Wagentür zu. »Nicht, wenn er sie umgebracht hat.«

Im Hotel war es kühl – fast kalt, aber nach der Hitze draußen und der Feuchtigkeit, die in benzingetränkten Wellen vom Asphalt des Parkplatzes aufstieg, war es eine Erleichterung. Die Lobby war riesig, diverse Springbrunnen plätscherten sanft, und Gäste in Sporthemden und Sandalen sorgten für die übliche Geräuschkulisse. Eine müde aussehende Frau in grünen Shorts trieb eine Herde kleiner Mädchen durch den Ausgang. Zwei Mädchen drehten sich um, sahen Sam an und kicherten.

»Ich bin wohl die Zielscheibe eines Witzes«, sagte Sam. »Ein vertrautes Gefühl für dich, denke ich.«

»Du wirst bei dieser Hitze immer gleich biestig.«

Der Empfangschef war groß, hatte buschige Augenbrauen und die Angewohnheit, sich ständig nervös zu räuspern. Er gab Sam einen Zimmerschlüssel.

»Vorhin war ein Mann hier, der auch nach Mrs. Winchell gefragt hat. Er behauptete, er wäre ihr Mann.«

»Schwarze Haare, Brille, Vorname Butch?«

Der Empfangschef nickte.

»Er ist der Ehemann.«

»Wir müssen sehr vorsichtig sein, wen wir …«

Sonora winkte ab. »Kein Problem. Ich bin froh, daß Sie darauf zu sprechen kommen. Sie haben ihn definitiv nicht reingelassen?«

»Nein, natürlich nicht.«

Gut so, dachte Sonora. Winchell war offiziell nie in dem Zimmer seiner Frau gewesen. Wenn die Spurensicherung später Beweise erbrachte, daß er doch dort gewesen war, konnten sie ihn festnageln. »Hat die Frau irgendwelche Nachrichten erhalten?« fragte Sonora.

»Da müßte ich nachsehen«, sagte der Mann.

Sonora sah auf sein Namensschild. Van Hoose. »Dann tun Sie das mal.«

Der Mann bückte sich und schaute unter den Schalter, und Sam sah Sonora stirnrunzelnd an, um ihr seine Mißbilligung wegen ihrer groben Unfreundlichkeit zu zeigen.

»Sieben.« Van Hoose gab Sonora einen Computerausdruck. »Das ist eine Liste der Anrufe, die sie gemacht hat. Und hier sind die für sie eingegangenen Nachrichten. Sie hat sie nie abgeholt.«

Sonora sah die Papiere durch und folgte Sam, der sich bei dem Mann bedankte und davonging. Eine der Telefonnummern kam ihr bekannt vor.

Sonora sah zu Sam hoch. »Ein ganzer Stapel Nachrichten von Winchell. Und es sieht ganz so aus, als hätte jemand in einem anderen Zimmer des Hotels ihren Rückruf erbeten.« Sonora ging zurück zum Empfangschef, um sich zu vergewissern. »Ist es das, wofür ich es halte? Die Nummer eines anderen Hotelzimmers?«

Er nickte.

»Sehen Sie doch mal nach, bitte, und sagen mir, wer zur Zeit des Anrufes das fragliche Zimmer belegt hatte.«

Van Hoose zögerte. Aber sie waren ja schließlich von der Polizei. Er ging zu seinem Computer.

Sam trommelte mit den Fingern auf den Schalter. Sonora legte ihre Hand auf seine, damit er aufhörte.

»Der Anruf kam von einem Mr. Jeffrey Barber aus Zimmer dreisiebenundzwanzig.«

»Wann ist er abgereist?«

»Am Sonntag, dem 16. Juli.« Er gab Sonora einen Zettel. »Hier finden Sie Name, Adresse, Telefonnummer und Kfz-Kennzeichen, wie er sie bei der Anmeldung hier angegeben hat.«

Sonora lächelte. »Wir sollten Sie zum Eintritt in die Polizei überreden, Van Hoose.«

»Wie gehen Sie vor, wenn ein Gast spurlos verschwindet?« fragte Sam.

Van Hoose verlagerte sein Gewicht auf den linken Fuß. In seiner Hüfte knackte ein Knochen. »Wir überprüfen seinen Karten-Kredit, und wenn alles in Ordnung ist, halten wir das Zimmer eine Zeitlang für ihn frei.«

»Wie lange?« fragte Sonora.

»Das ist Sache der Hotelleitung. Es hängt davon ab, wie kreditwürdig der Gast ist und wie dringend wir das Zimmer benötigen.«

Sam klopfte auf den Schalter. »Okay, danke.«

Sonora folgte ihm durch die Empfangshalle zu den Aufzügen. Drückte auf die Drei.

»Hier ist das Frühstück im Zimmerpreis mit drin«, sagte Sam.

»Sehr wichtig«, stimmte ihm Sonora zu und schloß die Augen. Sie lehnten sich gegen die hintere Wand des Fahrstuhls, der im zweiten Stock anhielt, um zwei frisch gebadete und parfümierte Paare mitzunehmen. Die Frauen trugen Strumpfhosen und hochhackige Schuhe.

Sonora fragte sich, was Smallwood wohl heute abend vorhatte. Bestimmt würde er nicht arbeiten.

Der Aufzug hielt an. In Hotelfluren bekam Sonora immer das Gefühl, sie sei eine Versuchsratte in einem Labyrinth.

Sie sah Sam aus den Augenwinkeln an. »Du scheinst dich ja hier gut auszukennen.«

»Ich komme immer mit meinen Frauen hierher. Sie mögen die Aussicht auf den Fluß, und ich mag das Frühstück.«

In Julia Winchells Suite herrschte das für Hotelzimmer typische Nebeneinander von Sauberkeit, für die das Zimmermädchen sorgte, und der Unordnung, die der Hotelgast mit seinen Privatsachen verursachte. Als erstes kamen sie in eine Art Wohnzimmer: Fernseher, Schreibtisch, Tisch und Stühle, grünes Sofa. Es gab eine Bar mit einer Kaffeemaschine und einem kleinen Kühlschrank. Der Raum war frisch abgestaubt und gesaugt worden, die Kissen frisch aufgeschüttelt. Auf dem Schreibtisch lagen Papierstapel, Bücher und eine kleine geöffnete Aktentasche.

Sonora schaute noch einmal wehmütig zum Sofa hinüber. Ihr Hund Clampett hatte die Ecke eines der Kissen auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer aufgebissen, und jedesmal, wenn sich jemand gegen das Kissen lehnte, quoll ein Teil der Füllung heraus.

Sie warf einen Blick ins Schlafzimmer. Das Bett war gemacht, und ein sauber gefaltetes Negligé lag auf einem der Kissen am Kopfende der riesigen Matratze.

Sonora hielt es hoch. Roch den süßlich-blumigen Duft, strich über die weiche schwarze Seide, bewunderte die Spaghetti-Träger, die sich am Rücken kreuzten.

Sie hörte Sam pfeifen, während er den kleinen Kühlschrank hinter der Bar öffnete und wieder schloß.

»Alte Pizza«, rief er.

»Laß mir ein Stück übrig.«

»Was?«

»Schau mal ins Badezimmer, Sam. Zähl die Zahnbürsten.« Seine Schritte hallten durch den Verbindungsgang. Sonora wußte, daß er leichtfüßiger gehen konnte, wenn er nur wollte. Sie hatte es schon ein paarmal miterlebt.

Sein Kopf erschien in der Türöffnung des Schlafzimmers. »Zwei. Beide sind knochentrocken.«

Sonora wedelte mit dem Negligé. »Ich schätze, sie war nicht nur wegen der Aussicht hier.«

»Arme Sau.«

»Du meinst wohl ihren Mann? Wie wir gerade sehen, hat er ein sehr gutes Motiv.«

»Was uns weiter im Geschäft hält.«

Sonora ging zu den Schubladen der Frisierkommode. Sie fragte sich, ob Julia Winchell zu der Sorte Hotelgäste zählte, die ihre Koffer auspacken.

Ja, lautete die Antwort.

Sonora entdeckte ein schieferblaues Seidennachthemd, an dessen einer Seitennaht noch das Preisschild von Victoria’s Secret hing. Sie selbst hatte zu Hause auch so eins im Schrank. Es hing über dem Beutel mit ihrer schmutzigen Unterwäsche. Julia Winchell hatte für ihres den vollen Preis bezahlt; Sonora hatte auf den Ausverkauf gewartet.

Was ein Hinweis darauf sein konnte, daß es für Julia Winchell einen besonderen Anlaß gegeben hatte, es sofort und ohne Preisnachlaß zu kaufen. Julia hatte eine Schwäche für tadellos gearbeitete weiße oder schwarze Blusen, khakifarbene Hosen und lange, gerade geschnittene Röcke in Größe acht. Sie kaufte ihre Sachen bei The Limited und gab viel Geld für Schuhe in Größe siebeneinhalb aus, die inzwischen aber ziemlich abgenutzt aussahen.

Auf der Ablage im Badezimmer fand sich eine solide Grundausstattung an Kosmetika; solide, aber nicht übertrieben. Julia Winchell hatte ihren eigenen Schminkspiegel mitgebracht. Auch den Badezusatz.

Sonora machte eine kurze Bestandsaufnahme. Wimperntusche, Eyeliner, Rouge, zwei Lippenstifte in unterschiedlichen Tönen. Alle Sachen außer einem der Lippenstifte waren benutzt worden. Sonora öffnete den benutzten Lippenstift und drehte ihn heraus. Rumrosinen-Bronze.

Eine Theorie besagte, daß man den Charakter einer Frau von der Form ihres Lieblingslippenstiftes ablesen konnte. Sonora hatte im National Inquirer einmal einen Artikel darüber gelesen.

Sie schaute hinüber zu dem schwarzen Seidennegligé auf dem Bett im Schlafzimmer und der frisch gebügelten weißen Bluse, die an der Schlafzimmertür hing. Über dem Zimmer lag eine Aura der Verlassenheit, und auf dem abgenutzten geblümten Koffer hatte sich bereits eine dünne Staubschicht gesammelt. Julia Winchell würde nicht zurückkommen. »Sonora?«

Die Art, in der Sam ihren Namen aussprach, weckte ihre Aufmerksamkeit – ein ganz bestimmter Tonfall.

Sie stellte den Lippenstift zurück auf die Ablage. »Was gibt’s, Sam?«

Er stand mit dem Rücken zu ihr und hielt einen Papierstapel in der linken Hand.

Das Telefon klingelte.

Sonora sah Sam fragend an. Er nickte, und sie hob den Hörer des Telefons auf dem Schreibtisch ans Ohr. Auf den Orchard-Swtes-Notizblock waren einige Telefonnummern gekritzelt worden, eine davon mit der Vorwahl 606. Julia Winchell war aus Tennessee, und von ihren Gesprächen mit Smallwood wußte Sonora, daß dieser Staat die Vorwahl 423 hatte. Sie war sich ziemlich sicher, daß 606 Kentucky war. Das Bein war in Kentucky gefunden worden.

»Hallo?« Sonora sagte das Wort mit absichtlich tiefer Stimme. Sie nahm an, daß Julia Winchell der Typ für eine Alt-Stimme war.

Stille.

»Hallo?« wiederholte Sonora. Sie hörte ein Klicken und sah Sam an. »Aufgelegt.«

»Setz’ dich, Sonora. Das hier solltest du dir ansehen.«

»Was ist es?«

»Ich glaube, ich weiß jetzt, warum sich Julia Winchell entschlossen hat, nicht nach Hause zurückzukehren. Aber es ist nicht das, was du glaubst.«

»Was ist es dann?«

Sam hatte Julia Winchells offene Aktentasche neben sich auf dem Sofa stehen. Jetzt stellte er sie auf den Boden und nahm einen dünnen Stapel Papiere, die wie handschriftliche Notizen aussahen, sowie einen Zeitungsausschnitt mit ausgefransten Ecken heraus.

Sonora setzte sich neben ihn auf die Couch. Sam reichte ihr den Zeitungsausschnitt. »Fangen wir damit an. Erinnerst du dich an das Foto?« Er schob sich auf die niedrige Sofalehne. Ihre Knie berührten sich. Er tippte auf den Zeitungsausschnitt. »Sieh dir das Datum an.«

Sonora löste sich von ihren Gedanken über die sich berührenden Knie und sah sich den Zeitungsausschnitt an. Er war fein säuberlich aus der Samstagsausgabe der Cincinnati Post, Ausgabe Stadtzentrum, herausgeschnitten worden. Er datierte vom fünfzehnten Juli, dem Tag vor Julia Winchells geplanter Rückkehr nach Clinton. Sie hob die Augenbrauen. Las die Überschrift. Dann den Anfang des Textes. »Bezirksstaatsanwalt Gage Caplan hielt heute sein Schlußplädoyer im Verfahren gegen den ehemaligen Football-Profi der Cincinnati Bengals, Jim Drury, der beschuldigt wird, die Studentin Vicky Mardigan von der Xavier University überfahren zu haben. Drury brachte es – nachdem er die Moelier Catholic High School, eine bekannte Talentschmiede für Footballspieler, besucht hatte – in seiner Heimatstadt Cincinnati zu Ruhm und Ansehen. In den letzten neun Jahren hat er während der Footballsaison als Kommentator bei lokalen Fernsehsendern gearbeitet. Mr. Drury spielte von 1979 bis 1986 bei den Bengals.«

Sonora sah zu Sam hoch. »Caplan plädiert auf Totschlag.« Sam verzog das Gesicht. Vicky Mardigan war fast vierzig Meter über die Montgomery Avenue bis zum White Castle in Norwood mitgeschleift worden. Als der Notarzt eintraf, atmete sie zwar noch, hatte die Nacht jedoch nicht überlebt. »Meinst du, daß Caplan überhaupt eine Chance hat, Drury zu überführen?«

Sam zuckte mit den Schultern. »Drury behauptet, sie wäre urplötzlich vor seinen Wagen auf die Straße gelaufen. Wie kann Caplan das Gegenteil beweisen? Drurys Wort steht gegen das eines toten Mädchens.«

»Sam, er hat sie ein ganzes Stück auf der Straße mitgeschleift.«

»Er behauptet, daß sein Fuß abgerutscht sei, als er bremsen wollte. Und bei der Blutprobe konnten weder Alkohol noch Drogen bei ihm festgestellt werden – das macht es Caplan nicht gerade leichter.«

»Du kennst die Gerüchte?«

Sam nickte. Jeder Cop kannte sie. Drury war ein berüchtigter Verkehrsrowdy, der jeden Ärger hinter dem Steuer austobte. Er war zwar schon mehrmals von der Verkehrspolizei gestellt worden, aber, um Himmels willen, er war ja schließlich der berühmte Football-Star Drury … Er gab den Polizisten normalerweise ein Autogramm und fuhr weiter.

»Ja, Sonora, aber mit Gerüchten kommt man vor Gericht nicht weit. Ich habe schon einige Male mit Caplan zusammengearbeitet, keine Frage, er ist ein guter Staatsanwalt. Nicht wie andere dieser beschissenen Paragraphenreiter. Man übergibt ihnen die Akte eines Falles, die sie, wenn man Glück hat, fünfzehn Minuten vor der Verhandlung noch schnell durchlesen. Caplan hingegen bereitet sich immer gründlich vor und schafft es meistens, die Geschworenen in seinen Bann zu ziehen und zu überzeugen.«

»Danke für den Anschauungsunterricht, Sam.« Sonoras Fuß juckte. Sie rieb den Schuh am Teppich und fragte sich, ob sie ihn ausziehen und sich der Ekstase des Kratzens hingeben sollte.

Sam drehte sich zur Seite, um sie ansehen zu können. »Julia Winchell hat eine Menge kleiner Aufzeichnungen in ihrer Aktentasche hinterlassen, Sonora. Sie war Zeugin eines Mordes. Oder glaubt es zumindest.«

Sonora lächelte Sam zweifelnd an. »Na so was … Flat sie zufällig den Namen des Mörders irgendwo erwähnt?«

Sam verzog das Gesicht, und Sonora fand, daß er traurig aussah. Er tippte mit dem Finger auf den Zeitungsausschnitt in Sonoras Hand. Auf den Ausschnitt mit Gage Caplan, dem Star unter den Staatsanwälten. »Das hat sie tatsächlich getan.«

Sonora legte den Kopf schräg. »Ist es jemand, den Caplan einbuchten will?«

»Nein, Sonora. Er selbst ist es.«

Kapitel 4

Sonora starrte Sam an. Betrachtete dann das Foto auf dem Zeitungsausschnitt noch einmal genauer. »Habe ich dich richtig verstanden? Du versuchst mir klarzumachen, daß Julia Winchell einen Mord beobachtet hat, den …«

»Ich sagte, daß sie es glaubt.«

»Und der Mörder war Gage Caplan? Der Gage Caplan?« Sonora wedelte mit dem Zeitungsausschnitt. »Der Held der Unterdrückten, Verteidiger von Gesetz und Ordnung, Freund der Polizei, Beschützer der Kinder und so weiter und so weiter?«

»Wie oft soll ich denn ›ja‹ sagen?«

»Bis ich dich zu einem ›Nein‹ bringe. Wen soll er denn umgebracht haben?«

»Seine Frau.«

»Seine Frau? Da findet sich leicht ein Motiv, nehme ich an.«

»Im Ernst, Sonora …«

»Ganz im Ernst, Sam, seine Frau ist lebendig und wohlauf. Ich habe erst letzte Woche ein Foto von ihr in der Zeitung gesehen. Es zeigte Caplan, den Familienmenschen, mit Frau und kleinem Kindchen.«

»Seine erste Frau, Sonora. Die Sache ist vor acht Jahren passiert.«

»Warum hat sie das dann nicht schon vor acht Jahren gemeldet?«

»Das hat sie. Nur wollte ihr niemand Glauben schenken. Und sie hat den Mörder gesehen, wußte aber nicht, wer er war. Bis sie vor zwei Wochen die Zeitung aufschlug und ihn wiedererkannt hat.«

»Jetzt sag mir mal ein paar Einzelheiten, Sam.«

»Ich habe keine Einzelheiten zu bieten.« Er stand auf und zeigte auf den Stapel Papiere. »Das ist alles, was ich gefunden habe. Notizen. Sachen, die sie hingekritzelt hat.«

»Das ist allerdings nicht viel. Es sei denn …«

»Es sei denn was?«

»Die Liste der Telefonanrufe, die sie von hier aus gemacht hat. Eine der Nummern kam mir gleich bekannt vor. Sie hat im Büro der Staatsanwaltschaft angerufen.«

»Hör zu, Sonora, ich behaupte nicht, daß ihre Story wahr ist. Ihr Anruf beim Büro der Staatsanwaltschaft beweist gar nichts, außer, daß sich bei ihr vielleicht eine Schraube gelockert hatte.«

»Das würde aber nicht zu der Beschreibung passen, die ihr Mann von ihr gegeben hat.«

»Er aber wiederum ist vielleicht derjenige, der sie umgebracht hat.«

»Sofern sie überhaupt tot ist.«

»Richtig.«

Sonora glättete den Zeitungsausschnitt auf ihrem Knie. Runzelte die Stirn über die Schlagzeile. Caplan kommt der Sache näher. Das Foto war im Gerichtssaal aufgenommen worden, von der Seite, während er zu den Geschworenen sprach. Er war ein großer Mann in einem schicken Anzug, jedoch nicht zu schick – kein Typ, der die neueste Mode mitmachte. Er war attraktiv – zwar mit ein paar überschüssigen Pfunden um die Hüfte, wie das öfter bei ehemaligen aktiven Sportlern ist, aber sie paßten recht gut zu seiner Erscheinung. Sein Haar war dick und voll, Messerschnitt.

Ein Bezirksstaatsanwalt, der ganz sicher Eindruck auf Geschworene machte. Und beim breiten Publikum beliebt war. Sonora überflog den ganzen Artikel.

Die Verteidigerin war Judith Kelso, die wie Drury in Cincinnati aufgewachsen war – ein kluger Schachzug Drurys. Sie war eine kleine, untersetzte Blondine mit kantigen und schwerfälligen Bewegungen. Die Eckpunkte ihrer Verteidigung waren Drurys makelloser Bluttest, sein attraktives, typisch amerikanisches Aussehen, seine gemeinnützige Tätigkeit bei der Sekte der Shriners und sein Bemühen, trotz der Scheidung seinen Kindern ein guter Vater zu sein. Ein Goldjunge, der es verdiente, daß im Zweifelsfall zu seinen Gunsten entschieden würde.

Die neunzehnjährige Vicky Mardigan aus Union war keine Schönheit gewesen. Auf den Fotos sah sie klein und stämmig aus, und sie hatte einen unreinen Teint. Die Aufnahmen vom Unfall waren schwer zu verdauen. Die Jury hatte nach ihrer Kenntnisnahme eine Pause benötigt.

Aus Gründen, die keinem so recht einleuchteten, hatten sich diverse Frauenrechtlerinnen-Gruppen ihres Falles angenommen. Sie hielten im Stadtzentrum Gedenkwachen ab, versuchten, die Erinnerung an die schrecklichen Umstände ihres Todes wachzuhalten. Sonora war sich nicht sicher, ob die Frauen wirklich mit dem Herzen dabei waren.

Im ›Bullpen‹, dem Großraumbüro der Mordkommission, standen die Wetten in einer Abwandlung der üblichen Footballwetten drei zu eins für Drury. Caplan war der einzige Grund, daß Drurys Quote nicht besser ausfiel.

Das übliche Gerede unter Polizisten.

Sonora legte den Zeitungsausschnitt behutsam auf den Couchtisch. »Sag mir mal deinen Tip, Sam. Wird Caplan ihn überführen?«

»Wenn’s einer schafft, dann er.«

»Siehst du, das ist das Problem, Sam. Ich stimme dir zu. Fast jeder Cop in der Stadt würde dir zustimmen, einschließlich, wie ich hinzufügen möchte, unseres Polizeichefs.«

Sam sah sie nachdenklich an. »Wir könnten die Sache einfach auf sich beruhen lassen.«

»Vielleicht kommt Julia Winchell ja zurück«, sagte Sonora mit flacher Stimme. Sie schaute hoch, und sie sah Sam und sich selbst in einem Spiegel über dem Schreibtisch.

Zwei unglückliche Cops.

»Sie wird nicht zurückkommen«, sagte Sam.

Kapitel 5

Der Schichtwechsel war vollzogen, und alle waren bereits nach Hause gegangen – bis auf Molliter, der die Nachtschicht leitete. Molliter war ein großer, schlaksiger Rotschopf mit stets mürrischer Miene. Bekannt als sehr religiös. Er saß an seinem Schreibtisch und aß Ananas-Ringe aus einer eckigen Plastikdose.

Sonora sah ihm schaudernd zu. Setzte sich an ihren Schreibtisch. »Das Lämpchen an meinem Telefon blinkt ja gar nicht.«

»Also keine Anrufe, während wir weg waren?« fragte Sam. »Wo sind deine Kinder?«

»Heather ist bei irgendeiner Skating-Sache. Tim hängt in der Einkaufspassage rum und ärgert die Sicherheitsbeamten.«

»Wie sind sie denn dorthin gekommen?«

»Ihre Mobilität wird durch eine Kombination aus dem Einsatz ihrer Großmutter, einer Mutter aus dem Freundeskreis mit einem Van und dem großen Bruder eines Freundes mit Führerschein ermöglicht. Warte nur, bis deine Annie dieses Alter erreicht.«

Sonora sah ihn aus den Augenwinkeln an. Vor einem Jahr hätte er darauf noch sehr empfindlich reagiert. »Wie geht’s ihr denn inzwischen?«

»Ihr letztes Schulzeugnis war ganz ordentlich. Ihre Leistungen liegen noch etwas unter dem Durchschnitt, aber sie holt langsam auf.«

Sonora machte sich eine Flasche Eistee auf. Es war schön, daß man inzwischen nach Annies Ergehen fragen konnte, ohne als Antwort etwas anderes als die Wiedergabe eines medizinischen Berichtes zu hören. Letztes Jahr um diese Zeit lag sie im Krankenhaus und mußte in ihrem fortwährenden Kampf gegen die Leukämie alle möglichen Untersuchungen und viele Bluttransfusionen über sich ergehen lassen.

Sonora schälte ein belegtes Sandwich aus dem gelb-weißen Einwickelpapier. »Okay, Sam, du kümmerst dich um diesen Hotelgast Barber, und ich rede mit Julias Schwester.«

»Die Schwester wäre mir lieber.«

»Nein, das werde ich erledigen.« Sonora vermißte auf dem Einwickelpapier das markante rote Geschmiere der Tomatensoße. »Widerlich! Was ist das denn?«

»Ein Sandwich mit Krabben und Meeresfrüchtesalat. Du hast meins erwischt.«

Sie tauschten die Brötchen aus.

»Du hast doch so eine schöne Telefonstimme, Sonora. Du kriegst diesen Mr. Barber bestimmt zum Reden.«

»Du willst doch bloß die Schwester übernehmen, weil du hoffst, daß sie genauso toll aussieht wie Julia.«

»Was ist das denn, verdammt?«

»Eine Fruchtlimo, Sam. Geschmacksrichtung ›Mango-Irrsinn‹. Ich dachte, sie würde dir bestimmt schmecken.«

»Echte Cops trinken keine Fruchtlimo.«

»Dann gib sie halt mir.«

Er schob die Flasche schnell aus ihrer Reichweite.

Sonora wählte die Telefonnummer, die Butch Winchell ihr gegeben hatte. Besetzt. Sie legte auf und schaltete das Telefon auf automatische Wahlwiederholung. Dann widmete sie sich ihrem scharf gewürzten Sandwich mit Fleischklößchen und Jalapeno-Pfefferschoten und hatte es halb verschlungen, als das Telefon anzeigte, daß der Anruf jetzt beantwortet wurde. Sonora hob ab, schluckte schnell einen großen Bissen hinunter. »Mein Name ist Blair, Detective Blair, und ich hätte gerne mit Liza Hardin gesprochen.« Mit fettigen Fingern griff sie nach einem Stift. Sam kicherte.

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang vorsichtig. »Ich bin Liza Hardin. Entschuldigen Sie, wie war Ihr Name?«

»Ich bin Detective Blair von der Stadtpolizei Cincinnati. Ein Mr. Butch Winchell hat seine Frau Julia bei uns als vermißt gemeldet. Er hat uns Ihre Nummer gegeben und gesagt …«

»O ja, ich bin ihre Schwester.«

Sonora klappte einen Notizblock auf. »Haben Sie einen Augenblick Zeit für ein paar Fragen, Miss Hardin?«

»Natürlich.«

»Haben Sie Ihre Schwester in letzter Zeit gesehen oder mit ihr telefoniert?«

»Ich habe mit ihr … hmm, vor ein paar Tagen gesprochen. Am Sonntagvormittag, am siebzehnten …«

»Sechzehnten«, korrigierte Sonora.

»Wie auch immer … Und am Samstagabend habe ich auch mit ihr telefoniert.«

»Als sie in Cincinnati war?«

»Ja. Ich habe an jedem Abend, den sie dort war, mit ihr gesprochen.«

Die Telefondrähte waren also von Schwester zu Schwester heißgelaufen. »Telefonieren Sie auch sonst täglich miteinander?«

»Hmmm, nein, nur wenn …«

»Ja?«

Hardin räusperte sich. »Nur wenn was Besonderes los ist und es was für uns zu bereden gibt.«

»Was war denn diesmal los?« fragte Sonora.

Hardin antwortete nicht.

»Miss Hardin, haben Sie seit besagtem Sonntagmorgen, also seit dem Morgen des Sechzehnten, noch irgend etwas von Ihrer Schwester gehört?«

Hardin senkte die Stimme. »Nein, das habe ich nicht.«

»Finden Sie das nicht seltsam?«

»Doch, natürlich. Ich wußte nicht, was los war. Butch rief an und sagte mir, daß er sich auf den Weg nach Cincinnati machen würde. Hat er Julia denn nicht gefunden?«

»Nein, Ma’am, das hat er nicht. Und Sie sind sich ganz sicher, daß sie danach nicht mehr mit Ihnen gesprochen hat?«

»Ich bin mir absolut sicher.«

Die Frau klang sehr bestimmt. Glaubwürdig.

»Miss Hardin, ich habe Verständnis, daß Sie uns keine vertraulichen Dinge mitteilen wollen, aber wir machen uns Sorgen um den Verbleib Ihrer Schwester. Halten Sie es für möglich, daß sie ihre Familie, hmmm, mit voller Absicht verlassen hat?«

»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete Hardin mit ausdrucksloser Stimme.

»Sind Sie ganz sicher?«

»Sie wissen von ihrem Verhältnis, nicht wahr?«

Sonora dachte kurz nach. »Können Sie bestätigen, daß sie ein Verhältnis hatte, und wenn ja, können Sie mir den Namen des Mannes geben?«

»Ja, sie hatte eine Affäre, und nein, ich kenne den Namen des Mannes nicht. Aber sie ist bestimmt nicht mit ihm durchgebrannt, Detective. Das Verhältnis entwickelte sich nicht besonders gut, und der Mann spielte keine große Rolle mehr bei ihren Überlegungen.«

»Wissen Sie denn, welche Überlegungen sonst eine Rolle bei ihr spielten?«

Hardin holte tief Luft. »Es klingt… dramatisch, aber meine Schwester hat ein Foto in der Zeitung gesehen. Das Foto eines Mannes, von dem sie glaubt, daß er vor acht Jahren jemanden umgebracht hat. Diese Entdeckung hat sie vollkommen aus der Fassung gebracht, und sie wollte damit zur Polizei gehen.«

»Ich kann das noch mal nachprüfen, aber in unseren Akten steht nichts davon, daß sie bei uns Anzeige …«

»Ich habe es ihr ausgeredet. Das mit der Polizei. Ich dachte, sie würde sich damit bloß zum Narren machen. Sie entschloß sich dann, der Sache selbst nachzugehen, aber fragen Sie mich nicht, wie sie das machen wollte. Ich habe nur gehofft, daß sie es aufgibt und nach Hause zurückkommt. Es erschien mir so … sinnlos.«

»Sie hat Ihnen keinerlei Anhaltspunkte gegeben, wie sie der Sache nachgehen wollte?«

»Nein, hat sie nicht. Wir wurden unterbrochen.« Hardins Stimme wurde gereizt. »Dieser Wer-auch-immer, mit dem sie diese Affäre hatte, kam, wie sie schnell noch sagte, ins Zimmer und war wegen irgendwas sehr aufgeregt. Weiß Gott, worum es ging. Er war ein ziemlich schwieriger Typ, das hatte sie mir schon vorher und erzählt. Würde sie häufig auf die Palme bringen. Dann sagte sie noch, sie würde mich zurückrufen, aber das hat sie nicht getan.«

»Sie müssen sich doch große Sorgen um sie gemacht haben, oder etwa nicht?«

»Sehr große sogar. Aber ich wußte nicht, was ich machen sollte.«

»Was wissen Sie über diesen Mord, den sie gesehen haben will?«

»Nichts, Detective. Aber ich weiß, daß Julia keine Spinnerin ist. Sie hat mir davon erzählt, aber das ist schon Jahre her.« Hardin unterbrach sich. »Ich weiß nur, daß es passierte, als sie noch zur Uni ging. Sie war auf der Universität von Cincinnati, wußten Sie das?«

»Nein«, antwortete Sonora.

»Hören Sie, ich habe eine Verabredung, und er kann jeden Moment vor der Tür stehen. Ich brauche aber noch zehn Minuten, um mich zu schminken und diese elektrischen Lockenwickler aus den Haaren zu nehmen. Ich denke noch mal über alles nach und rufe Sie dann wieder an, okay?«

Sonora gab ihr die Telefonnummer und legte auf. Zehn Minuten – das bedeutete eine verdammte Hetzerei. Sie sah hinüber zu Sam. »Wie ist es dir inzwischen mit Barber ergangen?«

»Er ist Fotograf und nicht zu Hause. Es ist Freitagabend, da ist niemand erreichbar.«

»Komm, laß uns abhauen.«

Kapitel 6

Auf dem Parkplatz ließ sich Sonora viel Zeit. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich schon von Sam trennen und zu Hause in die Mutterrolle stürzen wollte. Sie stieg in ihren Chevrolet Blazer, steckte den Schlüssel in die Zündung und ließ das Fenster herunter, damit sie noch ein wenig mit Sam reden konnte.

»Diesen Chevy hätte ich gern«, sagte Sam.

»Tim möchte, daß ich den Nissan behalte, bis er den Führerschein hat und ihn fahren kann. Willst du mir den nicht abkaufen? Ich mache dir einen Freundschaftspreis.«

»Nein danke, dessen Macken kenne ich nur zu gut.« Er klopfte auf das Dach des Blazers. »Laß es mich wissen, wenn du den Chevy hier je verkaufen willst.«

Sie sahen sich an. Die Sonne war zwar bereits untergegangen, aber es war immer noch heiß. Sam hatte Schweiß auf der Oberlippe.

»Was machst du heute abend?« fragte er.

»Nach Haus fahren. Das Haus putzen. Rechnungen bezahlen. Meinen …« Aus irgendeinem Grund hatte sie »meinen Bruder anrufen« hinzufügen wollen. Vielleicht deswegen, weil sie in seinem Auto saß. Er hatte ihr in seinem Testament seine ganze Habe hinterlassen.

»Was noch?« fragte Sam.

»Frag’ mich nicht warum, aber ich wollte noch sagen, daß ich Stuart anrufen würde.«

Sam legte seine Hand auf ihre Schulter. »Ich wünschte, ich könnte dir sagen, daß diese Dinge irgendwann einmal vorüber sind, Sonora. Ich bin mir aber sicher, daß du lernen wirst, damit zu leben.«

Das tat sie. Lernte, damit zu leben. Ihr einziger Bruder, unter höllischen Qualen in einem Flammenmeer gestorben – ermordet von einer Serienmörderin, weil er mit einer Polizistin von der Mordkommission verwandt war.

Jemand hupte, und Sam sah über die Schulter nach hinten, winkte. Ein blauer Ford Taurus, der übliche neutrale Dienstwagen der Polizei, rollte neben den Chevy. Der Kies knirschte unter den abgebremsten Rädern.

Gruber und Sanders. Sonora warf Sam einen belustigten Blick zu. Konnte es Cop-Partner geben, die schlechter zusammenpaßten als die beiden?

Gruber war ein knallharter Typ aus New Jersey, dessen Verhalten von seinen Erfahrungen geprägt war. Sanders wirkte wie das kleine Mädchen von nebenan, das, wenn es erst einmal erwachsen war, Mommy und Grundschullehrerin werden wollte.

»Findet ihr zwei den Weg nach Hause nicht mehr?« fragte Sonora.

Gruber wischte sich mit der Hand über das Gesicht. »Zu Hause? Was und wo ist das?«

Sanders steckte den Kopf aus dem Fenster. Sie hatte glattes braunes Haar, das ihr bis zu den Schultern hing. »Es hat heute wieder einen Clown erwischt.«

Sam nickte. »Wir haben davon gehört. Auf dem Basar des Lions Club, oder? Die gleiche Geschichte wie bei den anderen?«

Gruber schaltete das Automatikgetriebe in die Parkstellung. »Ja. Bobo der Clown sitzt auf seinem Hochsitz in der Wurfbude, reizt das Publikum mit seinen Schmähsprüchen und wartet darauf, daß ihn jemand mit einem gezielten Wurf mit dem Gummiball auf die Zielscheibe unter seinem Sitz runter ins Wasserbecken befördert. Statt dessen wird er aber mit einer 7,8 mm-Schrotflinte ins Jenseits befördert.«

Sonora legte den Arm auf den unteren Fensterrahmen des Chevys. »Hat denn niemand diesen Kerl kommen sehen?« Gruber schnaubte. »Zum Teufel, natürlich, eine Menge Leute sogar. Aber würdest du dich mit einem Mann anlegen, der ein Jagdgewehr in der Hand hat und einen sehr entschlossenen Eindruck macht?«

Sanders schüttelte den Kopf. »Diese armen Clown-Darsteller, sitzen da auf dem Präsentierteller in der Bude. Können nicht abhauen, wenn der Kerl auf sie anlegt.«

»Höchstens nach unten ins Wasserbecken abtauchen«, sagte Gruber. »Klar, daß keiner mehr den Bobo-Clown machen will.« Er hielt eine Tüte mit Doughnuts hoch und streckte sie an Sanders’ Nase vorbei Sonora und Sam durch das offene Autofenster entgegen. »Bedient euch, Leute. Geht alles auf Kosten meines Partners hier.« Er machte vor Sanders, die einen angewiderten Blick auf die Doughnuts-Tüte warf, die Andeutung einer Verbeugung.

»Wir versuchen, dem Kerl eine Falle zu stellen«, sagte sie. »Wenn er’s noch mal versucht, werden wir ihn erwischen.« Sonora sah in die Tüte mit den Doughnuts und konnte sich nicht gleich zwischen Karamel- oder Schokoladenguß entscheiden. Sam nahm einen mit Zimt.

»Ich werde mir eines dieser Clown-Kostüme anziehen und mich in die Wurfbude setzen, und Gruber wird den Mistkerl festnageln, glaubt’s mir.«

Gruber sah Sanders empört an. In seinen Bartstoppeln hatte sich weißer Puderzucker angesammelt. »Wer sagt denn, daß du der Lockvogel bist? Du hast Grübchen. Cops mit Grübchen können nicht als Lockvogel dienen.«

»So was ist wohl doch eher eine Frage der Dienstvorschriften, denke ich.« Sam leckte sich den Zimt von den Fingern. Sanders verschränkte die Arme. »Ich habe schon mit Crick gesprochen. Er sagte, daß derjenige, der mit der schußsicheren Weste in das Clown-Kostüm paßt, den Clown-Lockvogel spielt.« Sie grinste Gruber an. »Wir haben das Kostüm bereits besorgt, ich habe es anprobiert, und dir paßt es nie im Leben.«

»Waaas … ? Ist das etwa der Grund für all die fetten Sandwiches, Pizzas und Schokoriegel, die du mir in letzter Zeit dauernd mitgebracht hast.«

Sanders lächelte sanft.

»Ich habe in den letzten drei Wochen mindestens sieben Kilo zugenommen …«