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Ellies großer Traum ist eine Bühnenkarriere. Doch stattdessen steht sie da: ohne einen Penny in der Tasche und nur mit einer Kiste Kostüme. Als sie hört, dass die Pinkerton-Agentur eine Detektivin sucht, ergreift sie die Chance. Verkleidet als ältere Witwe Lavinia reist sie nach Arizona, um einen Silberdiebstahl aufzuklären. Sie hat allerdings nicht einkalkuliert, dass sie noch eine Rolle spielen muss: die der umwerfenden Jessie. Minenbesitzer Steven hätte sich nie vorstellen können, einmal Hilfe von einer grauhaarigen Witwe zu brauchen - oder sich in ihre bildhübsche Nichte zu verlieben. Was wird er tun, wenn er Ellies wahre Identität erfährt?
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Seitenzahl: 490
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ISBN 978-3-7751-7146-5 (E-Book)ISBN 978-3-7751-5452-9 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book:Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg
© der deutschen Ausgabe 2013SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]
Originally published in English under the title: Love in DisguiseCopyright © 2012 by Carol CoxPublished by Bethany House, a division of Baker Publishing Group, Grand Rapids, Michigan, 49516, U.S.A.Cover art used by permission of Bethany House Publishers.All rights reserved.
Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.
Übersetzung: p.s. wordsUmschlaggestaltung: Kathrin Retter, Weil im SchönbuchSatz: Satz & Medien Wieser, Stolberg
Für Dave und Katie,die mich immer ermutigt haben –Eure Geduld und Unterstützung bedeuten mir alles.
Für Kevin, Samantha, Emmalee und Madilyn –Ihr bringt auf so vielfältige Weise Freude in mein Leben.
Und für Fayly Cothern –die in diesem Leben niemals wissen wird,wie sehr mich ihr Weg mit Jesus beeinflusst hat …genau wie zahllose andere.Ihr Leben ist ein Leitbild, das mehr sagt als Worte.
Herr, zeige mir den richtigen Weg,damit ich nach deiner Wahrheit lebe!Gib mir das Verlangen ins Herz,dich zu ehren.
Psalm 86,11
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Nachwort
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
CHICAGO, ILLINOISDEZEMBER 1881
»O willkommener Dolch! Dies werde deine Scheide.«
Ellie Moore schlug die Hände vor der Brust zusammen, während sie stumm die bekannten Zeilen aus dem letzten Akt von Shakespeares Romeo und Julia mitsprach. Die Worte schwebten hinaus in die dunklen Tiefen hinter dem Rampenlicht. Eine erwartungsvolle Stille legte sich über den Zuschauerraum und wurde unmittelbar darauf von einem kollektiven Aufstöhnen durchbrochen, als Ellie sich die Fäuste in den Bauch stieß und den Kopf mit einem gequälten Gesichtsausdruck in den Nacken warf.
»Roste da und lass mich sterben.« Sie ließ den Kopf zur Seite fallen und verharrte in dieser Pose, stumm wie ein Grab, während sich die Capulets und Montagues miteinander aussöhnten und der Prinz die letzte Zeile sprach.
Erst als tosender Applaus durch den Saal des Orpheum-Theaters in Chicago brauste, regte sie sich wieder, bereit für die Verbeugung. Ellie wartete den richtigen Moment ab, schwang dann einen Fuß hinter sich und sank mit weit ausgestreckten Armen in einen tiefen Knicks. Ihre rechte Hand streifte die Hinterseite des roten Samtvorhangs, der sie von der Bühne abschirmte.
»Hey du, wag es ja nicht, den Vorhang zu bewegen.«
Das unvermittelte Zischen hinter ihr ließ Ellie erschrocken herumfahren und sie begegnete dem grimmigen Blick des Theaterdirektors Harold Stiller.
Im gleichen Moment verließen die Schauspieler die Bühne. Roland Lockwood, der einen Montague spielte, stieß gegen Ellies ausgestreckte Hand. Mit wild fuchtelnden Armen versuchte sie, die Balance zu halten, aber ohne Erfolg. Es gab einen dumpfen Schlag und sie landete unbeholfen auf dem Holzfußboden.
Burt Ragland, einer der Bühnenarbeiter, drängte sich an ihr vorbei, mit unverhohlener Verachtung im Gesicht. »Das wäre nicht passiert, wenn du dich um deine Arbeit gekümmert hättest, anstatt den großen Star zu spielen.«
Ellie rappelte sich hoch, klopfte den Staub von ihrem Rocksaum und versuchte, das Gekicher der anderen Bühnenarbeiter, die sich neben ihr versammelt hatten, zu ignorieren.
»Wenigstens versuche ich, etwas aus mir zu machen«, schnappte sie zurück. »Ihr werdet hier noch versauern, wenn ich schon lange weg bin.« Sie reckte das Kinn, als sie das empörte Gemurmel der Gruppe hörte. Ha! Denen hatte sie es ordentlich gegeben. Die war sie erst einmal los.
Mit Blick auf den etwas weniger staubigen Fleck am Boden, der die Stelle markierte, auf der sie so unelegant gelandet war, wischte Ellie über den hinteren Teil ihres Rockes. »Ich werde an euch denken, wie ihr hier in diesem staubigen Loch verrottet, während ich in London an meinem Tee nippe.«
Diese Ankündigung löste schallendes Gelächter aus. Ellie gab es auf, den Staub von ihrem Hinterteil zu wischen, da es ihr nicht gelingen wollte, sich wie eine Brezel zu verbiegen und gleichzeitig ihre Würde zu wahren.
Sollten sie doch sagen, was sie wollten. Das spielte keine Rolle mehr. Vor dem Morgengrauen würde sie auf ihrem Weg nach England sein und nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Im Heimatland des Dichters höchstpersönlich würde es genügend Bewunderer ihrer schauspielerischen Fähigkeiten geben, welche sie aus jahrelanger Beobachtung im Theater gewonnen hatte. Endlich würden die Leute über ihr unscheinbares Äußeres hinwegsehen und das in ihr schlummernde Talent entdecken. Alles, was sie brauchte, war eine Chance – nur eine! Dann würde sie es allen zeigen.
Während sich die anderen Schauspieler in ihre Garderoben zurückzogen, öffnete einer der Bühnentechniker ein letztes Mal den Vorhang, damit sich Magdalena Cole, die Königin des amerikanischen Theaters, an ihr Publikum wenden konnte.
Ihre Stimme drang bis hinter die Kulissen. »Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hier waren. Jeder Auftritt ist unvergesslich für mich, aber die Vorstellung heute Abend ist etwas ganz Besonderes.«
Ellie starrte Burt und die anderen böse an, während Magdalena mit der gelungenen Ansprache fortfuhr, die sie am Abend zuvor gemeinsam mit Ellie ausgearbeitet hatte.
»Dies ist meine letzte Aufführung in Ihrer schönen Stadt, nicht nur die letzte in Chicago, sondern auch die letzte in diesem, unserem wundervollen Land.« Magdalena hielt kurz inne, um das erstaunte Gemurmel abklingen zu lassen, bevor sie fortfuhr. »Heute Nacht werde ich nach New York aufbrechen und ein Schiff besteigen, das mich forttragen wird, damit ich meine Kunst mit dem Publikum in Europa teilen kann.«
»Glaub ja nicht, dass du etwas Besseres bist«, knurrte Burt. »Du darfst doch nur mit, weil du ihre Kriecherin bist.«
Ellie schnappte nach Luft. »Ich bin ihre persönliche Garderobiere – vielen Dank auch!«
»Gute Nacht, liebe Freunde, Gott segne euch alle.« Magdalena schwebte mit einem Strauß roter Rosen im Arm von der Bühne, begleitet von tosendem Applaus. Im Vorbeigehen reichte sie die Blumen an Ellie weiter. »Stell sie ins Wasser«, sagte sie und lachte dann kurz auf.
»Ach, was rede ich denn da? Morgen bin ich ja schon weg, also ist es egal, was du mit ihnen anstellst. Wenn du willst, kannst du sie auch wegwerfen.« Ohne sich länger aufzuhalten, marschierte sie den Flur hinunter.
Burt schnaubte verächtlich. »Klingt für mich eher nach persönlichem Handlanger.«
Ellie schleuderte die Blumen in den nächstbesten Mülleimer und folgte Magdalena, ohne Burt einer Antwort zu würdigen. Sie zog die Garderobentür hinter sich zu und schloss damit das hektische Treiben aus, das nach jeder Vorstellung hinter den Kulissen herrschte.
»Beeil dich.« Magdalenas Augen funkelten wie die eines Kindes an Weihnachten. »Wir dürfen keine Zeit vergeuden.« Sie wirbelte herum, damit Ellie die Verschlusshaken ihres Kostüms öffnen konnte.
»Arturo wird jeden Moment hier sein. Sind die Koffer gepackt?« Routiniert schlüpfte sie aus ihrem Julia-Kostüm.
»Alles steht bereit.« Ellie legte das Gewand über die Lehne eines Stuhls und griff nach Magdalenas neuem Reisekleid, zog es ihr über den Kopf und die hochgestreckten Arme und knöpfte eine Reihe tiefschwarzer Knöpfe zu, die sich vom Hals bis zum Saum zogen. Dann trat sie einen Schritt zurück, um das Ergebnis zu begutachten.
»Was sagst du?« Magdalena drehte sich langsam um die eigene Achse. Selbst wenn sie sich sehr beeilen mussten, für Komplimente hatte sie immer Zeit.
Ellie streckte die Hand aus, um den runden Kragen zu richten, und nickte. »Es ist perfekt. Das Kobaltblau passt genau zu deinen Augen. Dein Schneider hat sich diesmal selbst übertroffen.«
»Das will ich hoffen. Diese neuen Kleider waren unverschämt teuer. Auch wenn ich vorhabe, mir in London eine komplett neue Garderobe zuzulegen, kann ich meine Europatournee wohl kaum im Aufzug irgendeiner Nebendarstellerin antreten. Der erste Eindruck zählt.«
Ellie faltete das Julia-Gewand sorgsam zusammen und legte es auf die anderen Kleider im Kostümwäschekorb. Sie klappte den Deckel zu, drückte ihn mit beiden Händen herunter und setzte sich schließlich obenauf, um die Riegel verschließen zu können.
»Gut, wir wären dann so weit. Deine neuen Kleider und persönlichen Sachen sind in den beiden großen Koffern. Die Kostüme, Perücken und die Schminke habe ich in den Korb gelegt. Sobald Herr Benelli auftaucht, können wir fahren.«
Magdalena räusperte sich. »Ellie, ich muss dir etwas …« Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. Sie lehnte sich gegen den Schminktisch, warf sich in Pose und nickte Ellie zu. »Das muss Arturo sein. Lass ihn rein.«
Ellie öffnete die Tür, vor der eine kleine Gesandtschaft von drei Bühnenarbeitern stand, mit Harold Stiller als ihrem Anführer.
»Wir wollten uns verabschieden.« Er drängte sich an Ellie vorbei und ging auf Magdalena zu, die ihre dramatische Pose aufgab, als sie die Besucher erkannte. »Im Namen der gesamten Belegschaft des Orpheum möchte ich Ihnen eine sichere Reise nach England und eine glanzvolle Karriere an den europäischen Theatern wünschen. Wir werden immer stolz darauf sein, dass wir einen kleinen Teil zu Ihrem Erfolg beitragen konnten.«
Magdalenas Lippen wurden schmal und nahmen einen Ausdruck an, den wohl jeder als huldvolle Anerkennung gedeutet hätte – jeder, der Magdalena nicht so gut kannte wie Ellie. Nur ihr war klar, dass die Schauspielerin ihren größten Triumph, an dessen Schwelle sie nun stand, allein sich selbst zuschreiben wollte.
UnserenTriumph, dachte Ellie bei sich. »Was täte ich nur ohne dich« – wie oft hatte sie Magdalena das sagen hören!
»Vielen Dank, dass ihr gekommen seid, um mir Lebewohl zu wünschen.« Magdalenas Stimme klang abweisend, aber Stiller schien das nicht zu bemerken. Er lehnte sich gegen den Stuhl, als würde er sich auf eine längere Unterhaltung einrichten, und übersah das Funkeln in den Augen der Schauspielerin. Eine aufmerksamere Person hätte erkannt, dass sie innerlich kochte und ein vulkanartiger Ausbruch bevorstand.
Ellie stellte sich zwischen die beiden, bereit einzuschreiten, wurde aber von einem Tumult an der Tür abgelenkt.
»Magdalena, mein Liebling.« Ein untersetzter Mann im Kaschmirmantel brauste ins Zimmer, gefolgt von drei Gehilfen. »Vergib mir, dass ich dich habe warten lassen, cara mia. Ich musste mich durch Schnee und Eis kämpfen, um die Kutscher aufzutreiben und nach drinnen zu bringen.« Arturo Benelli, der berühmte Impresario, unter dessen Fittichen Magdalena die nächste Sprosse der Karriereleiter erklimmen würde, ergriff ihre Hand und küsste sie ehrerbietig. Dann richtete er sich auf und umschlang ihre Finger mit seinen. »Deine Vorstellung heute Abend war atemberaubend, magnifico! Bist du bereit, England im Sturm zu erobern?«
Ein mädchenhaftes Kichern – welches sie immer einsetzte, wenn sie die Hero in Viel Lärm um nichts spielte – plätscherte von Magdalenas Lippen. »So bereit wie heute war ich noch nie in meinem Leben, Arturo.«
»Ach, perfetto. Unser Zug wartet bereits.« Benelli nahm Magdalenas Umhang vom Haken und legte ihn um ihre Schulter, dann fuhr er herum und schnippte mit den Fingern.
Die Gehilfen traten vor und ihr Anführer fragte: »Was soll alles mit?«
Ellie räusperte sich. »Diese beiden großen Koffer und der Korb gehören Miss Cole.« Sie zeigte der Reihe nach auf die Gegenstände. »Der kleine Koffer ist meiner.« Sie wies auf ein abgewetztes Gepäckstück, das ihre eigenen Habseligkeiten enthielt.
Benelli zog eine Augenbraue hoch und wandte sich an Magdalena.
»Hast du es ihr noch nicht gesagt?«
Magdalena drehte sich herum und schaute Ellie ins Gesicht, die Rolle der Hero war vergessen. Sie räusperte sich und Ellie spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog.
»Wir haben gemeinsam ein paar wundervolle Jahre erlebt, nicht wahr?«, murmelte Magdalena mit einem süßlichen Lächeln im Gesicht.
Ellie nickte steif. Tief in ihrem Herzen wusste sie, dass gleich etwas Schreckliches passieren würde, doch sie konnte nicht ergründen, was genau das sein würde.
»Während meines langen Aufstiegs hast du mir treu gedient, aber jetzt nimmt meine Karriere eine neue Wendung. Arturo ist in mein Leben getreten und bereit, mich ganz nach oben zu bringen. Solche Chancen verlangen oft nach Veränderungen.« Die Augen der Schauspielerin füllten sich mit Tränen, wie immer, wenn sie starke Gefühle vortäuschte.
»Genug.« Benellis Augen, für Magdalena stets voller Bewunderung, waren kalt, als er sich nun an Ellie wandte. »Magdalena will sagen, dass ich ihr für ihre Tournee durch die großen Theater nur das Beste versprochen habe – darunter die talentiertesten Garderobieren und Maskenbildner, die Europa zu bieten hat. Kurz gesagt, alle Dienstleistungen, die sie in Anspruch nimmt, werden von höchster Qualität sein, par excellence – was bedeutet, dass sie dich nicht mehr braucht.«
Ellie fiel die Kinnlade herunter.
Benelli schnippte erneut mit den Fingern, diesmal war die Geste an den Mann adressiert, der gerade dabei war, Ellies kleinen Koffer hochzuheben. »Stell den wieder hin. Der bleibt hier.«
»Aber …« Ellies Blick schoss zurück zu Magdalena, auf der Suche nach einem Anzeichen, dass es sich nur um einen bösen Scherz handelte. Doch im Gesicht der Schauspielerin lag keine Belustigung, nur Ungeduld und vielleicht eine Spur schlechten Gewissens.
»Aber ich bin doch diejenige, die sich um dich kümmert. Wer sonst weiß, wie du alles haben willst? Deine Lieblingsfrisuren und wie man dein Kissen richtig aufschüttelt. Und was ist mit …« Ellies Stimme bebte und sie unterdrückte einen Schluchzer. Sie wollte nicht zusammenbrechen und das Gesicht verlieren – nicht hier, vor den hämischen Augen ihrer Kollegen.
Sie atmete tief ein, schluckte und setzte erneut an. »Das kann nicht dein Ernst sein. Du brauchst mich.« Dieses Mal waren die Worte selbstsicherer. Ellie hob das Kinn und starrte Magdalena an, eine stumme Aufforderung, Benellis empörende Worte Lügen zu strafen und für Ellie einzustehen.
Stattdessen wandte sich die Schauspielerin ab und hakte sich bei Benelli ein. »Lass uns gehen.« Sie lächelte zu ihm auf, ihre Augen glänzten vor Aufregung. »Europa erwartet uns!«
Gemeinsam verließen sie die Garderobe und gingen nach links in Richtung Bühnenausgang. Die Gehilfen folgten mit Magdalenas schweren Koffern und dem Korb mit den Kostümen.
Ellie kämpfte sich durch den Pulk von Menschen, die sich vor der Tür versammelt hatten, gelangte in den Flur und sah Magdalena gehen. Das muss ein Albtraum sein. Es konnte nur einer sein.
»Wartet. Ich habe es mir anders überlegt.« Mitten im Flur blieb Magdalena stehen und drehte sich um.
Ellies Herz machte einen Sprung und Freudentränen schossen ihr in die Augen. Sie hätte wissen müssen, dass Magdalena nie so weit gehen würde. Bereit, ihr zu vergeben, trat sie einen Schritt nach vorne.
Magdalena zeigte auf den Mann, der den riesigen Kostümkorb trug. »Bring den zurück. Ich habe für diese Sachen keine Verwendung mehr.« Sie hob die Stimme und rief Ellie zu. »Warum behältst du sie nicht? Das wäre doch ein schönes Andenken an unsere gemeinsame Zeit.«
Der Mann ging zurück, stellte den Korb vor Ellie ab, machte kehrt und folgte den anderen hinaus.
Von Weitem hörte Ellie die Tür ins Schloss fallen, gleich einem Paukenschlag, der Magdalenas endgültigen Abgang verkündete – aus dem Orpheum und aus Ellies Leben.
Ein halb unterdrücktes Lachen lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die grinsenden Bühnenarbeiter. Selbst Stiller hatte ein schiefes Lächeln im Gesicht.
Ellie straffte die Schultern und starrte sie wütend an. »Habt ihr nichts zu tun?«
Burt Ragland lehnte sich gegen den Türpfosten. »Haben wir, aber du nicht.« Sein selbstzufriedener Gesichtsausdruck machte Ellie so wütend, dass sie ihm am liebsten die Haare ausgerissen hätte.
»Natürlich habe ich Arbeit.«
»Ach ja, und worin besteht die?«, fragte Burt. »Dir eine Tasse Tee einzuschenken, damit du so tun kannst, als wärst du in London? Sieht so aus, als wäre die Grundlage deiner Hochnäsigkeit gerade zur Tür hinausmarschiert.«
Ellie bückte sich, packte einen Griff des Korbs und zog ihn zurück in die Garderobe, dabei stieß sie Burt aus dem Weg. »Unsinn. Ich kann jahrelange Erfahrung als persönliche Assistentin einer der größten Schauspielerinnen unserer Zeit vorweisen. Ich werde keinerlei Schwierigkeiten haben, eine neue Anstellung zu finden. Und jetzt wäre ich euch allen dankbar, wenn ihr mich in Ruhe lasst und euch um eure eigenen Angelegenheiten kümmert.« Sie wollte gerade die Tür schließen, als Stiller ihr den Weg versperrte.
»Nicht so hastig. Diese Garderobe ist nicht länger dein Revier, was nicht heißen soll, dass sie überhaupt jemals dir gehört hat. Jetzt, da Miss Cole fort ist …« Auch wenn er den Satz nicht zu Ende sprach, ließ sein grimmiges Auftreten keinen Zweifel darüber aufkommen, was er damit sagen wollte.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
PICKFORD, ARIZONA-TERRITORIUMDEZEMBER 1881
Das Mondlicht warf verzerrte Schatten über die stille Landschaft, welche die Constitution-Mine umgab. Steven Pierce drückte sich auf leisen Sohlen an der Südwand des bretterverkleideten Bürogebäudes entlang, um nicht entdeckt zu werden.
Er tauchte in einen tiefdunklen Schatten und hielt inne, um herauszufinden, ob er beobachtet wurde. Als er sich vergewissert hatte, dass niemand ihn auf dem Weg von seiner Hütte bis hierher gesehen hatte, schlich er zur Tür und schlüpfte hinein.
Die vier anderen Minenbesitzer schauten auf, als er ins Zimmer trat. Ihre finsteren Gesichter waren im schwachen Licht der Laterne kaum zu erkennen. Das Fenster war mit einer Decke verhängt, die dem Mondlicht kein Eindringen gewährte.
Steven tastete sich zu einem der Holzstühle vor, die kreisförmig in der Mitte der unebenen Bodendielen aufgestellt waren. »Habt ihr schon was gehört?«, fragte er die anderen.
Tom Sullivan, dem die Constitution-Mine gehörte, schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Wir warten immer noch auf Ezra.«
Steven schloss für einen Moment die Augen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ein schneller Blick in die Runde verriet ihm, dass die anderen nicht in der Stimmung waren, sich zu unterhalten. Also verschränkte er die Arme, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und wartete ab.
Die Stille zog sich endlos hin und spannte seine Nerven zum Zerreißen. Er versuchte, sich die Zeit zu vertreiben, indem er seine Kameraden genauer betrachtete. Tom Sullivan, Brady Andrews, Alfred Clay und Gilbert Owens, sie alle waren mindestens zehn Jahre älter als Steven. Waren die vielen Jahre Erfahrung der Grund dafür, dass sie so weitsichtig und infolgedessen geduldiger waren?
Ein plötzliches Kratzgeräusch von draußen ließ alle aufschrecken. Steven unterdrückte ein Grinsen: Offenbar waren die anderen genauso schreckhaft wie er selbst. Die Tür schwang auf und die Männer im Raum atmeten erleichtert auf, als sie Ezra Winslow erkannten, den Besitzer der Jubilee-Mine. Mit ihm fegte ein nächtlicher Windstoß ins Zimmer und ließ die Flamme der Laterne aufflackern.
»Verriegle die Tür«, befahl Tom.
Ezra folgte der Aufforderung und rieb sich die Hände. »Da draußen ist es so kalt wie am Nordpol.«
Wieder verkniff sich Steven ein Lächeln, als er hörte, wie die anderen ihm murmelnd zustimmten. Für Männer, die jahrelang im wüstenhaften Südwesten von Amerika gelebt hatten, mochte sich die Nachtluft kalt anfühlen, aber für Steven, der die arktischen Temperaturen an der Princeton University gewohnt war, fühlte sich der Winter in Arizona eher mild als frostig an.
Ezra nahm neben Steven Platz und schwieg.
Brady Andrews und Alfred Clay tauschten Blicke aus, dann lehnte Alfred sich vor. »Und? Mach es doch nicht so spannend. Haben sie es diesmal geschafft?«
Ezra schüttelte den Kopf. »Nein.« Das einzelne Wort fiel aus seinem Mund wie ein Klumpen Erz in einen Förderwagen.
»Was?« Gilbert Owens von der Blue-Jacket-Mine sprang auf und trat dicht an Ezra heran. »Sitz nicht verschlossen wie eine Muschel da, Mann. Mach den Mund auf und erzähl uns, was passiert ist.«
Ezra wischte sich mit der Hand über den Mund und winkte Gilbert zurück in seinen Stuhl. »Ich habe nicht vor, euch auf die Folter zu spannen. Ich bin nur so durcheinander, ich kann mir ja selbst keinen Reim darauf machen.«
Brady zog einen silbernen Flachmann aus der Tasche und reichte ihn Ezra, der ihn mit einem dankbaren Nicken entgegennahm, einen Schluck trank und ihn dann zurückreichte.
»Nun gut, Folgendes ist passiert. Wie wir es besprochen hatten, ritt ich eine halbe Meile hinter Huddleston neben der Straße entlang, um nicht entdeckt zu werden. Als Huddleston mit dem Planwagen aufgebrochen ist, dachten alle, dass er seinen üblichen Abstecher nach Tucson machen würde, um Vorräte zu besorgen. Nichts deutete darauf hin, dass wir das Silber auf den Wagen geladen und unter den Futtertaschen versteckt hatten.«
Er warf dem Flachmann einen sehnsüchtigen Blick zu, aber Brady schüttelte den Kopf. »Du hattest genug, um deine Geschichte zu erzählen. Erzähl weiter.«
»Wir durchquerten gerade dieses hügelige Gebiet ein paar Meilen vor Benson, da verlor ich Huddleston und seine Mannschaft hinter einem der Hügel aus den Augen. Dann hörte ich auf einmal Schüsse. Mein erster Gedanke war, dass sie von Apachen überfallen worden waren, also trieb ich mein Pferd an und ritt in Richtung Getümmel. Vom Bergrücken aus sah ich dann Huddleston am Boden liegen und einige Reiter, die sich gerade in die andere Richtung davonmachten.«
Toms Gesicht wurde ernst. »Haben sie ihn getötet?«
»Nein, aber sie haben es versucht. Er hatte viel Blut verloren, also packte ich ihn auf den Wagen und brachte ihn nach Benson. Der Arzt dort sagt, dass er es schaffen wird, wenn sich die Wunde nicht infiziert. Ich blieb lange genug, um die Diagnose abzuwarten, dann bin ich so schnell wie möglich hierhergeritten.«
»Und das Silber?«, fragte Gilbert.
»Alles weg. So schnell, wie die abgehauen sind, müssen sie es unter sich aufgeteilt haben, um schneller reiten zu können.«
Alfred schlug mit der Faust auf die Lehne seines Stuhls.
Gilbert stöhnte und vergrub das Gesicht in den Händen.
Brady schraubte den Flachmann auf.
Steven kam es vor, als hätte er gerade einen Schritt von einer hohen Klippe ins Leere getan. Er ballte die Fäuste und bemühte sich, ein gelassenes Gesicht zu machen. Er hatte sein gesamtes Geld in das Minenunternehmen gesteckt, gegen den strengen Rat seines Vaters. Und nun schienen sich dessen düstere Prophezeiungen des Versagens zu bewahrheiten. Nach einer Reihe von Überfällen war ihnen kein anderer Ausweg geblieben, als das Silber versteckt im Wagen eines Farmers zu transportieren. Wenn sie den Raubzügen nicht bald Einhalt geboten – und zwar schnell –, waren sie alle erledigt.
»Was jetzt?« Gilberts Frage riss Steven aus seinen Gedanken.
Alfred sprang so schnell auf, dass sein Stuhl umfiel. Unruhig wanderte er in dem kleinen Raum auf und ab und schlug bei jedem Schritt die Fäuste zusammen. »Was können wir noch tun? Als wir das Silber offen auf die Strecke geschickt haben, haben sie es aufgehalten. Als wir zusätzliche Männer angeheuert und es in unseren eigenen Wagen transportiert haben, wurde unsere Garde abgeknallt. Und jetzt das.«
»Es ist einfach furchtbar.« Tom sah nach Ezras Geschichte zehn Jahre älter aus. »Wie schaffen sie das nur? Wie konnte irgendjemand ahnen, dass das Geld in Huddlestons Wagen versteckt war?«
»Sie haben es nicht geahnt. Sie haben es gewusst!«, brüllte Alfred. »Wie haben sie davon erfahren? Das will ich wissen. Wer verrät uns?«
»Ich weiß es nicht, Freunde, aber ich glaube, wir stecken in einer Sackgasse.« Ezra war auf seinem Stuhl zusammengesunken, ein Abbild der Niederlage. »Wenn wir das Gesetz einschalten wollen, wäre dies der richtige Zeitpunkt dafür.«
Brady nahm noch einen Schluck aus der Flasche. »Wir wissen doch alle, dass das keine gute Idee ist. Ich traue Marshal Bascomb nicht weiter, als ich ihn werfen könnte. Vielleicht sollten wir Sheriff Behan drüben in Tombstone kontaktieren oder die Earps.«
Alfred schnaubte verächtlich. »Das wäre ja so, als würde man einen Fuchs bitten, den Hühnerstall zu bewachen.«
»Keiner konnte beweisen, dass sie an irgendwelchen Raubüberfällen beteiligt waren«, gab Gilbert zu bedenken. »Bis jetzt ist das alles nur Gerede.«
»Aber eine Menge an Rauch, dafür, dass es kein Feuer geben soll«, grummelte Ezra. »Ich traue diesen Typen nicht über den Weg.«
»Was bleibt uns denn dann noch übrig?« Toms Augen wanderten von einem Minenbesitzer zum anderen. »Wollt ihr damit sagen, dass wir erledigt sind?«
»Ich nicht«, antwortete Steven mit plötzlicher Überzeugung. »Ich bin nicht bereit, mich schon geschlagen zu geben.« Mit herausforderndem Blick sah er sich nach Unterstützung um. Niemand erhob sich, ihm zur Seite zu stehen. Angetrieben von ihren hoffnungslosen Gesichtern sprach Steven ein stilles Stoßgebet, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Lasst uns die Sache doch einmal logisch betrachten. Tom und Alfred sind auf der richtigen Fährte. Woher wissen diese Diebe, was wir vorhaben? Woher bekommen sie ihre Informationen? Das sind die Fragen, auf die wir Antworten finden müssen.«
Alfred schlug mit dem Hut gegen seinen Schenkel und wirbelte Staubpartikel im Lampenlicht auf. »Das frage ich mich schon seit Wochen. Wir haben einen Verräter unter uns. Und wenn ich den erwische, weiß ich genau, was ich tun werde. Für so einen Mistkerl gibt es nur eine Lösung.«
Brady lehnte sich zurück, bis sein Stuhl nur noch auf den Hinterbeinen stand, und schürzte die Lippen. »Ich bin auch dafür, dass wir den Verräter entlarven und das Leck stopfen. Ich will die Lucky Lucy in Betrieb halten, genauso wie ihr wollt, dass eure Minen weiter Profit abwerfen. Aber wie verhindern wir, dass diese Kojoten uns das letzte Hemd stehlen?«
»Ich gebe dir recht.« Tom stand auf und fuhr sich mit den Fingern durch sein silberweißes Haar. »Wir können nicht weiter Lieferungen fertig machen, nur um sie uns direkt vor der Nase wegschnappen zu lassen. Lasst uns das Silber doch in einem der ungenutzten Stollen in meiner Mine lagern, bis wir rausgefunden haben, wer dahintersteckt, und es wieder sicher ist, die Ware zu transportieren.«
»Das hört sich nach einem vernünftigen Plan an«, sagte Brady.
Nach kurzem Zögern nickte auch Steven zustimmend, dann Ezra. Alfred und Gilbert jedoch nickten nicht.
»Ich finde, dass jeder sich um seine eigenen Bestände kümmern sollte. Aber ich muss bald eine Lieferung machen«, sagte Gilbert. »Es geht dabei ja nicht nur um mich. Ich habe ein Dutzend Männer, davon einige mit Familien, die darauf angewiesen sind, dass ich sie bezahle. Also müssen wir das Problem so schnell wie möglich lösen. Ich stehe kurz vor dem Bankrott.«
»Da bist du nicht der Einzige«, erinnerte Steven ihn. »Wir sitzen alle im selben Boot.«
»Aber was können wir tun?« Brady lehnte sich nach vorne und stieß die Vorderbeine seines Stuhls gegen den Holzboden. »Das ist doch verrückt. Wir schaffen es nicht, unser Silber selbst zu beschützen, und dem Gesetz können wir diese Aufgabe auch nicht anvertrauen. Was bleibt uns noch?«
Stille senkte sich über die Gruppe, als die Männer sich im schwachen Licht der Laterne gegenseitig beäugten.
Alfred zog mit einem Schulterzucken die Jacke hoch und stapfte zur Tür. »Wir verschwenden hier unsere Zeit. Wenn ich wüsste, wen ich zu erschießen habe, würde ich es tun, noch bevor die Nacht zu Ende ist. Aber das genau ist das Problem – wir wissen es nicht. Ich weiß nur, dass ich das nicht mehr lange durchhalten kann. Ein Kerl aus dem Osten hat mir ein Angebot gemacht.« Er schob die Hände in die Taschen und blickte zu Boden. »Bisher habe ich ihn hingehalten, weil die Busted-Shovel-Mine zehnmal so viel wert ist, wie er mir bietet. Aber wenn Durchhalten bedeutet, mein letztes Hemd zu verlieren, werde ich die Mine aufgeben. Wenigstens werde ich dann genug Mittel haben, um woanders neu anzufangen.«
»Warte!« Gilberts Ausruf ließ Alfred, der schon die Hand an der Klinke hatte, innehalten. »Was ist mit den Pinkertons?«
Der Name der bekannten Detektei ließ einen Funken Hoffnung in Steven aufflammen. Die plötzliche Unruhe im Raum verriet ihm, dass dieser Name bei den anderen eine ähnliche Reaktion hervorrief.
Ezra starrte Gilbert an, als hätte dieser vorgeschlagen, den Präsidenten der Vereinigten Staaten um Hilfe zu bitten. »Und du meinst, die würden jemanden so weit raus schicken?«
»Warum denn nicht?«, erwiderte Brady. »Sie sind doch bekannt dafür, dass sie Zugräuber und solches Gesindel dingfest machen.«
Diese Worte verwandelten Stevens Funken Hoffnung in eine lodernde Flamme. »Das stimmt. Sie haben einen Ruf zu wahren. Wenn sie den Fall annehmen, werden sie nicht lockerlassen, wie ein Terrier, der ein Rattennest aushebt. Wenn irgendjemand in der Lage ist, diese Überfälle zu stoppen, dann sind sie es.«
Alfred trat von der Tür zurück, sein Blick war noch immer skeptisch. »Umsonst werden die sich auch nicht hergeben. Habt ihr euch schon überlegt, was uns ihre Hilfe kosten wird?«
Gilbert schnaubte. »Bestimmt auch nicht mehr als das, was wir an diese Banditen verloren haben.«
»Was meint ihr?«, fragte Steven. »Wir teilen uns die Kosten, einverstanden?«
Als Erstes nickte Gilbert, dann Brady. Nach kurzem Zögern murmelten auch Tom und Ezra ihre Zustimmung.
Stevens Blick schnellte zur Tür. »Was ist mit dir, Alfred?«
Der mürrische Mann kniff die Augen zusammen und zuckte mit den Schultern. »Ich glaube zwar, dass wir nur noch mehr Geld verschwenden, aber ich bin bereit, es zu versuchen – eine Zeit lang zumindest.«
Tom rieb sich die Hände. »Also, wie treten wir mit ihnen in Kontakt? Sollen wir ihnen ein Telegramm schicken?«
»Nein«, lehnte Brady ab. »Da hören zu viele Ohren mit. Wir können es uns nicht erlauben, mit offenen Karten zu spielen – nicht, wenn dies unsere letzte Chance sein soll. Das muss unter uns bleiben.«
»Dann schicken wie ihnen eben einen Brief«, schlug Gilbert vor. »Wer von uns soll ihn schreiben? Er muss absolut überzeugend sein.«
Ezra grinste und schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht gut darin, Worte zu Papier zu bringen. Ich passe.«
Brady deutete auf die andere Seite des Stuhlkreises. »Steven, du bist der Mann mit dem Universitätsabschluss, mach du es.«
Steven sah sich um und stellte fest, dass alle mit dem Vorschlag einverstanden waren. »Na gut. Ich mache es gerne, wenn Tom mir einen Stift und etwas Papier borgt. Was soll drinstehen?«
Eine halbe Stunde später reichte er einen Entwurf herum, den die Minenbesitzer lasen.
»Klingt gut.« Gilbert nahm den Stift und unterschrieb mit einer schwungvollen Bewegung. »Wer will als Nächster?«
Der Reihe nach unterschrieben die anderen. Ezra trat einen Schritt zurück und bewunderte seine Unterschrift auf dem Briefbogen. »Das ist ein bedeutender Moment, Freunde. Erinnert mich an die Jungs, die Schlange standen, um die Unabhängigkeitserklärung zu unterschreiben.«
»Nur gut, dass es kein Abstinenzgelübde ist«, kicherte Brady, als er unter Ezras Namen unterschrieb.
Tom legte seine Hand auf Stevens Schulter. »Pass auf, dass niemand diesen Brief zu Gesicht bekommt. Wir müssen verhindern, dass sich unsere Pläne in der Stadt herumsprechen.«
Steven faltete den Brief sorgsam zusammen und schob ihn in seine Jackentasche. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin vorsichtig.«
Er klopfte auf seine Jacke, um zu demonstrieren, dass der Brief in Sicherheit war, und ging zurück zu seinem Pferd. Zum ersten Mal, seit die Überfälle begonnen hatten, spürte er wieder ein wenig Optimismus in sich aufkeimen. Wenn ihr Plan doch nur aufgehen würde. Er konnte es sich bildhaft vorstellen – wie die Pinkertons in die Stadt geprescht kamen, das Diebesgesindel aufspürten und ihnen den Weg zum Wohlstand wieder freiräumten.
Es kostete ihn viel Mühe, seine Aufregung zu mäßigen. Mit der Kontaktaufnahme zu den Pinkertons war gerade einmal der erste Schritt getan. Vor ihnen mochte noch ein weiter Weg liegen, bis das Problem gelöst sein würde … vorausgesetzt, ihr Plan funktionierte. Doch Steven ging nicht davon aus, dass alles glattgehen würde. Schon vor langer Zeit hatte er lernen müssen, dass selbst im besten Augenblick Dinge schiefgehen konnten.
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CHICAGO, ILLINOISJANUAR 1882
Es waren schlimme Zeiten.
Ellie zog den Kopf ein und trat dem eiskalten Wind entgegen, der durch die Straßen von Chicago brauste wie ein Zug durch einen Tunnel. Sie kämpfte sich vorwärts und versuchte, die Enttäuschung über ein weiteres erfolgloses Vorstellungsgespräch abzuschütteln.
Niemand schien gewillt, eine ehemalige Garderobiere als Sekretärin oder Bürokraft einzustellen. Ihre Probezeit als Mitarbeiterin bei Marshall Field & Company hatte gerade einmal einen Tag betragen – weniger sogar. Irgendwie hatte sie es fertiggebracht, vier Stammkunden zu vergraulen, bevor ihre Schicht vorüber war. Gemessen daran, wie der Abteilungsleiter über sie geschimpft hatte, schien sie einen neuen Rekord aufgestellt zu haben.
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