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Die zweite Chance ist immer die beste!
Nichts ist sicher im Leben – das muss die 35-jährige Tilda erfahren, als sie ihren Mann mit einer anderen erwischt. Nun heißt es nochmal ganz von vorn anfangen, was alles andere als leicht ist. Um ihren Wunschjob zu bekommen, lässt sie sich auf einen Deal ein: Drei Wochen lang soll sie Betty, die Schwiegermutter ihres künftigen Chefs und zwei Katzen betreuen, damit der Chefarzt mit seiner Frau auf eine längst geplante Reise gehen kann. Hört sich nach einer einfachen Aufgabe an, doch die übellaunige Seniorin bringt Tilda schon bald an ihre Grenzen. Als auch noch Bettys Sohn Phil ganz unerwartet in Passau auftaucht, scheint das Chaos perfekt …
Ob Sommerfest oder Weihnachten, ob Freundschaften oder Liebe – Angelika Schwarzhuber überzeugt auf der ganzen Linie!
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Nichts ist sicher im Leben – das muss die 35-jährige Tilda erfahren, als sie ihren Mann mit einer anderen erwischt. Nun heißt es noch mal ganz von vorn anfangen, was alles andere als leicht ist. Um ihren Wunschjob zu bekommen, lässt sie sich auf einen Deal ein: Drei Wochen lang soll sie Betty, die Schwiegermutter ihres künftigen Chefs, und zwei Katzen betreuen, damit der Chefarzt mit seiner Frau auf eine längst geplante Reise gehen kann. Hört sich nach einer einfachen Aufgabe an, doch die übellaunige Seniorin bringt Tilda schon bald an ihre Grenzen. Als auch noch Bettys Sohn Phil ganz unerwartet in Passau auftaucht, scheint das Chaos perfekt …
Angelika Schwarzhuber lebt mit ihrer Familie in einer kleinen Stadt an der Donau. Sie arbeitet auch als erfolgreiche Drehbuchautorin für Kino und TV, unter anderem für das mehrfach mit renommierten Preisen, unter anderem dem Grimme-Preis, ausgezeichnete Drama »Eine unerhörte Frau«. Zum Schreiben lebt sie gern auf dem Land, träumt aber davon, irgendwann einmal die ganze Welt zu bereisen.
Von Angelika Schwarzhuber ebenfalls bei Blanvalet erschienen:
Liebesschmarrn und Erdbeerblues ∙ Hochzeitsstrudel und Zwetschgenglück ∙ Servus heißt vergiss mich nicht ∙ Der Weihnachtswald ∙ Barfuß im Sommerregen ∙ Das Weihnachtswunder ∙ Ziemlich hitzige Zeiten ∙ Das Weihnachtslied ∙ Ziemlich turbulente Zeiten ∙ Das Weihnachtsherz ∙ Ziemlich runde Zeiten ∙ Die Weihnachtsfamilie ∙ Ziemlich bunte Zeiten ∙ Die Weihnachtsüberraschung
Angelika Schwarzhuber
Fast ein Schwiegermutter-Roman
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Copyright © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Redaktion: Alexandra Baisch
Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung einer Illustration von Max Meinzold
LH · Herstellung: sam · lor
Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-641-31040-0V001
www.blanvalet.de
Für alle Schwiegermütter!
Das Geschenkpaket
An manchen Tagen war ich mir absolut sicher, dass mein Mann ohne mich vermutlich keine Woche überleben könnte. Oder auch nur ein paar Tage. Dabei meinte ich nicht etwa das Überleben in der Wildnis, sondern mitten in Europa. Genauer gesagt in der wunderschönen Dreiflüssestadt Passau in Bayern, in unserer Penthousewohnung mit herrlichem Blick auf die Donau und die Veste Oberhaus. Ein Stockwerk darunter lag das Büro der Maklerfirma, in der ich, zusammen mit unserer neuen Mitarbeiterin Bärbel, die wir erst vor ein paar Wochen eingestellt hatten, als Frau für alle Fälle mitarbeitete. So nannten mich jedenfalls mein Mann und meine Schwieger-Über-Mutter Antje immer, die uns mit zuverlässiger Regelmäßigkeit alle paar Wochen aus Frankfurt besuchen kam. Dabei umspielte stets ein eigenartiges Lächeln ihre Mundwinkel, das ich bis heute nicht deuten konnte. Ein echtes Wohlbefinden hatte mir dieses Lächeln jedenfalls noch nie bereitet – genauso wenig wie ihre Anwesenheit.
Andreas stand nur neuneinhalb Wochen vor seinem vierzigsten Geburtstag und war damit fünf Jahre älter als ich. Ihm zuliebe hatte ich meine Arbeit als Krankenschwester kurz nach unseren Flitterwochen aufgegeben, da meine Schicht- und Wochenenddienste uns zu viel gemeinsame Freizeit gekostet hätten. Außerdem war er damit beschäftigt, sein Maklerbüro aufzubauen, und so hatten wir unsere kostbare gemeinsame Zeit stattdessen in die Firma gesteckt oder Häuser, Wohnungen und Grundstücke besichtigt, die wir ins Portfolio aufnehmen wollten. Vor allem aber hatten wir uns an den Wochenenden und Abenden auf allen möglichen Empfängen, Sommerfesten oder Kulturveranstaltungen sehen lassen, um Kontakte zu knüpfen und eine gewisse Klientel als Kunden zu gewinnen. Tatsächlich hatte sich unser Engagement gelohnt. Schon nach wenigen Jahren war Immobilien Andreas C. Buschmann in Passau zu einer der Top-Adressen geworden, wenn es darum ging, ein schickes Haus im Grünen, eine schnuckelige Wohnung in einem verwinkelten Gässchen in der idyllischen Altstadt oder Büro- und Produktionsräume im ganzen Umkreis zu vermitteln. Geschäftlich gesehen lief also alles bestens – und meistens auch in unserer Ehe. Abgesehen davon, dass Andreas völlig unfähig war, sich auch nur ein paar Würstchen zu braten oder das Salz im Geschirrspüler nachzufüllen. Er konnte auch keine Batterie im Feuermelder auswechseln oder gar die defekte Halterung für die Klopapierrollen reparieren. Um all diese Dinge musste ich mich neben der Büroarbeit kümmern. Offensichtlich war mir ein Handwerker-Gen in die Wiege gelegt worden, auch wenn ich noch nicht herausgefunden hatte, bei welchem meiner Vorfahren ich mich dafür bedanken konnte.
Darüber hinaus tendierte Andreas leider auch zu einer gewissen Vergesslichkeit, die ich früher liebevoll als charmante Schusseligkeit bezeichnet hatte. So verknallt, wie ich anfangs in den coolen Sonnyboy war, hatte ich all die kleinen Macken gern in Kauf genommen. Nun, nach elf gemeinsamen Ehejahren, versuchte ich, mir nicht anmerken zu lassen, dass es mich inzwischen eher nervte, das Mädchen für alles – Pardon – die Frau für alle Fälle zu sein und ihn ständig an alles erinnern oder es ihm hinterhertragen zu müssen. So wie das Geschenkset mit edlen Rotweinen und Bio-Knabbereien, das wir all unseren Klienten nach erfolgreichem Abschluss als Dankeschön für die Zusammenarbeit überreichten und das Andreas auf dem Schreibtisch hatte stehen lassen, als er sich heute Vormittag zur Schlüsselübergabe mit der Käuferin der extravaganten Architektenvilla auf den Weg gemacht hatte, die uns eine ordentliche Maklerprovision einbrachte.
Seufzend sah ich auf die Uhr. Kurz vor eins. In einer Stunde hatte ich einen Friseurtermin, aber wenn ich gleich losfuhr, könnte ich das Geschenk vorher noch schnell vorbeibringen. Ich griff zum Handy, um Andreas Bescheid zu geben, dass ich mich darum kümmern würde, doch dann ließ ich es bleiben. Er war inzwischen bestimmt längst mit einem neuen Kunden zur Besichtigung eines Bauernhofs im Rottal im Gespräch, und dabei wollte ich ihn nicht unnötig stören. Denn das war so eine Sache, die er überhaupt nicht mochte.
Fünfundzwanzig Minuten später bog ich in die kleine Straße ab, in der am Ende der Sackgasse ein wenig abseits der anderen Häuser die frisch von Marlene Kaiser erworbene Villa lag. Ich kannte die Unternehmerin nur von unseren Telefonaten, und bei diesen Gesprächen war sie mir auf Anhieb sympathisch gewesen. Es hatte mich zwar etwas verwundert, warum die kinderlose Witwe aus dem benachbarten Österreich sich für ein Haus mit fünf Schlafzimmern und vier Bädern, riesiger Terrasse und Gartenhaus entschieden hatte, nachdem sie ursprünglich mit der Anfrage für eine Maisonette-Wohnung mit Balkon auf uns zugekommen war. Doch das war vermutlich der Superkraft meines Mannes zuzuschreiben: Er konnte den Kunden etwas schmackhaft machen, von dem sie noch gar nicht wussten, dass sie genau das brauchten oder wollten. Wenn er es darauf anlegte, könnte Andreas vermutlich sogar der Stadt Venedig Bushaltestellen verkaufen oder Rasentrimmer an Nomaden in der Wüste Gobi verhökern.
Diese Superkraft machte ihn jedenfalls zu einem Top-Immobilienmakler. Und um alles andere, was so anfiel, kümmerte ich mich eben.
Ich parkte meinen Opel Adam neben der um das weitläufige Grundstück dicht gewachsenen Hainbuchenhecke, nahm das Geschenkpaket und stieg aus. Für Mitte April war es ziemlich warm, und ich bereute, dass ich mir nicht die Zeit genommen hatte, etwas Leichteres anzuziehen, bevor ich losgefahren war.
Als ich auf die Haustür zuging, entdeckte ich zu meiner Überraschung im Carport neben der Garage ein mir nur allzu bekanntes Auto: Den Firmenwagen meines Mannes! Was machte Andreas denn noch hier? Hatte er den Termin mit dem neuen Kunden womöglich vergessen oder mal wieder etwas verwechselt?
Zusammen mit dem Duft von Holzkohle und gegrillten Rippchen wehte aus dem Garten auch ausgelassenes Gelächter zu mir herüber, das ich eindeutig meinem Mann zuordnen konnte. Wie aus heiterem Himmel spürte ich plötzlich ein seltsames Ziehen in der Magengegend. Ein Gefühl, das ich leider kannte, und das alle Alarmglocken in mir schrillen ließ. Bisher hatte ich dieses Gefühl, eine Art Vorahnung, zweimal in meinem Leben verspürt. Das erste Mal kurz vor dem Unfall meiner Mutter, und das zweite Mal vor der ersten Begegnung mit meiner Schwiegermutter.
Stell das Geschenkset einfach vor der Haustür ab, Tilda, steig in den Wagen, und fahr zum Friseur, riet mir eine innere Stimme drängend.
Doch gleichzeitig sagte mir eine andere Stimme, dass ich es – was auch immer es sein mochte – ohnehin nicht aufhalten konnte, auch wenn ich mich aus dem Staub machte.
Meine Füße bewegten sich wie von selbst an der Haustür vorbei zu einem Gartentor, das nicht verschlossen war. Mit klopfendem Herzen ging ich am Haus entlang und blieb an der Ecke stehen. Die Stimmen von Andreas und Frau Kaiser waren lauter, der Duft nach gegrilltem Fleisch intensiver geworden.
»Sag mal, wie kann ich mich denn dafür revanchieren, dass du mir den Lampenschirm im Wohnzimmer montiert hast?«, hörte ich Frau Kaiser mit ihrem charmanten österreichischen Akzent neugierig fragen.
Den Lampenschirm montiert? Damit konnte sicher nicht mein Mann gemeint sein.
»Da fällt dir bestimmt was ein, Marlene«, antwortete genau dieser jedoch süffisant.
»Ich glaube, ich habe da tatsächlich eine Idee, Andi.« Sie lachte kehlig.
Äh, Andi? Er konnte es absolut nicht leiden, wenn man ihn so nannte. Doch ich vernahm keinen Protest von seiner Seite. Das Schrillen der Alarmglocken wurde immer lauter.
»Sag mal, was hast du denn da für eine Marinade für das Grillgemüse gemacht?«, wechselte sie das Thema.
»Das ist weißer Balsamico – verfeinert mit einer Prise Meersalz, Waldhonig und Chili und dazu viel frisch gehackte Petersilie. Und ein Spritzer Limette. Das gibt dem Ganzen den besonderen Kick«, hörte ich meinen Mann die eigentlich harmlosen Worte sagen. Doch dieser Küchentalk hörte sich für mich intimer an als wildes Bettgeflüster.
Mein Mund war staubtrocken, und meine Beine zitterten. Der Drang zu verschwinden, war fast übermächtig. Doch ich gab ihm nicht nach. Langsam trat ich einen Schritt nach vorne und spähte vorsichtig um die Ecke auf die große Terrasse. Es dauerte ein paar Sekunden, bis mein Hirn realisierte, was meine Augen schon wahrgenommen hatten, auch wenn ich es nicht glauben konnte. Da stand Andreas, mein Andreas, in lässiger Freizeitkleidung, die ich noch nie zuvor an ihm gesehen hatte, in der Outdoor-Küche an einem überdimensional großen Gasgrill. Gerade schob er dampfendes Gemüse von einem Metallspieß in eine Schüssel und vermengte es dann rasch mit der Marinade. Gleich darauf wendete er das Fleisch auf dem Grill mit einer Zange, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht.
Wer ist dieser Mensch, der aussieht wie mein Mann, sich aber wie ein völlig anderer verhält?
»Soll ich uns noch einen kleinen Tomatensalat mit frischem Basilikum dazu zaubern?«, fragte er und drehte sich zum Tisch um.
Erst jetzt nahm ich die brünette Frau im roten Badeanzug wahr, die lässig in einem Gartenstuhl saß und sich ein Glas Wasser einschenkte.
Verdutzt riss ich die Augen auf. Das ist Frau Kaiser? Wieso war ich die ganze Zeit davon ausgegangen, dass die Witwe die fünfzig schon längst überschritten haben musste? Die attraktive Frau vor mir schien höchstens in Andreas’ Alter zu sein. Falls überhaupt.
»Sehr gern. Du weißt ja, wie sehr ich deine Kochkünste liebe, Andi«, schnurrte sie und nahm einen Schluck Wasser.
Kochkünste?
Die Situation war so skurril und unwirklich, dass ich fast laut losgelacht hätte. War ich hier in einer Parallelwelt gelandet?
»Aber komm vorher her und gib mir einen Kuss!« Sie stellte das Glas ab und streckte den Arm nach ihm aus.
»Klar doch.« Mit der Grillzange in der Hand ging er zu ihr, beugte sich über sie und küsste sie ausgiebig. Sie schob ihre Finger unter sein T-Shirt, und ich hörte ihn wohlig seufzen.
Ich wollte das nicht sehen, ehrlich nicht. Doch ich konnte auch nicht wegschauen. Vielleicht musste ich es ja sehen, um tatsächlich zu begreifen, was sich da vor meinen Augen abspielte. Meine Hände und Füße waren inzwischen eiskalt, während mein Kopf glühte. Mein ganzer Körper schien zu vibrieren. Das schwere Paket rutschte mir aus den kraftlosen Händen und landete mit einem lauten Scheppern auf dem gepflasterten Boden – leider erst nach einer kurzen Zwischenlandung auf meinen Zehen. Vor Schmerz stöhnte ich auf, zog jedoch rasch den Kopf zurück. Ich musste von hier verschwinden! Sofort!
Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte ich eilig zum Gartentor zurück.
»Tilda?«
Andreas hatte mich eingeholt und stand hinter mir.
»Was machst du denn hier?«, fragte er und klang mehr verärgert als ertappt.
Langsam drehte ich mich um und sah ihn an. Immer noch hielt er die Grillzange in der Hand. Er sah aus wie mein Mann, doch ich hatte das Gefühl, einen ganz anderen Menschen vor mir zu haben.
»Was ich hier mache?«, wiederholte ich und wunderte mich, dass meine Stimme mir einigermaßen gehorchte.
Hinter ihm war Frau Kaiser aufgetaucht, die sich eine kurze Sommertunika übergeworfen hatte. Immerhin machte sie einen betretenen Eindruck.
»Du hast das Geschenkpaket mit dem Wein vergessen!«, fühlte ich mich absurderweise bemüßigt zu erklären und versuchte, dabei so vorwurfsvoll wie möglich zu klingen.
»Das habe ich absichtlich nicht mitgenommen!«, erklärte Andreas.
»Absichtlich nicht? Aber warum das denn?«, stotterte ich, dabei war mir dieses blöde Paket tatsächlich herzlich egal. Darum ging es jetzt ja wohl wirklich nicht mehr. Aber es verschaffte mir eine kleine Schonfrist, um mich zu sammeln, ehe ich ihm die unbestreitbare Tatsache an den Kopf werfen würde, dass er mich betrog.
Andreas blieb mir eine Antwort schuldig.
»Ich trinke zurzeit keinen Wein!«, murmelte Frau Kaiser stattdessen und warf meinem Mann einen bedeutungsschwangeren Blick zu, der mein Unbehagen noch weiter verstärkte.
Der Duft von Angebranntem zog in meine Nase. Und für einen kurzen Moment bereitete es mir eine perfide Freude, dass die Rippchen auf dem Grill sich gerade in Briketts verwandelten – allerdings war diese Freude nur von kurzer Dauer.
Andreas räusperte sich und wandte sich an mich, wobei er mir kaum in die Augen sehen konnte.
»Hör mal – eigentlich solltest du es nicht so erfahren, Tilda, aber …« Er zögerte.
»Was nicht erfahren?«, fuhr ich ihn aufgelöst an. »Dass du heimlich eine Affäre mit einer Kundin hast? Oder dass du mir die ganzen Jahre vorgemacht hast, dass du in der Küche eine Null und handwerklich zu unfähig bist, um auch nur eine Glühbirne auszuwechseln?«
Ich wusste nicht, was von alldem mich gerade wütender machte. Ich fühlte mich in doppelter Hinsicht betrogen, kam mir total benutzt und völlig verarscht vor.
An seinem Blick erkannte ich, dass ihm meine Worte vor Frau Kaiser ziemlich unangenehm waren.
Gut so!
Andreas legte einen Arm um sie und zog sie an sich.
»Marlene trinkt zurzeit keinen Wein, weil sie unser Baby erwartet. Ich möchte die Scheidung, Tilda.«
Anette
Irgendwie hatte ich es geschafft, in meinen Wagen zu steigen und zu meiner besten Freundin zu fahren, die im Passauer Stadtteil Hacklberg wohnte. Allerdings konnte ich mich an die Fahrt selbst nicht mehr erinnern. Ich fühlte mich wie in einem wirren Fiebertraum, und die Worte von Andreas hallten in Dauerschleife in meinem Kopf nach. Marlene trinkt zurzeit keinen Wein, weil sie unser Baby erwartet. Ich möchte die Scheidung, Tilda. Keinen Wein. Die Scheidung, Tilda. Unser Baby. Die Scheidung.
»Hier, mach das auf deinen Fuß!«, bremste Anette mein Gedankenkarussell und reichte mir einen Beutel mit Eiswürfeln, den sie in ein Küchentuch eingeschlagen hatte, dazu ein Handtuch.
»Danke«, murmelte ich und legte das Eis vorsichtig auf die angeschwollenen Zehen am linken Fuß, die sich bereits bläulich verfärbt hatten. Ich konnte sie trotz der Schmerzen noch gut bewegen, also schien immerhin nichts gebrochen zu sein. Damit nichts verrutschte, wickelte ich das Handtuch darum. Ich seufzte. Die Kälte tat gut. Wenn es doch nur Eis gäbe, mit dem ich auch den Schmerz in meinem Inneren betäuben könnte. Moment!
»Hast du noch ein paar Eiswürfel übrig?«, fragte ich mit kratziger Stimme.
»Für den anderen Fuß? Fehlt da auch was?«, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Für ein großes Glas Gin Tonic, bitte.«
Anette lächelte.
»Kriegst du! Aber dann will ich endlich wissen, was los ist! Ich mach mir echt Sorgen, Tilda. Du klingelst Sturm bei mir, kommst hereingehumpelt, zeigst mir deine geschwollenen Zehen und murmelst nur was von einem blöden Geschenkpaket und angebrannten Rippchen. Wie soll ich daraus schlau werden? Ich brauch endlich eine Erklärung!«, forderte Anette und verschwand dann nach nebenan in die Küche.
Mehr als ein paar Worte hatte ich tatsächlich noch nicht herausbekommen. Ich hatte bisher auch noch keine Träne vergossen. Vermutlich war ich einfach noch zu geschockt.
Ich atmete einmal tief durch, griff in meine Handtasche und fischte das Handy heraus. Sieben verpasste Anrufe. Sechs waren von Andreas, einer von meiner Friseurin. Mist! In dem ganzen Chaos hatte ich meinen Termin total vergessen! Dabei war Raquel immer auf Wochen hin ausgebucht und ein Haarschnitt bei mir mehr als überfällig. Ich fluchte. Wenn man einen Termin bei Raquel nicht rechtzeitig absagte, ließ die temperamentvolle Portugiesin einen absichtlich extra noch mal länger auf einen neuen warten. Die Tatsache, dass ich nun zu allem Übel womöglich monatelang mit einer schlecht sitzenden Frisur und Spliss in den Haarspitzen herumlaufen musste, falls ich nicht die Friseurin wechselte, brachte das Fass zum Überlaufen. Buchstäblich. Plötzlich sprudelten dicke Tränen aus meinen Augen und kullerten über meine Wangen, die immer noch wie im Fieber glühten.
Erstaunlich, dass sie nicht einfach verdampfen!, dachte ich, während alle Dämme brachen.
»Gut, dass ich heute keinen Nachmittagsunterricht habe«, sagte Anette, die als Sportlehrerin in einer Realschule arbeitete, als sie mit einem bis oben gefüllten Glas Gin Tonic samt dekorativem Gurkenscheibchen wieder ins Wohnzimmer kam.
Sowie sie bemerkte, dass ich heulte, stellte sie das Glas auf dem Tisch ab und setzte sich neben mich aufs Sofa.
»Tilda, was ist denn passiert?«, fragte sie besorgt und legte mir einen Arm um die Schultern.
»Ich … er …«, schluchzte ich hilflos, brachte jedoch nicht mehr heraus.
»Es geht also um Andreas!«, schloss Anette folgerichtig.
Ich nickte.
Anette nahm eine Box mit Papiertaschentüchern von der Ablage unter dem Tisch und stellte sie vor mir ab. Ich zupfte ein paar Tücher heraus, putzte mir geräuschvoll die Nase, bevor ich weiterheulte.
Die Eiswürfel im Glas waren schon fast geschmolzen, als die Tränen endlich langsam versiegten.
Doch ehe ich Anette erzählen konnte, was in der letzten Stunde passiert war, nahm ich einen großen – einen sehr großen – Schluck. Erst dann war ich in der Lage, ihr alles zu schildern.
Anette schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf.
»Dieser Mistkerl! Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll, Tilda«, meinte sie ein paar Minuten später völlig schockiert. »Es tut mir schrecklich leid für dich!«
»Ich hatte das Gefühl, als ob da ein völlig anderer Mensch in diesem Garten stand …«, sagte ich und strich mir fahrig eine Strähne meines schulterlangen hellbraunen Haares hinters Ohr. »… mit dieser blöden Grillzange in der Hand!«, setzte ich noch hinzu. Dieses Bild hatte sich wohl für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. »Stell dir das mal vor: Andreas, der plötzlich kochen kann! Der einen Lampenschirm montiert hat! Und der …«, ich schluckte, denn jetzt kam – neben der Tatsache, dass mein Ehemann nun eine andere Frau liebte und die Scheidung wollte – der wohl schwierigste Teil für mich, »… und der sich offenbar auf das Baby mit der anderen Frau freut.«
Dieser Punkt setzte mir am meisten zu. Denn Andreas hatte mir kurz nach der Hochzeit unmissverständlich klargemacht, dass er auf keinen Fall einmal Kinder haben wollte. Das war damals ein harter Schlag für mich gewesen, doch insgeheim hatte ich immer gehofft, dass er seine Meinung im Lauf der Jahre bestimmt noch ändern würde. Und ganz offensichtlich hatte er seine Meinung tatsächlich geändert. Nur würde jetzt diese Marlene Kaiser davon profitieren und die Mutter seines Sprösslings sein – und nicht ich, dabei war ich doch seine Frau!
Wieder flossen die Tränen. Anette strich mir beruhigend über den Rücken.
»Und du hast wirklich nicht mitbekommen, dass da was mit einer anderen läuft?«, fragte sie nach einer Weile vorsichtig.
Ich zuckte schwach mit den Schultern.
»Wir haben uns in letzter Zeit außer im Büro nicht so oft gesehen, weil er viele Termine hatte und meist immer spätabends …« Ich sprach nicht weiter. Dass wir seit Wochen auch keinen Sex mehr gehabt hatten, erwähnte ich gar nicht erst. Doch Anette kannte mich ziemlich gut und schien es an meiner Miene abzulesen. Ihr Blick war voller Mitleid.
»Ich bin so unsagbar dumm!«, murmelte ich beschämt, nachdem mir klar wurde, dass ich die eigentlich deutlichen Anzeichen nicht gesehen hatte oder vielleicht einfach nicht hatte sehen wollen.
»Von wegen dumm! Du hast ihm vertraut. Er ist der Idiot, der dich betrogen hat. Du hast absolut nichts falsch gemacht, Tilda!«
»Ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll. In unsere Wohnung kann ich jedenfalls nicht mehr zurück.«
Nach und nach wurde mir das ganze Ausmaß der Katastrophe bewusst. Der Betrug meines Mannes und seine unmissverständliche Forderung nach einer Scheidung würden ungefragt mein ganzes Leben völlig auf den Kopf stellen. Also hatte sich diese ungute Vorahnung bewahrheitet, die mich vorhin beim Haus von Marlene Kaiser übermannt hatte, ohne dass ich zu diesem Zeitpunkt wusste, was genau Sache war. Dabei hatte ich heute früh noch gedacht, dass ein kaputter Reißverschluss an meiner Lieblingsjeans mein größtes Problem sei.
»Ich gehe mal davon aus, dass Andreas jetzt noch bei dieser Frau ist.« Anette zwirbelte ihr gelocktes dunkelblondes Haar energisch um den Finger, wie sie es immer tat, wenn sie aufgebracht war oder nachdachte. »Also nutzen wir die Zeit und fahren sofort in eure Wohnung, und du packst deine wichtigsten Sachen.«
»Und wo soll ich damit hin?«
»Also wirklich, Tilda! Was für eine blöde Frage. Zu mir natürlich!«, rief sie. »Auf dem Sofa hast du schließlich auch früher schon geschlafen.«
Sie hatte das gemütliche Möbelstück tatsächlich noch aus der Zeit, als wir fast zwei Jahre in einer WG zusammengewohnt hatten.
»Ach, Anette … Was würde ich nur ohne dich tun!« Ich umarmte sie und drückte sie fest, während mir schon wieder die Tränen kamen.
»Ohne mich wärst du absolut verloren!«, scherzte sie. »Und ich ohne dich«, setzte sie noch hinzu. »Und jetzt komm. Zum Heulen hast du später noch genügend Zeit. Lass uns das hinter uns bringen.«
Sie hatte recht. Wir sollten das sofort in Angriff nehmen. Ich nahm das Handtuch mit dem Eisbeutel von meinem Fuß. Der Schmerz war jetzt zwar etwas betäubt, aber die Zehen waren angeschwollen.
»Damit komme ich nie in meinen Schuh!«, murmelte ich.
Anette schlüpfte aus ihren ausgelatschten Kuschel-Hausschuhen mit dem Schweinchenmotiv.
»Dann ziehst du eben die an!«
Wir nahmen Anettes alten beigefarbenen Mercedes Benz, in dem wir mehr Platz für meine Sachen hatten.
Als wir mit dem Fahrstuhl zum Penthouse hochfuhren und ich die Tür aufsperrte, hatte ich ein flaues Gefühl im Magen und befürchtete, dass Andreas doch hier sein könnte. Einer Begegnung mit ihm fühlte ich mich im Moment nicht gewachsen. Doch Anette hatte recht gehabt. Die Wohnung war leer. Ich holte einen großen Koffer, einen Trolley und eine Reisetasche aus dem Abstellraum und packte in Windeseile einen Teil meiner Kleider und Schuhe, meine wichtigsten persönlichen Unterlagen und Habseligkeiten und mein MacBook ein.
»Vergiss deinen Schmuck nicht!«, riet Anette mir, als ich den vollgepackten Koffer nur mühevoll mit ihrer Hilfe zubrachte.
»Meinen Schmuck?«, fragte ich irritiert. Daran hatte ich selbst gerade gar nicht gedacht.
»Klar! Pack alles ein, Tilda. Man weiß ja nie!«, antwortete sie.
Ich öffnete den Tresor, der sich im Schlafzimmer wenig originell hinter einem Bild befand. Doch als ich die Schatulle darin geöffnet hatte, zögerte ich. Obwohl ich nicht sonderlich viel Wert auf Schmuck legte, hatte Andreas mir zu allen möglichen Anlässen irgendwelche teuren Stücke geschenkt, die ich ihm zuliebe bei Einladungen oder wichtigen Geschäftsterminen trug. Das einzige Schmuckstück, das mir neben meinem Ehering – zumindest bis vor etwa zwei Stunden – jedoch wirklich etwas bedeutete, war ein goldenes Kettchen mit einem kleinen Anhänger in der Form eines Elefanten. Es war sehr alt. Oma hatte es als kleines Mädchen von ihrem Vater bekommen, der es von einer seiner vielen Reisen mitgebracht hatte. Zu meinem zehnten Geburtstag hatte sie es mir mit den Worten geschenkt: »Der kleine Elefant wird dir Glück bringen, Tilda.«
Und genau dieses Kettchen trug ich auch heute um den Hals. Mehr brauchte ich nicht. Ich streifte meinen Ehering ab und warf ihn in die Schatulle zu dem restlichen Schmuck. Nichts davon wollte ich mitnehmen.
»Hast du fürs Erste alles?«, rief Anette mir zu, als ich noch mal in die Küche ging und mir ein Glas Wasser einschenkte, das ich durstig auf einmal leer trank.
Ich sah mich kurz um. Die Wohnung, die für mich all die Jahre mein Zuhause gewesen war, wirkte im Wissen um die bevorstehende Trennung schon jetzt fremd für mich. Diese Empfindung trieb mir für einen Moment wieder die Tränen in die Augen.
»Tilda?«, hakte Anette nach.
Ich schluckte und blinzelte die Tränen weg. »Ich hab alles«, antwortete ich dann und zog den schweren großen Rollkoffer und den Trolley zur Tür. Anette trug die Reisetasche. Ich nahm rasch meinen leichten Sommermantel von der Garderobe und schlüpfte hinein. Und auch die Regenjacke musste mit, die ich bei meinen Spaziergängen bei schlechtem Wetter immer trug. Ich zog sie über den Mantel an, da sie in keine Tasche mehr passte.
Anette kicherte.
»Das könnte der modische Trend des Sommers werden!«, witzelte sie. Da musste sogar ich lächeln.
»Aber jetzt lass uns verschwinden!«
»Moment!« Mir war noch etwas eingefallen. Ich ging zurück in die Küche und in die angrenzende Speisekammer. Kurz darauf kam ich mit einem Korb mit sechs Weinflaschen zurück. Dabei handelte es sich nicht um die Weine, die wir an Kunden verschenkten, sondern um ganz besondere Flaschen aus Andreas’ kostbarer Weinsammlung.
»Er wird sich bestimmt mächtig ärgern, wenn er merkt, dass ich die mitgenommen habe. Da müssen heute noch einige Schätzchen dran glauben!«, erklärte ich entschieden, und Anette grinste.
Als wir meine Sachen vor dem Gebäude in den Kofferraum packten, kam plötzlich Bärbel, die junge Büroangestellte, auf mich zugeeilt.
»Ich hab Sie vom Fenster aus gesehen, Frau Buschmann. Wollen Sie verreisen?«, fragte sie, während sie mich von oben bis unten musterte. Vor allem die Schweinchen-Hausschuhe schienen sie zu irritieren.
»So in etwa«, meinte ich nur, da ich jetzt nicht in der Lage war, ihr eine Erklärung zu geben.
»Aber … aber ich brauche Sie doch im Büro. Der Drucker spinnt wieder. Ich krieg ihn nicht zum Laufen und muss noch dringend einen Vertrag für die Doppelhaushälfte in Salzweg ausdrucken und …«
»Keine Zeit«, unterbrach ich sie. »Darum soll sich Andreas kümmern, wenn er ins Büro kommt.« Wann immer er sich von seiner geliebten Frau Kaiser loseisen kann.
»Aber der Chef kennt sich damit doch überhaupt nicht aus«, warf Bärbel ein und wirkte etwas gestresst.
»Oh, keine Sorge. Der kann mehr, als Sie denken«, mischte Anette sich ein.
»Das kriegt er schon hin«, beteuerte ich. »Und wenn nicht, rufen Sie einen Techniker an.«
Ein klein wenig tat Bärbel mir schon leid, aber im Moment konnte ich ihr wirklich nicht helfen.
Und so ließ ich sie stehen und stieg in den Wagen.
Nachdem wir mit meinen Sachen in Anettes Wohnung zurückgekommen waren, hatte sie Pizza und meine Lieblingsnudeln beim Italiener bestellt. Doch ich brachte kaum einen Bissen herunter und hielt mich stattdessen an den Wein, während ich ein wenig Zuversicht in den Gesprächen mit Anette fand. Es war mir außerdem eine gewisse Genugtuung, dass jedes Glas, mit dem ich mein Unglück hinunterspülte, mindestens hundert Euro wert war.
Mein Handy vibrierte mehrmals. Andreas versuchte immer wieder, mich zu erreichen. Bis ich ihm schließlich genervt eine Textnachricht schickte, dass er mich gefälligst in Ruhe lassen solle.
»Ich fasse es einfach nicht, dass er mir die ganze Zeit etwas vorgemacht hat«, sagte ich zum wiederholten Male und meinte damit nicht nur seine Affäre.
Anette nahm einen Schluck Brunello di Montalcino Riserva und räusperte sich dann.
»Ich hab bisher nie was gesagt, weil jeder selbst wissen muss, was er tut. Und sei mir jetzt bitte nicht böse, aber manchmal konnte ich echt nicht verstehen, wieso du ihm immer so viel abgenommen hast, Tilda. Du hast ihn ja fast schon bemuttert, und das hat er, wie ich finde, schamlos ausgenutzt«, sagte sie vorsichtig.
»Aber du weißt doch selbst, dass er so vieles einfach nicht auf die Reihe bekommen hat und ich deswegen …«, wollte ich loslegen, um mich zu rechtfertigen, doch Anette unterbrach mich.
»Tilda, mir ist klar, dass du es immer nur gut meinst, mit allen. So warst du schon im Kindergarten. Ich kann gar nicht aufzählen, wie oft du dein Pausenbrot mit mir und anderen geteilt hast. Und wie viele Käfer, Schmetterlinge und Ameisen du damals gerettet hast. Aber jetzt mal ehrlich, fast jede andere Frau heutzutage hätte einem Mann wie Andreas, der sich so bedienen lässt, den Vogel gezeigt. Manchmal kam es mir so vor, als wärst du viel mehr seine persönliche Assistentin und Haushälterin als seine Ehefrau.«
Ich wusste, dass sie es nicht böse meinte, trotzdem tat es weh, das zu hören. Weil sie irgendwie recht hatte, auch wenn ich es nicht ganz so gesehen hatte.
»Wieso hast du nicht einfach mal was gesagt, dass er gefälligst mithelfen soll oder zumindest eine Köchin und Putzfrau engagieren muss, um dir was abzunehmen, wenn er so unbeholfen ist? Was ja offenbar gar nicht wirklich der Fall ist, wie wir inzwischen wissen! Ihr hättet euch das doch locker leisten können!«
Diese Frage hatte ich mir in den letzten Jahren selbst auch ab und zu gestellt, mich vor der Antwort jedoch immer gedrückt.
»Ich … ich glaube, ich wollte, dass er mich braucht. Ich hatte Angst, dass er mich sonst irgendwann vielleicht nicht mehr lieben könnte«, sprach ich die traurige Wahrheit zum ersten Mal laut aus.
»Aber Tilda, wie kommst du denn auf so eine Schnapsidee?«, fragte Anette und wirkte ehrlich betroffen.
Ich zuckte hilflos mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Es … es war einfach seine Art. Irgendwie hat er mich dazu gebracht, dass ich das denke, ohne dass er es jemals ausgesprochen hat. Deswegen war es mir immer wichtig, dass er glücklich ist.«
»Aber genauso wichtig ist doch, dass du glücklich bist, Tilda!«
»Das war ich ja auch. Wirklich. Es hat mir viel Spaß gemacht, ihn zu unterstützen, als wir seine Firma aufbauten. Und das hat sich ja auch gelohnt. Andreas hat mir das Gefühl gegeben, der wichtigste Mensch in seinem Leben zu sein. Das fühlte sich so gut an. Aber jetzt …«
Wieder kullerten Tränen über meine Wangen.
Anette legte einen Arm um mich und zog mich an sich. Eine Weile lang hielt sie mich einfach nur fest.
»Tilda, du hast vorhin gesagt, dass ihr seine Firma aufgebaut habt«, begann sie nach einer Weile. »Wir haben bisher nie über so was geredet, und ich weiß, dass der Laden Andreas C. Buschmann Immobilien heißt. Aber bitte sag mir nicht, dass das Immobilienbüro nur auf ihn läuft!«
»Äh, doch«, gab ich zerknirscht zu. »Seine Großeltern haben damals ein Mehrfamilienhaus in Frankfurt verkauft und Andreas einen ziemlichen Batzen Geld gegeben, den er in den Aufbau des Geschäftes und die Penthousewohnung gesteckt hat. Ich selbst hatte damals ja kaum Ersparnisse, wie du weißt. Deswegen war das für mich auch völlig okay, dass wir einen Ehevertrag gemacht haben und alles auf ihn laufen sollte.«
»Aber hör mal! Du hast womöglich kein Geld reingesteckt, aber du hast dafür deinen Job gekündigt und auf deinen Verdienst verzichtet und dich total reingehängt, Tilda!«, rief Anette mir eindringlich in Erinnerung.
Ich nickte.
»Schon. Anfangs sollte meine Arbeit in der Firma ja auch nur vorübergehend sein, die ersten Jahre, bis alles gut lief. Aber dann wollte Andreas doch, dass ich weiterhin im Büro blieb. Und ich bin ja auch offiziell als Halbtagskraft angestellt, damit ich versichert bin und Beiträge auf mein Rentenkonto eingehen.«
»Wie bitte? Nur als Halbtagskraft? Aber du hast doch …«
»Bitte hör auf!«, unterbrach ich sie aufgebracht, war allerdings hauptsächlich auf mich selbst sauer. »Das war blöd, ja! Saublöd sogar! Aber finanziell hat mir in meiner Ehe nichts gefehlt, und ich dachte doch nie, dass Andreas mich einfach mal so abservieren könnte … Ich … ich habe diesen Mann geliebt, meistens mehr, manchmal weniger, wie das nun mal so ist in einer Ehe. Dass er nicht perfekt ist, weiß ich. Aber das bin ich ja auch nicht. Niemand von uns ist das. Ich wollte mit Andreas an meiner Seite alt werden! Vielleicht hört sich das naiv an, Anette, aber ich habe doch nicht gedacht, dass unsere Ehe scheitert! Und jetzt ist es so, und ich weiß ich nicht, wie ich mit alldem umgehen soll. Ich verliere nicht nur meinen Mann und meine Wohnung, sondern auch meinen Job! Und das alles innerhalb weniger Stunden! Ich muss wieder ganz von vorne anfangen, und die Vorstellung fühlt sich gerade so anstrengend an, dass ich schon jetzt keine Kraft mehr habe. Also mach mir bitte keine Vorwürfe. Die mach ich mir selbst gerade genug!«
Zitternd griff ich nach dem Glas und trank es leer.
»Tilda. Das tut mir leid«, entschuldigte sich Anette leise. »Ich wollte dich doch nicht kritisieren. Im Gegenteil! Ich bin einfach nur so sauer auf Andreas, dass ich ihn auf den Mond schießen könnte. Du bist so ein lieber Mensch, und er ist ein absoluter …« Sie vollendete den Satz nicht. Vermutlich, um mich nicht noch mehr aufzuregen. Sie war noch nie ein sonderlicher Fan von Andreas gewesen. »Jetzt pass mal auf. Den Verlust deines Mannes kann ich dir nicht ersetzen. Aber du kannst hier bei mir wohnen, so lange, bis du was Eigenes gefunden hast, und du musst dich deswegen nicht stressen. Und was deinen Job betrifft – als Krankenschwester bist du zwar schon lange raus, aber gerade werden überall händeringend Leute in den Pflegeberufen gesucht. Während und nach Corona hat sich das alles noch viel mehr verschärft. Ich bin mir sicher, die nehmen dich überall mit Kusshand, und du hast dich da bestimmt auch schnell wieder eingearbeitet. Wenn du das willst.«
»Denkst du das wirklich?«, fragte ich zweifelnd.
Sie nickte.
Zu meiner Überraschung verspürte ich bei dem Gedanken, wieder in meinen alten Beruf zurückzugehen, einen Anflug von Freude. Was für ein Gefühlschaos an diesem Tag! Ich war meinem erlernten Beruf immer sehr gerne nachgegangen, und es war mir damals nicht leicht gefallen, meine Stelle im Krankenhaus zu kündigen. Doch meine Ehe und der Aufbau der Firma waren mir wichtiger erschienen. In diesem Moment fragte ich mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich meinen Job als Krankenpflegerin behalten hätte oder viel früher wieder in diesen zurückgekehrt wäre. Hätte unsere Ehe trotzdem bis jetzt standgehalten?
»Und noch was, meine Liebe. Mit fünfunddreißig bist du jung genug, um noch mal ganz neu durchzustarten!«, versuchte Anette mich noch weiter zu motivieren, damit ich wieder einen etwas rosigeren Blick auf die Zukunft bekam. Und es half. Ein ganz klein wenig zumindest.
»Du hast recht! Ich bin jung genug für einen Neustart«, stimmte ich ihr zu, auch wenn ich im Moment selbst nicht wusste, wie dieser Neustart genau aussehen könnte. Gleichzeitig war mir bewusst, dass meine biologische Uhr ziemlich laut tickte, falls ich irgendwann doch noch eine eigene Familie mit Kindern haben wollte. Dass ausgerechnet Andreas in wenigen Monaten Vater sein würde, obwohl er das in unserer Ehe ausgeschlossen hatte – darüber wollte ich jetzt allerdings nicht nachdenken. Fürs Erste verdrängte ich den Schmerz, der sich nicht ganz verscheuchen ließ, und versuchte, tapfer nach vorne zu schauen. Dabei half ein weiterer großer Schluck Wein.
»Und jetzt musst du mir eines versprechen, Tilda!«
Anette sah mich ernst an.
»Was denn?«
»Du darfst dich niemals mehr, hörst du, niemals mehr, von jemandem so ausnutzen lassen wie von Andreas. Du musst in Zukunft viel mehr an dich denken und dich durchsetzen. Bitte versprich mir das – und vor allem – versprich es dir selbst!«
Ich schluckte.
»Du meinst also, ich soll keine Frau für alle Fälle sein, so wie Andreas und Antje mich immer tituliert haben?«
»Auf keinen Fall! Du kannst nicht für alles zuständig sein und es jedem recht machen. Kein Mensch kann das! Und wie ich diese ätzende Schreckschraube von Schwiegermutter kennengelernt habe, war das von ihr ohnehin nie als Kompliment gemeint.«
Auch wenn mir eigentlich nicht danach war, musste ich bei ihren Worten lächeln. Doch Anette ließ nicht locker.
»Also, was ist jetzt, Tilda? Wirst du endlich mal auf dich und deine eigenen Bedürfnisse hören?«
»Ich verspreche es, Anette!«, beteuerte ich schließlich mit dem festen Vorsatz, das auch einzuhalten.
»Sehr gut. Und jetzt sehen wir doch gleich mal nach, was es gerade für Jobangebote hier in der Gegend gibt, die für dich passen könnten«, überrumpelte Anette mich und klappte den Laptop auf.
»Jetzt?«, fragte ich perplex.
»Ja. Jetzt!«
»Na gut, okay … Aber vielleicht muss es ja gar nicht hier in der Gegend sein«, warf ich ein, während sie die freien Stellen in der örtlichen Klinik aufrief. »Ich könnte doch auch nach München gehen. Oder an den Bodensee. Oder nach Hamburg oder auf irgendeine spanische Insel.« Dann würde ich auch Andreas und seiner Neuen nicht mehr irgendwo zufällig über den Weg laufen.
Anette sah mich kurz etwas erschrocken an.
»Meinst du das ernst?«, fragte sie.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung.«
Anette seufzte. »Du würdest mir zwar schrecklich fehlen, Tilda, aber ja, du könntest überall hingehen, um einen Neuanfang zu machen. Das Leben liegt vor dir!«
»Mein Leben liegt vor mir!« Das auszusprechen, fühlte sich zwar etwas eigenartig, aber auch gut an. Und ich hatte plötzlich nicht mehr das Gefühl, nur ein Opfer der Umstände zu sein. »Darauf wollen wir trinken!«
Doch unsere Gläser waren leer.
»Moment.«
Ich griff nach einer weiteren Flasche, die ich vorhin schon entkorkt hatte, damit der Wein atmen konnte, und schenkte ein.
»Auf die Zukunft!«, sagte ich.
»Auf die Zukunft, Tilda!«
Wir stießen mit dem sündhaft teuren Château Lafite-Rothschild an, den Andreas hoffentlich schmerzhaft vermissen würde.
Achterbahnfahrt
Als ich am nächsten Morgen mit einem dicken Kopf auf dem Sofa erwachte, fragte ich mich einen Moment lang irritiert, was ich in der Wohnung von Anette machte. Bis mir mit einem Schlag alles wieder einfiel. Andreas!Andreas und Marlene Kaiser! Innerhalb von nicht einmal vierundzwanzig Stunden hatte sich mein bisheriges Leben in einen einzigen Scherbenhaufen verwandelt. Ich stöhnte, als mir schwindelig wurde und sich für ein paar Sekunden alles drehte. Langsam setzte ich mich auf, in der Hoffnung, meinen Kreislauf dadurch in Schwung zu bekommen.
Auf dem Tisch standen benutzte Gläser und drei leere Flaschen Wein, die wir bis tief in die Nacht ausgetrunken hatten. Schlagartig begann der restliche Rebensaft in meinem Magen zu rebellieren, und ich schaffte es gerade noch ins Badezimmer, bevor ich mich übergeben musste. Als ich mir mit zitternden Fingern das Gesicht abwusch, entdeckte ich neben einem zweiten Zahnputzbecher mit einer verpackten Bürste einen Zettel von Anette: Du schaffst das, Tilda!
Obwohl ich mich hundeelend fühlte, musste ich lächeln. Was täte ich nur ohne eine Freundin wie sie? Und ja, ich würde das schaffen! Auch wenn sich momentan alles schrecklich anfühlte, würde ich dieses Fiasko hinter mir lassen können. Irgendwann. Ich hatte auch früher schon Situationen gemeistert, die noch schlimmer waren. Irgendwie ging das Leben trotz allem immer weiter. Doch erst einmal musste ich mich ganz dringend wieder hinlegen und noch eine Runde schlafen.
Die nächsten Tage waren eine einzige emotionale Achterbahnfahrt. Doch wie beste Freundinnen nun mal sind, war Anette tapfer an meiner Seite. Sie verbrachte jede freie Minute mit mir und versuchte, mich so gut es ging abzulenken.
Für eine ernsthafte Jobsuche fühlte ich mich allerdings noch nicht bereit. Erst musste ich das abrupte Ende meiner Ehe einigermaßen vorverdauen.
Es hatte nicht lange gedauert, bis sich unsere Trennung herumgesprochen hatte. Ich bekam tröstende und bedauernde Nachrichten aus unserem Bekanntenkreis. Einige unserer gemeinsamen Freunde steckten wohl in einer Zwickmühle, wem von uns sie sich solidarisch zeigen sollten. Das war ja bekanntermaßen eines der Dramen bei Trennungen oder Scheidungen – auch der Freundeskreis wurde oft in Mitleidenschaft gezogen –, und das bekam auch ich gerade zu spüren.
Andreas hatte mit seinen Anrufen nicht lockergelassen, bis ich mich schließlich einem Gespräch gewachsen fühlte und ans Handy ging. Doch falls ich tief in mir irgendwo die verrückte Hoffnung gehabt hatte, er würde es bereuen, dass er mich mit einer anderen Frau betrogen hatte, wurde ich sehr schnell eines Besseren belehrt.
Andreas stellte freundlich, aber unmissverständlich klar, dass ihm sehr daran gelegen war, die Trennung samt Scheidung ohne großes Aufheben über die Bühne zu bringen. Einen Weg zurück gab es von seiner Seite aus definitiv nicht. Außerdem wollte er mich dazu überreden, ins Büro zu kommen, weil Bärbel mit der Arbeit völlig überfordert schien.
»Wie stellst du dir das denn vor? Ich will dich jetzt ganz sicher nicht sehen, geschweige denn mit dir arbeiten!«
»Zumindest so lange, bis Bärbel sich richtig eingearbeitet hat. Immerhin bekommst du noch dein Gehalt.«
»Wie bitte?«
Erst in diesem Moment wurde mir klar, dass er wohl schon seit geraumer Zeit angefangen hatte, die Weichen für die Trennung zu stellen. Die Idee, eine zusätzliche Mitarbeiterin einzustellen, hatte er mir vor ein paar Wochen wie nebenbei bei einem Abendessen in den Kopf gesetzt, als wir über den immer größer werdenden Verwaltungsaufwand im Büro sprachen. Das Ganze hatte er so geschickt eingefädelt, dass der Vorschlag für eine Mitarbeiterin letztlich von mir gekommen war.
»Nachdem ich darüber nachgedacht habe, finde ich, dass du recht hast, Tilda. Es wird Zeit, uns Unterstützung ins Büro zu holen«, hatte er zu meiner Überraschung am nächsten Morgen gesagt. »Und am besten gleich ganztags.«
Er hatte es mir überlassen, aus den zahlreichen Bewerbungen für die Stelle eine geeignete Kandidatin auszuwählen. Ich hatte mich für Bärbel entschieden. Eine motivierte, aber nicht überambitionierte junge Frau, bei der ich das Gefühl hatte, dass sie zwar eine Hilfe sein, aber nicht versuchen würde, mich irgendwann ersetzen zu wollen. Dass genau das jedoch ganz im Sinne von Andreas war, hätte ich mir nicht ausmalen können, nachdem ich die Firma von Anfang an mit ihm aufgebaut hatte. Doch da ich ihm viel zu früh auf die Schliche gekommen war, war sein Vorhaben, dass Bärbel reibungslos meinen Job übernahm, sobald er sich offiziell von mir getrennt hatte, am Ende nicht aufgegangen.
»Wie lange hättest du denn noch damit warten wollen, mir zu sagen, dass du mich sowohl im Büro wie auch in deinem Leben gegen eine andere austauschen willst?«, fuhr ich ihn durch das Telefon an, und als er mir nicht gleich antwortete, fügte ich noch hinzu: »Und keine Ahnung, ob das mit einer reibungslosen Scheidung möglich ist. Das muss ich erst mit meiner Anwältin klären!«
Die gab es zwar noch nicht, aber das stand in den nächsten Tagen ganz oben auf meiner Prioritätenliste.