Dicke Dinger - Alltagsbeobachtungen - Anna Miller - E-Book

Dicke Dinger - Alltagsbeobachtungen E-Book

Anna Miller

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Beschreibung

Warum muss man 5.000 SMS pro Monat schreiben? Wer nimmt sich das Recht heraus, alleinerziehende Frauen bei der Jobsuche zu diskreminieren? Und warum kann man sich in einem großen Fastfoodrestaurant keine Bestellungen merken? Diesen und vielen anderen Fragen soll in diesem Buch nachgegangen werden und zum Nachdenken anregen.

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Anna Miller

Dicke Dinger - Alltagsbeobachtungen

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Alltagsbeobachtungen

Ein harter Kampf

 

Beim allabendlichen Relaxen auf dem heimischen Sofa schweiften meine Gedanken mal wieder ab und ich musste an eine junge Frau denken, deren Schicksal mich sehr bewegt. Warum? Weil es meinem sehr ähnelt.

Hier die Geschichte dazu:

An einem recht sonnigen und angenehm temperierten Herbsttag war ich mit meinem Sohn den nahe gelegenen Spielplatz unsicher machen. Es geht nichts über ein wenig Bewegung vor dem Abendessen. Das steigert den Appetit ungemein und führt zu einer gewissen Bettschwere bei Menschen unter 1,30 m Körpergröße.

Mein Sohn rutschte und grub den Sandkasten um, ich suchte mir ein ruhiges Plätzchen um ein wenig zu lesen und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen.

Nach ein paar Minuten gesellte sich Sarah mit ihren 2 Kindern  zu uns. Wir kannten uns schon vom Spielplatz. Die Kinder spielten gerne miteinander, wir redeten nebenbei. Da ich nicht wirklich kontaktfreudig bin, bewegte sich unsere Konversation auf Hausfrauenniveau. Belangloser Smalltalk. Doch an diesem Tag war irgendwie alles anders. Sarah wirkte bedrückt und sah sehr nachdenklich aus. Dass sie nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens stand, hatte ich bei früheren Gesprächen bereits heraushören können. Da das Leben eine Achterbahnfahrt ist, gibt es nicht nur Höhen, sondern auch viele Tiefen. An diesem Tag kam sie aber sehr merkwürdig rüber und so musste ich wohl oder übel meine Introvertiertheit über Bord werfen, um das Niveau unseres Gespräches ein wenig anzuheben. Wir tauschten das erste Mal private Dinge aus. Was sie mir dann erzählte, übertraf selbst meine Erwartungen um einiges.

Ich fragte sie in meinem jugendlichen Leichtsinn, was sie denn arbeite. In den vorangegangen Gesprächen konnte ich feststellen, dass sie durchaus gebildet war. Als Antwort bekam ich ein trockenes und sarkastisches Lachen.

Und dann fing sie an, mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Sie erzählte mir von ihrem Studium, dass sie mit einem akademischen Grad abschloss. Lange in einem gut bezahlten Job arbeitete, den aber verlor, weil der Vater ihrer Kinder sie verließ und sie somit niemanden mehr hatte, der die Kinder betreuen konnte, wenn sie auf Dienstreise war oder länger arbeiteten musste. Sie berichtete mir von alten Freunden, die sich von ihr immer mehr zurückzogen, weil sie auf einmal nicht mehr interessant war und das Geld nicht mehr hatte, um ihren alten Lebensstil aufrecht zu erhalten. Vom täglichen Kampf mit Hartz IV, von den Vorurteilen der Umwelt, die sie teilweise als faul und arbeitsunwillig beschimpften, ohne auch nur einen Hauch von Ahnung zu haben, wie sie lebt und warum sie keinen geeigneten Job findet, von unsäglicher Bürokratie auf Ämtern und Behörden, die ihr und ihren Kindern das Leben noch mehr erschwerten. Von Weinkrämpfen, die sie abends hatte, wenn die Kinder im Bett waren und sie über ihre ausweglose Situation nachdenken konnte. Und vom Kampf, welcher mehr ein Krampf war, den Kindern ein halbwegs normales Leben bieten zu können, obwohl das mit Hartz IV schlichtweg unmöglich ist.

Nur wie kann es überhaupt so weit kommen? Wie kann es sein, dass man einfach so aussortiert wird. Abgelegt, weil nicht mehr gebraucht. Aufs gesellschaftliche Abstellgleis geschoben?

Der Abstieg geht schnell. Eben noch auf der Showbühne des Lebens der große Star und nun lassen sie dich noch nicht mal mehr in das Studio hinein. Selbst der Job als Toilettenfrau ist schon vergeben und man muss sich ganz hinten wieder anstellen.

Gerade als alleinerziehende Mutti kann es ganz schnell ganz hart und einsam werden. Eigentlich hatte man sich vorgenommen, eine coole Mama zu sein. Auf die jedes Kind stolz sein kann. Mit einem Job, der Spaß macht, viel Zeit für die Kinder, tollen Freunden und einem noch tolleren Mann an der Seite. Tja, aber oft kommt es anders, als man denkt. Nun steht man alleine da, muss selbst sehen, wie man mit Kindern, Haushalt und Leben klar kommt. Der Job ist weiter entfernt als der Mond. Viel Zeit für die Kinder ist vorhanden, aber leider ohne Job kein Geld, um die viele freie Zeit auch sinnvoll füllen zu können. An die Freunde, die man mal hatte, kann man sich nur noch schwach erinnern. Und der tolle Mann? Nun ja, das Exemplar, in das man sich vor Jahren mal verliebte und der der Vater der traumhaften Kinder werden sollte, hat den Akt der Zeugung zwar noch mitgenommen, es dann aber doch lieber vorgezogen, sich ein neueres, jüngeres und vor allen Dingen kinderloses Modell Frau zu suchen. Und so kann aus einer coolen Mama eine frustrierte und verzweifelte Frau werden.

In solch einer Situation resigniert man schnell, wenn man nicht selbst fest von seinen Fähigkeiten überzeugt ist. Wenn man keine Unterstützung und keinen Zuspruch bekommt. Genau dies war bei Sarah passiert. Sie hatte einfach keine Kraft mehr, sich das Leben schön zu reden, wenn es doch nicht schön ist.

Armut, und das liegt in diesem Fall vor, kann sehr hart sein. Denn oftmals ist man nicht nur finanziell „arm“, sondern auch gesellschaftlich. Und das ist noch viel schlimmer. Denn ohne Freunde und ohne soziales Umfeld, die einem zur Seite stehen, mit denen man seine Probleme besprechen kann und die da sind, wenn es einem schlecht geht, kann man die vielen anderen alltäglichen Sorgen und Ängste nicht ertragen und bewältigen. Ein stabiles soziales Umfeld dagegen, ein Netzwerk, das einen auffängt wie eine Hängematte, wenn es mal nicht so rund läuft, kann eine große Hilfe sein und macht den Alltag erträglicher.

 

In diesem Sinne: Arm ist nur wirklich der, der keine Gefühle im Herzen hat und andere ausgrenzt, weil sie nicht seinem Lebensstil entsprechen. Man kann mit vielen komplizierten Dingen und Hindernissen im Leben klarkommen. Aber menschliche Kälte ist schwer zu ertragen.

 

Der große Absturz

 

Im Kindergarten meines Sohnes ist mir vor einigen Wochen zum wiederholten Male bewusst geworden, wie schlecht es Familien und vor allen Dingen Kindern in unserem schönen Sozialstaat gehen kann. Das Wort „Kinderarmut“ schlug mir kräftig ins Gesicht. Doch wie kam es dazu?

Eine Kindergärtnerin bat mich um die alten Schuhe meines Sohnes. Für ein anderes Kind, das keine hat. Man stelle sich vor: Wir schreiben das 21. Jahrhundert, leben in einem der reichsten Länder auf diesem Erdball. Und trotzdem gibt es Kinder, die nicht einmal eigene Schuhe haben. Wie kann so etwas passieren? Wer hat da bitteschön versagt?

Der Junge ist kein Einzelfall. Und schnell ist im Kopf ein Urteil über die angeblichen Verursacher dieser Misere gefällt. Die Eltern. Um einfach mal aufzuzeigen, was viele denken: Wahrscheinlich steht hinter diesem Schicksal eine alleinerziehende Mutter. Der Vater ist schon lange über alle Berge und kümmert sich nicht. Ist er doch noch da, hat er sicherlich keine Arbeit, sitzt den ganzen Tag vor dem Computer und spielt irgendwelche sinnlosen Spiele oder surft. Beide haben ein simples Gemüt, sind bildungsfern und weit weg von einer Chance auf Besserung der Lebensumstände.  Die Stütze wird lieber in Zigaretten, Alkohol und Partys mit den Kumpels angelegt, als in die Kinder zu investieren. Zuwendung und Liebe wird man vergeblich suchen. Die Kinder laufen nur nebenher. Stören eigentlich. Und weil sie nun mal da sind, muss man sie halt irgendwie mit durchschleppen.

Hat ihr euch wiedererkannt? In den Vorurteilen? Denkt ihr manchmal auch so? Ihr müsst euch dafür nicht schämen. Das ist eine ganz normale Reaktion. Denn man sieht meist nur einen Bruchteil des ganzen Szenarios. Und wenn wir ehrlich sind nur das, was wir sehen wollen. Aber warum ist das so? Warum wollen wir nur das sehen? Warum hinterfragen wir nicht das Gesehene oder Erlebte? Haben wir Angst, dass sich unsere Vorurteile nicht bestätigen könnten? Das es doch anders ist als es scheint? Ich sage es euch. Wir haben Angst. Angst vor dem, was wir sehen und erleben könnten, wenn wir uns damit beschäftigen. Wenn wir sehen, was uns vielleicht auch mal ereilen könnte. Denn niemand ist davor gefeit, sozial abzustürzen. Es kann jeden treffen.

Ich habe mich auf die Suche nach den Hintergründen begeben. Denn ich wollte nicht nur mit ein paar Schuhen aushelfen, sondern gerne mehr tun. Die Geschichte hinter diesem Schicksal kennen lernen und verstehen. Als Elternsprecher im Kindergarten zählt dies für mich zu meinen Aufgaben. Nicht nur zu warten, das die Eltern auf mich zugehen, um mir ihr Leid zu klagen, sondern selbst auch aktiv an die Eltern heranzutreten und mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Und ich habe sie gefunden, die Eltern des kleinen Jason. Und ratet mal was passiert ist? Die haben sich gefreut, dass ich sie angesprochen habe, dass ich Interesse zeige und ihnen helfen möchte. Auch wenn sie selbst in diesem Moment keinen Weg für Hilfe sahen.

Wir setzten uns zusammen und sie erzählten mir ihre Geschichte. Eine Geschichte, die fast schon zu traurig ist, um sie hier zu schreiben. Aber vielleicht doch so gut, um anderen, die auch in solch einer Situation sind, ein wenig Mut zu machen und einen Weg aufzuzeigen, wie es weitergehen kann.