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Dieser Band enthält folgende Krimis von
Alfred Bekker:
Chinatown-Juwelen
Central Park Killer
Die programmierten Todesboten
Die nackte Mörderin
Maulwurfjagd
Caravaggio verschwindet
Stirb, McKee!
Schweigen ist silber, Rache ist Gold
Im Zeichen der Fliege
Killerpfeile
Mörderpost
Club der Mörder
Ein Killer in Marseille
Commissaire Marquanteur und die Profilerin
sowie Krimis von Alfred Bekker/Peter Haberl:
Commissaire Marquanteur hat plötzlich Schaum vor dem Mund
und von Henry Rohmer:
Alain Boulanger und das Pariser Phantom
Ein großer Mafia-Deal soll über die Bühne gebracht werden. Es geht um unvorstellbar große Summen - und unvorstellbar dreckige Geschäfte. Ein verdeckter Ermittler wurde eingeschleust und riskiert Kopf und Kragen. Als er auf einer Party des Syndikats-Bosses einem nackten Showgirl gegenübersteht, ahnt er nicht, dass er eine skrupellose Killerin vor sich hat...
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Die 16 Top Thriller der Krimi Saison 2024
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Chinatown-Juwelen
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Central Park Killer
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Die programmierten Todesboten
Die nackte Mörderin
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Maulwurfjagd
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Caravaggio verschwindet
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Stirb, McKee!
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Schweigen ist Silber, Rache ist Gold
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Im Zeichen der Fliege
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Killerpfeile
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Mörderpost
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Club der Mörder
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Ein Killer in Marseille
Commissaire Marquanteur und die Profilerin
Commissaire Marquanteur hat plötzlich Schaum vor dem Mund
Alain Boulanger und das Pariser Phantom
Dieser Band enthält folgende Krimis von
Alfred Bekker:
Chinatown-Juwelen
Central Park Killer
Die programmierten Todesboten
Die nackte Mörderin
Maulwurfjagd
Caravaggio verschwindet
Stirb, McKee!
Schweigen ist silber, Rache ist Gold
Im Zeichen der Fliege
Killerpfeile
Mörderpost
Club der Mörder
Ein Killer in Marseille
Commissaire Marquanteur und die Profilerin
sowie Krimis von Alfred Bekker/Peter Haberl:
Commissaire Marquanteur hat plötzlich Schaum vor dem Mund
und von Henry Rohmer:
Alain Boulanger und das Pariser Phantom
Ein großer Mafia-Deal soll über die Bühne gebracht werden. Es geht um unvorstellbar große Summen - und unvorstellbar dreckige Geschäfte. Ein verdeckter Ermittler wurde eingeschleust und riskiert Kopf und Kragen. Als er auf einer Party des Syndikats-Bosses einem nackten Showgirl gegenübersteht, ahnt er nicht, dass er eine skrupellose Killerin vor sich hat...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
Thriller von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Ebook entspricht 140 Taschenbuchseiten.
Eine Serie von Juwelendiebstählen hält die New Yorker Polizei in Atem. Die Täter sind ungewöhnlich brutal. Es gibt Todesopfer. Die Ermittler folgen der Blutspur nach Chinatown. Aber die mögliche Zeugen sterben wie die Fliegen...
Action Thriller von Henry Rohmer
HENRY ROHMER ist das Pseudonym von ALFRED BEKKER, der durch seine Fantasy-Romane und Jugendbücher einem großen Publikum bekannt wurde. Außerdem schrieb er an
Spannungserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair, Kommissar X u.a.m. mit.
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Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2015 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
Miles Beaumont schreckte auf, als er das Geräusch hörte.
Sein Blick glitt hoch. Er sah zur Uhr. Halb vier morgens.
Die Nacht war fast vorbei, und es war nicht die erste, die Beaumont in dem kleinen, schmucklos eingerichteten Büro durchgearbeitet hatte.
Er griff zu der Schublade seines Schreibtisches. Langsam zog er sie heraus. Dann fühlte er den kalten Griff eines 38er Revolvers. Er lauschte angestrengt.
Glas klirrte.
Schritte.
Dann öffnete jemand die Tür des Büros.
Beaumont hob die Waffe, spannte den Hahn.
Angstschweiß rann ihm in dicken Perlen die hohe Stirn hinunter. Sein Gesicht war zu einer grimmigen Maske verzerrt.
Seine Knöchel wurden weiß, als er den Druck auf den Abzug der Waffe verstärkte.
Draußen im Flur herrschte Dunkelheit. Das kurze Aufblitzen eines Mündungsfeuers sah Beaumont noch. Es folgte ein Geräusch, das wie ein schwaches Niesen oder der Schlag mit einer Zeitung klang. Plop machte es zweimal kurz hintereinander. Die erste Kugel traf Beaumont mitten in die Stirn und riss ihn nach hinten, die zweite in den Hals und zerfetzte ihm die Schlagader. Das Blut floss in Strömen. Seine Hand krallte sich um die Waffe. Ein Schuss löste sich aus dem 38er Revolver und ging ungezielt in die Decke.
Die Wucht der beiden Projektile, die ihn getroffen hatten, schleuderte Beaumont rückwärts. Er schlug mit starren Augen der Länge nach hin und und schrammte mit einem knarrenden Geräusch den Stuhl über den Parkettboden. Beaumonts Kopf schlug hinten gegen den Aktenschrank und der Hals wirkte seltsam verrenkt, als er schließlich reglos auf dem Boden lag. Die weißen Etiketten auf den schwarzen Aktendeckeln wurden dunkelrot.
Einen Augenblick lang herrschte Stille.
Die Stille des Todes.
Eine maskierte, schwarz gekleidete Gestalt schälte sich aus dem Dunkel des Flures heraus und betrat den Raum. Dort draußen war sie fast nicht zu sehen gewesen.
Der Maskierte ließ den Blick durch den Raum schweifen. In der Rechten hielt er eine Pistole mit langgezogenem Schalldämpfer. Die Hände waren von Handschuhen bedeckt.
Der Blick des Maskierten blieb auf der rechten Seite des Büros hängen.
"Hier sind die Safes", knurrte er. Seine Stimme klang unter der Sturmhaube dumpf. Seine Worte waren kaum verständlich.
Er wandte sich herum.
Ein zweiter und ein dritter Maskierter betraten den Raum.
Einer von ihnen trug eine Uzi-Maschinenpistole, der dritte eine Sporttasche.
"War das wirklich nötig?", fragte der Mann mit der Uzi an den Kerl mit der Pistole gewandt, nachdem er einen Blick auf Beaumonts Leiche geworfen hatte. Der Frager umrundete dabei den Schreibtisch. Das Blut war so hoch gespritzt, dass die Unterlagen, über denen Beaumont gebrütet hatte, jetzt rot gesprenkelt waren.
"Was sollte ich machen?", verteidigte sich der Kerl mit der Schalldämpfer-Waffe. "Er hat geschossen!"
"Ich spreche nicht von der Sauerei hier..."
"Ach, nein?"
"...sondern davon, dass du früher hättest abdrücken müssen, du Idiot! Bevor er noch den Finger krümmen und diesen Krach veranstalten konnte!"
"Haltet die Klappe!", brummte indessen der dritte Gangster.
Er hatte sich an einem der Safes zu schaffen gemacht. Er holte aus den Taschen seiner Lederjacke feines Spezialwerkzeug hervor. Er hatte geschickte Hände, die sich mit atemberaubender Geschwindigkeit und Präzision zu bewegen wussten.
"Wegen dem verdammten Schuss, wird sicher jemand die Polizei rufen. Lass uns auf die Safes verzichten", meinte der Uzi-Träger.
Seine Stimme klang nervös.
"Sei still!", erwiderte der Safe-Spezialist. Er arbeitete in aller Seelenruhe weiter. Wie ein Uhrwerk. "Ihr wisst genau, dass Beaumont seine besten Stücke nachts im Safe aufbewahrt und nicht im Geschäft!"
"Aber..."
"Wegen den paar Glitzersteinen aus den Auslagen bin ich nicht hier hergekommen."
Der Safe sprang auf.
Und dann wurde alles zusammengerafft, was der Stahlschrank enthielt. Es war keine Zeit, um wählerisch zu sein. Juwelen, Goldschmuck und Diamantringe landeten Dutzendweise in der Sporttasche.
"Jetzt den zweiten Schrank..."
"Bist du verrückt? Lass es gut sein!"
"Hör mal zu, wenn du die Hosen jetzt schon voll hast, dann kannst du ja gehen!"
Die Arbeit am zweiten Safe ging mit derselben Präzision vor sich wie es beim ersten der Fall gewesen war. Der Gangster ließ sich nicht in seiner Ruhe stören. Nicht die Spur von Nervosität war ihm anzumerken.
Er schien eiskalt zu sein.
Und dann war aus der Ferne ein Geräusch zu hören.
Ein durchdringender Laut, der sich mehr und mehr aus dem Straßenlärm der Riesenstadt New York heraushob.
Eine Polizeisirene!
"Verflucht!", brummte der Mann mit der Uzi. "Worauf wartet ihr noch? Die Cops..."
"Einen Augenblick", sagte der Mann am Safe. Er arbeitete in aller Seelenruhe weiter.
"Wir haben genug bekommen!"
Der Safe sprang auf.
"Los, jetzt! Die Tasche!"
Der Mann, der den Safe geöffnet hatte, raffte alles zusammen, was im Safe zu finden war.
Dann sprang er auf.
Sie verließen das Büro, gingen durch den dunklen Flur. Am Ende war eine Tür, die in den Verkaufsraum des Juweliergeschäftes führte. Die Auslagen waren zum Teil leer.
Die beste Stücke hatten sich im Safe befunden. Mit dem Kleinkram, der hier im Verkaufsraum zu finden war, gaben sich die Gangster nicht ab.
Sie gingen zur Tür.
Vor den Schaufenstern befand sich ein Stahlgitter. Das gleiche galt normalerweise für die Tür, doch dort war das Gitter hochgezogen. Für Profis wie sie war es keine Schwierigkeit gewesen, die Schlösser zu knacken. Und Alarmanlagen ließen sich außer Gefecht setzen.
Im Licht der Straßenbeleuchtung war eine um diese Zeit ziemlich einsame Seitenstraße zu sehen, auf der sich tagsüber aber die Passenten drängten. In dichter Folge gab es hier exklusive Geschäfte. Juweliere, Uhrmacher, Boutiquen, Herrenausstatter.
Eine feine Gegend.
Der Mann mit der Uzi öffnete die Tür und zögerte.
In diesem Moment schwoll die Polizeisirene geradezu ohrenbetäubend an. Ein Dienstwagen fuhr mit Blaulicht die Straße entlang. In der Ferne hörte man weitere Sirenen.
Offenbar rückten die Cops mit einem großen Aufgebot an.
Zwei Beamte in den dunkelblauen Uniformen des New York Police Departments sprangen aus dem Wagen. Der eine hielt seine Dienstpistole beidhändig im Anschlag, der andere ging mit einem Pump Action Gewehr in Deckung.
"Gehen wir hinten raus", meinte einer der Gangster.
"Zu spät!"
"Was schlägst du vor?"
"Augen zu und durch!"
Auf ein Klingelzeichen hin griff der Mann mit der Uzi in seine Jackentasche und holte ein Handy hervor.
Er setzte das Gerät ans Ohr.
"Was gibt's?", fragte einer der anderen, nachdem das Gespräch beendet war.
"Es geht los! Murray holt uns raus!"
Ein dunkler Lieferwagen brauste die Straße entlang. Die Cops blickten sich kurz an, während ihre Kollegen bereits um die Ecke bogen. Im selben Moment brachen die Männer, die an der Tür des Juweliergeschäfts gewartet hatten, aus.
Es blitzte hell auf, als mit der Uzi in Richtung der Cops gefeuert wurde.
Ein wahrer Geschosshagel, dem die beiden Beamten nichts entgegenzusetzen hatten. Sie duckten sich und feuerten zurück. Ein Schrei gellte durch die Nacht. Einen der Cops hatte es an der Schulter erwischt.
Er wurde herumgerissen und kam einen Moment lang hinter seiner Deckung zum Vorschein. Lange genug, um noch ein zweites Projektil abzubekommen, das ihm mitten in die Brust fuhr.
Der Lieferwagen hielt mit quietschenden Reifen. Eine Tür ging auf, die Maskierten sprangen hinein.
Der Mann mit der Uzi sprang als letzter. Er schoss sein Magazin leer und sorgte dafür, dass die gerade eintreffenden Einsatzkräfte des NYPD sich erst einmal hinter ihren Wagen ducken mussten. Die Reifen der heranbrausenden Polizeifahrzeuge platzten gleich im halben Dutzend. Mit Mühe nur konnten die Fahrer die Wagen unter Kontrolle bringen und anhalten. Blechschaden blieb nicht aus. Stoßstangen wurde eingedrückt, Scheinwerfer splitterten.
Dann ging ein Ruck durch den Mann mit der Uzi. Er stöhnte auf. Die Waffe entfiel seinen Händen und landete auf dem Asphalt, während der Lieferwagen losfuhr. Der Verletzte stöhnte auf. Er wurde in den Wagen gezogen. Und bevor sich die Tür schloß, wurde etwas herausgeschleudert, das etwa die Größe eines Straußeneis hatte.
Eine Handgranate.
Die Schüsse der Polizisten kratzten nur an der Außenhaut des Lieferwagens, der offenbar gepanzert war.
Eine Sekunde später erhellte eine gewaltige Explosion die Nacht. Todesschreie gellten. Es wurde hell und heiß, während Dutzende von Fensterscheiben in den umliegenden Gebäuden zu Bruch gingen.
Der Lieferwagen fuhr mit aufbrausendem Motor davon.
"Jesse Trevellian, FBI", murmelte ich, während ich dem uniformierten Polizisten meinen Dienstausweis vor die Nase hielt. Ich deutete neben mich. "Dies ist mein Kollege Milo Tucker."
Milo hob ebenfalls seinen Ausweis etwas an.
Wir hatten uns durch die Schaulustigen hindurchgedrängelt, die im Morgengrauen um den Eingang von Beaumonts Juweliergeschäft herumstanden und den Polizeikräften bei der Arbeit zusahen. Die wildesten Spekulationen schnappte ich unter den Passanten auf. Kein Wunder. Schließlich stand ein ausgebrannter Polizeiwagen am Straßenrand. Kreidemarkierungen zeigten an, dass es einen NYPD-Beamten tödlich erwischt hatte.
Die meisten waren wohl Angestellte der zahlreichen Geschäfte hier in der Gegend.
Als wir das Geschäft betraten, packten die Kollegen vom Erkennungsdienst gerade ihre Sachen ein. Sie hatten bereits ein paar Stunden intensiver Arbeit hinter sich. Und man konnte nur hoffen, dass etwas dabei herauskam.
Captain Thompson von der zuständigen Mordkommission kam durch eine Nebentür herein und begrüßte uns knapp.
"Hallo, Jesse, wie geht's?"
"Ich kann nicht klagen", erwiderte ich. "Und selber?"
Thompson machte eine wegwerfende Handbewegung. "Es ging mir gut, bis ich den Toten gesehen hatte... Er lag dort hinten in seinem Büro. Inzwischen hat ihn die Gerichtsmedizin abgeholt." Thompson schüttelte den Kopf. "Mein Gott, ich habe nun wirklich genug Dienstjahre auf dem Buckel, aber daran kann ich mich immer noch nicht gewöhnen."
"Das geht mir genauso", erwiderte ich.
Und Milo fragte: "Wer ist der Tote?"
"Miles Beaumont."
"Der Inhaber?", vergewisserte sich Milo.
Thompson nickte.
"Ja. Die Täter sind äußerst brutal und kompromisslos vorgegangen."
"Ich habe draußen den Dienstwagen gesehen..."
"Jesse, die haben sich mit unseren Leuten eine regelrechte Schlacht geliefert. Der Lieferwagen, mit dem sie geflohen sind, war vermutlich gepanzert..."
Ich nickte düster.
Dieser Einbruch gehörte aller Wahrscheinlichkeit zu einer ganzen Serie solcher Taten. Die Täter mussten ausgebuffte Profis sein, die sich auf Juweliergeschäfte an der Ostküste spezialisiert hatten. Es gab Fälle in New Jersey, Pennsylvania, Massachusetts, Connecticut und New York State.
Wir vermuteten, dass eine schlagkräftige kriminelle Organisation dahinterstand. Anders war es nicht vorstellbar, dass diese Mengen an gestohlenem Schmuck auch zu Geld gemacht werden konnten. Hehler waren dafür genauso vonnöten wie Finanzjongleure und Geldwäscher, die dafür sorgten, dass die Gewinne, die damit erzielt wurden, unauffällig in legale Anlagen flossen. Diese Umstände und die Tatsache, dass die Bande in verschiedenen Staaten aktiv war, brachte uns, den FBI ins Spiel.
"Die Alarmanlage haben die Kerle kurzgeschlossen. Die kannten sich damit aus", erläuterte Thompson. Er deutete auf die Auslagen. "Hier dürfte kaum etwas mitgenommen worden sein. Die wussten genau, was gut und teuer ist - und diese Stücke bewahrte Miles Beaumont immer in seinem Safe auf. Allerdings haben sie wohl nicht damit gerechnet, dass Beaumont hier die Nacht über arbeitete."
Wir folgten Thompson durch den dunklen Flur.
Dann erreichten wir das Büro. Ein schmuckloser Raum. Kein Fenster. Auf dem Schreibtisch lagen blutbespritzte Bilanzen, Quittungen, Belege. Es schien so, als wäre Miles Beaumont gerade dabeigewesen, seine Steuerunterlagen für das Finanzamt zu sortieren, als die Bande zuschlug.
"Was ist mit dem Wagen, mit dem die Gangster geflohen sind?", fragte ich.
Thompson zuckte die Schultern.
"Zwei Blocks weiter haben die Gangster eine Straßensperre durchbrochen und sich mit unseren Leuten eine Verfolgungsjagd geliefert. Leider sind sie entkommen. Der Wagen hatte kein Nummernschild. Wir wissen noch nicht einmal sicher das Fabrikat."
"Ist er umgebaut worden?"
"Vermutlich."
"Vielleicht lässt sich dadurch etwas herausfinden. Schließlich muss das ja irgendwer gemacht haben."
"Wenn wirklich eine große Organisation dahintersteckt, dann habe die ihre eigenen Leute dafür, Jesse", raunte Milo mir zu. "Was das betrifft, würde ich mir also nicht allzu viele Hoffnungen machen..."
Ich fürchtete, dass er recht hatte.
Thompson sah mich an und hob dabei die Augenbrauen. "Ihr stochert ganz schön im Nebel, was?"
"Kann man wohl sagen", brummte ich.
Ein Klingelgeräusch ertönte. Thompson griff zum Handy, das er in der Innentasche seines Jacketts trug.
"Hier Captain Thompson. Was gibt es?"
Ich registrierte den Ausdruck der Überraschung, der auf dem Gesicht des Captains erschien, während er seinem Gesprächspartner zuhörte. Dann klappte er das Gerät ein und sagte: "Es ist ein Wagen gefunden worden, der der Fluchtwagen sein könnte. Ein dunkler Transporter, an dem sich Kratzer befinden, die vielleicht von der Schießerei stammen könnten..."
"Wo?", fragte ich nur.
"23. Straße, auf dem Parkplatz hinter dem Greenaway-Building."
"Ich weiß, wo das ist", sagte Milo.
Zwanzig Minuten später hatten wir den Parkplatz erreicht. Ein Dutzend Police Officers riegelten das Gefährt ab. Und ein Team der Scientific Research Divison (SRD) machte sich bereits daran zu schaffen. Die SRD ist der zentrale Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeieinheiten, gleichgültig, ob sie zum NYPD, zur DEA oder der State Police gehören. Auch der FBI-District New York zieht die Spezialisten SRD häufig zu Rate, deren Zentrale in der Bronx liegt.
Ein SRD-Sergeant namens Cosgrove gab uns bereitwillig Auskunft.
"Zu hundert Prozent sind wir noch nicht sicher, dass das der Wagen ist, den Sie suchen", meinte er. "Einige Projektile sind im Panzerglas der Rückfront steckengeblieben. Wenn die Ballistiker herausfinden, ob diese Projektile aus den Waffen der Polizisten stammen, die heute Nacht vor Beaumonts Juwelierladen im Einsatz waren, hätten wir den Beweis."
"Ich hoffe, dass das einigermaßen schnell geht...", meinte Milo. "Es brennt uns nämlich sehr unter den Nägeln.
"Wir tun unser Bestes", erwiderte Cosgrove. "Aber das Kaliber kommt jedenfalls hin. Die Kugel stammen aus polizeiüblichen Waffen..."
"Na, das wäre schon mal was", meinte ich, während ich die Kratzspuren im Blech betrachtete, die gut und gerne von der Schießerei in der letzten Nacht stammen mochten.
"Im Innenraum haben wir Blutspuren gefunden", erklärte Cosgrove dann. "Und zwar ziemlich viel Blut. Wir können natürlich noch nicht sagen, ob es von einem oder von mehreren Menschen stammt. Aber diese Spuren sind noch nicht sehr alt."
"Sie könnten von letzter Nacht sein?", fragte ich.
Cosgrove nickte.
"Ja."
"Dann hat es einen der Gangster bei der Schießerei erwischt", stellte Milo fest. "Sämtliche Krankenhäuser und Ärzte müssen gewarnt werden."
Ich sah Milo zweifelnd an.
"Der wird uns nicht den Gefallen tun ein öffentliches Krankenhaus aufzusuchen."
Wir sahen uns das Innere des Lieferwagens an. Es war viel Blut dort. Also musste es um den Gangster nicht zum besten stehen. Cosgrove schätzte das auch so ein. "Der hält keinen halben Tag ohne Arzt durch!"
Ich fragte: "Haben Sie irgendwelche Spuren gefunden, die darauf hindeuten, wie die Kerle von hier verschwanden, nachdem sie den Wagen zurückließen?"
"Einen blutigen Fußabdruck, zwanzig Meter vom Wagen entfernt. Das ist alles. Entweder, sie wurden abgeholt oder sie haben sich ein Taxi gerufen oder sind einfach in die U-Bahnstation da hinten abgestiegen..."
"An die beiden letzten Möglichkeiten glaube ich nicht", erklärte ich.
"Wieso?", fragte Milo.
"Zu auffällig."
"Aber sie waren auf der Flucht, sie hatten kaum die Möglichkeit, jemanden telefonisch hier her zu bestellen..."
"Warum nicht?"
"Die Polizei war ihnen auf den Fersen. Hältst du es für wahrscheinlicher, dass sie mit dem Verletzten noch die U-Bahn benutzt haben?"
"Ich weiß nicht."
"Ein Taxifahrer hätte sich jedenfalls an sie erinnert."
"Sicherheitshalber sollten wir uns um die Aufzeichnungen der Video-Überwachungsanlage in der U-Bahn kümmern. Möglich, dass auf den Bändern jemand zu sehen ist, den wir auch in unserer Kartei haben..."
Oder ein paar Männer, die einen weiteren stützen mussten, damit er nicht zusammenbrach...
Miles Beaumonts Wohnung lag in der 5th Avenue. Eine traumhafte Etage, von der aus man fast bis zum Central Park blicken konnte und die beeindruckende Skyline von Manhattan vor sich hatte.
Mrs. Janice Beaumont war von den Kollegen der City Police natürlich längst über die Geschehnisse der vergangenen Nacht informiert worden. Ich war froh, dass sie Bescheid wusste und nicht wir die unangenehme Aufgabe zu erledigen hatten.
Janice schätze ich auf unter dreißig. Sie war damit um einiges jünger als ihr ermordeter Mann. Als sie uns die Tür öffnete, schaute sie uns mit tränenverschmiertem Make-up an.
Es ist immer schwer, in so einer Situation die richtigen Worte zu finden.
Sie bat uns herein, nachdem sie sich unsere Ausweise flüchtig angesehen hatte. Sie wirkte wie jemand, der noch völlig unter dem Schock stand, den die Nachricht vom Tod ihres Mannes in ihr ausgelöst haben musste.
"Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen, Mrs. Beaumont."
"Tun Sie das. Ich würde Ihnen gerne helfen, wenn ich kann."
"Das ist gut", sagte ich.
"Wollen Sie einen Kaffee?"
"Nein, danke." Milo schüttelte ebenfalls den Kopf. Ich fuhr fort: "Der Einbruch fand so gegen halb vier in der Nacht statt..."
"Ja, so sagte man mir."
"Ihr Mann war noch bei der Arbeit..."
Sie atmete tief durch. "Das Finanzamt ist unerbittlich, Mister..."
"Trevellian", erinnerte ich sie, obwohl ich mich natürlich vorgestellt hatte. Aber im Moment hatte sie den Kopf offenbar mit anderen Dingen voll. Dingen, die ihr wesentlicher erscheinen mussten, als der Name eines Special Agent des FBI.
"Es kam öfter vor, dass Miles die Nacht im Büro verbracht hat. Er sagte immer, dass er dann die nötige Ruhe hätte, um sich auf die Bücher zu konzentrieren... Ich habe dann tagsüber den Laden geführt..."
"Sie kennen sich also in der Branche aus", stellte ich fest.
"Ja.
"Ich nehme an, es existiert eine Inventarliste, anhand der festgestellt werden kann, was fehlt."
"Natürlich."
"Gibt es Fotos von allen Stücken?"
"Ja. Ich weiß, dass im Safe einige sehr auffällige Unikate waren. Natürlich kann man die Steine herausbrechen und neu verwenden, aber selbst dann müssten sie auffallen, wenn etwas davon irgendwo verkauft wird."
Ich fragte: "Mrs. Beaumont, ist Ihnen in letzter Zeit irgendetwas Verdächtiges aufgefallen? Etwas, das Ihnen ungewöhnlich erschien."
Sie schluckte und ließ sich in einen der tiefen Sessel sinken.
"Was meinen Sie damit?"
"Es scheint, als ob die Täter sehr gut informiert waren. Über das Geschäft, über die Sicherheitsmaßnahmen, die Alarmanlage... Möglicherweise ist das Geschäft beobachtet worden..."
"Mir ist nichts aufgefallen."
"Vielleicht ein Kunde, der sich seltsam verhielt."
"Nein."
"Wer wusste - außer Ihnen - dass die wertvollsten Stücke im Büro lagerten?"
"Das ist nichts besonderes. Das machen viele Juweliere so." Sie zuckte die Achseln. "Außer meinem Mann und ich wussten natürlich alle Angestellten davon."
Sie atmete tief durch und sah mich dann sehr ernst an.
"Ich habe meinen Mann sehr geliebt", sagte sie dann mit leiser, brüchiger Stimme. "Ich hoffe nur, dass Sie die Mörder kriegen!"
"Ich kann Ihnen nur versprechen, da wir alles versuchen werden", erklärte ich nach einer kurzen Pause.
Es war Nachmittag, als wir im Büro von Mister Jonathan D. McKee saßen, dem Chef des FBI-Districts New York im Rang eines Special Agent in Charge.
Außer Milo und mir waren noch die FBI-Agenten Clive Caravaggio und Orry Medina anwesend, sowie Mark L. Ditrick, den uns die Zentrale in Washington geschickt hatte.
Ditrick war der Bande schon seit längerem auf der Spur.
Bislang erfolglos.
Aber natürlich waren seine bisherigen Ermittlungen für uns sehr wertvoll.
Der Raum war abgedunkelt. Mit einem Projektor wurden Abbildungen und Dokumente an eine Leinwand projiziert.
Ditrick erläuterte uns seine bisherigen Erkenntnisse zu dem Fall.
"Die Überfälle fanden in einem Radius von etwa 200 Meilen um New York City herum statt."
"Das muss nicht notwendigerweise heißen, dass diese Organisation vom Big Apple aus operiert", gab Mister McKee zu bedenken. Im Schein des Projektors sah ich, wie Orry Medina nickte.
"Das ist richtig", meinte auch Ditrick. "Allerdings funktioniert so etwas nur, wenn man die nötigen Hehler im Hintergrund hat, um den Schmuck zu Geld zu machen. Und das ist nicht so einfach. Da müssen Leute mit Verbindungen dahinterstecken, die dafür sorgen, dass nicht gleich Alarm geschrien wird, wenn so ein Stück irgendwo auftaucht... Leute, die es sich leisten können, Juwelen einfach ein paar Jahre im Tresor liegen zu lassen, bis genügend Gras darüber gewachsen ist... Das müssen die Abnehmer sein!"
"Bis jetzt halten sich unsere Informanten in der Hehler-Szene äußerst bedeckt", stellte Clive Caravaggio klar.
Er war zwar ein waschechter Italoamerikaner, aber das sah man dem flachsblonden Mann nicht an. In seiner Ahnenreihe hätte man eher einige Skandinavier vermutet. "Unsere Ermittlungen in dieser Hinsicht laufen auf Hochtouren, aber entweder wir liegen völlig falsch mit unseren Vermutungen oder es ist eine Methode erfunden worden, solche Transaktionen völlig geräuschlos über die Bühne gehen zu lassen."
"Ich schlage vor, wir arbeiten uns erst einmal durch die zahlreichen Aussagen, die die City Police aufgenommen hat. Zeugen aus benachbarten Wohnungen, die Angestellten von Beaumont und so weiter. Nicht zu vergessen die Video-Bänder aus der U-Bahnstation."
"Listen mit Beschreibungen und Photos der gestohlenen Stücke liegen bereits vor", erklärte Milo. "Mister Beaumont scheint in diesem Punkt gut für den Fall der Fälle vorgesorgt zu haben..."
Mister McKee nickte zufrieden.
"Gut", meinte er. "Dann kann auch was das angeht die Fahndung beginnen."
Mister McKee wandte sich an Ditrick. "Wenn Sie jetzt bitte fortfahren würden..."
"Natürlich, Sir."
Ditrick legte eine Folie auf, die eine Landkarte zeigte.
Auf dem Ausschnitt war der Nordosten der USA zu sehen. "Hier sehen Sie... In den markierten Orten haben die Gangster bereits zugeschlagen. In manchen sogar mehrfach. Es muss ein ausgesprochener Spezialist für Safes unter diesen Leuten sein. Entweder sie heuern immer wieder verschiedene Spezialisten dafür an, oder es gibt tatsächlich jemanden, der sich mit sehr unterschiedlichen Safes hervorragend auszukennen scheint. Die Safes wurden stets sauber geknackt. Kein Sprengstoff, nichts, was Krach macht..."
"Solche Spezialisten dürften nicht allzu häufig zu finden sein", meinte ich. "Vielleicht jemand, der mal bei einem Schlüsseldienst beschäftigt war..."
"Unsere Innendienstler haben uns eine Liste von Personen vorbereitet, die in Frage kommen und einschlägig vorbestraft sind", warf Mister McKee ein.
In diesem Moment öffnete sich die Tür.
Mandy kam mit einem Tablett herein, auf dem sich einige dampfende Pappbecher befanden. Mandy war Mister McKees Sekretärin, und ihr Kaffee war im gesamten Bundesgebäude an der Federal Plaza berühmt.
Ditrick zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen, aber alle anderen waren ganz froh über die kleine Unterbrechung.
Der Raum war kahl und schmucklos. Die Wände aus nacktem Beton. Auf dem Tisch lagen fein säuberlich sortiert Juwelen, diamantbesetzte Ringe, Colliers... Sie glitzerten im Licht der einzigen Glühbirne, die für etwas Helligkeit sorgte.
Die drei Männer im Raum schwiegen, während aus dem Nachbarzimmer ein Stöhnen drang.
"Was machen wir mit ihm?", fragte der Mann, der hinter dem Tisch saß. Er hatte ein kantiges Gesicht und große Hände. Die Pistole trug er in einem Schulterholster. Den Schalldämpfer hatte er abgeschraubt.
"Wir müssen zum Arzt", sagte einer der beiden anderen. Ein dunkler Lockenkopf.
"Red keinen Unsinn, Murray", erwiderte der Mann mit der Pistole.
"Was sollen wir denn sonst tun, Jim? Er hat Schmerzen."
"Ich weiß", sagte Jim.
"Und wenn wir nicht bald etwas tun, dann stirbt er! Mein Gott, das sieht doch ein Blinder!" Murray machte ein verzweifeltes Gesicht.
Der dritte Mann im Raum hatte noch gar nichts gesagt. Er lehnte mit verschränkten Armen an der Wand und rieb sich die Augen.
"Jetzt sag du mal was, Arnie! Schließlich ist das alles nur passiert, weil du unbedingt noch den Safe ausräumen musstest."
"Ach, hätten wir besser abziehen sollen, ohne etwas vernünftiges in der Tasche zu haben?", erwiderte Arnie. Seine Stimme klirrte wie Eis. Er war ruhig und beherrscht.
"Schlimmer, als es jetzt ist, konnte es doch kaum noch kommen", erwiderte Murray.
Arnie öffnete seine dunkle Lederjacke. Eine Automatic kam zum Vorschein. Er trug sie in einem Futteral am Gürtel. Er zog die Waffe heraus, wog sie kurz in der Hand und holte dann einen Schalldämpfer aus der Seitentasche. Sorgfältig schraubte er ihn auf.
"Was hast du vor, Arnie?"
"Wir sollten Bob nicht länger leiden lassen. Das ist meine Meinung", sagte er dann so kalt und sachlich, dass die anderen einen Augenblick wie erstarrt wirkten.
"Du willst ihn umbringen?", stellte Murray fest.
Arnie trat auf ihn zu und hielt ihm die Waffe hin.
"Einer muss es tun!"
"Aber nicht ich!"
Arnie grinste schief. "Wir können ihn nicht mehr retten. Zumindest nicht, ohne in Gefahr zu geraten. " Dann ging er an ihnen vorbei, musterte sie noch einmal kurz und ließ ein wölfisches Grinsen um seine Mundwinkel herum erscheinen.
Dann betrat er den Nebenraum.
An den kahlen Betonwänden gab es einige Schmierereien.
Der Verletzte lag auf einer Pritsche.
Mit glasigen Augen blickte er Arnie an. "Was hast du vor, Arnie...Habt ihr einen Arzt gefunden?"
"Nein."
"Aber... Ihr habt doch versprochen, dass..."
"Tut mir leid, Bob. Es geht nicht anders..."
Arnie hob die Waffe, zielte aus nächster Nähe.
Er drückte ab und traf direkt in das rechte Auge. Bob war sofort tot, als ihn das Projektil förmlich auf die Pritsche nagelte. Das Projektil trat auf der andere Seite des Schädels wieder aus.
Arnie wandte das Gesicht ab.
Friede seiner Seele!, dachte er und dann bekreuzigte er sich, so wie er es vor unendlich langer Zeit einmal gelernt hatte. Inzwischen war nichts weiter als eine Marotte von ihm.
Arnie drehte sich herum.
"Das Problem existiert nicht mehr", erklärte er in Richtung der anderen.
Büroarbeit ist heute vornehmlich Computerarbeit. Milo und ich saßen in unserem gemeinsamen Dienstzimmer und sahen uns die Dutzenden von Zeugenaussagen an, die die City Police zu Protokoll genommen hatte. Aufgrund der Umstände waren die Angaben natürlich nicht sehr aufschlussreich. Die Täter waren maskiert und hatten Handschuhe getragen. Das bedeutete, dass es auch keine Fingerabdrücke gab.
Immerhin gab es Blutspuren, die für einen DNA-Test verwendet werden würden. Aber die Wahrscheinlichkeit war sehr gering, dass wir jemanden in unseren Dateien hatten, der bei einem ähnlichen Delikt schon einmal irgendeine Körperflüssigkeit hinterlassen hatte. Speichelreste in einer Zigarettenkippe genügten. Aber dazu waren die Täter, mit denen wir es gegenwärtig zu tun hatten, einfach zu professionell.
Immerhin ließ sich jetzt auf Grund der Erkenntnisse der Spurensicherer einigermaßen rekonstruieren, was am Tatort geschehen war.
Die Täter waren in den Laden gelangt, hatten sich aber gar nicht erst mit den Auslagen beschäftigt, da ihnen klar war, dass die wirklich guten Stücke im Büro zu finden waren.
Dort hatte Beaumont zur Pistole gegriffen.
Mit seinen eiskalten Gegnern hatte er es natürlich nicht aufnehmen können. Sie hatten geräuschlos getötet, wie man es von Profis erwartet. Die Tatsache, dass sie eine Waffe mit Schalldämpfer mitgeführt hatten, belegte, dass sie eine derartige Entwicklung durchaus einkalkuliert hatten.
Aber Beaumont war noch zu einem Schuss gekommen. Ein Schuss, der zwar nicht getroffen, aber eine Menge Lärm gemacht hatte.
Das hatte den Gangstern einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Beinahe jedenfalls.
"Was müssen das für abgebrühte Kerle gewesen sein", meinte Milo. "Beaumont wurde hinter dem Schreibtisch gefunden. Er saß also dort, als die Gangster den Raum betraten. Daher ist anzunehmen, dass Beaumont getötet wurde, bevor sie sich an den Safe heranmachten..."
Ich nickte.
"Das sehe ich auch so."
"Verstehst du, worauf ich hinaus will, Jesse? Denen muss doch klar gewesen sein, dass bald die Hölle für sie losbricht, nachdem Beaumont geschossen hatte! Irgendjemand unter den Nachbarn würde die Polizei verständigen... Und dennoch haben sie an aller Ruhe die Safes ausgeräumt."
"Eine bemerkenswerte Kaltblütigkeit!"
Milo hob die Augenbrauen.
"Inzwischen dürfte sie ja auch genug Routine haben..."
"Wie viel Zeit ist zwischen dem Schuss und dem Eintreffen dem Polizei vergangen?", fragte ich.
"Minuten", erwiderte Milo.
"Und in dieser Zeit haben sie zwei Safes geknackt, die immerhin der mittleren bis gehobenen Preisklasse angehören... Zwei Stahlschränke, die darüber hinaus noch unterschiedlicher Bauart waren!" Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich in meinem Drehstuhl etwas zurück. Ich starrte nachdenklich auf den flimmernden Bildschirm, auf dem gerade das Logo von NYSIS zu sehen war, dem zentralen Datenverarbeitungssystem, über das wir mit den Dateien aller anderen New Yorker Polizeieinheiten verbunden waren. Informationen konnten so innerhalb von Sekunden abgefragt und ausgetauscht werden.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Anfänger war", meinte ich. "Dieser Safe-Spezialist muss es schon vorher einmal probiert haben! Ich kann mir das einfach nicht anders vorstellen..."
Wir gingen die Namensliste durch, die man uns gegeben hatte und ließen uns die entsprechenden Daten über NYSIS auf den Schirm holen. Alle diejenigen, die gegenwärtig die Knäste des Bundesstaates New York bevölkerten, schieden natürlich aus.
Andere schienen untergetaucht oder verzogen zu sein. Es blieb ein Rest von Männern, deren Alibi zu kontrollieren sich vielleicht lohnen konnte.
Das war unsere Aufgabe, währen Caravaggio und Medina sich um die Hehler-Szene kümmerten.
Irgendjemand musste die Beute ja ankaufen.
Und es war einfach schwer vorstellbar, dass sich so ein Deal nicht irgendwie herumsprach.
Dass niemand mit uns darüber reden wollte, konnte natürlich einleuchtende Gründe haben. Wenn wirklich ein großer Hai dahintersteckte und die Fäden im Hintergrund zog, war es vielleicht pure Angst, einfach zerquetscht zu werden wie ein lästiges Insekt.
Was waren dagegen schon die paar lumpigen Dollar, die wir unseren Informanten zahlen konnten? Im Zweifelsfall war denen das Hemd auch näher als die Hose.
Am Abend machten Milo und ich einen Abstecher in Carlo's Restaurant an der Mott Street. Wir waren nicht des guten italienischen Essens wegen gekommen, sondern weil der Besitzer auf unserer Safeknacker-Liste stand.
Arnold Primo war in seinen besten Zeiten Magic Primo genannt worden. Darin klang der ganze Respekt der Branche für das mit, was dieser Mann vollbracht hatte. Bei einem Einbruch in eine kleine Privatbank war er allerdings gefasst worden, kurz nachdem er es geschafft hatte, den Haupttresor zu öffnen. Fünfzehn Jahre hatte er dafür bekommen und nach elf Jahren hatte man ihn wegen guter Führung entlassen. Wer die Geldgeber für das Restaurant gewesen waren, wusste niemand.
Vermutlich dubiose Mafiakreise, die sich hin und wieder 'Magic' Primos besonderer Fähigkeiten bedienten, was das Öffnen von Safes anging.
Aber man konnte Primo nichts mehr nachweisen.
Er hatte es in die Kreise der Gentleman-Gangster geschafft.
Seine Strafe hatte er abgesessen und nun war er ein ehrenwerter Bürger der Stadt. Die gepfefferten Preise in seinem Restaurant sorgten dafür, dass sich hier nur die Gutbetuchten trafen. Natürlich herrschte Krawattenzwang, aber im Grunde galt hier jeder, der keinen dreiteiligen Anzug trug, als unzureichend angezogen.
Wir betraten Carlo's Restaurant und sahen uns um. In einem großen Aquarium tummelten sich riesige Hummer, die man frisch zubereitet auf dem Teller wiedersehen konnte, wenn man Appetit darauf hatte.
Und die Fähigkeit, sie richtig zu essen.
Arnold 'Magic' Primo trug einen grauen Zweireiher und musterte uns mit Stirnrunzeln. Ich erkannte ihn sofort von den Fahndungsfotos her, die in unseren Computerdateien zu finden gewesen waren. Primo hatte uns jedoch garantiert noch nie gesehen. Aber irgendwie schien er einen sechsten Sinn für Polizisten zu haben.
Unterhalb seines linken Auges zuckte nervös ein Muskel. Er kratzte sich an seinem kantigen Kinn.
Wir traten auf ihn zu und hielten ihm unsere Ausweise unter die Nase.
"Ich bin Special Agent Jesse Trevellian vom FBI, die ist mein Kollege Milo Tucker..."
"Nein, ich habe es geahnt! Immer, wenn was passiert, kommt ihr Brüder wieder bei mir vorbei!", schimpfte Primo.
"Mister Primo, wir wollen kein Aufsehen. Wir wollen uns einfach nur ein bisschen mit Ihnen unterhalten", sagte Milo sachlich. "Haben Sie hier einen Raum, wo das möglich ist?"
Primo nickte.
"Folgen Sie mir."
Der Restaurantbesitzer blickte sich um. Noch waren nicht sehr viele Gäste in Carlo's Restaurant.
Dann führte Primo uns in ein großzügig angelegtes Büro und bot uns einen Platz an.
"Ich hoffe, Sie haben nicht vor, meinen guten Ruf zu ruinieren!"
"Nein, das beabsichtigt niemand von uns", erwiderte ich.
"Warum heißt Ihr Laden eigentlich Carlo's Restaurant? Sie heißen doch Arnold!"
Primo zuckte die Schultern. "Es hieß schon so, als ich es kaufte", erwiderte er. "Warum einen guten Namen ändern. Aber deswegen sind Sie nicht hier..."
"Nein, das ist wahr."
"Es geht um die Beaumont-Sache, oder?"
Ich hob die Augenbrauen.
"Sie sind gut informiert!"
"Sehen Sie nicht fern, G-man?"
"Selten. Dazu machen wir zu viele Überstunden!"
"Was Sie nicht sagen! Jedenfalls haben alle lokalen Sender ausführlich darüber berichtet."
"Nun, Mister Primo, dann können Sie sich unsere Frage an Sie sicher denken."
"Sie wollen ein Alibi!"
"Es wäre nicht schlecht, wenn Sie eins hätten."
Primo lachte heiser. "Es ist doch immer dasselbe. Da hat man seine Strafe abgebüßt und trotzdem kommen die Cops stets als erstes zu mir, wenn irgendwo ein Schloss geknackt wird! Das ist doch verrückt!"
"In Beaumonts Laden ist ein Spezialist am Werk gewesen, der innerhalb weniger Minuten zwei Safes öffnen konnte, die nicht gerade zu den rückständigsten Modellen gehören."
"Nun, dann können Sie mich ja gleich wieder von Ihrer Liste streichen."
"Wieso?"
"Ich bin seit Jahren aus der Übung. Und so gut war ich selbst zu meiner aktiven Zeit nicht."
"Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Mister Primo!"
"Ach, Sie können das beurteilen, ja?"
"Wo waren Sie heute Nacht, so gegen halb vier?"
Arnold Primos Züge versteinerten.
"In meinem Bett. Ich habe geschlafen."
"Das kann nicht zufällig jemand bezeugen?"
"Nein, zufällig nicht", erwiderte Primo. Seine Stimme klirrte wie Eis. "Aber ist das allein schon strafbar? Dass man wie Millionen anderer New Yorker nachts in seinem Bett liegt und schläft?"
"Natürlich nicht..."
"Freut mich zu hören, G-man!"
Ich sah Primo scharf an. Er versuchte, meinem Blick auszuweichen.
Vielleicht war es die Wahrheit, was er sagte.
Vielleicht auch nicht. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Aber für den Fall, dass er doch etwas mit der Sache zu tun hatte, wollte ich ihm eine Brücke bauen.
"Hören Sie mir gut zu, Mister Primo. Bei dem Überfall ist ein Polizist getötet worden. Außerdem Miles Beaumont, der Besitzer des Juwelierladens. Einige weitere Kollegen von der City Police haben Verletzungen davongetragen. Für Mord kann man im Staat New York seit einigen Jahren wieder die Todesstrafe bekommen..."
Primo verzog das Gesicht.
Er entblößte die Zähne wie ein Wolf.
"Warum erzählen Sie mir das? Wenn ich juristische Nachhilfe brauche, hole ich sie mir lieber von einem Fachmann, Trevellian!"
"Ich wollte damit sagen, dass der, der die Safes geknackt hat, ja möglicherweise nicht derselbe ist, der die Morde beging..."
Primo lachte heiser.
"Sie suchen einen Kronzeugen?"
"Warum nicht?"
"Sie sind bei mir leider an der falsche Adresse, Mister Trevellian..."
Ich legte ihm meine Karte auf den Schreibtisch.
"Falls Sie Ihre Meinung ändern..."
"Keine Chance!"
"Schlafen Sie mal darüber!"
"Leben Sie wohl, G-man! Ich habe zu tun! Falls Sie heute italienisch essen wollen, so füllen Sie Ihren Magen doch bitte in der nächsten Snack Bar. Für Carlo's Restaurant sind Ihre Kaufhaus-Anzüge einfach nicht fein genug!"
In diesem Moment klingelte Milos Handy. Er griff in die Jackentasche und nahm den Apparat ans Ohr.
"Hier Tucker, was gibt es?"
Milo hörte angestrengt zu und sagte dreimal hintereinander ein knappes "Ja!", bevor er das Gerät wieder zuklappte.
Dann wandte er sich an mich.
"Lass uns gehen, Jesse."
Ich sah Arnold Primo an, dass er mindestens so sehr darauf brannte, den Inhalt des Gesprächs zu erfahren, wie ich.
Mein Sportwagen stand ein paar Minuten von Carlos Restaurant entfernt. Dämmerung hatte sich über New York gelegt. Milo und ich gingen die Mott Street in nördliche Richtung.
"Wohin geht die Reise jetzt, Milo?", fragte ich.
Milo grinste.
"In die 130. Straße - Bronx."
"Keine feine Gegend."
"In einem leerstehenden Haus wurde eine Leiche gefunden, die vielleicht unser Mann ist..."
"Der verletzte Einbrecher?"
"Sicher wissen wir das erst, wenn wir die Ergebnisse des DNA-Tests bei den Blutspuren haben. Aber die Kollegen von der dortigen Homicide Division meinen, dass das vermutlich unser Mann ist. Wahrscheinlichkeit sechzig zu vierzig..."
"Na, immerhin. Im Moment ist uns doch jeder Strohhalm recht."
Wir erreichten den Sportwagen. Ich setzte mich ans Steuer, Milo nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
Ich griff nach dem Blaulicht und setzte es auf das Dach. Es konnte nicht schaden, wenn wir etwas schneller in der Bronx waren.
Ein Pulk von Einsatzfahrzeugen stand vor dem kahlen Betonklotz, der ursprünglich mal einer Kaufhauskette gehört hatte. Aber das war in besseren Zeiten gewesen. Jetzt war es eine Ruine, die langsam vor sich hinschimmelte. Selbst die Abrisskosten schienen den Eigentümern zu hoch zu sein.
Die uniformierten Beamten, die den Tatort abschirmten, ließen uns passieren. Wir folgten zwei Männern von der Gerichtsmedizin, die einen Zinksarg schleppten. Ihr Ziel war auch das unsere.
Lieutenant Ellison von der zuständigen Mordkommission begrüßte uns und führte uns zu einem Mann, der ausgestreckt auf einer Pritsche lag. Ein Arzt machte sich an dem Toten zu schaffen.
Erkennungsdienstler waren überall mit Latexhandschuhen bei der Arbeit, und bemühten sich noch um die kleinsten Spuren.
Die Leiche sah furchtbar aus.
Der Arzt hieß Gwenders. Ich kannte ihn. Er arbeitete für die Gerichtsmedizin, und ich war ihm schon an verschiedenen Tatorten begegnet.
Er grüßte nur knapp.
"Hallo, Jesse. Dieser Mann hat eine Kugel im Oberkörper und eine im Kopf. Die Kugel unterhalb der Schulter habe ich herausgeholt. Es ist ein polizeiübliches Kaliber..."
Ich nickte.
"Unsere Ballistiker werde schon herausfinden, ob es aus einer der Waffen stammt, die in der letzten Nacht benutzt wurden."
Dr. Gwenders fuhr fort: "Die Wunde hat sich offenbar entzündet und nach den äußeren Anzeichen könnte sie tatsächlich letzte Nacht entstanden sein."
"Was ist mit der zweiten Wunde?"
"Die muss ihm später beigebracht worden sein. Und zwar hier, in diesem Raum. Das Projektil steckte im Fußboden. Es durchschlug Auge, Gehirn und hintere Schädeldecke. Die Verbrennungen im Gesicht lassen darauf schließen, dass der Schuss aus nächster Nähe abgegeben wurde."
"Eine Hinrichtung", meinte Lieutenant Ellison.
"Oder ein Gnadenschuss", warf ich ein. "Vorausgesetzt, er ist unser Mann..."
"Hat er Papiere bei sich?", fragte Milo.
Ellison schüttelte den Kopf. "Nein. So schlau sind die Täter gewesen, dass sie die mitgenommen haben.
Ich deutete auf die Füße.
"Haben Sie was dagegen, wenn ich den linken Schuh mitnehme?"
"Natürlich nicht. Wieso?"
"Wir haben einen Fußabdruck."
"Verstehe..."
Ich warf einen letzten Blick auf das zerstörte Gesicht des Toten. Vermutlich würde es der Gerichtsmediziner erst rekonstruieren müssen, bevor wir ein Fahndungsfoto davon machen konnten.
Ich war mir ziemlich sicher, dass das einer unserer Männer war.
Mein Instinkt sagte es mir - und der irrte sich selten.
Wer solche Komplizen hat, braucht keine Feinde mehr, dachte ich angewidert. Die Täter, mit denen wir es zu tun hatten, gingen rücksichtslos über Leichen. Selbst dann, wenn es die ihrer eigenen Leute waren. Mit der fast sympathischen Sorte des Gentleman-Juwelendiebs, wie sie Cary Grant in Hitchcock's Über den Dächern von Nizza verkörperte, hatte diese Bande nicht das geringste gemein.
Derselbe Abend, eine andere Straße.
Clive Caravaggio fuhr den Dienstwagen langsam die Elizabeth Street entlang. Es handelte sich um einen nicht mehr ganz taufrischen Chevy aus dem Fuhrpark unserer Fahrbereitschaft.
Ein unauffälliger Wagen, der kein Aufsehen erregte. Orry Medina, sein Partner, saß auf dem Beifahrersitz und blickte angestrengt hinaus.
"Da ist es!", sagte er dann plötzlich und deutete auf eine Reihe von insgesamt drei Telefonzellen.
Orry blickte auf die Uhr.
"Gerade noch geschafft. Du hast noch zwei Minuten, bis es da an einem der Fernsprecher klingelt..."
Ein anonymer Anrufer hatte sich in der FBI-Zentrale des Districts New York gemeldet. Ein Sprecher mit verstellter Stimme wollte unbedingt Clive Caravaggio sprechen.
Es ginge um Juwelen, die in jüngster Zeit verschwunden seien.
Beaumonts Juwelen.
Wichtigtuer oder brandheiße Spur, das war in solchen Fällen immer die Frage. Im Zweifel gingen wir dann jeder, noch so vagen Spur nach.
Der Anrufer hatte das Gespräch schnell beendet und gefordert, Caravaggio sollte zu einer bestimmten Telefonzelle in der Elizabeth Street in Little Italy kommen. Dort werde er angerufen.
"Und du hast wirklich keine Ahnung, wer das war?", fragte Orry, der indianischer Abstammung war und als bestangezogendster G-man des Districts galt.
Clive schüttelte den Kopf.
"Nein."
"Aber er kennt dich vermutlich."
"Kann sein, Orry."
"Ich frage mich, was das ganze Affentheater soll. Warum bestellt er uns hier her?"
"Weil er nicht will, dass das Gespräch aufgezeichnet wird", erwiderte Caravaggio.
"Und woher weiß er, dass wir das hier nicht tun?"
"Die Zeit ist zu kurz, der Aufwand zu groß. Er kennt sich offenbar aus, Orry."
Caravaggio schaute auf die Uhr. Dann stieg er aus. Orry ebenfalls. Aber Caravaggio schüttelte den Kopf.
"Er will mit mir sprechen, Orry... Und vermutlich ist er irgendwo in der Nähe und beobachtet, was wir tun..."
Orry zuckte die Achseln.
"Wie du meinst."
Ein kurzer Griff ging unwillkürlich zu der Sig Sauer P226, die er im Gürtelholster stecken hatte.
Caravaggio ging zu den Telefonen.
Dann klingelte es. Caravaggio nahm ab.
"Ich bin's. Caravaggio."
"Sie suchen Juwelen, nicht wahr?"
"Wir sprachen schon darüber."
"Ich weiß, wo welche aufgetaucht sind..."
"Ach, ja?"
"Sie sind mir zum Kauf angeboten worden."
"Nennen Sie Ross und Reiter!", forderte Caravaggio. "Woher soll ich wissen, ob Sie nicht nur ein Schwätzer sind..."
"Können Sie für meine Sicherheit garantieren?"
"Wer sind Sie?"
Eine Pause entstand.
"Ich riskiere mein Leben."
"Sie werden einen guten Grund dafür haben", erwiderte Caravaggio kühl. In Gedanken ging er die in der Hehler-Szene bekannten Figuren durch und fragte sich, wen er an der anderen Seite der Leitung hatte.
"Sie müssen mir garantieren, dass der Mann, um den es geht, hopsgenommen wird!"
"Hören Sie..."
"Ich muss jetzt Schluss machen, Mister Caravaggio. Schicken Sie morgen einen Mann in Gentry's Coffee Shop in der 32.Straße. Zehn Uhr. Aber kommen Sie nicht selbst. Und auch nicht Ihr Kollege Medina."
"Warum nicht?"
"Wir haben gemeinsame Bekannte."
"Verstehe."
Das Gespräch brach ab.
Am nächsten Morgen hatten wir eine kurze Unterredung in Mister McKees Büro. Inzwischen stand fest fest, dass der Tote einer der Gangster war. Die Kugel im Oberkörper stammte aus einer der Waffen, die von den City Police-Beamten benutzt worden waren. Der Schuhabdruck passte zu dem, den wir gefunden hatten. Der DNA-Test würde noch einige Zeit auf sich warten lassen, aber der konnte unsere Ergebnisse eigentlich nur noch bestätigen.
Wer der Kerl allerdings war, wussten wir durch eine Fingerprint-Abfrage. Er hieß Robert "Bob" McKenzie und hatte eine ganze Latte von Vorstrafen aufzuweisen.
Das der Beaumont-Überfall zu unserer Serie gehörte, stand nun auch zweifelsfrei fest. Mit der Maschinenpistole, mit der der Police Officer ermordet worden war, war bereits bei zwei anderen Überfällen geschossen worden. In einem Fall hatte es dabei einen toten Wachmann gegeben.
Robert McKenzie - die Identität eines der Gangster war immerhin ein Anhaltspunkt.
Max Carter, ein Innendienstler aus unserer Fahndungsabteilung legte uns gleich ein kleines Dossier über McKenzie vor. Alles, was sich per Datenfernleitung auf die Schirme unserer Computer holen und ausdrucken ließ.
Ich überflog das Dossier kurz. Und dann blieb ich an einer bestimmten Stelle mit den Augen hängen. Ich stutzte.
"Vor fünf Jahren war McKenzie auf Riker's Island inhaftiert", stellte ich fest. "Das gilt auch für Arnold 'Magic' Primo, der auf unserer Safeknackerliste steht..."
Mister McKee nickte nachdenklich.
"Möglich, dass die sich da getroffen haben..."
"Zumindest könnte man dort mal anfragen", meldete sich Agent Mark L. Ditrick zu Wort. "Es wäre nicht das erste Mal, dass sich neue Gangsterbanden im Knast zusammenfinden... Außerdem sollte Primo ab sofort beschattet werden..."
"Ein sinnvoller Vorschlag", stimmte Mister McKee zu.
Schaden konnte eine Überwachung von 'Magic' Primo nicht, aber glaubte auf der anderen Seite auch nicht, dass sonderlich viel dabei herauskam.
Primo war kein Dummkopf.
Als er das letzte Mal unvorsichtig war, hatte er dafür mit einigen Jahren auf Riker's Island zahlen müssen.
Er würde sich jetzt vorsehen und jeden Schritt zweimal überlegen - ganz gleich, ob er nun etwas mit dem Fall zu tun hatte oder nicht.
Später berichtete Clive Caravaggio von dem anonymen Anrufer. Milo und ich wurden von Mister McKee dazu ausersehen, den Unbekannten in Gentry's Coffie Shop zu treffen.
"Ich glaube, dass wir mit dem Kerl unsere Zeit verschwenden", meinte Ditrick. "Es geht um die Gangster! Und denen sind wir ohne die Hilfe dieses Unbekannten jetzt dicht auf der Spur. McKenzie hatte immerhin zuletzt eine Adresse in Yorkville. Wenn wir in seinem Dunstkreis nachforschen, werden wir bald etwas finden..."
"Tun Sie das, Agent Ditrick", ermutigte ihn Mister McKee. "Aber wenn Sie denken, dass es nur um die Einbrecher geht, dann irren Sie! Für mindestens ebenso wichtig halte ich, dass wir die Hintermänner erwischen. Nicht nur die untersten Chargen dieser Organisation. Für die ist es doch ein leichtes, sich ein neues Einbrecher-Team zusammenzustellen. Vermutlich haben sie Verbindungen bis in die Gefängnisse und besitzen damit fast so etwas wie eine freie Auswahl an kriminellen Spezialisten..."
Für den Ausflug in die 32. Straße benutzten Milo und ich nicht meinen Sportwagen, sondern ließen uns einen unauffälligen Wagen von der Fahrbereitschaft geben. Es war ein schnelles Allerweltscoupe.
Wir durften auf keinen Fall auffallen. Der Mann, mit dem wir uns treffen sollten, schien scheu wie ein Reh zu sein.
Und wenn er kein Wichtigtuer war, mit denen wir leider auch immer wieder zu tun haben, dann hatte er allen Grund, vorsichtig zu sein.
Wir parkten das Coupe am Straßenrand. Ein weiteres FBI-Fahrzeug folgte uns. Es handelte sich um einen Lieferwagen. Außen mit dem Aufdruck eines stadtbekannten Pizza-Service. Innen angefüllt mit modernster Abhörtechnik.
Milo und ich trugen Sender. Caravaggio und Orry würden im Inneren des Lieferwagens alles mithören können.
Wir wollten auf Nummer sicher gehen.
Milo und ich gingen nicht gleichzeitig in den Coffee Shop.
Milo ging zuerst, ein paar Augenblicke später würde ich ihm folgen.
Als ich den Raum betrat, saß Milo bereits vor einer Tasse Kaffee in einer Ecke.
Ein alter Mann hatte sich über eine Zeitung gebeugt und schielte über die flaschendicke Brille. Ein großer Zwei-Zentner-Mann stand hinter dem Tresen und brummte mir eine undeutliche Begrüßung entgegen.
Der alte Mann stand auf und ging, nachdem er geräuschvoll das Geld auf den Tisch gelegt und sich geräuspert hatte.
Ich wechselte einen unauffälligen Blick mit Milo, der so tat, als würde er sich gerade nach ein paar anstrengenden Bürostunden bei einer Tasse Kaffee erholen.
Ich blickte auf die Uhr.
Der Kerl war spät. Genau genommen bereits zu spät. Ich hoffte nur, dass er es sich nicht einfach anders überlegt hatte und wir hier die Zeit verplemperten. So toll war dieser Coffee Shop nun auch wieder nicht.
Aus einer der Türen, die in die hinteren Räume führten, kam ein schlaksiger Kerl in den mittleren Jahren. Der Haaransatz war hoch, sein Blick nervös und misstrauisch.
Er ließ sich von dem Mann hinter dem Tresen einen Zitronentee machen.
Ein exklusiver Geschmack.
Dann ging er direkt auf mich zu und setzte sich zu mir.
"Sind Sie ein Freund von Caravaggio?", fragte er.
Ich nickte.
"Und Sie sind der Mann, der sich nicht mit ihm treffen wollte."
"Muss er verstehen. Ist schon so gefährlich genug für mich!"
"Wer sind Sie?", fragte ich.
Er grinste. "Nicht so schnell."
Ich legte ihm meinen Ausweis hin. Er sah ihn sich ganz genau an, so als wüsste er bestens zu beurteilen, ob das Ding echt war.
Schließlich nahm ich ihm den Ausweis wieder aus der Hand.
"Wenn Sie meine Zeit verschwenden wollen, ist das Treffen hier und jetzt beendet", sagte ich kühl.
Er hob die Hände.
"Schon gut, G-Man. Sagen Sie übrigens Ihrem Kollegen dahinten am Tisch, dass er sich ruhig zu uns setzen kann..." Sein Grinsen war triumphierend "Ich habe Sie beide beobachtet, schon bevor Sie diesen Laden betraten."
"Na, fein. Nun legen Sie mal langsam Ihre Karten auf den Tisch."
"Okay. Ich bin Alec Ritter. Wenn Sie mich in Ihren Dateien suchen, dann sollten Sie unter Informanten nachschauen..."
"Vielen Dank für den Tipp."
"Der Überfall auf Beaumont hat hohe Wellen geschlagen, Mister Trevellian."
"Kann man wohl sagen."
"Und wenn einem kurze Zeit später ein Haufen Klunker für einen sensationell günstigen Preis angeboten wird, ist man natürlich misstrauisch."
Ich zuckte die Schultern. "Leider gilt das nicht für jeden", kommentierte ich die Aussage meines Gegenübers.
Alec Ritter lachte kurz und heiser auf.
"Da mögen Sie leider recht haben. Darum hat unsere Branche einen so schlechten Ruf."
"Wer hat Ihnen das Zeug angeboten?"
Ich wollte, dass er endlich die Katze aus dem Sack ließ und ich feststellen konnte, ob ich nur einen Schwätzer vor mir hatte.
"Der Kontakt ging natürlich über ein paar Ecken, Sie verstehen..."
"Wer?", beharrte ich.
Er sah mich an.
"William Cheng. Der dürfte Ihnen kaum ein Unbekannter sein, Sir!"
Damit hatte Ritter zweifellos recht.
Cheng war bekannt als sogenannter Pate von Chinatown. Ein ehrbarer Geschäftsmann, was die äußere Fassade anging. Viel zu gerissen und mächtig, um sich noch irgendein konkretes Verbrechen nachweisen zu lassen. Es war ein offenes Geheimnis, dass Cheng das illegale Glücksspiel um und in Chinatown kontrollierte. Außerdem nahm er Schutzgelder von den chinesischen Restaurants und Geschäften. Es gab niemanden in Chinatown, der ohne seinen Segen einen Laden eröffnen konnte. Da er die Geschäftswelt Chinatowns beherrschte, lag es eigentlich nahe, anzunehmen, dass er seine Hände auch in Hehlereigeschäften hatte.
Ritters Aussage machte also Sinn.
Fragte sich nur, in wie weit sie auch auf Fakten beruhte.
"Haben Sie den Schmuck selbst gesehen?"
"Nur auf Fotos", sagte Ritter. "Aber mal vorausgesetzt, die Sachen sind echt, dann lag der Preis so weit unter dem, was man normalerweise dafür verlangen kann, dass etwas damit faul sein musste..."
"Hat man Ihnen von diesen Fotos welche überlassen?"
"Nein. Die sind ja nicht wahnsinnig."
Ich holte eine Fotomappe aus der Innentasche meines Jacketts und legt sie vor ihm auf den Tisch. Auf den Bildern waren einige markante Schmuckstücke abgelichtet, die sich in Beaumonts Safe befunden hatten.
"Erkennen Sie irgendetwas von diesen Sachen wieder?"
Es dauerte nicht lange, bis Ritter fündig wurde.
"Der Brillantring da. Ganz bestimmt, da irre ich mich nicht. Und die Broschen waren auch dabei... Ich nehme an, dass Beaumonts Witwe für das Auffinden des Schmucks einen angemessenen Finderlohn zahlt..."
"Davon gehe ich auch aus, aber da sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Ich verhandele nur für das FBI."
"Verstehe." Er atmete tief durch. "Ich kann für Sie herausfinden, wo genau sich der Schmuck befindet."
"Dann tun Sie das", erwiderte ich.
Er erhob sich.
"Wir treffen uns morgen um dieselbe Zeit."
"Hier?", fragte ich.
"Sind Sie wahnsinnig? Ich rufe Sie kurz vorher an... Sie persönlich, G-man! Ich bräuchte allerdings Ihre Handynummer."
"Sicher."
Ich griff in die Jackentasche und holte eine der Karten heraus, die das FBI für seine Agenten drucken lässt und schob sie ihm hin. Alec Ritter steckte sie ein, ohne einen Blick darauf zu werfen.
Er blickte nervös auf die Uhr, ging dann zum Tresen und legte noch einen Geldschein darauf. Der Mann hinter dem Tresen nickte. Dann ging er mit schnellen Schritten durch eine Tür, die in den hinteren, wohl eher privaten Teil des Coffee Shops führte.
Später saßen wir alle zusammen in Mister McKees Büro. Der Special Agent in Charge hatte sich die Aufzeichnung des Gesprächs mit unbewegtem Gesicht angehört.
Zunächst enthielt unser Chef sich eines Kommentars.
"Ich glaube nicht, dass uns diese Spur weiterbringt", meinte Mark L. Ditrick. "Was glaubt ihr, wie viele solcher Aufschneider ich schon erlebt habe! Der will sich nur in den Vordergrund spielen oder ist scharf darauf, ein paar Dollar zu verdienen."
"Das kann er aber nur, wenn er uns wirklich die Hehler ans Messer liefert und die Beute wieder auftaucht", gab ich zu bedenken.
Ditrick sah mich an.
"Vielleicht ist er ja auch mit dem mickrigen Informanten-Lohn zufrieden, Jesse - und hat es gar nicht auf eine Belohnung abgesehen..."
"Für mich stellt sich die Frage, wie wir jetzt weiter vorgehen", sagte Milo Tucker sachlich. "Chengs Läden im Schnellverfahren durchsuchen, könnte den Durchbruch oder ein völliges Fiasko bringen, wenn auch nur eine Kleinigkeit daneben geht..."
"Vor allem kämen wir dann wohl kaum an den großen Mann im Hintergrund heran", gab ich zu bedenken. "Denn, so wie wir den bisher kennen, pflegt der sich erstklassig abzusichern..."
"Und wie soll es dann weitergehen?", mischte sich nun Clive Caravaggio ein. "Abwarten, was dieser Kerl morgen anzubieten hat?"
"Warum nicht?", erwiderte Milo. "Ich halte das für das Vernünftigste. Besser, als wenn wir jetzt wie ein Elefant im Porzellanladen herumstampfen und dafür sorgen, dass die ganze Szene erst einmal in der Versenkung abtaucht."
Mister McKee sah jetzt in Orrys Richtung.
"Medina, was wissen wir eigentlich über diesen Ritter?"
"Wir vermuten, dass er selbst hin und wieder mit heißer Ware handelt, aber das konnte ihm nie nachgewiesen werden. Er unterhält ein Wettbüro und eine Handelsagentur... Und ab und zu liefert er uns Informationen."
"Haben Sie eine Ahnung, warum er das tut?", erkundigte sich Mister McKee.
Medina zuckte die Achseln. "Für Geld tut der Kerl alles. Das ist meine Einschätzung."
"Wissen wir, ob er zu Chengs Leuten gehört?"
"Halte ich für ausgeschlossen."
"Und wer ist dann sein Beschützer?"
"Bislang scheint er zu glauben, ohne auszukommen", erklärte Medina.
Mister McKee blickte in die Runde. "Überlegen Sie mal, könnte es nicht sein, dass diesmal sein Motiv darin besteht, Cheng zu schaden?"
"Warum sollte er das tun?", fragte Caravaggio.
"Wer weiß? Vielleicht ist der Pate von Chinatown ihm einfach zu sehr auf den Pelz gerückt oder er hatte Streit mit einem von Chengs Leuten..." Mister McKee strich sich mit einer fahrigen Geste über das Kinn. "Ich will damit nur sagen, dass wir auf der Hut sein müssen. Nach allem, was wir über diesen Ritter auf dem Tisch haben, traue ich ihm zu, dass er glaubt, den FBI für sich arbeiten lassen zu können..."
Der Verdacht, den Mister McKee da äußerte, war nicht von der Hand zu weisen. Vielleicht war es so. Vielleicht wollte Ritter seinem übermächtigen Konkurrenten Cheng eins auswischen.
Ein paar Dutzend FBI-Agenten, die Chengs Läden nach gestohlenem Schmuck durchwühlten und dabei vielleicht irgendetwas anderes fanden, was sich strafrechtlich verwenden lief.
Ganz gleich, wie das ausging - unangenehm würde es Cheng in jedem Fall werden.
"Wir warten ab, was er uns morgen anbietet", entschied Mister McKee dann. "Aber was Cheng angeht, bereiten wir schon einmal eine Großoperation vor... Wir müssen dann zeitgleich in möglichst allen seinen Läden zuschlagen, sonst haben wir keine Chance!"
Ein zustimmendes Gemurmel entstand unter den G-men.
Mister McKee hatte mit seiner Bemerkung zweifellos recht.
Aber vielleicht gab Alec Ritter uns ja einen wertvollen Tipp, der das ganze etwas erfolgversprechender machte. Am Ende wollten wir nicht mit leeren Händen dastehen.
Der Geruch von Räucherstäbchen hing in der Luft. William Cheng kniete in sich versunken vor dem Schrein seiner Ahnen.
Er war in dritter Generation Amerikaner und sprach nicht mehr als ein paar Sätze Mandarin-Chinesisch. Aber die Traditionen hielt er hoch.
William Cheng erhob sich.
Ein rundlicher Mann, der sich bedächtig bewegte. Er hatte die fünfzig längst überschritten. Sein dünnes Haar war gefärbt und nach hinten frisiert. Das Gesicht eine regungslose Maske.
William Cheng atmete tief durch.
Er würdigte den kahlköpfigen, dunkel gekleideten Wächter, der sich neben der Tür postiert hatte, keines Blickes.
Cheng ging hinaus auf den Dachgarten seines Hauses. Man hatte von hier aus einen fantastischen Blick über Chinatown, diese Stadt in der Stadt New York. Seine Stadt. Hier war er der große King. Jeder zollte ihm Respekt und wer das nicht in gebührender Weise tat, wurde ziemlich grob daran erinnert.
Manchmal begnügte er sich damit, seinen Gegnern die Ohren abschneiden zu lassen oder ihre Geschäfte niederzubrennen.
In anderen Fällen ließ er ihnen den Bauch aufschlitzen oder schickte sie mit einer Kugel im Kopf in den Hudson.
Das lag ganz in seinem Belieben.
Der große Boss trat an die Balustrade und warf einen Blick hinab auf das Gewimmel in den engen Straßen Chinatowns, einer mittleren asiatischen Großstadt, die sich von Orten wie Taipeh nur im wesentlichen dadurch unterschied, dass im Hintergrund das World Trade Center zu sehen war.
Chinatown wuchs. Es fraß sich immer weiter nach Norden vor, tief in Little Italy hinein.
Und es hatte seine eigenen Gesetze.
Gesetze, die Männer wie William Cheng machten.
In diesem Moment trat der kahlköpfige Wächter hinaus auf den Dachgarten. Die Kamera der Videoüberwachungsanlage folgte ihm surrend.
Cheng drehte sich herum.
"Was gibt es?", fragte er mit leiser, zischender Stimme.
"Mister Lin ist eingetroffen und erwartet, von Ihnen empfangen zu werden!"
Cheng nickte zufrieden.
"Gut, führen Sie ihn hier her. Ich fühle das Wetter in meiner Hüfte und habe keine Lust, mehr als unbedingt nötig herumzulaufen."
Der Kahlkopf verneigte sich, senkte den Blick und verschwand.
Ein paar Minuten später führte er einen drahtigen Mann mit hagerem Gesicht herein. Ein asiatisches Gesicht, umrahmt von dichtem, blauschwarzem Haar.
"Ich grüße Sie, Mister Cheng. Und es freut mich, Sie gesund zu sehen."
Auch Lin verneigte sich leicht. Seine Haltung war angespannt.
Cheng kam auf ihn zu.
"Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen, Robert", begann er dann.
"Das ist richtig."
"Wo waren Sie?"
"Geschäfte in Übersee, Mister Cheng."
"Ich verstehe..."
"Sie haben mich rufen lassen. Eine dringende Angelegenheit?"
Cheng nickte. "Ja. Es gibt Probleme. Probleme, von denen ich hoffe, dass Sie und Ihre Leute sie schnell und endgültig lösen..."
Robert Lin machte eine Bewegung, die eine Mischung aus Nicken und Verbeugung zu sein schien.
"Geht es dabei vielleicht um den Einbruch in einen Juwelierladen, der vor kurzem geschah? Namentlich ein Juwelierladen, der einem Mann namens Beaumont gehörte?"
Chengs Gesicht veränderte sich nicht.
Er war in der Tradition aufgewachsen, dass man anderen seine Gefühle nicht zeigte.
Sein Blick fixierte Lin.
"Sie sind gut informiert", stellte er dann fest.
"Chinatown hat große Ohren", stellte Lin fest.
"...und viele Schwätzer, Mister Lin. Auch das sollte man niemals vergessen! Kann ich mit Ihnen rechnen?"
"Natürlich, Mister Cheng!"
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