21,99 €
In kaum einem Bereich spuken so viele Irrtümer herum wie in der Ökonomie. Zudem sind sie so weit verbreitet, dass sie als gültige Lehrmeinung angesehen werden. Themen wie staatliche Zinsmanipulation, Sparen, Inflation, Mindestlöhne oder Branchenrettung, wie die der Banken, sind aktueller und missverstandener denn je. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was wirklich hinter den Begriffen steckt, wie sie zusammenwirken und welche praktischen Folgen (staatliche) Eingriffe haben. Niemand könnte ein Verständnis wirtschaftlicher Grundlagen besser vermitteln als Henry Hazlitt. Als einer der ganz Großen der Österreichischen Schule wird er in einem Atemzug mit Mises, Hayek und Rothbard genannt. Seine Begabung für elegante, populäre Darstellungen wirtschaftlicher Zusammenhänge haben dieses Buch entstehen lassen. In 24 kurzweiligen Kapiteln vermittelt er sein umfassendes Wissen, von Steuern über die Idee der Vollbeschäftigung bis zu Preisen und Inflation. Die 24 wichtigsten Regeln der Wirtschaft, ein Klassiker der Ökonomie jetzt auf Deutsch und heute noch so aktuell wie zur Erstveröffentlichung 1946.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 310
Wissen muss nicht nur geschaffen, sondern auch verbreitet werden. Das gilt natürlich auch – und vielleicht sogar in besonderem Maße – für das ökonomische Wissen. Es ist wichtig für alle und jeden: Die Lehre über das Wirtschaften ist untrennbar mit dem menschlichen Handeln verknüpft. Menschliches Handeln wird letztlich von Ideen und Theorien angeleitet, die Menschen in sich tragen. Daher ist nicht nur die Verbreitung des richtigen ökonomischen Wissens wichtig. Nicht weniger wichtig ist auch die Zurückweisung von falschen ökonomischen Lehren. Denn nur richtiges ökonomisches Wissen stellt sicher, dass der handelnde Mensch seine Ziele verwirklicht. Falsches ökonomisches Wissen leitet ihn zu einem Handeln an, mit dem er seine Ziele nicht oder nur unzureichend erreicht.
Henry Stuart Hazlitt – geboren am 28. November 1894, gestorben am 8. Juli 1993 – war ein herausragender Verbreiter des richtigen ökonomischen Wissens. Hazlitt war Journalist, Literaturkritiker, Buchautor und auch – vor allem in seinem späteren Leben – Verfasser philosophischer Abhandlungen. Seine Leidenschaft galt wirtschaftlichen Frage- und Problemstellungen. In seinem langen, schaffensreichen Leben schrieb er für viele Zeitungen und Magazine, unter anderem für die New York Times, das Wall Street Journal, den American Mercury, Century, National Review, The Nation, Los Angeles Times und Newsweek. Er war kein ausgebildeter Ökonom, jedoch durch das Eigenstudium allerbestens vertraut mit der ökonomischen Literatur. Henry L. Mencken (1880–1956) schrieb anerkennend über Hazlitt, er sei einer der wenigen Ökonomen, die schreiben können.
Hazlitts wirtschaftswissenschaftliche Basis war die Österreichische Schule der Nationalökonomie, die mit Namen verbunden ist wie Ludwig von Mises (1881–1973), Friedrich August von Hayek (1899–1992) und Murray N. Rothbard (1925–1996). Seine Schriften haben einen unschätzbaren Beitrag geleistet, die Lehre der Österreichischen Schule – einer konsequenten, durch und durch marktwirtschaftlich ausgerichteten Nationalökonomie – im englischsprachigen Raum zu verbreiten. Hazlitts Buchbesprechung half zum Beispiel Mises’ Socialism – es war Mises’ erstes Buch, das in die englische Sprache übersetzt wurde, zu einem Klassiker in den Vereinigten Staaten von Amerika zu werden (der deutsche Titel war Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, veröffentlicht 1922). Auch die Buchbesprechung, die Hazlitt über Hayeks The Road to Serfdom (deutsch: Der Weg zur Knechtschaft, veröffentlicht 1944) anfertigte, entfaltete große Wirkung. Sie veranlasste Reader’s Digest im April 1945, eine verkürzte (20 Seiten umfassende) Version des Buches zu veröffentlichen, die entscheidend war, Hayeks Werk weltweit bekannt zu machen.
Hazlitt war scharfer Analyst und unbeugsamer Kommentator des wirtschaftspolitischen Zeitgeschehens. Er erkannte zum Beispiel früh die ökonomischen Probleme, die mit der Errichtung des Systems von Bretton Woods – mit dem nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die internationale Währungsordnung wiederhergestellt werden sollte – verbunden sein würden. Vor allem sah Hazlitt die inflationäre Wirkung dieses Pseudo-Goldstandards voraus, der sich dann nachfolgend auch als ein US-Dollar-Devisen-Standard zu erkennen gab. 1959 veröffentlichte Hazlitt The Failure of the »New Economics«. An Analysis of the Keynesian Fallacies, eine detaillierte, Schritt-für-Schritt-Widerlegung des Keynesianischen Theoriegebäudes. Im Vorwort zu Hazlitts Buch schrieb Rothbard: »An ›Austrian‹ follower of Ludwig von Mises, he is uniquely qualified for this task, and performs it surpassingly well. It is no exaggeration to say that this is by far the best book on economics published since Mises’ great Human Action in 1949.«
Hazlitts bekanntestes Werk ist dieses, Die 24 wichtigsten Regeln der Wirtschaft (Economics in One Lesson). Das Buch erschien erstmals 1946 – zu einer Zeit also, in der auch in den Vereinigten Staaten von Amerika der Keynesianismus und der Staatsdirigismus als »State of the Art« angesehen wurden. Economics in One Lesson ist vermutlich die beste und verständlichste Einführung in die Grundlagen der Ökonomik. Sie richtet sich an ein breites Publikum, und sie ist längst zu einem Klassiker geworden. Die eine zentrale Erkenntnis, die Hazlitt darin dem Leser nahebringt, ist, dass menschliches Handeln stets sichtbare Effekte und nicht sichtbare Effekte hat. Ein schlechter Ökonom beschränkt sich in seiner Analyse stets auf die sichtbaren Effekte, der gute Ökonom hingegen sieht vor allem auch die nicht sichtbaren Effekte vorher und beachtet sie. Die andere zentrale Erkenntnis ist, dass das staatliche Eingreifen in das Wirtschaftsleben kontraproduktiv ist. Hazlitt formuliert damit eine (leider) zeitlose Wahrheit: »[T]he main problem we face today is not economic, but political.« Ob nun Steuererhebung, Mindestlöhne, Zölle, Mietkontrollen, öffentliche Arbeitsprogramme oder Inflation: Hazlitt erläutert, mit klaren, unmissverständlichen Worten, dass Staatseingriffe in das Marktsystem die Ziele, die sie vorgeben erreichen zu wollen, nicht erreichen können.
Die Erkenntnisse, die Hazlitts Economics in One Lesson bereithält, könnten aktueller nicht sein. Seit Jahren werden marktwirtschaftliche Grundprinzipien über Bord geworfen, unterstützt von ökonomischen Lehren, die die Konsequenzen von Politikmaßnahmen entweder verkürzt darstellen oder gar fehleinschätzen. Den Geist des Neo-Interventionismus legitimierend, dringt der Staat so immer weiter in alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche vor, ob Arbeitsmärkte, Energiepolitik, Gesundheitswesen, Altersvorsorge, vom Kredit- und Geldwesen ganz zu schweigen. Immer mehr staatliche Ge- und Verbote reglementieren und verengen die Handlungsfreiheiten der Bürger und Unternehmer. Wird dem Staat erst einmal erlaubt, zum Beispiel Mietobergrenzen und Mindestlöhne festzusetzen, wird er früher oder später alle Preise und Löhne festsetzen. Ein solcher Weg führt, wenn er immer weiter beschritten wird, zur Errichtung eines sozialistisch-totalitären Gemeinwesens. Die Verformung der Gesellschaft in eine planwirtschaftliche Konstruktion zerstört nicht nur die Freiheit, sondern auch den Wohlstand und die friedvolle Kooperation national wie international.
Economics in One Lesson ist eine Verteidigungsschrift für die freie Marktwirtschaft und eine Widerlegung der sozialistischen Ideen, die sich heutzutage in das Gewand des wirtschaftspolitischen Pragmatismus kleiden, der nach dem Motto vorgeht: Das Erreichen politisch gewünschter Ziele rechtfertigt jedes Mittel. Doch wohl niemand, der Economics in One Lesson aufmerksam gelesen hat, wird mehr die Zerstörung der Marktwirtschaft, die heute allerorten unter wohlklingenden Politikversprechen praktiziert wird, übersehen oder ihr gleichgültig gegenüberstehen können; er wird nicht mehr auf falsche wirtschaftspolitische Heilsversprechen hereinfallen können. In der Tradition der Österreichischen Schule hebt Hazlitt hervor, dass es ökonomische Gesetze gibt, die immer und überall gelten, ökonomische Gesetze, die das menschliche Handeln nicht außer Kraft setzen kann – ungeachtet ideologischer und politischer Wünsche.
Dass Hazlitts Schrift jetzt auch wieder in deutscher Sprache erhältlich ist, kann gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden. Gerade im deutschsprachigen Raum finden sich kaum mehr marktwirtschaftliche Stimmen, die couragiert und kompromisslos und mit Leidenschaft aufklären über die ökonomische und ethische Überlegenheit der Marktwirtschaft gegenüber allen anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwürfen. Hazlitts Economics in One Lesson ist vor allem auch eines: ein fesselnd geschriebenes Werk, ein wirklicher Erkenntnisgewinn für den Leser. Das sollte sicherlich auch dazu beitragen, dass die deutsche Übersetzung eine größtmögliche Verbreitung findet – und damit vielen Menschen die funktionierenden ökonomischen Ideen und Theorien zugänglich macht, die Hazlitt in Economics in One Lesson so meisterhaft darlegt.
Königstein i. T. im Januar 2014 Thorsten Polleit
Bei der Erstauflage 1946 merkte der Autor an: »Dieses Buch ist eine Analyse wirtschaftlicher Irrtümer, die inzwischen so weit verbreitet sind, dass sie fast schon als gültige Lehrmeinung hingenommen und kaum mehr angezweifelt werden. Mit ihm soll belegt werden, dass viele der Ideen, die heute als fantastische Neuerung oder Fortschritt angepriesen werden, in Wahrheit Neuauflagen alter Irrtümer sind und darüber hinaus jene Weisheit bestätigen, wonach derjenige, der nichts von der Vergangenheit weiß, dazu verdammt ist, sie zu wiederholen.« Drei Jahrzehnte später stellte der Autor fest: »Mit Blick auf die Politik lässt sich das Fazit ziehen, dass die Lektion, die dieses Buch vor mehr als 30 Jahren zu vermitteln versucht hat, offenbar nirgendwo verstanden worden ist. Gehen wir der Reihe nach die Kapitel dieses Buches durch, finden wir im Grunde keine Form staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft, die nicht in der ersten Auflage verworfen worden wäre und dennoch nach wie vor praktiziert wird, im Allgemeinen sogar mit noch größerer Verbissenheit.« Diese Feststellung stammt aus dem Jahr 1979, kurz vor der kraftvollen »neoliberalen« Revolution unter Reagan, Thatcher und Roger Douglas, vor der chinesischen Wirtschaftsrevolution des Deng Xiaoping und vor dem Zusammenbruch des sozialistischen Weltregimes nach 1989. Dies alles ist inzwischen geschehen und beweist die Lernfähigkeit auch von Politikern, nämlich dann, wenn sie nicht mehr weiterwissen und zum Handeln gezwungen werden. Es gibt eben nicht nur Schumpeter-Unternehmer, sondern auch Schumpeter-Politiker. Auch Deutschland hatte einmal einen: Ludwig Erhard.
Leider war der Siegeszug einer liberaleren Denkweise nur vorübergehend. Inzwischen, vor allem seit dem politikinduzierten Ausbruch der Finanzkrise (Stichwort staatliches Papiergeldmonopol!), triumphiert wieder der von Hazlitt so sarkastisch gegeißelte punktuelle Interventionismus. Und man kann auch nicht erkennen, dass der von ihm heftigst kritisierte Keynesianismus auf dem Rückzug wäre, im Gegenteil. So muss 35 Jahre nach der letzten von Hazlitt noch selbst betreuten Auflage wieder festgestellt werden, dass auch in Deutschland die alten, in Theorie und in Praxis vielfach widerlegten Irrtümer neu aufleben und selbst gesetzliche Mindestlöhne auf der politischen Tagesordnung stehen, ganz abgesehen von dem sonstigen Ausbau eines schuldenfinanzierten Sozialversorgungssystems und der Durchsetzung einer spektakulären Energieplanwirtschaft. Ein liberaler Ordnungsphilosoph kann gegenwärtig also nur pessimistisch sein, wenigstens in einem kurzfristigen Umfeld. Langfristig freilich, wenn die zwingende Logik der ökomischen Erfolgsregeln sich den meisten elementar fühlbar macht, sieht dies anders aus. Dann werden nur Vorgehensweisen im Sinne von Hazlitt aus der Sackgasse führen. Für diese Ideen arbeiten insbesonders auch die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft und ihre Stiftung mithilfe von Publikationen und einer umfassenden Bildungs- und Aufklärungsarbeit in den inzwischen etwa 50 regionalen Hayek-Klubs, den Juniorenkreisen, in einer Sommerakademie für Schüler sowie über die Veranstaltung von Fachtagungen usw. Denn am Ende sind es Ideen welche die Richtung der Politik und anderer Interessen bestimmen. Wir werben für die Ideen, die den Aufstieg der Freiheit und den Wohlstand der Nationen begründet haben und von deren Geltung und Verbreitung das Lebensniveau und vielfach auch die bloße Existenz vieler Menschen abhängt.
Es freut uns sehr, dass nunmehr der FinanzBuchVerlag in München die Betreuung dieses so faszinierenden und lehrreichen Buches in neuer Auflage weiterführt.
Berlin, im Januar 2014
Die erste Auflage dieses Buches erschien 1946. Sie wurde in acht Sprachen übersetzt und in zahlreichen Taschenbuchausgaben verbreitet. 1961 kam ein neues Kapitel über Mieterschutz hinzu, der in der ersten Auflage nur ganz allgemein im Zusammenhang mit der staatlichen Preiskontrolle behandelt worden war. Außerdem wurden einige Statistiken und erläuternde Hinweise auf den neuesten Stand gebracht.
Ansonsten hat es bisher keine Veränderungen gegeben, weil das einfach nicht notwendig erschien. Ich hatte dieses Buch geschrieben, um allgemeine wirtschaftliche Zusammenhänge zu schildern wie auch die nachteiligen Folgen, wenn man diese Zusammenhänge nicht beachtet. Es war mir weniger darum gegangen, auf die schädlichen Auswirkungen bestimmter Gesetze hinzuweisen. Meine Darstellung beruht zwar größtenteils auf amerikanischen Erfahrungen, aber die staatlichen Eingriffe der Art, die ich missbillige, hatten weltweit in einem solchen Maß um sich gegriffen, dass es vielen ausländischen Lesern so vorkam, als hätte ich über die Wirtschaftspolitik ihres eigenen Landes geschrieben.
Dennoch scheint es mir nach 32 Jahren an der Zeit, eine umfassende Überarbeitung vorzulegen. So habe ich ein ganz neues Kapitel über Mietpreisbindung geschrieben. Außerdem ist ein neues Schlusskapitel hinzugekommen.
Wilton, Connecticut, im Juni 1978
Henry Hazlitt
Dieses Buch ist eine Analyse wirtschaftlicher Irrtümer, die inzwischen so weitverbreitet sind, dass sie schon fast als gültige Lehrmeinung hingenommen und kaum mehr angezweifelt werden. Wenn sie sich noch nicht auf der ganzen Linie durchgesetzt haben, so liegt das nur an ihren inneren Widersprüchen und an dem einfachen Grund, dass man sich bei den praktischen Dingen des täglichen Lebens nicht dauernd irren kann.
Es gibt jedoch gegenwärtig keine bedeutende Regierung auf der Welt, deren Wirtschaftspolitik nicht von wenigstens einigen dieser Irrtümer beeinflusst, wenn nicht sogar fast völlig beherrscht wird. Der kürzeste und beste Weg zu einem Verständnis der Wirtschaft ist vielleicht der einer genauen Untersuchung solcher Denkfehler, vor allem jenes zentralen Fehlers, der allen anderen zugrunde liegt. Das ist das Vorhaben dieses Buches.
Es geht ihm also in erster Linie um Auswirkungen. Dabei erhebt es nicht den Anspruch der Originalität hinsichtlich irgendwelcher bedeutender Gedanken, die hier erörtert werden. Es will vielmehr belegen, dass viele der Ideen, die heute als fantastische Neuerung oder Fortschritt angepriesen werden, in Wahrheit einfache Neuauflagen alter Irrtümer sind und darüber hinaus jene Weisheit bestätigen, wonach derjenige, der nichts von seiner Vergangenheit weiß, dazu verdammt ist, sie zu wiederholen.
Der vorliegende Versuch ist, wie ich annehme, unverfroren »klassisch«, »traditionell« und »orthodox«. Das sind zumindest die Eigenschaften, mit denen ohne Frage jene das Buch werden abtun wollen, deren Trugschlüsse hier beleuchtet werden. Aber wer sich vorgenommen hat, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, wird sich durch solche Bezeichnungen nicht abschrecken lassen. Er wird nicht ständig nach einer Revolution in der Wirtschaft oder einem Neubeginn Ausschau halten. Er wird neuen Gedanken selbstverständlich genauso aufgeschlossen gegenüberstehen wie alten, aber gern die rastlose und eitle Jagd nach allem Neuen und Originellen anderen überlassen. Morris R. Cohen hat dazu gesagt: »Die Vorstellung, dass wir auf die Ansichten aller großen Denker der Vergangenheit verzichten könnten, ist sicher kein Fundament für die Hoffnung, dass sich unser eigenes Wirken als wertvoll für andere erweist.«1
Weil dieses Buch sich auf Auswirkungen konzentriert, habe ich mich unbekümmert und ohne das im Einzelnen kenntlich zu machen, der Gedanken anderer bedient (einige wenige Fußnoten und Zitate sind die Ausnahme). Das ist unumgänglich, wenn man über ein Gebiet schreibt, auf dem unendlich viele der berühmtesten Köpfe der Welt geforscht haben. Drei Autoren fühle ich mich jedoch in einer Weise verpflichtet, dass ich nicht ohne eine Erwähnung darüber hinweggehen kann. Meine größte Dankesschuld hinsichtlich der Art der Darstellung, an die sich auch meine Argumentation anlehnt, gilt Frédéric Bastiat und seinem Werk Ce qu’on voit et ce qu’on ne voit pas, das inzwischen fast 100 Jahre alt ist. Die vorliegende Arbeit kann tatsächlich als eine Modernisierung, Erweiterung und Verallgemeinerung des Ansatzes betrachtet werden, den Bastiat in seiner Untersuchung gefunden hat. Ein weiterer Dank gilt Philip Wicksteed; vor allem wegen des Kapitels über Löhne und der Zusammenfassung im Abschlusskapitel stehe ich tief in der Schuld seines Commonsense of Political Economy. Als drittem habe ich Ludwig von Mises zu danken. Neben allem, was ich seinem Werk ganz allgemein verdanke, gilt meine besondere Erwähnung seiner Darstellung über die Art, in der sich der Prozess monetärer Inflation ausbreitet.
Bei der Analyse der Irrtümer habe ich es für noch unangebrachter gehalten, bestimmte Namen zu erwähnen, als bei positiven Äußerungen. Das hätte erfordert, jedem kritisierten Autor in besonderer Weise gerecht zu werden, eingehend zu zitieren, zu berücksichtigen, welche spezielle Bedeutung er diesem und jenem Punkt beimisst, seine Urteilskriterien zu nennen, die missverständlichen und in sich widersprüchlichen Seiten und anderes mehr. Ich hoffe daher, dass niemand zu enttäuscht ist, wenn Namen wie Karl Marx, Thorstein Veblen, Major Douglas, Lord Keynes, Alvin Hansen und andere nicht in diesem Buch vorkommen.
Es ist nicht meine Absicht, Irrtümer bestimmter Autoren aufzuzeigen, sondern wirtschaftliche Fehlurteile in ihrer häufigsten, verbreitetsten oder einflussreichsten Form. Irrtümer werden ohnehin anonym, wenn sie erst einmal populär geworden sind. Die Haarspaltereien oder Unklarheiten bei den Autoren, die am meisten Verantwortung für die Verbreitung dieser Irrtümer tragen, verblassen. Lehrsätze werden vereinfacht; der Trugschluss, der vielleicht in einem Netz aus Beurteilungen, missverstandenen Vorgängen oder mathematischen Gleichungen verborgen ist, steht damit deutlich vor uns. Ich hoffe, man wird mich nicht der Ungerechtigkeit anklagen, mit der Begründung, ein berühmter Lehrsatz sei in der Form, in der ich ihn präsentiert habe, nicht exakt der gleiche, wie er von Keynes oder irgendeinem anderen aufgestellt wurde. Wir sind hier an der Überzeugung interessiert, die politisch einflussreiche Gruppen haben und nach der Regierungen handeln, nicht am historischen Ursprung dieser Überzeugungen.
Zum Schluss hoffe ich, man sieht es mir nach, dass ich so wenig Gebrauch von Statistiken mache. Der Versuch, statistische Bestätigungen etwa für die Auswirkungen von Zöllen, Preiskontrollen, Inflation und der Überwachung von Gütern wie Kohle, Gummi und Baumwolle zu bringen, hätte den Umfang des Buchs gesprengt. Als Journalist weiß ich im Übrigen nur zu gut, wie schnell Statistiken überholt sind und durch neue Zahlen ersetzt werden. Wer sich für spezielle Wirtschaftsprobleme interessiert, sollte aktuelle »realistische« Diskussionen darüber lesen, die statistisch untermauert sind. Er wird keine Schwierigkeiten haben, die Statistiken im Lichte der Grundlagen richtig zu deuten, die er hier kennengelernt hat.
Ich habe mich bemüht, dieses Buch so einfach und frei von Fachausdrücken zu schreiben, wie es mit einer angemessenen Genauigkeit vereinbar ist, sodass auch ein Leser es verstehen kann, der keine wirtschaftlichen Vorkenntnisse hat.
Das Buch ist zwar als Einheit gedacht, trotzdem sind bereits drei Kapitel als Einzelartikel veröffentlicht worden, und ich möchte der New York Times, dem American Scholar und dem New Leader für die Erlaubnis danken, etwas nachzudrucken, was ursprünglich in diesen Blättern erschienen ist. Ich danke Professor von Mises für die Durchsicht des Manuskripts und seine nützlichen Anregungen. Die Verantwortung für die zum Ausdruck gekommenen Meinungen liegt selbstverständlich bei mir.
New York, 25. März 1946
Henry Hazlitt
1 Reason and Nature (1931), S. X
In keinem Bereich menschlichen Bemühens spuken so viele Irrtümer wie in der Wirtschaft. Das ist kein Zufall. Sind die dem Fach eigenen Schwierigkeiten schon groß genug, erhöhen sie sich noch um ein Vielfaches durch einen Umstand, der zum Beispiel für die Physik, die Mathematik oder die Medizin keine Bedeutung hat – das nachhaltige Eintreten für eigennützige Interessen. Zwar hat jede Gruppe bestimmte wirtschaftliche Interessen, die sich mit denen aller anderen Gruppen decken, doch sie hat auch, wie wir noch sehen werden, Eigeninteressen, die denen aller anderen Gruppen zuwiderlaufen. Bestimmte wirtschaftspolitische Maßnahmen der öffentlichen Hand kommen langfristig jedermann zugute, andere dagegen begünstigen nur eine Gruppe auf Kosten aller anderen. Die Gruppe, die von solchen Maßnahmen profitiert und deshalb ein direktes Interesse an ihnen hat, wird sich verständlicherweise mit Nachdruck und scheinbarer Glaubwürdigkeit für sie einsetzen. Sie wird die klügsten Köpfe engagieren, die sie sich beschaffen kann, damit sie sich ganz ihrer Sache annehmen. Und sie wird die Öffentlichkeit schließlich entweder davon überzeugen, dass ihre Sache gut ist, oder sie so verwirren, dass es praktisch unmöglich wird, die Zusammenhänge noch klar zu durchschauen.
Neben diesem Eintreten für Eigeninteressen produziert noch ein anderer nicht unbedeutender Umstand tagtäglich wirtschaftliche Irrtümer am laufenden Band. Das ist die unausrottbare Neigung der Menschen, nur die unmittelbaren Folgen einer Maßnahme oder nur deren Auswirkungen auf eine bestimmte Gruppe zu sehen. Man versäumt zu fragen, wie sich diese Maßnahme langfristig nicht nur auf diese eine Gruppe, sondern auch auf alle anderen auswirkt. Es ist die Kurzsichtigkeit, die Spätfolgen außer Acht zu lassen.
Darin liegt der ganze Unterschied zwischen gutem und schlechtem Wirtschaften. Der schlechte Wirtschafter sieht nur, was offenkundig ist, der gute blickt tiefer. Der schlechte Wirtschaftspolitiker erkennt nur die unmittelbaren Folgen eines geplanten Kurses, der gute bedenkt auch die erst später eintretenden und indirekten Konsequenzen. Der kurzsichtige Wirtschaftsexperte überlegt nur den Nutzen einer Maßnahme für eine bestimmte Gruppe, der weitblickende untersucht auch die Auswirkungen auf alle anderen Gruppen.
Diese Unterscheidung mag naheliegend erscheinen. Die Vorsicht, sämtliche Folgen eines bestimmten Handelns für alle zu bedenken, ist eigentlich selbstverständlich. Weiß nicht jeder aus seinem eigenen Leben, dass es Schwächen und Laster gibt, die im Moment zwar angenehm, am Ende aber verhängnisvoll sind? Weiß zum Beispiel nicht jeder, der sich betrinkt, dass ihm am nächsten Tag schlecht ist und er einen Kater hat? Ist nicht jedem Gewohnheitstrinker bekannt, dass er seine Leber ruiniert und sein Leben verkürzt? Weiß der Playboy nicht, dass er sich auf alle möglichen Risiken einlässt, von der Erpressung bis zur Geschlechtskrankheit? Und um wieder auf den wirtschaftlichen, wenn auch immer noch privaten Bereich zu kommen: wissen der Faulenzer und der Verschwender nicht schon, während sie sich noch austoben, dass sie auf eine Zukunft in Schulden und Armut zusteuern?
Doch wenn wir zur staatlichen Wirtschaftspolitik kommen, werden all diese elementaren Wahrheiten missachtet. Da gibt es Leute, die als glänzende Wirtschaftsexperten gelten, die das Sparen verurteilen und staatliche Verschwendung als Mittel zur Rettung der Wirtschaft empfehlen. Und wenn jemand auf die langfristigen Folgen dieser Politik hinweist, entgegnen sie leichthin, wie der auf großem Fuß lebende Sohn seinem warnenden Vater: »Auf lange Sicht – da sind wir doch sowieso alle tot.«
Aber das Tragische ist, dass wir ganz im Gegenteil bereits unter den langfristigen Folgen der Maßnahmen der jüngeren und ferneren Vergangenheit zu leiden haben. Das Heute ist schon das Morgen. Die langfristigen Auswirkungen einiger Wirtschaftsmaßnahmen werden vielleicht schon in wenigen Monaten sichtbar. Andere machen sich vielleicht erst in ein paar Jahren bemerkbar und wieder andere erst in Jahrzehnten. Aber auf jeden Fall sind diese langfristigen Folgen bereits in den Maßnahmen enthalten.
So gesehen lässt sich daher die ganze Lehre von der Wirtschaft auf eine einzige Lektion und diese Lektion auf einen einzigen Satz reduzieren. Die Kunst des Wirtschaftens besteht darin, nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die langfristigen Auswirkungen jeder Maßnahme zu sehen; sie besteht ferner darin, die Folgen jedes Vorgehens nicht nur für eine, sondern für alle Gruppen zu bedenken.
Neun Zehntel der wirtschaftlichen Irrtümer, die in der heutigen Welt enormen Schaden bewirken, sind das Ergebnis der Nichtbeachtung dieser Lektion. Und all diese Fehlbeurteilungen gehen auf einen von zwei zentralen Irrtümern zurück oder auf beide: auf den, nur die unmittelbaren Auswirkungen einer Handlung oder einer Maßnahme zu beachten, und auf den, nur die Folgen für eine bestimmte Gruppe zu sehen, ohne die Nachteile für andere.
Selbstverständlich ist auch der genau entgegengesetzte Irrtum möglich. Wenn wir eine Maßnahme erörtern, sollten wir nicht nur ihre langfristigen Auswirkungen auf die Gemeinschaft als Ganzes im Auge haben. Diesen Fehler begehen die Vertreter der klassischen Wirtschaftslehre ziemlich oft. Er ergab sich aus einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber Gruppen, die unmittelbar empfindlich von Maßnahmen oder Entwicklungen getroffen wurden, welche sich per Saldo und auf lange Sicht betrachtet durchaus als vorteilhaft erwiesen.
Heute unterläuft dieser Fehler kaum noch jemandem. Und die wenigen, denen er doch passiert, sind in erster Linie Wirtschaftstheoretiker. Der häufigste Irrtum heute, der in beinahe jeder Unterhaltung über Wirtschaftsfragen und Tausenden von Politikerreden wieder und wieder vorkommt, der grundlegende Trugschluss der »neuen« Wirtschaft, besteht darin, sich auf die kurzfristigen Auswirkungen von Maßnahmen auf bestimmte Gruppen zu konzentrieren und die langfristigen Folgen für die Volkswirtschaft als Ganzes zu übergehen oder zu verharmlosen. Die »neuen« Wirtschaftsexperten schmeicheln sich, dass dies ein gewaltiger, fast revolutionärer Fortschritt gegenüber den Methoden der »klassischen« oder »orthodoxen« Theoretiker sei, weil sie die kurzfristigen Auswirkungen in ihre Überlegungen mit einbeziehen, die letztere häufig nicht beachtet haben. Dabei machen sie selbst den weit schwereren Fehler, weil sie die langfristigen Folgen völlig übergehen oder vernachlässigen. Sie sehen den Wald nicht, weil sie sich ausschließlich und mit größter Akribie auf einzelne Bäume konzentrieren. Ihre Methoden und Schlussfolgerungen sind oft durch und durch reaktionär. Überrascht stellen sie manchmal fest, dass sie auf gleicher Linie mit dem Merkantilismus des 17. Jahrhunderts liegen. Sie verfallen in all die alten Fehler (oder würden es, wenn sie nicht so inkonsequent wären), welche die klassischen Ökonomen, wie wir glaubten, ein für allemal aus der Welt geschafft hatten.
Mit Bedauern wird oft vermerkt, dass die schlechten Wirtschaftsexperten ihre Irrtümer der Öffentlichkeit besser verkaufen als die guten Fachleute ihre Wahrheiten. Häufig wird beklagt, dass der wirtschaftliche Unsinn, den Demagogen öffentlich verbreiten, scheinbar mehr einleuchtet als die Argumente der ernsthaften Experten, die nachzuweisen versuchen, was falsch daran ist. Aber der eigentliche Grund dafür ist gar nicht schwer zu erraten. Er besteht darin, dass Demagogen und schlechte Wirtschaftspolitiker Halbwahrheiten anbieten. Sie sprechen nur die direkten Auswirkungen einer geplanten Maßnahme oder deren Folgen für eine bestimmte Gruppe an. Und vielleicht haben sie mit dem, was sie sagen, sogar recht. In diesen Fällen besteht die Antwort aber darin, zu zeigen, dass der geplante Schritt auch längerfristige und weniger erwünschte Konsequenzen hat, oder dass er eine Gruppe nur auf Kosten aller anderen begünstigen kann. Die Antwort besteht darin, die halbe Wahrheit durch die fehlende Hälfte zu ergänzen und zu berichtigen. Aber oft erfordert es komplizierte und umständliche Überlegungen, die wichtigsten Auswirkungen einer geplanten Maßnahme auf alle Betroffenen zu berücksichtigen. Die meisten Zuhörer haben Schwierigkeiten, diesen Gedankengängen zu folgen. Sie langweilen sich sehr bald und hören nicht mehr genau zu. Die schlechtesten Wirtschaftsspezialisten haben für diese geistige Schwäche und Trägheit eine scheinbar einleuchtende Erklärung parat. Sie versichern dem Publikum, es brauche sich überhaupt nicht die Mühe zu machen, den Gedankengängen zu folgen oder deren Wert beurteilen zu wollen, weil das alles doch nur »klassischer Liberalismus«, »Laisser-faire« oder »kapitalistische Ausflüchte« seien, oder was sonst an abwertenden Bezeichnungen herhalten muss.
Wir haben das Wesentliche der Lektion und der Irrtümer, die ihr im Weg stehen, bisher nur anhand abstrakter Begriffe erläutert. Aber die Lektion wird nicht »sitzen«, und die Irrtümer werden auch weiterhin unerkannt bleiben, wenn nicht beides an Beispielen erklärt wird. Mithilfe dieser Beispiele können wir bei den ganz elementaren Wirtschaftsproblemen beginnen und uns bis zu den schwierigsten und kompliziertesten Prozessen vorwagen. Wir können anhand der Beispiele lernen, zunächst die ganz groben und offenkundigen Trugschlüsse zu erkennen und zu vermeiden, um am Ende dann einige äußerst raffinierte und schwer fassbare Denkfehler aufzudecken. Dieser Aufgabe wollen wir uns jetzt zuwenden.
Die Leute sehen nur, was unmittelbar ins Auge fällt.
Beginnen wir mit dem einfachsten Beispiel, das möglich ist, und entscheiden wir uns, dem Vorbild Bastiats folgend, für eine zerbrochene Fensterscheibe.
Ein Lausbub wirft mit einem Stein das Schaufenster einer Bäckerei ein. Der Bäcker kommt wütend herausgerannt, aber der Junge ist längst verschwunden. Einige Leute strömen zusammen und betrachten mit stiller Genugtuung das gähnende Loch in der Scheibe und die auf Brot und Gebäck liegenden Scherben. Nach einer Weile kommt in der Menge das Bedürfnis nach tiefschürfenden Betrachtungen auf. Und mit größter Wahrscheinlichkeit werden einige der Anwesenden einander oder dem Bäcker erklären, dass letztlich auch dieses Missgeschick sein Gutes hat. Es gibt irgendeinem Glaser Arbeit. Sie fangen an, darüber nachzudenken, und vertiefen sich in den Fall. Wie viel wird eine neue Scheibe kosten? 1000 Mark? Eine ganz schöne Summe. Aber wenn nie irgendwelche Fenster kaputtgingen, was würde dann aus den Glasern? Und so kann man natürlich endlos weiterfolgern. Der Glaser hat 1000 Mark mehr, die er bei anderen Kaufleuten ausgeben kann, die ihrerseits 1000 Mark mehr zum Ausgeben bei wieder anderen Kaufleuten haben, und so weiter. Das eingeworfene Fenster schafft in sich immer weiter ausbreitenden Kreisen Geld und Arbeit. Wenn die Menge die logische Schlussfolgerung aus all dem ziehen würde, hieße das, dass der kleine Lausbub, der den Stein geworfen hat, bei Weitem keine Gefahr für die Öffentlichkeit ist, sondern vielmehr ein öffentlicher Wohltäter.
Betrachten wir die Sache etwas anders. Was die erste Schlussfolgerung angeht, hat die Menge zweifellos recht. Dieses kleine Werk der Zerstörung bedeutet zunächst einmal mehr Arbeit für irgendeinen Glaser. Dieser wird den Zwischenfall nicht unglücklicher aufnehmen als ein Leichenbestatter den Tod. Der Bäcker aber ist um 1000 Mark ärmer, für die er einen neuen Anzug hatte kaufen wollen. Weil er das Schaufenster erneuern lassen muss, wird er auf den Anzug verzichten müssen (oder auf ein gleichwertiges Bedürfnis oder Luxusgut). Anstelle eines Schaufensters und der 1000 Mark hat er jetzt nur ein Schaufenster. Oder, wenn er vorgehabt hätte, sich den Anzug noch am gleichen Tag zu kaufen, hätte er, anstatt ein Schaufenster und einen Anzug zu besitzen, mit einem Schaufenster und ohne Anzug zufrieden sein müssen. Wenn wir ihn als Teil der Gemeinschaft betrachten, hat die Gemeinschaft einen neuen Anzug eingebüßt, der sonst vielleicht geschneidert worden wäre, und ist um eben so viel ärmer.
Der geschäftliche Gewinn des Glasers ist mit anderen Worten nichts anderes als der geschäftliche Verlust des Schneiders. Es ist keine zusätzliche »Beschäftigung« entstanden. Die Leute vor dem Schaufenster hatten nur an zwei Parteien bei diesem Geschäft gedacht, an den Bäcker und den Glaser. Die potenziell betroffene dritte Partei, den Schneider, hatten sie vergessen. Sie vergaßen ihn, weil er jetzt gar nicht auf der Bildfläche erscheint. In ein oder zwei Tagen werden sie das neue Schaufenster sehen, aber den neuen Anzug werden sie nie zu sehen bekommen, weil ihn der Schneider nie machen wird. Die Leute sehen nur, was unmittelbar ins Auge fällt.
(...) (D)ie mutwillige Zerstörung jedes Gegenstandes, der noch einen wirklichen Wert hat, ist immer ein Verlust, ein Missgeschick oder eine Katastrophe (...).
Das zerbrochene Fenster ist damit erledigt. Ein grundlegender Trugschluss. Jeder, so sollte man meinen, könnte ihn vermeiden, wenn er nur einige Augenblicke nachdächte. Doch der Irrtum, dem die Menschen vor dem zerbrochenen Schaufenster erlegen sind, kommt in der Geschichte der Wirtschaft in hundert Verkleidungen wieder und wieder vor. Er grassiert heute in einem Ausmaß wie nie zuvor. Und jeden Tag bekräftigen sie ihn mit feierlichem Ernst aufs Neue – einflussreiche Wirtschaftsführer, Handelskammern, Gewerkschaftsführer, Chefredakteure, Journalisten, Rundfunk- und Fernsehkommentatoren, erfahrene Statistiker, die sich der ausgefallensten Techniken bedienen, und Professoren der Wirtschaftswissenschaft an den besten Universitäten. Auf die verschiedenste Art und Weise lassen sie sich alle über die Vorzüge der Zerstörung aus.
Obwohl einige von ihnen es sicher für unter ihrer Würde hielten, zu erklären, dass kleine Werke der Zerstörung per Saldo einen Nutzen erbringen können, sehen sie einen fast unbegrenzten Nutzen, wenn die Werke der Zerstörung gigantisch sind. Sie erzählen uns, wie viel wirtschaftlich besser es uns allen im Krieg als in Friedenszeiten geht. Sie erblicken »Produktionswunder«, die zu erreichen ein Krieg erforderlich wäre. Und vor ihren Augen taucht eine Welt auf, der durch gewaltige »akkumulierte« oder »gestützte« Nachfrage Wohlstand beschert wird. In Europa zählten sie am Ende des Zweiten Weltkriegs voller Eifer die Häuser, ganze Städte, die dem Erdboden gleichgemacht worden waren und »ersetzt werden mussten«. In Amerika zählten sie im Krieg die Häuser, die nicht gebaut werden konnten, die Nylonstrümpfe, die man nicht liefern konnte, die altersschwachen Autos und Reifen, die veralteten Radios und Kühlschränke. Dabei brachten sie es auf beachtliche Zahlen.
Da war er wieder, der alte Irrtum mit dem eingeworfenen Fenster, diesmal nur in neuem Gewand und aufgeblasen bis zur Unkenntlichkeit. Und unterstützt wurde er von einem ganzen Bündel verwandter Trugschlüsse. Bedarf und Nachfrage wurden verwechselt. Je mehr der Krieg zerstört und je mehr Armut er bringt, desto größer ist der Nachkriegsbedarf. Daran besteht kein Zweifel. Aber Bedarf ist nicht gleich Nachfrage. Wirksame wirtschaftliche Nachfrage erfordert nicht nur einen Bedarf, sondern auch die entsprechende Kaufkraft. Der Bedarf Indiens ist heute um ein Vielfaches größer als der Amerikas. Aber seine Kaufkraft, und damit das »neue Geschäft«, das sie anregen kann, ist um ein Vielfaches kleiner.
Aber wenn wir über diesen Punkt hinausdenken, ergibt sich die Chance für einen weiteren Irrtum, den die Leute vor dem Schaufenster des Bäckers und alle, die ähnlich argumentieren, auch meistens aufgreifen. Sie denken, wenn sie das Wort »Kaufkraft« hören, nur an Geld. Aber Geld kann man drucken. Als diese Zeilen geschrieben wurden, war das Drucken von Geld tatsächlich der größte Wirtschaftszweig der Welt – wenn man das Produkt in Geld ausdrückt. Aber je mehr Geld auf diese Weise in Umlauf gebracht wird, desto stärker wird die einzelne Geldeinheit entwertet. Dieser sinkende Wert ist an den steigenden Preisen der Waren abzulesen. Aber da die meisten Menschen so sehr daran gewöhnt sind, ihren Wohlstand und ihr Einkommen in Geld auszudrücken, glauben sie, besser dran zu sein, wenn diese in Geld ausgedrückten Zahlen steigen, obwohl sie, in Waren ausgedrückt, vielleicht weniger haben und weniger kaufen können. Die meisten »guten« wirtschaftlichen Folgen, welche die Menschen damals dem Zweiten Weltkrieg zuschrieben, gingen in Wirklichkeit auf die kriegsbedingte Inflation zurück. Sie hätten ebenso gut bei einer vergleichbaren Inflation in Friedenszeiten entstehen können, und taten es ja auch. Auf diese Illusion, wenn es um Geld geht, kommen wir später noch einmal zurück.
Aber auch der Irrtum hinsichtlich der »gestützten« Nachfrage enthält eine Halbwahrheit, genauso wie beim zerbrochenen Fenster. Das eingeworfene Schaufenster brachte dem Glaser zusätzliche Arbeit. Die Zerstörungen durch den Krieg brachten den Produzenten bestimmter Waren zusätzliche Arbeit. Die Zerstörung von Häusern und Städten brachte der Bauwirtschaft mehr Arbeit. Da während des Krieges keine Autos, Radios und Kühlschränke hergestellt werden konnten, gab es nach dem Krieg angestaute Nachfrage gerade nach diesen Produkten.
Den meisten kam das wie eine erhöhte Gesamtnachfrage vor, was, ausgedrückt in Mark oder Dollars mit geringerer Kaufkraft, zum Teil auch zutraf. Aber was in erster Linie stattfand, war ein Umlenken der Nachfrage von anderen Waren auf diese speziellen Produkte. In Europa bauten die Menschen mehr neue Häuser als sonst, weil sie es mussten. Aber als sie sie bauten, standen ihnen in eben diesem Umfang weniger Arbeitskräfte und Produktionskapazität für alles andere zur Verfügung. Als sie sich Häuser kauften, konnten sie in eben dem Umfang weniger andere Waren kaufen. Überall, wo die Wirtschaft in einer Richtung ausgebaut wurde, wurde sie in einer anderen entsprechend abgebaut; eine Ausnahme gab es insofern, als Produktivkräfte durch ein Gefühl der Bedürftigkeit und Dringlichkeit angeregt wurden.
Kurz gesagt, das Kriegsende veränderte die Richtung der Anstrengungen; es verschob die Gewichte in der Wirtschaft und änderte die Struktur der Industrie.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Europa ein rasantes, teilweise außergewöhnliches »Wirtschaftswachstum« zu verzeichnen, sowohl in den Ländern, die vom Krieg heimgesucht worden waren, wie auch in jenen, in denen er nicht gewütet hatte. Einige Länder, die sehr stark zerstört worden waren, wie Deutschland, haben schnellere Fortschritte gemacht als andere Länder, die weniger unter den Kriegsfolgen zu leiden hatten, wie beispielsweise Frankreich. Das lag zum Teil daran, dass Westdeutschland eine gesündere Wirtschaftspolitik betrieb. Zum Teil aber auch daran, dass die drängende Notwendigkeit, zu normalen Wohnungs- und Lebensbedingungen zurückzukehren, verstärkte Anstrengungen auslöste. Aber das bedeutet nicht, dass die Vernichtung von Eigentum ein Vorteil für den Betroffenen ist. Niemand wird sein Haus anzünden, weil eine Theorie besagt, dass das Bedürfnis, es wiederaufzubauen, seine inneren Kräfte mobilisiert.
Nach einem Krieg wird die Tatkraft normalerweise eine Zeit lang angeregt. Zu Beginn des berühmten dritten Kapitels seiner History of England schreibt Macaulay:
»Kein gewöhnliches Unglück, keine gewöhnliche Misswirtschaft, stürzen eine Nation so tief ins Elend, dass das ständig fortschreitende materielle Wissen und die dauernden Bemühungen jedes Einzelnen, mehr zu leisten, sie nicht doch zum Wohlstand führen könnten. Man hat immer wieder festgestellt, dass weder übermäßige Verschwendung, erdrückende Besteuerung, absurde Handelsbeschränkungen, bestechliche Gerichte, verheerende Kriege, Aufruhr, Verfolgungen, Feuersbrünste noch Überschwemmungen in der Lage waren, so schnell Kapital zu vernichten, wie der Fleiß privater Bürger es neu schaffen konnte.«
Niemand möchte, dass sein Besitz zerstört wird, weder im Krieg noch im Frieden. Was für den Einzelnen ein Schaden oder Unglück ist, muss es auch für die Gesamtheit der Einzelpersonen sein, die eine Nation bilden.
Viele der häufigsten Irrtümer bei wirtschaftlichen Betrachtungen entstehen aus der vor allem heute sehr ausgeprägten Neigung, in abstrakten Begriffen zu denken, wie »Gesamtheit« oder »Nation«. Dabei werden oft die Menschen vergessen oder übersehen, die dahinter stehen und allem erst einen Sinn geben. Niemand könnte die Zerstörungen eines Krieges für einen wirtschaftlichen Vorteil halten, der als Erstes an die Menschen denkt, deren Besitz vernichtet wird.
Wer meint, dass die Verwüstungen des Krieges die »Gesamtnachfrage« erhöhen, übersieht, dass Nachfrage und Angebot zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Sie sind der gleiche Gegenstand, von zwei verschiedenen Seiten betrachtet. Das Angebot schafft die Nachfrage, weil es im Grunde Nachfrage ist. Das Angebot dessen, was die Menschen produzieren, ist letztlich das Einzige, was sie im Austausch für die Dinge anzubieten haben, die sie erwerben möchten. So gesehen stellt das Angebot von Weizen durch die Bauern ihre Nachfrage nach Autos und anderen Gütern dar. All das steckt in der modernen Arbeitsteilung und der Tauschwirtschaft.