Die atemberaubende Welt der Lunge - Kai-Michael Beeh - E-Book

Die atemberaubende Welt der Lunge E-Book

Kai-Michael Beeh

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Beschreibung

Wie wichtig ist eine gesunde Lunge, was leistet sie und was passiert, wenn sie erkrankt?

Unsere Lunge ist ein komplexes Wunderwerk der Natur und doch zugleich so gefährdet wie kein anderes Organ. Mit jedem Atemzug setzen ihr Mikroben, Viren, Allergieauslöser und Luftschadstoffe wie Feinstaub, Ozon oder Zigarettenrauch zu. Weltweit nehmen Lungenerkrankungen zu – ein alarmierender Trend, der auch aus der Unachtsamkeit resultiert, mit der wir unser größtes Organ behandeln.

Der Lungenspezialist Dr. med. Beeh führt auf einer hochinformativen und unterhaltsamen Reise durch die menschlichen Atemwege in die Lunge und vermittelt alles Wissenswerte über dieses bedeutende Organ und seine Pflege: Tief durchatmen – wie funktioniert diese Selbstverständlichkeit eigentlich, Zug für Zug, 20.000-mal am Tag? Wie steuert die Atmung unsere Emotionen? Warum husten wir, statt in unseren Atemwegen Schmerz zu empfinden? Kann eine Lunge neu wachsen? Wie schützt sich unser größtes Organ vor Mikroben und Luftschadstoffen und vor allem: Was können wir selber tun, damit dieses wundervolle Organ lebenslang funktionsfähig bleibt?

Mitreißend und unterhaltsam vermittelt Dr. med. Kai-Michael Beeh voller Humor alles Wissenswerte über die Lunge, ihre erstaunlichen Fähigkeiten und darüber, wie wir sie jung und gesund erhalten können.

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Seitenzahl: 346

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Einfach tief durchatmen – hinter dieser Selbstverständlichkeit verbirgt sich ein komplexes Wunder der Natur, das sich mit jedem Atemzug wiederholt – 20.000 Mal am Tag. Im Zentrum dieses Wunders steht unsere Lunge, die zugleich wie kaum ein zweites Organ durch unsere Lebensführung und Umwelt bedroht ist. Sie bewältigt gigantische Mengen von Bakterien, Feinstaub und anderen Luftschadstoffen. Und schafft es meistens dennoch auf erstaunliche Weise, lebenslang funktionsfähig zu bleiben. Mitreißend und voller Begeisterung für sein Thema vermittelt der Lungenspezialist Kai-Michael Beeh so unterhaltsam wie humorvoll alles Wissenswerte über die Lunge, ihre erstaunlichen Fähigkeiten und darüber, wie wir sie jung und gesund erhalten können.

Dr. med. Kai-Michael Beeh

Die atemberaubende Welt der Lunge

Warum unser größtes Organ Obst mag, wir bei Konzerten husten müssen und jeder Atemzug einzigartig ist

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Originalausgabe 10/2018

Copyright © 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Thomas Bertram

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Umschlaggestaltung: Hauptmann und Kompanie, Zürich

unter Verwendung eines Fotos von: Flashfotos.de/Daams Naber GBR/ Random House

Innenteilmotive: Heyne Verlag: Bild01, Bild02, Bild03 (Veronika Moga); Shutterstock: Bild05, Bild04 (Sebastian Kaulitzki), Bild06 (crystal light), Bild07 (Alila Medical Media)

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-23649-6V001

www.heyne.de

Für Hedda, Hannah und Jutta

One ship drives east and another drives west

With the selfsame winds that blow.

Tis the set of the sails

And not the gales

Which tells us the way to go.

ELLA WHEELER WILCOX, THE WINDS OF FATE

Inhalt

Vorwort

1. Solide: Architektur und Wohnen

»Können Sie etwas sehen?« – »Ja, wunderbare Dinge!«: Der menschliche Atemtrakt von vorne bis hinten

Schengen-Raum und Außengrenze: Die Lunge und ihre Nachbarn

Die Verwandlung: Lungenentwicklung und Reifung. Warum Frühchen keine »kleinen Menschen« sind

Vergiss mein nicht: Was unsere Nase mit der Lunge zu tun hat

Lass’ mich rein, lass’ mich raus: Wie der Kehlkopf unsere Atemwege schützt

Ein Baum, viele Straßen: Bronchialsystem und Lungenbläschen

Von Häuptlingen und Indianern: Immunabwehr

Mitwohnzentrale: Das »Mikrobiom« der Lunge

2. Alles, was zählt: Funktion und Alltag oder die schlichte Schönheit des Atmens

Über sieben Brücken: Gasaustausch und Lungendurchblutung – eine kurze Geschichte der Atmung

An den Hebeln der Macht: Wie das Gehirn die Atmung steuert

Es geht voran! Der mukoziliäre Reinigungsapparat

3. Maschine brennt oder Die drei Fragezeichen: Typische Symptome und was sie verraten

Gemeinsam einsam: Husten

Wechselt sein Gesicht wie die Ampel ihr Licht: Was Ihr Auswurf (nicht) verrät

Lebendig begraben: Atemnot

4. Menschliches, allzu Menschliches: Wichtige Erkrankungen der Atemwege und Lunge (und was man dagegen tun kann)

Alle Jahre wieder: Atemwegsinfekte

Ausweitung der Kampfzone: Lungenentzündung

Unter dem Vulkan: Tuberkulose

Eine enge Kiste: Asthma

Wie war noch gleich Ihr Name? COPD, die unbekannte Volkskrankheit

Das wüste Land: Erkrankungen der Lungenbläschen

Sonnenfinsternis: Lungenkrebs

Still, so still: Die sterbende Lunge

Das Leben ist anderswo: Lunge und Psyche

5. Du liebst mich nicht: Lunge und Umwelt

Der Hauch des Todes: Rauchen

Der Himmel über der Wüste: Luftverschmutzung

Der klimatisierte Albtraum: Lunge und globale Erwärmung

6. Es führt kein Weg zurück: Lungenalterung

Die Kraft und die Herrlichkeit: Altern und Alterungsvorgänge

Ton, Steine, Scherben: Die drei Kennzeichen der Lungenalterung

7. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: L-I-E-B-E, die fünf Säulen für altersloses Atmen!

L wie Luft zum Atmen – nicht nur sauber, sondern rein

I wie Infektabwehr – das Immunsystem schlägt zurück

E wie Ernährung – Ihr täglich Brot heute für die Luft von morgen

B wie Bewegung – Regen, Dampf, Geschwindigkeit

E wie Entspannungs- und Atemtechniken – take it easy, altes Haus

Schlusswort: Schau heimwärts, Engel!

Danksagung

Allgemeine Quellen und Literatur

Vorwort

In Deutschland scheint sich eine »neue Innerlichkeit« breitzumachen. War das Erkunden menschlicher Organe bis vor Kurzem noch medizinischen Fachkräften, Biologielehrern oder Hypochondern vorbehalten, so stehen heute Bücher über Herz, Haut, Prostata oder Darm auf den Bestsellerlisten. Und nun also ein Buch über die Lunge.

Warum die Lunge? Die Antwort könnte lapidar lauten: darum. Weil sie einfach dran war. Weil es noch kein vergleichbares Buch über die Lunge gab. Weil ich Lungenfacharzt bin und daher nur auf diesem Gebiet kompetent, so wie Manuel Neuer eben Torwart und kein Stürmer ist, Lady Gaga Performance-Künstlerin und nicht Sachbearbeiterin und Jörg Pilawa Quizshows und nicht die Tagesthemen oder das Literarische Quartett moderiert. Unser ärztliches Ausbildungssystem zwingt uns früher oder später zu einer Spezialisierung. Wir müssen unser berufliches Tun mehr oder weniger exklusiv einem einzelnen Organ oder Organsystem widmen. Ob das sinnvoll ist, soll hier nicht erörtert werden. Wenn man mich zu Beginn meines Studiums gefragt hätte, zu welcher Fachrichtung ich tendiere, wäre die Lunge, ein unscheinbares, glattes, asymmetrisches Organpaar von zäher, schwammiger Konsistenz mit knorpeligem Inhalt, ganz sicher weit abgeschlagen auf einem der hinteren Plätze gelandet. Kennen Sie Arztromane oder -serien, in denen ein Lungenfacharzt mitspielt? Die Führungsriege von Chicago Hope und Emergency Room war ein komplett Pneumologie-freier Club.

Es ging mir nicht anders als den meisten meiner Studienkollegen: Man rutscht irgendwie in ein Fachgebiet hinein – und schafft vor der Facharztprüfung den Absprung nicht mehr. Und dann bleibt man halt dabei. Manchmal aber wird tatsächlich Liebe zum jeweiligen Fach daraus. Hält die Liebe an, wird man im besten Fall ein Enthusiast, im schlimmsten Fall schrullig, ein Fachidiot mit Scheuklappen, für den medizinische Wissenschaft und ärztliche Kunst exakt an der im Anatomieatlas definierten Organgrenze enden. Nicht verhandelbar. Brustschmerz? Das Herz! Luftnot? Das Herz! Brennen beim Wasserlassen? Das Herz, natürlich!!! Oder auch: Brustschmerz? Wahrscheinlich die Nerven. Luftnot? Ganz sicher die Nerven. Brennen beim Wasserlassen? Ganz unzweifelhaft die Nerven …

Warum also ein Buch über die Lunge? Meine subjektive Antwort lautet: Weil ich die Lunge für das komplexeste, faszinierendste, schönste, relevanteste, unersetzlichste, kurz: wichtigste Organ der Welt und aller Zeiten halte, schlicht für die erste Geige im Orchester der menschlichen Biologie. Weil sich nahezu jede Erkrankung und jedes Symptom ursächlich in irgendeiner Weise auf die Lunge und das Atmungssystem zurückführen lässt oder dieses unmittelbar berührt und betrifft.

Über meine persönliche Einschätzung hinaus gibt es jedoch eine Reihe erstaunlicher Fakten, die einen genaueren Blick auf die menschliche Lunge rechtfertigen. Und eine objektiv begründbare Antwort auf die Frage liefern: Warum ein Buch über die Lunge?

Weil Jahr für Jahr weltweit Millionen Menschen mit Beschwerden der Atmungsorgane wie Husten oder Luftnot einen Arzt aufsuchen.Weil die Lungenentzündung weltweit die am häufigsten zum Tod führende Infektionskrankheit ist. Weil die Tuberkulose kein Relikt aus der schöngeistigen Literatur des 19. Jahrhunderts ist, sondern immer noch Millionen Menschen tötet, insbesondere in den sogenannten Entwicklungsländern.Weil das Bronchialasthma die häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter ist.Weil der Lungenkrebs die häufigste bösartige Erkrankung des Mannes ist.Weil den Prognosen zufolge Lungenkrebs auch in naher Zukunft bei den Frauen die häufigste Krebserkrankung und die Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD, chronic obstructive pulmonary disease) weltweit die dritthäufigste Todesursache überhaupt sein wird. Weil sich außerdem die gegenwärtige Diskussion um Dieselbetrug und innerstädtische Feinstaubbelastung weniger um die Frage nach der wirtschaftlichen Zukunft der Automobilindustrie drehen sollte, sondern darum, wie sich Umweltbelastungen kurz- und langfristig auf die Lunge auswirken. Und weil die alarmierende Zunahme der Luftverschmutzung in den sogenannten Schwellenländern eine Diskussion über ein »Menschenrecht auf saubere Luft« unumgänglich macht, wenn dort in naher Zukunft eine gesundheitliche Katastrophe verhindert werden soll. Bereits heute sterben jährlich Millionen Menschen an den Folgen vergifteter Luft – von den Opfern des Rauchens ganz zu schweigen.

Darum also ein Buch über die Lunge. Allerdings benötigt die Lunge »PR«, weil sie in den meisten Ländern außerhalb von Nichtraucherkampagnen keine echte Lobby hat. Lungenerkrankungen schreien uns nicht in Fußgängerzonen von Plakaten an, wie Herzinfarkt, Diabetes, Leberentzündung oder Erektionsschwäche. Initiativen zu Früherkennungsprogrammen für Lungenerkrankungen werden in der Regel mit dem lapidaren Rat »Hört einfach auf zu rauchen« abschlägig beschieden und erhalten keine oder nur unzureichende Förderung. Die Lungenheilkunde ist trotz Millionen betroffener Patienten und einer stetig wachsenden Zahl von Behandlungsfällen in deutschen Praxen an Universitäten und Krankenhäusern gegenüber anderen Fächern der Inneren Medizin hoffnungslos unterrepräsentiert. Im Jahr 2012 gab es in Deutschland mehr als 10000 Facharztanerkennungen: lediglich 90 Lungenfachärzte waren darunter, weniger als ein Drittel der im gleichen Jahr anerkannten Kardiologen und halb so viele wie Magen-Darm-Spezialisten. Praktisch jeder Hausarzt hierzulande kann ein EKG schreiben, aber eine einfache Lungenfunktionsmessung, die weniger als dreißig Sekunden in Anspruch nimmt, wird nur von einem Bruchteil der Praxen angeboten.

Die Lunge verfügt über kein kräftiges »Organ«, sie ist schlicht zu leise, zu unterschwellig, zu bescheiden. Die Lunge ist ein Teamplayer, unauffällig, aber unverzichtbar. In einer Fußballmannschaft wäre sie am ehesten ein klassischer »Sechser« – entscheidend für Erfolg und Niederlage, im Spielbericht aber sicher nicht mit Bestnoten ausgezeichnet. Zehn Kilometer Laufleistung, 90 Prozent gewonnene Zweikämpfe, kein Tor, keine Torvorlage. Solide Partie. Die Lunge kann nicht mit den anderen A-Promis unter den Organen konkurrieren. Sie ist nicht Herz oder Hirn, wo wir Seele und Verstand verorten und wo sich Dramen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall abspielen, deren Symptome beinahe jedes Schulkind aufsagen kann. Traurige Ereignisse oder Ärger gehen an die Nieren oder schlagen auf den Magen, im schlimmsten Fall fährt man aus der Haut, jedenfalls nicht aus der Lunge. Die Lunge ist auch kein Sinnesorgan, dessen kleinstmögliche und sei es nur vorübergehende Beeinträchtigung uns in Panik versetzt. Unsere Lunge kann problemlos mehr als ein Drittel ihrer Funktion einbüßen, bevor wir es überhaupt bemerken!

Die Lunge zwickt und schmerzt nicht, sie bricht nicht oder reißt, wie ein Oberschenkelknochen oder ein Kreuzband. Die meiste Zeit verhält sich unsere Lunge wie ein stiller Mitbewohner: Man weiß um ihre Existenz, aber man hört und sieht sie kaum. Die Lunge hat kein Schmerzempfinden, wir spüren sie nicht. Wächst eine bösartige Geschwulst in ihr, so geschieht das still und unbemerkt. Sie schmerzt erst, wenn sie die Lungengrenzen überschreitet und beispielsweise in das Rippenfell oder in die Brustknochen einwächst.

Die Lunge kann man nicht sehen. Sie versteckt sich tief in unserem Brustkorb hinter einem Panzer aus Knochen und Muskeln – wir bekommen sie niemals zu Gesicht. Da die Lunge anderer Spezies auch nahezu ungenießbar ist (außer für Liebhaber), haben die meisten Menschen nicht einmal vom Metzgerbesuch eine Vorstellung von ihrem Aussehen. Wenn (Röntgen-)Bilder von der Lunge angefertigt werden, sieht ihr Besitzer in der Regel nur ein Paar schwarzer Klumpen, die an ein halbiertes Graubrot erinnern. (Dazwischen leuchtet, in strahlendem Radiologen-Weiß, das wunderbare Herz!)

Was soll man also von einem Organ halten, das man nicht fühlt, nicht sieht und das unbemerkt seinen Dienst versieht? Die Antwort lautet: alles! Die Lunge atmet für uns. Sie ist stets anwesend, stets involviert, von der Wiege bis zur Bahre. Beim Frühchen, das vom Erstickungstod bedroht ist, im ersten Schrei des Neugeborenen, im Plärren und Schreien von Säuglingen und Kleinkindern, im Stöhnen und Seufzen eines launischen Teenagers, im ekstatischen Pumpen und Schnaufen eines Athleten, im Hecheln, Stöhnen und Pressen der Schwangeren, im ruhigen, gleichmäßigen Rhythmus der friedlich Schlafenden, im Wehklagen des Schmerzgeplagten, im letzten Atemzug des Sterbenden.

Wie kein zweites Organ ist die Lunge durch äußere Einflüsse bedroht und gefährdet, und allzu oft wird sie krank. Meistens erholt sie sich davon wieder, manchmal aber auch nicht. Dann wirkt sich diese Beeinträchtigung dauerhaft auf die Lebensqualität des Betroffenen aus, im schlimmsten Fall ist sie lebensbedrohlich. Es ist daher ein Anliegen dieses Buches, Gesunden wie Patienten auf einfache und anschauliche Weise zu erklären, wie Lungenkrankheiten entstehen, welche Auswirkungen und Folgen sie haben und, vor allem, was man dagegen tun kann. Die Pflege dieses wundervollen Organs beginnt bei der Vorbeugung und endet bei der bestmöglichen Behandlung zur Vermeidung von Folgeschäden einer Krankheit.

Die Lunge ist viel mehr als nur ein notwendiger »Kraftstofflieferant für Energiebereitstellungsprozesse« – daher lohnt sich ihre Gesunderhaltung umso mehr! Eine gesunde, voll funktionsfähige Lunge ist die wichtigste Quelle körperlicher Leistungsfähigkeit. Wer je bewusst die Freude (und Qual!) einer sportlichen Ausdauer- oder Maximalbelastung erfahren durfte, wird seine Lunge nie mehr mit den gleichen Augen sehen. Ebenso werden diejenigen, die mit einfachen, zum Teil jahrhundertealten Atemtechniken tiefe Entspannung erfahren, geneigt sein, wenigstens einen kleinen Teil unserer Seele auch in diesem Organ zu verorten.

Gehen Sie also sorgsam, pfleglich und nachhaltig mit diesem kleinen Wunderwerk um. Die Lunge braucht Schutz. Die Lunge braucht Lob. Darum dieses Buch. Atmen Sie tief durch und beginnen Sie mit der Lektüre!

1. Solide: Architektur und Wohnen

Die Lunge ist ein seltsames Konstrukt. Spielen Sie doch mal für einen Moment Schöpfer. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Zeichentisch Ihres Konstruktionsbüros, und der Abnahmetermin für die Lunge ist in dieser Woche. Sie denken nach. Wie bekommt man dieses Organ nur halbwegs stabil im Brustkorb platziert? Sie grübeln. Die Statik ist kompliziert, kein Vergleich zu den anderen Organen. Das Gehirn? Liegt wie eine Auster in der Schale faul und unbeweglich da und hat irgendwo unten durch das Schädelloch ein paar Wurzeln ins Rückenmark geschlagen. Oder Leber und Eingeweide? Mehr oder weniger wahllos in Bauchhöhle und Becken gestopft, Deckel (Zwerchfell) oben drauf und Bauchwand vorne. Nieren? Rechts und links von innen an die Bauchhinterwand getackert, Harnleiter dran, fertig. Muskeln? Haben einen Ansatz (am Knochen), ein Ende (auch am Knochen) und dazwischen stabilisiert sie der gleiche Knochen.

Aber die Lunge? Sieht von außen aus wie die misslungenen Geschwister der Leber: drei Lappen rechts, zwei Lappen links. Hat man vergessen, die bei der Geburt zu trennen? Und innen: alles voller Knorpel. Ungenießbar, zum Verzehr nicht geeignet, wie vergällter Alkohol. Und dann hängt da noch etwas dran. Aus der Mitte entspringt ein flexibles, knorpeliges, 15 Zentimeter langes Rohr. Ist das eine Gänsegurgel? Oder ein Duschschlauch aus Fleisch? Wie bringen Sie dieses schwabbelige, asymmetrische, knochenlose Organ so in Form, dass es ausreichend stabil ist, um nicht in sich zusammenzufallen, und gleichzeitig so beweglich bleibt, dass es bei jedem Atemzug – 15-, 20-, 30- oder sogar 60-mal in der Minute –, bei jedem Ein- und Ausdehnen des Brustkorbs seine Funktion erfüllen kann?

Sie spielen ein paar Optionen durch. Hinstellen: Brustkorb oben öffnen, Organ rein und einfach unten auf dem Zwerchfell abstellen. Keine gute Idee – das Organ fällt als formlose Masse in sich zusammen. Die unteren Lungenteile werden von den oberen zusammengequetscht und weder optimal durchblutet noch belüftet. Wie wäre es mit »An-der-Gurgel-Aufhängen«, was in der Tat praktisch zu sein scheint, wozu hat man schließlich den Schlauch? Also Luftröhre am Ende mit den Halsorganen verbinden und die Lunge wie einen alten Schinken aus der Nationalgalerie daran baumeln lassen. Blöd nur, dass nun bei jeder Einatmung, jedes Mal, wenn das Zwerchfell die Lunge nach unten zieht, die Zunge in den Hals rutscht – wie bei einer alten Türglocke mit Seilzug: Dingdong, ist jemand zu Hause? Wie wäre es dann mit Ankleben oder Anschweißen von innen an die Brustwand? Zugegeben, so verteilt sich das Eigengewicht der Lunge wesentlich besser. Das Zwerchfell unten wird druckentlastet, auf die Halsorgane oben wirkt weniger Zugkraft. Allerdings würde die Lunge nun aufgrund der festen Verbindung mit der Brustwand bei jeder Ausdehnung des Brustkorbs an ihrer Oberfläche einreißen und »Luftlecks« bekommen. Kurz, keine dieser drei Lösungen ist perfekt.

Ganz anders dagegen die Lösung, die Mutter Natur zu bieten hat. Geht nicht, gibt es hier nicht! Der natürliche Bauplan sorgt mit einer Kombination verschiedener Mechanismen für eine gleichmäßige Verteilung der Druck- und Zugkräfte der Lunge im Brustkorb. Dieser Plan ermöglicht zudem durch eine einzigartige »Saugvorrichtung« eine sowohl feste, als auch mobile, gleitende Verbindung von Lungenoberfläche und innerer Brustwand. So bekommt die Lunge von innen ein stabiles Fundament, während von außen der Brustkorb eine Rüstung formt, die selbst mit roher Gewalt nur schwer zu durchdringen ist. Ein faszinierendes Heim, das zu einer ausführlichen Besichtigung einlädt. Ein Heim, in dem gearbeitet und geruht wird. Wo Erregung und Entspannung sich in einem Augenblick abwechseln. Wo aufgeräumt, entsorgt, erneuert und umgebaut wird. Wo Verfall ist, gegen den keine Reparatur hilft. Wo gekämpft, getötet und neu geboren wird. Wo Hoffnung ist und leider allzu oft auch Scheitern. Wo es, wie in einer Familie, eine übergreifende Gemeinschaft gibt, und doch Zwietracht, Eifersüchteleien, Neid, Konkurrenz und Abneigung herrschen können. Wo es schwarze Schafe und irre Großtanten gibt. Ein Heim, in dem es immer zieht, weil die Tür stets offen ist. Treten Sie also ein. Staunen Sie, und wundern Sie sich. Und, wenn Sie möchten, verlieben Sie sich ein bisschen in dieses Haus.

»Können Sie etwas sehen?« – »Ja, wunderbare Dinge!«: Der menschliche Atemtrakt von vorne bis hinten

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – für die Atemwege muss jedoch zunächst die Frage geklärt werden, wo genau dieser Anfang liegt. Wo beginnt der Atemtrakt? Wenn Sie jetzt antworten: »Am Mund«, dann befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Die meisten Menschen würden dasselbe antworten – und dennoch falschliegen. Denn auch wenn wir ihn häufig zum Atmen, Küssen oder Rauchen missbrauchen, gehört der Mund anatomisch zum Verdauungstrakt. Er gleicht in seinem mikroskopischen Aufbau also eher dem Darm als den Bronchien, und er dient in erster Linie der Nahrungsaufnahme, nicht der Atmung.

Der Atemtrakt hingegen beginnt mit der Nase, die zahlreiche funktionelle und anatomische Gemeinsamkeiten mit den Bronchien hat. Der »liebe Gott« hat es so gewollt, dass wir vornehmlich durch die Nase atmen und nicht durch den Mund. Und er hat gute Gründe dafür gehabt, die im Kapitel »Vergiss mein nicht: Was unsere Nase mit der Lunge zu tun hat« erläutert werden.

Der Anfang wäre also geklärt. Wie geht es von da aus weiter? Dazu wollen wir einfach ein Sauerstoffmolekül auf seiner Reise durch die menschlichen Atemwege begleiten – von vorne bis hinten.

Die Nase markiert den Beginn des oberen Atemtraktes. Unser Molekül auf Pilgerfahrt beginnt seine Reise an den Nasenlöchern, passiert den Nasenvorhof und die hügeligen Verwerfungen der drei Nasenmuscheln und gelangt dann über die hintere Nasenhöhle in den Nasen-Rachen-Raum.

Hier gilt es, die Orientierung zu behalten, da sich im Rachen die »Schluckstraße« des Verdauungstraktes mit dem Atemweg kreuzt – und letzterer hat im Zweifelsfall Vorfahrt! Wie ein Verkehrszeichen hängt die bizarre Formation des »Zäpfchens« von der oberen Rachenschleimhaut herab und weist Richtung Süden: zum unteren Rachenraum. An dieser Stelle werden von der Natur Land- und Luftwege endgültig trennt: die Speiseröhre setzt die »Schluckstraße« aus Muskeln und Schleimhaut nach unten Richtung Magen fort. Sie liegt hinten im Hals, direkt vor der Wirbelsäule. Der Kehlkopf mit der unten anschließenden Luftröhre liegt vor der Speiseröhre. So wird er bei jedem Schluckakt vom Kehldeckel, der hinten an der Zunge befestigt ist, dicht verschlossen. Das heißt: Während des Schluckens können Sie nicht gleichzeitig atmen (und vor allem nicht reden) – und umgekehrt. Diesbezügliche Versuche kontert die Natur direkt mit einem Husten- oder – im schlimmsten Szenario – Erstickungsanfall. Bei Tisch wird geschwiegen! Das ist nicht Ausdruck jahrhundertelang gepflegter protestantischer Freudlosigkeit, sondern erfüllt durchaus einen wichtigen biologischen Zweck. Ganz im Sinne Darwins: Der stille Genießer kommt durch!

Mit ein wenig Pech könnte unser Luftmolekül an dieser Stelle auch verschluckt werden – und den interessantesten Teil der Reise verpassen. Doch zum Glück biegt es korrekt nach vorne ab und erreicht zwischen den beiden – zum Kehlkopf gehörenden – Stimmbändern hindurch die Luftröhre.

Hier beginnt der untere Atemweg und der längste, verwirrendste Teil der Reise: der Weg durch die Bronchien. Die Bronchien haben einen Anfang (die Luftröhre) und mindestens 400 Millionen Enden – so viele Lungenbläschen gibt es nämlich. Sie sind die Endstation unserer Tour.

Wie erklärt sich diese unermesslich große Zahl? Auf dem Weg zu den Lungenbläschen teilen sich unsere Atemwege und werden immer kleiner, immer dünner, immer zarter. Insgesamt passiert das 23-mal – und jedes Mal muss unser Molekül sich entscheiden: rechts oder links? Es gelangt von Autobahnen auf Bundes- und Landstraßen, in einspurige Gassen, schließlich auf Feldwege und Trampelpfade. Der letzte Pfad – nach 23 Abzweigungen – ist eine Sackgasse. Es gibt in unserer Lunge etwa neun Millionen dieser Sackgassen (223), und jede verfügt über 40 Parkplätze, die wie Trauben um das Ende dieser Sackgasse herum angeordnet sind: die Lungenbläschen oder »Alveolen«. Ist das nicht traumhaft? Unser Sauerstoffmolekül geht allein auf Reisen und kann aus knapp 400 Millionen Parkplätzen wählen.

Die Aveolen sind jedoch, streng genommen, kein echter Parkplatz, jedenfalls laden sie nicht zum Verweilen ein. Sie sind eher eine Art »Mautstation« auf dem Weg der Luftmoleküle ins Blut, dem endgültigen Ziel der Reise. Hier, und nur hier – in den Sackgässchen, den Alveolen – findet nämlich der Gasaustausch von Sauerstoff und Kohlendioxid statt.

Atemwege und Bronchien (bis etwa zur 16. Teilungsgeneration) können für ihre Visitenkarten zwar reklamieren, in »leitender« Funktion tätig zu sein – allerdings sollten sie sich darauf nichts einbilden. Diese »Leitungsfunktion« erfüllt im Gesamtablauf der Atmung eher eine »zuarbeitende« Rolle: Die Bronchien führen die Luft in das Sackgassengewirr der Alveolen. Hier erst durchdringt unser Sauerstoffmolekül die zarte Schranke zwischen Luft und Blutgefäßen – das andere Transportsystem, das die Lunge durchzieht. Es klatscht sich beim Grenzübertritt mit einem entgegenkommenden Kohlendioxidmolekül ab und kuschelt sich an ein rotes Blutkörperchen. So findet es seine Vollendung: Mit dem Blutstrom gelangt es zurück ins Herz und wird dort Schlag für Schlag immer weiter in den Kreislauf der großen Körperarterien gepumpt. Es warten die gierigen Energieproduzenten und Endverbraucher, wie etwa Muskeln oder Gehirn.

Es ist dieser letzte Abschnitt der Atemwege, die unendliche Weite des Alveolen-Universums, wo auf wundersame Weise die Grenze zwischen der »Außenwelt« und dem körperlichen »Innen« verschwimmt. Die physische Existenz aller über Lungen verfügenden Spezies – Reptilien, Fische, Säugetiere – wird an dieser Nahtstelle irritierend – bedrohlich – fragil. Atem wird Körper und Körper wird Atem. Dort, wo Leben überhaupt erst ermöglicht wird, sind wir zugleich am verletzlichsten. Gefährdet, einer feindlichen Umwelt ausgeliefert. Ausgeliefert, aber nicht schutzlos!

Schengen-Raum und Außengrenze: Die Lunge und ihre Nachbarn

Gute Beziehungen zu seinen Nachbarn zu pflegen ist schon im Alltag wichtig – und nicht selten anstrengend. Die Höhe der Hecke, die Form des Zaunes, der Verlauf der Grundstücksgrenze. Wer räumt wann den Schnee, wer grillt, wer feiert? Sind zu aufdringlich, zu zurückgezogen, grüßen sie oder nicht, lassen sie ihr Unkraut sprießen und so weiter. Kurz: Es ist nicht leicht mit den lieben Nachbarn.

Auch biologische Systeme müssen kooperieren, um zu funktionieren. Irgendwann im Laufe der Evolution hatten ein paar Einzeller vom ewigen Nachbarschaftsstreit genug und fassten den Entschluss, dass man als mehrzellige Organismen leichter durchs Leben kommt. Man gründete Genossenschaften, und lange lief alles wunderbar. Leider blieb die Genossenschaft nicht lange allein, andere Einzeller gründeten ebenfalls Kooperativen, und Ärger und Streitereien begannen von vorn. Die Kooperativen wurden immer größer – komplexe Organismen entstanden, Wirbeltiere und irgendwann der Mensch. Je feindlicher und bedrohlicher die Außenwelt war, umso enger rückten die ehemals unabhängigen Bewohner innerhalb dieser Gebilde zusammen. Das Individuum war geboren.

Aber ist dieses Multiorgansystem Mensch nun ein einheitliches Ganzes oder die Summe seiner Einzelteile? Sind wir wirklich so »individuell« und unteilbar, wie wir meinen? Sind wir – ganz körperlich gesprochen – frei und autonom? Keineswegs. Biologische Systeme, physische wie psychische, sind keine zentralistischen Einheitsstaaten. Es mag einen übergeordneten Rahmen geben, eine Reihe vorgegebener, bindender Verordnungen. Dahinter steht jedoch ein starkes föderales System, dessen Organe kaum zu überwachen und nur begrenzt steuerbar sind. Spätestens, wenn eines unserer Organe aus der Reihe tanzt, merken wir, wie es um unsere Autonomie bestellt ist. Wer kontrolliert denn Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse? Wer garantiert, dass wir nachts atmen? Wer bestimmt, wann wir aufs Klo müssen? Was wissen Sie von den mehr als 50 Milliarden weißen Blutkörperchen in unserem Blut? Haben Sie den geringsten Schimmer, was die den ganzen Tag so treiben? Wussten Sie, dass sie am Ende eines Tages allesamt Selbstmord begehen? Und wer sorgt für den Nachschub? Sie haben keine Ahnung? Haben Sie Ihren Laden überhaupt im Griff?

Mein ärztlicher Rat: Entspannen Sie sich und hören Sie mit dieser Fragerei auf – sie treibt Sie sonst in den Wahnsinn. »Ich ist ein anderer« – wusste schon der französische Dichter Rimbaud (1854 – 1891), und der endete – Sie erraten es: nicht gut. Vertrauen Sie lieber auf die Kraft des Föderalismus, der regionalen Autonomie. Stellen Sie sich Ihren Körper wie die EU vor. Oder wie einen Staatenverbund mit regionalen Elementen. Mag uns unsere medizinische Spezialisierung noch so sehr zu Separatisten machen, streiten wir auch noch so divenhaft um die Behandlungshoheit über einzelne Organe, unsere »disziplinären Tempelberge« – in der Praxis kommen wir um eine föderale, ganzheitliche, organübergreifende Betrachtung nicht herum. Gesundheit resultiert aus guter Nachbarschaft. Ziehen alle an einem Strang, wird eine Erfolgsgeschichte daraus. Scheren ein oder mehrere Mitglieder aus, leiden alle anderen darunter. Kommt Ihnen das bekannt vor?

In der Gemeinschaft des Körpers ist die Lunge aufgrund ihrer lebenswichtigen Funktion für die Sauerstoffaufnahme ein bedeutender Faktor. Ohne sie geht gar nichts. Das Hirn kann nur wenige Minuten ohne Sauerstoff überleben, und auch das ach so wichtige Herz hört ohne den Treibstoff der Lunge in kürzester Zeit auf zu schlagen. Die Lunge ist ein wenig wie Deutschland in Europa – zentral gelegen, verhältnismäßig groß, als geistig-moralische Instanz lange Zeit ungeeignet, aber aufgrund ihrer wirtschaftlichen Kraft als ökonomische Lokomotive unverzichtbar. Sie pflegt gute Beziehungen zu allen. Von bestimmten Nachbarn jedoch ist sie besonders abhängig: Der knöcherne Brustkorb sichert die Außengrenze des Organs und schützt die Lunge vor Verletzungen. Das Zwerchfell dient als mechanische Pumpe der Atembewegung. Das Herz schließlich liefert den Rohstoff, der in der Lunge mit Sauerstoff veredelt wird – das Blut.

Wie sieht die Außengrenze aus? Die Lunge ist vollständig vom knöchernen Brustkorb umschlossen. Dieser wird von den Rippen, den Wirbelkörpern der Brustwirbelsäule und dem Brustbein gebildet und hat eine (kleine) obere und (große) untere Öffnung. Die untere Öffnung wird vom Zwerchfell abgedeckt, die obere, also der Bereich oberhalb der Schlüsselbeine, von der Halsmuskulatur, dem Rippenfell und etwas Bindegewebe. Innerhalb dieser Grenzen befindet sich der Schengen-Raum: enge Kooperation, reger Austausch, lockere Grenzen zwischen den Organen. Außerhalb dieses Raumes unterhält die Lunge diplomatische Fernbeziehungen: zu Darm oder Hirn etwa, die aber jeweils Teil eines eigenen abgegrenzten Bereichs sind, nämlich der Bauch- und Schädelhöhle. Eine Ausnahme bildet die »Exklave« aus Teilen der Luftröhre, Kehlkopf, Rachen und Nase: Diese zählen zu den Atmungsorganen, liegen aber außerhalb des schützenden Brustkorbs. Innerhalb des Brustkorbs gibt es wiederum drei abgetrennte Räume: rechts und links je eine »Brustfellhöhle« mit einem dazugehörigen Lungenflügel. Dazwischen liegt der »Mittelfellraum« (Mediastinum). Hier finden sich Herz, Schlagadern, Venen, Nerven und Lymphbahnen, und die Speiseröhre wandert zwischen den Lungenflügeln hindurch in Richtung Magen. Mittelfellraum und Brustfellhöhlen sind völlig voneinander getrennt. Nur im Mittelteil der Lungenflügel, der »Pforte«, wo die großen Blutabflussbahnen des Herzens ein- bzw. austreten, stehen beide Räume in Verbindung. Die Unterbringung der beiden Lungenflügel in nochmals getrennte Höhlen hat für die Atmung eine besondere Bedeutung.

Erinnern Sie sich an das architektonische Problem aus dem ersten Kapitel? Wie »befestigt« man die eigentlich konturlose Lunge im Brustkorb? Hier ist die Lösung: Haben Sie Kinder? Mussten Sie schon mal eine Vorführung von Kunststücken aus einem Zauberkasten über sich ergehen lassen? Oder haben Sie selber früher einen Zauberkasten besessen? Dann dürften Ihnen noch zwei Klassiker präsent sein, die selbst der talentbefreiteste Nachwuchsmagier hinbekam. Der Ballontrick: Tesafilm auf eine Stelle am Ballon kleben, mit einer Stecknadel genau dort einstechen und Explosion und Knall bleiben aus. Und der Würfeltrick. Im Spielkasten befinden sich zwei handelsübliche Spielwürfel. Der Trick: Die Augen sind nur aufgemalt, die Oberfläche ist also völlig glatt. Man präsentiert nun den einen Würfel dem Publikum auf einem Tisch, während man (heimlich) die Unterseite des zweiten mit etwas Spucke anfeuchtet. Dann drückt man den zweiten Würfel mit der feuchten Seite exakt auf die Oberseite des anderen, hebt an, der untere Würfel bewegt sich wie von Geisterhand mit. Genau so verhält es sich mit Brustwand und Lunge, nur ganz ohne Magie.

Abb. 1: Rechter und linker Lungenflügel umschließen das in der Mitte liegende Herz. Nach oben verbinden Luftröhre und Kehlkopf den Atemweg mit der Mundhöhle.

Über beiden Partnern liegt eine glatte, dünne Haut, das »Brustfell« (medizinisch die »Pleura«). Ein Teil des Brustfells kleidet die knöcherne Brustwand von innen aus, der andere überzieht die gesamte Oberfläche der Lunge (Brustfell ist in diesem Fall ein wenig irreführend, denn diese Haut hat tatsächlich weniger Haare auf ihrer Oberfläche als ein »Gillette-Venus«-Model an ihren Beinen). Der Spalt zwischen den beiden Schichten ist mit einem dünnen Flüssigkeitsfilm versehen. Nun müssen Sie diese lose Verbindung nur noch einmal an Ihre Vakuumiermaschine anschließen, und schon saugt sich die Lunge an der Brustwand fest – bombenfest und aufgrund des Gleitfilms der Pleuraflüssigkeit doch beweglich. Durch diese geniale Konstruktion folgt die Form der Lunge automatisch jeder Bewegung des Brustkorbs bei Ein- und Ausatmung – tatsächlich wie geschmiert. Der Haken an der Sache ist, dass die Verbindung ausschließlich auf dem Zusammenhalt durch das Vakuum beruht – ein kritischer Punkt, weil kein Notfallplan existiert. Gelangt also beispielsweise Luft in den Spalt zwischen Brustwand und Lunge, so ist es mit der Fügsamkeit der Lunge vorbei – sie fällt in sich zusammen wie ein nasser Sack. Ein »Pneumothorax« ist die Folge. Das passiert häufig bei äußeren, gelegentlich auch bei inneren Verletzungen. Vor letzteren schützt – fast immer – der Brustpanzer. Wenn allerdings grobe Kräfte walten – enormer Druck, oder ein Stich mit einem spitzen Gegenstand –, bietet auch dieser keinen ausreichenden Schutz.

Die Form des Brustkorbs ist auf Stabilität, besonders Druckfestigkeit optimiert: Von oben betrachtet, gleicht er eher einer Ellipse als einem Kreis. Die Längsform entspricht ungefähr der oberen Hälfte eines Eis. Zwölf Rippen bilden die Stangen eines Käfigs, dessen Inhalt bei Einatmung vergrößert, bei Ausatmung verkleinert wird. Die ersten sieben Rippen (von oben gezählt) sind »echte« Rippen, die auf der hinteren Körperseite mit den Wirbelkörpern über Gelenke – also beweglich –, vorne jedoch steif mit dem Brustbein verbunden sind. Die »falschen« Rippen (Nummer 8 bis 12) haben keine eigene Verbindung zum Brustbein. Sie sind entweder über eine gemeinsame Knorpelbrücke mit dem Brustbein verbunden oder enden »frei« in der Bauchwand (Rippe 11 und 12). Diese Konstruktion gewährleistet eine ausreichende Festigkeit gegenüber Stößen oder Druck von außen, erlaubt aber genügend Beweglichkeit für die Atembewegungen (Abb. 2). Wie stabil ist diese Konstruktion unter Extrembelastungen, was hält sie aus?

»Professor Horror: Crashtests mit Toten!« – so titelte die Bild-Zeitung im November 1993. Was war passiert? Recherchen hatten ergeben, dass Unfallforscher der Universität Heidelberg für Belastungstests in den 70er und 80er Jahren menschliche Leichen, darunter auch Kinder, verwendet hatten. Ein Skandal? Zumindest arbeiteten die Wissenschaftler nicht im Geheimen. Bei einem Versuch wurden mehrere menschliche Leichen auf den Sitz eines Pkw geschnallt, der Wagen dann mit steigender Geschwindigkeit gegen ein Hindernis gefahren. Anschließend wurden die Leichen obduziert und Rippenbrüche oder innere Verletzungen dokumentiert. Bei einem anderen Versuch lag ein Leichnam auf einer harten Unterlage, und der Brustkorb wurde in Höhe der Mitte des Brustbeins so lange mit zunehmendem Gewicht beschwert, bis es buchstäblich krachte. Was wie das Drehbuch zu einer »Splatter«-Variante von Der 7. Sinn klingt, sind – jedermann zugängliche – Beispiele aus Lehrbüchern zu Versuchsanordnungen der »Biomechanik« bzw. »Traumatomechanik« und keine 50 Jahre alt. Die wissenschaftliche Logik hinter solchen Versuchen ist einfach: Wenn man wissen will, was ein Knochen aushält, muss man ihn biegen, bis er bricht – im Experiment. Und das geht nun mal an einem Toten besser als am lebenden Objekt. Gleichzeitig werfen Versuche wie diese grundlegende Fragen medizinischer Forschung auf: Darf man das? Soll man das machen? Und wenn ja, wer entscheidet darüber? Welcher Zweck heiligt welche Mittel? Wann – wenn überhaupt – ordnet sich die Ethik der Erkenntnis unter? Nicht immer angenehme Fragen – die sich jeder im Leben stellen sollte.

Abb. 2: Knöcherner Brustkorb und Zwerchfell. Der flache Zwerchfellmuskel ist zeltförmig an der unteren Öffnung des Brustkorbs aufgespannt und trennt Brust- und Bauchorgane.

So morbide sich diese Versuche auch lesen – tatsächlich verdanken Sie alle dieser etwas obskur anmutenden Fachdisziplin der Biomechanik viel, vielleicht sogar Ihr Leben. Fakt ist: die Architekten unseres Brustpanzers rechneten mit vielem, nicht aber mit der Erfindung des Automobils! Und das ist fast immer beteiligt, wenn es um Verletzungen des Brustkorbs geht. Bei mehr als der Hälfte aller Verkehrsunfälle wird der Brustkorb beschädigt. Schlimmer noch: Ein Drittel aller Verkehrstoten erliegt Verletzungen des Brustkorbs und der Brustorgane. Anfang der 1970er-Jahre gab es in Deutschland 21000 Verkehrstote – eine heute unvorstellbare Zahl (zum Vergleich 2017: 3177 Tote). Es musste etwas passieren. Kopf und Brustkorb mussten besser geschützt werden. Aber wie? »Kadaverexperimente« mit menschlichen Leichen zeigten, dass die Stabilität des Brustkorbs enorm ist: Er hält fast 400 Kilogramm Druckbelastung aus und muss bis zu sechs Zentimeter tief eingedrückt werden, bevor er zerbricht – allerdings werden solche Kräfte bei einem ungebremsten Aufprall auf das Lenkrad schon bei relativ niedrigen Geschwindigkeiten erreicht. Wie konnte man diese enorme mechanische Gewalt bei einem Frontalaufprall bändigen und das Leben des Fahrers schützen? Das Resultat der Forschung war zunächst der »3-Punkt-Gurt«, später der »Airbag« – einmalige Erfolgsgeschichten der Biomechanik, die wie kaum eine andere Erfindung Millionen Leben gerettet haben. Heute arbeiten Unfallforscher mit »Dummies« statt mit Leichen – aber auch deren Konstruktion wurde erst durch die Übertragung von Erkenntnissen aus Kadaverexperimenten ermöglicht. Sicher: keine Tätigkeit, die man beim »Eltern-Berufe-Tag« in der Schule detailliert erörtern möchte. Aber so ist Medizin – manchmal: einer muss es machen.

Trotz Sicherheitsgurt und Airbag sind Brustkorbverletzungen bei Verkehrsunfällen auch heute noch häufig. Höhere Geschwindigkeiten überfordern insbesondere bei einem Frontalunfall auch den besten Schutzmechanismus. Bei einem Anprall können einzelne oder mehrere Rippen brechen. Einzelbrüche sind in der Regel ungefährlich und bedürfen keiner speziellen Behandlung. Sie sind aber sehr schmerzhaft und benötigen mehrere Wochen für die Ausheilung. Ursache für den heftigen Schmerz ist das verletzte, hochsensible Rippenfell – das sich bei jedem Atemzug lauthals meldet. Eine gute Schmerzbehandlung ist hier besonders wichtig, da sonst durch die Schonatmung Infektionen der Lunge drohen. Bedrohlicher sind Serienbrüche mehrerer Rippen – im schlimmsten Fall ist die Stabilität des Brustkorbs dahin und die Atempumpe versagt. Kritisch wird es, wenn durch eine äußere Verletzung Luft in den Brustkorb gelangt oder eine gesplitterte Rippe die Oberfläche der Lunge verletzt. Das Vakuum zwischen Rippenfell und Lunge wird so aufgehoben und der betroffene Lungenflügel kollabiert. Es droht der Erstickungstod. Notärzte können durch eine Kanüle von außen die Luft abpumpen und die Lunge schnell wieder stabilisieren.

Noch anfälliger ist der Rundum-Schutzpanzer des Brustkorbs an seinen zwei konstruktionsbedingten Schwachstellen: der oberen und unteren Öffnung. Hier ist die Gefahr äußerer Verletzungen, zum Beispiel durch Stichwaffen, besonders hoch. Erinnern Sie sich an die Mordszene in der Agatha-Christie-Verfilmung Mord im Orient-Express, in der das Opfer, Signor Cassetti, von einem fiktiven Schwurgericht mit zwölf Messerstichen getötet wird? Obwohl Cassetti betäubt und völlig wehrlos ist, zählt Detektiv Poirot bei der Untersuchung der Leiche lediglich drei tödliche Stichverletzungen – ein typischer Anfängerfehler. »Laien« stechen häufig senkrecht in Richtung der Brustwand – neun von zehn dieser Verletzungen sind (zum Glück für das Opfer) oberflächlich, da das Messer an den Rippen abprallt. Mag man den meisten der Beteiligten im Orient-Express ihre dilettantische Technik nachsehen, von einem kampferprobten Soldaten im Range des (von Sean Connery gespielten) Oberst Arbuthnot hätte man professionellere Arbeit erwartet. Erfahrene Messerstecher nutzen die Schwachstellen des Brustkorbs, indem sie die Stiche von oben oder unten auf Lunge und Herz ausführen – so kann die »Erfolgsquote« auf bis zu 50 Prozent gesteigert werden. Zugegeben, eine zweifelhafte Effizienzsteigerung, aber sollten Sie jemals in die Lage geraten, Ihr Leben mit einem Dolch verteidigen zu müssen, erinnern Sie sich vielleicht an diese etwas morbide Statistik.

In den Lücken zwischen den Rippen verlaufen Muskeln, die »Zwischenrippenmuskeln«. Sie mögen Spareribs? Das Essbare daran sind diese Muskeln (beim Schwein, natürlich!). Sie verlaufen nicht gerade, sondern leicht schräg und versetzt. Die äußere Schicht von oben schräg abwärts nach vorne, die innere abwärts nach hinten. So gelingt eine bessere Abdichtung nach außen, gleichzeitig wirken die Muskeln bei der Atmung als Gegenspieler: Die äußeren Muskeln erweitern den Rippenabstand bei der Einatmung, die inneren verkürzen ihn während der Ausatmung. Ihr Anteil an der gesamten Atemarbeit beträgt allerdings lediglich 20 Prozent – die Hauptarbeit erledigt das Zwerchfell. Diese Muskeln werden eher als Unterstützung bei körperlicher Anstrengung und Hochleistung benötigt. Dafür sind auch andere »Atemhilfsmuskeln« wichtig, wie etwa Teile der Hals- oder Rückenmuskulatur. Diese Muskeln lassen sich mit speziellen Übungen trainieren – ihre Funktion kann überlebenswichtig werden, wenn die Leistung des Zwerchfells alleine zur Atmung nicht mehr ausreicht. Bei einem schweren Atemnotsanfall etwa bietet sich Ärzten und Helfern manchmal ein dramatischer Anblick: Die Betroffenen, meist Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen, krallen sich an einer Tischkante fest und kämpfen buchstäblich um Luft. Die Halsmuskulatur zieht sich periodisch zusammen, selbst Schulter- und Nackenmuskulatur werden zum Überlebenskampf genutzt. Diese improvisierte »Pannenhilfe« überbrückt wertvolle Zeit bis zum Eintreffen medizinischer Hilfe, kann aber wegen der raschen Erschöpfung der Hilfsmuskeln nur wenige Minuten aufrechterhalten werden.

Der eigentliche Motor für die Lungenatmung ist das Zwerchfell, ein flacher, kräftiger Muskel mit einem Herz aus Sehnen – ein absoluter Ausdauerathlet. Die Lunge selber bewegt sich – aus sich heraus – nicht. Sie zuckt nicht einmal. Vollführt auch keine bizarren wurmartigen Breakdance-Moves wie der Darm. Nichts. Betrachtet man Herz und Lunge in einträchtigem Nebeneinander unter einem Durchleuchtungsschirm, sehen Sie: ein tiefenentspanntes, liegendes Paar im Chill-Modus. Die Ruhe wäre perfekt, würde dazwischen nicht das Herz wie ein aufgedrehter Techno-Jünger auf Speed ständig auf der Stelle hopsen und stören. Die Lunge ist gravitätischer, majestätischer: Sie lässt bewegen. Wenn die Lunge sich bewegt, dann nur passiv – sie wird bewegt. Genau diese Arbeit erledigt das Zwerchfell, das am unteren Rippenbogen des Brustkorbs wie ein Zelt befestigt ist und die Brust- von der Bauchhöhle trennt. Das Zwerchfell ist der unumschränkte Herrscher der Atemmechanik – wenn es sich rührt, gerät der ganze Körper in Bewegung. Zieht es sich zusammen, wandert das Dach, die Zeltkuppel, nach unten, aus dem Schutz des Brustkorbs heraus. Zentimeter um Zentimeter sinkt das Zwerchfell nach unten, bis zu zehn bei einer tiefen Einatmung – und die Lunge folgt nach, wie von einem Spritzenkolben angesaugt. Wenn das Zwerchfell zuckt, haben wir Schluckauf. Wenn es sich – wie bei einem Lachanfall – mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs an- und entspannt, rattert unser ganzen Körper so bedrohlich, dass wir dafür die Redewendung vom »Totlachen« geprägt haben. Es übernimmt locker 80 Prozent der gesamten Atemarbeit, 15 Kontraktionen pro Minute, 24 Stunden täglich, 365 Tage und Nächte, ein Menschenleben lang, ohne zu ermüden. Jede Kontraktion des Zwerchfells lässt das Volumen der Lunge um mindestens einen halben Liter anwachsen. Über 10000 Liter atmen wir täglich ein und aus, bis zum Ende unseres Lebens summiert sich das auf das Fassungsvermögen eines Supertankers: über 250 Millionen Liter Luft, jeder einzelne davon wird durch das Zwerchfell hin und her bewegt. Und während es oben die Lunge sogartig aus der Trägheit ihrer Komfortzone herauszwingt, drückt das Zwerchfell im Untergeschoss zugleich wie ein Schneeschieber die Eingeweide der Bauchhöhle zusammen.

Und dann passiert – nichts Gutes: Um den Druck des herabwandernden Zwerchfells auszugleichen, gibt die Bauchwand nach und wölbt sich vor. Ziemlich weit sogar. Sehr weit. Viel zu weit. »Bauchatmung« sagt man dazu. Eigentlich gut gemeint, clevere Konstruktion, sehr funktionell. Wenn nur die Optik nicht wäre. Ein Grund für eine Reklamation, mindestens. Oder gleich eine Klage wegen Pfusch am Bau. Für die meisten körper- oder figurbewussten Menschen beider Geschlechter kommen die Folgen einer tiefen Einatmung einer ästhetischen Kapitulation gleich – die sich 15-mal in der Minute wiederholt! Bauch, kein Bauch, Bauch, kein Bauch und so weiter. Kann so nicht bleiben. Muss weg. Oder wenigstens nachgebessert werden. »Bauch einziehen«, rät der Körperarchitekt. »Wie – einziehen?« – »Na, so!«

Er macht es vor.

»Und wie soll ich da atmen?«

»Mit den Hilfsmuskeln.«

»Häh?«

»Bauch rein, Brust raus!«

Verstanden. Das Aufplustern des Oberkörpers ist also kein Posing, sondern blanke Überlebensnotwendigkeit, eine Ersatzatmung sozusagen.

»Sieht gut aus«, pressen Sie hervor. »Bloß: lange halten kann ich das nicht. Ich krieg ja keine Luft mehr.«

»Muss ja nur vom Handtuch bis zum Wasser reichen«, gibt der Körperarchitekt zu bedenken. »Danach ist es ja wieder egal.«

Die Lösung befriedigt sie nicht. Ein Provisorium.

»Haben Sie keine … nachhaltigere Lösung? Etwas Dauerhaftes?«

»Doch – ein Korsett.«

Ein Korsett? Wie altmodisch. Andererseits: Was unsere Großmütter schon wussten, muss ja nicht schlecht sein. Und tatsächlich – nach ein bisschen Googeln tut sich ein Universum der Möglichkeiten auf. Besser noch: Die ollen Dinger heißen nicht mehr Korsett, sondern ganz trendy »High Waist«-Jeans, »Waist Trimmer«, »Taillen-Trainer« oder »Cincher« – und alle machen sie schlank, schlank, schlank, dauerhaft und nachhaltig! Ein Wunder. In den Warenkorb, also? Einen Moment noch, bitte.

Junge Mädchen ändern mit dem Eintritt in die Pubertät ihr Atemmuster – weg von der reinen Bauchatmung hin zu mehr Brustatmung. Was als Baby und Kleinkind selbstverständlich war, wird nun als störend empfunden, und das Einziehen des Bauches wird zum Dauerzustand. Was passiert hier? Offenbar ändert sich in der Pubertät die körperliche Wahrnehmung – der hervortretende Bauch wird als unästhetisch oder sogar unweiblich empfunden. Soll man das Problem also mit einem »Trimmer« angehen?