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Hauptmanns Tetralogie über die magische Welt der griechischen Mythologie ist mitreißend und fesselnd. Der Nobelpreisträger schuf ein Meisterwerk, bestehend aus vier Versdramen. Der Leser wird buchstäblich hineingezogen in die sagenumwobene Geschichte um den Heerführer Agamemnon, seiner Frau Klytämnestra und ihren gemeinsamen Kindern Iphigenie, Elektra und Orest. Eine Erzählung voller Intrigen, Rachegelüste und Morde, die man am liebsten nicht mehr aus der Hand legen mag.-
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Seitenzahl: 216
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Gerhart Hauptmann
Saga
Die Atriden-Tetralogie
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1949, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726957099
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Tragödie
Vor dem Zelt Agamemnons: ein Rasenplatz mit Zelteingang. Steile Küstengegend, hie und da mit Ausblick über See und jenseits der Aulisbucht über die Insel Euböa mit Chalkis. Höher als der Zeltplatz liegt der Artemistempel von Aulis, ein älterer Säulenbau, durch einen Park uralter Bäume verdüstert.
Noch ist es Nacht, mit geringer Morgendämmerung hinter dem Tempel. Vollmond.
Vor dem Zelt hält, auf einem behauenen Stein sitzend, beim Licht einer Fackel Kritolaos Wache.
Kritolaos
Seltsam spukt wacher Schlaf und schlafendes
Wachsein! Wann endet dieser schlimme Trug
und wo? Der Mondesgöttin grauses Licht,
das leichenhafte und gespeist aus Gräbern,
ist seine Milch. Wer mag vom Hades noch
getrennt sich fühlen in der obren Welt?
O Gott, in welchem Graun sind wir gefangen!
Was ist geschehn, daß tausend Schiffe nun
zerbröckeln in der Bucht von Aulis? Wütig
sind sie erst jüngst herangebraust zum Kampf.
Nun ja, es brennt der Himmel gnadenlos.
Nach Wasser heulend, schreiend, kreischend zieht,
von Priestern angeführt, das Volk umher
in Prozession, soweit nicht Raserei
des blinden Wahnsinns es zur Erde schleudert,
wo es mit blutigen Händen hoffnungslos
nach Wasser gräbt. Mit Jauchzen hub es an!
Kaum, daß von Sparta und Mykene her
der Atreussöhne Kriegsruf über Hellas
erscholl, so gab es tausendfältig Antwort.
Zu werben, Boten auszusenden tat
nicht not; die fernsten Gaue stimmten ein
in das Getös nach Rache: »Den Dardanern
und ihrem Königshause Fluch und Tod!
Man mache ihre Stadt dem Boden gleich«,
so hieß es, »denn es soll die Welt erkennen,
was es bedeuten will, friedbrecherisch
an einer Fürstin Menschenraub zu üben,
die Hellas ihre Heimat nennt, und noch
dazu das heilige Gastrecht zu verraten.«
Furchtbare Wendung! Ohnmacht überfiel,
durch gnadenlose Glut Apolls, das Heer.
Es lechzt nach einem Tropfen Wasser mehr
als nach Dardanerblut. Die Fürsten hadern,
und für den Zorn der Götter gibt der eine
dem andern schuld. So wurde Palamedes
gesteinigt: fürchterliche Freveltat
entehrte gleich am Anfang unsern Zug.
Das Opfer war umsonst, denn weiter brütet
tödlich der Tag wie eines Ofens Glut.
Wer aber wird als nächstes Opfer bluten?
Menelaos kommt.
Menelaos
Ja, wer? Bist du es, Kritolaos?
Kritolaos
Ja,
sofern nicht Wahnwitz meine Sinne trübt.
Menelaos
Wo ist mein Bruder, und wie geht es ihm?
Kritolaos
O frage nicht! Im ganzen Griechenheer
niemand so schlimm wie ihm.
Menelaos
Ich weiß es wohl,
und deshalb komm' ich.
Kritolaos
König Menelaos,
mir ahnet Schlimmes: den ein Hagel Steine
erschlug, war Agamemnons rechte Hand.
Menelaos
Ich, leider, leider, war nur seine linke:
als rechte hätt' ich besser ihn geführt;
doch Ohrenbläser trennten ihn von mir.
Was half's ihm, daß er mich verleugnete,
weil mich zu schmähn Ulyß, der Laertiad',
nicht müde ward und auch nicht müde wird.
Er nennt mich Hahnrei: eines Hahnreis wegen –
erklärt er jedem, der es hören will –
stürzt man mit sinnlos blindem Rachezug
das ganze reiche Hellas ins Verderben
und ruft auf uns der Götter Zorn herab.
Und Agamemnon, statt den Laertiaden
mit einem Faustschlag stumm zu machen, läßt
den Schänder unsres Hauses stumm gewähren.
Kritolaos
Schafft Wasser! Wenn das gnadenlose Blau
des erzenen Himmels sich ein wenig trübt,
erquickt schon Hoffnung die Verschmachtenden.
Und was den König grauenvoll bedroht:
wenn nur die ersten großen Tropfen fallen,
der Opferbrand, nach dem das Volk verlangt,
der schon nach einem Atreuskinde züngelt,
verlöscht im lauen Regen. Wasser, Wasser!
Schafft Wasser!
Menelaos
Hast auch du davon gehört,
was sich im Heer und Volk zutage wühlt?
Es habe Artemis sich kundgetan
zu Delphi durch die Priesterin Apolls:
daß Agamemnon schmählich sie beleidigt,
mit frecher Hand ihr Heiligtum entweiht.
Was ist geschehn? Weißt du davon?
Kritolaos
Ja, Herr.
Du kennst die Jagdwut deines Bruders: mag
wohl sein, die Jagdlust riß den König hin.
Er wußte wohl nicht, wo er war des Nachts,
und traf von ungefähr im heiligen Hain,
im Angesicht der Göttin, die taghell
von oben blickte, ihre heilige Hinde.
Er ließ sie liegen, und man fand sie tot.
Menelaos
Hat er es dir gebeichtet?
Kritolaos
Ja und nein.
Doch fand ich bald ihn fürchterlich verändert.
Die gnadenlose Glut des Himmels, die
sogleich begann: er sah in ihr die Hand
der Göttin. Wirrer Sinn befiel ihn dann
zuweilen. Unbewußt, nachtwandlerisch
fand ich ihn oft und schwer vom Schlaf zu wecken.
So ist er noch. Und nun hat Kalchas ihm,
der Seher, Arges in den Kopf gesetzt.
Menelaos
Nicht ihm allein wahrhaftig: laut gefordert
wird es vom Volk bereits in jedem Bittgang,
und diese folgen endlos aufeinander.
Kalchas, aus Ohnmacht oder Herrschbegier,
bestärkt das Volk, das der gekränkten Göttin
für eine Hinde Menschenfleisch verspricht:
und zwar des Sünders, Agamemnons, Tochter
nach altverruchtem, heut verfluchtem Brauch.
Kritolaos
Herr, daß es Worte gibt, dies auszusprechen!
Es hören bringt mich schon dem Tode nah.
Menelaos
Und doch: der schwarze Wahnsinn wächst im Volk
zusehends. Ihn ernährt die nackte Not;
den Feinden aber König Agamemnons
kommt er genehm. Das Ungeheure wird
er nie und nimmer billigen und tun,
so meint man. Und wo in ganz Hellas wäre
ein Vater fähig, seine liebste Tochter,
halb noch ein Kind, dem grauenvollen Wahnwitz
der blutbegierigen Priester aufzuopfern?
Allein, verweigert er's – wer zweifelt dran? –,
so ist's das jähe Ende seiner Macht.
Kritolaos
O wär' es so! Aufjauchzen wollt' ich laut,
den König im Triumphe heimgeleiten
nach Argos, als getreuer Sklave ihn
und Arzt getreulich pflegen, bis er stark
und kerngesund des eignen Reichs genießt.
Allein, ein böser Dämon hat sich sein
bemächtigt. In der Bucht erschien ein Schiff,
schwarz, rote Fratzen auf den schwarzen Segeln,
des bloße Gegenwart ihn grausam quält.
Von Tauris stammt es, steht der Göttin zu,
die mehr als alle lechzt nach Menschenblut.
Wer zittert nicht in Graun vor Hekate?
Hund, Pferd und Löwe zeigt die heilige Säule
auf Deck des Schiffes, Hundsgebell ertönt
von dort die ganze Nacht: es schreit um Rache –
so meint das Heer und rings im Land das Volk –,
es heult um Rache für die heilige Hirschkuh.
Den König aber bringt's dem Wahnsinn nah.
Er muß es hören überall! Vergeblich
sucht er zu schlafen. Er verstopft vergeblich
mit Wachs die Ohren, hüllt in Felle sich
das Haupt, und nicht Gesang noch Saitenspiel
vermag das Wutgebell zu übertönen.
Menelaos
Denkst du wie ich, getreuer Kritolaos,
so schaffen wir ihn fort mit einem Handstreich.
Kritolaos
Zu spät!
Menelaos
Warum zu spät?
Kritolaos
Er gab dem Drängen
des Kalchas und dem eignen Wahnsinn nach
und gab Befehl zur Reise Klytämnestras
und Iphigeniens hierher ins Lager.
Menelaos
Du lügst! Unmögliches geschieht nicht! Nie
wird Agamemnon darein willigen,
den Schlächtern seine Tochter auszuliefern.
Kritolaos
Und was dann wohl bedeutet sein Befehl?
Menelaos
Daß ein Verbrechen sich vollenden will,
ganz Hellas schändend, so wie keines vor ihm
und keins in aller Zukunft es vermag:
und ließe ein Atride es geschehn
und jemand, der dem Haus verbunden ist,
ihm wüßt' ich keine Strafe groß genug
im Reich des obren und des schwarzen Zeus.
Agamemnon
noch unsichtbar He, Kritolaos! Kritolaos, he!
Agamemnon erscheint im Nachtgewand. Menelaos ist ins Dunkel zurückgewichen.
Wo bist du? Wollt ihr alle mich verlassen?
Kritolaos
Nein, Herr, hier bin ich.
Agamemnon
Bist du wirklich noch?
Ich weiß nicht, ob ich bin, noch, ob ich nicht bin.
Vielleicht, daß etwas sich in mir erhebt
vom Trotze des Titanen, den die Wut
des Zeus für seine Menschenliebe traf,
ihn lebend an den Felsen nageln ließ
durch seinen niedren Schmiedeknecht Hephäst
und seine Flügelhunde auf ihn hetzte,
die täglich ihm in aufgerißner Brust
die Leber mit den Fängen blutig ritzten
und, ohne ihn zu töten, an ihr fraßen.
Das ist mein Los. Doch mag der Abgrund mich
verschlingen: was er will, wird nie geschehn!
Kritolaos
Und was verlangt der Göttervater, Herr?
Agamemnon
Du nennst ihn Vater! Schäme dich des Worts! –
Das Opfer Iphigeniens, meiner Tochter!
Kritolaos
O lästre nicht den Uranionen Zeus,
der diesem blutigen Pfaffenratschluß fernsteht!
Dem nichts verborgen bleibt, solang er will,
er schließt zuweilen seine beiden Augen
und mag nichts wissen von Olymp und Welt.
Agamemnon
Wie es auch immer sei, ich trotze ihm!
Unsterblich brennt in mir Titanenblut.
Die Götter stürzten uns, so sagen sie,
um Menschen, Welt und Erdreich zu befrieden.
Und jetzt: sie spielen mit uns Katz und Maus.
Doch nun gib acht! Hier ist die Luft voll Mord.
Die Erde murrt und bebt. Die Leichen treiben,
verkrampft zu eklen Klumpen, im Euripos.
Aasgeiern gibt die keusche Aulisgöttin
allüberall ein gnädig-üppiges Gastmahl,
das auch die heiligen Hunde nicht vergißt.
So fresse sie das ganze Griechenheer
und alles Volk von Aulis meinethalb:
nur meine Tochter lasse sie in Frieden.
Spann unsre besten Stuten ins Geschirr
und schone weder Wagen noch Gespann,
bis du dem Reisezug begegnest, der
mit meinem Weibe, deiner Königin,
und Iphigenien hierher unterwegs ist, –
und wenn du ihn erreicht hast, kehr ihn um!
Kritolaos
völlig verändert, küßt Agamemnon die Hände
O Herr, dies auszuführen macht mich wach
wie nie und froh wie nie in meinem Leben!
Agamemnon
Der Fürstin übergibst du diesen Brief:
nicht eine halbe Stadie darf sie noch
nach vorwärts reisen, wenn sie ihn erhielt.
In nichts laß, Kritolaos, mit dir rechten,
auch Iphianassas Bitten achte nicht.
Kritolaos
Und weshalb sollte die Prinzessin wohl
bestehn auf dieser Reise in den Tod?
Agamemnon
Weil Jugend blind ist, wo das Neue lockt,
und Botenworte allzu leicht verwirren.
Kritolaos
Gib mir den Brief, o Herr, und lebe wohl!
Kritolaos erhält den Brief und eilt davon.
Agamemnon, danach Menelaos, aus dem Dunkel hervortretend.
Agamemnon
Und nun, ein gnädiger Gott begleite dich.
Menelaos
Ein gnädiger Gott! Schon ist er um dich, Bruder,
und hat zum Wahren deinen Sinn gelenkt,
zum einzig Guten.
Agamemnon
Und auch, daß du hier bist, so unerwartet, Bruder, scheint sein Werk.
In dieser Stunde meiner höchsten Not
stellt er dich neben mich, ich fühl's, als Retter.
Mir ist, als ob dein kühl-entschloßner Geist
die Fiebergluten, die mich blind gemacht,
für immer kühlte – ja, für immer! Ja!
So schlimm mein Anschlag war: er ist vergessen.
Menelaos
Wie nie gewesen, Bruder!
Agamemnon
Muß es sein,
erhält Talthybios sogleich Befehl,
mit lautem Heroldsruf das ganze Heer
der Griechen abzudanken. Sei es denn:
die Zeichen stehen gegen unsern Zug.
Menelaos
Nichts übereilen, Bruder. Von dem schwarzen Festschiff,
das uns durch seine Gegenwart bedrückt –
es ist, so heißt's, von Hekate gesandt,
der heilig-reinen Himmelsfrau von Aulis
bei ihrem Fest zu huldigen! –, von hier
dringt da- und dorthin heiliges Geraun:
kein Menschenopfer, heißt es, habe statt,
und eher werde Artemis zur Göttin
dein Kind, die zweite Helena, erhöhen,
als daß ein Tröpflein ihres Blutes fließt.
Agamemnon
Und doch umgibt das Festschiff Aasgeruch.
Gewölk von Geiern senkt sich drüber her –
das einzige Gewölk im erznen Himmel –,
senkt sich und hebt sich, Eingeweide schleifend
aus krummen Schnäbeln. Sind es menschliche?
Gerüchte sagen: ja! Gerüchte sprechen
von einer mehr als Hundertjährigen:
wer sie gesehn, will wissen, sie sei weiß,
in ihres Haares weißen Seidenmantel
allein gehüllt! Die Augensterne zittern
blutrot. Sie nagt als heilige Nahrung nur
Kaninchen, weiß im Fell und rotgeäugt wie sie.
Nur in dem schwachen Licht der Mondfrau kann
sie sehen, in dem Licht Apollens ist
sie blind. Selbst Kalchas sagt, man hole nachts
Gefangene zuweilen aus dem Schiffsraum,
geknebelt, und die grause Priesterin
bring' sie auf schaurig-rätselvolle Art
der schwarzen Göttin, der sie dient, zum Opfer.
Menelaos
Doch läßt mich irgend etwas Hoffnung schöpfen
beim Anblick dieses schwarzen Knäuls der Drohung.
Agamemnon
Mich nicht! Mich martert nachts das Hundsgeheul
und etwas wie Magie, das mich im Traum
qualvoll bebrütet. Diese Mörderin,
die rohes Fleisch verschlingt, erscheint mir selbst.
Sie war es, die mich zwang, mein Weib und Kind
hierher zu rufen, eine schmutzige Lüge
mir aufdrang, Klytämnestra zu betören:
der Thetissohn Achill sei liebeskrank,
begehre Iphigenien zum Weibe.
Menelaos
Mich kann nur wundern, wenn sie folgte, Bruder:
unsinnig hat sie ja das Kind geliebt
vom ersten Atemzug, im voraus närrisch
den Mann gehaßt, der je in ferner Zukunft –
sei's, wer es sei – sie einst besitzen könnte.
Agamemnon
So ist's. Allein, sie wahrt mir den Gehorsam.
Und außerdem wirkt die Rotäugige
dahinter! Und der Kern ist der,
wie Kalchas sagt: die reine Jungfrau wird
zum Schein vermählt, bevor man ihr die Kehle durchschneidet.
Menelaos
Alles dies ist nun vorbei, von kranken Träumen wachen wir nun auf.
Erkenne deine, unsre Kraft und Macht.
Bei den Argeiern liegt sie immer noch.
Ob Palamedes auch der Meuterei
schmählich erlag, wir werden ihrer Herr;
denn unser ist die Mehrzahl aller Kiele.
Agamemnon
Bist du dir des so sicher? Kalchas meint,
daß selbst die Unsern murren und, versteckt,
Erfüllung des Orakels angstvoll fordern.
Odysseus aber, der den Aufstand führt,
hofft meine Weigerung, um mich zu stürzen.
Menelaos
Verachte das Gezücht, sei wieder du,
wach auf, erwecke das Titanenblut,
das in dir schläft! Was über uns
vernichtend lastet wie ein Leichentuch,
wirf von dir! Wache auf! Der Morgen naht!
Agamemnon
Der Morgen naht! Es soll der Ätnaschmied
mir die drei Worte unauslöschlich prägen
auf meinen Schild: der Morgen naht! – Allein,
was für ein Lärm ist hinter meinem Zelt?
Menelaos
O weh!
Agamemnon
Was, Bruder, meint dein Weheruf?
Menelaos
Mir ist, als hört' ich Klytämnestras Stimme
und jenes sturzweis-frische Silberlachen,
das du an Iphigenien so liebst.
Kritolaos kommt.
Kritolaos
Zu spät! Eh wir die Stuten angeschirrt,
das Fuhrwerk aus dem Schuppen noch gezogen,
drang helles Jauchzen her vom Lagerrand
und, fast zugleich, mit lautem Lenkerruf
der Reisezug von Argos: Tag und Nacht
hat er – so wollte es die Königin –,
sosehr der Himmel auch herniederbrannte,
sich keine Ruh' gegönnt.
Agamemnon
Willst du nun sagen,
es sei mein Weib, mein Kind bereits im Lager:
das Lamm inmitten fraßbegieriger Wolfsbrut? –
So mag denn Artemis ihr Opfer haben!
Doch nicht die Unschuld selber, nicht mein Kind,
sondern den Schuldigen: und der bin ich.
Er hat sein Messer gezogen und richtet es gegen seine Brust. Kritolaos und Menelaos fallen ihm in den Arm.
Iphigenie
kommt aus dem Zelt gestürzt, dem Vater an die Brust
Da sind wir, Vater, o geliebter Vater!
Als hätten uns die Vögel des Kroniden
getragen, sind wir durch das Land gestürmt
auf deinen Ruf. Wie war Mykene leer,
seitdem du fort bist! Die Zyklopenmauern
umschlossen nur noch ein vergeßnes Grab.
Nun leb' ich wieder, hänge wiederum
selig-geborgen an des Vaters Brust,
des Weltgebieters, der voll Liebe ist.
O laß mich horchen, wie als Kind so oft
ich tat, nach deinem allgewaltigen Herzschlag,
der sichren Schutz vor jedem Feinde gibt.
Laß mich nur immer stammeln: Vater! Vater!
Menelaos bemerkt, daß Agamemnon sich kaum aufrecht hält, und löst die Tochter sanft von ihm.
Was ist?
Menelaos
Geduld! Der Herr von Hellas findet
nur langsam nach Mykene sich zurück.
Klytämnestra kommt aus dem Zelt, lebhaft wie Iphigenie.
Klytemnästra
Endlich! Da sind wir – und zu unsrem Heil
sogleich am rechten Ort. Zwar schmerzen mir
die Glieder von der Fahrt und all dem Schütteln:
doch nun, mein Herr und Gatte, sind wir hier,
und alle Reisemühsal ist vergessen.
Agamemnon
Wer seid ihr?
Klytemnästra
tief erschrocken
Wer wir sind? Ich weiß es nicht,
wenn du danach mich fragst, Herr und Gemahl.
Menelaos
Geduld! Zuviel drang auf den Bruder ein.
Selbst Götter irren. Was sein Haupt bewegt
und – was noch schlimmer heute – auch sein Herz:
daran zerbricht wohl auch ein Gott.
Agamemnon
Was wollt,
was sucht ihr töricht hier im Griechenlager?
Klytemnästra
Wen sonst als dich, Gemahl, dich, der uns rief!
Agamemnon
Altäre lodern zu Mykene dir
in großer Zahl: hat keiner deiner Priester
aus dem Geschlinge seiner blutigen Opfer
von dem geweissagt, was uns hier bedroht,
kein kluger Vogelschauer euch gewarnt?
Klytemnästra
Nein! Und was hätte Warnen auch gefruchtet,
da uns des Herrschers heiliger Befehl
unwiderstehlich her nach Aulis rief?
Agamemnon
zu Menelaos
Sprich du für mich. Es mehren sich um mich
Gewölke, stickig; schmerzhaft stockt mein Herz,
Blindheit umkrampft mich, und ich greife rings
ins Leere.
Menelaos stützt seinen Bruder, der umzusinken droht. Das gleiche tut Kritolaos.
Menelaos
Allzuviel drang auf ihn ein!
Doch bändigt eure Neugier, forschet nicht:
für immer mög' es euch verborgen bleiben,
was zu erfahren euch die Kraft gebricht.
Ihr wißt vom Kriege nichts. Noch tatenlos
nach außen, gärt der fürchterliche Geist
des Ares in uns, den selbst Götter hassen
und fürchten. Leichen streut er um sich her,
die er – da keine Waffe noch sich rührt –
durch Mangel, Hunger, Durst und Seuchen schlug.
Durch innre Zwietracht hält der Gott sich schadlos
für die versagte Feldschlacht, und er peitscht
Freund gegen Freund. So hat man Palamedes
schmachvoll gesteinigt: und die das verübt,
nachdem sie unsres Königs nächsten Freund
erschlugen, greifen gierig schon nach Steinen,
das gleiche Agamemnon anzutun.
Klytemnästra
O laßt mir Zeit, o laßt mir Zeit, ihr Herrn,
mir und dem Kinde dort! Ganz anders lautet,
was Botschaft uns und Briefe übermittelt.
Es war von einem Fest die Rede: Kränze
legt um der Rosse schön gebogne Hälse –
so hieß es –, eine Hochzeit steht gerichtet,
trotz schwerer Zeit, zur Freude von ganz Hellas.
Er, der Pelid', der hohe Thetissproß
Achill, begehret Iphigenien
zum Weibe, und Peliden wie Atriden
vereint nun ein unlöslich-heiliger Bund.
Agamemnon
Ich log mit jedem Worte, jedem Hauch,
doch freilich auch: ich log und ward belogen.
Menelaos
Laßt dies beiseit' im Augenblick; es klärt
sich wohl am Ende. Badet, spült den Staub
der Reise ab, erfrischt euch, und dann laßt
der Wirrsal Herr uns werden klaren Sinns.
Klytemnästra
Ich höre sprechen, Stimmen klingen auf –
die meines Gatten ist darunter –, doch
kein Wort kann ich verstehn, das an mein Ohr dringt.
Agamemnon
Genug! Zum Schwatzen ist jetzt keine Zeit.
Man spannt euch frische Stuten an die Wagen,
und nach Mykene kehrt ihr stracks zurück.
Iphigenie legt sich weinend an die Brust der Mutter.
Iphigenie
O Mutter!
Klytämnestra
Warum weinst du, armes Kind?
Komm zu dir, wie ich zu mir selbst zu kommen
versuchen will.
Iphigenie
Wie komm' ich zu mir selbst,
da mir der Boden nicht nur unterm Fuß
versank? Ich weiß nicht, wer ich war noch bin.
Menelaos
Mein Rat ist der: in diesem Augenblick
sich dem Befehl zur Heimkehr so zu fügen,
wie du dem Ruf nach Aulis folgsam warst.
Der Grund, warum ich dir dies herzlich rate,
erschließt sich dir, bist du in Sicherheit.
Wie nun des Krieges Läufte einmal sind,
verbunden mit dem Lärm der Agora,
ist drin auf nichts Verlaß als auf den Wechsel.
Wo gestern Frühlingshauch die Gräser bog,
da rauchen heute Trümmer, züngeln Flammen.
Und wenn du es nicht fühlst: wir Brüder wissen,
wie schrecklich unter euch der Boden glüht!
Und größre Liebe hat mein Bruder nie
für Weib und Kind bewiesen, als es heut
geschieht, wo er sie scheinbar von sich stößt.
Klytämnestra
Was will dies »scheinbar«? Scheinbar oder nicht –
der Kern des Jammers bleibt: er stößt uns von sich.
Mag sein! Ich folge, weiche, kehre um,
doch ohne irgend etwas zu begreifen.
Und offen sprech' ich's aus, o mein Gemahl,
was mir vor allem bittren Kummer zeitigt:
daß ich in dir den König suchen muß
und nicht mehr finde, den ich stolz geliebt.
Willst du nicht wenigstens mir Aug in Auge
zuraunen, was dich so entwurzelt hat
und welcher Art dein Leiden ist? Denn du
bist krank! Der Führer des Danaerheers
indessen darf nicht krank sein; denn mit ihm
verfällt das Heer der Danaer dem Siechtum,
und dieser ganze Feldzug krankt und stirbt.
Agamemnon
Dies war ein Wort, das der Kronid' gezeugt!
So denk' ich selbst, und darum hör mich an!
Kaum eine Tagesreise steht von hier
ein Gasthaus an den Hängen des Kithairon:
du sollst nicht Weiterreisen, sondern dort
mit unsrer Iphigenie meiner warten.
Dort will ich dir, was heute dunkel scheint,
wie einer Königin gebührt, erklären.
Klytämnestra
O Agamemnon, Agamemnon! Oh!
Sie legt gerührt ihr Haupt an seine Brust, beide weinen.
Wie schwer sind wir enttäuscht, vor allem sie,
die als des Halbgotts, als Achillens Braut
sich seligen Stolzes glühend schon gefühlt.
Kalchas taucht überraschend auf.
Kalchas
Verzeih mein Kommen, o großmächtiger König!
Das Wiedersehn der hohen Ehegatten
zu stören lag mir fern. Allein, es drang
ein Schrei von überallher plötzlich auf:
die Königin sei im Lager angelangt,
sie habe Iphigenien hergeführt,
die zweite Helena, wie man sie nennt,
das Schönheitswunder im gesamten Hellas.
Und dies Gerücht übt einen Zauber aus,
so über alle Maßen ungeheuer,
den niemand glauben würde, der ihn nicht
staunend erlebt. Die Schläfer wachen auf,
beinahe möcht' ich sagen, selbst die Toten,
zum mindesten die Kranken, die verknäult
im Sterben liegen, springen heil empor.
Die eben noch vor Durst Verschmachteten
trinken aus vollen Bechern
Erquickung in sich, die sie jauchzen macht.
Das ganze Schiffsvolk singt und rennt und lacht,
als wäre der Euripos nicht mehr tot
und Eile täte not, den frischen Wind,
der gar nicht weht, zu nützen. Überall
sind Prozessionen auf dem Wege nach
dem Tempel. Überall erklingt Musik
der Freude, scheint's, von Artemis geweckt.
Agamemnon
Nun um so mehr: ihr kehrt zurück dorthin,
woher ihr kamet, nach Mykene!
Kalchas
Herr,
wer möchte deinen Willen wohl durchkreuzen,
den allgewaltigen? Allein, ich stehe
hier erstlich auf Geheiß des Gottes, der
zu Delphi seinen heiligen Willen kundgibt,
dann als der Hohepriester dieses Heeres,
das du bestimmt, Helenens Raub zu rächen
an Ilion, und endlich als dein Landsmann,
mit dir aus gleicher Scholle aufgewachsen
zu Argos. Dieser große Augenblick
will tief erwogen sein, nicht obenhin
entschieden. Schickst du jetzt die Deinen,
in deren Gegenwart das ganze Heer
fast schon den Sieg – nicht nur Erlösung – sieht,
fort aus dem Lager in die ferne Heimat,
so öffnest du dem Aufruhr Tür und Tor:
er würde dann aufrasen aus Verzweiflung.
Agamemnon
Ich werde nie begreifen, was du meinst,
und will es nicht.
Kalchas
Du wirst es müssen, Herr!
Denn einem Gotte sich zu widersetzen
bedeutet jedem Sterblichen den Tod.
Agamemnon
So sage – sage deutlich, was du meinst,
vor deiner Königin und ihrer Tochter.
Kalchas
Es bleibe dies zunächst dahingestellt.
Noch liegt ein schwankend Wesen überall,
drin selbst mein Seherauge noch nicht klarsieht.
Ich flehe, laß die Deinen jetzt im Lager
und nimm mein Wort, daß ihnen nichts geschieht!
Sonst könnt' ich nicht mit Sicherheit verhüten,
daß schwerstes Unheil über euch hereinbricht.
Agamemnon
Soll ich mein Leben mir von dir erbetteln,
weibischer Priesterlaffe? Nimmermehr!
Zu Klytämnestra
Was ich bestimmte, bleibt bestehen: fort!
Klytämnestra
Ich weiß nicht, was in deinem Blicke glimmt,
Sohn Thestors. Doch es ist ein Etwas, das
ein nie gekanntes Grausen mir erzeugt.
Allein, hier steht mein Herr, der wahre Herrscher
von Hellas, also deiner auch und meiner.
Komm, Iphigenie! Gespanne vor:
zurück gen Argos, wie er uns befiehlt!
Sie geht schnell ab und nimmt Iphigenie mit sich fort.
Gasthaus am Kithairon: düsterer und primitiver Bretterbau. Eingänge an der Fassade. Ein niedriger Zugang an der rechten Wand.
Noch ist die Sonne über den Bergen, aber auch – blaß wie eine Oblate – die Scheibe der Artemis.
Peitho, eine Taurierin, ein zigeunerisch aussehendes Weib, hockt neben dem Seiteneingang und wirft trockene Äste in ein Feuer, das in einer niedrigen Umfassung von Steinen brennt.
Peitho
Wes Seele blind ist, den besucht das Glück –
wes Seele auch nur blinzelt in die Welt,
besucht das Schaudern! Wessen Seele aber
das Nahe deutlich sieht, das Ferne nicht,
vermag des Lebens Krume umzupflügen
mit harter Faust: er jagt das wilde Tier,
beugt zahmer Stiere Nacken unters Joch
und sucht die zornigen Götter zu versöhnen,
indem er ihnen blutige Opfer schenkt.
Wes Auge Nahes und auch Fernes sieht,
der irrt umher und sucht nach einem Ufer
und findet's nicht und schwebt im weiten All,
und wie er namenlose Ängste fühlt
und ewiges Leben grauenvoll empfindet,
heult er in wildem Wahnsinn nach dem Tod.
Ich ward geraubt in Tauris; meine Mutter
dient der verruchten Göttin Hekate,
der Himmelshündin, der man Hunde schlachtet.
Mein Herz bewegt der Mutter schwarzes Blut:
es rollt in ihm der Allessehenden,
der Schwester Pythons, fürchterliche Kraft
und seine! Meine Augen deckt kein Schlaf;
starr aufgerissen glotzen sie ins Nichts,
und im lebendigen Tode so allsehend,
sind sie verflucht. Nie naht die liebe Hand
der Toten, ihre Lider zuzudrücken.
Ich diene den Atriden: meine Herrin
ist Klytämnestra. Doch da naht sich mir,
vorüberfliegend wie ein seliger Duft
des Hesperidenbaums, ein liebliches
Gefühl, unwirklich-fremd und doch vertraut:
allein, schon haucht's mich an wie Aasgeruch
aus Schlangenrachen, was den Baum umgeilt,
des giftigen Drachens Atem.
Was soll ich ansehn, wohin soll ich blicken,
wo keine Schranke ist und alles schon
geschehn ist, was geschieht?
Ein und dasselbe Grausen fällt mich an
im Blick auf meine Herrin, Schrecken lähmt
im Blick auf König Agamemnon mich.
Der Blick auf Iphianassa macht mich weinen.
Doch dort, dort naht sie selber: still, nur still!
Iphigenie kommt.
Iphigenie
Was tust du, ewig Wunderliche, dort?
Peitho
Dir dies erklären wollen, süße Tochter,
ein Frevel wär's am Letzten, was mir blieb.
Iphigenie
Sag an: du nennst dich meine Amme, Peitho?
Peitho
So ist's. Ich nährte dich an meiner Brust
ein Jahr und länger.
Iphigenie
Und dein eigenes Kind?
Peitho
War tot.
Iphigenie