Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord - Alfred Döblin - E-Book

Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord E-Book

Alfred Döblin

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Beschreibung

Döblins legendäre Giftmordgeschichte Eine junge Frau ermordet gemeinsam mit ihrer Freundin den Ehemann. Was hat sie dazu getrieben? Welche Symbiosen verbergen sich hinter der Tat? Eindringlich erzählt Alfred Döblin von einem der berühmtesten Kriminalfälle der Weimarer Republik und verwandelt dabei die wahre Geschichte des Giftmords in einen radikal offenen, literarischen Text, dessen Skepsis sich nicht nur gegen die Urteile von Justiz und Presse, sondern auch gegen das eigene Erzählen richtet. Mit einem Nachwort von Hania Siebenpfeiffer.

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Alfred Döblin

Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord

Fischer e-books

Mit einem Nachwort Hania Siebenpfeiffer

Die hübsche blonde Elli Link kam 1918 nach Berlin. Sie war 19 Jahre alt. Vorher hatte sie in Braunschweig, wo ihre Eltern Tischlersleute waren, angefangen zu frisieren. Es passierte ihr ein kleiner Bubenstreich: sie nahm einer Kundin fünf Mark aus dem Portemonnaie. Ging dann auf einige Wochen in eine Munitionsfabrik, lernte in Wriezen aus. War leicht und lebenslustig; es heißt, daß sie in Wriezen nicht asketisch lebte und Sinn für Kneipgelage hatte.

Sie kam nach Berlin-Friedrichsfelde. Der Friseur, bei dem sie arbeitete, fand sie fleißig, ehrlich, von sehr gutem Charakter. Er behielt sie bis zu ihrer Verheiratung, ein einviertel Jahr. Daß sie lebenslustig war, entging ihm auch nicht. Bei den Ausgängen mit einer ihrer Kundinnen begegnete sie November 19 dem jungen Tischler Link.

*

Elli hatte eine besondere, wenn auch nicht seltene Art. Sie war harmlos frisch, von der Munterkeit eines Kanarienvogels, wie ein Kind lustig. Männer anzulocken, machte ihr Vergnügen. Vielleicht gab sie sich dem und jenem hin: das war Neugierde, Freude, den anderen, das Männchen zu beobachten, dann kameradschaftliches Herumbalgen, das Spaß machte. Sie wunderte sich und fand es lustig, aber komisch, wie wichtig die Männer das nahmen, wie sie sich aufregten. Sie liefen an, man quirlte sie herum, schickte sie weg. Da kam dieser junge Tischler Link.

Er war ernst und beharrlich. Er redete von politischen Dingen, die sie nicht verstand, war leidenschaftlicher Kommunist. Er hängte sich an sie. Sie hatte solchen blonden Wuschelkopf, gesunde volle Backen, blickte so vergnügt in die Welt. Sie konnte so übermütig sein, daß ihm das Herz aufging. Er wollte sie zur Frau. Die wollte er neben sich haben.

Das war ihr gar nicht komisch. Link fiel aus dem Rahmen der Männer, die sie sonst kannte. Er hatte den Beruf ihres Vaters; sie kannte die Arbeitsdinge, von denen er erzählte. Das beschränkte sie etwas in ihrer Art sich zu geben. Sie konnte nicht mit ihm umspringen wie mit den anderen Männern. Es ehrte und beglückte sie, daß dieser Mann um sie warb; sie war in ihrem Familienniveau. Aber sie mußte sich auch ändern; er legte seine Hand auf sie.

Sie berichtete tastend nach Hause: sie habe eine gute und feste Stelle und der Tischler Link, ein fleißiger Arbeiter mit schönem Einkommen bemühe sich um sie. Sie ließ sich von Haus dafür loben. Vater und Mutter freuten sich. Und Elli, wie sie alles überdachte, merkte selbst etwas Angenehmes in sich. Sie war ihm eigentlich ganz gut. Er hatte vor, sie zu versorgen; sie sollte eine eigene Wirtschaft führen. Es kam ihr vor: eine Ehe ist etwas furchtbar Drolliges, aber Nettes; er will mich versorgen und freut sich darüber. Sie war ihm eigentlich recht gut. Von gelegentlichen heimlichen Seitensprüngen ließ sie auch jetzt nicht.

Link war ihr ganz verfallen. Sie merkte es, je länger sie zusammen waren. Zuerst achtete sie nicht darauf. Männer waren immer so. – Aber dann war es unbequem. Es war auch so stark bei ihm und dann immer gleichmäßig. Und ganz leise stieg etwas in ihr auf: ganz leise verdachte sie ihm dies Wesen. Link hinderte sie, den Faden weiter zu spinnen, den sie angefaßt hatte: er wäre ein ernster Mann, von der Art ihres Vaters, sie wollten eine Familie gründen. Nun sank er auf die Stufe ihrer früheren Liebhaber. Nein tiefer, weil er so an ihr hing, so schrecklich aufdringlich an ihr festhielt. Zu ihrem Ärger, ihrem Schmerz bemerkte sie, mit dem konnte man ja umspringen. Er forderte es geradezu heraus.

Sie blieb bei ihm. Es war alles schon im Lauf. Aber es ging ihr je länger je mehr bitter nahe. Es wurmte sie. Dieser Link hatte etwas vorgespiegelt; sie selbst war dadurch avanziert. Jetzt schämte sie sich, auch vor sich. Es war eine unterirdische Enttäuschung.

In Zornausbrüchen kam das ab und zu heraus. Sie war oft nicht nett zu ihm. Fuhr ihn in einem furchtbaren Tone an, brüllte ihn an wie einen Hund. Er dachte bestürzt: sie will mich loswerden.

Sie wischte darüber weg. Er will mich heiraten; warum nicht. Eine eigene Wirtschaft war nicht zu verachten. Und dann war er so jämmerlich; er tat ihr leid. Sie würde mit ihm schon fertig werden. Es gab viele Stunden, wo sie sich vergnügt etwas vorphantasierte, sie würde Ehefrau sein, eine Familie haben, wie die in Braunschweig, ihr Mann war in guter Stellung, er liebte sie, er war ein ernster Mann. November 1920, sie war 21 Jahr, er 28, heirateten sie.

*

Sie zogen zur Mutter des Link. Es war keine eigene Wirtschaft da. Die Mutter hatte ausziehen wollen, tat es aber nicht. Die Frau war nicht sehr freundlich zu ihrem Sohn, auch der Sohn hing nicht an der Mutter. Die Frau wollte die junge Schwiegertochter nicht aufkommen lassen. In den Zwistigkeiten ergriff Link die Partei seiner Frau, schaffte ihr Raum. Er schimpfte gemein auf die Mutter. Die junge Elli hörte zu. Sie bekam Furcht, er könnte einmal auch mit ihr so umspringen. Wie sie ihm das sagte, brummte er: was faselst du? Sie konnte bald schärfer gegen die Schwiegermutter auftreten, als das Einkommen des Mannes gering wurde, und er ihr erlaubte, Kundinnen zum Frisieren anzunehmen. Sie besorgte jetzt die Wirtschaft an den Wochentagen, hatte den Haushalt in der Hand; sonntags und sonnabends, wo sie im Geschäft Aushilfe tat, durfte die alte Frau einspringen.

Dann kam eine Zeit, wo Link öfter abends ausging, bald Abend um Abend, allein ausging, die junge Frau zu Hause ließ, wo sie klagte, daß er sich wenig um sie kümmere; sie konnte ihm nichts recht machen. Er hatte sie gedrängt zu der Ehe. Was war geschehen?

Er war mit der Mutter in Arbeit und übler Laune aufgewachsen. Er wollte vorwärts kommen. Die Frau, der lustige Wuschelkopf, nahm keinen Anteil an ihm, blieb wie sie war, überließ sich ihren Einfällen, war so und so. Manchmal hängte sie sich an ihn, manchmal war er Luft. Sie dachte: wer ist er denn? Er war ein derber Mann, nannte sich gern einen Kuli. Und jetzt, um sie ganz zu haben, näherte er sich ihr – körperlich.

Sie hatte sich früher öfter mit Männern eingelassen. Jetzt drängte sich einer an sie, den sie nicht, belustigt oder ärgerlich, abschütteln konnte, wenn es zu viel wurde. Dieser verlangte etwas von ihr. Er hatte das Recht des Ehemanns für sich, und – die körperliche Berührung behagte ihr nicht. Sie erduldete sie, blieb stumm dabei. Es erregte sie in einer gar nicht angenehmen Weise. Sie zwang sich dazu, den Mann zu erdulden, da sie wußte, das ist so in der Ehe, aber ihr war lieber: es gebe so was nicht. Sie war zufrieden, wenn sie wieder allein lag.

Link hatte eine junge, niedliche Frau geheiratet. Er war glücklich gewesen, daß sie ihm zugefallen war. Jetzt fluchte er für sich. Was war das? Sie trieb es zu weit mit ihren Kindereien, sie war nicht lieb zu ihm. Man konnte nett mit ihr sein bei Tag, auch da war sie oft schlimm, aber in der Umarmung war sie tot. Er grollte ihr. Sie änderte sich nicht, jetzt hatte er kein Heim. Er konnte zärtlich zu ihr sein wie zu einer Puppe, aber wenn er sich mit ihr verbinden wollte, um sie ganz zu gewinnen, blieb sie fremd, nahm ihn nicht an.

Sie fühlte sein Unbehagen. Es machte ihr Freude. Schadenfreude. Er sollte sie nur lassen. Und dann wieder war sie Ehefrau, bemühte sich umzufühlen, aber vermochte doch nicht. Ihr dämmerte ängstlich, daß sie sich da nicht zurecht fand. Es huschte durch sie, trieb sie oft ihm nachzugeben. Aber immer stärker das Gefühl: ich mag nicht. Und dann die massive Empfindung des Ekels.

Er lief abends weg in seine Versammlung, die möglichst aktiv und radikal sein mußte. Er bohrte sich in den Gedanken – ein altes schreckliches Unwürdigkeitsgefühl tauchte auf –: ich bin ihr nicht gut genug, sie spielt sich groß auf. Aber dann zitterte er: ich werde sie unterkriegen. Aufs Heftigste erschütterte ihn ihre geschlechtliche Abneigung.

*

Wie sie sich jetzt gegenüberstanden, war ihre Position sehr verändert. Er war enttäuscht, um das betrogen, was er in der Ehe suchte: Elli gab dem heftigen, in sich entzweiten Menschen nicht Freude, frischen und neuen Impuls. Sie gab ihm keine Möglichkeit zu einer warmen hegenden Liebe, die er in der ersten Zeit bei ihr empfunden hatte und wegen derer er um sie geworben hatte. Es war eine Enttäuschung ähnlich ihrer, als sie fühlte, er ist nicht der ernste Mann, dem ich folgen will. Mit Schimpfen, gereizten Auftritten suchte er es von sich abzuschütteln. Dann fing er an zu kämpfen. Die Sache war lebenswichtig für ihn. Er gab Elli nicht auf. Zunächst benutzte er die Situation, um sich für manches von früher zu rächen: er ließ sich gehen, tobte um Nichtigkeiten. Das Rachegefühl war schon gut, versöhnte ihn beinah mit ihr. Es war die erste Hälfte 1921. Sie waren erst einige Monate verheiratet. Er wollte sie behalten, die so nett und lustig war; sie hatte noch die Art, die ihm gefiel und an ihre gute Zeit erinnerte. Er wollte das festhalten. Er wollte sich an ihr festhalten. Er wollte sie lieben. Er kam auf einen schlimmen Weg.

Ohne daß er wußte, warum und wie, unter deutlichem inneren Widerstreben, verfiel er darauf, geschlechtlich wild mit ihr zu sein. Heftiges, Wildes, Besonderes, von ihr zu verlangen. Es gab einen förmlichen Ruck in ihnen; eine Umstellung vollzog sich in ihm. Er konnte dem wüsten Antrieb nicht widerstehen. Er merkte erst später: es war die Art, wie er mit gelegentlichen Mädchen umging, aber heißer, leidenschaftlicher. Er wollte sein Mißgeschick in dieser Wildheit begraben. Er wollte Elli bestrafen, degradieren gerade hierin, worin sie sich ihm entzog. Sie mochte das nicht; um so besser; gerade ihr Widerwille erregte ihn, steigerte den Reiz. Er wollte Wut. Ganz unterirdisch begleitete ihn noch ein anderes Gefühl: wie er jetzt seine alte verpönte Art an sie herantrug, unterwarf er sich ihr damit noch einmal. Er entblößte sich vor ihr. Sie sollte es gut heißen. Sollte ihn gut heißen. Sie sollte ihn gut machen. Wenn nicht so, dann so.

Sie verstand es. Fing die Geste richtig auf. Sie hatte schon den Hang, manches mitzumachen, um sich zu bestrafen für ihr geschlechtliches Versagen. – Nicht immer beruhigte sie sich an dem Ekelgefühl, das sie völlig einspannte, und das den Mann im ganzen unsauber erscheinen ließ, ihm einen schlechten Geruch gab. Jetzt witterte sie, bei allem Widerwillen, ja Schrecken, daß er sich veränderte, und daß er trotz allem nicht von ihr losließ. Ja, daß er der alte, der bettelnde Liebhaber war, sich ihr auf eine neue Art unterwarf. Sie witterte: zwischen allem Toben, Schimpfen, Schlagen unterwarf er sich ihr aufs Neue. Und während sie ihm nicht die warme Hingabe, Leib und Seele gewähren konnte: dies lag ihr besser. Es war ihr eine angstvolle Erregung, aber nicht ohne Lust, wie er ihr jetzt kam. Sie freute sich schon, daß er kam und daß er litt, weil er sie entbehrte. Und dann war es eigentlich eine Fortführung ihres Zankes, ein Fertigkämpfen auf eine besondere Weise. Es war mehr Schlägerei als Umarmung. Es war doch nicht mehr die dumme, erbärmliche, süße Art von früher, dieses Tätscheln, unmännliche Liebessäuseln. Er hatte ein neues Seelengebiet in ihr eröffnet.

Wirklich wurde auf dieser Linie zwischen ihnen ein zitternder Friede geschlossen. Er wurde auf neue Art nach Hause geführt und, wie er wollte, von ihr gebunden. Er hatte nicht von ihr gelassen. Und sie war von ihm fortgerissen. Es war nicht zu leugnen: sie war ihm nähergekommen. Aber es war ein gefährlicher Weg.

Es blieb nicht bei der Heftigkeit der Umarmungen. Die Veränderung ging bei ihm und ihr weiter. Die Wildheit flackerte in den Tag hinein. Sie wurden beide mehr unausgeglichen und nach Ausgleich bedürftig. Sie wurden mürrischer oder gereizter, gespannt. Sie hatte ein Auge für ihn und lauerte, wie er sich weiter entwickeln würde.

In ihm war ein keuchendes Fieber, sich loszulassen. Er tobte vor ihr, zerriß Kleidungsstücke, schüttete Wäschekörbe aus. Dabei bemerkte er selbst, daß es ihm Freude machte. Sie sollte ihn immer besser sehen wie er war. Er entblößte sich immer mehr und auf seine Selbstvorwürfe bekräftigte er sich: sie muß bestraft werden und er war der Herr im Hause. Und zwischendurch bemerkte der enttäuschte Mann, der ein neues Leben mit Elli hatte beginnen wollen, wie er zurückfiel, und wußte nicht wie sich dem entziehen. Manchmal befiel ihn ein Schreck. Jammer kam über ihn, um sich, um Elli, um seine Ehe. Kummer, wie alles gekommen war. Es war gut, wenn er nicht zu Hause war. In diesen Monaten, gegen Mitte des ersten Ehejahres, trieb er sich fast Abend um Abend in Lokalen herum, steckte den Kopf in radikalpolitische Ideen. Und fing an zu trinken. In der Trunkenheit fand er seine alte Freiheit und Ruhe wieder. Es gab da keine Sehnsucht. Kam er betrunken nach Hause, war da die Frau. Sie mußte ihm zu Willen sein. Mit Schlägen oder ohne Schläge. Und es war alles gut.

*

Wie er sich so entwickelte, wurde Elli stiller. Sie kam ins Hintertreffen. War sie nicht eigentlich schon unterlegen? Ein Haß regte sich in ihr. Er schlug öfter auf sie ein. Es wurde manchmal drei Uhr nachts, daß sie stritten. Jetzt waren diese Streitigkeiten schon nicht mehr unsichtbare Umarmungen. Die Wildheiten hatten fast ganz ihren alten lockenden Sinn verloren. Es waren nackte Rohheiten. Und wenn er sie überfiel, war auch aus dem Geschlechtlichen jedes Gefühl genommen; sie hatte nichts als furchtbaren Ekel, gesteigerte Empörung und Haß. Elli, mit Lächeln und Spott in die Ehe getreten, hatte einen gewalttätigen Herrn über sich.

Aufmerksam und mit Vergnügen beobachtete seine Mutter, in deren Wohnung sie noch waren, die Entwicklung. Ihr Sohn nahm schon nicht mehr die Partei der Elli; die Mutter hetzte gegen die junge Frau.

In Elli brannte ein einziger Zorn. Sie wollte weg von Link. Als sie bei ihrer täglichen Auseinandersetzung davon sprach, warf er ihr höhnisch den Reisekorb vor die Füße. Noch größer als auf Link war ihr Zorn auf die hetzende Mutter. Elli drohte, es werde noch etwas passieren, wenn nicht bald eine Änderung eintrete. Die Mutter, sie hatte ein schlechtes Gewissen, fürchtete sich vor der Schwiegertochter. Einmal trank sie eine Tasse Kaffee, die ihr Elli gab. Ihr kam vor, als ob der Kaffee einen beißenden scharfen Geruch hatte. Und als sie ihn vorsichtig mit der Zunge abschmeckte, brannte er unangenehm. Sie fuhr gegen die Schwiegertochter heraus: du willst mich vergiften! Elli kostete selbst den Kaffee, zuckte mit der Achsel: bei mir kannst du hundert Jahre alt werden. Die alte Frau erzählte im Haus davon, auch ihrem Sohn, der sehr finster wurde.

Elli aber warf sich herum. Nicht lange nach dem Vorfall, Juni 1921, verließ sie das Haus, fuhr zu ihren Eltern nach Braunschweig. Alles Geld, dessen sie habhaft werden konnte, auch das für das Fahrrad, das der Mann verkauft hatte, dann die Groschen aus dem Gasautomaten nahm sie rachsüchtig mit.

*

Vierzehn Tage war sie in Braunschweig. Sie erzählte von den ehelichen Zuständen, soweit sie sprechen konnte. Die biederen Eltern nahmen kopfschüttelnd Kenntnis. Man sprach nicht oft davon. Die Eltern hielten alles für übertrieben, Elli war ein Kindskopf, sie sollte sich beruhigen. Elli suchte selbst von den schrecklichen Dingen wegzukommen. Sie suchte sich fast mit Gewalt in ihre alte Umgebung wieder einzufinden. Sie bekam nicht Recht von den Eltern, aber sie war auch geneigt, sich mit Zwang auf die ruhige Meinung der Eltern einzustellen.

Der mürrische Mensch saß inzwischen allein in seiner Wohnung in Friedrichsfelde bei der Mutter. Hörte ihr Schimpfen an auf die schlechte Frau, die weggelaufen war, und brüllte sie an. Er war wütend auf die Mutter, auf Elli, vergrämt über sich. Und alles Schimpfen half nicht darüber weg, daß ein starker Schlag gegen ihn geführt war; er war ernüchtert. Es kamen Briefe von ihm in Braunschweig an. Aus einem hörte Elli die Stimme ihrer Schwiegermutter heraus: wegen dieser Tasse Kaffee hatten sie sich in Berlin fürchterlich gestritten, jetzt fing er wieder damit an: »Du mußt mir versprechen, daß du das mit der Mutter nicht ausführen wirst, dann wird alles anders werden.« Er schrieb in einem zaghaften, uneingeständlich versöhnlichen Ton. Die Eltern drängten, sie solle doch gehen, er warte doch auf sie. Ihr war schon etwas freier. Der Vater freute sich, als sie sehr zögernd fortging; sie wollte den Eltern willfahren. Die Mutter konnte sich nicht recht abfinden mit dem unentschlossenen Ausdruck, dem gespannten Gesicht ihrer lustigen Tochter.

Und kaum sie in Berlin zusammen waren, fing die Hölle wieder an. Es war, als wenn sie ihre abgebrochene Unterhaltung fortführten. Sie glitten, kaum sie sich sahen, sich unverändert wiedererkannten, heißhungrig in diese Unterhaltung hinein. Hinzu tat er seinen Ärger über ihre Flucht, die erlittene Beschämung, und dann die Scham, daß er sie zurückgeholt hatte. Das mußte er verdecken und wettmachen. Elli stellte sich ihm, aber jetzt fing sie bald an zu beben, zu leiden. Ihre Eltern hatten sie nicht behalten wollen. Er schlug sie und war stärker als sie. Sie wollte diesen endlosen quälenden Kampf nicht. Sie fühlte, wie sie sich selbst entfremdete. Sie dachte an früher, wie es ihr gegangen war und wie es zu Haus war. Was war sie zu Hause und in Wriezen gewesen, und später. Sie saß hilflos über sich, ihrer selbst überdrüssig, schlaff und dann wieder zu allem fähig.

Er merkte etwas von ihrer Feindschaft. Es gab ihm einen Ruck. Er wurde erschüttert, erinnert. Er schimpfte. Was heulte sie? Sie war selbst schuld. In einem Gemisch von Groll und schlechtem Gewissen, manchmal gegen seine alte Zärtlichkeit ankämpfend, ging er herum. Es müßte etwas geschehen. Eine Änderung müßte geschehen. Er führte den Entschluß aus, den er schon in Ellis Abwesenheit gefaßt hatte, betrieb den Umzug, die Trennung von seiner Mutter. Er dachte: wir ziehen weg von der Mutter, das wird helfen.

Sie zogen möbliert nach der W.-straße zu einer Frau E. Es war Anfang August 21. Sie gingen auch in diesen Tagen manchmal zusammen aus. Am 14. August nahm sie Link mit in die Gastwirtschaft von E., dem Jagdheim, wo er einen Mann treffen wollte, den er kurz vorher kennengelernt hatte. Es war der Eisenbahnschaffner Bende. Der hatte seine Frau auch mitgebracht, Margarete, Gretchen.

Sie war drei Jahre älter als Elli, 25