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Döblins Hörspielbearbeitung seines berühmten Romans ›Berlin Alexanderplatz‹ Als radikal gegenwärtiger Autor hat sich Alfred Döblin auch für moderne Massenmedien wie Radio und Film interessiert. Mit seiner Hörspielbearbeitung des Romans ›Berlin Alexanderplatz‹ macht sich Döblin die Popularität und Wirkungskraft des Rundfunks zunutze und konzentriert sich dabei auf das Schicksal der Hauptfigur des Romans: Franz Biberkopf.
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Seitenzahl: 86
Alfred Döblin
Die Geschichte vom Franz Biberkopf
FISCHER E-Books
Mit einem Nachwort von Stefan Keppler-Tasaki
Hörspiel
(Musik)
STIMME
(flüsternd) Hiob[.]
HIOB
Wer ruft?
STIMME
Hiob[.]
HIOB
Wer ist es?
STIMME
Hiob, du liegst im Kohlgarten an der Hundehütte. Da ist der Palast, den du einmal besessen hast. Was quält dich am meisten, Hiob? Daß du deine Söhne und Töchter verloren hast, daß du nichts besitzt, daß du krank bist?
HIOB
Wer fragt?
STIMME
Ich bin nur eine Stimme.
HIOB
Eine Stimme kommt aus einem Hals[.]
STIMME
Hiob, du kannst die Augen nicht aufmachen, willst du keine Rettung?
HIOB
Ach heile mich.
STIMME
Wenn ich aber Satan oder der Böse bin?
HIOB
Heile mich.
STIMME
Ich bin Satan.
HIOB
Heile mich.
(Musik)
HIOB
Wo ist die Stimme?
STIMME
Ich komme schon.
HIOB
Du willst mir ja nicht helfen, keiner will mir helfen, nicht Gott, nicht Satan, kein Engel, kein Mensch.
STIMME
Und du dir selbst?
HIOB
Was ist mit mir[?]
STIMME
Du willst ja selbst nicht.
HIOB
Was?
STIMME
Wer kann dir helfen, wo du dir selbst nicht helfen willst.
HIOB
Nein, nein.
STIMME
Alle wollen dir helfen, nur du dir nicht.
HIOB
Ich kann nicht.
STIMME
Du – mußt!
(Scenenwechsel überall ohne Pause!)
HARMONIKA, AUTOTUTEN, VERSCHIEDENE STIMMEN
B.Z. am Mittag, die Zwölfuhrmittagzeitung, die neusten Schlager, Gigolo, mein kleiner Gigolo, meine Dame kaufen sie Fische, Fische sind preiswert, Fische enthalten viel Phosphor, ist doch giftig, Sie meinen Streichhölzer, nee Streichhölzer brauchen Sie nicht zu l[u]tschen, Fische sind nahrhaft, eßt Fisch, dann bleibt ihr schlank gesund und frisch, Damenstrümpfe, echt Kunstseide, Sie haben hier einen Füllfederhalter, mit prima Goldfeder, anlackiert, ich sage Gold, vielleicht lackiere ich Ihnen eine runter.
FRANZ BIBERKOPF
Herrschaften treten Sie näher, Fräulein Sie auch mit dem Herrn Gemahl, Jugendliche haben Zutritt, für Jugendliche kostets nicht mehr, warum trägt der feine Mann im Westen Schleifen und der Prolet trägt keine?
STIMME
Fabisch Konfektion, gediegene Verarbeitung und niedrige Preise sind die Merkmale unserer Erzeugnisse.
FRANZ
Warum trägt der Prolet keine Schleifen? Weil er sie nicht binden kann. Da muß er sich einen Schlipshalter zukaufen, und wenn er den gekauft hat, ist er schlecht und er kann den Schlips noch nicht immer nicht binden. Das ist Betrug, das verbittert das Volk, das stößt Deutschland noch tiefer ins Elend, wo es schon drin ist.
SPRECHER
Der Mann, den Ihr hier sprechen hört –
FRANZ
Warum hat man früher diesen großen Schlipshalter nicht getragen? Weil man sich keine Müllschippe an den Hals binden will, das will weder Mann noch Frau, das will nicht mal der Säugling, wenn er reden könnte.
SPRECHER
Ist Franz Biberkopf.
FRANZ
Man soll drüber nicht lachen, Herrschaften, lachen Sie nicht, wer weiß, wat in sonm klein Kinderkopf vorgeht, ach Jott, das liebe Köppchen und die lieben Härchen.
SPRECHER
Er hat ein wildes Leben geführt, Zement- und Transportarbeiter ist er gewesen, dann hat er zu trinken angefangen.
FRANZ
Herrschaften, wer hat heut zu Tage Zeit sich morgens einen Schlips umzubinden? Und gönnt sich nicht lieber die Minute Schlaf, weil wir viel arbeiten müssen und wenig verdienen. Ein solcher Schlipshalter erleichtert Ihnen den Schlaf.
SPRECHER
Er ist ins Trinken gekommen, seiner Freundin hat er die Rippen zerschlagen, vier Jahre hat er wegen Totschlag in Tegel gesessen.
FRANZ
Jehn Sie weg vom Damm, junger Mann, sonst überfährt Sie ein Auto und wer soll nachher den Müll wegfegen.
SPRECHER
Aber in Tegel ist ihm ein Seifensieder aufgegangen und er hat gesagt: es soll jetzt aus sein mit dem Lumpen und Saufen, er hat geschworen anständig zu sein, darum hört Ihr ihn jetzt am Rosenthaler Platz ausrufen und schrein.
FRANZ
Sie geben Ihr Geld für viel Dreck aus. Da haben Sie die Ganov[en] im Krokodil gesehn, vorne gab es heiße Bockwurst, hinten hat Jolly gelegen im Glaskasten, und die Schokolade haben sie ihm durch die Radioröhre durchgeschoben. Hier kaufen Sie ehrliche Ware, Herrschaften, Gummi gewalzt, ein Stück 20, drei 50.
MECK
([P]fiff) Franz, Achtung Polente.
FRANZ
Meck, Junge, seh ick dir ooch wieder.
MECK
Polente, Franz, der Grüne.
FRANZ
Wat heißt hier Polente, ick hab mein Schein.
MECK
Wat haste?
FRANZ
Jawoll, kleenes Meckchen, Meckmeckziegchen, haben wir. Franz isn Gewerbetreibender, da, Reichsverband ambulanter Gewerbetreibender, ambulant sind wir, verstehste. Ein Stück 20 Pfennig, 3 fünfzig.
MECK
Na mach man ne Mittagspause, Mensch, loofen ja doch alle weg.
FRANZ
Ja wolln ooch futtern, also wo gehts hin Meckchen?
MECK
Prenzlauer.
FRANZ
Jemacht. Meck, wir sind ehrbare Leute, wir haben im Zuchthaus gesessen, vier Jahre, da haben wir was zugelernt.
MECK
Bist ja ordentlich im Fleisch, du, Schwergewicht, du wirst den Laden schon schmeißen.
FRANZ
Ich denke.
STIMME
Ich weiß nicht.
SPRECHER
Wer sagt, ich weiß nicht[?]
STIMME
Ich weiß nicht.
Lärm eines Lokals.
MECK
Komm hier setzen wir uns hin.
LINA
Tag ooch, Franzeken.
FRANZ
Tag Lina, aber schieb man lo[s] ick hab wat Geschäftliches zu reden mit Lüders. Lüders komm mal rüber.
LINA
Adjö Franz, kommst bald nach Haus.
FRANZ
Also zwei große Mollen, paar Würschtchen for mir, for dir ooch.
LÜDERS
Ja.
FRANZ
Ist se raus? Na Lüders, wat hab ick hier in der Hand?
LÜDERS
Na wat denn.
FRANZ
Na schieß man lo[s].
LÜDERS
Na wat denn.
FRANZ
Da Geld, zwei Zehner, zwanzig Eier.
LÜDERS
Mensch!
FRANZ
Na von wo denn, rat mal, von wo.
LÜDERS
Hinten rum.
FRANZ
Bei mir nicht zu machen, kennste Franzen nicht. Von wo Lüders, rat mal. Also: ick da gestern mit Schnürsenkel in die Elsasserstraße. Steht da im Quergebäude eene an der Tür, macht mir auf, schniekes Weib, du, ei, wei, kommt mit mir ins Quatschen, is ne Kriegerwitwe und denn sagt se, ick soll man rin kommen und wir trinken Kaffee und du –
LÜDERS
Mensch.
FRANZ
Glück muß der Mensch haben, war joldig, Mensch, und denn sagt se, ick seh vielleicht aus wie ihr Oller und weil ick so abgerissen bin, jiebt sie mir die zwei Lappen, die Schnürsenkel hab ick oben gelassen, ha ha.
LÜDERS
Mensch! det schenkt se dir.
FRANZ
Hab ihr allens erzählt von mir, hat ihr leid jetan und ick soll mir ne Kluft besorgen und in ne Woche treff ick ihr wieder.
LÜDERS
Hast doch die Lina.
FRANZ
Bin ihr ooch gut, laß man, ist doch Jeschäft, alles Jeschäft.
LÜDERS
Son Kerl. Ist stark wien Athlet, istn Verbrecher und kaum kommt er raus, fliegt ihm det Geld ins Portemonnaie. Und ick, ick sitz da mit meine Frau und die Göhren. Glück muß man haben. Mal ruff zu det Weib, wat hat er jesagt, Elsasser.
Mehrfaches Klingeln.
FRAU
Wer ist da?
LÜDERS
Erlauben Sie, ick komme von meinem Freund Franz.
FRAU
Was ist?
LÜDERS
Von meinem Freund Franz, Sie wissen doch, mit die Schnürsenkel, na ick komme schon rin, danke schön.
FRAU
Was hat er Ihnen erzählt?
LÜDERS
Aber nischt, junge Frau, nischt, darf ick mir nicht setzen, haben Sie nicht ne Tasse Kaffee.
FRAU
Was wollen Sie denn?
LÜDERS
Na haben Sie sich man nicht so, krieg ich nicht ooch ne Tasse, ick bin wohl nich so hübsch wie der Franz.
FRAU
Ick bring schon.
LÜDERS
Machen Sie man keen Gesicht, bin wohl n Köter, was, Pinke her.
FRAU
Ick geh bloß in die Küche.
LÜDERS
Quatschkaffee. Pinke her.
FRAU
Da.
LÜDERS
Und die Uhr, fix.
Stöhnen der Frau.
LÜDERS
Plumpst die um, die dumme Töhle, mal raus.
Rennende Schritte.
FRANZ
(singend) Seit wann bläst meine Großmama [] Posaune etc.
FLÜSTERSTIMME
Na so lustig, Herr Biberkopf?
FRANZ
Ja immer lustig, weil die Welt so schön ist.
FLÜSTERSTIMME
Ja, immer lustig, weil die Welt so schön ist.
FRANZ
Das Wetter ist schön und die Welt ist schön und das Leben ist schön.
FLÜSTERSTIMME
Das Wetter ist schön und die Welt ist schön und das Leben ist schön.
FRANZ
Und jetzt trinken wir noch ne Molle und denn wart ick auf Lüders und dann gehn wir auf Tour.
FLÜSTERSTIMME
Und denn wart ick auf Lüders und denn gehn wir auf Tour.
JUNGE
Is hier Herr Biberkopf?
WIRT
Ja da sitzt er, am Fenster, der Große[,] wat wiste denn[?]
JUNGE
Bloß wat abgeben. Solln Brief abjeben von ner Frau aus unserm Haus, der Große? Welcher denn?
WIRT
Na jib man. Isn Brief for Sie da, Herr Biberkopf.
FRANZ
For mir, wer schreibt mir denn n Brief? Ah so! Wir haben nämlich ne Freundschaft, komm her mein Jung, hier hast du n Sechser, jetzt habn wir schon Briefwechsel.
FLÜSTERSTIMME
Ja das Wetter ist schön und die Welt ist schön und jetzt trinken wir noch ne Molle und denn wart ick uf Lüders.
FRANZ
[S]töhnt.
WIRT
Herr Biberkopf!
FRANZ
([s]töhnt)
WIRT
Na Mann, richten Sie sich doch auf, wat machen Sie denn, wohl n Trauerfall, nicht unterkriegen lassen, kommen se, bißchen an die Luft.
FRANZ
Ick will nich.
WIRT
Trinken Sie n Kognak.
FRANZ
Will nich. Hab ick zu zahlen[?]
WIRT
80, danke, hat Ihn denn die Frau geschrieben?
FRANZ
Lassen se man.
(Schon vorher Gebrüll vom Schlachthof)
WIRT
Sachen sind det, der wird noch aus die Pantinen kippen.
FLÜSTERSTIMME
Ja die Welt ist schön und das Leben ist schön.
Im Folgenden fortdauernd Geräusche vom Viehhof
1. STIMME
Der Schlachthof liegt im Nordosten von Berlin zwischen Eldenaerstraße und Landsberger Allee. – Da kuck mal die Schweinchen, wie sie übern Hof laufen, die lustigen Schwänzchen, wie sie schnuppern.
2. STIMME
Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh.
1. STIMME
Da ist das Schlachthaus, das Beil, hatz, herunter auf den Kopf, hatz noch eins. Und dieser große weiße Stier, allein steht er in der Halle, und jetzt ist das Schlachtbeil über ihm, wum[m], in seinen Nacken.
2. STIMME
Und haben alle einerlei Odem und der Mensch hat nichts mehr denn das Vieh.
FRANZ
Und jetzt trink ich noch ne Molle und noch eine und noch eine und noch immer eine. Denn warum soll der Mensch ooch anständig sein, man ist doch von lauter Kruppzeug umgeben, es hat doch alles keenen Zweck, und was de tust is für [n] Dreck.
SPRE[]CHER[] MIT GETEILTEN STIMMEN