Die Geschichte vom Franz Biberkopf - Alfred Döblin - E-Book

Die Geschichte vom Franz Biberkopf E-Book

Alfred Döblin

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Beschreibung

Döblins Hörspielbearbeitung seines berühmten Romans ›Berlin Alexanderplatz‹ Als radikal gegenwärtiger Autor hat sich Alfred Döblin auch für moderne Massenmedien wie Radio und Film interessiert. Mit seiner Hörspielbearbeitung des Romans ›Berlin Alexanderplatz‹ macht sich Döblin die Popularität und Wirkungskraft des Rundfunks zunutze und konzentriert sich dabei auf das Schicksal der Hauptfigur des Romans: Franz Biberkopf.

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Alfred Döblin

Die Geschichte vom Franz Biberkopf

FISCHER E-Books

Mit einem Nachwort von Stefan Keppler-Tasaki

Inhalt

Die Geschichte vom Franz BiberkopfAnhangEditorische NotizDaten zu Leben und WerkNachwortAlfred Döblin als Auftrittskünstler›Die Geschichte vom Franz Biberkopf‹ als HörfilmLiteraturhinweise1. Texte von Alfred Döblin2. Texte über Alfred Döblin

Die Geschichte vom Franz Biberkopf

Hörspiel

(Musik)

STIMME

(flüsternd) Hiob[.]

HIOB

Wer ruft?

STIMME

Hiob[.]

HIOB

Wer ist es?

STIMME

Hiob, du liegst im Kohlgarten an der Hundehütte. Da ist der Palast, den du einmal besessen hast. Was quält dich am meisten, Hiob? Daß du deine Söhne und Töchter verloren hast, daß du nichts besitzt, daß du krank bist?

HIOB

Wer fragt?

STIMME

Ich bin nur eine Stimme.

HIOB

Eine Stimme kommt aus einem Hals[.]

STIMME

Hiob, du kannst die Augen nicht aufmachen, willst du keine Rettung?

HIOB

Ach heile mich.

STIMME

Wenn ich aber Satan oder der Böse bin?

HIOB

Heile mich.

STIMME

Ich bin Satan.

HIOB

Heile mich.

(Musik)

HIOB

Wo ist die Stimme?

STIMME

Ich komme schon.

HIOB

Du willst mir ja nicht helfen, keiner will mir helfen, nicht Gott, nicht Satan, kein Engel, kein Mensch.

STIMME

Und du dir selbst?

HIOB

Was ist mit mir[?]

STIMME

Du willst ja selbst nicht.

HIOB

Was?

STIMME

Wer kann dir helfen, wo du dir selbst nicht helfen willst.

HIOB

Nein, nein.

STIMME

Alle wollen dir helfen, nur du dir nicht.

HIOB

Ich kann nicht.

STIMME

Du – mußt!

(Scenenwechsel überall ohne Pause!)

HARMONIKA, AUTOTUTEN, VERSCHIEDENE STIMMEN

B.Z. am Mittag, die Zwölfuhrmittagzeitung, die neusten Schlager, Gigolo, mein kleiner Gigolo, meine Dame kaufen sie Fische, Fische sind preiswert, Fische enthalten viel Phosphor, ist doch giftig, Sie meinen Streichhölzer, nee Streichhölzer brauchen Sie nicht zu l[u]tschen, Fische sind nahrhaft, eßt Fisch, dann bleibt ihr schlank gesund und frisch, Damenstrümpfe, echt Kunstseide, Sie haben hier einen Füllfederhalter, mit prima Goldfeder, anlackiert, ich sage Gold, vielleicht lackiere ich Ihnen eine runter.

FRANZ BIBERKOPF

Herrschaften treten Sie näher, Fräulein Sie auch mit dem Herrn Gemahl, Jugendliche haben Zutritt, für Jugendliche kostets nicht mehr, warum trägt der feine Mann im Westen Schleifen und der Prolet trägt keine?

STIMME

Fabisch Konfektion, gediegene Verarbeitung und niedrige Preise sind die Merkmale unserer Erzeugnisse.

FRANZ

Warum trägt der Prolet keine Schleifen? Weil er sie nicht binden kann. Da muß er sich einen Schlipshalter zukaufen, und wenn er den gekauft hat, ist er schlecht und er kann den Schlips noch nicht immer nicht binden. Das ist Betrug, das verbittert das Volk, das stößt Deutschland noch tiefer ins Elend, wo es schon drin ist.

SPRECHER

Der Mann, den Ihr hier sprechen hört –

FRANZ

Warum hat man früher diesen großen Schlipshalter nicht getragen? Weil man sich keine Müllschippe an den Hals binden will, das will weder Mann noch Frau, das will nicht mal der Säugling, wenn er reden könnte.

SPRECHER

Ist Franz Biberkopf.

FRANZ

Man soll drüber nicht lachen, Herrschaften, lachen Sie nicht, wer weiß, wat in sonm klein Kinderkopf vorgeht, ach Jott, das liebe Köppchen und die lieben Härchen.

SPRECHER

Er hat ein wildes Leben geführt, Zement- und Transportarbeiter ist er gewesen, dann hat er zu trinken angefangen.

FRANZ

Herrschaften, wer hat heut zu Tage Zeit sich morgens einen Schlips umzubinden? Und gönnt sich nicht lieber die Minute Schlaf, weil wir viel arbeiten müssen und wenig verdienen. Ein solcher Schlipshalter erleichtert Ihnen den Schlaf.

SPRECHER

Er ist ins Trinken gekommen, seiner Freundin hat er die Rippen zerschlagen, vier Jahre hat er wegen Totschlag in Tegel gesessen.

FRANZ

Jehn Sie weg vom Damm, junger Mann, sonst überfährt Sie ein Auto und wer soll nachher den Müll wegfegen.

SPRECHER

Aber in Tegel ist ihm ein Seifensieder aufgegangen und er hat gesagt: es soll jetzt aus sein mit dem Lumpen und Saufen, er hat geschworen anständig zu sein, darum hört Ihr ihn jetzt am Rosenthaler Platz ausrufen und schrein.

FRANZ

Sie geben Ihr Geld für viel Dreck aus. Da haben Sie die Ganov[en] im Krokodil gesehn, vorne gab es heiße Bockwurst, hinten hat Jolly gelegen im Glaskasten, und die Schokolade haben sie ihm durch die Radioröhre durchgeschoben. Hier kaufen Sie ehrliche Ware, Herrschaften, Gummi gewalzt, ein Stück 20, drei 50.

– – –

MECK

([P]fiff) Franz, Achtung Polente.

FRANZ

Meck, Junge, seh ick dir ooch wieder.

MECK

Polente, Franz, der Grüne.

FRANZ

Wat heißt hier Polente, ick hab mein Schein.

MECK

Wat haste?

FRANZ

Jawoll, kleenes Meckchen, Meckmeckziegchen, haben wir. Franz isn Gewerbetreibender, da, Reichsverband ambulanter Gewerbetreibender, ambulant sind wir, verstehste. Ein Stück 20 Pfennig, 3 fünfzig.

MECK

Na mach man ne Mittagspause, Mensch, loofen ja doch alle weg.

FRANZ

Ja wolln ooch futtern, also wo gehts hin Meckchen?

MECK

Prenzlauer.

FRANZ

Jemacht. Meck, wir sind ehrbare Leute, wir haben im Zuchthaus gesessen, vier Jahre, da haben wir was zugelernt.

MECK

Bist ja ordentlich im Fleisch, du, Schwergewicht, du wirst den Laden schon schmeißen.

FRANZ

Ich denke.

STIMME

Ich weiß nicht.

SPRECHER

Wer sagt, ich weiß nicht[?]

STIMME

Ich weiß nicht.

– – –

Lärm eines Lokals.

MECK

Komm hier setzen wir uns hin.

LINA

Tag ooch, Franzeken.

FRANZ

Tag Lina, aber schieb man lo[s] ick hab wat Geschäftliches zu reden mit Lüders. Lüders komm mal rüber.

LINA

Adjö Franz, kommst bald nach Haus.

FRANZ

Also zwei große Mollen, paar Würschtchen for mir, for dir ooch.

LÜDERS

Ja.

FRANZ

Ist se raus? Na Lüders, wat hab ick hier in der Hand?

LÜDERS

Na wat denn.

FRANZ

Na schieß man lo[s].

LÜDERS

Na wat denn.

FRANZ

Da Geld, zwei Zehner, zwanzig Eier.

LÜDERS

Mensch!

FRANZ

Na von wo denn, rat mal, von wo.

LÜDERS

Hinten rum.

FRANZ

Bei mir nicht zu machen, kennste Franzen nicht. Von wo Lüders, rat mal. Also: ick da gestern mit Schnürsenkel in die Elsasserstraße. Steht da im Quergebäude eene an der Tür, macht mir auf, schniekes Weib, du, ei, wei, kommt mit mir ins Quatschen, is ne Kriegerwitwe und denn sagt se, ick soll man rin kommen und wir trinken Kaffee und du –

LÜDERS

Mensch.

FRANZ

Glück muß der Mensch haben, war joldig, Mensch, und denn sagt se, ick seh vielleicht aus wie ihr Oller und weil ick so abgerissen bin, jiebt sie mir die zwei Lappen, die Schnürsenkel hab ick oben gelassen, ha ha.

LÜDERS

Mensch! det schenkt se dir.

FRANZ

Hab ihr allens erzählt von mir, hat ihr leid jetan und ick soll mir ne Kluft besorgen und in ne Woche treff ick ihr wieder.

LÜDERS

Hast doch die Lina.

FRANZ

Bin ihr ooch gut, laß man, ist doch Jeschäft, alles Jeschäft.

– – –

LÜDERS

Son Kerl. Ist stark wien Athlet, istn Verbrecher und kaum kommt er raus, fliegt ihm det Geld ins Portemonnaie. Und ick, ick sitz da mit meine Frau und die Göhren. Glück muß man haben. Mal ruff zu det Weib, wat hat er jesagt, Elsasser.

– – –

Mehrfaches Klingeln.

FRAU

Wer ist da?

LÜDERS

Erlauben Sie, ick komme von meinem Freund Franz.

FRAU

Was ist?

LÜDERS

Von meinem Freund Franz, Sie wissen doch, mit die Schnürsenkel, na ick komme schon rin, danke schön.

FRAU

Was hat er Ihnen erzählt?

LÜDERS

Aber nischt, junge Frau, nischt, darf ick mir nicht setzen, haben Sie nicht ne Tasse Kaffee.

FRAU

Was wollen Sie denn?

LÜDERS

Na haben Sie sich man nicht so, krieg ich nicht ooch ne Tasse, ick bin wohl nich so hübsch wie der Franz.

FRAU

Ick bring schon.

LÜDERS

Machen Sie man keen Gesicht, bin wohl n Köter, was, Pinke her.

FRAU

Ick geh bloß in die Küche.

LÜDERS

Quatschkaffee. Pinke her.

FRAU

Da.

LÜDERS

Und die Uhr, fix.

Stöhnen der Frau.

LÜDERS

Plumpst die um, die dumme Töhle, mal raus.

Rennende Schritte.

– – –

FRANZ

(singend) Seit wann bläst meine Großmama [] Posaune etc.

FLÜSTERSTIMME

Na so lustig, Herr Biberkopf?

FRANZ

Ja immer lustig, weil die Welt so schön ist.

FLÜSTERSTIMME

Ja, immer lustig, weil die Welt so schön ist.

FRANZ

Das Wetter ist schön und die Welt ist schön und das Leben ist schön.

FLÜSTERSTIMME

Das Wetter ist schön und die Welt ist schön und das Leben ist schön.

FRANZ

Und jetzt trinken wir noch ne Molle und denn wart ick auf Lüders und dann gehn wir auf Tour.

FLÜSTERSTIMME

Und denn wart ick auf Lüders und denn gehn wir auf Tour.

JUNGE

Is hier Herr Biberkopf?

WIRT

Ja da sitzt er, am Fenster, der Große[,] wat wiste denn[?] 

JUNGE

Bloß wat abgeben. Solln Brief abjeben von ner Frau aus unserm Haus, der Große? Welcher denn?

WIRT

Na jib man. Isn Brief for Sie da, Herr Biberkopf.

FRANZ

For mir, wer schreibt mir denn n Brief? Ah so! Wir haben nämlich ne Freundschaft, komm her mein Jung, hier hast du n Sechser, jetzt habn wir schon Briefwechsel.

FLÜSTERSTIMME

Ja das Wetter ist schön und die Welt ist schön und jetzt trinken wir noch ne Molle und denn wart ick uf Lüders.

FRANZ

[S]töhnt.

WIRT

Herr Biberkopf!

FRANZ

([s]töhnt)

WIRT

Na Mann, richten Sie sich doch auf, wat machen Sie denn, wohl n Trauerfall, nicht unterkriegen lassen, kommen se, bißchen an die Luft.

FRANZ

Ick will nich.

WIRT

Trinken Sie n Kognak.

FRANZ

Will nich. Hab ick zu zahlen[?]

WIRT

80, danke, hat Ihn denn die Frau geschrieben?

FRANZ

Lassen se man.

(Schon vorher Gebrüll vom Schlachthof)

WIRT

Sachen sind det, der wird noch aus die Pantinen kippen. 

FLÜSTERSTIMME

Ja die Welt ist schön und das Leben ist schön. 

– – –

Im Folgenden fortdauernd Geräusche vom Viehhof

1. STIMME

Der Schlachthof liegt im Nordosten von Berlin zwischen Eldenaerstraße und Landsberger Allee. – Da kuck mal die Schweinchen, wie sie übern Hof laufen, die lustigen Schwänzchen, wie sie schnuppern.

2. STIMME

Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh.

1. STIMME

Da ist das Schlachthaus, das Beil, hatz, herunter auf den Kopf, hatz noch eins. Und dieser große weiße Stier, allein steht er in der Halle, und jetzt ist das Schlachtbeil über ihm, wum[m], in seinen Nacken.

2. STIMME

Und haben alle einerlei Odem und der Mensch hat nichts mehr denn das Vieh.

– – –

FRANZ

Und jetzt trink ich noch ne Molle und noch eine und noch eine und noch immer eine. Denn warum soll der Mensch ooch anständig sein, man ist doch von lauter Kruppzeug umgeben, es hat doch alles keenen Zweck, und was de tust is für [n] Dreck.

SPRE[]CHER[] MIT GETEILTEN STIMMEN