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Tore in fremde Welten, magische Wesen, die unsere Erde beeinflussen und um das Schicksal von allen ein unheimlich Spiel beginnen – und mutige Helden, die sich dem Unvorstellbaren in den Weg stellen. Sie müssen kämpfen, um ihrer Bestimmung gerecht zu werden! (499) Dieses Buch enthält folgende Fantasy-Romane: Pete Hackett/ Alfred Bekker: Der Prinz des Unheils Jo Zybell: Arkanum -Das siebte Tor: Gestrandet Alfred Bekker: Stirb in einer anderen Welt Alfred Bekker: Michelangelo und die Geschöpfe des Orkus Chris Heller: Der Kaiser und die Götter Chris Heller: Das Spiel der Magie Jo Zybell ist Mitautor von Maddrax und Ren Dhark. Er schrieb Science Fiction und Fantasy-Romane Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
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Seitenzahl: 785
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Die besten Fantasy Romane im Herbst Bundle 2024
Copyright
Der Prinz des Unheils
Arkanum – Das siebte Tor
Gestrandet
Copyright
Prolog
Erstes Buch
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Intermezzo I
Zweites Buch
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Intermezzo II
Drittes Buch
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Epilog
Stirb in einer anderen Welt
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Prolog
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Michelangelo und die Geschöpfe des Orkus
Der Kaiser und die Götter: Fantasy
Das Spiel der Magie
Tore in fremde Welten, magische Wesen, die unsere Erde beeinflussen und um das Schicksal von allen ein unheimlich Spiel beginnen – und mutige Helden, die sich dem Unvorstellbaren in den Weg stellen. Sie müssen kämpfen, um ihrer Bestimmung gerecht zu werden!
Dieses Buch enthält folgende Fantasy-Romane:
Pete Hackett/ Alfred Bekker: Der Prinz des Unheils
Jo Zybell: Arkanum -Das siebte Tor: Gestrandet
Alfred Bekker: Stirb in einer anderen Welt
Alfred Bekker: Michelangelo und die Geschöpfe des Orkus
Chris Heller: Der Kaiser und die Götter
Chris Heller: Das Spiel der Magie
Jo Zybell ist Mitautor von Maddrax und Ren Dhark. Er schrieb Science Fiction und Fantasy-Romane
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
Der Thron von Cambalar 1
von Pete Hackett & Alfred Bekker
nach einem Exposé von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 93 Taschenbuchseiten.
Eine schreckliche Prophezeiung erfüllt sich: Einer der neugeborenen Zwillinge des Königs Ghaderich trägt das Mal des Todesgottes auf der Stirn. Er muss geopfert werden, um das Wohlwollen des Gottes zu erlangen und die Bedrohung durch die heranziehenden Feinde abzuwehren. Während der König dem feindlichen Heer entgegenzieht, ist sein Vertrauter mit dem Kind auf dem Weg zum Heiligen Berg, um die Opferung vorzunehmen.
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Alfred Bekker
© Roman by Author
nach einem Exposé von Alfred Bekker
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Die Welt von Cambalar ist sehr trocken und zu vier Fünfteln mit Land bedeckt. Es gibt zwei Binnenmeere, ein großes und ein kleines. Diese sind durch einen Fluss, den sogenannten Strom der Unendlichkeit miteinander verbunden. Er entspringt in einem für irdische Verhältnisse gewaltigen, unbesteigbaren und angeblich bis in die luftlose Dunkelheit des Kosmos emporragenden Gebirges, dessen Gipfel als Sitz der Götter der Unendlichkeit gilt. Von dort aus fließt der ‘Strom der Unendlichkeit’ zunächst in das Große Meer und anschließend in das Kleine Meer. Danach verliert er sich irgendwo in der Unendlichkeit einer steinigen Ödnis und Wüste. (Es gibt extreme Jahreszeiten und starke klimatische Schwankungen: Die Wüste darf man sich nicht wie die Sahara vorstellen, sondern eher wie die Gobi oder die Salzwüste von Utah, in der im Winter Schnee auf den Kakteen liegt.) Niemand weiß, wo der Strom der Unendlichkeit endet, denn die große Ödnis wird von nichtmenschlichen Kreaturen bewohnt, während sich die Menschen um die beiden Meere und die Flussverbindung dazwischen gruppieren.
Und niemand weiß, was jenseits des Gebirges ist. In den Höhenzügen unterhalb der Sphäre der Götter leben asketische Einsiedler-Mönche, die als Heilige gelten, sowie Kreaturen, die angeblich ohne Luft leben können: Geister, Dämonen und Gnome. Es hat diese Wesen aber kaum jemand je gesehen.
In der Wüste leben die Sandlinger - Menschen mit Echseneigenschaften, die offenbar sehr wenig Wasser brauchen. Sie kommen auch zum Handeltreiben in die Menschenreiche - oder zum Plündern. Man sieht nie ihre Gesichter, denn ihre Kleidung lässt kaum mehr als die Augen frei.
Das größte Reich auf dieser Welt ist das Reich von Cambalar. Cambalar ist der Name der Hauptstadt, die auf einer Insel mitten im Großen Meer liegt. Die gesamte Küste dieses Meeres wird von Cambalar beherrscht. Dieses Imperium muss nahezu ständig verteidigt werden: Gegen Barbaren am Rande der Ödnis, die sich manchmal mit den Sandlingern zusammentun oder auch gegen die Freien Städte am Kleinen Meer und das Königreich Tolvanea am Strom der Unendlichkeit. Die Bewohner Cambalars sind auf die Einfuhren aus ihren Kolonien rund um das Große Meer angewiesen.
Es wäre unmöglich für Cambalar, sich gegen alle Gegner an allen Grenzen auf einmal zu verteidigen. Aber erstens gehen die selten koordiniert vor (und sind untereinander fast immer verfeindet) und zweitens gehören die Könige Cambalars dem Geschlecht der Dwannuach an. Unter ihnen ist die Gabe der Voraussicht weit verbreitet. Die Grenze zwischen tatsächlicher seherischer Begabung und ausgeprägtem strategischen Denken ist dabei fließend. Manche Angehörige des Dwannuach-Adels vermögen zu sehen, was im nächsten Augenblick geschieht, andere sehen bis zu einem Monat weit in die Zukunft, wobei diese Zukunft kein unabänderliches Schicksal darstellt, sondern eher eine wahrscheinliche Möglichkeit.
Diese Fähigkeit ist Voraussetzung, um in Cambalar König sein zu können. Denn der König muss vorhersehen können, wo das Reich als nächstes angegriffen wird. Nur dann kann er seine Truppen rechtzeitig per Schiff an den richtigen Ort schicken und den Angriff abwehren.
Die Existenz des Reiches hängt davon ab, alle wissen dies.
Doch die Dwannuach-Könige von Cambalar regieren keineswegs nur aus eigener Herrlichkeit. Sie sind ihrerseits auf eine Truppe von Kriegern angewiesen, die als die Unsterblichen bezeichnet werden.
Und das sind sie tatsächlich! Durch eine magische Prozedur, die mit der Einnahme eines Tranks verbunden ist (die aber niemand genau kennt, der nicht dazugehört), verändern sich die aufgenommenen Neumitglieder. Sie werden unempfindlich gegen Schmerz und Verwundung. Ihre Kraft und ihre Schnelligkeit nimmt über menschliches Maß zu. Ihre Haut wird weiß und pergamentartig, die Haare schlohweiß oder grau. Nach einiger Zeit sind sie nur noch sehr schwer zu töten, denn ihre Selbstheilungskräfte lassen Verwundungen sofort heilen. Abgetrennte Arme und Beine wachsen innerhalb von Stunden nach. Man muss sie regelrecht zerstückeln oder köpfen, wenn man sie umbringen will.
Ihre Körper altern nicht, ihre Schwertarme kennen keine Müdigkeit.
Man nennt sie die Diener von Tason, dem Totengott - denn ihm opfern sie in einem Ritual ihre Seele, um Unsterblichkeit und (nahezu) Unverwundbarkeit für ihre Leiber zu bekommen. Dieser Schwur wird hoch oben im Gebirge abgelegt, nachdem bei den Neulingen (von denen es nicht viele gibt, da die Verluste bei den Unsterblichen gering sind) die Veränderung bereits so weit fortgeschritten ist, dass ihnen auch die dünne Luft nichts ausmacht.
Neulinge ersetzen bei den Unsterblichen die wenigen Gefallenen. Sie werden nach bestimmten, geheimen Merkmalen “erwählt”.
Die Unsterblichen werden von Hochmeister Damlak kommandiert, der enorme Macht ausübt. Auf Grund seines langen Lebens hatte er viel Zeit, ein Netzwerk zu knüpfen, das ihn nach dem König zum mächtigsten Mann des Reiches von Cambalar macht. Und doch ist er auf den König angewiesen, denn ohne dessen Fähigkeit zur Voraussicht wäre Cambalar verloren.
Der König wiederum weiß, dass er auf den Hochmeister angewiesen ist, der das Wissen um die Magie der Unsterblichkeit bewahrt.
Die Götter verbieten es allerdings, dass jemals ein König in den Genuss dieser Unsterblichkeit gelangt. Denn eigentlich sind die Eigenschaften göttlich, die damit verbunden sind. Und der Totengott Tason, der dieses Geheimnis offenbarte, wurde deswegen auch von den anderen Göttern vom Gipfel des Götterberges verbannt und muss dem Mythos nach seitdem im Inneren des Berges leben. Es gibt allerdings dunkle Legenden darüber, dass Dwannuach-Könige sich trotzdem in den Besitz der Unsterblichkeit bringen wollten - mit jeweils katastrophalen Folgen.
Das Heer war gewaltig, Gesichtslose Sandlinger und Barbaren strömten zu Abertausenden aus der wüstenhaften Ödnis. Sie schwenkten ihre Waffen. Und hier und da waren Kampfschreie zuhören. Ein gewaltiger Zug des Schreckens war, der sich da formierte.
Und sein Ziel war Cambalar…
*
Zwischen zwei der mannshohen Zinnen des Burgfrieds hindurch schaute König Ghaderich angespannt nach Norden. Kein Muskel zuckte in dem von unzähligen Runzeln und Falten zerklüfteten Gesicht, der Blick des Regenten von Cambalar schien sich nach innen verkehrt zu haben. Seine Brust hob und senkte sich unter schweren Atemzügen.
Hochmeister Damlak, der halbrechts hinter dem König Stellung bezogen hatte, beobachtete seinen Herrn aufmerksam. Seine Stirn lag in Falten, sein Mund war verkniffen. Er wagte nicht, die Versunkenheit des Königs dadurch zu stören, indem er ihn einfach ansprach. Der Hochmeister verstand es meisterhaft, Ungeduld und Neugier im Zaum zu halten.
Plötzlich sanken die Schultern Ghaderichs nach unten, die Anspannung wich aus seinen Zügen, in seine Augen schlich sich ein unruhiges Flackern.
„Was habt Ihr gesehen, Herr?“, stellte Damlak nun die Frage, die ihm geradezu brennend auf der Zunge gelegen hatte.
Mit einer fahrigen Geste strich sich der König über die Augen. „Ein starkes Heer, Hochmeister, das von Norden, aus der großen Einöde, kommt und aus Kriegern der Sandlinger und Barbaren besteht. Es zieht in die Richtung meines Reiches.“
„Bei den Göttern!“, entfuhr es Damlak. Er war ein hochgewachsener, hagerer, geradezu asketisch wirkender Mann mit schwarzen, schulterlangen Haaren und dunklen Augen, die in tiefen Höhlen lagen und wie glühende Kohlestücke glitzerten. Der Mantel, den er trug, war von grüner Farbe und wies goldene Stickereien auf, die an geheimnisvolle Runen erinnerten. „Wir müssen es zurückschlagen, Majestät, ehe es die Grenze erreicht. Die Krieger der Sandlinger und die Barbaren morden, plündern und brandschatzen wahllos. Denkt an Euren ungeborenen Sohn, den Eure Gattin, die hochwohlgeborene Heres, unter dem Herzen trägt. Ihm müsst Ihr Euer Reich erhalten, für ihn müsst Ihr die Grenzen des Reiches sichern.“
„Wir können nur hoffen, dass es ein Sohn wird, Hochmeister Damlak“, erwiderte der König und trat nahe an die Mauer heran, die ihm zwischen den Zinnen bis zum Bauch reichte, stemmte sich mit beiden Armen ab, beugte sich weit nach draußen und ließ den Blick schweifen. Die Hauptstadt, die denselben Namen trug wie das Reich, nämlich Cambalar, war auf einer Insel inmitten des Großen Meeres errichtet worden. In ihrer Mitte erhob sich auf einer Anhöhe die Königsburg mit dem alles überragenden Burgfried. Hoch oben im Norden schienen das Meer und der Himmel in einem endlos anmutenden Grau miteinander zu verschmelzen. „Genauso gut ist es möglich, dass meine Gemahlin von einer Tochter entbunden wird.“
„Nur mit einem männlichen Nachkommen ist die Thronfolge gesichert, Herr“, gab Damlak zu bedenken.
Das Gesicht des Königs verschloss sich noch mehr. Dachte er an Jylan, seinen Sohn, der einen jämmerlichen Tod gestorben war? Ja, er war mit seinen Gedanken bei Jylan. Hass begann in seinen Augen zu glimmen und zu lodern wie ein mörderisches Feuer, als er auch des Mannes gedachte, dem er die Schuld am Tod seines Erben zuschob. Seine Zähne mahlten übereinander, seine Hände ballten sich zu Fäusten, weiß traten die Knöchel unter der Haut hervor. „Ich weiß. Ich habe zu den Göttern gebetet und ihnen Opfer dargebracht. Vielleicht haben sie mir vergeben und schenken mir einen Sohn, der mir irgendwann einmal, wenn er groß und stark ist, ich aber alt und krank und gebrechlich bin, auf den Thron folgen kann.“
„Die Götter sind Euch seit damals nicht freundlich gesinnt, mein König“, erklärte Damlak.
„Ich tue alles, um sie zu besänftigen“, erwiderte der Herrscher. Mit erhobener Stimme fuhr er fort: „Bin ich nicht gerecht zu meinen Untertanen? Bin ich meiner Gemahlin kein guter Gemahl? Ich lasse mein Volk nicht bluten, indem ich viel zu hohe Steuern eintreibe, schenke jedem Gehör und biete allen Menschen in den Provinzen Schutz und Sicherheit. Ich lasse die freien Städte am kleinen Meer in Frieden und lebe in Eintracht mit dem König von Tolvanea. Das muss den Göttern doch gefallen, und sie müssen mir endlich den Frevel von damals verzeihen. Schließlich war der Schuldige ein anderer.“
„Verzeihen ist nicht die Sache der Götter“, sagte Damlak. „Aber bringt ruhig weiterhin Opfer, mein König, huldigt den Göttern und fleht um Vergebung. Dann werden sie sich auch wieder mit Euch versöhnen. – Ihr habt das feindliche Heer dank Eurer seherischen Fähigkeiten nahen sehen, Herr. Wir dürfen nicht zulassen, dass es in Euer Reich einfällt und ganze Landstriche im Blut ihrer Bewohner ertränken.“
„Wir schicken dieser Allianz aus mordlüsternen Barbaren und beutegierigen Sandlingern eines unserer Heere entgegen“, entschied König Ghaderich. „Unsere Krieger werden die Angreifer mit aller Härte zurückschlagen. Vielleicht vergessen sie das Wiederkommen, wenn sie eine vernichtende Niederlage erleiden. Hochmeister, leitet das Erforderliche in die Wege. Ich habe etwa fünfhundert Feinde gesehen. Sie sind auf dem Marsch zur Küste, wo meine Untertanen leben. Wir schicken Ihnen genug Soldaten entgegen, die ihnen die Mord- und Raublust verleiden sollen. Wenn alles bereit ist, sagt mir Bescheid. Ich selbst will das Heer den Feinden entgegenführen.“
„Ihr, Herr? Wollt Ihr Euch tatsächlich einer solchen Gefahr aussetzen? Denkt daran, Ihr seid nicht unsterblich und könntet im Kampf getötet werden. Was dann? Cambalar steht dann möglicherweise ohne Thronfolger da. Eure Gemahlin kann nicht an Eure Stelle treten. Wie Ihr selbst bemerkt habt, ist es nicht auszuschließen, dass sie keinen Sohn, sondern eine Tochter gebiert. Mit Eurem Tod, mein König, würdet Ihr das Reich ins Chaos stürzen.“
„Es entspricht dem Ehrenkodex cambalarischer Herrscher, an der Spitze ihres Heeres, dessen oberster Befehlshaber sie schließlich sind, in den Kampf zu ziehen“, erklärte der König mit Nachdruck. „Aber sorgt euch nicht, mein guter Damlak. Ich werde nicht kämpfen.“ Der Blick Ghaderichs verlor sich wieder in der unendlich anmutenden Ferne. „Aber ich will den Einsatz unserer Krieger organisieren und koordinieren. Ich werde mit meiner Strategie die Feinde das Fürchten lehren, mir Respekt verschaffen und einen Ruf erwerben, der andere potentielle Angreifer vorsichtig werden lässt. Abschreckung ist manches Mal besser als blutiger Kampf, Hochmeister Damlak. Wenn sich die Barbaren und die Echsenmenschen nicht mehr in unser Land wagen, weil sie uns fürchten, ersparen wir meinen Untertanen viel Leid.“
„Ich verstehe Euren Entschluss, mein König“, gab Damlak zu verstehen. „Er zeugt von sehr viel Mut und Entschlossenheit, aber auch von Schläue und Erfahrung. Dennoch solltet Ihr Euer Leben keiner Gefahr aussetzen. Das Land braucht Euch, mein Herr.“
Plötzlich stutzte Damlak, schien einen Moment lang mit seinen Gedanken weit, weit weg zu sein, dann stieß er hervor: „Vielleicht ist es sogar beabsichtigt, Euch aus der Stadt hinaus und in eine Falle zu locken, mein König. Erinnert Euch des Schwurs des Mannes, dessen Name in Cambalar verpönt ist und nicht in den Mund genommen werden darf. Er hat damals geschworen, sich fürchterlich an Euch zu rächen.“
Sekundenlang presste der König die Lippen zusammen, sodass sie in seinem Gesicht nur noch einen dünnen, blutleeren Strich bildeten. War es Verbitterung, die diese Reaktion bei ihm hervorrief? Möglicherweise war es die Angst, dass es so sein könnte, wie Damlak es zum Ausdruck gebracht hatte. Es konnte aber ganz einfach nur die schlimme Erinnerung sein, die ihn für einige Augenblicke überwältigte.
Ghaderich schüttelte den Kopf. „Daran glaube ich nicht. Er ist wahrscheinlich längst tot. Draußen, in der Ödnis der Berge, hatte er kaum eine Chance. Sollte es ihm dennoch gelungen sein, meinen Kriegern zu entkommen, haben ihn die Gnome oder Dämonen, die dort hausen, getötet.“
„Er war listig, mit allen Wassern gewaschen, und – gehörte zu den Unsterblichen“, wandte Damlak ein.
„Auch ein Unsterblicher kann getötet werden“, widersprach der König. „Nein! Dieser Angriff der Barbaren und Sandlinger ist nicht inszeniert, um sich an mir zu rächen, Hochmeister. Es ist einer der Raubzüge, denen das Reich nicht zum ersten Mal ausgesetzt ist. Mobilisiert ein Heer, mit dem wir den Eindringlingen entgegenziehen. Mich wird meine Leibwache begleiten. Es sind die besten Krieger, über die wir verfügen, in ihrer Mitte bin ich so sicher wie in Tasons Schoß.“
„Bringt dem Totengott ein Opfer, ehe Ihr loszieht, Herr. Es wird ihn gnädig stimmen.“
„Das ist ein weiser Rat, mein Freund Damlak“, lobte König Ghaderich. „Ich werde darüber nachdenken. Ihr, mein guter Damlak, werdet nicht zögern, ein starkes Heer einzuschiffen und meine Leibgarde auf der königlichen Fregatte zu versammeln. Sagt mir Bescheid, wenn alles zum Auslaufen bereit ist. Ihr findet mich entweder in meinen Gemächern oder im Gemach meiner Gemahlin.“
„Ich werde Eure Befehle unverzüglich ausführen, mein König“, erklärte der Hochmeister und neigte ergeben den Kopf. „Es ist anzunehmen, dass während Eurer Abwesenheit ich die Geschicke der Hauptstadt lenken soll.“
„Bei Euch ist Cambalar in den besten Händen, Damlak.“
Jetzt legte der Hochmeister die rechte Hand flach gegen den Leib und deutete eine Verbeugung an. „Habt Dank für Euer Vertrauen, mein König. Ich werde es nicht enttäuschen.“ Ein unergründliches Lächeln ließ seine dunklen Augen funkeln.
„Dann lasst uns keine Zeit verlieren“, sagte Ghaderich und ging zu dem hölzernen Aufbau in der Mitte der Plattform, in den eine Tür führte, hinter der die Treppe begann.
Damlak wandte sich, ehe er dem König auf die Treppe folgte, an den Wachposten, der die ganze Zeit über stumm und fast regungslos in einer der Ecken gestanden hatte. „Richte den Blick nach Norden, Soldat. Falls die Feinde schon näher sind, als wir annehmen, wirst du vielleicht dort, wo das Meer und der Himmel zusammenwachsen, bald Feuer und Rauch sehen. Dann zögere nicht und melde es deinem Vorgesetzten. Denn dann tut Eile Not.“
Die Gestalt des Wächters straffte sich. Er gehörte nicht zur Kampftruppe des Königreichs, denn er trug nicht die äußerlichen Merkmale der Unsterblichen. „Ich habe verstanden, Herr“, schnarrte er.
Damlak folgte seinem König.
Es dauerte seine Zeit, bis sie unten ankamen. Im Burghof trennten sie sich. Der König begab sich in die Gemächer seiner Gemahlin Heres. Sie lag stöhnend und ächzend unter einem Baldachin aus goldfarbenem Stoff in ihrem riesigen Bett, bleich, mit dunklen Augenhöhlen und gequältem Gesichtsausdruck, umlagert von einem halben Dutzend Hebammen und Zofen und einem Mann im schwarzen Medizinerhabit; schwarze Jacke, schwarze, eng an den Beinen anliegende Hose, spitze, schwarze Schnabelschuhe, einen schwarzen Hut auf dem Kopf. Lediglich das Hemd war weiß.
Der Arzt sah den König kommen, trat sofort vom Bett weg, ging auf das rechte Knie nieder, senkte den Kopf und sagte: „Eure hochwohlgeborene Gemahlin liegt in den Wehen, Herr. Ich schließe nicht aus, dass sie heute noch gebiert.“
Ghaderich bedeutete dem Mediziner, sich zu erheben. „Tut alles, Medikus, um meiner Gattin so viele Schmerzen wie möglich zu ersparen, und seht zu, dass das Kind gesund das Licht der Welt erblickt. Lasst mich in Kenntnis setzen, sobald es da ist.“
Der Arzt verbeugte sich. „Euer Wunsch ist mir Befehl, mein König.“
Ghaderich trat an das Bett seiner Gattin heran. In ihren Augen und in ihrem Gesicht wühlten die Schmerzen. Soeben fuhr wieder eine Wehe durch ihren Leib, und ihr entrang sich ein langgezogenes, gequältes Röcheln. Sie presste beide Hände auf den Leib.
Die Wehe ging vorüber und ihre Gestalt erschlaffte. In ihren Augenhöhlen glitzerte der Schweiß. Mit geröteten, fiebrigen Augen schaute sie hoch zu Ghaderich. „Es tut so weh“, murmelte sie mit verlöschender Stimme. „Aber ich halte durch, mein geliebter Gemahl. Ich bin sicher, dass ich dir einen Sohn schenke. Nicht umsonst habe ich die Götter tausendmal und noch öfter angerufen. Es wird ein …“
Eine neue Wehe ließ sie aufschreien. Der Schmerz weitete ihre Augen, der Schrei ging schließlich zu einem nicht enden wollenden Stöhnen über, und dann war es nur noch gequältes Gewimmer, das über die bebenden Lippen der Gebärenden brach.
„Die Götter werden mit dir sein, meine über alles geliebte Gemahlin“, sagte Ghaderich und nahm Heres‘ Hand. „Ich kann dir leider nicht beistehen, meine Liebe. Aber dir steht der beste Arzt, den Cambalar zu bieten hat, zur Seite, außerdem kümmern sich die besten Hebammen und deine treuen Zofen um dich. Ich bin davon überzeugt, dass ich der stolze Vater eines Sohnes und Thronerben sein werde, wenn ich zurückkomme.“
„Du gehst weg, mein König?“, ächzte Heres.
„Ich habe einen Blick in die Zukunft werfen dürfen, meine geliebte Gemahlin“, erwiderte Ghaderich, „und ein Heer von Barbaren und Sandlingern von Norden her auf das Küstengebiet meines Reiches zumarschieren sehen. Hochmeister Damlak wurde von mir angewiesen, ein Heer aus Unsterblichen einzuschiffen. Mit mir an der Spitze wird es den Friedensstörern entgegenziehen und sie vernichtend schlagen.“
Zum gepeinigten Ausdruck in den blauen Augen der Königin gesellte sich das Entsetzen. „Du willst in den Kampf ziehen? Bei den Göttern, mein geliebter Gemahl, das darfst du nicht. Deine Offiziere können die Krieger in den Kampf führen. Warum willst du dein Leben aufs Spiel setzen? Soll dein Sohn seinen Vater niemals kennenlernen, weil der auf irgendeinem Schlachtfeld sein Leben gelassen hat?“
„Ich bin der König, meine Liebe, der erste Diener seines Reichs. Ich kann nicht meine Krieger in den Kampf schicken, ohne als ihr Anführer zu fungieren. Sollen sie die Achtung vor mir verlieren? Sollen meine Feinde behaupten, dass König Ghaderich zu feige ist, an der Spitze seines Heeres sein Reich zu verteidigen? Nein, meine geliebte Gemahlin. Ich muss achtunggebietend auftreten, respekteinflößend vor den Gegner hintreten und ihn das Fürchten lehren. Unsere Feinde sollen künftig einen weiten Bogen um das Reich von Cambalar machen.“
„Ich habe Angst um dich“, jammerte Heres, „und möchte nicht mehr leben, wenn dir was geschieht.“
Im nächsten Moment bäumte sie sich wieder unter einer Wehe auf und gab unartikulierte Laute der grenzenlosen Qual von sich.
„Ich selbst werde nicht kämpfen“, erklärte Ghaderich, als die Wehe vorüber war und Heres keuchend atmend in den Kissen lag, „sondern lediglich unser strategisches Vorgehen koordinieren. Das ist das Zugeständnis, das ich dir und unserem noch ungeborenen Kind mache. Das verspreche ich dir, meine Liebe: Ich werde mich nicht der Gefahr aussetzen, von unseren Feinden erschlagen zu werden. Wenn die Eindringlinge besiegt und vertrieben sind, kehre ich im Triumphzug zu dir und unserem Kind zurück. Das verspreche ich dir in die Hand, geliebte Gemahlin.“
In der Stunde, in der das Wehgeschrei der Königsgemahlin durch die königlichen Gemächer der Burg hallte und Hochmeister Damlak dabei war, die Befehle König Ghaderichs umzusetzen, beobachteten zwei der Torwachen auf dem Markt der Stadt drei vermummte Männer, die an einen der Marktstände herangetreten waren und auf den Händler einredeten.
Die Torwachen trugen die Farben des Königs, grün und rot, sowie Harnische aus Leder und Helme aus Bronze. Die drei Vermummten erregten ihren Verdacht. Einer der Wächter war an den anderen herangetreten und sagte: „Sie sind gekleidet wie Sandlinger, ich sehe aber keine Ware, mit der sie bei uns Handel treiben wollen. Keine Feigen, keine Datteln und keine Schleudern, die sie aus der Haut der großen Echsen in der Wüste anfertigen.“
„Es stimmt“, pflichtete der andere bei. „Die drei erscheinen auch mir ziemlich verdächtig. Es könnten Spione sein. Vielleicht sind es gar keine Sandlinger, sondern Barbaren vom Rand der Wüste, die sich verkleidet haben und aus irgendeinem Grund herumschnüffeln. Wir sollten sie nicht aus den Augen lassen.“
Nach einer Weile verließen die drei Vermummten den Marktstand und drängten sich zwischen die kaum überschaubare Rotte der Menschen, die den Markt bevölkerten. In der Menge verschwanden sie.
„Sie nehmen die Richtung zum Hafen“, sagte einer der Wächter. „Sag dem Hauptmann Bescheid, Selak. Ich frage den Händler, was sie mit ihm besprochen haben.“
Der Soldat namens Selak zog sich durch das offenstehende Tor in die Burg zurück, wo sich an das Tor das flache Gebäude für den Wachhabenden, seinen Vertreter und die wachfreien Soldaten anschloss. Der andere Wachposten verließ seinen Platz am Tor und strebte dem Verkaufsstand zu, an dem der Händler verschiedenes Gemüse und frisches Obst feilbot.
Selak betrat die Wachbaracke. Ein fragender Blick des Hauptmannes, der an diesem Tag die Burgwache befehligte, traf ihn und er nahm Haltung an. „Hauptmann, ich habe eine Beobachtung zu melden, die unseren Verdacht erregte. Drei Vermummte, möglicherweise Sandlinger, die sich ohne Waren auf dem Markt herumgetrieben und Fragen gestellt haben, sind in Richtung Hafen gegangen.“
„Sandlinger dürfen die Stadt nur betreten, um Handel zu treiben“, konstatierte der Hauptmann. Der Helm auf seinem Kopf war mit einer Pfauenfeder verziert. Ein dicker Schnurrbart verdeckte seinen Mund. „Zum Hafen, sagst du. Habt ihr herausgefunden, was es für Fragen waren, die sie gestellt haben?“
„Hargon befragt den Händler, mit dem sie sprachen, als wir sie beobachteten. Sie haben nichts gekauft oder verkauft. Sie bewegten sich nicht wie die normalerweise sehr wendigen Sandlinger. Ihre Bewegungen war eher schwerfällig. Es könnten verkleidete Barbaren sein, die etwas ausspionieren.“
„Hochmeister Damlak ist dabei, das Heer der Unsterblichen zu mobilisieren“, murmelte der Hauptmann. „Das geschieht nur, wenn ein Angriff auf das Reich zu befürchten ist. Vielleicht sind es wirklich Spione, die herausfinden sollen, ob in Cambalar Truppenbewegungen stattfinden.“ Der Hauptmann wandte sich seinem Stellvertreter zu. „Malik, nimm dir fünf Soldaten und folge den drei Verdächtigen. Du hast es gehört, sie sind in die Richtung zum Hafen gegangen. Ebenfalls ein Indiz, das sie verdächtig macht. Bring sie her, damit wir sie der Befragung unterziehen können.“
„Verstanden, Hauptmann“, stieß Malik hervor, ging zur Tür, die in den Nebenraum führte, und stieß sie auf. Sofort wurde Stimmengemurmel hörbar. „Fünf Mann zu mir! Bewaffnet! Schnell, schnell!“
In dem Aufenthaltsraum der wachfreien Soldaten wurde es laut, und schon gleich darauf rannten nacheinander fünf der Soldaten, mit Schwertern und Spießen bewaffnet, durch das Wachlokal ins Freie.
„Folgt mir!“, befahl Malik und begann zu laufen. Das bewaffnete Quintett folgte. Ihre Schritte trappelten wie Pferdehufe auf dem Kopfsteinpflaster unter dem Tor und auf dem Marktplatz.
Hargon, der Soldat, der den Händler befragt hatte, kam ihnen entgegen. „Sie haben sich tatsächlich erkundigt, ob in Cambalar Truppen ausgehoben und Vorbereitungen getroffen werden, Truppenverbände einzuschiffen.“
„Weiter, Marsch!“, gebot Malik. Der Verdacht der beiden Torwächter schien sich zu bestätigen. Es handelte sich um Spione.
Ohne jede Rücksichtnahme drängten sich die sechs Soldaten durch die Menschenmenge. Flüche und Beschimpfungen wurden laut, aber die Bewaffneten ließen sich nicht beirren. So mancher, der nicht rechtzeitig zur Seite sprang, ging zu Boden. Schließlich endete der Marktplatz, die Soldaten rannten in eine dunkle Gasse, die zwischen den nahtlos stehenden Gebäuden zu beiden Seiten wie die Sohle einer tiefen Schlucht anmutete.
Im Hafen von Cambalar lagen fünf Dutzend Langboote mit jeweils vierzig Ruderplätzen vor Anker. Die Schiffe waren schnittig gebaut und leicht, sodass sie nur einen geringen Tiefgang hatten. Außer den Rudern war jedes der Schiffe mit einem riesigen Segel ausgestattet, das aber hier im Hafen eingeholt war.
Auf einem Dutzend der Boote tummelten sich Männer. Es waren die Bootsleute, die für die Instandhaltung und Instandsetzung zuständig waren, die nun die Festigkeit der Ruder und die Takelage prüften, sowie Knechte, die Trinkwasser- sowie Nahrungsmittelvorräte auf die Schiffe brachten. Auf jedem dieser Boote hatten neben den Ruderern gut und gerne fünfunddreißig Soldaten Platz.
Auf dem gesamten Hafengelände herrschte reges Treiben. Es waren keine Menschentrauben wie auf dem Marktplatz, aber dennoch sehr viele Personen, und jede schien eine Aufgabe oder einen Auftrag zu erfüllen.
Die drei Vermummten standen bei einem der Piers und sprachen mit einem Fischer.
Malik nahm sie wahr und rief, ohne sein Tempo zu verringern, über die Schulter: „Ausschwärmen! Sie dürfen auf keinen Fall entkommen.“
Die Soldaten hatten solche Aktionen zigmal geübt, und so waren sie erprobt und erfahren. Sie näherten sich dem Pier so, dass die drei Männer, denen ihr Interesse galt, keine Chance hatten, von der Landungsbrücke zur Stadt hin zu fliehen. Als Fluchtweg blieb ihnen nur das Hafenbecken, aber schwimmend würden sie nicht weit kommen.
Die Wachsoldaten legten die Spieße an, als sie sich den drei Vermummten, die ihnen den Rücken zuwandten, soweit genähert hatten, dass Malik nicht einmal schreien musste, damit sie ihn verstehen konnten. „Rührt euch nicht! Keine falsche Bewegung, wenn ihr nicht aufgespießt werden wollt.“
Die drei standen für die Spanne einiger Herzschläge wie erstarrt da und schienen den Worten hinterherzulauschen. Der Fischer, der die Soldaten zwar gesehen hatte, als sie sich annäherten, aber nicht gewagt hatte, die Vermummten zu warnen, zog sich rückwärtsgehend zurück.
Jetzt fiel die Erstarrung von den drei Männern ab, und sie drehten sich langsam um. Einer sagte: „Wir sind friedfertige Händler. Warum bedroht ihr uns?“
Ihrer Kleidung nach zu schließen waren sie Sandlinger. Eine zu den langen Mänteln gehörende Kapuze sowie Tücher, die sie sich so um die Köpfe geschlungen hatten, dass sie nur die Augen freiließen, verhüllten die Köpfe und ihre Gesichter. Niemand in Cambalar wusste genau zu sagen, wie sie lebten. Es ging das Gerücht um, dass sie in der Wüste hausten wie wilde Tiere, und man sagte ihnen nach, dass sie selbst dort noch überleben konnten, wo sogar Echsen, Schlangen und Skorpione keine Chance mehr hatten.
„Seid ihr tatsächlich Sandlinger?“, erkundigte sich Malik mit lauerndem Unterton.
„Ja“, antwortete der Mann, der eben schon das Wort geführt hatte. „Wir sind berechtigt, in Cambalar Handel zu treiben.“
Malik grinste faunisch. „Womit handelt ihr denn? Ich sehe weder Säcke noch Körbe bei euch. Tragt ihr eure Waren in den Taschen eurer Mäntel herum? Los, nehmt die Tücher von euren Gesichtern. Macht schon.“
„Wir müssen dir keinen Gehorsam leisten, Soldat.“ Die Hand des Sprechers schob sich langsam unter den zerschlissenen und verstaubten Mantel, der um die Taille von einer Kordel zusammengehalten wurde.
„Lass deine Hand, wo sie ist!“, fuhr ihn Malik an. „Falls du bewaffnet bist, dann rate ich dir, die Waffe stecken zu lassen. Wir dürften dich töten.“
Der Sprecher des vermummten Trios entspannte sich. „Wir wollten Waren kaufen“, sagte er.
„Und womit wolltet ihr sie transportieren?“
„Wir sind mit einem Boot gekommen.“
„Ich glaube dir kein Wort. Und nun nimm die Tücher von deinem Gesicht. Für deine Gefährten gilt dasselbe. Ich will eure Gesichter sehen.“
„Kommt nicht in Frage!“, zischte der Wortführer der drei, seine Rechte stieß unter den Mantel, und als sie wieder zum Vorschein kam, umklammerte sie den Griff eines Kurzschwerts.
„Nehmt sie fest!“, brüllte Malik mit sich überschlagender Stimme.
Auch die beiden anderen angeblichen Sandlinger hielten jetzt kurze Schwerter in den Fäusten. Geduckt und kampfbereit standen sie auf dem Pier, in den flackernden Augen den unumstößlichen Entschluss, sich den Weg zu ihrem Boot freizukämpfen.
Während Malik sich nicht rührte, rückten die fünf Wachsoldaten mit angeschlagenen Spießen auf die drei Vermummten zu. „Wir brauchen sie lebend!“, rief Malik. „Wenigstens einen von ihnen.“
Der Sprecher der Vermummten warf sich unvermittelt herum, war mit vier – fünf langen, kraftvollen Sätzen am Rand des Piers und stürzte sich ohne zu zögern in die schwarze, unergründlich anmutende Brühe. Sie schlug über ihm zusammen. Er schwamm ein ganzes Stück unter Wasser, wobei ihn das Schwert in der Hand ziemlich behinderte.
Auf dem Pier wehrten seine Gefährten mit ihren Schwertern die Stiche mit den Spießen ab. Sie kämpften Rücken an Rücken, waren von den fünf Wachsoldaten eingekreist, wichen den Stößen geschickt aus, schlugen mit ihren Klingen die Spieße zur Seite und ermöglichten so ihrem Gefährten im Wasser die Flucht.
Menschen liefen zusammen und beobachteten voll Interesse das Schauspiel, das sich ihnen bot.
Lange hielten die beiden Vermummten der Überzahl der Wachleute stand. Sie verstanden es meisterlich, mit dem Schwert umzugehen. Schließlich aber sank einer von ihnen von einem Spieß durchbohrt zu Boden, schrie seinen Schmerz hinaus und wand sich im Todeskampf. Der andere wurde für einen Augenblick abgelenkt, und ehe er sich versah, wurde er von den Wachleuten zu Boden gerungen, entwaffnet und festgehalten. Sie rissen ihm die Tücher vom Kopf und Malik beugte sich über ihn. Er sah ein zerfurchtes, eingefallenes Gesicht, dessen Haut von Wind, Regen und Sonne gegerbt war. Lange, schwarze Haare rahmten es ein. Unbändiger Hass verzerrte die Züge und loderte in den dunklen Augen. „Du bist kein Sandlinger“, stieß Malik hervor. „Du bist ein verfluchter Barbar vom Rand der Einöde.“
Der am Boden liegende Mann versuchte Malik ins Gesicht zu spucken, doch Malik wich aus, und der Speichel flog an seinem Kopf vorbei. „Stellt ihn auf die Beine und fesselt ihn“, kommandierte Malik. „Wir bringen ihn in die Burg. Dort wird man schon aus ihm herauskitzeln, was ihn und seine Begleiter nach Cambalar getrieben hat.“
Der Gefangene wurde in die Höhe gezerrt. Die Wachsoldaten fassten ihn dabei nicht mit Glacéhandschuhen an. Sein Gefährte, den ein Stich mit der Lanze gefällt hatte, war verblutet. Seine gebrochenen Augen, in denen nur noch die absolute Leere des Todes zu erkennen war, starrten hinauf zu den ziehenden Wolken, die den Himmel verdeckten. Nachdem die Soldaten dem Überwältigten die Hände auf den Rücken gefesselt hatten, führten sie ihn ab.
Die Neugierigen und Sensationslüsternen in der Runde renkten sich die Hälse aus, um alles mitzubekommen. Malik ging voraus, die Wachsoldaten trieben den Gefesselten hinter ihm her. Auch jetzt gingen sie nicht zimperlich mit ihm um. Er hatte die Lippen zusammengepresst und gab nicht einen Laut von sich.
Sie erreichten den Marktplatz. „Zur Seite!“, brüllte Malik, und eine Gasse bildete sich, durch die sie schritten. Schließlich verschwanden sie in der Burg. Malik übergab den Gefangenen dem Hauptmann der Wache, der anordnete, dass er ins Verlies im Keller des Wachlokals geworfen wurde.
Als der Gefangene abgeführt war, wandte sich der Hauptmann an Malik. „Warum nur einer?“, wollte er wissen. „War nicht von dreien die Rede?“
„Sie setzten sich zur Wehr“, antwortete Malik. „Einer sprang ins Wasser und konnte schwimmend entkommen. Einen mussten wir töten. Ich denke, einer reicht, um zu erfahren, in welcher Mission sie nach Cambalar gekommen sind.“
„Denke ich auch“, pflichtete der Hauptmann bei. „Wenn nötig, helfen wir nach. Es gibt genug Mittel und Wege, um ihm die Würmer aus der Nase zu ziehen.“
*
Der Gefangene wurde zwei Stunden später König Ghaderich vorgeführt. Ghaderich hatte im großen Saal der Burg auf seinem Thron Platz genommen und sich zum Zeichen seiner Herrscherwürde die goldene und mit Edelsteinen verzierte Krone aufgesetzt. Seitlich von ihm saßen auf kunstvoll verzierten Stühlen seine Berater, sechs an der Zahl. Sie waren alt und erfahren und standen dem König in jeder noch so kniffligen Situation mit Rat und Tat zur Seite.
Zu beiden Seiten des Thronsaales hatten Bewaffnete Stellung bezogen. Es handelte sich um die Leibwache des Königs, dreißig Mann stark – dreißig seltsam anzusehende, geradezu furchteinflößende Gestalten. Die Haut ihrer Gesichter erinnerte an altes, brüchiges Pergament, war aber im Gegensatz zu Pergament kalkig, fast weiß. Sie besaßen lange, dünne Haare von schlohweißer oder grauer Farbe. Obwohl sie von menschlicher Gestalt waren, war an ihnen nichts Menschliches. In ihren grauen Augen war kein Leben, ihre Körper waren entseelt, sie kannten weder Mitleid noch Gnade und Erbarmen. Es waren lebende Tote, die Diener Tasons, des Totengottes. Ihm hatten sie in einem Ritual ihre Seele geopfert und so Unsterblichkeit erlangt.
König Ghaderich waren sie treu ergeben. Diese bedingungslose Loyalität war ihnen bei dem Ritual, das sie zu Unsterblichen machte, eingeimpft worden.
Der Führer der Leibwache trug den Namen Shenan Gal. Seit vielen Generationen diente er treu ergeben den Königen von Cambalar.
Zwei Soldaten führten den gefesselten Barbaren vor den König hin, eine Gruppe von sechs weiteren Soldaten folgte ihnen ihm Gleichschritt. Auf einen schnarrenden Befehl hin hielt der Trupp an und der Gefangene wurde unsanft auf die Knie niedergezwungen. Jeder der Krieger neigte das Haupt zum Ausdruck seiner Ehrerbietung.
Das Gesicht des Gefangenen wies Blutergüsse sowie Platz- und Schürfwunden auf. Er war zu schwach, um den Kopf aufrecht zu halten. Sein Kinn war auf die Brust gesunken, sein Kopf pendelte hin und her. Von seinen Lippen tropfte Blut.
Ein ranghoher Offizier trat vor, nahm Haltung an und rief: „Das ist der Spion, mein König, von dem ich Euch berichten ließ. Er kommt vom Rand der Wüste und wurde zusammen mit zwei anderen Barbaren von dem Sandlingerführer Endrubal nach Cambalar gesandt. Sie sollten herausfinden, mein König, ob man in Cambalar über die Annäherung eines vereinten Heeres aus Sandlingern und Barbaren unter ihrem Führer Solo Hasradun informiert ist. Sie kommen, um zu morden, zu rauben und zu brandschatzen. Die drei Barbaren sollten ausspionieren, ob man sich hier zur Verteidigung, vielleicht sogar zum Gegenangriff rüstet. Ziel der gegnerischen Heerführer ist es, die eigene Strategie unseren Maßnahmen anzupassen und so bösen Überraschungen vorzubeugen.“
„Wer ist Endrubal, wer ist Solo Hasradun?“, fragte der König.
„Zwei Emporkömmlinge, die eine Allianz geschlossen haben, um in Euer Reich einzufallen. Auch die freien Städte am kleinen Meer und das Königreich Tolvanea am Strom der Unendlichkeit sollen vor ihrer Raub- und Mordlust nicht verschont bleiben.“
„Was haben sie vor?“, fragte der Herrscher. „Wollen sie in mein Reich einfallen, um zu plündern, zu morden und zu brandschatzen, wie sie es seit Jahrhunderten immer wieder getan haben, oder kommen sie dieses Mal als Eroberer?“
„Sie kommen, um zu plündern, mein König“, erwiderte der Offizier. „Mit etwa fünfhundert Mann ist es unmöglich, sich euer Reich zu unterwerfen. Sie wollen – so der elende Barbar, der dort kniet – bis zur Küste vorrücken, die Dörfer und Städte auf ihrem Weg schleifen und ihrer Reichtümer berauben.“
„Wo befindet sich das Heer jetzt?“, fragte der König.
„Fünf Tagesmärsche von der Grenze Eures Reiches entfernt, mein König. Endrubal und Solo Hasradun sind darüber unterrichtet, dass die Herrscher von Cambalar aus dem Geschlecht der Dwannuach die Fähigkeit besitzen, in die Zukunft zu schauen und Dinge vorauszusehen, die in näherer oder auch fernerer Zukunft geschehen, sodass sie gewarnt und in der Lage sind, den Ereignissen entgegenzuwirken. Die beiden Heerführer befürchten, dass Ihr diese seherische Begabung besitzt, mein König, seid Ihr doch ein Dwannuach.“
„Ich habe das Heer gesehen“, erklärte König Ghaderich und starrte versonnen auf den Gefangenen. „Wir sind bereits dabei, Maßnahmen zu ergreifen, es noch vor der Grenze meines Reichs abzufangen und zurückzuschlagen. Es ist jedoch zu befürchten, dass die beiden Heerführer durch den Spion, der entkommen ist, gewarnt werden, und ihre Strategie ändern. Schickt mir meine Minister sowie Hochmeister Damlak und die Heerführer. Wir müssen beraten, wie wir das feindliche Heer dennoch erfolgreich abwehren können.“
„Jawohl, mein König“, rief der Offizier. „Was soll mit dem Gefangenen geschehen?“
„Werft ihn wieder ins Verlies. Vielleicht brauchen wir ihn noch.“
Der Offizier gab den Soldaten ein Zeichen, den gefangenen Barbaren wegzuführen. Sie schleppten ihn mehr, als dass er ging, aus dem Thronsaal.
Die Unsterblichen beobachteten alles ohne die Spur einer Gemütsregung. In den toten Gesichtern zuckte kein Muskel.
Die Beratung des Königs mit den Oberen des Reichs und der Armee dauerte bis zum Abend. Am Ende entschied man sich, der vereinten Sandlinger- und Barbarenarmee vier Zenturien Unsterblicher entgegenzuschicken. Dazu kamen die Leibgardisten des Königs.
Nachdem einer der Spione entkommen war und die feindlichen Heerführer unterrichtet werden würden, dass man in Cambalar gewarnt war, würden sie ihr Heer nicht geschlossen in das Reich einziehen lassen, um von einer Streitmacht erwartet und vernichtet zu werden, sondern es aufteilen und mehrere Kampfgruppen bilden, die unabhängig voneinander blitzartig zuschlugen und wieder verschwanden. Das war die einhellige Meinung des Königs, seiner Minister und der Heerführer. An der Küste sollten sich die Krieger wahrscheinlich sammeln, um geschlossen den Rückzug anzutreten und ihre Beute nach Hause zu schaffen.
Man war überein gekommen, dass ein Teil des cambalarischen Heers die Küste abriegeln und sichern sollte, während der andere Teil unter der Führung des Königs nach Norden ziehen würde, um die Kampfgruppen der Gegner aufzuspüren und gnadenlos zu vernichten.
Die Krieger sollten unverzüglich eingeschifft werden, denn das Übersetzen zur Küste würde mehrere Tage in Anspruch nehmen.
Hochmeister Damlak hatte bereits die Mobilmachung der Schiffe veranlasst. Der König entließ seine Minister und Berater sowie die Offiziere, gebot dem Hochmeister, ihm zu folgen, und begab sich in seine Gemächer.
Einige der Leibwächter waren den beiden gefolgt und postierten sich vor dem Eingang in die privaten Räume des Herrschers sowie auf dem Flur, der zu den Gemächern führte. Ein Diener schloss die schwere Tür aus Eichenholz. König Ghaderich und seine rechte Hand, der Hochmeister, waren allein.
Die Dienerschaft hatte die Fackeln in den bronzenen Halterungen, die an den vier Wänden befestigt waren, angezündet. Die Flammen flackerten und rußten, es roch nach Harz, im Raum wechselten Licht und Schatten. Im ständigen Wechselspiel von hell und dunkel wurden die Schatten des Königs und des Hochmeisters groß und verzerrt gegen die Wände und auf den Fußboden geworfen.
„Ihr könnt beruhigt sein, Hochmeister“, begann der König, indes er seine Krone abnahm und sie auf einen kleinen, mit dunkelrotem Samt überzogenen Tisch legte. „Niemand beabsichtigt, seine Rache an mir zu vollziehen. Der, den Ihr im Verdacht hattet, ist längst tot und seine Gebeine bleichen irgendwo in der sengenden Sonnenglut der Wüste oder sind im ewigen Eis auf den Bergen verschwunden.“
„Es ist lange her, mein König. Wahrscheinlich habt Ihr recht, und seine Rache muss nicht mehr befürchtet werden. Habt Ihr Kunde aus den Gemächern Eurer Gemahlin? Wann ist damit zu rechnen, dass sie von Eurem Kind entbunden wird?“
König Ghaderich ging zu einem ausladenden Schreibtisch, der reich mit Gold und Edelsteinen verziert war, ließ sich auf einen schweren, ebenfalls verschwenderisch mit Gold und funkelnden Steinen versehenen Scherenstuhl fallen und sagte leise: „Ich hatte, während wir unsere Strategie festlegten, wieder eine Vision, Hochmeister. Es war ein Blick in die nächste Zukunft, und das, was ich zu sehen gezwungen war, hat mich ungemein beunruhigt.“
„Was habt Ihr gesehen, mein Herr?“
Ghaderich strich sich mit einer fahrigen Geste seiner rechten Hand über die Augen. Der große Rubin an dem Ring, den er trug, blitzte im Schein der Fackeln und erinnerte an einen Klumpen getrockneten Blutes.
„Ich sah meine Gemahlin, Hochmeister“, kam die Antwort, „und ich sah zwei Kinder, Knaben. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen.“
„Eure Kinder, Majestät?“
„Ich nehme es an. Es waren Säuglinge, und meine Gemahlin lag noch schwach darnieder.“
„Das hieße, mein König, Ihr wärt der Vater zweier Söhne. Die Thronfolge wäre gesichert.“
Die Miene des Herrschers verfinsterte sich, seine Brauen hatten sich zusammengeschoben wie schwarze Raupen, über seiner Nasenwurzel standen zwei senkrechte Falten. „Ich sah noch mehr, Hochmeister, etwas, das mich außerordentlich erschreckt hat.“
„Lasst mich an Eurem Schrecken teilhaben, mein Gebieter“, stieß Damlak hervor. Sein erwartungsvoller Blick, in den sich ein hohes Maß an Anspannung mischte, hing an den Lippen des Herrschers.
„Einer meiner Söhne trug auf der Stirn die Kralle“, brach es aus der Kehle Ghaderichs. Er holte tief Luft, sein Brustkorb schien für einen Augenblick zu erbeben, und nach einem weiteren, zitternden Atemzug fügte er hinzu: „Ich habe sie deutlich erkennen können. Einer der Knaben wird mit dem Zeichen Tasons geboren worden.“
„Es war eine Vision, Herr“, gab Damlak zu bedenken. „Sie muss sich nicht erfüllen. Vielleicht ist es nur die Mahnung der Gottheit, ihr ein Opfer darzubringen, ehe Ihr auf den Feldzug gegen die Sandlinger und Barbaren geht.“
„Und wenn sich das, was ich gesehen habe, doch erfüllt, Hochmeister?“ Geradezu ängstlich, als fürchtete er sich vor der Antwort, fixierte Ghaderich seinen Vertrauten.
Damlak reckte die Schultern. „Dann wird der Knabe das Opfer sein, das Ihr darbringen müsst, mein König.“
„Das würde bedeuten, dass mir Tason den Frevel von damals nicht verziehen hat“, murmelte Ghaderich, und jedes Wort schien tonnenschwer zu wiegen in seinem Mund. „Es kann nicht anders sein. Es ist ein Zeichen, die Aufforderung, ihm ein Opfer darzubringen. Wir werden ein Opfertier in die Höhle auf dem Heiligen Berg bringen und es dem Totengott weihen.“
„Ein weiser Entschluss, mein Gebieter. Nimmt Tason das Opfer an, ist das ein Zeichen dafür, dass er nicht abgeneigt ist, sich mit Euch zu versöhnen.“
„Es war damals nicht meine Schuld“, flüsterte der König mit klangloser Stimme, die jeden Moment zu brechen drohte. „Den Schuldigen habe ich bestraft. Und dennoch zürnt mir Tason. Warum?“
„Ich weiß es nicht, mein Herr.“
„Ich kann das Opfertier nicht selbst auf den geheiligten Berg bringen, Hochmeister“, sagte der König betrübt. „Der Weg in das Heilige Gebirge macht eine Reise von mehreren Tagen erforderlich, und ich muss wahrscheinlich morgen schon an der Spitze meiner Flotte auslaufen, um das Heer nach Norden zu führen.“
„Dann muss ein anderer an Eure Stelle treten, Gebieter, einer, den auch die Götter anerkennen, der Tason treu ergeben ist, und aus dessen Händen er das Opfer annehmen wird.“
„Wer käme dafür besser in Frage als Shenan Gal?“, stieß der König hervor. „Er behauptet von sich sogar, ein Abkömmling aus dem Göttergeschlecht Tasons zu sein.“
„Shenan Gal ist der Befehlshaber Eurer Leibwache, Herr“, gab Damlak zu bedenken. „Ein wichtiger Krieger, der im Kampf an Eurer Seite sein sollte.“
„Meine Leibgarde kann ich selbst befehligen“, widersprach Ghaderich. Entschiedenheit prägte plötzlich jeden Zug seines Gesichts. „Und ein Schwert, sowie einen Schild, um mich zu verteidigen, kann ich ebenfalls führen. – Lasst einen Hammel reinigen, Damlak, lasst ihn schmücken und übergebt ihn an Shenan Gal. Mein Befehl an ihn lautet, den Hammel in die Höhle auf dem Berg zu bringen, in dem Tason residiert.“
„Ich werde ihm Euren Befehl übermitteln, mein König. Und Shenan Gal wird ihn ausführen, auch wenn er wahrscheinlich lieber mit Euch in den Kampf ziehen würde. Er will unter den Feinden seines Herrn wüten, er will sie seinen Hass spüren lassen und sie vernichten. Das ist seine Berufung, dafür lebt er, und dafür ist er auch bereit, zu sterben.“
„Es ist wichtig, Tason gnädig zu stimmen“, versetzte der König. „Um zu dem geheiligten Berg zu gelangen, muss er an den Einsiedler-Mönchen vorbei, er wird sich menschenfressender und äußerst brutaler Gnome erwehren müssen, Geister und Dämonen werden ihn aufzuhalten versuchen. Er wird seinen Kampf bekommen.“
„Ich lasse ihn rufen, sobald ich in meiner Amtsstube bin, Herr. Wenn das Opfertier für die Opferung gerichtet ist, wird es Shenan Gal in die Höhle auf dem Heiligen Berg bringen. Ihn werden weder die asketischen Mönche, noch Gnome oder Geister und Dämonen aufhalten können, Euren Befehl auszuführen.“
„Dann seid Ihr jetzt entlassen, mein Freund Damlak. Leitet die Mobilmachung der Truppe, bereitet das Opfertier vor, und sorgt dafür, dass Shenan Gal damit zum Heiligen Berg aufbricht.“
Damlak verbeugte sich, dann bewegte er sich rückwärtsgehend zur Tür, deutete noch eine Reihe von Verneigungen an und wartete, bis ein Diener die Tür öffnete, um ihn nach draußen zu lassen.
Der König folgte ihm nach einiger Zeit. Er begab sich in die Gemächer seiner Gattin, die noch immer in den Wehen darnieder lag, röchelte und stöhnte, aus deren Kehle von Zeit zu Zeit jämmerliche Schmerzensschreie stiegen, die sich aufbäumte, wieder zurückfiel, und deren Körper wie im Krampf zuckte. Ihre blonden Haare, die die Farbe reifen Weizens hatten, waren nass vom Schweiß. Ihre Augen glitzerten fiebrig und waren entzündet, ihre Lidränder gerötet, sie hatte sich die Lippen blutig gebissen.
Hilflos standen der Arzt, die Hebammen und die Zofen um ihr Bett herum. In einem Ofen an der Wand brannte das Feuer, auf der Platte stand eine bronzene Schüssel mit Wasser, saubere Tücher lagen bereit.
„Medikus, warum muss meine Gemahlin derartige Schmerzen erdulden?“, fragte König Ghaderich streng.
Das Gesicht des Arztes zeigte Anzeichen von Unruhe, er trat von einem Fuß auf den anderen und knetete seine Hände. „Ich habe ihr einen Trunk gegen die Schmerzen gegeben, mein König. Er wirkt jedoch nicht bei Eurer Gemahlin. Wir können nichts tun als abwarten. Das Kind findet den Weg ins Leben von alleine. Je mehr Schmerzen es jetzt seiner Mutter bereitet, desto mehr Freude wird sie an ihm haben, wenn es ihren Leib verlassen hat und heranwächst.“
Ghaderich beugte sich über Heres und schaute in ihr verzerrtes Gesicht. Die Schmerzen hatten unübersehbare Spuren in dem sonst so schönen Frauenantlitz hinterlassen. Der König nahm ihre Hand. „Alles wird gut, meine geliebte Gemahlin. Unser Kind wird gesund das Licht der Welt erblicken, und wir werden die glücklichsten Eltern auf der ganzen Welt sein.“
„Wann ziehst du in den Kampf?“, kam es stammelnd von Heres. Ihre trockenen, rissigen Lippen zuckten.
Der König gab einer der Zofen einen Wink. Sie trat sofort mit einem feuchten Schwamm an Heres heran und befeuchtete ihre Lippen.
Wieder löste sich ein erstickter Schrei aus der Kehle der Gebärenden. Sie warf einige Male den Kopf hin und her und lag schließlich still. Ihre Brust hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen.
„Wir werden morgen auslaufen, meine Liebe“, murmelte Ghaderich.
„Ich bitte dich …“
Sie brach ab, japste nach Luft, bäumte sich auf, schrie ihre große Not hinaus und fiel in die Kissen zurück. „Es – kommt!“, ächzte sie. „Das Kind, es bahnt – sich – seinen – Weg …“ Die weiteren Worte waren nur noch ein unverständliches Röcheln.
In die Gestalten des Arztes, der Hebammen und Zofen kam Leben. Plötzlich herrschte hektisches Durcheinander. Der König wurde einfach zur Seite geschoben.
„Das heiße Wasser, die Tücher!“, rief der Arzt. Und schon wenig später: „Bei den Göttern, es ist ein Junge! Die hochwohlgeborene Heres, Gemahlin von König Ghaderich aus dem erlauchten Geschlecht der Dwannuach, der erste seines Namens, hat einem gesunden Thronfolger das Leben geschenkt.“
Der Medikus hatte die Nabelschnur durchtrennt. Jetzt legte er das Kind in die Arme von Heres. Die Hebammen waren noch über sie gebeugt. Plötzlich rief eine von ihnen geradezu hysterisch: „Es kommt noch ein Kind! Die Gemahlin des Königs hat Zwillinge unter dem Herzen getragen. Bei den Göttern, es ist ein Knabe. Aber …“
Hastig drückte sie dem Arzt, der sofort zu ihr geeilt war, das Kind in die Arme. Entgeistert starrte der Arzt auf das kleine, runzlige Gesicht, das dunkelrot angelaufen war. Dann trat er mit dem Neugeborenen vor Ghaderich hin und sagte abgehackt: „Er gehört Tason, mein König. Der Knabe trägt das Zeichen des Totengottes.“
Ghaderich stand da wie vom Donner gerührt. Sein Gesicht hatte sich entfärbt bis in die Lippen, seine Augen irrlichterten. Ohne von einem bewussten Willen geleitet zu werden nahm er den Säugling. Es bestand kein Zweifel. Das Feuermal auf der kleinen Stirn zeigte eine zur Klaue gekrümmt Hand.
Jetzt begann der Junge zu weinen.
Taumelnd ging der König zum Bett und legte den schreienden Knaben in den Arm von Heres. „Das ist die Strafe“, entrang es sich ihm heiser, mit Tränen in den Augen. Seine Mundwinkel zuckten. Eine eiskalte Hand aus der Vergangenheit schien nach ihm zu greifen.
Am Bett der von den Zwillingen entbundenen Königsgemahlin herrschte Atemlosigkeit. Entsetzt und fassungslos starrten alle Anwesenden auf das Mal, das die Stirn des brüllenden Säuglings zeichnete. Jeder wusste, was es bedeutete. Betroffenheit versiegelte die Münder, die Kehlen waren wie zugeschnürt.
Der König, von seinen Gefühlen überwältigt, schlug die Hände vor das Gesicht, wandte sich schluchzend ab und torkelte wie betrunken aus dem Raum. Er war am Boden zerstört und wollte jetzt niemand um sich haben. In seinen Gemächern angekommen begab er sich in sein Schlafgemach und gebot den beiden Wachen vor der Tür, niemanden zu ihm vorzulassen. Kaum, dass die Tür geschlossen worden war, ging er zum Fenster, öffnete es und sein flackernder Blick verlor sich in der Ferne. Den Luftzug, der sein Gesicht streifte, nahm er nicht wahr.
Er konnte keinen klaren Gedanken fassen.
*
Über die Stadt hatte die Nacht ihren schwarzen Mantel gebreitet. Hier und dort glomm ein einsames, gelbes Licht. Lediglich am Hafen war eine Vielzahl von Lichtern zu sehen. Es kam von den Fackeln, die angezündet worden waren, damit das Flottmachen der Boote während der Nacht nicht unterbrochen werden musste. Auf den Piers herrschte hektisches Treiben. Von irgendwoher trieb der schrille Jagdschrei eines Kauzes heran. Er klang wie ein Laut aus einer anderen Welt. Manchmal riss die Wolkendecke auf, und dann ergoss sich unwirkliches Licht auf die Burg und die Stadt. Wolkenschatten glitten lautlos über das Land.
Weit entfernt, über dem Meer, zwischen Erde und Firmament, war ein pulsierendes, rötliches Leuchten auszumachen, das sich in regelmäßigen Abständen zeigte und die Wolken jeweils für einen Moment erglühen ließ. Im Westen, unendlich weit entfernt, erhob sich das unüberwindliche Gebirge, dessen zerklüftete Gipfel den Himmel zu berühren schienen. Es galt als Sitz der Götter sowie des von ihnen verstoßenen Totengottes Tason. Das regelmäßige Aufglühen, das an fernes Wetterleuchten erinnerte, war Zeugnis seiner Allgegenwärtigkeit.
„Er gehört Tason“, murmelte Ghaderich, als er seine aufgewühlten Empfindungen wieder unter Kontrolle hatte. „Das Gesetz fordert, dass er in die Höhle am Heiligen Berg des Totengottes gebracht wird. Mein erstgeborener Sohn, der ohne das göttliche Mal in die Welt gekommen ist, wird den Namen Thorazan tragen und nach mir König von Cambalar sein. Er wird meine Fähigkeiten besitzen, eine Gemahlin aus dem Geschlecht der Dwannuach ehelichen, und ihrer beider Sohn wird nach Thorazan den Thron von Cambalar besteigen. So ist die Weissagung, so hat sie sich in der Vergangenheit erfüllt, so wird sie sich auch in der Zukunft erfüllen.“
Er schloss das Fenster, ging zur Tür, öffnete sie und befahl: „Schickt nach Shenan Gal! Er soll unverzüglich erscheinen.“
Der Wachposten, auf den sein Blick gerichtet war, schnarrte: „Zu Befehl, mein König!“, dann setzte er sich in Bewegung und eilte den langen Korridor hinunter. Das Getrappel seiner mit Leder besohlten Sandalen auf dem Boden aus Steinplatten verklang.
Der König kehrte in sein Schlafgemach zurück und setzte sich in den hölzernen Sessel, dessen Sitzkissen seine Farben aufwies. Sein Oberkörper krümmte sich nach vorn, er stemmte den Ellenbogen seines rechten Arms auf den Oberschenkel und stützte das Kinn mit dem grauen Bart auf die Faust. Einige Strähnen seiner ebenfalls grauen Haare fielen ihm in die zerfurchte Stirn. Er wirkte wie ein alter Mann, der an einem ungnädigen Schicksal zu zerbrechen drohte.
Die Zeit schien angehalten zu haben. Ruhig brannten die Fackeln an den Wänden, im Raum war es still wie in den Grüften in den Kellerräumen der Burg, in denen die meisten der Könige von Cambalar ihre letzte Ruhe gefunden hatten.
Die Tür ging lautlos auf, der Wachposten meldete: „Der Hauptmann Eurer Leibgarde, Majestät, Shenan Gal.“
„Er soll hereinkommen!“, rief Ghaderich, der die letzten Minuten wie im Zustand der Trance verbracht hatte.
Mit klirrenden Schritten kam der weißhaarige Krieger mit dem bleichen Gesicht ins Schlafgemach seines Herrschers. Er trug die Uniform in den Farben des Königshauses, aber ohne Harnisch, sodass auf seinem Wams über der Brust das mit einer Krone versehene Wappen derer von Dwannuach zu sehen war. Die Grundfarben waren grün und rot, und es zeigte einen Greif mit Klauen, die an die gekrümmten Finger einer Hand erinnerten. Eine Klaue, die denen des Greifs sehr ähnlich war, zeichnete auch die Stirn des neugeborenen Prinzen, der dem Totengott Tason geopfert werden musste. An der linken Seite des Unsterblichen hing die Scheide mit dem Schwert am Gürtel, an der rechten Seite trug er einen Dolch.
Shenan Gal hielt drei Schritte vor seinem König an, stand starr und neigte den Kopf. „Ihr habt mich gerufen, mein Herr und Gebieter“. Der Hauptmann sprach tonlos, ohne Höhen und Tiefen. Seine Stimme klang, als würde sie aus einem Grab ertönen. „Hochmeister Damlak hat mir Euren Befehl bereits übermittelt. Ich bin bereit, ihn auszuführen. Sobald der Hammel für die Opferung vorbereitet ist, bringe ich ihn in die Höhle am Heiligen Berg und überlasse ihn der Gottheit, deren oberster Diener Ihr seid.“
„Der Befehl ist hinfällig, Hauptmann“, entrang es sich Ghaderich.
„Mit Verlaub, mein König, ich verstehe nicht“, erwiderte Shenan Gal. „Denkt Ihr, das Opfer ist nicht notwendig?“
„Doch, mein getreuer Shenan Gal. Aber das Opfer wird kein Hammel sein, sondern mein zweitgeborener Sohn, in dessen Stirn das Zeichen Tasons eingebrannt ist. Ich nenne ihn Carraq. Er gehört Tason. Der Gott hat mir seine Gunst erwiesen, indem er mir einen Thronfolger schenkte. Gleichzeitig hat er mir die Möglichkeit eröffnet, ihn für immer mit mir zu versöhnen, indem ich ihm den Knaben, der nicht für den Thron bestimmt ist, opfere.“
Der Unsterbliche ließ nicht die Spur einer Überraschung erkennen. Ohne jede Gemütsregung sagte er: „Ich werde den Knaben in das Heilige Gebirge tragen und auf dem Berg des Gottes Tason, dessen Diener wir sind, in die Höhle legen, mein Herr und Gebieter. Wann soll ich losziehen?“
„Morgen, sobald ich mit meiner Flotte auslaufe, um der Allianz aus Sandlingern und dreckigen Barbaren entgegenzuziehen und diesen Mordbrennern Einhalt zu gebieten. Ich persönlich werde dir Prinz Carraq vorher noch übergeben, Shenan Gal. Du bürgst mir mit deinem Kopf dafür, dass er den Heiligen Berg Tasons lebend erreicht.“
Im Gesicht des Unsterblichen zuckte auch jetzt kein Muskel. Aber die Warnung, die zugleich Drohung war, hatte ihn erreicht. Auch als Unsterblicher konnte er unter bestimmten Voraussetzungen getötet werden, so zum Beispiel, wenn ihm der Kopf vom Rumpf getrennt wurde. Das war ihm klar, und er fürchtete sich vor dem Tod, denn er bedeutete für ihn, das seelenlose Wesen, immerwährende Dunkelheit. „Ich bringe ihn lebend auf den Berg, Herr und Gebieter“, versicherte Shenan Gal.
Mit einer Geste seiner Rechten entließ ihn Ghaderich. Tausend Gedanken begannen wieder auf den Herrscher einzustürmen. Keiner ließ sich festhalten, keiner verfestigte sich. Ghaderich war bis in sein Innerstes aufgewühlt.
König Ghaderich fuhr in seinem Streitwagen, der von zwei Schimmeln gezogen wurde, zum Hafen. Ein Soldat seiner Leibwache lenkte die Pferde. Dem Wagen folgte die königliche Leibgarde zu Pferde, und hinter den dreißig Auserlesenen, die den König zu beschützen hatten, folgten die vier Hundertschaften unsterblicher Soldaten, angeführt von ihren Zenturionen. Einige Knechte trieben sechzig Pferde hinterher. Sie waren für die Reiterei bestimmt, die die Fußtruppen im Kampf zu unterstützen hatten.
An den Straßenrändern hatte sich der größte Teil der Bevölkerung von Cambalar eingefunden; Männer, Frauen und Kinder. Der Anblick der Truppe aus Unsterblichen in den grün-roten Uniformen löste bei ihnen Staunen und gleichzeitig Beklemmung aus. Diese seelenlosen Hüllen waren für ihre Feinde tödlicher als das Gift der Höllenschlange, die sich vom Fleisch derer, die zu Lebzeiten besonders niederträchtige Taten vollbracht hatten, ernährte.
Der König begab sich mit seiner Leibgarde auf die königliche Fregatte, auf die auch sein Streitwagen zusammen mit den beiden Schimmeln gebracht wurde. Die Pferde der Leibgarde wurden auf ein anderes Boot getrieben. Die Krieger wurden auf insgesamt zwölf Schiffe verteilt, für die Pferde der Kavallerie wurden drei weitere Boote benötigt.
Es waren also siebzehn Langboote, die aus dem Hafen von Cambalar ausliefen. Sämtliche Ruderbänke waren besetzt, und in der Nacht waren ausreichend Vorräte und Trinkwasser auf die Schiffe gebracht worden. Sie waren für die mehrtägige Reise über das Meer zur Küste gerüstet. Der Wind stand günstig, und so konnten, nachdem sie den Hafen verlassen hatten, die Ruder eingezogen und das Großsegel gesetzt werden. Die Taue der Wanten knarrten, der Wind blähte die grün und rot gestreiften Segel, die in ihrer Mitte das Königswappen des cambalarischen Reiches aufwiesen.
Die See war verhältnismäßig ruhig. Die Buge der Boote teilten das Wasser. Fast lautlos glitten sie dahin. Die Ruderer saßen auf ihren Bänken, die Soldaten hockten in Gruppen auf dem Boden im Rumpf. Der königliche Wimpel oben an den Masten flatterte im Wind.
Die Schiffe verließen den Hafen und glitten aufs offene Meer hinaus. Auf den Wellenkämmen tanzen weiße Schaumkronen. Der Himmel war grau und färbte das Wasser schwarz. Soweit das Auge reichte, sah es nichts als die See, die hoch oben im Norden mit dem Horizont eine graue, bedrohliche Einheit bildete. Man konnte meinen, dahinter war die Welt zu Ende.
Auf der königlichen Fregatte hatte man vorne am Bug eine Art Thron errichtet, auf dem der König Platz genommen hatte. Er war gekleidet wie seine Krieger. Doch sein Haupt zierte kein Helm, sondern ein flacher, goldener Reif mit einem Smaragd über der Stirn, der an ein Auge erinnerte. Es symbolisierte die unabdingliche seherische Fähigkeit derer aus dem Geschlecht der Dwannuach, die dazu berufen waren, Herrscher von Cambalar zu sein.
Der König schaute nicht nach Norden. Sein suchender Blick war unablässig nach Westen gerichtet. Dort schipperte ein kleines, unauffälliges Boot mit Shenan Gal an Bord auf die Küste zu, wo der ‚Strom der Unendlichkeit‘ ins Meer mündete, dessen Quelle irgendwo in dem gigantischen Gebirge lag, auf dessen Gipfel, der in die luftlose Dunkelheit des Kosmos zu ragen schien, die Götter wohnten. Noch kein Mensch hatte dieses Meer überwunden. Der Tod war in diesem Irrgarten aus Felsen und Schluchten allgegenwärtig und die Gefahr lauerte überall.
In dem Boot lag das Bündel aus dunkelgrauen Tüchern, in das der Knabe mit dem göttlichen Mal gewickelt war. Shenan Gal musste selber paddeln. Aber seine Arme würden nicht müde werden, sein Körper würde keinen Schlaf fordern.
König Ghaderich sah das traurige Gesicht Heres‘ vor seinem inneren Auge. Sie liebte Prinz Carraq genauso wie ihren Erstgeborenen, Prinz Thorazan, und alles in ihr hatte sich gesträubt, ihn dem Totengott zu überlassen. Aber auch sie hatte sich dem Gesetz beugen müssen. Schweren Herzens hatte sie zugelassen, dass er, Ghaderich, das Kind aus ihren Gemächern holte, um es an Shenan Gal zu übergeben.
Tason durfte nicht ein weiteres Mal erzürnt werden.
Sicher hatte Heres bitterlich geweint, nachdem sich hinter ihm, dem König, die Tür zu ihrem Schlafgemach geschlossen hatte.
Der Herrscher konnte das Boot nirgendwo ausmachen. Deshalb wandte er den Blick nach Norden. Was würde ihn erwarten? Vielleicht der Tod! Noch drängender war die Frage, ob sie rechtzeitig genug das Ziel erreichen würden, um zu verhindern, dass die Horden der Sandlinger im Verein mit den Barbaren unsägliches Leid über seine Untertanen brachten.
So dunkel wie der Himmel war die Stimmung Ghaderichs. Seine Gedanken schweiften zurück in eine Zeit, in der sein Verhältnis zu Tason ungetrübt war. Aber dann starb sein Sohn, schließlich auch seine Gemahlin. Sein Schicksal schien sich in einer Sackgasse verfahren zu haben. Bei Tason in Ungnade gefallen, den wechselhaften Launen des jähzornigen und aggressiven Gottes ausgesetzt, zu schwach, seine Schuld einzugestehen, hatte er einen Sündenbock gesucht und gefunden.
Nun schien ihn die Vergangenheit eingeholt zu haben.
Tason hatte von ihm ein geradezu unmenschliches Opfer gefordert. Und er hatte sich hoffnungsvoll dem Willen seines obersten Gottes gebeugt. Auch ein Gott musste vergeben und vergessen.
Dass er ihm zusammen mit seiner zweiten Frau Heres einen Thronfolger geschenkt hatte, war sicherlich ein Zeichen dafür, dass er bereit war, einzulenken. Wenn er, der König, jetzt auch noch jene, die Tason huldigten und anbeteten, vor den Eindringlingen aus dem Norden schützte, würde der Gott endlich überzeugt sein, dass er, Ghaderich, würdig war, nach seinem Tod in den Rat der Weisen, die zu Lebzeiten auf dem Thron von Cambalar saßen und jetzt am Tisch des Totengottes tafelten sowie rauschende Gelage feierten, aufgenommen zu werden.
Immer weiter glitten die riesigen Boote nach Norden. Am Nachmittag kam Wind auf, der die See peitschte. Er konnte den Schiffen nichts anhaben. Dann kam die Nacht. Am Himmel war kein einziger Stern zu sehen. Die Finsternis über dem Meer war derart dicht, dass sie fast stofflich und greifbar anmutete. Wellen schlugen gegen die Boote, Ächzen, Knarren und ab und zu eine Stimme nahm der Wind mit sich und die Geräusche verloren sich in der Endlosigkeit der Nacht.
Die Menschen auf den Booten versuchten zu schlafen. Es war fast nicht möglich. Die Nacht schien nicht vergehen zu wollen. Aber der Zyklus von Helligkeit und Finsternis, der seit Jahrmillionen die Zeit auf dem Planeten bestimmte, wurde auch an diesem Tag nicht außer Kraft gesetzt, und so graute irgendwann der Morgen. Die Nacht verschwand nach Westen, an ihrer Stelle zogen von Osten dicke Nebelschwaden heran, die im Laufe des Tages jedoch wieder verschwanden.
Unbeirrbar glitten die Boote auf ihrem Kurs nach Norden durch das Wasser des Großen Meeres.
Vier Tage waren sie unterwegs, dann erscholl der Ruf: „Wir nähern uns der Küste! Land ist in Sicht!“
Einer der Leibwächter, von denen sechs ständig den König umgaben, sagte: „Man sieht die Küste schon, mein König. Ehe die Nacht zum vierten Mal nach unserer Abreise anbricht, gehen wir an Land.“
„Die Götter waren uns hold und haben uns keinen Sturm geschickt“, sagte der König. „Mögen sie uns weiterhin gnädig gesinnt sein, wenn wir dem Feind gegenüberstehen.“
„Wir werden sie besiegen“, sagte der Unsterbliche, es war der Stellvertreter Shenan Gals, im Brustton der Überzeugung.
Ghaderich hatte sich erhoben und spähte nach Norden. Die Küste zeigte sich hügelig und grau in grau und war von den Wolken fast nicht zu unterscheiden. Einzelheiten waren nicht auszumachen. In der Bucht, die sie anliefen, lag die Stadt Ascolan. Die Dächer und Türme der Ansiedlung schälten sich irgendwann aus dem tristen Grau. Einige Landungsbrücken aus Holz führten weit ins Meer hinaus, denn das Wasser an der Küste war flach und die Schiffe konnten nicht allzu nahe an das Festland manövriert werden.
Ghaderich fragte sich, ob auch Shenan Gal schon die Küste erreicht hatte, und ihn befiel eine dumpfe, bohrende Angst, als er die Möglichkeit in Erwägung zog, dass der Unsterbliche und Prinz Carraq das Festland nie erreichten. Der Gedanke war derart ungeheuerlich, dass der König erschauerte. Er verdrängte ihn an den äußersten Rand seines Bewusstseins und konzentrierte sich auf das Manöver, mit dem seine Fregatte an dem hölzernen Pier anlegte. Es knirschte erbärmlich, als der Rumpf an einigen der mannsdicken Balken entlangschlitterte. Dicke Taue wurden auf den Pier geworfen, von den Männern dort aufgefangen und an bronzenen Pollern vertäut. Schließlich ging ein Ruck durch das Boot und es schaukelte nur noch leicht auf dem Wasser.
Der König und seine Leibwache sowie die Krieger gingen an Land, der Streitwagen Ghaderichs und sämtliche Pferde wurden ebenfalls von den Booten geholt. Die Krieger bereiteten auf einer großen Wiese zwischen den Landungsstegen und der hölzernen Palisadenwehr Ascolans ihr Nachtlager, das große Zelt für den König wurde errichtet.