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Erstmals veröffentlicht: Die Briefe der Manns mit über 100 unbekannten Briefen aus sechs Jahrzehnten Thomas Mann ist in sein Werk vertieft. Wenn der Literaturnobelpreisträger daraus auftaucht, nimmt er mit Witz und Neugier am Treiben seiner Familie teil. Katia Mann kümmert sich um alles. Die Mutter rät und ermutigt, schickt Geld und scharfe Worte – vor allem die Tochter Monika, die oft abseits steht, bekommt es immer wieder ab. Erika, Klaus, Golo, Monika, Michael und Elisabeth Mann: Sechs Kinder suchen ihren Platz in der weiten Welt, in die sie vor Hitler fliehen mussten. Ihre Briefe erzählen vom politischen Kampf und vom Schreiben, von Liebe und Eifersucht, von Erfolgen, Drogen und Unglück. Im Anschluss an den Bestseller ›Die Manns. Geschichte einer Familie‹, der die berühmte Schriftstellerfamilie in neuem Licht gezeigt hat, legen Tilmann Lahme, Holger Pils und Kerstin Klein eine Auswahl von Familienbriefen vor: Die weitgehend unbekannten und ungedruckten Schreiben aus sechs Jahrzehnten zeichnen ein intimes und oft überraschendes Porträt der Familie des "Zauberers". Die Erfolge, der Witz und die Abgründe der Manns sind stets nur einen Satz entfernt.
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Seitenzahl: 1157
Die Briefe der Manns
Ein Familienporträt
Herausgegeben von Tilmann Lahme, Holger Pils und Kerstin Klein
FISCHER E-Books
Glücksburg, 26. Juli 1919
Liebe Eri!
Für Dein forsches Briefchen danke ich Dir recht vielmals. Es hat mir großen Spaß gemacht. Hoffentlich ist eure Fahrt nach Starnberg recht schön verlaufen und ist niemand dabei in den Graben gefallen, denn dabei verletzt man sich leicht das Höschen, wie es auch mir einmal geschah. Aber vor dem Ausflug war ja noch Mieleins Geburtstag, über den ich von den Buben gewiß noch einiges erfahre. Aber daß Du schreibst, »leider« werde Tante Lula kommen, hat mich doch stutzen lassen. Eine so feine Dame, noch feiner, als das Pielein selbst, und Du sagst »leider« dazu? – Das achthändige Arcissi-Konzert hätte ich wohl gern gehört. – Wäret ihr doch alle hier, ihr würdet tanzen und jubilieren von wegen des vielen, vielen guten Essens! Gestern Abend gab es wieder so herrliches festes norddeutsches Rührei und Bratkartoffeln, die von Butter glänzten. Nachher noch kalten Aufschnitt von der besten Sorte. Es ist als wie im himmlischen Paradiese. Und vorher war ich schon in Herrn Schellongs Obstgarten gewesen und hatte von Büschen und Bäumen gegessen soviel mein Herz begehrte: Rote, schwarze und gelbe Johannisbeeren, Kirschen und Himbeeren, so groß wie Gartenerdbeeren. Aber nun schließe ich, sonst läuft Dir das Mäunchen über. Der Moni schreibe ich noch extra und besonders.
Sei nur der Mama recht dienlich und nützlich!
Dein
Pielein
[Oberstdorf, Stillachhaus], 19. September 1920
Lieber: Will nur gleich Dein L.[iebes] vom 17. d.M. beantworten, wobei es mich nur wundert, daß Du da noch nicht im Besitz meines letzten warest. Kam wohl den nächsten Morgen. Heute ist ja, nach einer schönen sommerlichen Woche und einer unheimlichen Föhnglut gestern am späten Abend, nun ein abscheulicher nasser Sonntag und der kalte Regen strömt gleichmäßig von morgens an. Die meisten Gäste machen auch von ihrer sonntäglichen Freiheit Gebrauch die Nachmittagsliegekur wegzulassen, aber ich liege mit zwei Kameelen und zwei Sweatern ja ganz behäglich, nur die Finger neigen schon etwas zur Klammheit. Also von der Sensation, die Greto so witzig schildert, habe ich denn doch nicht das Geringste bemerkt. Die Gesellschaft macht mir im ganzen einen recht stumpfsinnigen und höchst uninteressanten Eindruck, und ich habe meinem neulichen Briefe in dieser Hinsicht wohl kaum Positives beizufügen. Von Zauberbergreizen ist garnichts zu spüren, es fehlt eben die pikante Todesingredienz. Die Damen überwiegen bei Weitem, einige junge Mädchen mit leichten Lungen-Sachen (Hilus-Drüsen zumeist), und auch viele Verheiratete, junge und ältere, auch meistens mit leichten Lungenaffektionen, aber auch Magen- und Nervenleiden, die meistens einen trostlos gelangweilten Eindruck machen, und die Herrenwelt ist gänzlich irrelevant. Bis jetzt saß ich neben einer ganz sympathischen, sehr wohlmeinenden Frau Major Tappe (offenbar sehr r.[eich], eine rheinische Industriellentochter, überhaupt scheinen alle r. und das Geld spielt gar keine Rolle), die sich immer ordentlich Mühe gab, sich litterarisch mit mir zu unterhalten. Sie hat eben mit viel Wohlgefallen K.[önigliche] H.[oheit] gelesen, und die Imma, das ist doch wirklich eine kleine Persönlichkeit, aber den Untertan hat sie dreimal gelesen aus Pflichtgefühl, aber sie konnte doch nicht hinter seine Reize kommen und vieles nicht verstehen, die Arme. Übrigens habe ich heute Nacht so lebhaft vom Heinrizi geträumt, er sprach so überlegen und erbittert über Dich, daß ich ganz irre wurde. Henriette Leonie war auch dabei, kaum größer wie Waddie, aber nicht nur dem Vater sprechend ähnlich, sondern mit genau solchem Spitzbart wie er. Schrecklich war es. – Jeden Samstag wird ja das ganze Sanatorium umgesetzt, und jetzt sitze ich neben der kleinen Frau Schilling, Frau Arnoldi’s Schwester, die sich sehr an mich attachieren zu wollen scheint und auch ganz nett ist, aber ein bißchen gar zu dalbrig, aber das ist auch wohl so ziemlich die einzige, die in Frage kommt, ich vermisse das jüdische Element von Pension Böld. Abgefiebert habe ich so ziemlich, wenn auch noch nicht zuverlässig. Ich hatte es ja auch in Oberammergau, und die Temperatur war sicher wieder – trotz Müller – nur eine Begleiterscheinung der Bronchitis. Freitag habe ich mich wieder bei Saathoff vorgestellt, und er meinte nun auch, daß ich, wenn ich so fortmache, mit sechs Wochen auskommen würde. Behorcht hat er mich nicht, aber der Katarrh ist offenbar weg. Ich habe auch drei Pfund zugenommen, das ist doch alles möglich, und so glänzend ist die Verpflegung nicht einmal wie mir erst schien, d.h. es wechselt. Jetzt ist er auf 8 bis 10 Tage verreist, aber sein Assistent wird es gerade so können. »Ärzte sind …«, man weiß ja. – Mit der Schweizer Reise bin ich sehr einverstanden, ich wünsche es Dir ja schon lange, daß Du etwas hinaus kommst. Wenn Du wirklich 300 Fr. pro Abend bekommst, so könnte es ja sogar wirtschaftlich ganz lohnend sein, weil bei der jetzigen Valuta (10!) Du sonst zu viel zusetzen müßtest. – Schade, daß ich den guten Paten garnicht sehe. Bleibt Bötticher in München? – Danke auch für die Drucksachen. Ich bin nicht für Schrenk-Notzing, und es scheint mir auch so schrecklich langweilig. Kaukesielter hat mit seiner Ansicht über den Bolschewismus als etwas spezifisch Russisches ja nicht so Unrecht. – A.[lte] F.[ay]’s sind nun also in Venedig. Der ausgebrannte Kater genießt es gewiß garnicht.
Behalte mich lieb
Deine getreue Häsin.
Oberstdorf, [Stillachhaus], 26. September 1920
Liebe Erika:
Du schreibst mir, trotz wiederholter Anfragen, noch immer nicht, si les couvertures et les robes dans l’armoire du second etage ont été endommageés par les mottes. Auch nicht, ob tu souffre encore du rhume de cerveau. Wenn Du keine Zeit hast, soll Golo es mir mitteilen.
Und soweit, liebes Elein, schönen Dank für Deinen Brief. Du solltest übrigens wirklich immer beim Beantworten meinen Brief dabei haben, damit Du nichts vergißt. Das Gebäck kam wohlbehalten an, und, wenn auch nicht ganz so vorzüglich wie das letzte, war es doch immer noch sehr eßenswert. Frau Hensel, eine sehr verwöhnte, reiche junge Frau (hat ein Zimmer mit Bad à 80 M täglich und 8 Hüte hat sie mitnehmen wollen!) war sogar direkt begeistert davon. Was das Samtbarrett betrifft, so liegt es meines Wissens im mittleren Spiegelschrank auf dem oberen Brett, sonst eventuell ebendaselbst in einem der beiden anderen. Hälst Du es für denkbar, daß Offi die Umarbeitung übernimmt, weil es doch von Onkel Erik stammt? Vielleicht könntest Du es auf taktvolle Weise herausbringen, sie kommen ja jedenfalls in den nächsten Tagen zurück. Dann mußt Du sie auch nach der Marmeladenadresse fragen, die ich nicht mehr genau weiß, und dann kann Frau Dr. Thomas Mann ja gleich einen 25 ℔ Kübel Zwetschgen-Marmelade (Sorte III) (oder wolltet Ihr lieber Reineclauden-Marmelade?) und einen 10 ℔ Eimer Erdbeer-Marmelade (Sorte II) umgehend senden lassen. Sie schicken dann [die] Rechnung mit Zahlkarte, welche nach Eintreffen der Ware beglichen wird.
Daß der Aissi soviel rauschend Klavier spielt, will mir garnicht gefallen. Sage ihm nur, ich sei aufs äußerste dagegen, und hätte ihn doch so dringend aufgefordert, lieber mehr Zeit auf die alten Sprachen zu verwenden.
Nun will ich noch wegen des Mädchenwechsels einiges schreiben. Also Sophie muß sich von der Milchfrau ihre Milchkarte geben lassen, von Breit, Vogl, Bertl ihre Käse-, Spezerei-, Lebensmittel-, Eier-, Fettkarte-Karten holen, ferner kriegt sie ihre Auslandslebensmittelkarte mit, und ihre Fleischstammkarten (ich glaube die liegt unten in der Küchenschublade.) Alle diese Karten muß das neue Mädchen mitbringen (wenn sie aus München kommt) sowie einen Abmeldeschein von ihrer Schule. Sie muß zunächst bei unserem Freund dem Polizeikommissar an- und Sophie gleichzeitig abgemeldet werden. (Formular, für Sophie schon ausgestellt, bekanntlich im Schreibtisch) hierauf muß sie mit der polizeilichen Anmeldung und ihrem Abmeldeschein von ihrer vorigen Schule auf der unseren gemeldet werden. Ihre Karten kommen zu unseren entsprechenden Lieferanten, für Spezereien wird man ein oder zweimal auf dem Lebensmittelamt Zwischenmarken nehmen müssen, aber Du mußt sie auch gleich bei Vogl eintragen lassen, damit wir möglichst bald von da bekommen. Vom 1. Oktober wird sie ihren Zucker wohl mitbringen, den sie dann unter Abzug der 150 g abgeben muß, eventuell, wenn sie hat auch Einmachzucker. Daß mir Sophie ihren Einmachzucker bezahlt, die Verfluchte. Dann muß in einem Kouvert an die Krankenkasse Sophie ab- und die Neue angemeldet werden (Formular für Sophie schon ausgefüllt, bekanntlich im Schreibtisch), vergiß ja nicht, das Formular auch zu unterschreiben. Lohn gebe ich gewöhnlich 10 M weniger an, das nehme ich noch so aufs Abendessen, aber es ist ziemlich gleichgültig. Ferner schreibst Du volle Verköstigung, Wohnung etc. Sophie bekommt also ihre Steuerkarte, Buch, Invalidenkarte (wo Du die fehlenden Marken noch einklebst) mit, dasselbe läßt du Dir von der Neuen einhändigen. Lohn bekommt sie 55 M, Elise u. Muhme 60, Eva 65.
Und die Arbeitseinteilung: morgens um 7 soll sie anfangen: Dich frisieren? Frühstück bringen, Badewasser bringen. Spätestens um acht Buben-Schlafzimmer und Spielzimmer, Vorplatz, obere Treppe abkehren, obere Diele, Kinder, Moni und gnädiges Fräulein Zimmer, Badzimmer. Die Böden werden abgekehrt und feuchtgewischt, ferner Staubwischen und die Matratzen der Betten täglich umkehren. Um 10, ½ 11 ist sie meiner Ansicht nach leicht fertig. Die Treppe und Anrichte muß sie gleichfalls zusammenkehren. Hierauf gönnt sie sich eine Frühstückspause. Dann spült sie das Frühstücksgeschirr und räumt es auf, bürstet die Kleider und räumt sie gleich in die Schränke, und näht bis Mittag oder macht sich sonst nützlich. Nach Tisch spült sie mit der Eva zusammen ab und trocknet, dann wieder Nähen oder Bügeln, Gänge machen etc. Eure Stiefel soll sie regelmäßig vor dem Abendessen putzen, Ihr müsst sie aber auch rechtzeitig ausziehen, und mit den wollenen Kleidern abwechseln, damit sie sie in Stand halten kann. Nach dem Abendbrot hilft sie wieder der Eva spülen. Freitag muß sie regelmäßig Kinderwäsche waschen, die sie Montag bügelt (Küchenwäsche alle vierzehn Tage). Samstag gründlich rein machen. Ermahne sie nur gleich zu größter Sparsamkeit mit Licht und Gas, sorgfältigem Schließen der Türen (vor allem Hintertreppe und Garten), und sorgfältiger Behandlung der Putzlumpen, die sie auch flicken muß.
Das wäre so ziemlich das Wesentliche. Hat Elise entstaubt? Alle Zimmer sollen entstaubt werden, aber immer nur so lange es hell ist. Und Sophie soll alles noch ordentlich sauber machen, ehe sie weggeht, damit die Neue keinen zu schlechten Eindruck bekommt. Daß das Leintuch wieder da ist, ist ja in der Tat eine Freude, auf die ich nicht gerechnet hatte. Seid mir auch alle recht ordentlich, besonders die Buben, und die Badewanne sollen sie vor allem etwas sauber halten, und die Kisetten.
Genug für heute: ein langer, langweiliger Brief. Grüße Pielein, und ich hätte seit fünf Tagen nichts von ihm gehört.
Dich umarmt
Das Mielein
Was ist eigentlich mit der Massenbachin?
Und: Geht zur Gräfin!!!
[Oberstdorf], Stillachhaus, 2. Oktober 1920
Lieber: Das war ja ein reicher Segen gestern Abend: Dein Brief mit Mönchen-Einlage, Deine Karten, und schon ein Brief von der braven, genesenen Eri. Aber doch wohl bedauerlich, diese gesundheitlichen Zwischenfälle, besonders Eris Anfälligkeit bekümmert mich. Und was soll man bloß mit ihr machen, nachdem Nado, dem ich schon, seit er so eisern auf der doch offenbar gänzlich erfolgslosen Behandlung meines Katarrhs bestand, nicht mehr recht vertraute, sich so völlig blamiert hat. Wenn man nur einen verständigen Arzt wüßte. Heijermanns scheint sich diesmal ja besser bewährt zu haben, aber ganz der Wahre ist er doch auch nicht. Wenn ich wieder da bin, müssen doch noch irgendwelche Schritte gegen den chronischen Schnupfen des Kindes unternommen werden. Sie wird ihn schon noch einmal los werden wie das Gölchen seine Flechte. Dein Anfall ist hoffentlich auch gänzlich überwunden. Die Rheinreise mit ihren zehn Städten wird ja auch recht strapaziös werden, wenn auch wirtschaftlich, trotz der zehn Prozent, recht lohnend. Hoffentlich nimmt es Dich nicht zu sehr mit.
Um aber noch auf die erste Hälfte Deines Briefes zurückzukommen, so ist das doch alles garnicht so. Ich erwarte alle Briefe von zuhause mit großer Ungeduld und lese jeden mehrfach, sodaß ich den Inhalt ganz aufnehme (habe ja freilich auch Zeit dazu) und wenn ich dann schreibe, so stellt sich ganz selbstverständlich eine gewisse Anknüpfung an den empfangenen Brief ein. Eventuell kann man ja auch, wenn man ihn nur flüchtig gelesen, den Brief vorm Schreiben noch einmal überlesen, auch dann kommt ganz unwillkürlich ein gewisses Eingehen darauf. Ist einem auch dieses zu zeitraubend, dann fehlt das eben, und ich bekomme den Eindruck, als ob meine Briefe, als Lebenszeichen natürlich notwendig und erwünscht, doch in Bezug auf ihren Inhalt, nachdem der wesentliche, daß es mir gut geht, ja immer einmal feststeht, einigermaßen gleichgültig wären, und als ob Deine Gedanken, nachdem Du einmal weißt, daß alles hier seinen ordnungsgemäßen Gang geht, sich nicht eben viel mit mir und meiner augenblicklichen Daseinsform beschäftigten. Mit Rekapitulation und Diplomatie hat das nichts zu tun. Und ich bin doch nicht so albern, zu wünschen, daß Du mir beständig oder überhaupt schreiben sollst, wie sehr ich Euch fehle. Es muß mich natürlich freuen und beruhigen, wenn ich sehe, daß es eine Weile auch ganz ordentlich ohne mich geht. Aber manchmal scheint es mir, als ob es genau so gut, oder vielleicht sogar noch ein bißchen besser ginge. Und das erschüttert mich natürlich einigermaßen. Ich habe hier so viel Zeit zum Nachdenken, und da denke ich doch manchmal, daß ich mein Leben nicht ganz richtig eingestellt habe, und daß es nicht gut war, es so ausschließlich auf Dich und die Kinder zu stellen. Aber nun schon genug, und übergenug davon!
Dem Aufenthalt hier habe ich Unrecht getan, insofern, als ich vorige Woche nun doch wieder zwei Pfund zugenommen habe. Im ganzen jetzt schon sechs, und ich sehe wohl nicht nur etwas voller, sondern schon ordentlich beleibt aus. Aber vom gesundheitlichen Standpunkt ist es ja sehr zu begrüßen. Die letzten drei Tage hatten wir nun auch schönes Herbstsommerwetter, und ich war viel unterwegs, in Damengesellschaft, weil es mir alleine allzu einsam ist, ich würde es sonst bei weitem vorziehen. Könntest Du mir in Deinem nächsten Brief für Frau Hänsel ein Autogramm mitschicken, ich konnte es ihr nicht gut abschlagen. Dagegen das Exemplar von Herrn u. Hund, worum ich Dich vor einiger Zeit bat, brauche ich nicht, ich fände es doch zuviel der Ehre für Frau Schilling.
Um Geld muß ich Dich leider auch bitten. Ich denke, am besten läßt Du gleich zweitausend schicken, wenn ich, wie ich bestimmt beabsichtige, nur noch vierzehn Tage hier bleibe, werde ich ja nicht mehr soviel brauchen, aber für alle Fälle ist es doch sicherer ein bißchen in Reserve zu haben.
Auf das physiologische Kapitel bin ich auch sehr gespannt. Der Oheim wird es wohl schwerlich billigen, aber das ist kein Einwand in meinen Augen. Ich finde Bertram nutzt die Zeit recht schlecht, das ist ja eine ewige Wanderschaft!
Lebwohl
Deine Häsin.
[München], 12. Februar [1921]
L.[iebes] R.[eh]:
Da haben wir also umsonst gedringdrahtet: aber wenn Du schon nicht die Bürger an die Wahlurnen gerufen hast, dann suche doch wenigstens nicht ihr Konkurrenz [zu] machen. Überlege nur noch einmal, ob es mit der Abreise Sonntag nach der Vorlesung möglich ist. Noch könntest Du ja kürzlich den Schlafwagen für Montag bestellen, aber vielleicht läßt es sich doch machen. – Coburg liegt ja nun auch schon wieder hinter Dir. Am Ende war es bei Colmers gar nicht besonders: sie ist ja wohl ziemlich gräulich und wie Kohn sich entziffert hat, weiß ich auch nicht. Na, nun hast Du ja Deine l.[iebe] Grete! – Bei uns ist es ja nun recht still, und das ist ganz gut, denn ich habe im Haus vielerlei zu tun. Heute war ich auch mit Eri auf dem Gymnasium, wo der alte verknöcherte Direktor wieder eingetroffen ist, der sich wieder über die Maßen widerwärtig und lustspielmäßig benahm: da war keine Rede von Geistesheroen, und großväterlichen Geheimräten, und unerbittlich bestand er darauf, sie müsse noch das ganze Schuljahr Privatunterricht haben: was ja sowohl hinsichtlich der Kosten als auch der Baroninen-Witwe-Lebensweise höchst ärgerlich ist. Moni lebt ja auch noch immer so, da sie gestern wieder 38 maß, bei allerbestem Wohlsein. Um sich die Zeit zu vertreiben, malte sie dem Bibi einen schwarzen Schnurr- und Knebelbart nebst dicken senkrechten Stirnfalten, kleidete ihn in einen langen Loden-Mantel nebst grünem Hütchen und gab ihm einen Krückstock an den Arm: er sah, mit mißmutiger Miene, unbeschreiblich komisch aus, besonders als Moni ihn vor den Spiegel führte, und er von der Seite sein Spiegelbild äußerst mißtrauisch besah. Unsern Hochzeitstag habe ich treu mit den Kindern bei Rotweinpunsch gefeiert, ich Gutes! – Das Wetter ist ja recht winterlich, und Du kannst den Pelz diesmal gewiß gut brauchen. Hast Du Dich auch nicht im Auto erkältet, mein alter Peter! – Cousine Jane hat sich verlobt! Die übrige Post schicke ich doch nach.
Nun, schon auf baldiges.
H.
Timmendorferstrand, 12. August 1921
Liebe Eri, lieber Eissi, lieber Golo, liebe Moni, liebe Mädi, lieber Bibi!
So lustig ist es hier, wie umstehend zu sehen. Wir denken oft, daß es euch großen Spaß machen würde, besonders gestern, bei ziemlich starker Brandung wäre das Baden etwas für euch gewesen. Aber eisig würdet ihr das Wasser finden gegen das Starnberger. Wenn die Großen schon fort sind, sollen die Kleinen ihnen diese Karte nur nachschicken. Seid alle brav und froh.
Euer Pielein, der auch Frl. Thea grüßen läßt.
Auch vom Mielein alles Gute. Daß es täglich Schlagrahm gibt, verschwieg das Pielein!
Herzlichste Grüße! Bald in München. Pate Bertram.
ABB. 1 Thomas Manns Postkarte an die Kinder vom 12. August 1921
[Bergschule Hochwaldhausen, 6. Juni 1922]
Lieber Zauberer!
Meinen allerschönsten Glückwunsch zum Geburtstag. Wundre Dich nicht, wenn der Briefchen klein und häßlich wird: ich schreibe auf der Bahnfahrt nach Frankfurt. Denn wir sind mit einigen »Bergkindern« nach dorthin über Pfingsten abgereist. Die allgemeine Tour ist doch abgesagt worden und jetzt hat Steche uns erlaubt das zu machen. Wir werden 2 Tage dort bleiben und bei der Großmutter vom dicken Wandervogel wohnen. Vielleicht lassen wir uns hinreißen und besuchen kurzer Hand Liefmanns, von wegen irgend einer Mahlzeit oder so. Kann ma sagen, daß es frech ist? – Ja von hier wäre in so fern Gutes zu melden, als K[laus] und ich neulich eine umfassende Aussprache mit Steche hatten und wir uns recht gut mit ihm verstanden. Außerdem war heute Schlußschulgemeinde (ja, wir sind tatsächlich schon sechs Wochen hier!) und auch die hat recht erfreuliche Erfolge für uns gezeitigt.
So sind wir zum Beispiel im Latein Mahrs Lichtblick in seiner ganzen Lehrtätigkeit und ich nicht minder der von Ackermann in Mathematik. Nicht verschweigen kann ich nun zwar, daß der Gent den Klaus im Laufe der Unterhaltung von neulich einmal »übertünchten Greis« genannt hat. Sähr drohlig! – Es ist so schade, daß wir zu Deinem Wiegenfeste nicht in München sind. Hier haben fast alle ihre Elterlein in Frankfurt und die Angesehenen, zu denen wir uns doch wohl rechnen dürfen, erhalten ab und zu Erlaubnis zu Geburtstagen u. dgl. nach Haus zu fahren. Wir Armen! – Ob der Ofei Dir wohl Wein geschenkt hat? Bitte sei nicht pikabel, wenn ich jetzt aufhöre, aber es schottert fast so »gottsjämmerlich«, wie das Leichlein aussieht.
Viele Grüße
Erika
Bitte sage dem Mielein Folgendes: Der Alex Leroi, der mich, Gott strafe England, abgöttisch liebt, möchte gern im Sommer eine 8tägige Tour mit uns und noch einem machen und zwar auf seinem kleinen Motorboot auf irgend einem stillen Fluß. Nun möchte ich das aber keinesfalls, eben wegen Alex. Ich kenne das schon von Karl Geffcken her und, kurzum es paßt mir nicht. Nun bitte ich das Mielein sehr, daß sie aus irgend einem triftigen Grund (gefährlich wäre es leider gar nicht) die Sache verbietet. Und so, daß ich es ihm vorlesen kann.
Nochmals herzlichst
E.
[Bergschule Hochwaldhausen, 17. Juni 1922]
Liebes Pielein.
Vielen Dank für Deinen Brief, der uns einerseits erfreute, Eris traurige Pikiertheit aber (schon durch Mieleins Brief erzeugt) noch erhöhen mußte. Ihr habt ja nun wohl Eris Brief; ich hoffe, Ihr findet sie durch ihn gerechtfertigt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das, was sie schrieb, zu bestätigen. Daß sie nämlich in der Tat alles so objektiv als irgend möglich und durchaus nicht diplomatisch vorbrachte und daß sie eine direkte Bitte um Abkürzung des Aufenthaltes nicht etwa aus Raffinement, sondern weil sie diese Entscheidung rein Euch überlassen wollte und sie sich auch wirklich so arg unwohl nicht fühlt, nicht aussprach. Ich dagegen möchte diese Bitte aussprechen, wie auch Mieleins Erkundigungen ausfallen mögen. Unser Aufenthalt hier ist weniger traurig für uns, als vollkommen zwecklos. Ich will nicht behaupten, daß die Schule hier in ihrem Wert auf Minus steht, sondern vollkommen auf Null. Daher die Massenflucht. Jeder schiebt andere Gründe vor; der eine lernt zu wenig für’s Abitur, dem anderen ist zu wenig Zucht da und dem dritten zuviel. In Wirklichkeit ist es auf ein Versagen der Schule zurückzuführen (über das Steche sich doch wohl auch im Klaren ist). Äußere Dinge kommen hinzu. Im Oberkurs (also unter denen, die uns geistig einigermaßen nahe stehen) sind überhaupt außer mir nur 2 Jungen; ich glaube 9 oder 10 Mädchen. Der eine Junge ist Otto Krüger, der deutsch-national ist und nicht im mindesten für mich in Betracht kommt, der andere Alex Leroi, mit dem ich ja halbwegs befreundet bin, aber letzten Endes passen wir nicht im mindesten zusammen. Sonst gehe ich also beinahe nur mit Mädchen um; hauptsächlich mit Gertrud Feiß, die nett und klug ist. Aber schließlich – Sie ist grenzenlos naiv und so berühmtensüchtig, daß es eine wahre Freude ist. Von den Lehrern steht mir auch nur Mahr nahe; Mahr liegt zuweilen mit seinen kleinen Hunden, welche er küßt und streichelt, auf dem Sofa, ganz in Hysterie aufgelöst und den Tränen nahe; dann stolziert er wieder als »kleiner Napoleon« mit bedeutenden Augen und nackten Beinen umher und alle nennen ihn »den deutschen Turnlehrer«. Der Erika macht er so abgeschmackt den Hof, daß die ganze Schule sich mokiert. Auch mich vergöttert er ein wenig; oft erfüllt ihn mein bloßes Vorhandensein mit plötzlicher Freude und er bricht in ein stürmisches: »Du bist doch ein goldiger Kerl!« aus. – Das ist es eben: Ich hoffte hier Kraft zu finden, die ich an mir vermißte, und finde Schwäche, die sich hinter deutschem Turnlehrertum verkriechen möchte. Nur unter den kleinen Jungen sind einige Feine; auch der Professor hat seine Meriten. Ja, er hat gewiß noch allerlei mit mir vor und ich empfinde es fast als Undankbarkeit gegen ihn, wenn ich gehe. Auch ist es uns fast ein wenig peinlich so »blamiert« wieder in München einzutreffen. Aber ich versichere Dir, es geht nicht mehr lange hier oben. Es liegt so eine Art Katastrophenstimmung in der Luft. Hitzig ist überhaupt grundsätzlich gegen alle Gemeinschaftsideen des Professors; er ist ganz voll Spott und passiver Opposition. (Er riet uns auch dringendst wegzugehen.) Er ist ja der Feinste. Mielein erzählte Dir wohl von ihm: Musik und Griechisch. Seine Stunden sind eine wahre Freude. Überhaupt der Unterricht. Aber trotzdem – man lernt viel zu wenig. Einerseits zu viel, anderseits zu wenig. Dazu kommt diese verdammte »praktische Arbeit« und die zwar ewig langen, aber immer scheußlicher werdenden Mahlzeiten. Trotzdem wir beinahe den ganzen Tag zu tun haben, lernen wir noch nicht das Staatsschulen-Pensum. Ich bedenke, was uns in München dagegen (abgesehen vom Unterricht) geboten wurde. Es ist so ungleich viel mehr, als das, was Mahr uns von seiner seltsam zerrissenen Menschlichkeit enthüllt oder was Hitzig etwa in kühlen, spöttischen Gesprächen von sich durchlugen läßt. Es ist ja auch sehr schade, daß Karl Richard wegging, der uns doch manches hätte geben können.
Eben kommt Dein Paket, liebes Mielein, für das wir sehr danken. (Hier möchte ich gleich um eine Zahnbürste u. um ein Stück feinster Toiletteseife gebeten haben.) Du fragst nach Dora (nebenbei: sie heißt Lotte) Schönfließ. Sie ist recht merkwürdig. Schwerst hysterisch, obendrein von geradezu unheimlichen Körperkräften und von einer seltsam schwulen, zusammengepreßt-kräftigen Gedrungenheit. Außerdem ist sie (so eitel und blamabel es klingt) ganz grausig in mich verliebt und benimmt sich auf etwaigen Spaziergängen schrecklich schwül und inbrünstig. Gestern machte sie Gertrud vor, wie sie »Klausens Sympathie« erwerben wolle, indem sie sich mit wütender Leidenschaft an ihren Hals hängte, dann schmachtend an ihr hinunterglitt und ihre Füße heiß küßte. So eine Spaßige ist Lotte Schönfließ. Die Mathematikerstöchter eben! Schicke nur bald wieder ein kleines Paket. (Wir brauchen auch 2 Logarithmentafeln.)
Mit viel Grüßen an alle
Euer
Klaus
Offi vielen Dank von uns beiden für ihren Brief. Wir schreiben ihr nächstens.
[München], 4. Juli [1922]
Liebes E:
Ich bin mir nicht bewusst in einem meiner letzten 3 Briefe (auf so viele diente der Deine als Antwort) irgendwie streng und bees gewesen zu sein, ich dächte, ich hätte recht herzlich geschrieben, wie immer. Einige etwas ernste Worte mögen darin gestanden haben, und dabei muß ich bleiben. Ich kann das Misslingen Eures Aufenthaltes in der Bergschule nicht so ganz leicht nehmen. Wir haben den Entschluß, Euch fortzugeben, nicht so ohne weiteres gefaßt, und wenn der Aissi einfach schreibt, wenn er bedächte, was Euch in München, und was in Hochwaldhausen geboten würde, so sei Euer Aufenthalt dort der reine Unsinn, so ist das eine nicht ganz richtige Auffassung. So wie mir die Schule in Euren Schilderungen erscheint, scheint es ja leider keine ganz glückliche Wahl gewesen zu sein. Übrigens hatte ich inzwischen einen langen, ungewöhnlich verständigen und sympathischen Brief von Steche, und da hatte ich doch wieder das Gefühl, daß sich unter der Leitung dieses Mannes doch müsse leben lassen. Über Dich spricht er sich außerordentlich günstig aus, und ist der Meinung, daß Du Dich, nach Überwindung anfänglicher Widerstände, auch eingelebt hättest und jetzt gerne am Leben der Schulgemeinde teilnähmest. Ob er sich darin nicht irrt, weiß ich nicht. Von Klaus entwirft er eine Charakteristik, die ich für absolut treffend halte, wenn sie mich auch nicht beglückt. Nun also, das Experiment hat sich als verfehlt erwiesen, und wir brauchen nicht zu untersuchen, ob es unbedingt so hätte kommen müssen. Im übrigen muß ich auch sagen, daß bei der einfach katastrophalen Teuerung es für uns ja auch immer schwieriger werden würde, Euch beide in Pension zu haben, und die finanzielle Lage der Schule vermutlich nächstens gänzlich unhaltbar sein wird. Aber wie ich neulich schrieb: Die Gründe, derentwegen wir Euch fortgegeben hatten, bestehen noch: und nur wenn Ihr Euch wirklich ändert, wenn heimliche Kino- und Schauspieler-Besuche, Schwindeleien jeglicher Art, das ganze Unwesen mit Walters (es war ein Unwesen, in das ich kürzlich noch durch Hannchen Bruckman, der Gretl recht viel davon berichtet hat, Einblicke tun konnte) ein Ende haben, kann ein erfreuliches Zusammenleben möglich sein. Das war es, was ich mit meinen »pikierten« Bemerkungen andeuten wollte, und Du brauchst Dich deßwegen in keiner Weise zu beunruhigen. Wenn Du es Dir aber zu Herzen nehmen wolltest, und wenn ich in Zukunft wieder volles Vertrauen zu Dir haben kann, so soll mich das sehr freuen.
Auch die Bemerkung, Ihr möchtet doch ja noch lernen, was irgend zu lernen ist, von wegen des Anschlusses, enthielt keinerlei Spitze. Du schriebst mir doch selbst, daß Du in Französisch und Englisch entschieden etwas gelernt hast, Lateinisch habt Ihr doch wohl auch nur auf nach Lateinisch–Deutsch, und da kommt es ja schließlich nicht so genau drauf an, was Ihr in diesem Vierteljahr gelesen habt, Schwierigkeit könnten doch nur die Mathematik und Physik machen. Aber das können wir ja noch sehen. Die Sache mit dem Abitur im nächsten Jahr hatte ich gemeint für den Fall, daß Du in der Bergschule geblieben wärst, weil ich geglaubt hatte, daß das bei der Art von freiem Unterricht bei Begabten dort möglich wäre, hier sollst Du, denke ich, wieder aufs Gymnasium gehen. Beim Aissi wird es ja jedenfalls wesentlich schwieriger sein, aber etwas hat er doch hoffentlich auch gelernt.
Nun kommt Ihr ja schon sehr bald. Schreibt mir bald den genauen Termin, und fangt rechtzeitig mit den Vorbereitungen an. Mein Gott, was habe ich für Mühe gehabt, alles für Euch zu beschaffen, darum ist es auch schade.
Vergeßt nicht am 13. Offi zum Geburtstag zu gratulieren. Ich glaube, Du schuldest ihr überhaupt einen Brief.
Nun haben sie weiß Gott auch noch ein Attentat auf Harden gemacht, eine Genugtuung, die ihm nach der Ermordung Rathenaus am Ende zu gönnen war.
Pielein ist auf zwei Tage nach Heidelberg, nachdem er eines rätselhaft geschwollenen Fußes wegen beinahe hätte abtelegraphieren müssen. Hermanns und Thala betreuten ihn abwechselnd, und es hätte beinahe ein peinliches rencontre gegeben. Was macht denn übrigens Dein Kiefer? Nun, davon werde ich mich ja bald überzeugen, und somit bin [ich]
Euer sich sehr auf das Wiedersehen
freuendes Mielein
Reichenau im Bodensee, Kurhaus, 13. August 1922, und München, 17. August 1922
Der Brief ist alt und langweilig! Brauchst ihn nicht ganz lesen!
Liebes Reh:
Nun sind wir schon so lange getrennt, und wissen nicht von einander, und ich erwarte schon mit rechter Ungeduld das von Fräulein Thea Nachzusendende, der ich schon am Mittwoch unsere hiesige Adresse mitteilte. Fange inzwischen mal immer an, damit ich es dann gleich zu Kasten schlagen kann. Unsere Reise ist ja ganz gut gelungen, wünsche Dir innigst ein Gleiches. In Salem waren wir zwei Tage, und ich hatte vorwiegend günstige Eindrücke von der im prinzlichen, sehr schönen und weitläufigen Barock-Schloß gelegenen Schule, vor allem von Kurt Hahn, der es mit seinem Erzieherberuf ungewöhnlich ernst zu nehmen scheint, und ethisch und intensiv wirkt. Aissi war auch recht von ihm angethan, er seinerseits von diesem, man kann sagen bis zur Erschütterung begeistert. Trotzdem war das Resultat leider negativ. Ich halte es ja selbst für möglich, daß das dortige »Gemeinschaftsleben«, welches ununterbrochen von morgens bis abends währt, mit sehr viel »praktischer Arbeit« doch nicht das Richtige wäre, der Haupteinwand in Augen Hahns aber waren die (augenblicklich ja abwesenden) Kameraden, welche, durchwegs von geistig schlichter bis einfältiger Art, den Klaus sich allzu vereinsamt würden fühlen lassen. So musste er mir, nach schlafloser Nacht, von einem Eintritt in die Schule abraten, interessiert sich aber weiterhin aufs Lebhafteste für die Entwicklung dieses wundervollen, aber gefährdeten Knaben, wollte in seinem Interesse an die »Odenwaldschule« schreiben, die nach seiner Ansicht eventuell in Betracht käme, auch vom »Deutschen Kolleg« hatte er Gutes gehört. Na, so müssen wir eben weiter sehen, aber es tut mir eigentlich leid, und ich glaube nicht, daß wir einen verständnisvolleren und empfänglicheren Erzieher für Klaus je finden werden. Dagegen schien mir die Anstalt für Golo sehr in Betracht [zu] kommen, für den das ununterbrochene Zusammensein mit anderen und infolgedessen Beaufsichtigtsein, auch der Sport und die praktische Arbeit, gerade das Richtige wäre, und ich besprach die Sache mit Hahn, unter Erwähnung seiner Verfehlungen (die ihm keinen allzu großen Eindruck machten), der ihn voraussichtlich auch nehmen wird, nur wünscht er ihn, wie alle Schüler, die er aufnimmt, erst persönlich kennen zu lernen. Die Schule ist ja übrigens eine ausgesprochene Fasanerie, für den Prinzen Berthold, Sohn des Prinzen Max, gegründet, und wird wohl auch allerlei Fehler haben, eine gewisse, etwas thörichte Anglomanie fiel mir schon auf, aber im ganzen schien es mir doch etwas sehr Gutes zu sein. – Dies war also Salem. Ich glaubte schon, daß wir von dort beschämt nach München zurückkehren würden müssen, denn man sagte mir gleich, daß am Bodensee alles überfüllt sei, und wir kundschafteten diesen Aufenthalt hier auch erst nach vielen Fehlversuchen aus. Haben es ganz gut getroffen mit diesem Kurhaus, welches, direkt, mit Terrasse, Badehaus und Boot am See gelegen, doch eine Art Katiulein-Aufenthalt bildet, und mit dem Wetter haben wir auch großes Glück. Originell an dem Hotel ist, daß es durchweg von adeligen baltischen Flüchtlingen geführt und bedient wird, so ist der Hausdiener Herr Beck, ein livländischer General, ebenso das bei Tisch bedienende Frl. Schulz (Gott, etwas weniger langweilige bürgerliche Namen hätten sie sich ja aussuchen können!) von altem Adel, etc.; im ganzen machen sie ihre Sache ganz ordentlich, nur die Wirtin ist über diesen Zustand der Dinge (ja vielleicht mit Recht) beleidigt und lässt ihren Unmut auf hochmütig-verdrossene Art an den Gästen aus. Die Kinder sind recht heiter und albern, und der braune Aissi, die Wogen teilend, wirkt kein bißchen dekadent. Das Publikum ist ziemlich gleichgültig, gänzlich unjüdisch, wir sind ja wohl die einzigen. Am Mittag treten wir wohl die Heimreise an, haben dann genug Geld vertan, obwohl es relativ nicht teuer ist. (200 M Pension). Die öffentlichen Blätter sieht man hier gar nicht, was ja einerseits nicht unangenehm, andererseits aber doch etwas unheimlich ist. Dir wird es ja an politischen Anregungen nicht fehlen. Bin doch sehr neugierig, wie Du auf die Dauer mit dem Heinrizi harmonirst. Du bist doch bis jetzt schließlich immer nur mal eine Stunde mit ihm zusammen gewesen, und ein gewagtes Experiment ist es doch. Ärgere Dich nur nicht, und lasse Dich nicht tyrannisieren. Nun warte ich auf die morgige Post, die doch unbedingt etwas bringen muß. 17.VIII. L.[iebes] R.[eh]: gestern Abend nach recht gelungenem Aufenthalt, sicher zurückgekehrt, fand ich Deine Karte vor; es ist nach ihr ja eigentlich nicht anzunehmen, daß Du noch dorten bist, ich weiß aber keine andere Adresse, und schicke dies nun einmal ab, bekommst es am Ende ja nachgeschickt. Andere Post mag ich aber nicht nachsenden, war auch nichts besonders Wichtiges, ein Geschäftsbrief von Fischer, den ich vorläufig beantwortete. Hier ist soweit alles in Ordnung. Am Ende bleibst Du, wenn Du es gut hast, auch in der Valutahöhle, es spielt doch gar keine Rolle; bei dieser Katastrophenstimmung. Die Lektüre der öffentlichen, nach achttägiger Pause, hat mir recht zugesetzt. – Litzmann hatte einen Herzschwäche-Anfall, scheint recht bedenglich.
Alles Liebe.
K.
[Odenwaldschule, 14. September 1922]
Liebe Eri.
Bist Du fröhlich heute? – Ich nehme an, Du kennst mich noch: Ich bin nämlich der Frieder. Und danke Dir auch schön, für Deinen Brief. Die Affäre Sudel-Bettel streift doch mehr schon das Karikaturistische, deucht mir. Das Kind Erika zu nennen (wie sie doch erst vorhatte), daran dachte sie wohl nicht. (Dann, weiß Du, wäre Stuhlgang schon ebenso hübsch gewesen, wie Bettel Gesudel. Aber mit Adel und dergleichen hatten’s die Marcksens ja immer.) – Alexens Besuch versäumt zu haben erfüllte mich mit maßvollem Schmerz. Daß er jetzt das mit den braunroten Negerlippen lesen soll, beunruhigt mich ein bißchen. – Ja, und dein Bedenken von Verodenwäldern kann ich doch wohl als müßig bezeichnen. Owaschu hat gar kein so ausgesprochenes Gepräge. (wie B.[erg] S.[chule] ja schließlich auch nicht). Vielleicht sogar noch weniger als diese. Jene intensive, etwas überhitzte, weil so sehr erotische Gemeinschaft der paar Großen, die dort war, gibt es hier nicht. Alles bewegt sich auf breiteren, ruhigeren, Grundlagen. Man sieht sich eigentlich selten. Die einzige wirkliche Gemeinschaft, ist hier die der Familie. (Unsere Familienmutter hat nicht nur einen Tante-Lula-Mund, sondern sie ist überhaupt die Zarteste in »Improvisationen.«) Die Familie sieht sich dauernd. Dann ist auch jede Woche ein Familienabend. Da ist man so richtig nett und gemütlich (oft doch ein bißchen Frl. -Theahaft). Aber sonst ist es nicht so übel. Die ganze Familienidee, meine ich. Bei uns ist auch Erwin (weißt Du, mit dem ich damals sprach.) Er ist übrigens Schulgemeindeleiter. So wäre vielleicht Karl Richard, wenn er gesund wäre. Aber trotzdem hatte ich Karl lieber gemocht. Zum mindesten war er ein größerer Eindruck. Denke daran, wie er immer am Fenster stand, als er im Zimmer bleiben mußte, und mit hochgeschlagenem Hemdkragen, mit verschränkten Armen und immer seltsam lächelnd alles auf der Straße beobachtete. – Ich habe das alles jetzt nochmals durchlebt, als ich Ilse die Novelle vorlas. Ich werde diese Monate da oben wohl nie vergessen können. Aber hier ist es besser und fruchtbarer.
Jetzt war ich eben mit Felice (das ist das Mädchen aus Wien, von dem ich unserer Mutter schrieb (wir haben sie Zefi genannt)) in Heppenheim und haben Chokolade und so was gekauft. Man geht doch seine anderthalb Stündlein. Sag einmal: Kostet eine Tafel Chokolade bei Euch auch40–60 M? (Mit vibrierender Stimme.) Ja, ja die Teuerung. (Von »Wie geht’s dem Peter?« gar nicht zu sprechen) Aber ernstlich: Katastrophen bereiten sich vor. Ich kann ohne Chokolade nun einmal nicht dichten. Annette Kolb konnte nur im Caféhaus was zuwege bringen. Ich finde mich eigentlich noch interessanter. – Aber ich komme ab. Damit doch irgendetwas Reelles gesagt sei, könnte ich dir eigentlich mal eben unseren Tagesplan hier ein bisschen auseinandersetzen: Wir stehen um 6 Uhr auf. Dann Dauerlauf. 7° Frühstück. 3 Stunden Kurs (ungemein glimpfliche, kleine Kurse), mit einstündiger Pause, wo gejaust und gemültert wird, dazwischen. Dann eine Stunde praktische Arbeit. (Grausig.) 1° Mittagsessen. ¾ 2–4 Freizeit. 4 – ½ 5 Vesper. Dann eventueller Kurs. (Ich habe »Studium«.) Dann, bis zum Abendessen nichts, oder (ich zweimal wöchentlich) wieder praktische Arbeit. Also, mehr Freizeit als bei Steche, aber auch mehr praktische Arbeit, Gott strafe England. Ich muß immer Holz hacken. Wundert Euch nicht, wenn ich einhändig zurückkomme. (Eine eiserne Hand würde ich nämlich verschmähen, weil ich das nämlich affig finde.) – O, und das Beste hätte ich fast vergessen: Zwei neue jüdische Worte: »Chamer«, das ist jemand, der alles dumm anstellt, so das eben, was das Geschwisterpaar einen »Bruder Ungeschickt« nennt. Und »bedamt«, das ist geschmackvoll, nett, geschickt. – So »kleine Mitteilungen«, quasi »Neues aus aller Welt« wären noch, dass Ilse Bry heute Geburtstag hat und ich ihr ein sehr schönes Gedicht machte. Elisabeth-Gersuind schickte mir ganz ohne weiteres eine herrliche Tafel Chokolade. Nehmt Euch alle dieses sympathische und so bescheidene junge Mädchen zum Vorbild. (Nein, ernstlich: Du könnst zu Hause doch leicht ein kleines Paket veranlassen.) Hoffentlich kommt mit der heutigen Post eines!) – Dann ein paar Fragen: Wie ist Alexens Adresse. Sein Direktor aus [unleserlich] war nämlich hier. Das könnte ich ihm doch schreiben. Auch soll er mich einmal nach Heidelberg einladen. Auch bitte ich um Onkel Klausens Adresse. Dann: Ist Süskind in München? Und hat er den Brief, den ich bei Dir für ihn einlegte? Ich hatte eine Karte aus Würzburg von ihm.
So. Und jetzt grüße alle. Ich habe wacker geschrieben. (Du weiß wohl, was Süskind über meine Briefe sagte.) Ein biederer Zug ist ja überhaupt trotz allem in meinem Wesen unverkennbar. Zeige diesen Brief den Greisen nur auch. Das mit dem Tagesplan und so interessiert sie gewiss auch. Persönlich-frivole Scherzreden kannst Du ja unter den Tisch fallen lassen.
Klaus.
NB: Natürlich antwortest Du mir mit nächster Post; Das mit dem Paket lasse Dir gesagt sein! Stifte auch alle unsere kleinen Freunde dringend an zu schreiben und zu schicken.
An Gretel liegt Brief bei.
ABB. 2 Klaus Mann an Erika Mann, [14. September 1922] (1. Seite)
Oberhambach bei Heppenheim, Odenwaldschule, [Frühjahr 1923]
Sohn von Sternheim hier neuer Schüler. Rothaarig und scheußlich.
Missglückte Erzkokotte.
Möchte Dir nur, mit zitterndem Munde, zuflüstern, daß die 10000 M, die Du Dir entweder von Golomir Gönner schenken lassen oder – (erneutes Zittern) von meinem jammerhaft kleinen Kapital abheben solltest – die ich aber auf jeden Fall brauche – heute, als am Montag, noch nicht eingetroffen sind. Gingen sie verloren?!! (Zwar: Parlez-vous francais: doch: [unleserlich] im Kaffür.) Wenn sie noch nicht abgeschickt sind, dann schicke sie doch ab, einzige Hexe Du. Sowie ich sie habe, schreibe ich Dir eine freudig-erregte Postkarte, auf der steht: »Heilig, heilig, heilig.« Anderenfalls: »Verflucht –«; oder pikiertes Schweigen.
Ach – mein’ Ruh’ ist hin –
(Ich liebe doch leider den Knaben Uto und muß viel kostbare Geschenke für ihn erhandeln, da er so sehr nett ist. Außerdem verschlingen unsere Teeabende mit Schminke, Chokolade und »Zarathustra«-Lektüre diverse Sümmlein.)
Ich habe ein sehr schönes Gedicht an Dich gemacht, daß Dich rühren wird.
Kuzi ist ein Hornochse. Daß ich von Lotte sentimentalen Scheiß-Brief bekam, ist Dir wohl bekannt.
Was denkt man über meine unbedeutende kleine Zukunft? – Ich hab’ keine Angst. Und es wird schon recht werden.
(Dieses kleine Kulturdokument braucht unseren Eltern, die ich im übrigen grüße, nicht in die Hände zu fallen. Hüte Dich, die Du Hurenstand-Gedichte auf Schreibtischen lässest herumfahren!!!)
Erledige das mit dem Geld pünktlich. (Wenn, wie gesagt, nicht [unleserlich], das unersetzliche Produkt, das wahrhaft teure Geld – verschluckte.)
Bald ganz der Deine
Klaus.
Grüße an Tante Karla.
[München], 15. Dezember 1923
Liebes Lämmlein:
Erhielt heute Nachmittag Dein l.[iebes] Kärtchen. Das klingt ja alles hocherfreulich. Aber wenn schon die dummen Münchner in solchen Scharen kamen, kann man sich erst denken, wie erst die Berliner. Daß Lörke so für den Zauberberg eingenommen ist, kann mich nicht wundern. Schaffst eben unausgesetzt Meisterliches. Der gute Jakob in seiner neidlosen Begeisterung, die noch über Schnitzlers hinaus geht, ist ja auch recht erfreulich. Du hast ihm über Ulrike nicht so geschrieben, wäre Dir freilich auch sauer geworden, nicht wegen Deiner Dummheit, sondern wegen seiner Papierenheit. Recht anstrengend mußt Du es ja gehabt haben, wenn Du erst um fünf in Lübeck ankamst und abends lasest! Und wie wird es nun wohl mit Lulas Rückreise? Sie ist doch gewiß außer sich, wenn sie nicht etwa über Berlin zurückfährt. – Ich engagierte heute für dem Haushalt zwei würdige ältere Jungfern aus dem Bürgerstande für Küche und Haus. Hoffentlich erleben wir Freude an ihnen, sehr haben sie mir ja nicht gefallen, aber gegen die hassenswerte Brück mit ihrem scheusäligen Julius werden sie doch hoffentlich eine Wohltat sein. Gestern brachte der taktlose Bibi in Gegenwart der Mutter dieser kleinen Mißgeburt immer bei zu sagen: »Ich bin ein Idiötlein.« – Gestern kam nun auch der Brief vom guten Desider den ich heute zusammen mit dem Pesti Hirlap nachschickte. Er ist nun einmal für »Genius«, während ich für den eifrigen »Dante« inklinierte. Aber nunmehr ist es wohl in der Tat recht akzeptabel, und Du wirst wohl, mit den von ihm gemachten Vorbehalten, zusagen.
Deine beste Häsin.
Grüße nur Sammis von mir.
Wie standest Du mit dem Läusele? Zürnt es noch? Sag ihm Freundlichstes von mir.
Frage doch Sami, ob wir das Depot bei Goldschmidt weiter verschweigen können? Ich weiß wirklich nicht, wie wir es sonst machen sollen, die Herkunft ließe sich ebenso wenig erklären, wie das letzte Mal, aber es ist mir höchst fatal. Es sind ja schließlich augenblicklichst kaum 10000GM.
[Davos, Kurhaus] Clavadel, 11. Februar 1924
Liebes Lämmlein:
Neunzehn Jahre sind wir heute verheiratet!