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Klaus-Rainer Martin

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Beschreibung

Die christlichen Kirchen in Deutschland haben eindeutig zur Situation der Flüchtlinge Stellung genommen. So heißt es z.B. in der Stellungnahme der evangelischen Kirche (EKD) vom 22.01.2016:

 

„Die EKD wendet sich gegen die Vorstellung einer Abschottung Europas. Wir würden unsere eigenen Werte verraten, wenn wir einen solchen Weg gingen. Unser Verantwortungshorizont endet nicht an den eigenen Grenzen. Lösungswege sind die Beseitigung der Fluchtursachen, die zugesagte Unterstützung der Nachbarländer in Krisenregionen, die Verbesserung der Bedingungen in den Flüchtlingslagern und geordnete Aufnahmeverfahren.

Zweifellos ist die Situation in Deutschland und in Europa ernst. Es wäre aber schädlich, sie schlechter und instabiler zu reden, als sie ist. Die Stabilität der staatlichen Institutionen ist hoch. Ebenso hoch ist in der Bevölkerung die Bereitschaft, sich den Herausforderungen zu stellen und sich auch persönlich zu engagieren.“

 

Was sagen aber die christlichen Kirchen der anderen 27 EU-Staaten zur Situation der Flüchtlinge? Ist für sie das Gebot der Nächstenliebe auch dann noch verpflichtend, wenn die Regierungen ihres Landes eine andere politische Linie verfolgen? Schweigen sie und lassen damit ihre Mitglieder in der Ausübung von Humanität allein?

 

Das herauszufinden, ist die Absicht dieses Berichts.

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Klaus-Rainer Martin

Die christlichen Kirchen der EU und die Situation der Flüchtlinge

Herzlosigkeit ist der größte Herzfehler

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Vorbemerkungen

 

Die großen Kirchen der Bundesrepublik Deutschland haben eindeutig Stellung zur Lage der Flüchtlinge vor den Grenzen Europas bezogen und geben den unzähligen haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern Hilfen und stärken ihnen den Rücken. So sagte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in seiner Stellungnahme vom 22.01.2016:

 

„Die enormen Anstrengungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen, die bereits geleistet wurden, sind Ausdruck einer Gesellschaft, deren Werte in ihren Wurzeln tief in der christlichen Tradition verankert sind. Der Satz Jesu „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen auch“(Matthäus 7, 12) aus der Bergpredigt formuliert einen Grundsatz der Empathie, der weit über die christliche Tradition hinaus anerkannt wird. Empathie darf nicht unter dem Eindruck einer belastenden Situation zur Disposition gestellt werden. Geben wir die Empathie auf, geben wir die Menschlichkeit auf. …

Die EKD fordert eine europäische Lösung. Sie trägt hierzu durch ihre Kontakte zu den anderen Kirchen Europas bei. Menschlichkeit kann nur gemeinsam gedacht werden und gelingen. Chancen und Lasten der Aufnahme von Schutzsuchenden müssen gemeinsam getragen werden. …

Die EKD wendet sich gegen die Vorstellung einer Abschottung Europas. Wir würden unsere eigenen Werte verraten, wenn wir einen solchen Weg gingen. Unser Verantwortungshorizont endet nicht an den eigenen Grenzen. Lösungswege sind die Beseitigung der Fluchtursachen, die zugesagte Unterstützung der Nachbarländer in Krisenregionen, die Verbesserung der Bedingungen in den Flüchtlingslagern und geordnete Aufnahmeverfahren. …

Zweifellos ist die Situation in Deutschland und in Europa ernst. Es wäre aber schädlich, sie schlechter und instabiler zu reden, als sie ist. Die Stabilität der staatlichen Institutionen ist hoch. Ebenso hoch ist in der Bevölkerung die Bereitschaft, sich den Herausforderungen zu stellen und sich auch persönlich zu engagieren.“

 

Ebenso eindeutig ist die Haltung der katholischen Kirche. In einer Veröffentlichung der Deutschen Bischofskonferenz vom 16.08.2015 heißt es:

 

Prominente Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland haben am Wochenende zu einem anderen Umgang mit Flüchtlingen aufgerufen. „Wer deutschen Boden betritt, soll menschenwürdig und gerecht behandelt werden", forderte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Wochenende in München: „Dafür wollen wir uns als Christen einsetzen."

Mit deutlichen Worten wandte sich auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick gegen jede Form der Fremdenfeindlichkeit: „Es ist eine Schande, dass Deutsche Flüchtlingsheime anzünden und 'Ausländer raus' gegen Flüchtlinge schreien", sagte er am Sonntagmorgen in Bamberg.

Schick, der als Vorsitzender der Kommission Weltkirche auch so etwas wie der „Außenminister" der Deutschen Bischofskonferenz ist, appellierte an die politischen Verantwortungsträger, „alles zu tun, um die Ursachen für Flucht wie Krieg, Rassenkonflikte oder Armut zu beseitigen". Dieser wichtigen Aufgabe müsse sich auch die Kirche stellen.

 

Kardinal Marx rief dazu auf, in den Anstrengungen für die Unterbringung für Flüchtlinge nicht nachzulassen. Zugleich dankte er allen Menschen in Politik, Pfarreien, Orden und Caritas, die sich für dieses Ziel engagierten. Der Erzbischof von München und Freising verwies darauf, dass Europa und Deutschland keine Insel seien. „Wir spüren, dass um Europa herum die Sorgen und Bedrängnisse groß und die Probleme nicht einfach zu lösen sind." Es gebe „turbulente und schwierige Situationen, die Gefahr ist größer als in den vergangenen Jahrzehnten". Deshalb brauche es eine große Solidarität. So müssten in den unter Krieg und Destabilisierung leidenden Ländern Verhältnisse geschaffen werden, in denen Menschen leben könnten. „Dafür brauchen wir einen langen Atem“, so Marx.

 

Auch die deutschen Freikirchen lassen ihre Mitglieder nicht im Unklaren:

 

Im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention unterstützen die Freikirchen in Deutschland den Schutz von politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen und deren Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Sozialleistungen. Die aktive Ansprache der Aufnahmebegehrenden erfolgt durch die Ortsgemeinden, …

Gemäß dem "Mission Statement" der Freikirche weltweit nehmen sie ihre christliche Verantwortung wahr, „für Menschen und Volksgruppen da zu sein, die am stärksten durch Armut, Unglück, Hoffnungslosigkeit und Krankheit betroffen sind“. Dies gilt ohne Ausnahme für alle Menschen, unabhängig von der ethnischen Herkunft, dem Geschlecht, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, dem Alter oder der sexuellen Identität.

Im Evangelium wird Gott zum Menschen. Diese Solidarität Gottes verpflichtet alle gläubigen Christen, sich ausnahmslos jedem Menschen zuzuwenden, der Hilfe braucht. Deshalb sprechen sich die Freikirchen ausdrücklich gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit aus.

 

Ebenso hat die orthodoxe Kirche in Deutschland in einer Stellungnahme die Hilfe für Flüchtlinge befürwortet:

 

Vom „Willkommen“ zur Integration

Wort der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD)

zur Ankunft der Flüchtlinge in unserem Land

 

„Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35)

 

Als Orthodoxe Bischöfe in Deutschland danken wir allen unseren Gläubigen und allen Menschen guten Willens, die in den vergangenen Wochen und Monaten tatkräftig bei der Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland geholfen haben. Diese tätige Nächstenliebe ist eine Selbstverständlichkeit, da sie dem Gebot unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus entspricht.

Die Aufnahme so vieler Asyl- und Hilfesuchender stellt sicherlich eine große Herausforderung für unser Land und ganz Europa, aber auch für jeden Einzelnen von uns dar. Als Orthodoxe Kirche in Deutschland, deren Gläubige mehrheitlich einen Migrationshintergrund besitzen, wissen wir auch um die Bedeutung der Begrüßung, aber auch der Integration in der hiesigen Gesellschaft, welche der nächste Schritt und das Ziel jeder Aufnahme neu hinzukommender Menschen hierzulande sein muss. Anders gesagt: aus der so genannten „Willkommenskultur“ muss eine „Integrationskultur“ werden. Sprachkenntnisse, Bildung, Integration in den Arbeitsmarkt und allgemein in die Wertegesellschaft unseres Landes sind nur einige Stichworte, die wir hier nennen.

Unter den Flüchtlingen, die sich nach Deutschland aufgemacht haben, sind auch zahlreiche orthodoxe und orientalisch-orthodoxe Christen, deren Vorfahren seit rund 2000 Jahren in Treue zu ihrem Glauben und ihrer Tradition in der Heimat gelebt haben. Angesichts von Krieg, Verfolgung und Terror haben sie diese verlassen und stehen nun hier vor einem Neuanfang. In besonderer Weise heißen wir sie willkommen und ermutigen sie, diesen Weg der Integration mutig zu gehen.

Die Orthodoxe Bischofskonferenz verurteilt in aller Schärfe jede Form von Rassenhass und Ausländerfeindlichkeit, ebenso wie jede Einschüchterung und Übergriffe gegenüber Christinnen und Christen durch andere radikalisierte Flüchtlinge, über die uns Berichte erreichen.

Möge unser Herr Jesus Christus, der selbst Flüchtling vor den Machthabern dieser Welt war, alle segnen: die ankommenden Flüchtlinge und alle, die ihnen haupt- und ehrenamtlich helfen.

 

Doch nicht alle Christen in Deutschland teilen solche Auffassungen. So diskutierte ich während eines Aufenthalts in der Oberlausitz im März 2016 mit einem pensionierten evangelischen Pfarrer aus einer Kirchengemeinde in der Nähe Bautzens und unmittelbar vor den Toren Herrnhuts.

Man erinnere sich: In Bautzen wurde in der Nacht vom 20. zum 21. Februar ein Asylbewerberheim unter dem Beifall von Schaulustigen ein Opfer der Flammen.

Der Bundespräsident Joachim Gauck wurde bei seinem Besuch in Bautzen am 11. März 2016 von einigen als „Volksverräter“ beschimpft. – Beim letzten Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR Erich Honnecker hat niemand den Versuch gewagt, ihn als „Volksverräter“ zu beschimpfen! Er wäre wohl im berüchtigten Bautzener Gefängnis „Gelbes Elend“ gelandet.

Von der Herrnhuter Brüdergemeinde kommen seit 1728 die biblischen Losungen für jeden Tag. Sie sind in 61 Sprachen übersetzt und werden von vielen Millionen Christen in aller Welt gelesen. - Die Losung für den 10. März 2016, dem Tag, an welchem ich die Diskussion führte, lautete: „Wie sollte ich ein so großes Unrecht tun und wider Gott sündigen?“ (1. Mose 39,9).

 

Dieser Pastor sagte in dem Diskussionsgespräch: „Wir teilen nicht die Auffassung der EKD … Die Flüchtlinge muslimischen Glaubens sollten bei ihren muslimischen Glaubensbrüdern in den arabischen Staaten Zuflucht suchen und nicht bei uns in Europa …“ Ich war sprachlos und konnte nur noch erwidern, dass ich das Gebot Jesu „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ anders verstehe.

 

Ein anderer Pastor sagte zu mir: „Bei Pegida marschieren nicht nur rechte Chaoten. Es gehen auch Christen aus unserer Gemeinde mit.“ Ich konnte nicht mehr weiter diskutieren. Unwillkürlich musste ich an die Fernsehbilder von einer Pegida-Demonstration in Dresden denken. Dort sah man einen Demonstranten mit einem Kreuz. Das war in den Farben schwarz-rot-gold angestrichen. Das sind die heutigen Deutschen Christen, ging mir durch den Kopf. Und ich musste an das alte deutsche Sprichwort denken: „Herzlosigkeit ist der größte Herzfehler.“ – Das trifft nicht nur für mansche Regierungen und Menschen der EU-Staaten zu, sondern auch für manche ihrer christlichen Kirchen.

 

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland begrüßte auf seiner Flüchtlingskonferenz am 2. Februar 2016 die Haltung der deutschen Regierung und der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland zur Flüchtlingspolitik und erklärte sich bereit, aktiv an den Aufgaben zur Integration von Flüchtlingen in die deutsche Gesellschaft mitzuwirken. Doch es gibt in Deutschland eine unübersichtliche Zahl von muslimischen Organisationen, Moscheenvereinen und Kulturvereinen, wie z.B. die Türkisch-Islamische Union (DITIB). Damit lässt sich nur schwer ermitteln, wie die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime und ihre Vereinigungen zur deutschen Flüchtlingspolitik stehen.

 

Über die Frage, ob die christlichen Kirchen der EU-Staaten ihre Mitglieder und die gesamte Bevölkerung selbst dann, wenn ihre Regierung die Aufnahme von Flüchtlingen schroff ablehnt, zu Humanität und Nächstenliebe aufrufen, oder sich stillschweigend zu ihren Regierungen loyal verhalten, erfährt man nur sehr wenig. Da die Informationen der öffentlichen Medien darüber, welche Meinungen die Kirchen der anderen EU-Staaten zur aktuellen Situation der Flüchtlinge vertreten, sehr spärlich sind, habe ich in mühevoller Kleinarbeit und Suche im Internet deshalb versucht, das zu ermitteln. Es war nicht einfach, an Informationen zu gelangen. Häufig sind die obersten Kirchenleitungen in ihren Äußerungen mehr als zurückhaltend. Und außerhalb der Landesgrenzen ist nur wenig zu erfahren. Doch Gemeindemitglieder und viele Menschen in den meisten Staaten der EU verhalten sich häufig weniger zurückhaltend. Sie packen an, sie helfen, sie üben Nächstenliebe. Zum anderen kann die Darstellung nur eine „Momentaufnahme“ darstellen. Die Situation stellte sich im September 2015 völlig anders dar, als nach den Vereinbarungen zwischen der EU und der Türkei am 18. März 2016. Zudem sind die Zahlen sehr ungenau, da viele Flüchtlinge z.B. Deutschland als Transitland auf ihrer Flucht nach Skandinavien nutzten oder auf ihrem Weg doppelt oder gar nicht registriert wurden. – Doch für die Helferinnen und Helfer steht nicht die Zahl, sondern das Schicksal der Menschen, ihr Leid, der Verlust der Heimat im Vordergrund.

 

Der interessierten Leserin, dem interessierten Leser seien im Folgenden die Ergebnisse meiner Erkundungen vorgestellt.

 

Klein Wesenberg, im Mai 2016

Klaus-Rainer Martin

 

1. Überblick über die Staaten der Europäischen Union (EU)

 

Die Europäische Union hat nach dem Stand vom April 2016 insgesamt 28 Mitgliedsländer. In denen werden 24 Sprachen gesprochen. Viele in der Aufstellung gemachten Zahlenangaben sind sehr ungenau, denn sie stammen aus Volkszählungen unterschiedlicher Jahre in den verschiedenen Staaten. Außerdem wird nicht in jedem Staat die Religionszugehörigkeit abgefragt. In diesen Fällen wurden die Eigenangaben der jeweiligen Religionsgemeinschaften herangezogen.

 

Belgien (Gründungsmitglied und seit 1958 Mitglied der EU)

11.150.500 Einwohner, davon

  75,0 % (ca.   8.362.000) römisch-katholische Christen

    8,0 % (ca.      892.000) Muslime

    1,0 % (ca.      112.000) vereinigte protestantische Kirche

    0,5 % (ca.        56.000) Juden

    0,5 % (ca.        56.000) andere Religionen (z.B. Buddhisten), Sekten

  15,0 % (ca,   1.672.500) konfessionell ungebunden

100,0 % (ca. 11.150.000)

 

Bulgarien (seit 2007 Mitglied der EU)

7.202.000 Einwohner, davon

  76,0 % (ca.  5.466.070) orthodoxe Christen

  12,2 % (ca.     879.000) Muslime

    1.1 % (ca.       79.200) protestantische Christen

    0,8 % (ca.       57.600) römisch-katholische Christen

    0,1 % (ca.         7.200) andere Religionen (z.B. Buddhisten), Sekten

    0,01 % (ca.          650) Juden

    9,89 % (ca.   712.280) konfessionell ungebunden